BGH: Geschäftsführerhaftung
BGH, Beschluss vom 11.2.2025 – KZR 74/23
ECLI:DE:BGH:2025:110225BKZR74.23.0
Volltext: BB-Online BBL2025-1409-2
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Amtliche Leitsätze
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 101 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Steht Art. 101 AEUV einer Regelung im nationalen Recht entgegen, nach der eine juristische Person, gegen die eine nationale Wettbewerbsbehörde ein Bußgeld wegen eines durch ihr Leitungsorgan begangenen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV verhängt hat, den ihr dadurch entstandenen Schaden von dem Leitungsorgan ersetzt verlangen kann?
HGB § 43 Abs. 2; AktG § 93 Abs. 2 Satz 1; GWB § 81 Abs. 1; OWiG § 30; AEUV Art. 101
Aus den Gründen
1 A. Die konzernverbundenen Klägerinnen sind in der Edelstahlbranche tätig. Die Klägerin zu 1 ist die operative Gesellschaft der Gruppe, deren Anteile von der Klägerin zu 2 als Holding-Gesellschaft gehalten werden. Der Beklagte war von 1998 bis 2015 Vorstandsmitglied der Klägerin zu 2 und seit 2003 ihr Vorstandsvorsitzender. Gleichzeitig war er von 1998 bis 2015 Geschäftsführer der Klägerin zu 1.
2 Die Klägerin zu 2 schloss zugunsten des Beklagten bei der Streithelferin eine Geschäftsleiterhaftpflichtversicherung mit einer Deckungssumme in Höhe von 25 Mio. € ab (Directors and Officers Liability oder D&O-Versicherung). Der Versicherungsschutz erstreckt sich nach den Regelungen des Versicherungsvertrags nicht auf Schadensersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung der versicherten Person und auch nicht auf gegen sie persönlich verhängte Vertragsstrafen, Bußgelder und Geldstrafen.
3 In der Zeit von Ende des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl am 23. Juli 2002 bis zum 31. Dezember 2015 beteiligte sich der Beklagte als Vertreter der Klägerin zu 1 an einem Preiskartell. Er traf gemeinschaftlich handelnd mit Vertretern anderer Unternehmen der Edelstahlbranche kartellrechtswidrige Vereinbarungen. Zwischen den an diesem Kartell beteiligten Unternehmen bestand das Grundverständnis, einen Preiswettbewerb unter den Wettbewerbern zu vermeiden oder jedenfalls spürbar dadurch zu dämpfen, dass sie ein branchenweit einheitliches Preissystem aus Basispreis und Zuschlägen für die bezogenen und weiterverarbeiteten Produkte praktizierten, wobei die Höhe der Zuschläge unter den beteiligten Stahlherstellern abgestimmt war. Unter der Verantwortung des Beklagten legte auch die Klägerin zu 1 auf Grundlage dieses gemeinsamen Grundverständnisses die abgestimmten Legierungs- und Schrottzuschläge ihren Verträgen zugrunde.
4 Das Bundeskartellamt führte seit November 2015 in der Edelstahlbranche mehrere Ermittlungsverfahren durch, die sich auch gegen die Klägerinnen richteten. Im Zuge eines Settlement-Verfahrens verhängte das Bundeskartellamt mit Beschluss vom 4. Juli 2018 Bußgelder wegen einer vorsätzlichen Kartellordnungswidrigkeit gemäß § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AEUV, gegen den Beklagten in Höhe von 126.000 € und gegen die Klägerin zu 1 in Höhe von 4,1 Mio. €. Die Geldbußen hatten ausschließlich ahndenden Charakter. Von einer Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile sah das Bundeskartellamt ab. Gegen die Klägerin zu 2 stellte es das Bußgeldverfahren aus Ermessensgründen ein.
5 Die Klägerinnen nehmen den Beklagten wegen seiner Beteiligung an den Kartellverstößen auf Schadensersatz in Anspruch. Unter anderem begehrt die Klägerin zu 1 den Ersatz des gegen sie verhängten und von ihr nebst Gebühren und Auslagen gezahlten Bußgelds (Klageantrag 1). Die Klägerin zu 2 verlangt unter anderem den Ersatz ihr entstandener Aufklärungs- und Rechtsverteidigungskosten in Höhe von etwa 1,144 Mio. € (Klageantrag 2). Das Landgericht hat die Klage insoweit abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen und die Revision zugelassen, mit der die Klägerinnen ihr Klagebegehren weiterverfolgen.
6 B. Für die Entscheidung über die Revision sind Vorschriften des deutschen Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), des Aktiengesetzes (AktG), des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) maßgeblich, die wie folgt lauten:
§ 43 GmbHG - Haftung der Geschäftsführer
(1) Die Geschäftsführer haben in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden.
(2) Geschäftsführer, welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft solidarisch für den entstandenen Schaden.
§ 93 AktG - Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder
(1) Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. […]
(2) Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Ist streitig, ob sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben, so trifft sie die Beweislast. Schließt die Gesellschaft eine Versicherung zur Absicherung eines Vorstandsmitglieds gegen Risiken aus dessen beruflicher Tätigkeit für die Gesellschaft ab, ist ein Selbstbehalt von mindestens 10 Prozent des Schadens bis mindestens zur Höhe des Eineinhalbfachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds vorzusehen.
§ 9 OWiG - Handeln für einen anderen
(1) Handelt jemand
1. als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, […]
so ist ein Gesetz, nach dem besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale) die Möglichkeit der Ahndung begründen, auch auf den Vertreter anzuwenden, wenn diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Vertretenen vorliegen.
§ 30 OWiG - Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen
(1) Hat jemand
1. als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs […]
eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen, durch die Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen, verletzt worden sind oder die juristische Person oder die Personenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte, so kann gegen diese eine Geldbuße festgesetzt werden.
(2) […] Im Falle einer Ordnungswidrigkeit bestimmt sich das Höchstmaß der Geldbuße nach dem für die Ordnungswidrigkeit angedrohten Höchstmaß der Geldbuße. […]
§ 81 GWB - Bußgeldtatbestände
(1) Ordnungswidrig handelt, wer gegen den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 2008 (ABl. C 115 vom 9.5.2008, S. 47) verstößt, indem er vorsätzlich oder fahrlässig
1. entgegen Artikel 101 Absatz 1 eine Vereinbarung trifft, einen Beschluss fasst oder Verhaltensweisen aufeinander abstimmt oder
2. entgegen Artikel 102 Satz 1 eine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzt.
§ 81c GWB - Höhe der Geldbuße
(1) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des § 81 Absatz 1, 2 Nummer 1, 2 Buchstabe a und Nummer 5 und Absatz 3 mit einer Geldbuße bis zu einer Million Euro geahndet werden. In den übrigen Fällen des § 81 kann die Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu einhunderttausend Euro geahndet werden.
(2) Im Fall eines Unternehmens oder einer Unternehmensvereinigung kann bei Verstößen nach § 81 Absatz 1, 2 Nummer 1, 2 Buchstabe a und Nummer 5 sowie Absatz 3 über Absatz 1 hinaus eine höhere Geldbuße verhängt werden. Die Geldbuße darf 10 Prozent des in dem der Behördenentscheidung vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes des Unternehmens oder der Unternehmensvereinigung nicht übersteigen.
7 C. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Unionsrechts ab. Vor einer Entscheidung ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
8 I. Der Klageantrag 1, der auf Ersatz des Schadens gerichtet ist, welcher der Klägerin zu 1 durch das gegen sie verhängte Kartellbußgeld entstanden ist, könnte nach § 43 Abs. 2 GmbHG begründet sein.
9 Gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG haben Geschäftsführer in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns anzuwenden. Zu den wesentlichen Sorgfaltspflichten eines Geschäftsführers zählt die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt (BGH, Urteile vom 15. Oktober 1996 - VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 [juris Rn. 15]; vom 28. April 2008 - II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 Rn. 38; vom 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 Rn. 22). Diese Pflicht ist auch dann verletzt, wenn das gesetzwidrige Handeln des Geschäftsführers für die Gesellschaft vorteilhaft ist (BGH, Beschluss vom 13. September 2010 - 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288 Rn 37). Verletzen Geschäftsführer ihnen danach obliegende Pflichten, haften sie der Gesellschaft gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG für den entstandenen Schaden. Vergleichbare Vorschriften bestehen nach § 93 AktG für die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft.
10 1. Der Beklagte hat nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts Pflichten aus § 43 Abs. 1 HGB vorsätzlich verletzt, indem er sich für die von ihm vertretenen Klägerinnen an einem nach Art. 101 Abs. 1 AEUV verbotenen Preiskartell beteiligt hat.
11 2. Für die Zwecke des Revisionsverfahrens ist - weil das Berufungsgericht insoweit keine näheren Feststellungen getroffen hat - zu unterstellen, dass der Klägerin zu 1 ein Schaden entstanden ist. Das Bundeskartellamt hat gegen sie ein Bußgeld nach § 30 OWiG, § 81 GWB, Art. 101 AEUV in Höhe von 4,1 Mio. € verhängt, das die Klägerin beglichen hat. Die Belastung des Vermögens der Gesellschaft mit einem solchen Bußgeld stellt einen Schaden im Sinne des § 43 Abs. 2 GmbHG, § 249 BGB dar.
12 3. Es ist fraglich und bislang höchstrichterlich ungeklärt, ob der hier geltend gemachte Anspruch der Gesellschaft nach § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, der auf Ersatz des durch das gegen sie verhängten Kartellbußgeld entstandenen Schadens gerichtet ist, aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist.
13 a) Nach einer Auffassung, der sich die Vorinstanzen angeschlossen haben, sind § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG einschränkend dahin auszulegen, dass sie keinen Rückgriff wegen einer gegen das Unternehmen verhängten Verbandsbuße gestatten. Andernfalls würden die Zwecke der Verbandssanktion unterlaufen (LAG Düsseldorf, ZIP 2015, 829 [juris Rn. 151 bis 181]; LG Saarbrücken, WuW 2021, 64 Rn. 149 bis 152]; Verse in Scholz, GmbHG, 13. Aufl., § 43 Rn. 310 bis 314; Dreher in Festschrift Konzen, 2006, S. 85, 103 bis 106; Thomas, NZG 2015, 1409; Ackermann, ZHR 179 (2015), 538, 560 f.; Leclerc, Der Kartellbußgeldregress, 2022, 220, 223 bis 230; Ost in Festschrift für D. Schroeder, 2018, 589; Wils, WuW 2023, 583, 588 f.; Wagner-von Papp in Thépot/Tzanaki, Research Handbook on Competition and Corporate Law, 2025, im Preprint zitiert nach ssrn [https://ssrn.com/abstract=4599326], unter IV.B.2.; Bunte, NJW 2018, 123; Erfurth, Der Bußgeldregress im Kapitalgesellschaftsrecht, 2020, S. 248 bis 262; Friedl, ZWeR 2023, 428, 439 bis 443; Beck, NZKart 2023, 654). Sowohl der Ahndungszweck, dem Unternehmen in Reaktion auf den Gesetzesverstoß mit der Buße einen Nachteil zuzufügen, als auch eine mit dem Bußgeld verfolgte Abschöpfung der durch den Verstoß erzielten Vorteile würden verfehlt, wenn die Gesellschaft die Buße auf den Geschäftsführer abwälzen könne und dessen Inanspruchnahme von der zu seinen Gunsten abgeschlossenen D&O-Versicherung gedeckt würde. Die Verbandssanktion ziele in Anbetracht der Individualsanktion nach § 9 OWiG, der das Leitungsorgan ausgesetzt sei, und wegen des differenzierten Bußgeldrahmens für Verband und Leitungsorgan vorrangig darauf ab, dem Vermögen des Unternehmens einen Nachteil zuzufügen. Das sei vom Zivilrecht zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zu beachten. Zudem würde das mit der Geldbuße verbundene Abschreckungspotential verringert. Insofern stehe auch das Unionsrecht einer Verlagerung des durch die Geldbuße bezweckten Vermögensnachteils auf den Geschäftsführer entgegen.
14 b) Nach anderer Auffassung stehen die mit der Verbandssanktion nach § 30 OWiG, §§ 81 GWB ff. verbundenen Zwecke einem solchen Rückgriff nicht entgegen (vgl. Fleischer, DB 2014, 345; ders. in BeckOGK-AktG, § 93 Rn. 260 bis 265; Blaurock in Festschrift Bornkamm, 2014, S. 107, 114 f.; Bayer/Scholz, GmbHR 2015, 449; Koch in Festschrift M. Winter, 2011, S. 327, 333 f.; Thole, ZHR 173 (2009) 504, 532 f.; Nietsch, ZHR 184 (2020) 60, 69 bis 78; ders. NJW 2024, 471, 474 f.; Drescher in Festschrift Möschel, 2021, S. 91; Franck/Seyer in Thépot/Tzanaki, Research Handbook on Competition and Corporate Law, 2025, im Preprint zitiert nach ssrn [https://ssrn.com/abstract=4458185], S. 19 ff., Kersting/May, WuW 2024, 243 und 313; Monopolkommission, Hauptgutachten XXV, Rn. 312 bis 351; LG Dortmund, WuW 2023, 573). Dafür wird im Wesentlichen geltend gemacht, der Wortlaut des § 43 Abs. 2 GmbHG sehe keine derartige Einschränkung vor und eine teleologische Reduktion sei im Hinblick auf die Zwecke der kartellrechtlichen Verbandsstrafe nicht zwingend geboten. Die mit dem Bußgeld verfolgten Zwecke des öffentlichen Sanktionenrechts seien mit der Verhängung des Bußgelds gegen das Unternehmen vollständig erfüllt. Die Frage nach der verbandsinternen Zuweisung dieses Vermögensnachteils und die Zulässigkeit des Innenregresses richte sich daher allein nach den zivil- und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften. Diese dienten dazu, das Organ zu einer rechtstreuen Geschäftsführung und damit auch zur Beachtung kartellrechtlicher Verbotstatbestände anzuhalten. Die mit der Rückgriffsmöglichkeit nach § 43 Abs. 2 GmbHG bezweckte Verhaltenssteuerung entfiele, wenn der Geschäftsführer nicht damit rechnen müsse, für den Schaden der Gesellschaft infolge des kartellrechtlichen Bußgelds persönlich in die Haftung genommen zu werden. Allerdings dürfe die Gesellschaft nur den ahndenden Teil des Bußgelds, nicht aber einen etwaigen gewinnabschöpfenden Teil ersetzt verlangen; auf den Schadensersatzanspruch wegen des ahndenden Teils seien die aus dem Kartellverstoß erlangten Vorteile anzurechnen.
15 4. Für die Entscheidung der Streitfrage, ob § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG einschränkend auszulegen sind, ist erheblich, ob das Unionsrecht der Anwendung dieser Vorschriften im vorliegenden Zusammenhang entgegensteht.
16 a) Eine richterliche Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion, die zu den anerkannten Auslegungsmethoden zählt (BVerfG, Beschluss vom 26. September 2011 - 2 BvR 2216/06, BVerfGK 19, 89 Rn. 57; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2021 - EnVR 6/21, WM 2023, 630 Rn. 48 - Kapitalkostenabzug), kommt in Betracht, wenn der Wortlaut einer Vorschrift mit Blick auf ihren Normzweck zu weit gefasst ist. Sie setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Ob eine solche Lücke vorhanden ist, beurteilt sich vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrundeliegenden Regelungsabsicht (BGH, Urteile vom 30. September 2014 - XI ZR 168/13, BGHZ 202, 302 Rn. 13; vom 7. April 2021 - VIII ZR 49/19, NJW 2021, 2281 Rn. 36; vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 57; Beschluss vom 4. September 2024 - IV ZB 37/23, BGHZ 241, 158 Rn. 19). Dabei ist aus Gründen der Einheit der Rechtsordnung und zur Auflösung möglicher Wertungswidersprüche der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen zu berücksichtigen, der gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen kann (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 7. April 1997, 2230 [juris Rn. 15]; vom 6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286 Rn. 64; vom 31. Oktober 2016 - 1 BvR 871/13, WM 2017, 154 Rn. 22). Zudem kann sich eine Regelungslücke auch aus der weiteren Rechtsentwicklung ergeben (BVerfG, Beschluss vom 30. März 1993 - 1 BvR 1054/89 u.a., BVerfGE 88, 145 [juris Rn. 71]; BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2022 - II ZB 8/22, WM 2022, 1595 Rn. 12; vom 6. Februar 2024 - II ZB 19/22, WM 2024, 603 Rn. 11).
17 b) Ob diese Voraussetzungen bereits unter alleiniger Berücksichtigung des nationalen Rechts erfüllt sind, ist nicht zweifelsfrei.
18 aa) Weder der Wortlaut der § 43 GmbHG, § 93 AktG noch andere Vorschriften des nationalen Rechts sehen eine Einschränkung des Anspruchs der Gesellschaft vor, der auf Ersatz des Schadens gerichtet ist, der ihr wegen einer nach § 30 OWiG, §§ 81 ff. GWB gegen sie verhängten Geldbuße entstanden ist. Eine dem § 11 österreichisches Verbandsverantwortlichkeitsgesetz vergleichbare Regelung, wonach für Sanktionen und Rechtsfolgen, die den Verband auf Grund dieses Gesetzes treffen, ein Rückgriff auf Entscheidungsträger oder Mitarbeiter ausgeschlossen ist (dazu Strasser, VersR 2017, 65), sieht das deutsche Recht nicht vor. Die Gesetzesmaterialien enthalten keine Hinweise darauf, dass bestimmte Schäden, insbesondere solche, wie sie hier in Streit stehen, vom Anwendungsbereich der Vorschriften ausgenommen sind. Die Inanspruchnahme des Leitungsorgans wegen Bußgeldern, die gegen die Gesellschaft verhängt werden, steht auch in Einklang mit Sinn und Zweck der Regeln über die Organhaftung. § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG dienen dem Ausgleich der durch ein pflichtwidriges Handeln des Leitungsorgans der Gesellschaft entstandenen Schäden. Neben dieser vermögensrechtlichen Kompensationsfunktion setzen die Vorschriften - im Interesse des Gesellschaftsvermögens - den Leitungsorganen mit dem drohenden Rückgriff auf deren Vermögen verhaltenssteuernde Anreize für eine sorgfaltsgemäße und gesetzestreue Unternehmensführung. Insoweit wollen sie der Schadensentstehung bereits im Vorfeld entgegenwirken (BGH, Urteil vom 10. Juli 2018 - II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 Rn. 44; Fleischer in MünchKomm-GmbHG, § 43 Rn. 2; Verse in Scholz, GmbHG, 13. Aufl., § 43 Rn. 7). Die Schadensersatzpflicht der Leitungsorgane trägt damit zur Verhinderung von Kartellverstößen bei. Ein Sanktionscharakter ist mit diesen Haftungsnormen hingegen nicht verbunden (BGHZ 219, 193 Rn. 44).
19 bb) Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der zivilrechtlichen Schadensersatzhaftung der Leitungsorgane gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG aufgrund der nationalen Vorschriften über die kartellbußgeldrechtliche Verbandssanktion nach § 30 OWiG, §§ 81 ff. GWB begegnet Bedenken.
20 (1) Nach § 30 Abs. 1 OWiG kann gegen eine juristische Person eine Geldbuße festgesetzt werden, wenn jemand als deren vertretungsberechtigtes Organ eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die Pflichten verletzt worden sind, welche die juristische Person treffen. Das Höchstmaß der Geldbuße bestimmt sich gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 OWiG nach dem für die Ordnungswidrigkeit - hier § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB - angedrohten Höchstmaß.
21 Gemäß § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB handelt ordnungswidrig, wer gegen den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union verstößt, indem er vorsätzlich oder fahrlässig entgegen Artikel 101 Abs. 1 AEUV eine Vereinbarung trifft, einen Beschluss fasst oder Verhaltensweisen aufeinander abstimmt. Gemäß § 81c Abs. 1 Satz 1 GWB kann die Ordnungswidrigkeit in solchen Fällen mit einer Geldbuße bis zu einer Million Euro geahndet werden. Gegenüber einem Unternehmen kann gemäß § 81c Abs. 2 GWB eine höhere Geldbuße verhängt werden, die zehn Prozent des Gesamtumsatzes nicht übersteigen darf, den es in dem der Behördenentscheidung vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielt hat. Bei der Ermittlung des Gesamtumsatzes ist der weltweite Umsatz aller natürlichen und juristischen Personen zugrunde zu legen, die als wirtschaftliche Einheit operieren. Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist nach § 81d Abs. 1 Satz 1 GWB unter anderem sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen; sofern das Bußgeld gegen ein Unternehmen verhängt wird, sind unter anderem dessen wirtschaftliche Verhältnisse maßgeblich. Nach § 81d Abs. 3 GWB (§ 81 Abs. 5 GWB aF) ist § 17 Abs. 4 OWiG mit der Maßgabe anzuwenden, dass der wirtschaftliche Vorteil, der aus der Ordnungswidrigkeit gezogen wurde, mit der Geldbuße nur abgeschöpft werden kann, nicht aber abgeschöpft werden soll.
22 (2) Dem Wortlaut dieser Vorschriften lässt sich ein an die Gesellschaft gerichtetes Verbot der persönlichen Inanspruchnahme von Leitungsorganen wegen eines durch eine Kartellbuße entstandenen Schadens nicht entnehmen.
23 (3) Ein Verbot der Abwälzung von Geldstrafen oder Bußgeldern auf Dritte, das auf deren Erstattung gerichtete zivilrechtliche Schadensersatzansprüche ausschließt, hat die höchstrichterliche Rechtsprechung dem deutschen Sanktionenrecht bislang nicht entnommen. In anderen europäischen Rechtsordnungen wird diese Frage im Zusammenhang mit Kartellbußgeldern uneinheitlich beantwortet (vgl. zur Fallpraxis im niederländischen Recht: Gerechtshof Arnhem-Leeuwarden, Urteil vom 6. Dezember 2022, ECLI:NL:GHARL:2022:10497; zum Common Law: England and Wales Court of Appeals, Urteil vom 21. Dezember 2010 - [2010] EWCA Civ. 1472 - Safeway Stores Ltd. v. Twigger; dazu obiter UK Supreme Court, Urteil vom 22. April 2015 - [2015] UKSC 23 - Jetivia SA v. Bilta, Rn. 31, 52, 83, 160 ff.).
24 (a) Zwar muss derjenige, der eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, die deswegen gegen ihn verhängte Sanktion nach deren Sinn und Zweck in eigener Person tragen und damit auch eine ihm auferlegte Geldstrafe oder -buße aus seinem eigenen Vermögen aufbringen. Das schließt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs indessen für sich allein einen Anspruch gegen einen Dritten auf Ersatz für einen solchen Vermögensnachteil nicht aus. Dem Strafanspruch ist durch Entrichtung der verhängten Geldstrafe Genüge getan; maßgeblich für eine Abwälzung des Bußgelds ist, ob sich ein Ersatzanspruch aus den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts ergibt (BGH, Urteile vom 31. Januar 1957 - II ZR 41/56, BGHZ 23, 222, [juris Rn. 12]; vom 14. November 1996 - IX ZR 215/95, NJW 1997, 518 [juris Rn. 13]; vom 15. April 2010 - IX ZR 189/09, VersR 2011, 132 Rn. 8). Ist das der Fall, so ist der Anspruch nicht deshalb ausgeschlossen, weil er inhaltlich auf die Abwälzung einer auferlegten Strafe wegen Verletzung von Vorschriften gerichtet ist, die wirtschaftspolitischen Zwecken dienen (vgl. BGHZ 23, 222 [juris Rn. 12]). Daraus folgt, dass sich aus einer nach zivilrechtlichen Vorschriften zulässigen Abwälzung einer staatlichen Sanktion im Grundsatz kein von der Rechtsordnung missbilligter Wertungswiderspruch ergibt. Daher sind zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen Berater auf Erstattung einer gegen den Mandanten festgesetzten Geldbuße oder Geldstrafe nicht ausgeschlossen (BGHZ 23, 222 [juris Rn. 12]; NJW 1997, 518 [juris Rn. 13]; VersR 2011, 132 Rn. 7).
25 Das staatliche Sanktionenrecht erkennt zudem in der (freiwilligen) Entlastung des Täters von dem mit der verhängten Geldstrafe verbundenen Vermögensnachteil keine strafbare Begünstigung gemäß § 257 StGB (RGZ 169, 267 f.). Derjenige, der dem Täter im Voraus die zur Zahlung der Strafe erforderlichen Geldmittel zur Verfügung stellt, macht sich darüber hinaus nicht wegen Strafvereitelung (§ 258 StGB) strafbar (BGH, Urteile vom 6. April 1964 - II ZR 11/62, BGHZ 41, 223 [juris Rn. 29]; vom 7. November 1990 - 2 StR 439/90, BGHSt 37, 226 [juris Rn. 61 bis 71]; vom 8. Juli 2014 - II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 Rn. 12).
26 (b) Auch wenn sich daraus keine abschließenden Aussagen für die in Streit stehende Sachverhaltsgestaltung ableiten lassen, haben diese Grundsätze Bedeutung für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche einer Gesellschaft gegenüber ihrem Leitungsorgan, dessen schuldhaftes Handeln Ursache für das gegen die Gesellschaft verhängte kartellrechtliche Bußgelds ist. Es bestehen zwar nicht die gleichen, wohl aber vergleichbare Pflichtenstellungen, weil das Leitungsorgan gesetzlich - nicht vertraglich - gegenüber der Gesellschaft zur Beachtung der öffentlich-rechtlichen Verbote verpflichtet ist (§ 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG) und durch sein Verhalten - nicht durch seinen Rat - die von ihm vertretene Gesellschaft vor Verstößen gegen kartellrechtliche Verbote zu bewahren hat.
27 (4) Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist zweifelhaft, ob der Zweck der kartellrechtlichen Verbandssanktion oder die Gesetzessystematik mit der erforderlichen Deutlichkeit eine planwidrige Regelungslücke erkennen lässt, und ob davon auszugehen ist, der Gesetzgeber habe es nach seinem Regelungsplan versäumt, die Vorschriften über die Organhaftung dahingehend einzuschränken, dass die Gesellschaft gegenüber ihrem Leitungsorgan wegen eines gegen sie verhängten kartellrechtlichen Bußgelds keinen Regress nehmen darf.
28 (a) Die Verbandssanktion nach § 30 OWiG steht systematisch selbständig neben der wegen desselben Verstoßes gegen das Leitungsorgan zu verhängenden persönlichen Geldbuße nach § 9 OWiG (Raum in Bunte, Kartellrecht, 14. Aufl., § 81 GWB Rn. 37). Daraus folgt, dass das Sanktionenrecht sowohl das Vermögen des Leitungsorgans als auch das des Verbands belasten kann. Zudem sehen Verbandssanktion einerseits und Individualsanktion andererseits gemäß §§ 81 ff. GWB unterschiedliche Bußgeldrahmen sowie eine an den jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnissen orientierte Bußgeldbemessung vor. Bei der Verbandssanktion orientiert sich die Ahndungsempfindlichkeit und der sich hieraus ergebende Abschreckungseffekt der Verbandssanktion an den wirtschaftlichen Verhältnissen des gesamten Unternehmens als wirtschaftliche Einheit (BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 - KRB 20/12, BGHSt 58, 158 Rn. 70 - Grauzementkartell I; Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 7. November 2016, BT-Drucks. 18/10207, S. 85).
29 (b) Zweck der Verbandssanktion ist es, dem Vermögen des Verbands einen empfindlichen Nachteil zuzufügen. Damit soll einerseits - im Sinne einer repressiven Ahndung - dem Gesetz Geltung verschafft, andererseits sollen die Wirtschaftsteilnehmer - präventiv - abgeschreckt und von der Begehung von Kartellverstößen abgehalten werden.
30 (aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG allgemein das rechtlich selbständige, zu bestimmten wirtschaftlichen Zwecken eingesetzte, auch gegenüber ihren Mitgliedern verselbständigte Vermögen einer juristischen Person treffen und gegebenenfalls die durch eine Ordnungswidrigkeit erlangten Vorteile ausgleichen. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Mitglieder und Träger des wirtschaftlichen Risikos der juristischen Person zumindest ein Auswahlverschulden trifft. Daraus ergibt sich, dass die Verbandssanktion keine originäre Sanktion als Antwort auf eine eigene Pflichtwidrigkeit dieser Mitglieder ist und auch keine spezialpräventive, auf Mitglieder einer bestimmten juristischen Person zielende Maßnahme sein kann. Das Vermögen der juristischen Person soll vielmehr für das Verschulden ihres Organs so haften, als handele es sich um dessen Vermögen. Vorrangiges Ziel des § 30 OWiG ist es daher sicherzustellen, dass die juristische Person neben den Vorteilen, die ihr durch das Handeln ihres Organs entstehen, auch die Nachteile zu tragen hat, die als Folge der Nichtbeachtung der Rechtsordnung eintreten (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 11. März 1986 - KRB 8/85, WuW/E BGH 2265 [juris Rn. 15] - Bußgeldhaftung; Entwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) vom 8. Januar 1967, BT-Drucks. V/1269, S. 59; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie [9. Ausschuss] vom 17. Oktober 2012, BR-Drucks. 17/11053, S. 20). § 30 Abs. 1 OWiG bestimmt damit keine Haftung im Sinne eines schlichten Einstehenmüssens für eine fremde Bußgeldschuld. Vielmehr statuiert die Vorschrift eine eigene bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit des Verbands für Taten seiner Leitungspersonen als Voraussetzung der Ahndung (BGH, Beschluss vom 8. März 2021 - KRB 86/20, WuW 2021, 467 Rn. 13 mwN - Grenzen der Verbandsgeldbußen II; vgl. aber zu § 30 Abs. 2a OWiG: BGH, Beschluss vom 23. März 2021 - 6 StR 452/20, BGHSt 66, 60 Rn. 19).
31 (bb) Sinn und Zweck der kartellrechtlichen Verbandssanktion gemäß § 30 OWiG, §§ 81 ff. GWB zielen ebenfalls darauf ab, dass die zu verhängenden Geldbußen das Verbandsvermögen derjenigen Wirtschaftsteilnehmer treffen, die von der Ordnungswidrigkeit profitieren, so dass sich kartellrechtliche Zuwiderhandlungen nicht lohnen und die Unternehmen angehalten werden, die zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs errichteten Verbote zu beachten (BT-Drucks. 18/10207, S. 88). Insofern tritt als Besonderheit gegenüber sonstigen Verstößen hinzu, dass der wirtschaftliche Vorteil bei Kartellverstößen, die häufig das marktwirtschaftliche Gefüge in ganz erheblichem Umfang stören und große volkswirtschaftliche Schäden verursachen können, in der Regel bei dem Unternehmen eintritt, weshalb es der Androhung einer auch für Großunternehmen empfindlichen Geldbuße bedarf (BGHSt 58, 158 Rn. 60 - Grauzementkartell I).
32 Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit in Übereinstimmung mit dem unionsrechtlichen Unternehmensbegriff von einzelnen Rechtsträgern gelöst und mit dem heutigen § 81a Abs. 1 GWB auf die wirtschaftliche Einheit ausgedehnt, weil die aus der Tat erlangten Vorteile der gesamten unternehmerischen Einheit zugutekommen und die Verhaltensbefehle und Konsequenzen der Verbandsstrafe sich an diejenigen Wirtschaftssubjekte richten müssen, die auf den Wettbewerbsprozess Einfluss nehmen (BT-Drucks. 18/10207, S. 87). Zudem hat er mit § 81a Abs. 2 GWB die bußgeldrechtliche Haftung auch dem Gesamtrechtsnachfolger eines Unternehmens zugewiesen, um zu verhindern, dass sich Unternehmen als Normadressaten der sanktionsbewehrten Verbots- und Gebotsbestimmungen des europäischen und nationalen Kartellrechts Bußgeldern entziehen können, indem sie kartellrechtliche Geldbußen durch Vermögensverschiebungen und Umstrukturierungen zu vermeiden suchen (BT-Drucks. 18/10207, S. 87).
33 (cc) Die kartellrechtliche Verbandssanktion neutralisiert darüber hinaus in gewissem - pauschalierten - Umfang die mit Kartellverstößen typischerweise einhergehenden, bei der Gesellschaft anfallenden wirtschaftlichen Vorteile. Eine (unmittelbar) vorteilsabschöpfende Funktion hat die Verbandssanktion zwar nur dann, wenn die Kartellbehörde, wie hier allerdings nicht, von der Abschöpfungsmöglichkeit nach § 81d Abs. 3 GWB (§ 81 Abs. 5 aF) iVm § 17 Abs. 4 OWiG Gebrauch macht (Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 12. August 2004, BT-Drucks. 15/3640, S. 42, 67; BT-Drucks. 17/11053, S. 21; Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 7. Aufl., § 81d GWB Rn. 11; s.a. zum Unionsrecht: Kommission, Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003, Abl. C 210, 2 Rn. 31). Die Höhe unrechtmäßig erzielter wirtschaftlicher Vorteile beeinflusst jedoch stets auch die Höhe der Sanktion, weil die Bußgeldbemessung vorrangig am tatbezogenen Umsatz orientiert ist und damit den Unrechtsgehalt der Tat im Sinne eines Gewinn- und Schädigungspotentials erfasst (BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2013 - 3 StR 167/13, BGHSt 59, 34 Rn. 39; BFH, Urteil vom 22. Mai 2019 - XI R 40/17, BFHE 265, 113 Rn. 38).
34 (c) Zwar sprechen danach erhebliche Gründe dafür, dass eine Inanspruchnahme des Leitungsorgans wegen eines gegen die Gesellschaft verhängten Bußgelds, die - in Abhängigkeit von der Bußgeldhöhe und der Durchsetzbarkeit des Schadensersatzanspruchs - wirtschaftlich zu einer vollständigen oder teilweisen Entlastung der Gesellschaft führen kann, mit den vorgenannten Zielen des kartellrechtlichen Sanktionenrechts in Konflikt gerät (Thomas, NZG 2015, 1409, 1412 f.; Ost in Festschrift D. Schroeder, 2018, S. 589, 592). Zudem scheint angesichts des differenzierten Bußgeldrahmens und der parallelen Verantwortlichkeit eine Belastung des Leitungsorgans mit der an den Verband gerichteten Buße der sanktionsrechtlichen Zuweisung des mit ihr verbundenen Nachteils zu widersprechen. Auch wirken bereits die drohende Individualsanktion und sonstige mögliche Folgen des Kartellverstoßes wie die Abberufung vom Leitungsamt und eine drohende Haftung wegen sonstiger Schäden der Gesellschaft verhaltenssteuernd. In Anbetracht der Regelungsabsicht, die der Gesetzgeber mit den zivilrechtlichen Vorschriften über die Organhaftung verfolgt, sowie unter Berücksichtigung der jeweils abgegrenzten und gleichrangig nebeneinander stehenden Regelungsbereiche bleibt gleichwohl fraglich, ob dem Sanktionenrecht mit der für eine teleologische Reduktion erforderlichen Deutlichkeit ein sich auf die zivilrechtliche Ordnung erstreckender Regelungsplan entnommen werden kann, der den durch das Bußgeld entstandenen Vermögensnachteil abschließend der Gesellschaft als Sanktionsadressatin zuweist und damit Regressansprüche der Gesellschaft gegen das Leitungsorgan zwingend ausschließt.
35 (aa) Dabei ist von Bedeutung, dass die hier in Streit stehenden Regressansprüche weder die repressiv-ahndende noch die präventive Funktion der Verbandssanktion generell in Frage stellen. Je nach Höhe des gegen sie festgesetzten Kartellbußgelds und des gegen das Leitungsorgan bestehenden Schuldvorwurfs wird sich die Gesellschaft wegen beschränkter Deckungssummen der von ihr zu Gunsten des Leitungsorgans abgeschlossenen D&O-Versicherungen, dort vereinbarter Haftungsausschlüsse (oben Rn. 2) und angesichts einer begrenzten persönlichen Leistungsfähigkeit des Leitungsorgans möglicherweise nur teilweise entlasten können. Daher kann je nach Fallgestaltung ein wirksamer und abschreckender Betrag bei der Gesellschaft verbleiben. Soweit mit dem Verbandsbußgeld Wirtschaftsteilnehmer abgeschreckt werden sollen, unterstützen die Vorschriften über die Organhaftung diesen Zweck. Da die Leitungsorgane des Verbands maßgeblichen Einfluss auf dessen Marktverhalten wie auf die Ausgestaltung der internen Sicherungsmaßnahmen zur Verhinderung von Kartellverstößen haben (Compliance), ergeben sich aus der drohenden Inanspruchnahme wegen der Bußgeldsanktion wichtige Anreize für ein gesetzestreues Verhalten und können damit auch mögliche Interessengegensätze zwischen der Gesellschaft und ihren Leitungspersonen im Hinblick auf das Marktverhalten des Unternehmens vermieden werden. Die Möglichkeit des Rückgriffs stellt daher ein wichtiges gesellschaftsrechtliches Disziplinierungsinstrument dar (vgl. Fleischer in BeckOGK-AktG, § 93 Rn. 261; Franck/Seyer, aaO, S. 20 bis 24; Kersting/May, WuW 2024, 243, 246; Monopolkommission, aaO, Rn. 337, 349; allgemein zu den Schwächen der Präventionswirkungen einer Verbandssanktion: Wagner, ZGR 2016, 112, 134 bis 144). Diese Verhaltenssteuerung ist deswegen erheblich, weil das Bußgeld nach der gesetzlichen Systematik auch allein gegen den Verband verhängt werden kann. Denn die nationalen Kartellbehörden setzen nicht in jedem Fall eine Sanktion gegen das Leitungsorgan fest (vgl. Franck/Seyer, aaO, S. 25) und die Europäische Kommission kann nach Art. 23 Abs. 1 VO Nr. 1/2003 kein Bußgeld gegen natürliche Personen wegen eines Verstoßes gegen Art. 101, 102 AEUV verhängen. Zudem verfügen die Inhaber (Anteilseigner) der juristischen Person nach nationalem Gesellschaftsrecht nicht in jedem Fall über die erforderlichen Einflussmöglichkeiten, um das Verhalten des Leitungsorgans wirksam zu steuern (Fleischer in BeckOGK-AktG, § 93 Rn. 261; Wagner, ZGR 2016, 112, 133 f.; Drescher, aaO, S. 100).
36 (bb) Darüber hinaus fällt ins Gewicht, dass der Gesetzgeber zu keinem Zeitpunkt der höchstrichterlichen Rechtsprechung entgegengetreten ist, wonach Vorschriften des öffentlichen Sanktionenrechts der Durchsetzung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche gegenüber Dritten wegen des durch die verhängte Sanktion verursachten Vermögensschadens nicht entgegenstehen. Zudem hat er auch in jüngster Zeit trotz der seit Jahren geführten breiten wissenschaftlichen Diskussion (oben Rn. 13 f.) bei keiner der zahlreichen Änderungen des Kartellbußgeldrechts Anlass gesehen, den Regelungsplan des kartellrechtlichen Sanktionenrechts klarzustellen oder eine Einschränkung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche gesetzlich zu verankern. Auch der nicht Gesetz gewordene Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes von 2020 enthielt kein Verbot der zivilrechtlichen Abwälzung der dort vorgesehenen Strafen (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft vom 21. Oktober 2020, BT-Drucks. 19/23568).
37 c) Gleichwohl könnte Art. 101 AEUV eine - nicht von vornherein ausgeschlossene - einschränkende Auslegung des nationalen Rechts gebieten, weil das Bundeskartellamt das Bußgeld gegen die Klägerin zu 1 auf Art. 101 Abs. 1 AEUV gestützt hat (vgl. EuGH, Urteile vom 11. September 2019 - C-143/18, WM 2019, 1919 Rn. 38 - Romano; vom 28. Januar 2025 - C-253/23, NZKart 2025, 82 Rn. 90 - ASGZ; s.a. BVerfG, Beschluss vom 26. September 2011 - 2 BvR 2216/06, NJW 2012, 669 Rn. 19; BGH, Urteil vom 22. Juni 2021 - KZR 72/15, WuW 2021, 709 Rn. 16 - Stationspreissystem III, jeweils mwN).
38 Auch außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs des Unionsrechts - d.h., wenn das Bußgeld ausschließlich wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften des nationalen Kartellrechts verhängt worden ist - kann sein Inhalt das nationale Recht beeinflussen. Der Gesetzgeber hat mehrfach zum Ausdruck gebracht, das nationale Bußgeldrecht an unionsrechtliche Vorgaben angleichen zu wollen (BT-Drucks. 15/3640, S. 42; BT-Drucks. 18/10207, S. 85 ff.; Raum in Bunte, Kartellrecht, 14. Aufl., § 81d GWB Rn. 26). Daher wird zur Vermeidung einer gespaltenen Auslegung des nationalen Rechts (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2018 - I ZR 154/16, BGHZ 218, 236 Rn. 54 - Werbeblocker II) bei der Frage, inwieweit die Vorschriften des Kartellbußgeldrechts mit denen der zivilrechtlichen Organhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG in Einklang zu bringen sind, kaum danach zu differenzieren sein, ob das Bußgeld wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften des nationalen Kartellrechts oder gegen Art. 101, 102 AEUV verhängt worden ist (vgl. Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 7. Aufl., Vor § 81 GWB Rn. 37).
39 aa) Das Unionsrecht verhält sich nicht ausdrücklich zu der Frage, ob eine juristische Person, gegen die ein Bußgeld wegen des Verstoßes gegen Art. 101 AEUV verhängt worden ist, sein Leitungsorgan wegen des dadurch verursachten Schadens zivilrechtlich auf Ersatz in Anspruch nehmen kann. Insoweit ist unklar, ob Art. 101 AEUV einem solchen Regressanspruch entgegensteht.
40 bb) Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 VO Nr. 1/2003 sind die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten für die Anwendung der Art. 101, 102 AEUV in Einzelfällen zuständig. Zu diesem Zweck können sie gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Art. 12 Abs. 3 VO Nr. 1/2003 - wie hier auf Grundlage von § 30 OWiG, § 81 GWB aF - Geldbußen oder sonstige im innerstaatlichen Recht vorgesehene Sanktionen sowohl gegen Unternehmen als auch gegen natürliche Personen verhängen. Die nähere Ausgestaltung der Geldbußen fällt danach in die Kompetenz der Mitgliedstaaten. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union müssen jedoch die von einer nationalen Wettbewerbsbehörde verhängten Geldbußen - wie jede von nationalen Behörden verhängte Sanktion wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht - wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein (vgl. nur EuGH, Urteil vom 14. September 2017 - C-177/16, WuW 2017, 547 Rn. 68 - AKKA/LAA; Urteil vom 18. Januar 2024 - C-128/21, WuW 2024, 207 Rn. 110 - Lietuvos notarų rūmai u. a.). Mit Geldbußen wegen Verstößen gegen Art. 101 AEUV sollen rechtswidrige Handlungen der betreffenden Unternehmen geahndet und sowohl diese Unternehmen als auch andere Wirtschaftsteilnehmer von künftigen Verletzungen der Wettbewerbsregeln des Unionsrechts abgeschreckt werden (EuGH Urteile vom 17. Juni 2010 - C-413/08 P, ECLI:EU:C:2010:346 Rn. 102, - Lafarge/Kommission; WuW 2024, 207 Rn. 110 - Lietuvos notarų rūmai u. a., jeweils mwN). Diesen Grundsätzen trägt die Richtlinie (EU) 2019/1 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts (ECN+-Richtlinie) Rechnung, die im Streitfall wegen ihres zeitlichen Geltungsbereichs allerdings keine Anwendung auf den Schadensersatzanspruch findet, der mit Verhängung des Bußgelds im Juli 2018 entstanden ist (Art. 36, 34 ECN+-Richtlinie). Nach Art. 13 Abs. 1 ECN+-Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die für Wettbewerb zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Geldbußen gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen verhängen können, wenn die Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 101 oder Artikel 102 AEUV verstoßen (vgl. auch Erwägungsgrund 40).
41 (1) Sofern Art. 101 AEUV das durch das nationale Gesellschaftsrecht geprägte Innenverhältnis zwischen dem Unternehmen und seinen Leitungsorganen berührt, könnte die danach gebotene Wirksamkeit einer gegen das Unternehmen wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV verhängten Geldbuße beeinträchtigt sein, wenn sich die Gesellschaft von der Bußgeldlast durch einen vollständigen oder auch nur teilweisen Rückgriff auf das Leitungsorgan nach den Vorschriften der § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG wirtschaftlich entlasten könnte (Wils, WuW 2023, 583, 588; Wagner-von Papp, WuW, 2025, 1; Friedl/Titze, ZWeR 2015, 318, 331; anderer Ansicht Frank/Seyer, aaO, S. 41 f.; Kersting/May, WuW 2024, 313). Eine solche Verlagerung des dem Verband durch die Sanktion auferlegten wirtschaftlichen Nachteils entfaltet ähnlich entlastende Wirkungen wie die steuerrechtliche Abzugsfähigkeit einer Geldbuße. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union könnte aber die einem Unternehmen auferlegte Geldbuße sehr viel von ihrer Wirksamkeit einbüßen, wenn das betroffene Unternehmen berechtigt wäre, die Geldbuße insgesamt oder teilweise von seinen steuerbaren Gewinnen in Abzug zu bringen, weil diese Möglichkeit zur Folge hätte, dass die Belastung mit dieser Geldbuße durch eine Verringerung der Steuerlast teilweise ausgeglichen würde (EuGH, Urteil vom 11. Juni 2009 - C-429/07, WuW 2009, 850 Rn. 39 - Inspecteur van de Belastingdienst/X BV, im Zusammenhang mit den Beteiligungsrechten der Kommission nach Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 3 VO Nr. 1/2003).
42 (2) Fraglich ist im vorliegenden Zusammenhang allerdings, ob und inwieweit den unterschiedlichen Befugnissen der nationalen Kartellbehörden und der Europäischen Kommission bei der Verhängung von Bußgeldern Rechnung zu tragen ist. Nach § 81 Abs. 1 GWB, § 9 OWiG können die nationalen Wettbewerbsbehörden Bußgelder auch gegen das Leitungsorgan festsetzen, während die Europäische Kommission nach Art. 23 Abs. 1 VO Nr. 1/2003 Sanktionen nur gegen Unternehmen verhängen darf (zur Motivation des Unionsgesetzgebers vgl. Wils, WuW 2023, 583, 585 f.). Vor diesem Hintergrund könnte zwar zu berücksichtigen sein, dass bei Verfahren, die von der Kommission geführt werden, dem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft jedenfalls eine zusätzliche präventive und abschreckende Wirkung zukommen kann, die zur Beachtung der Verbote der Art. 101, 102 AEUV durch die handelnden Leitungspersonen beiträgt (oben Rn. 35). Jedenfalls aber sollte Art. 101 AEUV aus Gründen der Rechtseinheitlichkeit und der Vorhersehbarkeit keine unterschiedlichen Regelungen für die Fälle treffen, in denen das Bußgeldverfahren von der Kommission nach den Vorschriften der Verordnung Nr. 1/2003, und denjenigen, in denen es von den nationalen Wettbewerbsbehörden nach dem nationalen Sanktionenrecht geführt worden ist.
43 (3) Eine Beschränkung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegenüber dem Leitungsorgan dürfte nicht deshalb ausgeschlossen sein, weil nach der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs der Sanktionszweck einer gegen mehrere juristische Personen verhängten kartellrechtlichen Geldbuße eine privatautonome Regelung über die Haftung der Gesamtschuldner im Innenverhältnis nicht verbietet (vgl. EuGH, Urteile vom 10. April 2014 - C-231/11 P u.a., WuW/E EU-R 2970 Rn. 62 - Siemens Österreich; C-247 P u.a., WuW/E EU-R 2996 Rn. 152, 157 - Areva; BGH, Urteil vom 18. November 2014 - KZR 15/12, BGHZ 203, 193 Rn. 37, 54 - Calciumcarbid-Kartell II). Mit einer solchen Vereinbarung verteilen die Vertragsparteien lediglich den mit dem Bußgeld verbundenen Vermögensnachteil innerhalb des vom kartellrechtlichen Verbot adressierten Haftungsverbands. Mit der persönlichen Inanspruchnahme des Organs auf Grundlage der Vorschriften über die Organhaftung soll der Nachteil zwar auch auf einen Funktionsträger des Verbands, im Ergebnis aber auf eine außerhalb dieses Haftungsverbands stehende Vermögensmasse verlagert werden.
44 (4) Keine generellen Schlussfolgerungen für die Beantwortung der Vorlagefrage dürften sich daraus ableiten lassen, dass für Leitungsorgane die Risiken einer Inanspruchnahme zumindest teilweise durch Abschluss einer D&O-Versicherung abgedeckt werden können. Denn die Eintrittspflicht der Versicherung hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab, unter anderem vom Grad des Verschuldens, das dem Leitungsorgan vorzuwerfen ist, und davon, ob nach den im Einzelfall vereinbarten Bedingungen Regressansprüche wegen Bußgeldschäden der Gesellschaft überhaupt vom Versicherungsschutz umfasst sind. Angesichts der Vielgestaltigkeit möglicher Fallkonstellationen lassen sich auch keine allgemeinen Aussagen dazu treffen, welche messbaren Auswirkungen das Bestehen zivilrechtlicher Regressansprüche für die Bereitschaft des Leitungsorgans bei der Entscheidung über die Teilnahme an Kronzeugenprogrammen und damit für die Aufklärung von Kartellverstößen hat. Nach Art. 5 Abs. 1, Art. 12 Abs. 3 VO Nr. 1/2003 in Verbindung mit den Vorschriften des nationalen Bußgeldrechts besteht ohnehin das Risiko der persönlichen Inanspruchnahme und darüber hinaus die Gefahr, für sonstige der Gesellschaft durch den Kartellverstoß entstandene Schäden nach den Vorschriften über die Organhaftung einstehen zu müssen (vgl. Drescher, aaO, S. 102). Daher sollte auch einer möglicherweise zu weitgehenden Abschreckungswirkung des mit dem Bußgeldregress verbundenen zusätzlichen Haftungsrisikos und den daraus folgenden negativen Anreizen für das Marktverhalten keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden (vgl. dazu Wagner, ZGR 2016, 112, 138; Franck/Seyer, aaO, S. 36 bis 46; Monopolkommission, aaO, Rn. 334).
45 II. Für den Fall, dass Art. 101 AEUV einer Anwendung der Vorschriften des nationalen Rechts über die Organhaftung entgegenstehen sollte, stellt sich im Hinblick auf den Klageantrag 2 die Frage, ob damit auch Ansprüche der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG gegenüber dem Leitungsorgan ausgeschlossen sind, die auf den Ersatz des Schadens gerichtet sind, die der Gesellschaft - wie die Klägerin zu 2 geltend macht - für die Aufklärung des Sachverhalts (IT-Kosten) sowie für die Rechtsverteidigung im kartellbehördlichen Ermittlungsverfahren (Rechtsanwaltskosten) entstanden sind. Da der Ersatz dieses Schadens die Wirksamkeit des verhängten Bußgelds nicht beeinträchtigt, dürfte es an einer Grundlage für die Einschränkung des darauf gerichteten Schadensersatzanspruchs jedoch von vornherein fehlen.