EuGH: Genehmigungsrichtlinie auch auf Festnetztelefonie- und Internetzugangsdienste erbringende Unternehmen anwendbar
EuGH, Urteil vom 27.1.2021 – C‑764/18, Ayuntamiento de Pamplona gegen Orange España SAU
ECLI:EU:C:2021:70
Volltext: BB-Online BBL2021-321-2
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Tenor
1. Die Richtlinie 2002/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und –dienste (Genehmigungsrichtlinie) in der durch die Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sie auch auf Unternehmen Anwendung findet, die Festnetztelefonie- und Internetzugangsdienste erbringen.
2. Die Art. 12 und 13 der Richtlinie 2002/20 in der durch die Richtlinie 2009/140 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, nach der Unternehmen, die Eigentümer von für elektronische Kommunikation erforderlichen Infrastrukturen oder Netzen sind und diese für die Erbringung von Festnetztelefonie- und Internetzugangsdiensten nutzen, zur Entrichtung einer Abgabe verpflichtet sind, deren Höhe sich ausschließlich anhand des von diesen Unternehmen auf dem Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats erzielten jährlichen Bruttoumsatzes bestimmt, nicht entgegenstehen.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 12 und 13 der Richtlinie 2002/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste (Genehmigungsrichtlinie) (ABl. 2002, L 108, S. 21) in der durch die Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 (ABl. 2009, L 337, S. 37) geänderten Fassung (im Folgenden: Genehmigungsrichtlinie).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Ayuntamiento de Pamplona (Stadt Pamplona, Spanien) und der Orange España SAU über die von Orange España zu entrichtende Abgabe für die ausschließliche Nutzung oder die Sondernutzung des Raums auf, über und unter kommunalem öffentlichem Grundbesitz durch Unternehmen, die Versorgungsdienste anbieten (im Folgenden: Abgabe für die Sondernutzung des öffentlichen Raums).
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rahmenrichtlinie
3 Der gemeinsame Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste sowie für zugehörige Einrichtungen und Dienste wird gebildet durch die Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie) (ABl. 2002, L 108, S. 33) in der durch die Richtlinie 2009/140 geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenrichtlinie) sowie durch vier Einzelrichtlinien, zu denen auch die Richtlinie 2002/20 gehört.
4 Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Rahmenrichtlinie bestimmt in seinen Buchst. a und c:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
a) ,elektronisches Kommunikationsnetz‘: Übertragungssysteme und gegebenenfalls Vermittlungs- und Leitwegeinrichtungen sowie anderweitige Ressourcen – einschließlich der nicht aktiven Netzbestandteile –, die die Übertragung von Signalen über Kabel, Funk, optische oder andere elektromagnetische Einrichtungen ermöglichen, einschließlich Satellitennetze, feste (leitungs- und paketvermittelte, einschließlich Internet) und mobile terrestrische Netze, Stromleitungssysteme, soweit sie zur Signalübertragung genutzt werden, Netze für Hör- und Fernsehfunk sowie Kabelfernsehnetze, unabhängig von der Art der übertragenen Informationen;
...
c) ,elektronische Kommunikationsdienste‘: gewöhnlich gegen Entgelt erbrachte Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über elektronische Kommunikationsnetze bestehen, einschließlich Telekommunikations- und Übertragungsdienste in Rundfunknetzen, jedoch ausgenommen Dienste, die Inhalte über elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste anbieten oder eine redaktionelle Kontrolle über sie ausüben; nicht dazu gehören die Dienste der Informationsgesellschaft im Sinne von Artikel 1 der Richtlinie 98/34/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. 1998, L 204, S. 37)], die nicht ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über elektronische Kommunikationsnetze bestehen“.
Genehmigungsrichtlinie
5 In Art. 1 der Genehmigungsrichtlinie heißt es:
„(1) Ziel dieser Richtlinie ist es, durch die Harmonisierung und Vereinfachung der Genehmigungsvorschriften und -bedingungen einen Binnenmarkt für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste zu errichten, damit deren Bereitstellung in der ganzen Gemeinschaft erleichtert wird.
(2) Diese Richtlinie gilt für Genehmigungen, die für die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste erteilt werden.“
6 Art. 2 Abs. 2 der Genehmigungsrichtlinie lautet:
„Darüber hinaus gilt folgende Begriffsbestimmung:
‚Allgemeingenehmigung‘: der in einem Mitgliedstaat festgelegte rechtliche Rahmen, mit dem gemäß dieser Richtlinie Rechte für die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze oder ‑dienste gewährleistet werden und in dem sektorspezifische Verpflichtungen festgelegt werden, die für alle oder für bestimmte Arten von elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten gelten können.“
7 Art. 12 („Verwaltungsabgaben“) der Genehmigungsrichtlinie bestimmt:
„(1) Verwaltungsabgaben, die von Unternehmen verlangt werden, die aufgrund einer Allgemeingenehmigung einen Dienst oder ein Netz bereitstellen oder denen ein Nutzungsrecht gewährt wurde,
a) dienen insgesamt lediglich zur Deckung der administrativen Kosten für die Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung von Allgemeingenehmigungen und Nutzungsrechten sowie der in Artikel 6 Absatz 2 genannten besonderen Verpflichtungen, die die Kosten für internationale Zusammenarbeit, Harmonisierung und Normung, Marktanalyse, Überwachung der Einhaltung und andere Marktkontrollmechanismen sowie für Regulierungstätigkeiten zur Ausarbeitung und Durchsetzung des abgeleiteten Rechts und von Verwaltungsbeschlüssen, beispielsweise von Beschlüssen über den Zugang und die Zusammenschaltung, einschließen können, und
b) werden den einzelnen Unternehmen in einer objektiven, verhältnismäßigen und transparenten Weise auferlegt, bei der die zusätzlichen Verwaltungskosten und zugehörigen Aufwendungen auf ein Mindestmaß reduziert werden.
(2) Erheben die nationalen Regulierungsbehörden Verwaltungsabgaben, so veröffentlichen sie einen jährlichen Überblick über ihre Verwaltungskosten und die insgesamt eingenommenen Abgaben. Entsprechend der Differenz der Gesamtsumme der Abgaben und der Verwaltungskosten werden entsprechende Berichtigungen vorgenommen.“
8 Art. 13 („Entgelte für Nutzungsrechte und für Rechte für die Installation von Einrichtungen“) der Genehmigungsrichtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten können der zuständigen Behörde gestatten, bei Nutzungsrechten für Funkfrequenzen oder Nummern oder bei Rechten für die Installation von Einrichtungen auf, über oder unter öffentlichem oder privatem Grundbesitz Entgelte zu erheben, die eine optimale Nutzung dieser Ressourcen sicherstellen sollen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Entgelte objektiv gerechtfertigt, transparent, nichtdiskriminierend und ihrem Zweck angemessen sind, und tragen den in Artikel 8 [der Rahmenrichtlinie] genannten Zielen Rechnung.“
Spanisches Recht
9 In Art. 2 Abs. 1 der Ordenanza fiscal n.º 22 del Ayuntamiento de Pamplona, reguladora de la tasa por aprovechamientos especiales del suelo, vuelo y subsuelo del dominio público local por las empresas explotadoras de servicios de suministros (Abgabensatzung Nr. 22 der Stadt Pamplona zur Regelung der Abgabe für die Sondernutzung des Raums auf, über und unter kommunalem öffentlichem Grundbesitz durch Unternehmen, die Versorgungsdienste erbringen) vom 28. November 2013 (BO von Navarra Nr. 240 vom 16. Dezember 2013, S. 12766) (im Folgenden: Abgabensatzung Nr. 22/2014) heißt es:
„Der Abgabentatbestand besteht in der ausschließlichen Nutzung oder Sondernutzung des Raums auf, über und unter kommunalem öffentlichem Grundbesitz durch Leitungen, Rohre und Schächte zur Aufnahme von Leitungen für Elektrizität, Wasser, Gas oder jede andere Flüssigkeit sowie für Festnetztelefonie, Mobilfunk und andere elektronische Kommunikationsdienste, insbesondere Leitungsmasten, Kabel, Haltevorrichtungen, Anschluss-, Verteiler- oder Aufzeichnungskästen, Transformatoren, Schienen, Verteiler, Antennen, Verkaufsautomaten sowie andere ähnliche, mit dem Dienst im Zusammenhang stehende Apparate.“
10 Art. 4 Nr. 3 der Abgabensatzung Nr. 22/2014 bestimmt:
„Mobilfunkbetreiber, die nicht Eigentümer des Netzes sind, über das dieser Dienst erbracht wird, sind auch dann nicht zur Zahlung der Abgabe verpflichtet, wenn sie Inhaber von Nutzungsrechten, Zugangsrechten oder Zusammenschaltungsrechten an diesen Netzen sind.
In den übrigen Fällen der Erbringung von Versorgungsdiensten sind sowohl die Eigentümer der genutzten Netze oder Infrastrukturen als auch die Inhaber von Nutzungsrechten, Zugangsrechten oder Zusammenschaltungsrechten an diesen Netzen oder Infrastrukturen Abgabenpflichtige.“
11 Art. 5 Nr. 1 der Abgabensatzung Nr. 22/2014 sieht vor, dass die Bemessungsgrundlage, auf die der Abgabensatz anzuwenden ist, sich nach den jährlichen fakturierten Bruttoumsätzen der Abgabenpflichtigen im städtischen Gebiet bestimmt und die Kriterien für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage nicht auf „Mobilfunkbetreiber“ anzuwenden sind.
12 Gemäß Art. 6 dieser Abgabensatzung beträgt der Abgabensatz 1,5 % der von den Betreibern für die Nutzung fakturierten Bruttoumsätze.
13 Nach Art. 24 des Real Decreto legislativo 2/2004 del 5 de marzo, por el que se aprueba el texto refundido de la Ley Reguladora de Haciendas Locales (Königliches gesetzesvertretendes Dekret 2/2004 vom 5. März 2004 zur Annahme der Neufassung des Gesetzes zur Regelung des kommunalen Finanzwesens, BOE Nr. 59 vom 9. März 2004, S. 10284) und Art. 105 Abs. 1 Unterabs. 3 der Ley Foral 2/1995 de Haciendas Locales de Navarra (Regionalgesetz 2/1995 über das kommunale Finanzwesen von Navarra) vom 10. März 1995 (BO von Navarra Nr. 36 vom 20. März 1995) beläuft sich die Abgabe für die ausschließliche Nutzung oder die Sondernutzung des Raums auf, unter oder über kommunalen öffentlichen Straßen, die von Unternehmen, die Telefoniedienste für die gesamte Bevölkerung oder einen Großteil derselben erbringen, zu entrichten ist, 1,5 % des von diesen Unternehmen im Gebiet der jeweiligen Gemeinde erzielten jährlichen Bruttoumsatzes.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
14 Orange España reichte bei der Stadt Pamplona für die im zweiten Quartal des Jahres 2014 auf dem Gebiet dieser Gemeinde erbrachten Festnetztelefonie- und Internetzugangsdienste eine „Selbstveranlagung“ betreffend die in der Abgabensatzung Nr. 22/2014 vorgesehene Abgabe wegen Sondernutzung des öffentlichen Raums ein.
15 Da nach Auffassung von Orange España die in Rede stehende Abgabe jedoch mit den unionsrechtlichen Vorschriften zur Regelung der Telekommunikationsdienste – insbesondere mit der Genehmigungsrichtlinie – in deren Auslegung durch den Gerichtshof unvereinbar ist, beantragte sie bei der Stadt Pamplona die Berichtigung ihrer „Selbstveranlagung“ sowie die Rückerstattung des von ihr zu viel bezahlten Betrags.
16 Orange España begründete ihren Berichtigungsantrag zunächst damit, dass sie nicht Eigentümerin der von ihr auf dem Gebiet der Gemeinde Pamplona genutzten Netze sei, sondern diese nur aufgrund von Rechten auf Zusammenschaltung nutze. Zudem finde auf die von ihr erbrachten Festnetztelefonie- und Internetzugangsdienste die Genehmigungsrichtlinie in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof Anwendung, soweit es um die Belegung von Mobilfunkunternehmen mit Abgaben und Entgelten gehe. Schließlich sei es nicht mit den Art. 12 und 13 dieser Richtlinie vereinbar, eine ausschließlich anhand eines festen Prozentsatzes der Bruttoumsätze des Unternehmens berechnete Abgabe zu erheben.
17 Die Stadt Pamplona lehnte diesen Antrag ab, weil die Höhe der geschuldeten Abgabe weder sachliche noch rechtliche Fehler aufweise. Orange España erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Juzgado de lo Contencioso Administrativo n° 1 de Pamplona (Verwaltungsgericht Nr. 1 von Pamplona, Spanien). Dieses wies die Klage mit Urteil vom 4. Dezember 2015 ab und stellte fest, dass zum einen Orange España Inhaberin der Infrastruktur sei und als solche nicht von der Zahlung der Abgabe befreit werden könne und zum anderen die Höhe der Abgabe im Einklang mit Art. 105 Abs. 1 Unterabs. 3 des Regionalgesetzes 2/1995 bestimmt worden sei.
18 Orange España legte gegen dieses Urteil Berufung beim Tribunal Superior de Justicia de Navarra (Oberstes Gericht von Navarra) ein. Dieser bestätigte, dass Orange España in ihrer Eigenschaft als Eigentümerin von Netzen und Infrastrukturen in dem im kommunalen Eigentum stehenden öffentlichen Raum zur Entrichtung der in Rede stehenden Abgabe verpflichtet sei. Gleichwohl wurde dem Rechtsmittel teilweise stattgegeben und festgestellt, dass die Methode zur Bestimmung der Höhe dieser Abgabe nicht mit den Art. 12 und 13 der Genehmigungsrichtlinie vereinbar sei und Orange España daher einen Anspruch auf Berichtigung der „Selbstveranlagung“ habe. Die Höhe dieser Abgabe sei unter Berücksichtigung der in diesen Artikeln verankerten Grundsätze der Objektivität und der Verhältnismäßigkeit zu bestimmen und nicht anhand des Brutto- oder des Gesamtumsatzes eines Unternehmens, da diese Berechnung einen höheren als den für die Gewährleistung der optimalen Nutzung knapper Ressourcen erforderlichen Betrag ergebe.
19 Die Stadt Pamplona legte Kassationsbeschwerde beim Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) ein und macht geltend, das Tribunal Superior de Justicia de Navarra (Oberstes Gericht von Navarra) habe die für Mobilfunkanbieter geltende Rechtsprechung des Gerichtshofs, wie sie aus dem Urteil vom 12. Juli 2012, Vodafone España und France Telecom España (C‑55/11, C‑57/11 und C‑58/11, EU:C:2012:446) hervorgehe, dadurch falsch angewandt, dass es sie auf Anbieter von Festnetztelefonie- und Internetzugangsdiensten ausgedehnt habe. Dagegen beruft Orange España sich auf die Genehmigungsrichtlinie, die nicht zwischen Mobilfunkanbietern und Anbietern von Festnetztelefoniediensten unterscheide. Die Auslegung von Art. 13 der Richtlinie, die der Gerichtshof in diesem Urteil vorgenommen habe, sei daher auf jede Situation übertragbar, in der von Anbietern elektronischer Kommunikation eine Abgabe für die Nutzung von Funkfrequenzen oder Nummern oder für die Installation von Einrichtungen erhoben werde. Außerdem weist Orange España darauf hin, dass der Gerichtshof im genannten Urteil nicht darüber entschieden habe, wie die Höhe einer solchen Abgabe zu berechnen sei.
20 Unter diesen Umständen hat das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Sind die Genehmigungsrichtlinie, wie sie vom Gerichtshof in Bezug auf Unternehmen, die im Sektor der Mobilfunktelekommunikation tätig sind, ausgelegt worden ist, und speziell die in ihren Art. 12 und 13 festgelegten Einschränkungen der Ausübung des Rechts der Mitgliedstaaten, Abgaben zu erheben, auch auf Unternehmen anwendbar, die Festnetztelefonie- und Internetdienste erbringen?
2. Sollte die vorstehende Frage bejaht werden (und festgestellt werden, dass die genannte Richtlinie auf die Erbringer von Festnetztelefonie- und Internetdienstleistungen anzuwenden ist), gestatten dann die Art. 12 und 13 der Genehmigungsrichtlinie den Mitgliedstaaten, eine Abgabe oder ein Entgelt zu erheben, die bzw. das ausschließlich anhand der von dem Unternehmen – das Eigentümer der installierten Einrichtungen ist – mit der Erbringung von Festnetztelefonie- und Internetdienste im entsprechenden Gebiet erzielten jährlichen Bruttoumsätze berechnet wird?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
21 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Genehmigungsrichtlinie dahin auszulegen ist, dass sie auch auf Anbieter von Festnetztelefonie- und Internetzugangsdiensten Anwendung findet.
22 Gemäß ihrem Art. 1 Abs. 2 gilt die Genehmigungsrichtlinie für „Genehmigungen, die für die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze und ‑dienste erteilt werden“.
23 Art. 2 Abs. 1 der Genehmigungsrichtlinie sieht vor, dass für die Zwecke dieser Richtlinie „die Begriffsbestimmungen in Artikel 2 der ... Rahmenrichtlinie ... [gelten]“.
24 Folglich ist für die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Genehmigungsrichtlinie auf die in der Rahmenrichtlinie enthaltenen Definitionen der Begriffe „elektronische Kommunikationsnetze“ und „elektronische Kommunikationsdienste“ zurückzugreifen.
25 In Art. 2 Buchst. a der Rahmenrichtlinie wird „elektronisches Kommunikationsnetz“ definiert als „Übertragungssysteme und gegebenenfalls Vermittlungs- und Leitwegeinrichtungen sowie anderweitige Ressourcen – einschließlich der nicht aktiven Netzbestandteile –, die die Übertragung von Signalen über Kabel, Funk, optische oder andere elektromagnetische Einrichtungen ermöglichen, einschließlich Satellitennetze, feste (leitungs- und paketvermittelte, einschließlich Internet) und mobile terrestrische Netze, Stromleitungssysteme, soweit sie zur Signalübertragung genutzt werden, Netze für Hör- und Fernsehfunk sowie Kabelfernsehnetze, unabhängig von der Art der übertragenen Informationen“.
26 Art. 2 Buchst. c der Rahmenrichtlinie definiert „elektronische Kommunikationsdienste“ als „gewöhnlich gegen Entgelt erbrachte Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über elektronische Kommunikationsnetze bestehen, einschließlich Telekommunikations- und Übertragungsdienste in Rundfunknetzen“.
27 Im vorliegenden Fall geht es im Ausgangsverfahren um die Erbringung von Internetzugangs- und Festnetztelefoniediensten über Kabelnetze und andere technische Einrichtungen.
28 Aus den oben angeführten Vorschriften geht hervor, dass diese Richtlinie für die Definition des Begriffs „elektronische Kommunikationsdienste“ nicht zwischen Festnetztelefonie- und Mobilfunkdiensten unterscheidet. Wie der Generalanwalt in Nr. 26 seiner Schlussanträge ausführt, werden gemäß dem zehnten Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie ohne Unterscheidung zwischen Festnetztelefonie und Mobilfunk „Sprachtelefonie- und E-Mail-Übertragungsdienste ... von dieser Richtlinie erfasst“.
29 Auf den Internetzugang nimmt Art. 2 Buchst. a der Rahmenrichtlinie ausdrücklich Bezug und, wie der Generalanwalt in Nr. 27 seiner Schlussanträge weiter ausführt, wird im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie klargestellt, dass der „Zugang zum Internet“ ein elektronischer Kommunikationsdienst ist.
30 Somit ist festzustellen, dass „elektronische Kommunikationsdienste“ im Sinne der Rahmenrichtlinie Dienste sind, die in der Übertragung von Signalen über elektronische Kommunikationsnetze bestehen, unabhängig davon, ob es sich um ein Fest- oder Mobilfunknetz handelt, und dass sie Telefoniedienste – sowohl Festnetz als auch Mobilfunk – und Internetzugangsdienste umfassen. Da für die Festlegung des Geltungsbereichs der Genehmigungsrichtlinie die in der Rahmenrichtlinie enthaltenen Begriffsbestimmungen gelten, folgt aus den vorstehenden Ausführungen, dass die Genehmigungsrichtlinie auf Genehmigungen Anwendung findet, die die Bereitstellung von Netzen sowie von Internetzugangs- und Festnetztelefoniediensten betreffen.
31 Folglich ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Genehmigungsrichtlinie dahin auszulegen ist, dass sie auch auf Unternehmen Anwendung findet, die Festnetztelefonie- und Internetzugangsdienste erbringen.
Zur zweiten Frage
32 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob im Falle einer Bejahung der ersten Frage die Art. 12 und 13 der Genehmigungsrichtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, nach der Unternehmen, die Eigentümer von für elektronische Kommunikation erforderlichen Infrastrukturen oder Netzen sind und diese für die Erbringung von Festnetztelefonie- und Internetzugangsdiensten nutzen, zur Entrichtung einer Abgabe verpflichtet sind, deren Höhe sich ausschließlich anhand des von diesen Unternehmen auf dem Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats erzielten jährlichen Bruttoumsatzes bestimmt.
33 Gemäß ihrem Art. 1 Abs. 2 gilt die Genehmigungsrichtlinie für Genehmigungen, die für die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze und ‑dienste erteilt werden (vgl. Urteil vom 17. Dezember 2015, Proximus, C‑517/13, EU:C:2015:820, Rn. 25).
34 Die Genehmigungsrichtlinie enthält nicht nur Vorschriften über die Verfahren zur Erteilung von Allgemeingenehmigungen oder Nutzungsrechten an Funkfrequenzen oder Nummern sowie zum Inhalt dieser Genehmigungen, sondern auch Vorschriften über die Natur bzw. das Ausmaß der finanziellen Belastungen im Zusammenhang mit diesen Verfahren, die die Mitgliedstaaten den Unternehmen im Sektor der elektronischen Kommunikationsdienste auferlegen können (Urteile vom 4. September 2014, Belgacom und Mobistar, C‑256/13 und C‑264/13, EU:C:2014:2149, Rn. 29, vom 6. Oktober 2015, Base Company, C‑346/13, EU:C:2015:649, Rn. 15, sowie vom 17. Dezember 2015, Proximus, C‑517/13, EU:C:2015:820, Rn. 26).
35 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs dürfen die Mitgliedstaaten im Rahmen der Genehmigungsrichtlinie keine anderen Abgaben oder Entgelte für die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze und ‑dienste als die in der Richtlinie vorgesehenen erheben (Urteil vom 17. Dezember 2015, Proximus, C‑517/13, EU:C:2015:820, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
36 Folglich setzt die Anwendbarkeit der Bestimmungen der Genehmigungsrichtlinie auf eine Abgabe wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende voraus, dass deren Entstehungstatbestand an das Verfahren der Allgemeingenehmigung anknüpft, mit der nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Genehmigungsrichtlinie das Recht auf die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze oder ‑dienste gewährleistet wird (Urteil vom 17. Dezember 2015, Proximus, C‑517/13, EU:C:2015:820, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
37 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsabgaben, die die Mitgliedstaaten gemäß Art. 12 der Genehmigungsrichtlinie von Unternehmen, die aufgrund einer Allgemeingenehmigung elektronische Kommunikationsnetze oder -dienste bereitstellen oder denen ein Nutzungsrecht gewährt wurde, erheben können, um die Tätigkeiten der nationalen Regulierungsbehörde zu finanzieren, insgesamt lediglich der Deckung der administrativen Kosten für die in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie genannten Tätigkeiten dienen dürfen (Urteil vom 30. Januar 2018, X und Visser, C‑360/15 und C‑31/16, EU:C:2018:44, Rn. 64).
38 Außerdem hat der Gerichtshof angemerkt, dass Art. 13 der Genehmigungsrichtlinie nicht alle Entgelte erfasst, die für Infrastrukturen erhoben werden, die die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze und ‑dienste ermöglichen (Urteile vom 4. September 2014, Belgacom und Mobistar, C‑256/13 und C‑264/13, EU:C:2014:2149, Rn. 34, sowie vom 17. Dezember 2015, Proximus, C‑517/13, EU:C:2015:820, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
39 Dieser Artikel betrifft nämlich die Modalitäten der Erhebung von Entgelten bei Nutzungsrechten für Funkfrequenzen oder Nummern oder bei Rechten für die Installation von Einrichtungen auf, über oder unter öffentlichem oder privatem Grundbesitz (Urteil vom 17. Dezember 2015, Proximus, C‑517/13, EU:C:2015:820, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
40 Art. 2 Abs. 1 der Abgabensatzung Nr. 22/2014 bestimmt, dass „[d]er Abgabentatbestand ... in der ausschließlichen Nutzung oder Sondernutzung des Raums auf, über und unter kommunalem öffentlichem Grundbesitz durch Leitungen, Rohre und Schächte zur Aufnahme von Leitungen für Elektrizität, Wasser, Gas oder jede andere Flüssigkeit sowie für Festnetztelefonie, Mobilfunk und andere elektronische Kommunikationsdienste … [besteht]“. Außerdem sind gemäß Art. 4 Nr. 3 dieser Satzung sowohl die Eigentümer der Netze oder der genutzten Infrastruktur als auch die Inhaber eines Nutzungs-, Zugangs- oder Zusammenschaltungsrechts an diesen Netzen, wenn sie nicht Mobilfunkbetreiber sind, zur Zahlung der Abgabe verpflichtet.
41 In Bezug auf Art. 12 der Genehmigungsrichtlinie geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten sowie aus den Antworten der Parteien auf eine Frage des Gerichtshofs in der mündlichen Verhandlung hervor, dass die Abgabe für die Sondernutzung des öffentlichen Raums nicht unter diesen Artikel fällt, weil sie nicht insgesamt auf die Deckung der administrativen Kosten zur Finanzierung der Tätigkeiten der nationalen Regulierungsbehörde abzielt. Somit ist sie keine „Verwaltungsabgabe“ im Sinne dieses Artikels.
42 Folglich steht Art. 12 der Genehmigungsrichtlinie einer nationalen Regelung, die eine solche Abgabe vorsieht, nicht entgegen.
43 Zur Auslegung der in Art. 13 dieser Richtlinie verwendeten Begriffe „Einrichtungen“ und „Installation“ hat der Gerichtshof entschieden, dass sie auf physische Infrastrukturen, die die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste ermöglichen, bzw. auf deren physische Schaffung auf dem betreffenden öffentlichen oder privaten Grundbesitz verweisen (Urteil vom 17. Dezember 2015, Proximus, C‑517/13, EU:C:2015:820, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
44 Jedoch erfasst, wie in Rn. 38 des vorliegenden Urteils ausgeführt, Art. 13 der Genehmigungsrichtlinie nicht alle Entgelte für Infrastrukturen, die die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze und ‑dienste ermöglichen (Urteil vom 4. September 2014, Belgacom und Mobistar, C‑256/13 und C‑264/13, EU:C:2014:2149, Rn. 34).
45 Wie aus Rn. 40 des vorliegenden Urteils hervorgeht, besteht bei der Abgabe für die Sondernutzung des öffentlichen Raums der Abgabentatbestand in der ausschließlichen Nutzung oder Sondernutzung des Raums auf, über und unter kommunalem öffentlichem Grundbesitz durch verschiedene Infrastrukturen, wobei Abgabenschuldner die Betreiber von Netzen oder die Anbieter von Diensten für Elektrizität, Wasser, Gas oder jede andere Flüssigkeit sowie für Festnetztelefonie, Mobilfunk und andere elektronische Kommunikationsdienste sind, die diese Infrastrukturen nutzen oder verwerten.
46 Außerdem sieht Art. 4 Nr. 3 der Abgabensatzung Nr. 22/2014 vor, dass nicht nur die Inhaber eines Nutzungs-, Zugangs- oder Zusammenschaltungsrechts an den Netzen oder genutzten Infrastrukturen abgabenpflichtig sind, sondern auch die Eigentümer derselben einschließlich jener, die diese Netze oder Infrastrukturen nicht selbst verwerten.
47 Daraus folgt, dass der Anwendungsbereich der Abgabe für die Sondernutzung des öffentlichen Raums sich nicht auf die Anbieter elektronischer Kommunikationsnetze oder –dienste oder auf die Inhaber der in Art. 13 der Genehmigungsrichtlinie vorgesehenen Rechte beschränkt; dies zu überprüfen ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. September 2014, Belgacom und Mobistar, C‑256/13 und C‑264/13, EU:C:2014:2149, Rn. 36).
48 Anders als dies zwingend aus Art. 13 der Genehmigungsrichtlinie folgt, sieht die Abgabensatzung Nr. 22/2014 ferner nicht vor, dass bei einer ausschließlichen Nutzung oder einer Sondernutzung des öffentlichen Raums durch verschiedene Infrastrukturen hierfür die natürliche oder juristische Person zu bestimmen wäre, die diese Infrastrukturen installiert hat.
49 Somit kann die gemäß dieser Satzung erhobene Abgabe für die Sondernutzung des öffentlichen Raums nicht als eine Abgabe angesehen werden, die von den Unternehmen, die elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste bereitstellen, als Gegenleistung für die Gewährung des Rechts der Installation von Einrichtungen erhoben wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2015, Proximus, C‑517/13, EU:C:2015:820, Rn. 35).
50 Daher hängt der Entstehungstatbestand der Abgabe für die Sondernutzung des öffentlichen Raums, der gemäß der Abgabensatzung an die Gewährung des Rechts zur Nutzung der Einrichtungen auf, über oder unter kommunalem öffentlichem Grundbesitz gebunden ist, nicht von dem in Rn. 43 des vorliegenden Urteils erörterten Recht auf die Installation solcher Einrichtungen im Sinne von Art. 13 der Genehmigungsrichtlinie ab.
51 Folglich fällt die in der Abgabensatzung 22/2014 vorgesehene Abgabe nicht unter Art. 13 der Genehmigungsrichtlinie.
52 Somit steht Art. 13 der Genehmigungsrichtlinie einer nationalen Regelung, die eine Abgabe wie die Abgabe für die Sondernutzung des öffentlichen Raums vorsieht, nicht entgegen.
53 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Art. 12 und 13 der Genehmigungsrichtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung, nach der Unternehmen, die Eigentümer von für elektronische Kommunikation erforderlichen Infrastrukturen oder Netzen sind und diese für die Erbringung von Festnetztelefonie- und Internetzugangsdiensten nutzen, zur Entrichtung einer Abgabe verpflichtet sind, deren Höhe sich ausschließlich anhand des von diesen Unternehmen auf dem Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats erzielten jährlichen Bruttoumsatzes bestimmt, nicht entgegenstehen.