VG Gießen: Gewerbeuntersagung im Insolvenzverfahren
VG Gießen, Urteil vom 6.7.2011 - 8 K 1342/10.GI
Leitsatz
Die Regelung des § 12 GewO, wonach während des Insolvenzverfahrens eine Gewerbeuntersagungsverfügung nicht erlassen werden darf, kann auf den Vertretungsberechtigten eines Gewerbetreibenden (hier: den Geschäftsführer einer GmbH) nicht angewendet werden.(Rn.26)
sachverhalt
Der Kläger war seit 12.12.1983 Geschäftsführer der Firma D. GmbH (im Folgenden: GmbH), die ihrerseits seit dem 06.12.1983 das Gewerbe Heizungs- und Sanitärinstallation betreibt.
Mit Schreiben vom 21.01.2009 leitete der Beklagte gegen die genannte GmbH ein Gewerbeuntersagungsverfahren ein. Gleichzeitig leitete er auch gegen den Kläger persönlich als verantwortlichen Geschäftsführer ein Gewerbeuntersagungsverfahren ein.
Mit Beschluss vom 28.01.2009 - 22 IN 260/08 - ordnete das Amtsgericht A-Stadt Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO bezüglich der vom Kläger vertretenen GmbH an. Zum 16.03.2009 wurde der Betrieb der GmbH aufgegeben und das Gewerbe abgemeldet. Unter dem 01.12.2009 meldete der Kläger das Gewerbe „Handel mit sanitären Gegenständen" als Einzelgewerbe auf seinen Namen an. Am 09.02.2010 teilte der Beklagte dem Kläger mit, er, der Beklagte, führe das gegen den Kläger als Geschäftsführer der sich im Insolvenzverfahren befindlichen GmbH ausgesetzte Gewerbeuntersagungsverfahren nunmehr fort.
Unter dem 13.04.2010 erließ der Beklagte gegen den Kläger die bereits bei der Einleitung des Verfahrens angedrohte Gewerbeuntersagungsverfügung. Dem Kläger wurde die Ausübung des Gewerbes „Heizungs- und Sanitärinstallation" untersagt. Gleichzeitig wurde die Untersagung von dem Beklagten auf jede selbständige gewerbliche Tätigkeit erstreckt, soweit diese unter § 35 Abs. 1 Gewerbeordnung (GewO) fällt, sowie auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person. Ferner drohte der Beklagte dem Kläger die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 2.500,-- Euro an, sofern dieser nach Ablauf von zwei Monaten nach Unanfechtbarkeit dieser Verfügung noch eine Vertretung eines Gewerbetreibenden ausübe. Schließlich drohte der Beklagte dem Kläger die Schließung des Betriebs an, falls dieser nach Ablauf von zwei Monaten ab Unanfechtbarkeit der Verfügung sein Einzelgewerbe nicht abgemeldet und die Gewerbetätigkeit eingestellt haben sollte.
Die Untersagungsverfügung wurde u.a. begründet mit Steuerrückständen der von dem Kläger als Geschäftsführer vertretenen GmbH gegenüber dem Finanzamt C-Stadt in Höhe von 112.218,95 € und der fehlenden Abgabe von Besteuerungsunterlagen durch die Gesellschaft.
Der Bescheid wurde dem Kläger am 15.04.2010 zugestellt.
Am 28.04.2010 hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er darauf verweist, das Insolvenzverfahren gegen die GmbH sei noch anhängig. Die in dem angefochtenen Bescheid vom 13.04.2010 genannten Verbindlichkeiten seien solche der GmbH. Eine Haftung auf ihn persönlich bezogen bestehe nicht.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 13.04.2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er tritt den Ausführungen des Klägers unter Hinweis, der Bescheid sei rechtmäßig, entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorliegenden Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Behördenakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
aus den gründen
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angegriffene Gewerbeuntersagungsbescheid vom 13.04.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Rechtsgrundlage der Verfügung ist § 35 Abs. 1, 7a GewO.
Gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 GewO ist die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebs beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutz der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Die Untersagung kann ebenfalls auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist. Nach § 35 Abs. 7a GewO kann die Untersagung auch gegen Vertretungsberechtigte oder mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragte Personen ausgesprochen werden. Das Untersagungsverfahren gegen diese Personen darf unabhängig von dem Verlauf des Untersagungsverfahrens gegen den Gewerbetreibenden fortgesetzt werden. Die Absätze 1 und 3 bis 7 sind entsprechend anzuwenden.
§ 35 Abs. 7a S. 1 GewO gestattet es damit, einem in leitender Stellung abhängig Beschäftigten eines Gewerbebetriebs die Ausübung des Gewerbes zu untersagen, welcher seine abhängigen Beschäftigung entspricht. Die Verweisung auf Abs. 1 führt auch zur Anwendung des Abs. 1 S. 2, so dass dem bisher unselbständig leitend Tätigen neben der Ausübung des Gewerbes auch die (weitere) Tätigkeit als Vertretungsberechtigter oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie die Ausübung einzelner anderer oder aller Gewerbe untersagt werden kann. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Regelungsgehalt der genannten Vorschrift bestehen nicht (BVerwG, U. v. 19.12.1995 - 1 C 3.93 -, GewArch 1996, 241, 242 m.w.N.).
Die Einleitung eines Untersagungsverfahrens gegen den Vertreter setzt in formeller Hinsicht voraus, dass gegen den Gewerbetreibenden selbst ein Untersagungsverfahren nach § 35 Abs. 1 S. 1 GewO eingeleitet worden ist. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die Beklagte hat ein Gewerbeuntersagungsverfahren sowohl gegen die GmbH als auch gegen den Kläger persönlich als Geschäftsführer eingeleitet.
Im materieller Hinsicht erfordert die Untersagung nach § 35 Abs. 7a S. 3, Abs. 1 GewO, dass Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Vertreters in Bezug auf das untersagte Gewerbe, alle anderen Gewerbe und die unselbständig leitenden Tätigkeiten im Sinne des Abs. 1 S. 2 GewO dartun. Der Maßstab für die Prüfung der Unzuverlässigkeit ist bei der Anwendung des § 35 Abs. 7a GewO kein anderer als im Anwendungsbereich des § 35 Abs. 1 GewO. Unterschiede bestehen insoweit, als sich die Unzuverlässigkeit im Rahmen des Abs. 1 S. 1 auf das ausgeübte Gewerbe bezieht, während sie in Anwendung des Abs. 7a auf die künftige Gewerbeausübung in einem Gewerbe bezogen ist, das der bisherigen unselbständigen Tätigkeit entspricht. Unzuverlässig ist für eine künftige gewerbliche Betätigung der bisher selbständig Tätige, wenn er nicht die Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft ein seiner bisherigen Tätigkeit entsprechendes Gewerbe ordnungsgemäß ausüben wird. Maßgeblicher Zeitpunkt für die insoweit erforderliche Prüfung ist derjenige der letzten Verwaltungsentscheidung (BVerwG, U. v. 19.12.1995 - 1 C 3.93 -, GewArch 1996, 241, 243). Die Annahme der Unzuverlässigkeit kann aus einer lang andauernden wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit abzuleiten sein, die eine ordnungsgemäße Betriebsführung oder die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Zahlungspflichten verhindert, ohne dass Anzeichen für eine Besserung vorhanden sind.
Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen. Im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides werden hinreichende Steuerschulden der GmbH aufgeführt.
Gesichtspunkte, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind im Klageverfahren von dem Kläger weder dargetan worden noch ersichtlich.
Ging der Beklagte danach zu Recht von der Unzuverlässigkeit des Klägers aus, durfte er die Untersagungsverfügung auch auf jede sonstige selbständige gewerbliche Tätigkeit erstrecken (§ 35 Abs. 1 S. 2 GewO). Die festgestellten Verstöße gegen die mit den Pflichten eines Geschäftsführers einer GmbH verbundenen öffentlich-rechtlichen Erklärungs- und Zahlungsverpflichtungen rechtfertigen nämlich die Annahme, dass der Kläger auch für jedes andere Gewerbe im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO unzuverlässig ist.
Der angefochtene Bescheid lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Insbesondere hat der Beklagte das ihm durch die Vorschrift des § 35 Abs. 7a GewO eingeräumte Ermessen auch erkannt. Verstöße gegen das Übermaßverbot sind ebenfalls weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die mit der Untersagung verbundene Zwangsmittelandrohung beruht auf §§ 2, 68, 69, 75 HessVwVG und ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Rechtmäßigkeit der Verfügung vom 13.04.2010 steht auch nicht der Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vom 28.01.2009 (Az.: 22 IN 260/08) entgegen, mit dem gegen die GmbH Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO angeordnet wurden. Das beantragte Insolvenzverfahren betrifft nämlich nur das Vermögen der GmbH und nicht das des Klägers persönlich.
Gemäß § 12 GewO (der durch Art. 71 Nr. 1 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung vom 05.10.1994, BGBl. I S. 2911, 2942 i.d.F. von Art. 1 Nr. 16 des Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 19.12.1998, BGBl. I S. 3836, 3838, eingeführt wurde) finden Vorschriften während eines Insolvenzverfahrens, welche die Untersagung eines Gewerbes oder die Rücknahme oder den Widerruf einer Zulassung wegen Unzuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden, die auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist, ermöglichen, während der Zeit, in der Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO angeordnet sind, keine Anwendung in Bezug auf das Gewerbe, das zurzeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde. Diese Vorschrift bedeutet einen Ausschluss der Anwendung der Regelungen über die Gewerbeuntersagung nach der Gewerbeordnung für die Dauer des Insolvenzverfahrens. Dem Zeitraum des Insolvenzverfahrens wird die Zeit gleichgestellt, während der nach der Stellung des Insolvenzantrags, aber vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens - wie hier -, vorläufige Sicherungsmaßnahmen angeordnet wurden. Das Bedürfnis, die Möglichkeit einer Sanierung des insolventen Unternehmens offenzuhalten, besteht nämlich auch während dieser Zeit. Andererseits unterliegt der Schuldner in dieser Phase bereits der Aufsicht durch das Insolvenzgericht (vgl. hierzu den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung, BT-Drs. 12/3803, S. 103).
Wegen der Regelung des § 12 GewO kann während eines bereits laufenden Insolvenzverfahrens eine Gewebeuntersagungsverfügung nicht erlassen werden (vgl. Hess.VGH, U.v. 21.12.2002 - 8 UE 3195/01 -, S. 7 UA; VG Gießen, B.v. 08.04.2003 - 8 G 508/03 -, juris, Rdnr. 26; vgl. Hahn, GewArch 2000, 361, 363).
Diese Privilegierung trifft jedoch ausschließlich den Gewerbetreibenden selbst. Eine Anwendung des § 12 GewO auf den Vertretungsberechtigten eines Gewerbetreibenden - wie hier den Geschäftsführer einer GmbH - im Rahmen des Regelungsbereichs des § 35 Abs. 7a GewO ist daher rechtlich nicht möglich (vgl. Hahn, GewArch 2000, 361, 363; diese Auffassung jedenfalls hinsichtlich der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co.KG teilend: Schmidt, GewArch 2003, 326, 328). Die Gegenansicht (vgl. Landmann/Rohmer, GewO, Bd. I, Stand: Juli 2010, § 12 Rdnr. 13; Tettinger/Wank, GewO, 7. Aufl., 2004, § 12 Rdnr. 9) überzeugt nicht. Hinsichtlich des Geschäftsführers einer solchen GmbH fehlt es nämlich bereits im Sinne des § 12 GewO an der Ausübung eines Gewerbes zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl.: Hahn, a.a.O., S. 363). § 12 GewO bezieht sich auch unmittelbar nur auf den Gewerbetreibenden selbst und nicht auf den Vertretungsberechtigten. Im Übrigen hätte es dem Gesetzgeber ansonsten nachgerade oblegen, angesichts der Funktion des § 12 GewO, den Gewerbetreibenden entsprechend zu begünstigen, die in § 35 Abs. 7a GewO genannte Personengruppe ausdrücklich in § 12 GewO zu erwähnen (vgl.: Spies, in: Staat - Wirtschaft - Gemeinde, Festschrift für Werner Frotscher zum 70. Geburtstag, 2007, S. 467, 478).
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, da er unterlegen ist (vgl. § 154 Abs. 1 VwGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
Das Gericht bewertet das Interesse des Klägers mit 15.000,-- EUR (vgl. § 52 GKG).