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Wirtschaftsrecht
01.02.2024
Wirtschaftsrecht
OLG Köln: Gewinnabschöpfung bei unzulässig überhöhten Schadenspauschalen II

OLG Köln, Urteil vom 1.12.2023 – 6 U 73/23

ECLI:DE:OLGK:2023:1201.6U73.23.00

Volltext: BB-Online BBL2024-258-2

unter www.betriebs-berater.de

 

Amtliche Leitsätze

1. Die auf einen im Vorprozess erlangten rechtskräftigen Auskunftstitel gestützte Gewinnabschöpfungsklage nach § 10 UWG ist nicht rechtsmissbräuchlich, auch wenn der Zahlungsantrag auf der 3. Stufe im vorangegangenen Verfahren aufgrund geänderter höchstrichterlicher Rechtsprechung wegen seinerzeit unzulässiger Prozessfinanzierung zurückgenommen wurde.

2. Weiß der Verwender der AGB, dass in den Schadenspauschalen Kosten eingerechnet sind, die nach der gefestigten und in den gängigen Kommentaren angeführten Rechtsprechung des BGH nicht berücksichtigt werden durften, spricht dies für bedingten Vorsatz.

3. Macht der klagende Verband einen nach der erteilten Auskunft des Verwenders berechneten Gewinnabschöpfungsanspruch geltend, ist es Sache des Verwenders, zumindest im Rahmen einer sekundären Darlegungslast substantiiert vorzutragen, dass er tatsächlich geringere Einnahmen erzielt hat, als sich aus den mitgeteilten Buchungspositionen ergeben.

4. Etwa auf den Gewinn gezahlte Steuern bleiben bei der Berechnung des Abschöpfungsbetrages außer Betracht.

UWG § 10

 

Sachverhalt

I.

Der klagende Verbraucherschutzverein macht eine Gewinnabschöpfungsklage nach § 10 UWG geltend wegen überhöhter Mahn- und Rücklastschriftpauschalen.

Die Beklagte bietet Internet- und Telefondienstleistungen an. Ihre „Preisliste Telefon und Internet" sah ab dem Jahr 2013 bis Juli 2016 Beträge von 5,00 € ab der 2. Mahnung und 9,00 € für eine Rücklastschrift vor. Auf Betreiben des Klägers wurde sie insoweit mit Anerkenntnisurteil aus Mai 2016 zur Unterlassung verpflichtet. Ab Juli 2016 reduzierte die Beklagte ihre Pauschalen auf 2,50 € bzw. 3,50 €.

Bezüglich der Gewinnabschöpfung befanden sich die Parteien zunächst in Verhandlungen. Mit Schreiben vom 21.09.2016 gab die Beklagte gegenüber dem Kläger eine Erklärung ab, wonach sie auf die Einrede der Verjährung für alle noch nicht verjährten Ansprüche auf Gewinnabschöpfung aus § 10 UWG verzichte. Die Erklärung enthielt u.a. folgenden Abschnitt:

„Dieser Verjährungsverzicht ist auflösend bedingt dadurch, dass die Parteien endgültig keine Einigung erzielt haben und der Verein nicht bis zum bis zum Ablauf des 15. Januar 2017 die Ansprüche gerichtlich geltend gemacht hat.“

Unter dem 13.01.2017 erhob der Kläger unter Beteiligung eines gewerblichen Prozessfinanzierers im Verfahren 33 O 8/17 LG Köln eine Stufenklage. Mit vom Senat im Verfahren 6 U 26/18 bestätigtem Teilurteil vom 09.01.2018 wurde die Beklagte zur Auskunftserteilung verpflichtet. Nach Verhängung eines Zwangsgeldes erklärte die Beklagte im Oktober 2018, dass sie seit dem 21.09.2013 durch die Verwendung der Klauseln zur Mahnkostenpauschale in Höhe von 5,00 € Einnahmen in Höhe von 1.308.185,00 € und durch die Verwendung der Klauseln zur Rücklastschriftpauschale in Höhe von 9,00 € Einnahmen in Höhe von 2.432.394,00 €, insgesamt somit 3.740.579,00 €, erzielt habe. Diesen Einnahmen stellte die Beklagte Ausgaben in Höhe von 3.278.966,74 € gegenüber.

Aufgrund der Urteile des BGH vom 13.09.2018 (I ZR 26/17 - Prozessfinanzierer I) und 09.05.2019 (I ZR 205/17 – Prozessfinanzierer II) nahm der Kläger im Juni 2019 den noch unbezifferten Leistungsantrag der Stufenklage zurück. Im vorliegenden Verfahren macht er erneut – nunmehr ohne Beteiligung eines gewerblichen Prozessfinanziers – einen Gewinnabschöpfungsanspruch geltend.

Der Kläger hat vorgetragen, dass die Beklagte die überhöhten Pauschalen vorsätzlich erhoben habe. Die Beklagte sei an ihre Auskunft gebunden. Jedenfalls habe die Auskunft eine Umkehr der Beweislast zur Folge. Bei den von der Beklagten aufgeführten Kosten handele es sich, sofern sie überhaupt angefallen seien, um Sowieso-Kosten, die unabhängig von der überhöhten Pauschale angefallen wären, da Kunden auch die Hauptforderungen nicht gezahlt hätten. Angeblich gezahlte Steuern seien jedenfalls nicht abzugsfähig. Andernfalls profitiere die Beklagte von einer doppelten steuerlichen Berücksichtigung, was mit Sinn und Zweck des § 10 UWG nicht vereinbar sei. Insoweit müsse eine zukünftige Steuerersparnis jedenfalls über den Hilfsantrag wieder nach § 10 UWG abgeschöpft werden können.

Die Beklagte hat eingewandt, dass die Klage bereits unzulässig sei, weil der Kläger diese auf Auskünfte stütze, die er im Vorprozess durch unzulässige Rechtsausübung erlangt habe. Die unrechtmäßig erlangten Auskünfte seien im vorliegenden Prozess nicht verwertbar. Außerdem sei die auf den gestellten Rechnungen beruhende Klageforderung überhöht. Die tatsächlich gezahlten Beträge seien deutlich geringer, wie auch im Auskunftsschreiben dargetan. Es sei zu Forderungsausfällen zwischen 860.000 € und 1.000.000 € gekommen. Durch die überhöhten Pauschalen seien zusätzliche Kosten von 289.856,03 € für 631.778 Mahnungen und für 45.387 zusätzliche Rechnungen weitere Kosten von 20.823,29 € angefallen. Für insgesamt 358.950 Rücklastschriften habe die Sparkasse ihr 1.076.850 € Gebühren in Rechnung gestellt. Außerdem hätten sich nach Wegfall der Pauschalen ihre Personalkosten trotz erhöhtem Kundenvolumen auf 85 % reduziert. Durch System-Lizenzen für Mahnungen und Rücklastschriften seien zusätzliche IT-Kosten in Höhe von 177.927,87 € und 222.409,84 € entstanden. Auf die streitbefangenen Einnahmen habe sie Steuern gezahlt nach einem Steuersatz von 35,21 % im Jahr 2013, von 42,03 % im Jahr 2014 und von 37,97 % im Jahr 2015. Schließlich hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben. Auf den Verjährungsverzicht könne sich der Kläger nicht berufen, da aufgrund der Klagerücknahme in dem Verfahren 33 O 8/17 die auflösende Bedingung rückwirkend eingetreten sei. Zudem habe ihrer Erklärung die konkludente Einschränkung zugrunde gelegen, dass der Verzicht nur für den Fall einer rechtmäßigen Klage Wirkung entfalten solle; eine unzulässige Rechtsausübung sei davon nicht umfasst gewesen.

Mit Urteil vom 13.04.2023, auf das wegen der in erster Instanz gestellten Anträge und der weiteren tatsächlichen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht unter Abweisung der weitergehenden Klage die Beklagte zur Zahlung von 2.526.761,11 € an die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, zuzüglich Zinsen ab Rechtshängigkeit des vorliegenden Verfahrens. Die Beklagte hafte dem Grunde nach, da sie, wie vom Senat bereits im Verfahren 6 U 26/18 ausgeführt, mit zumindest bedingtem Vorsatz gehandelt habe. Dass der Kläger sich auf die über das Vorverfahren erstrittenen Auskünfte berufe, sei keine unzulässige Rechtsausübung. Von den dort dargelegten Einnahmen seien nur Steuern in Höhe von geschätzt 1.213.817,89 € in Abzug zu bringen. Bezüglich der weiter geltend gemachten Abzugspositionen habe die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügt. Auf Verjährung könne sich die Beklagte wegen des Verzichts nicht berufen. Der Hilfsantrag sei unbegründet, weil § 10 UWG keinen Sanktionscharakter habe. Es solle lediglich die unrechtmäßige Vermögensmehrung aufgrund des Wettbewerbsverstoßes abgeschöpft werden. Bei der möglichen Steuerersparnis handele es sich schon nicht um einen Gewinn i.S.d. § 10 UWG.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt, unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründungen vom 14.07.2023 und 19.07.2023 sowie den Schriftsatz des Klägers vom 09.11.2023 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

das am 12.05.2023 verkündete Urteil des LG Köln, Aktenzeichen 33 O 40/22 dahingehend zu ändern, dass die Beklagte/Berufungsklägerin verurteilt wird,

an die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Justiz, einen Betrag i.H.v. insgesamt 3.740.579,00 € zzgl. Zinsen i.H.v. 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 08.03.2017 zu zahlen,

hilfsweise für den Fall, dass auch das Berufungsgericht die von der Beklagten/Berufungsklägerin angeblich gezahlten Steuern bei der Gewinnberechnung gewinnschmälernd berücksichtigt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, nach der Erfüllung des titulierten Zahlungsanspruchs eine weitere Zahlung in Höhe der durch die Erfüllung des Anspruchs ersparten Steuern (pauschal berechnet nach dem für die Beklagte im Jahr der Erfüllung des Zahlungsanspruchs geltenden Körperschafts- und Gewerbesteuersatz) an den Bundeshaushalt zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen

sowie

das am 13.04.2023 verkündete Urteil des Landgerichts Köln (Az.: 33 O 40/22) teilweise abzuändern und die Klage vollständig abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Beide Parteien verteidigen die angefochtene Entscheidung, soweit diese für sie günstig ist. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderungen vom 05.09.2023 und 06.09.2023 Bezug genommen.

Aus den Gründen

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet, die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

1.              Die Klage ist zulässig, auch wenn der Kläger sich auf eine Auskunft stützt, die er im Vorprozess aufgrund einer im Hinblick auf die Einschaltung eines Prozessfinanzierers nach der damaligen Rechtsprechung des BGH unzulässigen Rechtsausübung erlangt hat.

Entgegen der Ansicht der Beklagten stellt die Verwertung der Auskunft im vorliegenden Verfahren keine unzulässige Rechtsausübung dar. Auch die von der Beklagten in der Berufungsbegründung aufgeworfene Frage eines Beweisverwertungsverbotes stellt sich insoweit nicht. Der Einwand der Beklagten, der Kläger habe in voller Kenntnis des Rechtsmissbrauchs die Auskunft erzwungen und damit in vorsätzlicher Weise versucht, sich die Früchte des Rechtsmissbrauchs für eine spätere Leistungsklage zu sichern, geht schon im Ansatz fehl. Die Beklagte ist im Verfahren 33 O 8/17 LG Köln / 6 U 26/18 OLG Köln rechtskräftig zur Auskunftserteilung verurteilt worden (die Entscheidung des Senats lag zeitlich vor den Prozessfinanzierer-Entscheidungen des BGH). Dass der Kläger den rechtskräftigen Titel im Ordnungsmittelverfahren auch noch nach Erlass der BGH-Entscheidung „Prozessfinanzierer I“ durchgesetzt hat, stellt keinen Rechtsmissbrauch dar, sondern einen in keiner Hinsicht zu beanstandenden Rechtsgebrauch. Das Berufen auf einen rechtskräftigen Titel kann per se nicht rechtsmissbräuchlich sein, es sei denn, es liegen Gründe für eine Durchbrechung der Rechtskraft vor, z.B. im Hinblick auf einen Prozessbetrug, § 580 Nr. 4 ZPO.

Im Übrigen greifen aber auch die allgemeinen Ausführungen des Landgerichts dazu, dass der Kläger mit der Geltendmachung des Abschöpfungsanspruchs gerade keine sachfremden, für sich gesehen nicht schutzwürdigen Interessen und Ziele verfolgt, sondern den Gewinnabschöpfungsanspruch allein zum Zweck der Durchsetzung des Allgemeininteresses an der Bekämpfung verbraucherrechtswidriger Geschäftspraktiken erhoben hat, sowohl im Rahmen der Stufenklage als auch im vorliegenden Verfahren. Dies gilt erst Recht vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber zwischenzeitlich mit Wirkung ab dem 13.10.2023 in § 10 UWG einen sechsten Absatz eingefügt hat. Danach können die Gläubiger vom Bundesamt für Justiz Ersatz der Aufwendungen verlangen, die für eine Finanzierung des gerichtlichen Verfahrens durch einen gewerblichen Prozessfinanzierer entstanden sind, wenn das Bundesamt für Justiz vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens die Inanspruchnahme dieser Finanzierung bewilligt hat, wobei das Bundesamt für Justiz die Inanspruchnahme der Finanzierung bewilligt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände nicht missbräuchlich ist und die Aufwendungen für den Prozessfinanzierer üblich und angemessen sind. Damit wird die vom BGH für unzulässig erklärte Prozessfinanzierung ausdrücklich zugelassen. Die Einschaltung eines gewerblichen Prozessfinanzierers durch den Kläger kann nun auch rückblickend nicht mehr als rechtsmissbräuchlich bewertet werden.

2.               Auf Verjährung kann sich die Beklagte im Hinblick auf ihren unter dem 21.09.2016 erklärten Verzicht nicht berufen. Die auflösende Bedingung für den Verjährungsverzicht ist nicht eingetreten. Der Kläger hat vor dem 15.01.2017 die Ansprüche gerichtlich geltend gemacht, indem er im Verfahren 33 O 8/17 eine Stufenklage erhoben hat. Über die Auskunftsstufe ist ein rechtskräftiges Teilurteil ergangen, so dass ein rückwirkender Eintritt der auflösenden Bedingung durch die Teil-Klagerücknahme schon aus prozessualen Gründen ausgeschlossen ist. Die vom Landgericht vorgenommene Auslegung des Verjährungsverzichts ist auch sonst berufungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie entspricht sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck der Vereinbarung. Auf die Ausführungen der Kammer kann Bezug genommen werden. Die Beklagte setzt in der Berufungsbegründung lediglich ihre eigene Bewertung gegen die des Landgerichts, ohne jedoch Fehler in der Rechtsanwendung aufzeigen.

Der Einwand einer unzulässigen Rechtsausübung geht auch im Zusammenhang mit der Frage der Verjährung fehl. In der damaligen Situation war das prozessuale Vorgehen des Klägers – Teilklagerücknahme und Erhebung einer neuen Klage ohne Einschaltung eines gewerblichen Prozessfinanzierers – sachgerecht. Die Fortsetzung des Verfahrens hätte ausgehend von der Rechtsprechung des BGH (Prozessfinanzierer I und II) eine Abweisung der Klage als unzulässig zur Folge gehabt. Dies hätte lediglich zu Lasten des Klägers Kosten ausgelöst, ohne die Beklagte im Hinblick auf den Verjährungseintritt besser zu stellen, als sie nach der Teilklagerücknahme stand. Der Kläger hätte auch dann eine neue Zahlungsklage erheben können, was ihm im Hinblick auf die Hemmung der Verjährung, die nach § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB erst sechs Monate nach einer rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Erledigung eintritt, ohne weiteres möglich gewesen wäre.

Insoweit greift auch nicht die Argumentation der Beklagten, dass sie keine zeitlich unbegrenzte Verjährungsverzichtserklärung habe abgeben wollen. Die Beklagte hätte sich einem im Ergebnis gleichen Problem gegenübergesehen, wenn sie keine Verzichtserklärung abgegeben und der Kläger sofort Klage erhoben hätte. Auch dann hätte der Kläger durch Klagerücknahmen die Geltendmachung des Gewinnabschöpfungsanspruchs theoretisch beliebig hinauszögern können, weil nach § 269 Abs. 3 ZPO die Rechtshängigkeit zwar rückwirkend entfällt, mit der Erhebung der Klage jedoch eine Hemmung der Verjährung eingetreten ist, die erst sechs Monate nach der Rücknahme als eine anderweitige Erledigung i.S.d. § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB endet. Einer missbräuchlichen Ausnutzung dieser Fristverlängerung kann mit § 242 BGB begegnet werden (s. Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 269 Rn. 17, m.w.N.), ebenso wie im Rahmen des vorliegenden Verjährungsverzichts.

3.              Das Landgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung dem Grunde nach einen Abschöpfungsanspruch aus § 10 UWG festgestellt. Danach kann derjenige, der vorsätzlich eine nach §§ 3 oder 7 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt und hierdurch zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern einen Gewinn erzielt, von den gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 UWG Berechtigten auf Herausgabe dieses Gewinns an den Bundeshaushalt in Anspruch genommen werden.

a.              Die Aktivlegitimation des Klägers nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG als einer in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragenen Einrichtung steht außer Frage. Gemäß dem im Verfahren 26 O 74/16 LG Köln erlassenen Anerkenntnisurteils ist auch unstreitig, dass die Beklagte von 2013 bis einschließlich Juni 2016 in ihren AGB zu hohe Schadenspauschalen für Mahnungen und Rücklastschriften in Ansatz gebracht und insoweit eine nach § 3 UWG i.V.m. § 4 Nr. 11 a.F. / § 3a n.F. UWG § 309 Nr. 5a BGB unzulässige weil unlautere geschäftliche Handlung vorgenommen hat. Dass sie hierdurch zu Lasten einer Vielzahl ihrer Kunden einen Gewinn erzielt hat, stellt die Beklagte ebenfalls nicht in Abrede. Sie wendet sich mit ihrer Berufung nur gegen den Vorwurf eines vorsätzlichen Verhaltens und die vom Landgericht vorgenommene Berechnung des Gewinns.

b.              Die Beklagte handelte vorsätzlich. Sie muss sich als juristische Person das Verschulden ihrer Organe nach § 31 BGB und ein etwaiges Organisationsverschulden zurechnen lassen. Dafür, dass wirtschaftlich so wesentliche Entscheidungen wie die Festsetzung von Kosten-Pauschalen in AGB auf der Geschäftsführungsebene getroffen werden, spricht eine tatsächliche Vermutung.

Eine vorsätzliche Begehung ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn der Täter sein Handeln nach einer Abmahnung fortsetzt (KBF/Köhler, UWG, 41. Aufl., § 10 Rn. 6, m.w.N.). Vor dem Hintergrund, dass die Beklagte an ihren rechtswidrigen AGB nicht nur nach der Abmahnung vom 23.11.2015, sondern auch noch nach Zustellung der Unterlassungsklage im März 2015 und selbst nach dem Anerkennen des Unterlassungsanspruchs im Mai festgehalten und erst ab Juli 2016 die Pauschalen herabgesetzt hat, bestehen angesichts der Offenkundigkeit des Wettbewerbsverstoßes keine Zweifel daran, dass die Beklagte auch schon vor Erhalt der Abmahnung die überhöhten Beträge billigend in Kauf genommen hat.

Dass die Beklagte bzw. ihre Geschäftsführung bereits ab Februar 2013 bedingt vorsätzlich gehandelt hat, folgt aus den vom Senat bereits im Verfahren 6 U 26/18 mit Urteil vom 20.067.2018 angeführten Umständen. Auf die angefochtenen Entscheidung, in der aus diesem Urteil zitiert wird, wird Bezug genommen. Die Beklagte wusste, dass in ihren Pauschalen Kosten eingerechnet gewesen waren, die nach der gefestigten und in den gängigen Kommentaren angeführten Rechtsprechung des BGH nicht berücksichtigt werden durften. Die Rechtswidrigkeit der Pauschalen der Beklagten von 5 € bzw. 9 €, die das der Beklagten bekannte Preisniveau der Wettbewerber deutlich überstiegen, lag insoweit auf der Hand. Die Beklagte verfügt über eine Rechtsabteilung. Dafür, dass dieser die eindeutige Rechtslage bekannt gewesen war, spricht eine tatsächliche Vermutung. Sollte die Geschäftsführung die Pauschalen ohne Einschaltung der Rechtsabteilung festgesetzt habe, wäre von einem Organisationsverschulden auszugehen.

Soweit die Beklagte Beweis für die Tatsache ihrer Unkenntnis von der Wettbewerbswidrigkeit der Pauschalbeträge durch Vernehmung des Zeugen N.N. angeboten hat, ist diesem ungeeigneten Beweisantritt nicht nachzugehen. Darauf, ein Zeuge namentlich zu benennen ist, muss eine anwaltlich vertretene Partei nicht hingewiesen werden. Im Übrigen hat die Beklagte auch im Berufungsverfahren weder Tatsachen dargetan, aus denen gefolgert werden könnte, dass ihr – trotz der evidenten Wettbewerbswidrigkeit der Pauschalen – das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit fehlte, noch den Zeugen N.N. namhaft gemacht.

Die Darstellung der Beklagten, es habe „offenbar“ zunächst die Rechtsüberzeugung bestanden, dass die Pauschalen zulässig seien, und das spätere Anerkenntnis zeige, dass es eine Änderung in der Bewertung gegeben habe, ist nicht nachvollziehbar. Den in Ansatz gebrachten Pauschalen stand – entgegen der Darstellung der Beklagten – die Rechtswidrigkeit gleichsam „auf der Stirn geschrieben“. Die Ansicht, die Klauseln seien rechtmäßig, weil sie im Wesentlichen zur Kostendeckung eingesetzt würde und auch nötig seien, war und ist nicht vertretbar. Die Rechtswidrigkeit der alten Schadenspauschalen konnte der Beklagten unmöglich erst sieben Monate nach der Abmahnung und vier Monate nach der Klageerhebung aufgefallen sein.

4.              Den nach § 10 UWG abzuschöpfenden Gewinn hat das Landgericht nicht zu hoch, sondern zu niedrig bemessen.

Ein Gewinn liegt vor, wenn sich die Vermögenslage des Unternehmens durch die Zuwiderhandlung verbessert hat. Der Gewinn errechnet sich im Grundsatz aus den Umsatzerlösen abzüglich der Kosten. Zu den abzugsfähigen Kosten gehören die Kosten für die Anschaffung oder Herstellung der Waren oder Dienstleistungen und die darauf entfallenden Betriebskosten. Gemeinkosten und sonstige betriebliche Aufwendungen, die auch ohne das wettbewerbswidrige Verhalten angefallen wären, sind nicht abzugsfähig. Ist die Höhe des Gewinns streitig, ist er nach § 287 ZPO zu schätzen (KBF/Köhler, UWG, 41. Aufl., § 10 Rn. 7).

a.              Hier hat sich die Vermögenslage der Beklagten durch die Berechnung der überhöhten Kostenpauschalen in Höhe von insgesamt 3.740.579 € verbessert. Dies ergibt sich aus der von der Beklagten erteilten Auskunft, die dem Kläger gerade ermöglichen soll, den Anspruch aus § 10 UWG zu beziffern. Dass das Landgericht die Berechnung des Gewinns an diese Auskunft anknüpft, ist nicht zu beanstanden. Es ist nunmehr Sache der Beklagten, zumindest im Rahmen einer sekundären Darlegungslast substantiiert vorzutragen, dass sie tatsächlich geringere Einnahmen erzielt hat, als sich aus den Buchungspositionen ergibt. Ihre allgemeinen Ausführungen dazu, dass aus gebuchten Einnahmen nicht geschlossen werden könne, dass diese auch vereinnahmt wurden, genügt insoweit nicht.

In welcher Höhe die geltend gemachten Forderungen nicht realisiert werden konnten, hat die Beklagte – auch nach einem entsprechenden Hinweis der Kammer – nicht schlüssig dargetan. Sie trägt selbst vor, dass sie die Höhe der tatsächlichen Einnahmen derzeit nicht ermitteln könne. Ihr vager Vortrag zu Forderungsausfällen zwischen 860.000 € und 1.000.000 € ist weder für den Kläger einlassungsfähig, noch als Tatsachenvortrag für eine Beweisaufnahme ausreichend noch als Grundlage für die Schätzung eines tatsächlichen Forderungsausfalles geeignet. Die Beklagte müsste, will sie nach Auskunftserteilung für die Gewinnermittlung von den gebuchten Beträgen abweichen, schon nachvollziehbar darlegen, welche konkreten Erlöse sie sonst erzielt haben will. Dies hat sie nicht getan. Sie hat in zweiter Instanz nicht einmal die vom Landgericht in der angefochtenen Entscheidung aufgeworfene Frage zum Nichterfolg des Inkassos beantwortet.

b.              Abzugsfähige Kosten hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht schlüssig dargetan. Sie beruft sich in zweiter Instanz weiterhin auf Kosten für die Einforderung der Pauschalen, u.a. Druck, Versand und Porto, sowie Personal- und IT-Kosten.

aa.              Da allgemeine Vorhaltekosten wie Personalkosten und IT-Kosten nicht als Verzugskosten geltend gemacht werden können und deshalb auch nicht in AGB-Schadenspauschalen eingepreist werden dürfen, kann die Beklagte solche Positionen bei der Berechnung des abzuschöpfenden Betrages ebenfalls nicht in Ansatz bringen. Andernfalls stünde sie nach der Gewinnabschöpfung wirtschaftlich noch immer besser dar, als sie stehen würde, wenn sie sich rechtmäßig verhalten und die Gemeinkosten nicht in ihre Pauschale eingerechnet hätte.

Außerdem ist der Vortrag der Beklagten zu den Personal- und IT-Kosten inhaltlich nicht nachvollziehbar. Wie bereits das Landgericht ausgeführt hat, kann die Einsparung von Personalkosten - und damit verbunden auch von IT-Lizenzen - auf zahlreichen Ursachen beruhen. Die Beklagte hat keine konkreten Tatsachen vorgetragen, die ihre pauschale Behauptung stützen könnten, dass sie den kostenintensiven Betrieb nur und allein wegen der hohen Pauschalen überhaupt vorgehalten habe. Eine ausforschende Beweisaufnahme kommt nicht in Betracht.

bb.              Die Behauptung der Beklagten, dass die Kosten für Mahnungen wie Druck, Versand und Porto auf den überhöhten Pauschalen beruhten und durch die überhöhten Pauschalen auch Kosten für zusätzliche Rechnungen (Druck, Versand und Porto) angefallen seien, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Tatsachen, die diese Behauptung stützen könnten, sind nicht dargetan, eine ausforschende Beweisaufnahme ist unzulässig. Für die Geltendmachung von überhöhten Pauschalen fallen im Regelfall keine zusätzlichen Kosten an. Mahnkosten werden regelmäßig bereits durch den Ausfall der Hauptforderung verursacht, ohne die es der Mahnung nicht bedurft hätte. Bestreit der Kunde den Erhalt der Rechnung, muss eine zusätzliche Rechnung erstellt werden, die unabhängig von den Pauschalen Kosten auslöst.

cc.              Warum die Ausführungen des Landgerichts zu den Rücklastschriftgebühren, die auch ohne die unwirksamen Pauschalen angefallen wären, unrichtig sein sollen, trägt die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung nicht vor.

dd.              Die vom Landgericht geschätzten Steuern sind nicht von dem Gewinn in Abzug zu bringen. Insoweit hat die Berufung des Klägers Erfolg.

Die Beklagte hat bereits nicht schlüssig dargelegt, dass sie auf den – nach ihrer Berechnung bilanziell nicht vorhandenen – Gewinn durch die Pauschalen überhaupt Steuern gezahlt hat.

Außerdem kommt eine Berücksichtigung etwa gezahlter Steuern auf den Abschöpfungsbetrag nicht in Betracht, weil dies im Ergebnis zu einer steuerlichen Begünstigung des Abschöpfungsschuldners führen würde, der tatsächlich keinen Steuernachteil erleidet (ebenso Hoof, Anmerkung zu OLG Schleswig, 2 U 5/17, in: jurisPR-WettbR 10/2018, Anm. 5, unter C.). Dass der Schuldner den Abschöpfungsbetrag im Jahr der Abführung als Betriebsausgaben verbuchen kann, stellt die Beklagte nicht in Abrede. Der Schuldner erhält daher etwa gezahlte Steuern vom Finanzamt zurück. Könnten die gezahlten Steuern bei der Gewinnabschöpfung gewinnmindernd berücksichtigt werden, bliebe dem Schuldner aus der vorsätzlichen Rechtsverletzung ein ungerechtfertigter wirtschaftlicher Vorteil in Höhe ersparter Steuern (s. die Beispielsrechnung Bl. 310 f. eA), was in Widerspruch zu Sinn und Zweck der Gewinnabschöpfung stünde.

Die vom Landgericht angeführte Literaturansicht, nach der es sich bei gezahlten Steuern um eine abzugsfähige Position handelt (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewich/Goldmann, UWG, § 10 Rn. 150) überzeugt nicht. Die Kommentierung verweist ohne nähere Begründung auf die Entscheidung des OLG Schleswig (Urteil vom 07.06.2018, 2 U 5/17, GRUR 2018, 1071), das jedoch über die Frage der Abzugsfähigkeit von Steuern bei einem Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG nicht entschieden hatte, weil der dortige Kläger den Steuerabzug bereits selbst vorgenommen und nicht mit eingeklagt hatte.

5.              Zinsen kann der Kläger bereits ab Rechtshängigkeit der Stufenklage (08.03.2017) verlangen, nicht erst ab Rechtshängigkeit des vorliegenden Verfahrens. Durch die Erhebung der Stufenklage ist auch der noch nicht bezifferte Zahlungsanspruch rechtshängig geworden und insoweit Verzug eingetreten. Gemäß § 286 Abs. 1 BGB steht die Erhebung der Klage auf Leistung der Mahnung gleich. Eine Stufenklage genügt, vorausgesetzt, der Auskunftsanspruch besteht und ist fällig (Grüneberg/Grüeberg, BGB, 81. Aufl., § 286 Rn. 21; MüKo/Ernst, BGB, 9. Aufl., § 286 Rn. 71). Dass die Rechtshängigkeit der Zahlungsklage durch die Teilklagerücknahme rückwirkend entfallen ist, § 269 Abs. 3 ZPO, ist ohne Belang. Der Kläger hat damit nicht zu erkennen gegeben, den Zahlungsanspruch nicht mehr weiter geltend machen zu wollen. Die von der Beklagten herangezogene Parallele zur Beendigung des Verzuges durch Rücknahme der Mahnung unter Verweis auf MüKo/Ernst, BGB, 9. Aufl., § 268 Rn. 120, überzeugt insoweit nicht. Aus der angeführten Fundstelle ergibt sich zur Beendigung des Verzuges durch teilweise Rücknahme einer Stufenklage nichts.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Das Urteil betrifft die tatrichterliche Übertragung allgemein anerkannter Auslegungs- und Rechtsanwendungsgrundsätze auf einen Einzelfall, so dass kein Anlass besteht, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen.

Gegenstandswert für das Berufungsverfahren: 3.740.579,00 € (Berufung des Klägers 1.213.817,89 €, Berufung der Beklagten 2.526.761,11 €)

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