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Wirtschaftsrecht
19.04.2013
Wirtschaftsrecht
OLG Frankfurt: Geschlossener Immobilienfonds - ergänzende Vertragsauslegung bei gesellschaftlicher Kündigungsklausel

OLG Frankfurt, Urteil vom 9.1.2013 - 16 U 18/12

Leitsätze

Verstößt eine Regelung über die Folgen der Ausübung des Kündigungsrechts eines BGB-Gesellschafters nicht gegen § 723 Abs. 3 BGB, kann geboten sein, im Wege ergänzender Vertragsauslegung der späteren Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse Rechnung zu tragen.

Aus den Gründen

I. Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche nach Kündigung seiner Beteiligungen an zwei geschlossenen Immobilienfonds geltend.

Hinsichtlich näherer Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 102 - 104 d.A.) Bezug genommen.

Vor dem Landgericht hat der Kläger die Feststellung beantragt, dass die Veräußerungen seiner Beteiligungen an den Beklagten gemäß Kaufverträgen vom 28.03.2011/06.05.2011 an Herrn A rechtsunwirksam seien; ferner hat er die Zahlung vorprozessualer Anwaltskosten verlangt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die Regelung in § 14 Ziffer 2 des Gesellschaftsvertrages nicht gemäß § 723 Abs. 3 BGB unwirksam sei, so dass die Veräußerung der Fondsbeteiligungen des Klägers an Herrn A nicht zu beanstanden seien. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 104 - 106 d.A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 22. Dezember 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einer am 23. Januar 2012 (Montag) bei Gericht eingegangenen Schrift Berufung eingelegt, die nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsschrift mit einer am 21. März bei Gericht eingegangenen Schrift begründet worden ist.

Der Kläger rügt Rechtsfehler und ist der Ansicht, dass die Kaufverträge über seine Beteiligungen mit einem Nominalbetrag von 400.000,-- DM sowie 500.000,-- DM zu einem Kaufpreis von 30.000,-- € bzw. 45.000,-- € sehr wohl unwirksam seien, da sie auf der gegen § 723 Abs. 3 BGB verstoßenden Regelung des § 14 Ziffer 2 des Gesellschaftsvertrages beruhten.

Der Kläger meint, dass sein Recht, einen Käufer zu finden, wertlos gewesen sei, da die Anlage in Form der Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds nicht wirklich fungibel sei. Deshalb müsse er, worauf er die Anträge aus der Klageerweiterung stützt, den Differenzbetrag zwischen dem noch zu ermittelnden Abfindungsguthaben gemäß § 14 Ziffer 3 der Gesellschaftsverträge und dem Kaufpreis beanspruchen und Einsicht in die Geschäftsbücher nehmen dürfen, zumal der Kaufpreis sittenwidrig niedrig sei.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Gießen v. 14. Dezember 2011

I. 1) a) Gegenüber der Beklagten zu 1) festzustellen, dass die Veräußerung der Beteiligung des Klägers an der Beklagten zu 1) gemäß Kaufvertrag v. 28.03.2011/06.05.2011 an Herrn A unwirksam ist;

b) Hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, den Differenzbetrag zwischen dem sich aus § 14 Ziffer 3 des Gesellschaftsvertrages per 31.12.2011 ergebenden Abfindungsguthaben und dem Kaufpreis gemäß Kaufvertrag v. 28.3.2011/06.05.2011 an den Kläger zu zahlen;

2) Die Beklagte zu 1) zu verurteilen, dem Kläger Einsicht in ihre Geschäftsbücher und Papiere betreffend den Zeitraum 01.01.2010 bis 31.12.2011 zu geben;

II. 1) a) Gegenüber der Beklagten zu 2) festzustellen, dass die Veräußerung der Beteiligungen des Klägers an der Beklagten zu 2) gemäß Kaufvertrag v. 28.03.2011/06.05.2011 an Herrn A rechtsunwirksam ist;

b) Hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, den Differenzbetrag zwischen dem sich aus § 14 Ziffer 3 des Gesellschaftsvertrages per 31.12.2011 ergebenden Abfindungsguthaben und dem Kaufpreis gemäß Kaufvertrag vom 28.03.2011/06.05.2011 an den Kläger zu zahlen;

2) Die Beklagte zu 2) zu verurteilen, dem Kläger Einsicht in ihre Geschäftsbücher und -Papiere betreffend den Zeitraum 01.01.2010 bis 31.12.2011 zu geben;

III. 1) Die Beklagte zu 1) zu verpflichten, an den Kläger vorprozessual in Rechnung gestellte Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.196,34 € zu zahlen;

2) Die Beklagte zu 2) zu verpflichten, an den Kläger vorprozessual in Rechnung gestellte Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.520,58 € zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen und die Klage auch im Hinblick auf die Klageerweiterung abzuweisen.

Die Beklagten bestreiten die Sachdienlichkeit der eine Klageänderung darstellenden Klageerweiterungen sowie das Feststellungsinteresse für alle geltend gemachten Feststellungsanträge. Außerdem sind sie der Auffassung, dass weder die Regelung des § 14 Ziffer 2 der Gesellschaftsverträge gegen § 723 Abs. 3 BGB verstoße noch die beim Weiterverkauf der Beteiligungen erzielten Kaufpreise als sittenwidrig einzustufen seien. Deshalb verteidigen sie auch das angefochtene Urteil.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung des Klägers hat in der Sache teilweise Erfolg.

Teilweise war den mit der Klageerweiterung verfolgten Anträgen zu entsprechen.

1: Zutreffend hat das Landgericht indes hinsichtlich der Feststellungsanträge zu I 1) a) und II 1) a) die Klage abgewiesen.

Zwar ist das Feststellungsinteresse des Klägers zu bejahen, weil er nach der beantragten Feststellung der Nichtigkeit der Kaufverträge über seine Beteiligung einen vom Kaufpreis unabhängigen Abfindungsanspruch geltend machen möchte, einen solchen aber ohne Einblick in die Geschäftsbücher noch nicht beziffern kann.

Die erfolgten Verkäufe der Beteiligungen des Klägers an den beiden Beklagten beruhen auf § 14 Ziffer 2 der Gesellschaftsverträge.

Nach § 14 Ziffer 2 Sätze 2 - 5 dieser Verträge hat der Geschäftsführer der Gesellschaften das Recht, den Gesellschaftsanteil des ausscheidenden Gesellschafters auf dessen Kosten durch freihändigen Verkauf an einen Gesellschafter oder an einen Dritten, der auf diese Weise Mitgesellschafter wird, zu veräußern. Macht der Geschäftsführer vom Veräußerungsrecht Gebrauch, ist der ausscheidende Gesellschafter vorher schriftlich über den vorgesehenen Kaufpreis zu unterrichten. Er hat innerhalb von 6 Wochen nach Zugang der Unterrichtung das Recht, seinen Anteil anderweitig zu veräußern. Wird innerhalb dieser Frist dem Geschäftsführer ein unbedingt abgeschlossener Kaufvertrag vorgelegt, erlischt das Recht des Geschäftsführers zur Veräußerung. Schließlich heißt es in Satz 6 dieser Regelung, dass, sofern ein Gesellschafter durch eigene Kündigung aus der Gesellschaft ausscheidet, er innerhalb von 6 Wochen das Recht hat, seine Kündigung als von Anfang an nicht ausgesprochen zu erklären; in diesem Fall bleibt er ohne Unterbrechung Gesellschafter.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist diese Regelung nicht nichtig gemäß § 723 Abs. 3 BGB. Eine Vereinbarung ist nichtig, wenn sie das Kündigungsrecht des einzelnen Gesellschafters ausschließt oder unangemessen beschränkt. Das kann zwar der Fall sein, wenn der Gesellschafter aus finanziellen Erwägungen durch Einschränkung seines Abfindungsanspruchs vor einer Entscheidung zur Ausübung seines Kündigungsrechts zurückschrecken würde.

Abzustellen ist indes auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages (vgl. BGHZ 123, 281 ff, 284). Der erfolgte in den 1990er Jahren. Zu dieser Zeit war es für einen kündigenden Gesellschafter kein Problem, nach einer Kündigung des Gesellschaftsvertrages einen Kaufpreis im Wege eines freihändigen Verkaufs zu erzielen, der nicht nur einem Bruchteil seiner Anlage entsprach. Im Jahre 2011 war das offensichtlich anders. Der Geschäftsführer der Beklagten hat die Beteiligung des Klägers zu ca. 1/5 des Nominalwertes veräußert. Dem Kläger ist es auch nicht gelungen, einen höheren Kaufpreis zu erzielen. Eine Kompensationsmöglichkeit liegt auch nicht in der durch Nachtrag zu den Kaufverträgen eingeräumte Möglichkeit, seine Kündigung bis zum 31.12.2011 zurückzuziehen bzw. seine Beteiligungen anderweitig zu verkaufen (Bl. 30 d.A.), da die Anlageform des geschlossenen Immobilienfonds zu dieser Zeit nicht fungibel war.

Da aber auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages abzustellen ist, ist die Regelung in § 14 Ziffer 2 des Gesellschaftsvertrages nicht als nichtig anzusehen, da sie beim Abschluss nicht gegen § 723 Abs. 3 BGB verstieß. Der Kläger kann auch nicht einwenden, dass die Kaufverträge wegen des geringen Kaufpreises sittenwidrig gemäß § 138 Abs. 1 BGB seien, weil er nicht Vertragspartner der Kaufverträge ist. Infolgedessen sind die Kaufverträge über die Beteiligungen des Klägers wirksam, so dass die Feststellungsanträge des Klägers zu I 1) a) und II 1) a) unbegründet sind.

2. Wegen Sachdienlichkeit zur Vermeidung eines Folgeprozesses zulässig und teilweise begründet sind indes die mit der Klageerweiterung verfolgten Hilfsanträge des Klägers auf Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet sind, den Differenzbetrag zwischen dem sich aus § 14 Ziffer 3 des Gesellschaftsvertrages per 31.12.2011 ergebenden Abfindungsguthaben und dem Kaufpreis gemäß Kaufverträgen vom 28.03.2011/06.05.2011 an den Kläger zu zahlen.

Hierbei ist - mit dem Bundesgerichtshof (aaO.) - dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich die Verhältnisse seit Abschluss der Gesellschaftsverträge geändert haben, so dass die Regelung in § 14 Ziffer 2 der Gesellschaftsverträge zu einer unangemessenen Benachteiligung des durch seine Kündigung ausscheidenden Klägers geführt hat. Nach Auffassung des Senats ist es im vorliegenden Fall gerechtfertigt, den Inhalt von § 14 Ziffer 2 und 3 durch eine ergänzende Vertragsauslegung nach Treu und Glauben unter angemessener Abwägung der Interessen der Gesellschaft und des ausscheidenden Gesellschafters neu zu ermitteln. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls zu bedenken (vgl. die Rechtsprechung zu § 738 BGB, BGH-NJW 1993, 2101; BGHZ 123, 281).

Eine ergänzende Vertragsauslegung setzt eine Regelungslücke voraus. Diese kann auch darin liegen, dass sich die bei Vertragsschluss bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse nachträglich geändert haben (vgl. Palandt-Ellenberger, BGB, 72. Aufl. § 157 Rdnr. 3).

Ein solcher Fall liegt hier vor. Das Veräußerungsrecht des Klägers lief aus wirtschaftlichen Gründen praktisch leer; demgegenüber konnte die Gesellschaft bei Veräußerung der Gesellschaftsanteile an Gesellschafter oder Dritte den Kaufpreis so niedrig halten, dass quasi eine Verschleuderung der Anteile möglich war. Hier ist eine Grenze zu ziehen, auf die sich beide Parteien bei Abwägung ihrer Interessen hätten einlassen müssen. Ein entsprechender hypothetischer Wille ist anzunehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelung in § 14 Ziffer 2 eine Risikoverteilung beinhaltet, die auch im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung aufrecht zu erhalten ist, nämlich die, dass bei einer Veräußerung des Anteils nach Kündigung ein Kaufpreis erzielt wird, der nicht an das Abfindungsgutachten heranreicht oder aber, der dieses übersteigt. Sonst hätte § 14 Ziffer 2 des Gesellschaftsvertrages keinen Sinn.

Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, er habe von dieser Regelung nichts gewusst und sei immer von einem Anspruch auf ein Abfindungsguthaben ausgegangen. Er hat den Gesellschaftsvertrag abgeschlossen, der diese Regelung beinhaltet. Sie hat ihn bei seinem Abschluss ja auch nicht rechtlos gestellt, sondern ihm seinerseits das Recht eingeräumt, sich um eine Veräußerung seines Anteils zu kümmern und einen höheren Kaufpreis zu erzielen. Heute würde er womöglich einen höheren Kaufpreis erzielen, weil eine Flucht in Immobilien zu verzeichnen ist. Diese Risikozuweisung zu Lasten des Klägers muss auch bei der ergänzenden Vertragsauslegung berücksichtigt werden. Denn hätten die Parteien bei Abschluss des Gesellschaftsvertrages daran gedacht, dass aus wirtschaftlichen Gründen eine Veräußerung des Gesellschaftsanteils des Klägers einmal nur zu Schleuderpreisen möglich sein würde, hätten sie als vernünftig denkende Vertragspartner einen Schwellenwert vereinbart, der eine Untergrenze im Interesse des Klägers vorsieht. Denn nur dann wäre das Kündigungsrecht des Gesellschafters nicht unangemessen eingeschränkt, andererseits nicht das Interesse der Gesellschaft am Fortbestand gefährdet.

Infolgedessen ist es nicht gerechtfertigt, wie der Kläger begehrt, festzustellen, dass ihm ein Anspruch auf das Abfindungsgutachten zusteht, auf das er sich nur den gezielten Kaufpreis anrechnen lassen muss. Vielmehr ist gerechtfertigt, die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem zu ermittelnden Abfindungsguthaben zu teilen und dem Kläger nur die Hälfte zuzusprechen. Würde sich also z.B. herausstellen, dass das Abfindungsguthaben bezüglich der Beteiligung an der Beklagten zu 1) zum 31.12.2011 bei 120.000,-- € läge, so betrüge die Differenz zwischen diesem Betrag und dem Kaufpreis von 30.000,-- € demnach 90.000,-- €, so dass der Kläger dann die Hälfte, nämlich weitere 45.000,-- € beanspruchen könnte.

3. Der Anspruch auf Einsicht in die Geschäftsbücher und -papiere betreffend den Zeitraum 01.01.2010 bis 31.12.2011 ist ebenfalls begründet. Hierfür fehlt nicht etwa das Rechtsschutzbedürfnis. Der Kläger muss nicht den Weg der Stufenklage bestreiten.

Dieser Anspruch folgt aus § 810 BGB und liegt im Interesse des Klägers begründet, die Höhe eines eventuellen Abfindungsguthabens zu errechnen, um seinen Anspruch auf Zahlung der Hälfte der Differenz zwischen diesem und dem erzielten Kaufpreis zu ermitteln.

4. Der Anspruch auf Zahlung der vorprozessual entstandenen Rechtsanwaltsgebühren ist nicht gemäß §§ 280, 286 BGB gerechtfertigt, weil das Anwaltsschreiben vom 11. April 2011 die Unterlassung der Verkaufsaktivitäten der Beklagten zum Gegenstand hat, die jedoch von der Beklagten aus den genannten Gründen nicht verlangt werden konnte.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 709 ZPO.

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Es geht um die rechtliche Bewertung einer gesellschaftsvertraglichen Regelung bei Beteiligungen an geschlossenen Immobilienfonds, die das Kündigungsrecht und Abfindungsrecht eines Gesellschafters einschränkt.

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