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Wirtschaftsrecht
17.05.2023
Wirtschaftsrecht
BGH: Gehörsverletzung – Unterbliebene Auseinandersetzung mit auf Privatgutachten gestütztem Kernvorbringen

BGH, Beschluss vom 28.3.2023 – VI ZR 29/21

ECLI:DE:BGH:2023:280323BVIZR29.21.0

Volltext: BB-Online BBL2023-1154-3

unter www.betriebs-berater.de

Amtlicher Leitsatz

Zur Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs bei einer unterbliebenen Auseinandersetzung der Entscheidungsgründe mit dem auf Privatgutachten gestützten Kernvorbringen einer Partei.

GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 544 Abs. 9

Aus den Gründen

I.

1          Die Klägerin begehrt von der Beklagten aus übergegangenem Recht die Zahlung von Schadensersatz wegen eines Brandfalls.

 

2          Die Klägerin leistete als Gebäude- und Inhaltsversicherer eines landwirtschaftlichen Anwesens in A. Zahlungen für einen Brandschaden, der am 5. Mai 2012 entstanden war. Die Klägerin behauptet, Ursache des Brandes sei ein Produktfehler einer von der Beklagten hergestellten Geschirrspülmaschine, die sich in der Waschküche des Anwesens befand und zum Zeitpunkt des Brandausbruchs an das Stromnetz angeschlossen, aber nicht in Betrieb war.

 

3          Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.

 

II.

4          Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

 

5          1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es vermöge nicht die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit erlangen, dass ein Produktfehler der Geschirrspülmaschine für den Brand ursächlich sei. Davon ausgehend, dass der Brand in der Geschirrspülmaschine ausgebrochen sein solle, lasse sich die Brandursache nicht mehr ermitteln. Zutreffend habe der Sachverständige darauf hingewiesen, dass nicht feststehe, warum die als Brandherd ausgemachte Geschirrspülmaschine gebrannt habe. Die elektrische Anlage sei nicht untersucht worden. Ebenso wenig sei die Geschirrspülmaschine begutachtet worden. Da die Geschirrspülmaschine entsorgt sei, lasse sich auch nicht mehr feststellen, was letztlich zum Brand geführt habe.

 

6          2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht sich mit dem wesentlichen Vortrag der Klägerin zum konkreten Brandherd hinter dem Bedientableau der Geschirrspülmaschine sowie zum Ausschluss weiterer Brandursachen nicht auseinandergesetzt hat und es sie dadurch in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat.

 

7          a) Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Geht das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht ein, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstanziiert war (BVerfG, NVwZ-RR 2021, 131 Rn. 26; NJW 2009, 1584 Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2022 - II ZR 118/21, NJW-RR 2022, 547 Rn. 12; vom 14. Mai 2019 - VIII ZR 126/18, NJW-RR 2019, 841 Rn. 12; jeweils mwN).

 

8          Zwar muss sich das Gericht nicht mit jedem von einer Partei vorgebrachten Gesichtspunkt auseinandersetzen. Es hat jedoch namentlich den auf eine privatgutachterliche Stellungnahme gestützten Parteivortrag hinreichend in seine Überzeugungsbildung einzubeziehen. Die Entscheidungsgründe müssen erkennen lassen, dass eine Auseinandersetzung mit den sich aus dem Privatgutachten ergebenden Einwendungen stattgefunden hat (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Januar 2015 - VI ZR 204/14, NJW 2015, 1311 Rn. 6; BGH, Beschluss vom 14. Mai 2019 - VIII ZR 126/18, NJW-RR 2019, 841 Rn. 13).

 

9          b) Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht gerecht. Es führt die Einwendungen der Klägerin zwar im Tatbestand umfassend auf, aber die Urteilsgründe lassen eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Klägerin nicht erkennen.

 

10        aa) Der Hinweis des Berufungsgerichts darauf, dass die elektrische Anlage nicht untersucht worden sei, entbehrt der Auseinandersetzung mit dem auf Privatgutachten gestützten Kernvorbringen der Klägerin, wonach eine Ursächlichkeit der "elektrischen Anlage" bzw. der "Elektroinstallation" bereits aufgrund der zur Verfügung stehenden Bilder des Brandorts, der Auskunft des Netzbetreibers bzw. der im Einzelnen ausgeführten technischen Erwägungen ausgeschlossen werden könne. Insoweit hat die Klägerin privatgutachterlich gestützt vorgetragen, dass sich das Feuer ausgehend von der hinter dem Bedienfeld befindlichen Platine nach oben entwickelt habe und dass im unmittelbaren Brandumfeld neben der Geschirrspülmaschine keine weitere Brandursache in Betracht komme. Die Geschirrspülmaschine habe bis zum Bedientableau hinter der Blende unter Spannung gestanden, so dass ein Brandbild, welches sich ausgehend von der Geschirrspülmaschine entwickelt habe, nur aufgrund eines elektronischen Defekts entstanden sein könne, weil andere Zündquellen nicht ersichtlich seien. Es sei bereits fraglich, in welcher Weise die "elektrische Anlage", welche nicht untersucht worden sei, Brandursache sein könne. Die Verkabelungssituation der im Brandumfeld befindlichen Geräte sei hinreichend geklärt. Einen "Oberwellenkurzschluss", welchen der Sachverständige als Brandursache für möglich gehalten habe, gebe es nicht. Soweit der Sachverständige eine "transiente Überspannung" gemeint habe, stehe dies der Annahme eines Produktfehlers nicht entgegen, da für das Auftreten von kurzzeitigen und vorübergehenden Überspannungen VDE-Richtlinien bestünden, wonach elektrische Geräte solchen transienten Überspannungen standhalten müssten. Zudem sei aus der vorgelegten Stellungnahme des Netzbetreibers ersichtlich, dass es im Zeitraum vom 2. bis zum 6. Mai 2012 keine Überspannung gegeben habe.

 

11        bb) Die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Geschirrspülmaschine, die mittlerweile entsorgt worden sei, nicht begutachtet worden sei und dass sich deshalb die Brandursache nicht mehr feststellen lasse, beinhaltet keine Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Klägerin, dass mit den Lichtbildern des Brandorts und den - von den Zeugen bekundeten - Erkenntnissen vor Ort ausreichend Indizien für die Brandursächlichkeit eines Produktfehlers bestünden.

 

12        c) Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich (§ 544 Abs. 9 ZPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei gebotener Auseinandersetzung mit dem privatsachverständig gestützten klägerischen Vortrag zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

 

13        2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

 

14        a) Der Geschädigte muss nur beweisen, dass sein Schaden im Organisations- und Gefahrenbereich des Herstellers durch einen objektiven Mangel oder Zustand der Verkehrswidrigkeit ausgelöst worden ist; er braucht nicht aufzuklären, ob der Produktfehler auf eine von dem Hersteller zu verantwortende Verletzung der Sorgfaltspflicht zurückzuführen ist und auf welche Weise die (etwaige) Pflichtverletzung zur Fehlerentstehung geführt hat (Senatsurteil vom 30. April 1991 - VI ZR 178/90, BGHZ 114, 284, 296, juris Rn. 57). Stammen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme alle verbleibenden möglichen Ursachen erwiesenermaßen aus dem Verantwortungsbereich des Herstellers, ist ein Produktfehler nachgewiesen, auch wenn als Ursachen sowohl Konstruktions- als auch Fabrikationsfehler in Betracht kommen, der Schaden also auf einem Konstruktions- oder Fabrikationsfehler beruht (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 1976 - VIII ZR 137/75, BGHZ 67, 359-367 [insoweit nicht abgedruckt], juris Rn. 22 f. - Schwimmschalter; Staudinger/J. Hager [2021] BGB § 823 Rn. F 39 mwN).

 

15        b) Der Umstand, dass der angeblich produktfehlerhafte Gegenstand nicht mehr vorhanden ist, schließt den Beweis eines Produktfehlers nicht grundsätzlich aus.

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