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Wirtschaftsrecht
29.05.2013
Wirtschaftsrecht
BGH: Glaubhaftmachung des Vorliegens eines Eröffnungsgrundes nach Ausgleich der Forderung

BGH, Beschluss vom 11.4.2013 - IX ZB 256/11

Leitsätze

Der Gläubiger muss das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes auch dann glaubhaft machen, wenn er nach Ausgleich seiner Forderung im Eröffnungsverfahren seinen Antrag weiterverfolgen will, weil in einem Zeitraum von zwei Jahren vor der Antragstellung bereits ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners anhängig war.

Aus den Gründen

1          I. Die Gläubigerin, eine gesetzliche Krankenversicherung, stellte am 26. Mai 2011 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners, der einen Kfz-Reparaturbetrieb unterhält. Grundlage des Antrags waren durch Vollstreckbarkeitserklärung bescheinigte rückständige Gesamtsozialversicherungsbeiträge aus dem Zeitraum 1. Januar 2010 bis 30. April 2011 in Höhe von insgesamt 5.557,38 € einschließlich Säumniszuschlägen, Gebühren und Kosten. Am 1. Juni 2011 beglich der Schuldner die offenen Forderungen der Antragstellerin. Daraufhin erklärte diese mit Schriftsatz vom 16. Juni 2011, dass sie im Hinblick auf ein beim Insolvenzgericht im Jahre 2010 anhängig gewesenes Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen des Schuldners ihren Antrag nicht für erledigt erkläre oder zurücknehme.

2          Mit Beschluss vom 27. Juni 2011 hat das Insolvenzgericht den Eröffnungsantrag der Gläubigerin als unzulässig abgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde möchte die Gläubigerin weiterhin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners erreichen.

3                      II. Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 6, 7 aF, § 34 Abs. 1 InsO, Art. 103f EGInsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die begründeten Rechtsmittel der Gläubigerin führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und zur Zurückverweisung der Sache an das Insolvenzgericht.

4                      1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Gläubigerin habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Schuldner derzeit zahlungsunfähig sei. Zwar verkenne die Kammer nicht, dass ein Schuldner in aller Regel zahlungsunfähig sei, wenn er über einen längeren Zeitraum hinweg die auf seinen eigenen Angaben beruhenden Sozialversicherungsbeiträge nicht abführe. Es handele sich aber nur um ein Indiz, dessen Beweiskraft dadurch erschüttert werde, dass der Schuldner am 1. Juni 2011 die offenen Sozialversicherungsbeiträge einschließlich aller Nebenforderungen bezahlt habe. Dies spreche dagegen, dass der Schuldner auch weiterhin zahlungsunfähig sei. Die Gläubigerin habe auch nicht behauptet, dass der Schuldner nach der Zahlung mit seinen laufenden fälligen Beitragspflichten wiederum in Rückstand geraten sei oder andere Gläubiger nicht bediene. Soweit sie meine, dass sich aufgrund der Neufassung des § 14 Abs. 1 InsO bei einem Zweitantrag die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast in dem Sinne umkehre, dass der Schuldner dartun und glaubhaft machen müsse, seine Zahlungen allen Gläubigern gegenüber wieder aufgenommen zu haben, sei dem für den vorliegenden Fall jedenfalls nicht zu folgen.

5                      2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners kann mit dieser Begründung nicht zurückgewiesen werden.

6          a) Zutreffend ist die Annahme des Beschwerdegerichts, der Gläubiger müsse das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes auch im Falle einer Fortführung des Verfahrens nach der am 1. Januar 2011 gemäß Art. 24 Abs. 2 des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 (BGBl. I 2010 S. 1885) in Kraft getretenen Bestimmung des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO glaubhaft machen (vgl. auch AG Wuppertal, ZIP 2012, 1090, 1091; AG Wuppertal, ZIP 2012, 1363, 1364; AG Ludwigshafen, BeckRS 2012, 08155; Pape/Uhländer/Zimmer, InsO, § 14 Rn. 17; Beth, NZI 2012, 1; Harder, NJW-Spezial 2012, 277 f; Wimmer, jurisPR-InsR 23/2010 Anm. 1; aA AG Göttingen, ZInsO 2011, 2090, 2091; HmbKomm-InsO/Wehr, 4. Aufl., § 14 Rn. 72; FK-InsO/Schmerbach, 7. Aufl., § 14 Rn. 88j ff; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2011, § 14 Rn. 136 f; ders., ZInsO 2011, 2154, 2163; Frind, ZInsO 2011, 412, 416; ders. EWiR 2012, 285, 286; Hackländer/ Schur, ZInsO 2012, 901 ff). Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO wird der Antrag eines Gläubigers auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners nicht allein dadurch unzulässig, dass die Forderung des Gläubigers erfüllt wird, wenn in einem Zeitraum von zwei Jahren vor der Antragstellung bereits ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners gestellt worden war. Diese Bestimmung ist als Ausnahme einer trotz Erfüllung der den Antrag stützenden Forderung fortbestehenden Antragsbefugnis und eines hierdurch veränderten Rechtsschutzinteresses zu verstehen, der das Erfordernis der Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO unberührt lässt. Dies hat zur Folge, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob die mit Antragstellung erfolgte Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes auch nach Erfüllung der den Antrag stützenden Forderung fortwirkt oder der Gläubiger den Insolvenzgrund erneut (vgl. BR-Drucks. 618/05, S. 15 f) glaubhaft machen muss.

7          aa) Bereits die einschränkende Formulierung, der Antrag werde "nicht allein" durch den Ausgleich der ihn stützenden Forderung unzulässig, sowie die gemäß § 14 Abs.1 Satz 3 InsO "auch" erforderliche Glaubhaftmachung des vorangegangenen Antrags auf Insolvenzeröffnung legen das Verständnis nahe, dass § 14 Abs.1 Satz 2 InsO nur auf das Erfordernis einer bestehenden Forderung des Antragstellers verzichtet, die in § 14 Abs.1 Satz 1 InsO bestimmten Zulässigkeitserfordernisse des Rechtsschutzinteresses sowie des Insolvenzgrundes im Übrigen aber unberührt lässt (vgl. AG Köln, ZInsO 2011, 1517, 1518; Beth, NZI 2012, 1, 2; Harder, NJW-Spezial 2012, 277 f), zumal das Haushaltsbegleitgesetz 2011 § 14 Abs.1 Satz 1 InsO lediglich ergänzt, inhaltlich aber nicht verändert hat.

8          bb) Jedenfalls ergibt sich das erforderliche enge Verständnis von § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO als Sonderfall einer trotz Erfüllung der dem Antrag zu Grunde gelegten Forderung fortbestehenden Antragsbefugnis eindeutig aus den Gesetzesmaterialien. Die Begründung zum Haushaltsbegleitgesetz 2011 (BT-Drucks. 17/3030, S. 42) nennt in Übereinstimmung mit allen zu dieser Bestimmung vorangegangenen Entwurfsbegründungen (BR-Drucks. 618/05, S. 15; BT-Drucks. 16/886, S. 11; BT-Drucks. 16/7416, S. 27) die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes und das Fortbestehen eines Rechtsschutzinteresses als kumulativ erforderliche Zulässigkeitsvoraussetzungen, wobei an die Prüfung beider Voraussetzungen nach Erfüllung der Forderung des Gläubigers besonders strenge Anforderungen zu stellen sind.

9          cc) Dieses Verständnis wird auch von dem gesetzgeberischen Ziel getragen, die wirtschaftliche Tätigkeit insolventer Unternehmen einzuschränken und die Zahlungsfähigkeit des Schuldners möglichst früh abzuklären (vgl. BT-Drucks. 17/3030, S. 42; BR-Drucks. 618/05, S. 14; BT-Drucks. 16/886, S. 11). So sollen auch die Verluste reduziert werden, die Gläubiger durch Insolvenzanfechtungen in später folgenden Insolvenzverfahren erleiden. Dieses Ziel wird für die Fälle genannt, in denen der Gläubiger zuverlässige Kenntnis über das Vorliegen eines Insolvenzgrundes besitzt (vgl. BR-Drucks. 618/05, S. 14; BT-Drucks. 16/886, S. 11; BT-Drucks. 17/3030, S. 42). Gerade in diesen Fällen wird dem Gläubiger die Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrundes aber oftmals möglich sein.

10        dd) Die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes muss ohnehin nicht gerade durch Vorlage einer Bescheinigung über einen erfolglosen Vollstreckungsversuch erfolgen; der antragstellende Gläubiger kann den Eröffnungsgrund auch auf andere Weise glaubhaft machen (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2004 - IX ZB 29/03, WM 2004, 1686, 1688; vom 23. Oktober 2008 - IX ZB 7/08, WuM 2009, 144 Rn. 3; vom 12. Juli 2012 - IX ZB 264/11, ZInsO 2012, 1418 Rn. 9). Es ist ausreichend, wenn der Gläubiger Indizien glaubhaft macht, die einzeln oder in ihrer Häufung nach der allgemeinen Erfahrung den hinreichend sicheren Schluss auf das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes zulassen (MünchKomm-InsO/Schmahl, 2. Aufl., § 14 Rn. 31 mwN; Pape in Kübler/Prütting/Bork, aaO Rn. 87 ff mwN; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 14 Rn. 80 ff). So stellt die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen ein starkes Indiz dar, welches für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit spricht, weil diese Forderungen in der Regel wegen der drohenden Strafbarkeit gemäß § 266a StGB bis zuletzt bedient werden (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006 - IX ZB 238/05, WM 2006, 1631 Rn. 6; vom 28. April 2008 - II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 Rn. 2). Eine einmal nach außen in Erscheinung getretene Zahlungsunfähigkeit wirkt fort, sie kann nur dadurch wieder beseitigt werden, dass die geschuldeten Zahlungen an die Gesamtheit der Gläubiger wieder aufgenommen werden (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006, aaO Rn. 8).

11        ee) Die auch im Fall des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO erforderliche Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes kann nicht auf eine (nicht erfüllte) sekundäre Darlegungslast des Schuldners für seine Behauptung gestützt werden, der zunächst glaubhaft gemacht gewesene Eröffnungsgrund bestehe nicht (so aber AG Köln, ZInsO 2011, 1517; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 14 Rn. 16). Im Zulassungsverfahren kann es auf entsprechende Darlegungen des Schuldners nicht ankommen, weil das Insolvenzgericht zunächst nur die Zulässigkeit des Eröffnungsantrags prüft (vgl. HK-InsO/Kirchhof, 6. Aufl., § 14 Rn. 42; Pape, aaO Rn. 1, 149; Uhlenbruck, aaO Rn. 91 ff). Erst nach Zulassung des Antrags erfolgt eine Anhörung des Schuldners mit einer etwaigen Gegenglaubhaftmachung zu dem zulässigkeitsbegründenden Vorbringen nach § 14 Abs. 2 InsO (vgl. Pape, aaO Rn. 1, 155 ff; Uhlenbruck, aaO Rn. 95 ff). Eine sekundäre Darlegungslast des Schuldners kann deshalb nicht angenommen werden.

12        b) Unzutreffend ist demgegenüber die Auffassung des Beschwerdegerichts, die aufgrund der Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge über einen Zeitraum von 16 Monaten bestehende Indizwirkung für die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006, aaO Rn. 6; vom 28. April 2008, aaO Rn. 2) sei entfallen, weil der Schuldner die Gesamtforderung am 1. Juni 2011 in einer Summe vollständig ausgeglichen und die Gläubigerin weitere Zahlungsrückstände nicht vorgetragen habe. Die - wie glaubhaft gemacht - einmal nach außen in Erscheinung getretene Zahlungsunfähigkeit kann nur dadurch beseitigt worden sein, dass der Schuldner seine Zahlungen insgesamt wieder aufgenommen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006, aaO Rn. 8). Hierzu hat das Beschwerdegericht, das auf Grundlage seiner Auffassung bislang von einer Anhörung des Schuldners gemäß § 14 Abs. 2 InsO abgesehen hat, nichts festgestellt.

13        3. Die Beschwerdeentscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO).

14        a) Das Beschwerdegericht hat keine näheren Feststellungen zu dem durch die Gläubigerin gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 InsO durch Angabe des Aktenzeichens glaubhaft gemachten Erstverfahren (vgl. FK-InsO/Schmerbach, 7. Aufl., § 14 Rn. 88i; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 14 Rn. 15) getroffen. Es steht lediglich fest, dass dieses am 19. November 2010 erledigt worden ist. Als Erstantrag im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO sind auch solche Anträge zu berücksichtigen, die bereits vor Inkrafttreten des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO gestellt wurden (vgl. LG Leipzig, NZI 2012, 274, 275). Es hätte deshalb weiterer Feststellungen dazu bedurft, wann der Erstantrag gestellt worden ist. Dass dies innerhalb der Zweijahresfrist des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO erfolgte, ist anhand des Aktenzeichens aus 2010 glaubhaft gemacht.

15        b) Die Fortführung des Verfahrens kann schließlich auch nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, es fehle der Gläubigerin an einem rechtlichen Interesse an der Aufrechterhaltung ihres Antrags (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2012 - IX ZB 18/12, WM 2012, 1639 Rn. 7; LG Freiburg, ZInsO 2012, 1232 f; Nerlich/Römermann/Mönning, InsO, 2012, § 14 Rn. 91 ff; HmbKomm-InsO/Wehr, 4. Aufl., § 14 Rn. 72; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2011, § 14 Rn. 130 ff; Beth, NZI 2012, 1, 2; Marotzke, ZInsO 2011, 841, 848 f; aA Müller/Rautmann, ZInsO 2013, 378, 379 f). Ein derartiges Interesse hat die Gläubigerin zwar nicht dargelegt und glaubhaft gemacht. Hierauf war die Gläubigerin jedoch zunächst hinzuweisen; ein fortdauerndes Rechtsschutzinteresse bei Sozialversicherungsträgern wird in der Regel anzunehmen sein, wenn der Schuldner weiterhin Arbeitnehmer beschäftigt (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2012, aaO Rn. 7).

16        III. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich; daher ist die Sache zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO). Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache unter Aufhebung auch von dessen Entscheidung an das Insolvenzgericht zurückzuverweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2004 - IX ZB 161/03, BGHZ 160, 176, 185 f).

17        Das Insolvenzgericht wird nunmehr, falls ein zumindest statthafter erster Insolvenzantrag binnen der Frist des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO gestellt worden war, zu prüfen haben, ob die Gläubigerin - nach gegebenenfalls ergänzendem Vortrag - ein rechtliches Interesse an der Durchführung des Insolvenzverfahrens und den Eröffnungsgrund glaubhaft gemacht hat. Ist dies der Fall, ist der Schuldner zu hören und dem Verfahren Fortgang zu geben.

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