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Wirtschaftsrecht
07.09.2017
Wirtschaftsrecht
OVerwG NRW: Gewerbeuntersagung – Zuverlässigkeitsbeurteilung bei juristischer Person

OVerwG NRW, Beschluss vom 28.8.2017 – 4 A 2233/15

ECLI:DE:OVGNRW:2017:0828.4A2233.15.00

Volltext: BB-Online BBL2017-2113-2

unter www.betriebs-berater.de

Amtliche Leitsätze

1. Handelt es sich bei dem Gewerbetreibenden um eine juristische Person, ist bei der Beurteilung ihrer Zuverlässigkeit grundsätzlich auf das Verhalten der für sie handelnden gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreter abzustellen.

2. Auch soweit sich die Unzuverlässigkeit des Geschäftsführers einer Unternehmergesellschaft aus Tatsachen ergibt, die nicht im Zusammenhang mit der Geschäftsführertätigkeit eingetreten sind, können diese bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit der Unternehmergesellschaft zu deren Lasten zu berücksichtigen sein.

Aus den Gründen

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.

Der sinngemäß geltend gemachte Zulassungsgrund des Bestehens ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht erfüllt. Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GewO im Wesentlichen mit der Begründung bejaht, die Klägerin, eine Unternehmergesellschaft, sei gewerberechtlich unzuverlässig, weil sie ihre öffentlich-rechtlichen Zahlungs- und Erklärungspflichten in erheblichem Umfang verletzt habe und weil ihr Geschäftsführer wegen wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit seinerseits gewerberechtlich unzuverlässig sei. Die Richtigkeit dieser Einschätzung wird durch das Antragsvorbringen nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt.

Der Einwand der Klägerin, ihre im Zeitpunkt des Erlasses der Untersagungsverfügung bestehenden Abgabenrückstände seien bei einem Unternehmen ihrer Größenordnung als relativ geringfügig anzusehen, greift nicht durch. Die Rückstände beliefen sich gegenüber der Stadt T.     auf mehr als 26.600,00 EUR und gegenüber dem Finanzamt auf mehr als 3.100,00 EUR und waren damit sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung der Klägerin von Gewicht. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht die Zeitdauer in den Blick genommen, während derer die Klägerin ihren steuerlichen Verpflichtungen gegenüber dem Finanzamt nicht nachgekommen ist,

vgl. allgemein OVG NRW, Beschluss vom 25.3.2015 – 4 B 1480/14 –, juris, Rn. 23 f., m. w. N.,

und seine negative Zuverlässigkeitsprognose auch darauf gestützt, dass bei Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens im Juni 2011 offene Forderungen in Höhe von mehr als 5.700,00 EUR zwar bis September 2011 zunächst auf 202,00 EUR zurückgeführt, dann aber bis August 2013 Schulden von mehr als 38.000,00 EUR aufgelaufen waren, die sich nach Auskunft des Finanzamts durch Abgabe berichtigter Erklärungen auf rund 24.000,00 EUR und sodann lediglich durch Drittschuldnerzahlungen – also nicht aufgrund freiwilliger Zahlungen der Klägerin – auf den genannten Betrag von über 3.100,00 EUR bei Erlass der Untersagungsverfügung im März 2014 reduziert hatten. Hinsichtlich der bei der Stadt T.     bestehenden Gewerbesteuerrückstände bleibt noch zu ergänzen, dass diese – trotz Kenntnis der Klägerin, d. h. ihres Geschäftsführers, von der Einleitung des Untersagungsverfahrens – von knapp 2.580,00 EUR im August 2012 auf über 26.600,00 EUR im März 2014 angestiegen waren, sich also binnen etwa 1,5 Jahren mehr als verzehnfacht hatten.

Keinen Erfolg hat auch der weitere Einwand, für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Klägerin seien die persönlichen Steuerschulden ihres Geschäftsführers unbeachtlich, zumal diese Schulden nicht aus der Geschäftsführertätigkeit herrührten.

Das Verwaltungsgericht hat die Steuerschulden des Geschäftsführers der Klägerin nicht als eigene Verbindlichkeiten zugerechnet. Es hat vielmehr – unter Bezugnahme auf sein Urteil von selben Tag in dem Verfahren 1 K 1003/14 (VG Arnsberg) betreffend die Gewerbeuntersagung gegenüber dem Geschäftsführer – die Unzuverlässigkeit der Klägerin zutreffend auch daraus abgeleitet, dass ihr Geschäftsführer aufgrund seiner Steuerschulden sowie zweier Eintragungen im Schuldnerverzeichnis wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft und weil er für die Verletzung der steuerlichen Verpflichtungen der Klägerin die Verantwortung trage, seinerseits gewerberechtlich unzuverlässig sei.

Handelt es sich bei dem Gewerbetreibenden um eine juristische Person, ist grundsätzlich auf das Verhalten der für sie handelnden gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreter abzustellen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.11.2015 – 4 B 507/15 –, juris, Rn. 11 f.

Soweit sich die Unzuverlässigkeit des Geschäftsführers der Klägerin (auch) aus solchen Tatsachen ergibt, die nicht im Zusammenhang mit der Geschäftsführertätigkeit eingetreten sind, sind diese ebenfalls bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit der Klägerin zu deren Lasten zu berücksichtigen. Denn auch sie lassen im Rahmen der vorzunehmenden Prognose erwarten, dass sich die Unzuverlässigkeit des Geschäftsführers auf die ordnungsgemäße Führung des Gewerbes durch die Klägerin auswirken wird. Die – zwischen September 2003 und Dezember 2013 fällig gewordenen – Zahlungsrückstände des Geschäftsführers gegenüber dem Finanzamt beliefen sich einschließlich Verspätungs- und Säumniszuschlägen im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung auf mehr als 144.000,00 EUR. Unter Berücksichtigung auch seiner Stellung als Alleingesellschafter der Klägerin sowie des Umstands, dass die Klägerin unter seiner Verantwortung bereits erhebliche Steuerschulden angehäuft hat, rechtfertigt dies die Prognose, der Geschäftsführer werde ebenso wie in eigenen Angelegenheiten auch im Rahmen seiner Tätigkeit für die Klägerin nicht für eine ordnungsgemäße Erfüllung steuerlicher Pflichten sorgen.

Zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts führt schließlich auch nicht das weitere Vorbringen der Klägerin, der Beklagte lege in anderen Fällen ganz andere Maßstäbe an und strebe zum Beispiel bei Nichtzahlung von 12 Mio. EUR Gewerbesteuern kein Gewerbeuntersagungsverfahren an. Die damit sinngemäß erhobene Rüge einer gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Benachteiligung der Klägerin greift nicht durch.

Für ihre Beurteilung als gewerberechtlich unzuverlässig ist die Untersagungspraxis des Beklagten in anderen Fällen unerheblich. Die Entscheidung der zuständigen Behörde über die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden unterliegt vollständig der gerichtlichen Kontrolle; der Behörde steht kein Beurteilungsspielraum zu,

vgl. BVerwG, Urteil vom 15.7.2004 – 3 C 33.03 –, BVerwGE 121, 257 = juris, Rn. 18; Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO, Stand der Kommentierung: Juni 2006, § 35 Rn. 29,

in dessen Rahmen eine bestimmte Vollzugspraxis in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz gegebenenfalls eine Selbstbindung der Verwaltung bewirken könnte.

Soweit der Behörde hinsichtlich der sogenannten erweiterten Gewerbeuntersagung gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO auf Rechtsfolgenseite Ermessen eingeräumt ist, muss dieses zwar in Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und mithin so ausgeübt werden, dass vergleichbare Fälle nicht ohne rechtfertigenden Grund unterschiedlich behandelt werden. Aus den Darlegungen der Klägerin ergibt sich jedoch nicht, dass die angefochtene Untersagungsverfügung unter diesem Gesichtspunkt ermessensfehlerhaft sein könnte. Dem sich insoweit in unbelegten Behauptungen erschöpfenden Zulassungsvorbringen ist nichts Konkretes dafür zu entnehmen, dass der Beklagte tatsächlich in vergleichbaren Fällen gewerberechtlicher Unzuverlässigkeit von dem Erlass in seinem Ermessen stehender Untersagungsverfügungen abgesehen haben und ein Einschreiten gegenüber der Klägerin deshalb eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellen könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.

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