EuGH: Grundsätzlich keine Vermarktung eines als traditionelles pflanzliches Arzneimittel eingestuften Arzneitees mit Bio-Logo
EuGH, Urteil vom 26.6.2025 – C-618/23, SALUS Haus Dr. med. Otto Greither Nachf. GmbH & Co. KG gegen Astrid Twardy GmbH
ECLI:EU:C:2025:485
Volltext: BB-Online BBL2025-1601-1
unter www.betriebs-berater.de
Tenor
1. Art. 1 Nr. 29 und Art. 16a der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass als „traditionelle pflanzliche Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmungen eingestufte Erzeugnisse, die nach ihrem Art. 2 in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung fallen, nicht gleichzeitig als „traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“ im Sinne von Anhang I der Verordnung (EU) 2018/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates angesehen werden können, die nach ihrem Art. 2 Abs. 1 in den Geltungsbereich der Verordnung 2018/848 fallen.
2. Art. 62 der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Informationen über die ökologische/biologische Produktion von Wirkstoffen traditioneller pflanzlicher Arzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 29 und Art. 16a der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung nicht dahin anzusehen sind, dass sie „für den Patienten wichtig“ sind und keinen „Werbecharakter“ haben.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 62 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. 2004, L 136, S. 34) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/83) sowie der Art. 30 und 32 und von Art. 33 Abs. 5 der Verordnung (EU) 2018/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates (ABl. 2018, L 150, S. 1).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SALUS Haus Dr. med. Otto Greither Nachf. GmbH & Co. KG (im Folgenden: SALUS), einem Unternehmen, das u. a. pflanzliche Arzneimittel vertreibt, und der Astrid Twardy GmbH (im Folgenden: Twardy), einem Unternehmen, das ebenfalls solche Arzneimittel vertreibt, über Angaben auf der äußeren Umhüllung pflanzlicher Arzneitees, die SALUS vertreibt oder zu vertreiben beabsichtigt.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2001/83
3 Die Erwägungsgründe 2 und 40 der Richtlinie 2001/83 lauten:
„(2) Alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Herstellung, des Vertriebs oder der Verwendung von Arzneimitteln müssen in erster Linie einen wirksamen Schutz der öffentlichen Gesundheit gewährleisten.
…
(40) Die Bestimmungen über die Unterrichtung der Patienten müssen ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleisten, so dass die Arzneimittel auf der Grundlage vollständiger und verständlicher Informationen ordnungsgemäß angewandt werden können.“
4 Art. 1 in Titel I („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2001/83 sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:
…
2. Arzneimittel:
a) [a]lle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder
b) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.
…
25. Etikettierung:
[a]uf der äußeren Umhüllung oder der Primärverpackung angebrachte Hinweise.
…
29. Traditionelles pflanzliches Arzneimittel:
[e]in pflanzliches Arzneimittel, das die in Artikel 16a Absatz 1 festgelegten Bedingungen erfüllt.
…“
5 Art. 2 in Titel II („Anwendungsgebiet“) der Richtlinie 2001/83 sieht vor:
„(1) Diese Richtlinie gilt für Humanarzneimittel, die in den Mitgliedstaaten in den Verkehr gebracht werden sollen und die entweder gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt.
(2) In Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von ‚Arzneimittel‘ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, gilt diese Richtlinie.
…“
6 Titel III der Richtlinie 2001/83 enthält deren Bestimmungen über das Inverkehrbringen von Arzneimitteln.
7 Art. 11 in Titel III Kapitel 1 („Genehmigung für das Inverkehrbringen“) der Richtlinie 2001/83 lautet:
„Die Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels enthält folgende Angaben in der nachstehenden Reihenfolge:
1. Name des Arzneimittels, gefolgt von der Stärke und der Darreichungsform;
2. [q]ualitative und quantitative Zusammensetzung aus Wirkstoffen und Bestandteilen der Arzneiträgerstoffe, deren Kenntnis für eine zweckgemäße Verabreichung des Mittels erforderlich ist. Der übliche gebräuchliche Name oder chemische Name wird verwendet;
3. Darreichungsform;
4. [k]linische Angaben …
…“
8 Art. 16a in Titel III Kapitel 2a („Besondere auf traditionelle pflanzliche Arzneimittel anzuwendende Bestimmungen“) der Richtlinie 2001/83 sieht vor:
„(1) Hiermit wird ein vereinfachtes Registrierungsverfahren (nachfolgend ‚Registrierung als traditionelles Arzneimittel‘ genannt) für pflanzliche Arzneimittel festgelegt, die allen nachstehenden Anforderungen genügen:
a) Ihre Anwendungsgebiete entsprechen ausschließlich denen traditioneller pflanzlicher Arzneimittel, die nach ihrer Zusammensetzung und ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt und konzipiert sind, ohne ärztliche Aufsicht zwecks Stellung einer Diagnose, Verschreibung oder Überwachung der Behandlung angewendet zu werden.
b) Sie sind ausschließlich in einer bestimmten Stärke und Dosierung zu verabreichen.
c) Sie sind eine Zubereitung, die zur oralen, äußerlichen Anwendung und/oder zur Inhalation bestimmt ist.
d) Der für eine traditionelle Verwendung gemäß Artikel 16c Absatz 1 Buchstabe c) festgelegte Zeitraum ist verstrichen.
e) Die Angaben über die traditionelle Verwendung des Arzneimittels sind ausreichend; insbesondere ist nachgewiesen, dass das Produkt unter den angegebenen Anwendungsbedingungen unschädlich ist und dass die pharmakologischen Wirkungen oder die Wirksamkeit des Arzneimittels aufgrund langjähriger Anwendung und Erfahrung plausibel sind.
…“
9 Titel V („Etikettierung und Packungsbeilage“) der Richtlinie 2001/83 enthält u. a. deren Art. 54, 59, 61 und 62.
10 Art. 54 der Richtlinie 2001/83 bestimmt:
„Die äußere Umhüllung oder – sofern nicht vorhanden – die Primärverpackung jedes Arzneimittels muss die nachstehenden Angaben aufweisen:
…
b) qualitative und quantitative Zusammensetzung an Wirkstoffen nach Dosierungseinheit oder je nach Form der Verabreichung für ein bestimmtes Volumen oder Gewicht unter Verwendung der gebräuchlichen Bezeichnungen;
…
e) Art und erforderlichenfalls Weg der Verabreichung. Es ist Raum für die Angabe der verschriebenen Dosierung vorzusehen;
…
k) Name und Anschrift des Inhabers der Genehmigung für das Inverkehrbringen und gegebenenfalls der Name des von ihm benannten Vertreters;
l) Nummer der Genehmigung für das Inverkehrbringen;
…“
11 In Art. 59 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 heißt es:
„Die Packungsbeilage wird in Übereinstimmung mit der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels erstellt; sie muss folgende Angaben in der nachstehenden Reihenfolge enthalten:
a) zur Identifizierung des Arzneimittels:
i) den Namen des Arzneimittels, gefolgt von der Stärke und der Darreichungsform, und gegebenenfalls den Hinweis, ob es zur Anwendung für … bestimmt ist;
…
b) die Anwendungsgebiete;
c) eine Aufzählung von Informationen, die vor Einnahme des Arzneimittels bekannt sein müssen …
d) die für eine ordnungsgemäße Verwendung erforderlichen üblichen Anweisungen, insbesondere …
…“
12 Art. 61 der Richtlinie 2001/83 bestimmt:
„(1) Bei der Beantragung der Genehmigung für das Inverkehrbringen sind den für die Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen zuständigen Behörden ein oder mehrere Modelle der äußeren Umhüllung und der Primärverpackung des Arzneimittels sowie ein Entwurf der Packungsbeilage vorzulegen. …
(2) Die zuständigen Behörden verweigern die Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels, wenn die Etikettierung oder die Packungsbeilage nicht mit den Vorschriften dieses Titels und den Angaben in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels übereinstimmt.
…“
13 Art. 62 der Richtlinie 2001/83 lautet:
„Die äußere Umhüllung und die Packungsbeilage können zur Veranschaulichung einiger der in den Artikeln 54 und 59 Absatz 1 genannten Informationen Zeichen oder Piktogramme sowie weitere mit der Zusammenfassung der Merkmale des Erzeugnisses zu vereinbarende Informationen enthalten, die für den Patienten wichtig sind; nicht zulässig sind Angaben, die Werbecharakter haben können.“
Verordnung 2018/848
14 In den Erwägungsgründen 10 und 16 der Verordnung 2018/848 heißt es:
„(10) Die bisherigen Erfahrungen bei der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 [des Rates vom 28. Juni 2007 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 (ABl. 2007, L 189, S. 1)] zeigen, dass geklärt werden muss, für welche Erzeugnisse diese Verordnung gilt. In erster Linie sollten dazu die in Anhang I des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verzeichneten Erzeugnisse der Landwirtschaft, einschließlich der Aquakultur und der Imkerei, gehören. Außerdem sollten dazu verarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Verwendung als Lebens- oder Futtermittel bestimmt sind, gehören, da das Inverkehrbringen solcher Erzeugnisse als ökologische/biologische Erzeugnisse einen wichtigen Markt für Agrarerzeugnisse bietet und sicherstellt, dass der Verbraucher erkennen kann, dass die Agrarerzeugnisse aus ökologischen/biologischen Erzeugnissen hergestellt wurden. Diese Verordnung sollte auch bestimmte andere Erzeugnisse erfassen, die ähnlich eng wie verarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse zur Verwendung als Lebens- oder Futtermittel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen verbunden sind, da diese anderen Erzeugnisse entweder einen großen Markt für landwirtschaftliche Erzeugnisse darstellen oder Bestandteil des Produktionsprozesses sind. … Aus Gründen der Klarheit sollten solche anderen Erzeugnisse, die nicht in Anhang I AEUV aufgeführt sind, im Anhang dieser Verordnung verzeichnet werden.
…
(16) Diese Verordnung sollte unbeschadet einschlägiger Rechtsvorschriften, insbesondere in den Bereichen Sicherheit der Lebensmittelkette, Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit, Pflanzenvermehrungsmaterial, Kennzeichnung und Umweltschutz, gelten.“
15 Art. 2 („Geltungsbereich“) der Verordnung 2018/848 sieht vor:
„(1) Diese Verordnung gilt für die folgenden in Anhang I AEUV aufgeführten Erzeugnisse der Landwirtschaft, einschließlich der Aquakultur und der Imkerei, und von ihnen stammende Erzeugnisse, sofern sie produziert, aufbereitet, gekennzeichnet, vertrieben, in Verkehr gebracht oder in die [Europäische] Union eingeführt bzw. aus der Union ausgeführt werden oder dazu bestimmt sind:
a) lebende oder unverarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse einschließlich Saatgut und anderes Pflanzenvermehrungsmaterial,
b) verarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Verwendung als Lebensmittel bestimmt sind,
c) Futtermittel.
Diese Verordnung gilt auch für bestimmte andere eng mit der Landwirtschaft verbundenen Erzeugnisse, sofern sie produziert, aufbereitet, gekennzeichnet, vertrieben, in Verkehr gebracht oder in die Union eingeführt bzw. aus der Union ausgeführt werden oder dazu bestimmt sind; diese Erzeugnisse sind in Anhang I dieser Verordnung aufgeführt.
…
(4) Soweit nichts anderes bestimmt ist, gilt diese Verordnung unbeschadet einschlägiger Rechtsvorschriften der Union, insbesondere in den Bereichen Sicherheit der Lebensmittelkette, Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit und Pflanzenvermehrungsmaterial.
(5) Diese Verordnung gilt unbeschadet sonstigem spezifischen Unionsrecht betreffend das Inverkehrbringen von Erzeugnissen und insbesondere der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 (ABl. 2013, L 347, S. 671)] und der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission (ABl. 2011, L 304, S. 18)].
…“
16 Art. 30 („Verwendung von Bezeichnungen mit Bezug auf die ökologische/biologische Produktion“) in Kapitel IV („Kennzeichnung“) der Verordnung 2018/848 lautet:
„(1) Im Sinne dieser Verordnung gilt ein Erzeugnis als mit Bezug auf die ökologische/biologische Produktion gekennzeichnet, wenn in der Kennzeichnung, in der Werbung oder in den Geschäftspapieren das Erzeugnis, seine Zutaten oder die bei der Produktion verwendeten Einzelfuttermittel mit Bezeichnungen versehen werden, die dem Käufer den Eindruck vermitteln, dass das Erzeugnis, seine Zutaten oder die Einzelfuttermittel nach den Vorschriften dieser Verordnung produziert wurden. Insbesondere dürfen die in Anhang IV aufgeführten Bezeichnungen, und daraus abgeleitete Bezeichnungen und Diminutive wie ‚Bio-‘ und ‚Öko-‘, allein oder kombiniert, in der gesamten Union und in allen in dem genannten Anhang aufgeführten Sprachen zur Kennzeichnung der in Artikel 2 Absatz 1 genannten Erzeugnisse und in der Werbung für sie verwendet werden, wenn diese Erzeugnisse den Vorschriften dieser Verordnung entsprechen.
(2) In Bezug auf die in Artikel 2 Absatz 1 genannten Erzeugnisse dürfen die Begriffe gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels nirgendwo in der Union und in keiner der in Anhang IV aufgeführten Sprachen für die Kennzeichnung, in Werbematerial oder in den Geschäftspapieren von Erzeugnissen verwendet werden, die den Vorschriften dieser Verordnung nicht entsprechen.
Darüber hinaus dürfen keine Bezeichnungen, einschließlich in Handelsmarken oder Firmennamen verwendeter Bezeichnungen, oder Praktiken in der Kennzeichnung oder Werbung verwendet werden, wenn sie den Verbraucher oder Nutzer irreführen können, indem sie ihn glauben lassen, dass das betreffende Erzeugnis oder die zu seiner Produktion verwendeten Zutaten den Vorschriften dieser Verordnung entspricht bzw. entsprechen.
…“
17 In demselben Kapitel IV bestimmt Art. 32 („Verbindliche Angaben“) der Verordnung 2018/848:
„(1) Sind Erzeugnisse mit den Bezeichnungen nach Artikel 30 Absatz 1 gekennzeichnet, einschließlich der nach Artikel 30 Absatz 3 als Umstellungserzeugnisse gekennzeichneten Erzeugnisse, so muss
a) die Kennzeichnung auch die Codenummer der Kontrollbehörde oder Kontrollstelle enthalten, die für die Kontrolle des Unternehmers zuständig ist, der den letzten Erzeugungs- oder Aufbereitungsvorgang vorgenommen hat; und
b) bei vorverpackten Lebensmitteln das Logo der Europäischen Union für ökologische/biologische Produktion gemäß Artikel 33 auch auf der Verpackung zu sehen sein, außer in den in Artikel 30 Absatz 3 und Absatz 5 Buchstaben b und c genannten Fällen.
(2) Bei der Verwendung des Logos der Europäischen Union für ökologische/biologische Produktion muss im selben Sichtfeld wie das Logo der Ort der Erzeugung der landwirtschaftlichen Ausgangsstoffe erscheinen, aus denen sich das Erzeugnis zusammensetzt, und zwar je nach Fall in einer der folgenden Formen:
…“
18 Art. 33 („Logo der Europäischen Union für ökologische/biologische Produktion“) der Verordnung 2018/848 bestimmt:
„(1) Das Logo der Europäischen Union für ökologische/biologische Produktion darf in der Kennzeichnung und Aufmachung von Erzeugnissen sowie in der Werbung hierfür verwendet werden, sofern diese Erzeugnisse den Vorschriften dieser Verordnung entsprechen.
…
(5) Nationale und private Logos dürfen in der Kennzeichnung und Aufmachung von Erzeugnissen sowie in der Werbung hierfür verwendet werden, sofern diese Erzeugnisse den Vorschriften dieser Verordnung entsprechen.
…“
19 Zu den Erzeugnissen, die in Anhang I („Andere Erzeugnisse nach Artikel 2 Absatz 1“) der Verordnung 2018/848 aufgeführt sind, gehören „traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“.
20 Anhang V dieser Verordnung enthält Vorschriften für die Verwendung des Logos der Europäischen Union für ökologische/biologische Produktion.
Deutsches Recht
21 § 10 Abs. 1 Satz 5 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG) vom 24. August 1976 (BGBl. 1976 I S. 2445) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: AMG), mit dem Art. 62 der Richtlinie 2001/83 umgesetzt wird, lautet:
„Weitere Angaben, die nicht durch eine Verordnung der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union vorgeschrieben oder bereits nach einer solchen Verordnung zulässig sind, sind zulässig, soweit sie mit der Anwendung des Arzneimittels im Zusammenhang stehen, für die gesundheitliche Aufklärung der Patienten wichtig sind und den Angaben nach § 11a nicht widersprechen“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
22 SALUS und Twardy, zwei Gesellschaften deutschen Rechts, vertreiben u. a. traditionelle pflanzliche Arzneimittel.
23 Zu den von SALUS zum Verkauf angebotenen Erzeugnissen gehört der „Salus Arzneitee Salbeiblätter“, auf dessen äußerer Umhüllung sich das offizielle Logo der Europäischen Union für ökologische/biologische Produktion, der Kontrollstellencode und die Angabe „Nicht-EU-Landwirtschaft“ befinden. SALUS beabsichtigt außerdem den Vertrieb eines „Bio Nerven-Beruhigungstees“, dessen Verpackung das offizielle Logo der Europäischen Union für ökologische/biologische Produktion, das Bio-Logo von SALUS, den Kontrollstellencode sowie die Angabe „aus ökologischem Landbau“ enthalten soll, und den Vertrieb eines Tees „Frauenmantelkraut“, der auf der Verpackung das offizielle Logo der Europäischen Union für ökologische/biologische Produktion, den Kontrollstellencode sowie die Angabe „EU-Landwirtschaft“ erhalten soll.
24 Da Twardy es für einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 5 AMG hält, dass SALUS Angaben über die ökologische/biologische Produktion dieser Erzeugnisse auf deren äußerer Umhüllung anbringt, erhob sie beim Landgericht Düsseldorf (Deutschland) Klage gegen SALUS auf Unterlassung des Inverkehrbringens pflanzlicher Arzneitees, deren äußere Umhüllung Angaben über die ökologische/biologische Herkunft der Pflanzen enthält.
25 Mit Urteil vom 7. Juni 2023 gab das Landgericht Düsseldorf dieser Klage statt und verurteilte SALUS u. a. im Wesentlichen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr diese Waren zu vertreiben und/oder vertreiben zu lassen, wenn auf der Umhüllung diese Angaben enthalten seien. Solche Angaben seien gemäß § 10 Abs. 1 Satz 5 AMG unzulässig.
26 Gegen dieses Urteil legte SALUS beim Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein. SALUS bringt vor, dass der Anwendungsbereich der Verordnung 2018/848 weiter sei als der der Verordnung Nr. 834/2007 und dass die Verordnung 2018/848 auf „andere eng mit der Landwirtschaft verbundene Erzeugnisse“ anwendbar sei, die, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arzneitees, „traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“ seien. Die Vorschriften der Verordnung 2018/848 und der Richtlinie 2001/83 seien nebeneinander anwendbar. Jedenfalls sei Art. 62 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen, dass die nach der Verordnung 2018/848 zugelassenen Kennzeichnungen im Sinne dieses Art. 62 „für den Patienten wichtig“ seien.
27 Twardy beantragte, die Berufung zurückzuweisen, und bringt vor, dass selbst wenn sich der sachliche Geltungsbereich der Verordnung 2018/848 auf als Arzneimittel einzustufende „traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“ erstrecke, Art. 62 der Richtlinie 2001/83 und § 10 Abs. 1 Satz 5 AMG dem vorgingen. Zum Schutz des Patienten vor einer Überfülle von Informationen und Werbung auf der Außenverpackung von Arzneimitteln sei Art. 62 dieser Richtlinie nämlich eng auszulegen, zumal eine Verpflichtung zur Angabe der ökologischen Herkunft der für die Zubereitung von Arzneitees verwendeten Pflanzen nicht bestehe.
28 Das vorlegende Gericht führt erstens aus, dass für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits zunächst erheblich sei, ob unter den Begriff „traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang I der Verordnung 2018/848 auch solche Zubereitungen fielen, die, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arzneitees, auch unter den Begriff „Arzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 fielen. Die Kategorie der „traditionellen pflanzlichen Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“ sei vom Unionsgesetzgeber in die Verordnung 2018/848 aufgenommen worden und habe kein Gegenstück in der Verordnung Nr. 834/2007.
29 Insoweit habe der Unionsgesetzgeber ausweislich des zehnten Erwägungsgrundes der Verordnung 2018/848 den Anwendungsbereich dieser Verordnung auch auf andere Erzeugnisse als Lebens- oder Futtermittel erstrecken wollen, ohne für diese Erzeugnisse eine nähere Definition zu geben, so dass auch Arzneimittel damit gemeint sein könnten.
30 Zweitens stelle sich die Frage nach dem Verhältnis der Kennzeichnungsregeln der Verordnung 2018/848 zu denen der Richtlinie 2001/83. Während die Richtlinie 2001/83 eine grundsätzlich abschließende Liste an Angaben enthalte, die auf der Verpackung von Arzneimitteln angebracht werden dürften, lasse die Verordnung 2018/848 in ihren Art. 30 und 32 eine Vielzahl von Angaben zu, wobei einige zwingend seien, wenn das Erzeugnis als mit Bezug auf ökologische/biologische Produktion gekennzeichnet gelte. Art. 33 Abs. 5 dieser Verordnung lasse auch weitere Kennzeichnungen zu.
31 Hierbei gelte die Verordnung 2018/848 nach ihrem Art. 2 Abs. 4, wenn nichts anderes bestimmt sei, „unbeschadet einschlägiger Rechtsvorschriften der Union, insbesondere in den Bereichen Sicherheit der Lebensmittelkette, Tiergesundheit und Tierschutz …“. Auf die Richtlinie 2001/83 werde jedoch nicht speziell Bezug genommen. Im Übrigen spreche für eine Auslegung, wonach die Bestimmungen dieser Richtlinie Vorrang vor derjenigen der Verordnung 2018/848 hätten, dass diese Richtlinie sowohl die spezifischen Gefahren als auch die spezifische Notwendigkeit von Angaben auf der Verpackung dieser Arzneimittel regele und die notwendige Abwägung der in Rede stehenden zwingenden Erfordernisse treffe.
32 Drittens stelle sich für den Fall, dass die Kennzeichnungsregeln der Richtlinie 2001/83 Vorrang hätten, die Frage, ob Informationen über die Art der Produktion von Arzneimitteln, insbesondere der Umstand, dass die bei der Produktion verwendeten pflanzlichen Stoffe aus ökologischem Landbau stammten, unter die in Art. 62 dieser Richtlinie genannten Angaben fielen. Solche Informationen könnten nämlich als „für den Patienten wichtig“ im Sinne dieses Art. 62 angesehen werden.
33 Insoweit seien zum einen bestimmte Angaben nach § 10 Abs. 1 Satz 5 AMG zulässig, wenn sie nach den Verordnungen der Union zulässig seien. Diese Vorschrift werde jedoch nur auf arzneimittelbezogene Verordnungen der Union angewandt, zu denen die Verordnung 2018/848 nicht gehöre. Zum anderen sei der Wortlaut von § 10 Abs. 1 Satz 5 AMG eher an die ursprüngliche Fassung von Art. 62 der Richtlinie 2001/83 angepasst, wonach nur Angaben zulässig seien, die „für die Gesundheitsaufklärung wichtig sind“, während die Neufassung dieser Richtlinie alle Angaben zulasse, die „für den Patienten wichtig sind“.
34 In diesem Zusammenhang könnte sich die Auslegung der deutschen Gerichte, wonach wichtige Angaben für den Patienten nur solche Angaben darstellten, die unmittelbar für dessen Gesundheit wichtig seien, und wozu Informationen über die Herstellungsweise nicht gehörten, als zu eng erweisen. Angesichts der Bedeutung, die das Unionsrecht durch die Neufassung der Verordnung Nr. 834/2007 der Herkunft aus ökologischem/biologischem Anbau zuweise, könnten solche Informationen ebenfalls „für den Patienten wichtig“ sein.
35 Unter diesen Umständen hat das Oberlandesgericht Düsseldorf beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Sind pflanzliche Arzneitees, die als „traditionelle pflanzliche Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 29 und Art. 16a der Richtlinie 2001/83, eingefügt durch Art. 1 Nrn. 1 und 2 der Richtlinie 2004/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel hinsichtlich traditioneller pflanzlicher Arzneimittel (ABl. 2004, L 136, S. 85), als „traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang I der Verordnung 2018/848 anzusehen?
2. Wenn die erste Frage bejaht wird:
Können die in Kapitel IV der Verordnung 2018/848 vorgesehenen Kennzeichnungen, insbesondere
– das offizielle Bio-Logo der Europäischen Union (Art. 33 in Verbindung mit Anhang V der Verordnung 2018/848),
– das firmeneigene Bio-Logo (Art. 33 Abs. 5 der Verordnung 2018/848),
– die Codenummer der Kontrollstelle (Art. 32 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2018/848),
– der Ort der Erzeugung der landwirtschaftlichen Ausgangsstoffe „EU-Landwirtschaft“ bzw. „Nicht-EU-Landwirtschaft“ (Art. 32 Abs. 2 der Verordnung 2018/848),
– der Begriff „Bio“ (Art. 30 Abs. 2 der Verordnung 2018/848) und
– der Hinweis „aus ökologischem Landbau“ (Art. 30 Abs. 1 der Verordnung 2018/848),
auf der äußeren Umhüllung eines Arzneimittels angebracht werden, ohne dass die Voraussetzungen von Art. 62 der Richtlinie 2001/83 vorliegen müssen?
3. Wenn die erste oder zweite Frage verneint wird:
Handelt es sich bei den in der zweiten Frage aufgeführten Kennzeichnungen um solche, die im Sinne des Art. 62 der Richtlinie 2001/83 „für den Patienten wichtig sind“ und nicht „Werbecharakter haben können“?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
36 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Nr. 29 und Art. 16a der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen sind, dass als „traditionelle pflanzliche Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmungen eingestufte Erzeugnisse, die nach ihrem Art. 2 in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, gleichzeitig als „traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“ im Sinne von Anhang I der Verordnung 2018/848 angesehen werden können, die nach ihrem Art. 2 Abs. 1 in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen.
37 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2001/83 nach ihrem Art. 2 Abs. 1, der ihren Anwendungsbereich festlegt, für Humanarzneimittel gilt, die in den Mitgliedstaaten in Verkehr gebracht werden sollen und die entweder gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt. Nach Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie gelten in Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von „Arzneimittel“ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere Rechtsvorschriften der Union geregelt ist, die Bestimmungen der Richtlinie.
38 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Angaben des vorlegenden Gerichts, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden pflanzlichen Arzneitees die in Art. 16a Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 aufgeführten Voraussetzungen erfüllen, so dass sie als Arzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 dieser Richtlinie anzusehen sind, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, wie er in ihrem Art. 2 Abs. 1 definiert ist.
39 Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass, wie es im zehnten Erwägungsgrund der Verordnung 2018/848 heiße, der sachliche Geltungsbereich dieser Verordnung weiter sei als der der bis dahin anwendbaren Verordnung Nr. 834/2007, da die Verordnung 2018/848 sich auch auf Erzeugnisse erstrecke, die – wie traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis im Sinne von Anhang I dieser Verordnung – in engem Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen stünden. Da der Klägerin des Ausgangsverfahrens zufolge die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arzneitees nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung 2018/848 auch in deren Geltungsbereich fallen, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob hinsichtlich der Kennzeichnung dieser Erzeugnisse die Bestimmungen der Verordnung 2018/848 und die der Richtlinie 2001/83 gleichzeitig angewandt werden können.
40 Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83, wenn Zweifel an der richtigen Einstufung der in Rede stehenden Erzeugnisse bestehen, der Anwendung des Arzneimittelrechts der Union der Vorrang gebührt, was in Anbetracht der höheren Anforderungen, die sich aus dem Arzneimittelrecht für das Inverkehrbringen von Erzeugnissen ergeben, auch dem mit Art. 168 AEUV verfolgten Ziel eines hohen Gesundheitsschutzniveaus entspricht (Urteil vom 2. März 2023, Kwizda Pharma, C‑760/21, EU:C:2023:143, Rn. 34).
41 Demnach sind nach ständiger Rechtsprechung nur die speziell für Arzneimittel geltenden Bestimmungen des Unionsrechts auf ein Erzeugnis anzuwenden, das sowohl die Voraussetzungen eines „Lebensmittels“ als auch diejenigen eines „Arzneimittels“ erfüllt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juni 2005, HLH Warenvertrieb und Orthica, C‑211/03, C‑299/03 und C‑316/03 bis C‑318/03, EU:C:2005:370, Rn. 43 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
42 Außerdem tendiert, wie der Generalanwalt in den Nrn. 42 und 43 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, die Unionsregelung im Bereich der Humanarzneimittel dazu, auszuschließen, dass Erzeugnisse, die als „Arzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 eingestuft werden, unter andere rechtliche Regelungen fallen, die in diesem Bereich anwendbar sein könnten. Insoweit handelt es sich bei dem Begriff „traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“ in Anhang I der Verordnung 2018/848 zwar um eine Gattungsbezeichnung. Mangels einer ausdrücklichen Ausnahme von der mit dieser Richtlinie eingeführten abschließenden Regelung kann jedoch der im zehnten Erwägungsgrund dieser Verordnung zum Ausdruck gebrachte Wille des Unionsgesetzgebers, in den Geltungsbereich der Verordnung mittels einer weiten und nicht zielgerichteten Formulierung auch andere Erzeugnisse als Lebensmittel einzubeziehen, nicht dahin ausgelegt werden, dass damit Erzeugnisse, die unter den Begriff „Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie fallen, in die in der Verordnung vorgesehene Regelung einbezogen werden sollen.
43 Zum einen geht aus Art. 2 Abs. 4 in Verbindung mit dem 16. Erwägungsgrund der Verordnung 2018/848 hervor, dass diese „unbeschadet einschlägiger Rechtsvorschriften der Union, insbesondere in den Bereichen Sicherheit der Lebensmittelkette, Tiergesundheit und Tierschutz …“, gilt. Zum anderen bestimmt Art. 2 Abs. 5 dieser Verordnung, dass die Verordnung unbeschadet „sonstigem spezifischen Unionsrecht betreffend das Inverkehrbringen von Erzeugnissen und insbesondere der [Verordnung Nr. 1308/2013] und der [Verordnung Nr. 1169/2011]“ gilt. Wie sich aus der Verwendung des Wortes „insbesondere“ in dieser Bestimmung ergibt, ist die Aufzählung dieser spezifischen Vorschriften jedoch nicht abschließend.
44 Daraus folgt, dass die Richtlinie 2001/83, auch wenn sie in Art. 2 Abs. 5 der Verordnung 2018/848 nicht ausdrücklich genannt wird, zu den einschlägigen Rechtsvorschriften der Union gehört und in die Kategorie „sonstiges spezifisches Unionsrecht betreffend das Inverkehrbringen von Erzeugnissen“ fällt, da sie das Inverkehrbringen von Arzneimitteln regelt, und zwar einschließlich traditioneller pflanzlicher Arzneimittel.
45 Ein Erzeugnis, das als traditionelles pflanzliches Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83 anzusehen ist, muss daher in Anbetracht des ausschließlichen Charakters der Bestimmungen dieser Richtlinie alle in der Richtlinie genannten Anforderungen erfüllen und kann nicht gleichzeitig in den Geltungsbereich einer anderen, nicht arzneimittelspezifischen Regelung fallen, wie derjenigen, die sich aus der Verordnung 2018/848 ergibt. Folglich sind Arzneitees wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die unter den Begriff „Arzneimittel“ im Sinne der genannten Richtlinie fallen, vom Geltungsbereich der Verordnung 2018/848 ausgenommen.
46 Ferner ist es zwar Sache der Wirtschaftsteilnehmer, zu entscheiden, mit welcher Einstufung sie bestimmte Erzeugnisse in Verkehr bringen wollen, doch müssen sie die Verpflichtungen erfüllen, die nach der anwendbaren Unionsregelung in diesem Bereich vorgesehen sind. Fällt ein Erzeugnis unter den Begriff „Arzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83, steht es einem Wirtschaftsteilnehmer nicht frei, es mit einer anderen Einstufung zu vermarkten. Das Unionsrecht garantiert nämlich nicht, dass ein Wirtschaftsteilnehmer seine Produkte mit allen Bezeichnungen, die er als für ihre Vermarktung vorteilhaft ansieht, in Verkehr bringen kann (vgl. entsprechend Urteil vom 5. November 2014, Herbaria Kräuterparadies, C‑137/13, EU:C:2014:2335, Rn. 46).
47 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Nr. 29 und Art. 16a der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen sind, dass als „traditionelle pflanzliche Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmungen eingestufte Erzeugnisse, die nach ihrem Art. 2 in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, nicht gleichzeitig als „traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“ im Sinne von Anhang I der Verordnung 2018/848 angesehen werden können, die nach ihrem Art. 2 Abs. 1 in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen.
Zur dritten Frage
48 Mit seiner dritten Frage, die an zweiter Stelle zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 62 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass Informationen über die ökologische/biologische Produktion von Wirkstoffen traditioneller pflanzlicher Arzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 29 und Art. 16a dieser Richtlinie dahin anzusehen sind, dass sie „für den Patienten wichtig“ sind und keinen „Werbecharakter“ haben.
49 Nach Art. 1 Nr. 25 der Richtlinie 2001/83 sind unter „Etikettierung“ „auf der äußeren Umhüllung oder der Primärverpackung angebrachte Hinweise“ zu verstehen.
50 Ferner sieht Art. 62 der Richtlinie 2001/83 vor, dass die äußere Umhüllung und die Packungsbeilage zur Veranschaulichung einiger der in Art. 54 und Art. 59 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Informationen Zeichen oder Piktogramme sowie weitere mit der Zusammenfassung der Merkmale des Erzeugnisses zu vereinbarende Informationen enthalten können, die für den Patienten wichtig sind; nicht zulässig sind Angaben, die Werbecharakter haben können.
51 Da Art. 62 der Richtlinie 2011/83 nicht auf die nationalen Rechtsordnungen verweist, ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Begriff der Informationen, die „für den Patienten wichtig sind“ und dem Begriff „Angaben, die Werbecharakter haben können“ um autonome Begriffe des Unionsrechts handelt, die im gesamten Unionsgebiet einheitlich auszulegen sind, wobei nicht nur der Wortlaut dieser Bestimmung, sondern auch der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, zu berücksichtigen sind (Urteile vom 18. Januar 1984, Ekro, 327/82, EU:C:1984:11, Rn. 11, und vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 31 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
52 Was als Erstes den Wortlaut von Art. 62 der Richtlinie 2001/83 betrifft, so ergibt sich daraus, dass die äußere Umhüllung eines Arzneimittels weitere als die in Art. 54 und Art. 59 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Informationen enthalten kann, sofern drei Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens müssen diese Informationen mit der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, die nach Art. 11 der Richtlinie eine Reihe genauer Angaben über das Arzneimittel in einer bestimmten Reihenfolge enthält, zu vereinbaren sein können. Zweitens müssen diese Informationen für den Patienten wichtig sein können. Drittens dürfen diese Informationen keine Angaben enthalten, die Werbecharakter haben können. Der Begriff „Informationen, die für den Patienten wichtig sind“ aus der zweiten Voraussetzung bedeutet, dass diese Informationen geeignet sind, dem Patienten einen Vorteil zu verschaffen, und der Begriff „Angaben, die Werbecharakter haben können“ aus der dritten Voraussetzung bezeichnet eine Angabe, die für eine Form der Werbung für dieses Arzneimittel eine Rolle spielt.
53 Was als Zweites den Zusammenhang betrifft, in den sich Art. 62 der Richtlinie 2001/83 einfügt, so gehört dieser Art. 62 zu den Bestimmungen von Titel V („Etikettierung und Packungsbeilage“) dieser Richtlinie, die, wie es im 40. Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt, u. a. darauf abzielen, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, so dass die Arzneimittel auf der Grundlage vollständiger und verständlicher Informationen ordnungsgemäß angewandt werden können und Gesundheitsrisiken, die mit ihrer falschen Verabreichung verbunden sind, so weit wie möglich ausgeschlossen werden.
54 Es ist nämlich der ganz besondere Charakter von Arzneimitteln zu betonen, deren therapeutische Wirkungen sie substanziell von den übrigen Waren unterscheiden. Aufgrund dieser therapeutischen Wirkungen können Arzneimittel, wenn sie ohne Not oder falsch eingenommen werden, der Gesundheit schweren Schaden zufügen, ohne dass der Patient sich dessen bei ihrer Verabreichung bewusst sein kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).
55 Hierzu sieht Art. 61 der Richtlinie 2001/83 vor, dass alle Informationen, die auf der Umhüllung und in der Packungsbeilage eines Arzneimittels aufgeführt sind, bei der Beantragung der Genehmigung für das Inverkehrbringen den zuständigen Behörden vorzulegen sind und von diesen genehmigt werden müssen. Es handelt sich also um Informationen, die nicht nur objektiv sind und a priori für den Verbraucher keine Gefahr darstellen, sondern die auch genehmigt wurden und die nach den Art. 54 und 59 dieser Richtlinie sogar zwingend auf der Umhüllung und der Packungsbeilage angegeben werden müssen (Urteil vom 5. Mai 2011, MSD Sharp & Dohme, C‑316/09, EU:C:2011:275, Rn. 41).
56 Art. 62 der Richtlinie 2001/83, wonach das Hinzufügen bestimmter fakultativer Informationen zulässig ist, sofern diese „für den Patienten wichtig sind“, während „Angaben, die Werbecharakter haben können“, nicht zulässig sind, ist folglich eng auszulegen, so dass alle Informationen nicht zulässig sind, die bei der Beantragung der Genehmigung für das Inverkehrbringen den zuständigen Behörden weder vorgelegt worden sind noch von ihnen gebilligt worden sind. Jedenfalls ist festzustellen, dass gemäß Art. 16a der Richtlinie 2001/83 traditionelle pflanzliche Arzneimittel nicht diesem Verfahren, sondern dem vereinfachten Registrierungsverfahren unterliegen.
57 Diese Schlussfolgerung lässt jedoch die Entscheidung eines Herstellers solcher Arzneimittel unberührt, gegebenenfalls das Verfahren zur Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels in Anspruch zu nehmen, nach dessen Abschluss die zuständige Behörde feststellen kann, dass aus einer Produktion im ökologischen Landbau stammende, heilend oder vorbeugend wirkende Stoffe sich günstig auf die therapeutischen Eigenschaften eines Arzneimittels auswirken, und daher eine solche Angabe auf der äußeren Umhüllung dieses Arzneimittels billigen kann.
58 Als Drittes wird die Auslegung in Rn. 56 des vorliegenden Urteils durch das Interesse am Schutz der öffentlichen Gesundheit bestätigt, das nach dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 das wesentliche Ziel aller Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Herstellung, des Vertriebs oder der Verwendung von Arzneimitteln darstellt (Urteil vom 23. April 2020, DHU Arzneimittel, C‑101/19 und C‑102/19, EU:C:2020:304, Rn. 44).
59 Indem nämlich davon ausgegangen wird, dass die Informationen, die im Sinne von Art. 62 der Richtlinie 2001/83 „für den Patienten wichtig sind“ und bei denen es sich nicht um „Angaben [handelt], die Werbecharakter haben können“, Informationen sein müssen, die dazu dienen, den Patienten über die korrekte Anwendung der Arzneimittel zu informieren, tragen sie zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bei. Sie ermöglichen es somit, den Patienten vor einer Überfülle irrelevanter Informationen und kommerzieller Werbung bei der Etikettierung von Arzneimitteln zu schützen und gleichzeitig die ordnungsgemäße Verwendung dieser Arzneimittel zu fördern.
60 Dieses Ziel könnte jedoch gefährdet werden, wenn es einem Wirtschaftsteilnehmer, der Erzeugnisse vermarktet, die unter den Begriff „traditionelle pflanzliche Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 29 und Art. 16a der Richtlinie 2001/83 fallen, freistünde, mit Blick auf die Förderung des Verkaufs oder des Verbrauchs dieser Erzeugnisse selbst darüber zu entscheiden, welche zusätzlichen Informationen einschließlich der Informationen über die Art und Weise der Erzeugung der zu ihrer Herstellung verwendeten Pflanzen sich auf der äußeren Umhüllung dieser Erzeugnisse befinden dürfen.
61 Unter diesen Umständen ist in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 85 seiner Schlussanträge davon auszugehen, dass die Anbringung der in Kapitel IV der Verordnung 2018/848 vorgesehenen Kennzeichnungselemente auf der Umhüllung eines traditionellen pflanzlichen Arzneimittels insbesondere dann Werbecharakter haben kann, wenn diese Elemente nicht in medizinischer Hinsicht wichtig sind, mit keinen der in der Zusammenfassung der Merkmale des Erzeugnisses vorgesehenen Angaben übereinstimmen und das Arzneimittel ohne Verschreibung erworben werden kann. Die Informationen richten sich in einem solchen Fall an den Patienten, ohne dass ein Angehöriger der Gesundheitsberufe einbezogen wird, und können den Patienten so direkt zu einer Kaufentscheidung veranlassen;
62 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 62 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass Informationen über die ökologische/biologische Produktion von Wirkstoffen traditioneller pflanzlicher Arzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 29 und Art. 16a dieser Richtlinie nicht dahin anzusehen sind, dass sie „für den Patienten wichtig“ sind und keinen „Werbecharakter“ haben.
Zur zweiten Frage
63 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.