LG Kiel: Generelles Verbot von Internetverkäufen über Plattformen ist kartellrechtswidrig
LG Kiel, Urteil vom 8.11.2013 - 14 O 44/13 Kart
Nicht amtlicher Leitsatz
1. Das Verbot des Vertriebs über Internetauktionsplattformen und Internetmarktplätze verstößt gegen Art. 101 AEUV und § 1 GWB, da es eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung enthält.
2. Auf die Frage, ob und in welchem konkreten Ausmaß diese Wettbewerbsbeeinträchtigung tatsächlich spürbar ist, kommt es nicht an.
3. Bei dem Verbot des Vertriebs über Internetauktionsplattformen und Internetmarktplätze handelt es sich um eine Kernbeschränkung nach Art. 4 b) Vertikal-GVO, die zum Ausschluss des Rechtsvorteils der Gruppenfreistellung für vertikale Vereinbarungen führt.
GWB § 1 GWB; AEUV Art. 101 Abs. 1
Sachverhalt
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Erstattung der Kosten einer Abmahnung in Anspruch.
Die Beklagte stellt u. a. Digitalkameras der Serie „E." her, die sie teilweise direkt an Großkunden, teilweise über den Großhandel vertreibt. Sie bietet Händlern den Abschluss von „E. Partnervereinbarungen Fachhandel" an. Darin ernennt sie den Händler zum autorisierten „E. Partner". Sie autorisiert den Partner zum Verkauf an den Endkunden an seinem Standort bei stationärem Handel und gestattet ihm auch die Vermarktung durch einen eigenen Online-Shop. Die Beklagte schreibt ihrem Partner außerdem eine bestimmte Präsentation und Bevorratung sowie Werbung vor. Weiter heißt es in den Partnervereinbarungen:
„Der Verkauf über so genannte „Internet Auktionsplattformen" (z. B. eBay), „Internetmarktplätze" (z. B. Amazon Marketplace) und unabhängige Dritte ist nicht gestattet."
Die Klage hatte insgesamt Erfolg.
Aus den Gründen
Der Unterlassungsanspruch ergibt sich aus §§ 33 Abs. 1 und Abs. 2, 1 GWB, Art. 101 AEUV ...
Die von der Beklagten verwendete Klausel enthält eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung
Die von der Beklagten in ihren E.-Partnervereinbarungen verwendete Klausel, die das Verbot des Vertriebs ihrer Kameras über Internetauktionsplattformen und Internetmarktplätze enthält, verstößt gegen Art. 101 AEUV und § 1 GWB, da sie eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung enthält. Im Einzelnen:
Art. 101 AEUV verbietet Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen und eine Verhinderung oder Einschränkung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Dasselbe regelt auch § 1 GWB.
Unter „Wettbewerb" wird die Summe der Handlungsfreiheiten der Marktbeteiligten verstanden (vgl. z. B. Loewenheim/Meesen/Riesenkampff-Nordemann § 1 GWB Rn. 97).
Auf Internetauktionsplattformen und Internetmarktplätzen wie Amazon Marketplace oder eBay findet ein besonders intensiver Wettbewerb zwischen den Händlern statt, sog. „intra-brand-Wettbewerb". Mit dem an die autorisierten Händler gerichteten Verbot, über diese Märkte zu verkaufen, wird dieser Wettbewerb eingeschränkt. Zum einen findet auf Online-Handelsplattformen ein sehr lebhafter Preiswettbewerb statt, so dass Plattformverbote zu einer unmittelbar korrespondierenden Reduzierung dieses Preisdrucks führen (vgl. Schweda/Rudowicz, Verkaufsverbote über Online-Handelsplattformen und Kartellrecht, WRP 2013, S. 590 ff). Zum anderen ermöglichen Online-Plattformen den Händlern, in kostengünstiger und effizienter Weise eine große Anzahl von potentiellen Käufern zu erreichen. Die Händler können unmittelbar von dem Bekanntheitsgrad der Handelsplattform profitieren. Viele Verbraucher bringen diesen Plattformen ein gesteigertes Vertrauen entgegen, da diese durch eine Reihe von Maßnahmen gegenüber dem normalen Online-Handel typischerweise eine höhere Transaktionssicherheit aufweisen. Kleineren und neu in den Markt eintretenden Händlern stehen keine gleichwertigen Handlungsalternativen offen. Vielmehr besteht für diese durch ein Verbot der Nutzung von Internetplattformen und Internetmarktplätzen die Gefahr, am Online-Vertrieb nicht teilnehmen zu können. Denn mit der Einrichtung und Betreuung eines gleichwertigen eigenen Online-Shops sind erhebliche finanzielle und zeitliche Investitionen verbunden. Insbesondere erfordert die Bekanntmachung dieser Shops im Gegensatz zu einem Rückgriff auf bestehende Plattformstrukturen die Verwendung kostenintensiver Online-Werbemechanismen (so auch Schweda/Rudowicz aaO.).
Auf die Frage, ob und in welchem konkreten Ausmaß diese Wettbewerbsbeeinträchtigung tatsächlich spürbar ist, kommt es nicht an. Denn nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes stellt eine Vereinbarung, die geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, und die einen wettbewerbswidrigen Zweck hat, ihrer Natur nach und unabhängig von ihren konkreten Auswirkung stets eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs dar (Rs. C-439/09 - Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, BB 2011, 2956 m. BB-Komm. Wegner und Rs. C-226/11 - Expedia Inc.). Ein solcher wettbewerbswidriger Zweck liegt hier vor. Denn eine Absprache bezweckt eine Wettbewerbsbeschränkung immer schon dann, wenn die Parteien darauf abzielen, die Wettbewerbsfreiheit mindestens eines der beteiligten Unternehmen einzuschränken und dadurch Marktverhältnisse zu ändern. Ist die Wettbewerbsbeschränkung unmittelbar Inhalt der Vereinbarung, also zu ihrem Gegenstand gemacht, ist sie immer „bezweckt (vgl. Loewenheim/Meesen/Riesenkampff-Nordemann a. a. O. Rn. 125 mit zahlreichen Nachweisen). Dies ist hier der Fall, weil die Beklagte mit der Klausel bewirken will, dass ihre autorisierten Händler vom Wettbewerb auf den Internetplattformen ferngehalten werden.
Da es sich vorliegend wegen des Verkaufs auch über den Großhandel nicht um ein selektives Vertriebssystem handelt, lässt sich das Verkaufsverbot auch nicht aus Gesichtspunkten der Qualitätssicherung ausnahmsweise rechtfertigen
Allerdings ist in Rechtsprechung und Literatur für selektive Vertriebssysteme anerkannt, dass eine Beschränkung des erreichbaren Kundenkreises aus Gesichtspunkten der Qualitätssicherung und der Gewährleistung des richtigen Gebrauchs möglich ist, so dass von vornherein keine freistellungsbedürftige Wettbewerbsbeschränkung vorliegt (so z. B. EuGH, Urteil vom 13.10.2011, Rs. C-439/09, BB 2011, 2956 m. BB-Komm. Wegner). Vorliegend handelt es sich jedoch nicht um ein selektives Vertriebssystem, vielmehr veräußert die Beklagte ihre Kameras auch direkt an Großkunden sowie an den Großhandel, der sie wiederum auch an nicht autorisierte Händler weitergibt, ohne dass sie dabei diesen Abnehmern bestimmte Qualitätsanforderungen auferlegt. Sie selbst geht also offenbar nicht davon aus, dass die von ihr an ihre autorisierten Händler gestellten Anforderungen des ausschließlichen Vertriebs über stationären Handel oder einen eigenen Online-Shop erforderlich sind, um die Qualität zu sichern und den richtigen Gebrauch ihrer Produkte zu gewährleisten.
Die beanstandete Vereinbarung ist auch nicht nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO freigestellt
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die beanstandete Vereinbarung auch nicht nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO freigestellt. Denn bei dem Verbot des Vertriebs der Kameras über Internetauktionsplattformen und Internetmarktplätze handelt es sich um eine Kernbeschränkung nach Art. 4 b) Vertikal-GVO, die zum Ausschluss des Rechtsvorteils der Gruppenfreistellung für vertikale Vereinbarungen führt.
Nach Art. 4 b) ist eine Vereinbarung unzulässig, die zu einer Beschränkung der Kundengruppe, an die ein an der Vereinbarung beteiligter Abnehmer verkaufen darf, führt, soweit der passive Verkauf betroffen ist.
Nach Ziffer 52 der Leitlinien für vertikale Beschränkungen der Europäischen Kommission (2010/C 130/01), die wesentliche Gesichtspunkte für eine Auslegung der Vertikal-GVO enthalten (vgl. dazu Schulte/Just, Kartellrecht, 2012, § 2 GWB Rn. 2), werden bestimmte Beschränkungen über die Nutzung des Internets als (Weiter-)Verkaufsbeschränkungen behandelt, weil im Vergleich zu den bisherigen Verkaufsmethoden über das Internet mehr oder andere Kunden schnell und effektiv angesprochen werden können. Nach Auffassung der Kommission, der die Kammer insoweit folgt, liegt daher eine Kernbeschränkung des passiven Verkaufs vor, wenn die Händler daran gehindert werden, mehr und andere Kunden zu erreichen.
Dies ist hier bei dem vom Kläger beanstandeten Verbot des Vertriebs über Internet Auktionsplattformen oder Internetmarktplätze der Fall.
Dabei kommt es auf die Frage, inwiefern Kunden, die in erster Linie über Internetplattformen oder Internetmarktplätze einkaufen, eine eigenständige, nach abstrakten Kriterien abgrenzbare Kundengruppe aus der Gesamtheit aller Internetkäufer darstellen, nicht entscheidend an. Denn für die Annahme einer Kernbeschränkung ist der vollständige Ausschluss der Belieferung einer abgrenzbaren Kundengruppe nicht erforderlich (Immenga-Mestmäcker-Ellger, Wettbewerbsrecht, Band 1. EU/Teil 1 Art. 4 Vertikal-GVO Rn. 58 m. w. N.). Aus dem Schutzzweck der Bestimmung ergibt sich vielmehr, dass es maßgeblich nur darauf ankommen kann, ob die Ansprache von Kunden wesentlich erschwert wird, der Händler also in seiner Kundenreichweite eingeschränkt wird (so auch Schweda/Rudowicz a. a. O.). Dies folgt auch aus der Darstellung der nach Auffassung der Europäischen Kommission unzulässigen Beschränkungen in Ziffer 50 der Leitlinien für vertikale Beschränkungen.
Durch das hier streitgegenständliche Verbot wird den autorisierten Händlern der Beklagten der Zugang zu denjenigen Käufern jedenfalls erheblich erschwert, die ihre Internetkäufe in erster Linie über Plattformen oder Marktplätze abwickeln. Wie oben bereits dargelegt, lassen sich diese Kunden bei der Wahl ihres Einkaufsweges insbesondere durch den sich auf diese Weise bietenden Einkaufskomfort, den Bekanntheitsgrad der jeweiligen Plattform, das ihr entgegengebrachte Vertrauen und durch eine sich einstellende Routine leiten. So ermöglichen sowohl der Amazon Marketplace als auch der Sofortkauf bei eBay eine einfache und schnelle Abwicklung und bieten insbesondere durch Bewertungs- und Käuferschutzmechanismen einen Transaktionsraum, in den viele Nutzer ihr Vertrauen setzen. Der bei einem Einkauf entstehende Suchaufwand ist dadurch, dass sich auf den Plattformen nicht nur Angebote verschiedener Händler unterschiedlicher Marken, sondern auch verschiedene Händler gleicher Marken finden, relativ gering und eine intensive Preisrecherche überflüssig. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass ein Preisvergleich sowie eine Suche nach Händlershops auch über Preisvergleichsportale möglich ist, in denen ebenfalls eine Kundenbewertung stattfindet. Entscheidend kommt es aber darauf an, dass ein nicht unerheblicher Teil derjenigen Käufer, die ihre Transaktionen über das Internet abwickeln, eben nicht über diese Instrumente, sondern über die ihnen bekannten und vertrauten Plattformen wie Amazon oder eBay gehen. Dies gilt gerade auch für die zunehmende Anzahl derjenigen Kunden, die ihre Einkäufe über ihre Smart-phones tätigen. Durch für die Plattformen entwickelte spezielle Apps wird diese Art des Einkaufs deutlich erleichtert. Auch wenn der Kunde über seinen Internetbrowser in der Lage ist, andere Händler zu erreichen, so ist diese Art der Recherche und Bestellung doch deutlich aufwendiger und damit weniger praktikabel, so dass sich der Großteil dieses Kundenkreises darauf beschränken wird, die Apps der Plattformen zu benutzen.
Hinzu kommt, dass, wie oben ebenfalls bereits angeführt, Onlineplattformen gerade für kleinere und in den Online-Vertrieb neu einsteigende Händler einen einfachen und kosten-sowie risikoarmen Zugang zum Vertriebsweg des Internethandels bedeuten. Es trifft zwar zu, dass mittlerweile diverse Webhoster einen vorkonfigurierten Online-shop für relativ geringe monatliche Gebühren zur Verfügung stellen. Es ist der Kammer aber auch aus diversen Verfahren bekannt, dass die Einrichtung eines individuell gestalteten Shops durch ein Softwareunternehmen mit ganz erheblichen Kosten verbunden ist. Hinzu kommt, dass der Händler in jedem Fall einen ganz erheblichen Aufwand für Werbung betreiben muss, um für den Nutzer von Suchmaschinen auf den vorderen Seiten erreichbar zu sein. Die Online-Plattformen können somit die Marktzutrittchancen für Neueinsteiger deutlich reduzieren.
Nach alldem ist das beanstandete Verbot geeignet, die Händler daran zu hindern, mehr und andere Kunden zu erreichen.
Dieser Beurteilung stehen die Ausführungen der Europäischen Kommission in Ziffer 54 der Leitlinien für vertikale Beschränkungen nicht entgegen, wonach dann, wenn sich die Website des Händlers z. B. auf der Plattform eines Dritten befindet, der Anbieter verlangen könne, dass Kunden die Website des Händlers nicht über eine Website aufrufen, die den Namen oder das Logo dieser Plattform tragen. Unter Berücksichtigung des Eingangssatzes dieser Ziffer geht die Kammer vielmehr davon aus, dass die Kommission lediglich klarstellen wollte, dass der Anbieter nach der Vertikal-GVO Qualitätsanforderungen an die Verwendung des Internets zum Weiterverkauf seiner Waren stellen kann, genauso, wie er Qualitätsanforderungen an Geschäfte, den Versandhandel oder Werbe- und Verkaufsförderungsmaßnahmen im Allgemeinen stellen kann. Derartige Qualitätsanforderungen müssen aber stets gerechtfertigt sein. So könnte die Beklagte etwa Anforderungen an die Präsentation der Waren in den Händlershops stellen, ebenso, wie sie dies für den Handel im Ladengeschäft tut. Ein generelles Verbot der Darstellung unter einem fremden Logo erscheint jedoch auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Kommission in Ziffer 54 der Leitlinien unzulässig. Denn das einzige grundsätzlich erkennbare Interesse eines Anbieters, die Darstellung fremder Logos zu untersagen, liegt darin, eine fehlerhafte Zuordnung der betroffenen Ware zu dem Anbieter der Plattform zu verhindern. Gerade im Falle von in einem Händlershop auf einer bekannten Onlineplattform wie eBay oder Amazon Marketplace dargebotenen Waren ist eine solche Fehlzuordnung durch den Kunden jedoch fernliegend und stellt keine reelle Gefahr für berechtigte Interessen des Anbieters dar ...
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