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Wirtschaftsrecht
16.06.2009
Wirtschaftsrecht
LG Berlin: Händler darf Scout-Schulranzen bei eBay anbieten

LG Berlin, Urteil vom 21.4.2009 - 16 O 729/07 Kart

Leitsatz (der Redaktion)

Ein Hersteller darf einem Händler den Verkauf hochwertiger Schulranzen über ein bestimmtes Internetportal nicht verbieten, da ein selektives Vertriebssystem nicht erforderlich und die dann anzunehmende Wettbewerbsbeschränkung nicht durch die Vertikal-GVO freigestellt ist.

GWB §§ 33, 2, 1; VO 2790/1999 Art. 3, 2 

Sachverhalt

Der Kläger will der Beklagten nach vorangegangenem Verfügungsverfahren untersagen lassen, seine Belieferung mit Produkten der Marke Scout davon abhängig zu machen, dass er diese Waren nicht über Ebay anbietet. Der Kläger betreibt ein Einzelhandelsgeschäft und bietet u. a. Schul- und Schreibwaren an. Hierzu gehören auch Schulrucksäcke und -ranzen. Diese vertreibt er auch im Internet auf der Handelsplattform Ebay. Er unterschreitet dabei die von der Beklagten empfohlenen Preise.

Die Beklagte stellt im Wesentlichen Koffer, Taschen, Schulranzen und Rucksäcke her. Für den Vertrieb dieser Produkte bedient sie sich bestimmter Auswahlkriterien. Sie vertreibt ihre Produkte u. a. auch selbst über das Internet. Mit Schreiben vom 26.3.2007 beanstandete die Beklagte, dass das bei Ebay eingestellte Angebot des Klägers die Auswahlkriterien nicht erfülle und forderte ihn auf, das Angebot von  S.-Produkten bei Ebay unverzüglich einzustellen. Der Kläger behauptet, die von ihm angebotenen Schul- und Schreibwaren bildeten den Schwerpunkt seiner Vertriebstätigkeit. Die Beklagte sei Marktführerin in den Segmenten Schulranzen und -rucksäcke.

Der Kläger meint, die Beklagte sei gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 GWB dazu verpflichtet, es zu unterlassen, seine Belieferung davon abhängig zu machen, dass er den Vertrieb ihrer Produkte über Ebay einstelle. Die Unterlassungsklage hatte Erfolg.

Aus den Gründen

Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte aus §§ 33, 2 Abs. 1 GWB zu.

§ 1 GWB verbietet Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken.

Bei den von der Beklagten verwendeten "Auswahlkriterien" handelt es sich um die Grundlage der gemeinsamen Geschäftsbeziehungen, die von dem Begriff der Vereinbarung erfasst werden (vgl. Bechtold, Kartellrecht, § 1, Rn. 11).

            Die Annahme einer Wettbewerbsbeschränkung nach § 1 GWB scheidet im Streitfall nicht als Folge eines selektiven Vertriebssystems aus

Der in den Auswahlkriterien vorgesehene Ausschluss des Vertriebs über das Internet auf der Handelsplattform Ebay stellt eine Einschränkung des Wettbewerbs dar, weil dadurch die Handlungsfreiheit der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen beschränkt wird (vgl. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-J.-B. Nordemann, Kartellrecht Bd. 2, § 1 GWB, Rn. 98; Bechtold, a. a. O., § 1, Rn. 24).

Allerdings scheidet die Annahme einer Wettbewerbsbeschränkung im Sinne der Vorschrift nach der Rechtsprechung des EuGH aus, wenn sie Folge eines qualitativen selektiven Vertriebssystems ist. Diese Voraussetzung liegt vor, wenn die Auswahl der Wiederverkäufer aufgrund objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgt, die sich auf die fachliche Eignung des Wiederverkäufers, seines Personals und seiner sachlichen Ausstattung beziehen und sofern diese Voraussetzungen einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierungen angewendet werden (Zimmer in Immenga/Mestmäker, Wettbewerbsrecht, Kommentar zum Europäischen Kartellrecht, 4. Aufl., Rdnr. 371 zu Art. 81 Abs. 1 EGV unter Bezugnahme auf EuGH 25.10.1977, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1905 Tz. 20 „Metro I"). Qualitative und diskriminierungsfreie Kriterien wirken nach Ansicht des EuGH aber nur dann rechtfertigend, wenn die Eigenschaften des in Rede stehenden Erzeugnisses zur Wahrung seiner Qualität und seines richtigen Gebrauchs ein solches selektives Vertriebssystem erfordert. Das ist bejaht worden für Unterhaltungselektronik, Tafelgeschirr, Uhren, Presseerzeugnisse und Parfum unter dem Gesichtspunkt der „Aura prestigeträchtiger Exklusivität" (Immenga, aaO Rdnr. 373 m. w. N.).

Es bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, ob es für den Vertrieb von Schulmappen der hier in Rede stehenden Art eines solchen Vertriebssystems überhaupt bedarf. Bei den Schulranzen ... handelt es sich um konfektionierte Produkte nichttechnischer Art, die eine besondere Unterweisung in Umgang und Gebrauch nicht erfordern. Sie werden von den als Käufern angesprochenen Erwachsenen auch nicht als Prestigeobjekte „mit der Aura des Exklusiven" empfunden, die sie aus der Masse des Alltäglichen herausragen lässt, sondern als ein für die Schulkarriere notwendiger Gebrauchsgegenstand. Hohe Absatzzahlen und Exklusivität schließen einander aus, denn exklusiv ist nur das, was nicht jeder hat oder trägt. Diese Wahrnehmung ändert sich auch nicht dadurch, dass sich die Schulmappen der Beklagten in Schülerkreisen besonderer Beliebtheit erfreuen und das Design einem ständigen Wechsel unterliegt.

Die Frage nach der Erforderlichkeit eines qualitativen selektiven Vertriebssystems und damit nach dem Anwendungsbereich von § 1 GWB, zu der sich das LG Mannheim in der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung nicht geäußert hat, bedarf indes keiner abschließenden Entscheidung, weil das generelle Verbot des Warenabsatzes über Ebay kein qualitatives Merkmal für die Auswahl der Wiederverkäufer darstellt. Qualitative Auswahlkriterien knüpfen ausschließlich an die Beschaffenheit der Ware an, sei es, dass dem Wiederverkäufer besondere, durch die Teilnahme an Schulungen fortlaufend aufzufrischende Kenntnisse über ihre Eigenschaften abverlangt werden oder er ein bestimmtes Serviceangebot, z. B. einen Reparaturservice bereit halten muss. Der Verkauf über Ebay weist indes keine Verbindung zu bestimmten Produkteigenschaften auf.

Das selektive Vertriebssystem steht daher der Anwendung des § 1 GWB nicht entgegen.

            Keine Freistellung der Wettbewerbsbeschränkung durch Vertikal-GVO

Die Vereinbarung, die die Vertriebsbeschränkung über Ebay enthält, ist nicht gemäß § 2 Abs. 2 GWB von dem Verbot des § 1 GWB freigestellt.

§ 2 Abs. 2 S. 1 GWB sieht eine entsprechende Geltung der EG-Gruppenfreistellungsverordnungen vor (vgl. Bechtold, a. a. O., § 2, Rn. 25). Hier ist die VO 2790/1999 in Betracht zu ziehen.

Art. 2 VO 2790/1999 erlaubt in gewissem Umfang eine Freistellung sog. vertikaler Vertriebsvereinbarungen. Sie greift hier aber nicht.

Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte an dem relevanten Markt, auf dem sie die Vertragswaren verkauft, mehr als 30 % Marktanteil besitzt. Die Freistellung gilt daher gemäß Art. 3 Abs. 1 VO 2790/1999 nicht.

Als der maßgebende sachlich relevante Markt kann im Gegensatz zur Ansicht der Beklagten nicht der Markt für „Schulbuchtransportbehältnisse" aller Art in dem von ihr zugrunde gelegten weiten Umfang angenommen werden. Es gilt das Bedarfmarktkonzept, d.h. maßgeblich ist die Substituierbarkeit der Waren aus der Sicht des Erwerbers. Die Beklagte spricht mit ihren Schulmappen der Marke  schon ihrem äußeren, kindgerechten Erscheinungsbild nach vornehmlich Grundschüler an. Darauf deutet nicht zuletzt der eigene Internetauftritt der Beklagten hin, in dem sie unter der Überschrift „Unsere Marken sind immer dabei" das Logo  mit der Anpreisung „...bequem und sicher mit dem Lieblingsranzen zum 1. Schultag" unterlegt. Es kann daher kein vernünftiger Zweifel daran aufkommen, dass diese Serie speziell auf die Bedürfnisse von Grundschülern abgestimmt ist. Damit ist sie nicht substituierbar mit Koffern und Taschen aller Art, weil Grundschüler diese Behältnisse weder zur Schule tragen wollen noch können. Ebenso erscheint der Kammer die Annahme abwegig, Oberschüler, Berufsschüler und Studenten bedienten sich zum Transport ihrer Unterlagen der Schulmappe eines Erstklässlers.

Für die Marke S. mag eine Substituierbarkeit in weiterem Rahmen, insbesondere mit Tages- Rucksäcken oder bestimmten Schultertaschen angenommen werden, wenngleich auch hier eine Substituierbarkeit durch Koffer und Reisetaschen definitiv ausscheidet.

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ihr Anteil auf dem relevanten Markt die Schwelle von 30 % nicht überschreitet, trifft die Beklagte, die die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Gruppenfreistellungsverordnung und damit auch die Einhaltung von Marktanteilsschwellen darzulegen hat (Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-J.-B. Nordemann, a. a. O., § 2 GWB, Rn. 204 a. E.).

Dieser Darlegungslast ist die Beklagte nicht nachgekommen...

Da die Beklagte ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen ist, muss von der Nichteinhaltung der Marktanteilsschwelle und der Nichtanwendbarkeit der Freistellung ausgegangen werden. Ihr Verhalten stellt sich daher als ein Verstoß gegen das Kartellrecht dar.

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