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Wirtschaftsrecht
28.02.2019
Wirtschaftsrecht
OLG Nürnberg: Geltendmachung von Ansprüchen nach §§ 171, 172 HGB durch den Insolvenzverwalter – Gerichtsstandsbestimmung

OLG Nürnberg, Beschluss vom 7.1.20191 AR 2663/18

Volltext des Beschlusses: BB-online BBL2019-529-1

NICHT AMTLICHER LEITSATZ

Bei der Geltendmachung von Ansprüchen nach §§ 171, 172 HGB durch den Insolvenzverwalter handelt es sich nicht um eine Handelssache.

HGB § 171, § 172; GVG § 95 Abs. 1 Nr. 4 lit. a, § 102 S. 2; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6

Sachverhalt

Der Kläger hat in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der X. die Beklagte als Kommanditistin auf Rückzahlung von erhaltenen Ausschüttungen gemäß §§ 171, 172 HGB in Anspruch genommen. Die Beklagte hat ihre Verteidigungsbereitschaft angezeigt und beantragt, den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen zu verweisen. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 24. Mai 2018 beantragt, den Verweisungsantrag zurückzuweisen, und unter Hinweis auf einen Beschluss des Landgerichts Kassel vom 13. Februar 2017 (5 O 1781/16) ausgeführt, dass es sich bei dem vorliegenden Streit nicht um eine Handelssache handelte.

Das 4. Kammer für Handelssachen des LG Nürnberg-Fürth hat den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen verwiesen und dies damit begründet, dass eine Handelssache vorliege, da es dafür ausreiche, dass der Anspruch gesellschaftsspezifische Rechte und Pflichten unmittelbar berühre. Dies sei bei Geltendmachung von Ansprüchen nach §§ 171, 172 HGB durch den Insolvenzverwalter gegeben. Das LG hat sich dabei u. a. auf einen Beschluss des LG Coburg vom 14. Juni 2017 (23 O 102/17) bezogen.

Der Vorsitzende der 5. Kammer für Handelssachen hat den Parteien mitgeteilt, dass die Verweisung keine Bindungswirkung habe, da ihr jegliche rechtliche Grundlage fehle. Es werde eine gesellschaftsrechtliche Streitigkeit unter Verweis auf Entscheidungen angenommen, die mit den streitgegenständlichen Ansprüchen nichts zu tun hätten. Der Kläger hat diesen Ausführungen zugestimmt und auf eine Entscheidung des OLG Köln vom 13. Juli 2018 (8 AR 38/18) verwiesen, welches in einem derartigen Fall die funktionelle Zuständigkeit der Zivilkammer festgestellt habe. Die Beklagte hat hingegen die Auffassung verteidigt, wonach eine Handelssache gegeben sei, und auf Beschlüsse des LG Passau (1 O 662/17) und des LG Nürnberg-Fürth (13 O 412/17) verwiesen. Die 5. Kammer für Handelssachen hat die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und die Sache an die 4. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.

Die 4. Zivilkammer des LG Nürnberg-Fürth hat eine Rückübernahme des Rechtsstreits abgelehnt und dies mit der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses begründet. Eine obergerichtliche Entscheidung der Fragestellung habe zum Zeitpunkt des Verweisungsbeschlusses nicht vorgelegen.

Aus den Gründen

II. Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung durch das Oberlandesgericht Nürnberg gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO analog liegen vor. Sowohl die 4. Zivilkammer als auch die 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Nürnberg-Fürth haben sich in jeweils unanfechtbaren Beschlüssen für unzuständig erklärt. § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 37 ZPO gelten entsprechend, wenn sich Zivilkammer und Kammer für Handelssachen eines Landgerichts untereinander für unzuständig erklärt haben (OLG Frankfurt, Beschluss vom 27. September 2018 - 11 SV 58/18, juris Rn. 6).

Bei dem vorliegenden Rechtsstreit handelt es sich zwar nicht um eine Handelssache. Die Kammer für Handelssachen ist jedoch aufgrund der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses der 4. Zivilkammer zuständig (vgl. § 102 Satz 2 GVG).

1. Der Senat schließt sich der Meinung des Oberlandesgerichts Frankfurt an, wonach keine Handelssache im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a GVG gegeben ist. Nach dieser Vorschrift sind Handelssachen unter anderem bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus dem Rechtsverhältnis zwischen der Handelsgesellschaft und ihren Mitgliedern, ohne Rücksicht darauf, ob die Gesellschafter Kaufleute sind oder nicht. Hier aber geht es nicht um einen Anspruch der Kommanditgesellschaft gegen einen ihrer Kommanditisten, sondern um einen Anspruch von Gläubigern der Gesellschaft gegen einen Kommanditisten. Der Insolvenzverwalter der Gesellschaft wird gemäß § 171 Abs. 2 HGB insofern treuhänderisch als gesetzlicher Prozessstandschafter zum Zwecke der Gläubigergleichbehandlung tätig, und ein Forderungsübergang auf den Insolvenzverwalter findet nicht statt. Damit handelt es sich in derartigen Fällen gerade nicht um Ansprüche der Handelsgesellschaft, sondern um Ansprüche von Dritten (OLG Frankfurt, Beschluss vom 27. September 2018 - 11 SV 58/18, juris Rn. 8). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. Februar 2018 (II ZR 272/16). Vielmehr wird auch daraus deutlich, dass es bei den streitgegenständlichen Ansprüchen um die Haftung des Kommanditisten nach außen geht.

2. Anders als in den von den Oberlandesgerichten Frankfurt (11 SV 58/18) und Köln (8 AR 38/18) entschiedenen Fällen kommt dem vorliegenden Verweisungsbeschluss der Zivilkammer des Landgerichts jedoch Bindungswirkung nach § 102 Satz 2 GVG zu. Denn das Landgericht hat dem Kläger rechtliches Gehör zu dem Verweisungsantrag der Beklagten gewährt.

Die Bindungswirkung kann zwar auch dann entfallen, wenn der Verweisungsbeschluss jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt jedoch nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015 - X ARZ 115/15, juris Rn. 9 m.w.N.). Zum Zeitpunkt des Verweisungsbeschlusses wurden von den Landgerichten unterschiedliche Ansichten dazu vertreten, ob es sich bei der Geltendmachung von Ansprüchen nach §§ 171, 172 HGB durch den Insolvenzverwalter um eine Handelssache handelt oder nicht. Dass die 4. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth sich der Meinung des Landgerichts Coburg (LG Coburg Beschluss vom 14. Juni 2017 - 23 O 102/17, BeckRS 2017, 145452) angeschlossen hat und daher die vom Kläger vertretene Rechtsauffassung nicht geteilt hat, ist nicht willkürlich. Entgegen der Ansicht der Kammer für Handelssachen bezog sich die Entscheidung des Landgerichts Coburg ausdrücklich darauf, dass der Kläger „als Insolvenzverwalter über das Vermögen der ... gegen den Beklagten als Kommanditisten der Schuldnerin die Rückzahlung von Ausschüttungen gemäß §§ 171, 172 HGB geltend“ macht (LG Coburg Beschluss vom 14. Juni 2017 - 23 O 102/17, BeckRS 2017, 145452), und beschäftigte sich daher mit derselben Fallkonstellation. Auch die vom Landgericht Coburg angegebene Begründung ist nicht als willkürlich anzusehen, da es sich unter Auswertung der Kommentarliteratur mit der einschlägigen Vorschrift auseinandersetzt.

Die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Köln und des Oberlandesgerichts Frankfurt sind jeweils erst nach dem Verweisungsbeschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts ergangen.

 

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