BGH: Gesamtschaden der Insolvenzgläubiger nach deliktischer Verschiebung von Vermögenswerten - Geltendmachung durch Insolvenzverwalter vor Abschluss des Insolvenzverfahrens
BGH, Urteil vom 19.5.2022 – III ZR 11/20
ECLI:DE:BGH:2022:190522UIIIZR11.20.0
Volltext: BB-Online BBL2022-1601-2
Amtliche Leitsätze
Durch die deliktische Verschiebung von Vermögenswerten (§ 257 StGB) nach Begehung eines Eingehungsbetrugs im Rahmen einer Kapitalanlage tritt ein Gesamtschaden der Insolvenzgläubiger im Sinne des § 92 Satz 1 InsO ein. Dieser kann während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.
Sachverhalt
Die Kläger nehmen als Erben des während des Revisionsverfahrens verstorbenen vormaligen Klägers (im Folgenden auch: Erblasser) den Beklagten auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch.
Im März 2014 investierte der Erblasser in ein Kapitalanlagemodell der G. P. AG, indem er gegen eine Kaufpreiszahlung "persönliches Baumeigentum" an angeblich 1.000 gepflanzten Teakbäumen auf einer konkret bezeichneten Teilfläche einer Plantage in Costa Rica "erwarb". Nach dem Anlageprospekt sollten die Bäume nach einer "Umtriebszeit" von 20 Jahren mit "ökologisch und sozial nachhaltiger" Pflege gefällt werden. Aus dem Verkaufserlös des Holzes sollten die Anleger eine erhebliche steuerfreie Rendite erzielen.
Im April 2014 führte eine Strafanzeige zum Ende der Vertriebstätigkeit der G. P. AG, über deren Vermögen nachfolgend das - bislang nicht beendete - Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Mit Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 11. Dezember 2015 - 5/26 KLs 5280 Js 214943/09 (2/15) – wurde der einschlägig vorbestrafte Initiator des Anlagemodells und alleinige Vorstand der Gesellschaft, M. W. , wegen gewerbsmäßigen Betrugs in zwei Fällen (betreffend den streitgegenständlichen Vertrieb von Teakbäumen und den von Kautschukbäumen) rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der Beklagte wurde, nachdem er sich im September 2015 schriftlich gegenüber der Staatsanwaltschaft und im April 2016 mit einer vorformulierten "Persönlichen Erklärung" in der Hauptverhandlung eingelassen hatte, wegen (einheitlicher) Beihilfe zu zwei Fällen des Betrugs durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12. Mai 2016 - 5/26 KLs 7550 Js 246827/14 (13/15) - rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Dabei wurde ihm angelastet, im Wissen um den Betrugscharakter des Anlagemodells dem Haupttäter W. zu einer Anschubfinanzierung verholfen, ihm Büroräume zur Verfügung gestellt, ihn beim Vertrieb, bei der Mitarbeitersuche, beim Erwerb und bei der Gründung von in das Geschäft eingebundenen ausländischen Gesellschaften - darunter die schweizerische M. AG - unterstützt sowie weitere betrügerische Öko-Investments mit ihm geplant zu haben. Ferner wurde festgestellt, dass der 1943 geborene, nicht vorbestrafte Beklagte, den mit dem etwa ein Jahr älteren W. eine seit mehreren Jahrzehnten bestehende Bekanntschaft mit gelegentlichen Geschäftskontakten verbindet, keine finanziellen Vorteile unmittelbar aus dem Betrug gezogen hat. Die im Strafverfahren getroffenen Feststellungen zur subjektiven Tatseite beruhten auf den dortigen - nach Auffassung der Strafkammer "geständigen" und durch den Inhalt eines aufgezeichneten Telefonats vom 5. März 2014 und zweier E-Mails vom 25. Mai 2012 und 12. Februar 2014 bestätigten - Einlassungen des Beklagten.
Das Landgericht hat eine Haftung des Beklagten aus § 823 Abs. 2, § 830 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1, § 27 StGB (Beihilfe zum Betrug) angenommen und ihn antragsgemäß zur Zahlung von 37.008,78 € verurteilt. Das Oberlandesgericht hat seine Berufung zurückgewiesen, soweit nicht die Parteien den Rechtsstreit nach einer Quotenausschüttung des Insolvenzverwalters in Höhe von 2.496,12 € in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Dabei ist es von einer Haftung des Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 257 Abs. 1 StGB (Begünstigung) ausgegangen.
Hiergegen wendet sich der Beklagte, der vorinstanzlich unter Widerruf seines "Geständnisses" aus dem Strafverfahren bestritten hat, den betrügerischen Charakter des Anlagemodells der G. P. AG gekannt zu haben, mit seiner vom Senat zugelassenen Revision.
Aus den Gründen
6 Die zulässige Revision hat Erfolg.
I.
7 Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das landgerichtliche Urteil sei zwar verfahrensfehlerhaft ohne Zustimmung des Beklagten im schriftlichen Verfahren ergangen, jedoch - was auch ohne Beweisaufnahme feststehe - im Ergebnis richtig. Ob der Beklagte deliktisch wegen Beihilfe zum Betrug hafte, könne dahinstehen, da er sich jedenfalls der Begünstigung schuldig gemacht habe. Denn er habe mit seinen Aktivitäten in Bezug auf die M. AG dem Haupttäter W. in der Absicht geholfen, diesem die Vorteile der Betrugstat zu sichern. Er habe bei der Gründung der Gesellschaft, die dazu gedient habe, Anlegergelder in die Schweiz zu transferieren und so dem Zugriff der Geschädigten zu entziehen, sowie bei der Eröffnung von deren Konto Hilfe geleistet. Eine weitere Hilfeleistung liege darin, dass er mittels Scheinrechnungen des von ihm betriebenen Autohandels über angeblich bestellte Porsche Macan vom Gesellschaftskonto 45.000 € erlangt und abzüglich einer "Provision" von 15.000 € an die Ehefrau des zu diesem Zeitpunkt bereits in Untersuchungshaft befindlichen W. weitergereicht habe. Der Beklagte habe insoweit auch vorsätzlich gehandelt. Denn er habe gewusst, dass die an die M. AG geflossenen Anlegergelder aus einem Betrug stammen mussten, wobei sein Vorsatz bei der zweiten Hilfeleistung im Hinblick auf die ihm damals schon bekannte Inhaftierung W. wegen Betrugs sogar noch eindeutiger sei. Auch habe der Beklagte mit der erforderlichen Vorteilssicherungsabsicht agiert. Dass er gegebenenfalls Gehilfe der Vortat gewesen sei, begründe einen für seine zivilrechtliche Haftung bedeutungslosen persönlichen Strafausschließungsgrund. Seine Begünstigungshandlung habe den Schaden des (vormaligen) Klägers adäquat kausal herbeigeführt. Insoweit greife ein Anscheinsbeweis, den der Beklagte nicht entkräftet habe. Nach den im Strafverfahren getroffenen Feststellungen seien nämlich Anlegergelder in Höhe von mindestens 200.000 € ohne Gegenleistung von der G. P. AG an die M. AG überwiesen worden, was die klägerische Einlage übersteige. Das Gleiche gelte für die durch die fingierten Rechnungen erlangten 45.000 €.
II.
8 Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
9 1. Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht die Vorschrift des § 92 Satz 1 InsO nicht angewendet hat, die es den Klägern verwehrt, einen durch die angenommene Begünstigung verursachten Schaden vor Abschluss des noch laufenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen der G.P. AG im Prozess geltend zu machen.
10 a) Nach § 92 Satz 1 InsO können Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Ersatz eines Schadens, den diese gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlitten haben (Gesamtschaden), während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Damit wird keine Anspruchsgrundlage normiert, sondern die Einziehung einer aus einer anderen Rechtsgrundlage herrührenden Forderung geregelt. Die Vorschrift erfasst nur Schadensersatzansprüche, die auf einer Verkürzung der Insolvenzmasse beruhen, und bezweckt, eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger aus dem Vermögen des wegen Masseverkürzung haftpflichtigen Schädigers zu sichern (vgl. Senat, Urteil vom 21. März 2013 - III ZR 260/11, BGHZ 197, 75 Rn. 45; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - IX ZR 21/19, juris Rn. 20 und Beschluss vom 14. Juli 2011 - IX ZR 210/10, NJW-RR 2011, 1318 Rn. 6; jeweils mwN). Maßgebliche Voraussetzung des Einziehungsrechts ist folglich eine Verminderung der Insolvenzmasse, die sich in einer Verringerung der Aktiva oder in einer Vermehrung der Passiva manifestieren kann (BGH, Beschluss vom 14. Juli 2011, aaO). Ein Gesamtschaden ist ein Schaden, den der einzelne Gläubiger ausschließlich aufgrund seiner Gläubigerstellung und damit als Teil der Gesamtheit der Gläubiger erlitten hat; die Verkürzung der Masse muss also diese treffen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2018 - IX ZR 66/18, NJW-RR 2019, 491 Rn. 11 und Beschluss vom 14. Juli 2011, aaO Rn. 9). Das schädigende Verhalten, aus dem der Schädiger in Anspruch genommen wird, muss durch die Masseverminderung zu einer geringeren Quote für die (Alt-)Gläubiger geführt haben (sog. Quotenverringerungsschaden; vgl. BGH, Urteile vom 22. April 2004 - IX ZR 128/03, BGHZ 159, 25, 27 ff und vom 13. Dezember 2018, aaO mwN). Der Anspruch kann sich nicht nur gegen Gesellschafter oder Organe der insolventen Schuldnerin, sondern grundsätzlich gegen jeden Dritten richten. Ein Gesamtschaden tritt auch durch eine deliktische Verschiebung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens ein (BGH, Urteile vom 8. Mai 2003 - IX ZR 334/01, NJW-RR 2003, 1042, 1044; vom 8. Februar 2018 - IX ZR 103/17, BGHZ 217, 300 Rn. 76 ff; vom 13. Dezember 2018, aaO und vom 17. Dezember 2020, aaO). Dagegen handelt es sich um einen nicht von § 92 Satz 1 InsO erfassten Einzelschaden, wenn der Gläubiger nicht als Teil der Gläubigergesamtheit, sondern individuell geschädigt wird (BGH, Urteile vom 13. Dezember 2018, aaO und vom 17. Dezember 2020, aaO Rn. 21; Beschluss vom 14. Juli 2011, aaO Rn. 9).
11 b) Die Voraussetzungen des § 92 Satz 1 InsO sind - wie auch die Revisionserwiderung nicht in Abrede stellt - in Bezug auf den vom Berufungsgericht bejahten Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 257 StGB erfüllt, mit der Folge, dass für diesen dem vormaligen Kläger beziehungsweise seinen den Rechtsstreit fortführenden Erben die Einziehungs- und Prozessführungsbefugnis bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens entzogen ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2003, aaO; MüKoInsO/Gehrlein, 4. Aufl., § 92 Rn. 14 und 25). Während ein Anspruch aus § 823 Abs. 2, § 830 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1, § 27 StGB, auf den das Landgericht sein Urteil gestützt hat, einen individuellen Schaden des Erblassers durch Zeichnung der Kapitalanlage (Eingehungsbetrug) zum Gegenstand hat, auf den § 92 Satz 1 InsO nicht anwendbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020, aaO Rn. 21), handelt es sich bei dem vom Berufungsgericht angenommenen Begünstigungsschaden um einen Gesamtschaden. Denn die dem Beklagten vorgeworfene Verschiebung von Vermögenswerten erst nach Begehung der den Erblasser individuell schädigenden Betrugstat hat diesen nur wie jeden anderen Anleger getroffen. Der von der G. P. AG auf die M. AG verschobene Geldbetrag hat die zur Verfügung stehende Insolvenzmasse insgesamt verkürzt und fehlt damit nicht nur für die Befriedigung des vormaligen Klägers beziehungsweise seiner Erben, sondern für die Entschädigung aller Anleger. Dementsprechend muss nach dem Normzweck des § 92 Satz 1 InsO ein Schadensersatzanspruch wegen der in Rede stehenden Begünstigung nicht nur einem einzelnen Anleger, sondern anteilig allen Insolvenzgläubigern zugutekommen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auf der Grundlage der Feststellungen des zur Akte gereichten Strafurteils gegen W. f mindestens 763 geschädigte Anleger Teakbäume für insgesamt mehr als 19 Mio. € erworben haben (vgl. Strafurteil vom 18. Mai 2015 S. 20, Anlage K 1). Nach seinem unwidersprochen gebliebenen Revisionsvorbringen wird der Beklagte in insgesamt 36 Verfahren von geschädigten Anlegern auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von rund 2,1 Mio. € in Anspruch genommen. Der nach Auffassung des Berufungsgerichts durch die Begünstigungshandlungen eingetretene Schaden von höchstens 245.000 € bleibt dahinter weit zurück. Er kann vor Abschluss des Insolvenzverfahrens nur durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden, mit der Folge, dass der entsprechende Restitutionsbetrag zur Insolvenzmasse gezogen und quotal auf alle Gläubiger verteilt wird.
12 2. Da das angefochtene Berufungsurteil schon aus den vorgenannten Gründen rechtsfehlerhaft ist, sieht der Senat davon ab, auf die weiteren Revisionsangriffe einzugehen.
13 3. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Denn eine deliktische Haftung des Beklagten wegen Beihilfe zum Betrug steht nicht fest. Das Berufungsgericht hat insoweit keine Würdigung vorgenommen. Eine solche Haftung findet, anders als in der Revisionserwiderung vorgetragen, auch keine zureichende Grundlage in den nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindenden erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen. Vielmehr lässt der Umstand, dass das Landgericht den streitigen Gehilfenvorsatz des Beklagten ohne Beweisaufnahme angenommen hat, eine grundlegende Verkennung der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in der vorliegenden Fallkonstellation befürchten. Seine Auffassung, strafgerichtlichen Feststellungen sei in der Regel zu folgen, sofern nicht gewichtige Gründe für deren Unrichtigkeit vorgebracht werden (LGU 7), widerspricht den höchstrichterlichen Grundsätzen zur Bedeutung der strafrechtlichen Verurteilung einer Partei im Zivilprozess. Insbesondere ist vorliegend der Beklagte als Anspruchsgegner für seine Behauptung, sein im Strafverfahren abgelegtes und im nachfolgenden Zivilprozess widerrufenes Geständnis entspreche nicht der Wahrheit, nicht beweispflichtig. Ihn trifft lediglich eine gesteigerte Erwiderungslast, indem er konkrete Umstände für die von ihm behauptete Unwahrheit seines Geständnisses darlegen muss. Hat er insoweit substantiiert vorgetragen, obliegt den Klägern als Anspruchstellern der Beweis der Richtigkeit des widerrufenen Geständnisses (siehe dazu insbesondere Senat, Urteil vom 26. August 2021 - III ZR 189/19, juris Rn. 11 ff).
14 Nach alldem ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden, da der Rechtsstreit bezüglich einer möglichen Einstandspflicht des Beklagten als Gehilfe eines Betruges nicht entscheidungsreif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).