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Wirtschaftsrecht
08.08.2024
Wirtschaftsrecht
EuGH: GEMA/GL – Öffentliche Wiedergabe bei Zurverfügungstellung von mit Zimmerantenne ausgestatteten Fernsehgeräten in Hotels

EuGH, Urteil vom 20.6.2024 – C-135/23, Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte e. V. (GEMA) gegen GL

ECLI:EU:C:2024:526

Volltext: BB-Online BBL2024-1857-2

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass es unter den Begriff „öffentliche Wiedergabe“ in dieser Bestimmung fällt, wenn der Betreiber eines Hauses mit Mietapartments mit Absicht mit einer Zimmerantenne ausgestattete Fernsehgeräte, die ohne weiteres Tätigwerden Signale empfangen und die Über-tragung von Sendungen ermöglichen, zur Verfügung stellt, sofern die Mieter dieser Apartments als „neues Publikum“ angesehen werden können.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10).

 

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte e. V. (GEMA), einer Verwertungsgesellschaft für Urheberrechte, und GL, dem Betreiber eines Apartmenthauses, wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen seitens GL dadurch, dass in den von ihm betriebenen Apartments mit einer Zimmerantenne zum Empfang von Signalen und zur Übertragung von Sendungen, insbesondere von Musiksendungen, ausgestattete Fernsehgeräte zur Verfügung gestellt würden.

 

Rechtlicher Rahmen

Internationales Recht

3          Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) nahm am 20. Dezember 1996 in Genf den WIPO-Urheberrechtsvertrag (im Folgenden: WCT) an, der mit Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 (ABl. 2000, L 89, S. 6) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt wurde und am 14. März 2010 für die Europäische Union in Kraft trat (ABl. 2010, L 32, S. 1).

 

4          Art. 8 („Recht der öffentlichen Wiedergabe“) des WCT bestimmt:

„Unbeschadet der Bestimmungen von Artikel 11 Absatz 1 Ziffer 2, Artikel 11 bis Absatz 1 Ziffern 1 und 2, Artikel 11 ter Absatz 1 Ziffer 2, Artikel 14 Absatz 1 Ziffer 2 und Artikel 14 bis Absatz 1 der [am 9. September 1886 in Bern unterzeichneten Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und der Kunst (Pariser Fassung vom 24. Juli 1971) in der Fassung der Änderung vom 28. September 1979] haben die Urheber von Werken der Literatur und Kunst das ausschließliche Recht, die öffentliche drahtlose oder drahtgebundene Wiedergabe ihrer Werke zu erlauben, einschließlich der Zugänglichmachung ihrer Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit an Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind.“

 

5          Die Diplomatische Konferenz des WIPO gab am 20. Dezember 1996 Vereinbarte Erklärungen zum WCT ab.

 

6          In der Vereinbarten Erklärung zu Art. 8 WCT heißt es:

„Die Bereitstellung der materiellen Voraussetzungen, die eine Wiedergabe ermöglichen oder bewirken, stellt für sich genommen keine Wiedergabe im Sinne dieses Vertrags oder der [Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst in der Fassung der Änderung vom 28. September 1979] dar. …“

 

Unionsrecht

7          In den Erwägungsgründen 4, 9, 10, 23 und 27 der Richtlinie 2001/29 heißt es:

„(4) Ein harmonisierter Rechtsrahmen zum Schutz des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte wird durch erhöhte Rechtssicherheit und durch die Wahrung eines hohen Schutzniveaus im Bereich des geistigen Eigentums substantielle Investitionen in Kreativität und Innovation fördern … und somit zu Wachstum und erhöhter Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie beitragen …

(9) Jede Harmonisierung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte muss von einem hohen Schutzniveau ausgehen, da diese Rechte für das geistige Schaffen wesentlich sind. Ihr Schutz trägt dazu bei, die Erhaltung und Entwicklung kreativer Tätigkeit im Interesse der Urheber, ausübenden Künstler, Hersteller, Verbraucher, von Kultur und Wirtschaft sowie der breiten Öffentlichkeit sicherzustellen. Das geistige Eigentum ist daher als Bestandteil des Eigentums anerkannt worden.

(10) Wenn Urheber und ausübende Künstler weiter schöpferisch und künstlerisch tätig sein sollen, müssen sie für die Nutzung ihrer Werke eine angemessene Vergütung erhalten, was ebenso für die Produzenten gilt, damit diese die Werke finanzieren können. Um Produkte wie Tonträger, Filme oder Multimediaprodukte herstellen und Dienstleistungen, z. B. Dienste auf Abruf, anbieten zu können, sind beträchtliche Investitionen erforderlich. Nur wenn die Rechte des geistigen Eigentums angemessen geschützt werden, kann eine angemessene Vergütung der Rechtsinhaber gewährleistet und ein zufrieden stellender Ertrag dieser Investitionen sichergestellt werden.

(23) Mit dieser Richtlinie sollte das für die öffentliche Wiedergabe geltende Urheberrecht weiter harmonisiert werden. Dieses Recht sollte im weiten Sinne verstanden werden, nämlich dahin gehend, dass es jegliche Wiedergabe an die Öffentlichkeit umfasst, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe ihren Ursprung nimmt, nicht anwesend ist. Dieses Recht sollte jegliche entsprechende drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Übertragung oder Weiterverbreitung eines Werks, einschließlich der Rundfunkübertragung, umfassen. Dieses Recht sollte für keine weiteren Handlungen gelten.

(27) Die bloße Bereitstellung der Einrichtungen, die eine Wiedergabe ermöglichen oder bewirken, stellt selbst keine Wiedergabe im Sinne dieser Richtlinie dar.“

 

8          Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.“

 

Deutsches Recht

9          § 15 des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 9. September 1965 (BGBl. 1965 I S. 1273) bestimmt in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung:

„ …

(2) Der Urheber hat ferner das ausschließliche Recht, sein Werk in unkörperlicher Form öffentlich wiederzugeben (Recht der öffentlichen Wiedergabe). Das Recht der öffentlichen Wiedergabe umfasst insbesondere

1. das Vortrags‑, Aufführungs- und Vorführungsrecht (§ 19),

2. das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a),

3. das Senderecht (§ 20),

4. das Recht der Wiedergabe durch Bild- oder Tonträger (§ 21),

5. das Recht der Wiedergabe von Funksendungen und von öffentlicher Zugänglichmachung (§ 22).

(3) Die Wiedergabe ist öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Zur Öffentlichkeit gehört jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist.“

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

10        Die GEMA ist eine Einrichtung zur kollektiven Verwaltung von Urheberrechten im Musikbereich. Sie macht vor dem Amtsgericht Potsdam (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, gegen GL, der ein Haus mit 18 Apartments betreibt, Schadensersatzansprüche aus Urheberrecht geltend und führt zur Begründung aus, dass GL in diesen Apartments mit einer Zimmerantenne ausgestattete Fernsehgeräte zur Verfügung stelle, mit denen Signale empfangen und Sendungen, insbesondere Musik, in diese Apartments übertragen werden könnten, und dadurch gegen § 15 des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung verstoße.

 

11        Das vorlegende Gericht hegt insbesondere im Hinblick darauf, dass das in Rede stehende Haus nicht über eine „zentrale Antenne“ verfügt, die es ermöglicht, Signale in diese Apartments weiterzuleiten, Zweifel daran, ob es sich bei einer solchen Zurverfügungstellung um eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 handele.

 

12        Es weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 7. Dezember 2006, SGAE (C‑306/05, EU:C:2006:764), entschieden habe, dass das bloße körperliche Bereitstellen von Einrichtungen als solches keine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie sei, dass aber die Verbreitung eines Signals mittels in den Hotelzimmern aufgestellter Fernsehgeräte, die ein Hotel für seine Gäste vornehme, unabhängig davon, mit welcher Technik das Signal übertragen werde, eine solche Wiedergabe darstelle. In seinem Beschluss vom 18. März 2010, Organismos Sillogikis Diacheirisis Dimiourgon Theatrikon kai Optikoakoustikon Ergon (C‑136/09, EU:C:2010:151), sei der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Hotel eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne dieser Bestimmung vornehme, wenn es in den Hotelzimmern Fernsehgeräte aufstelle und sie mit der „Zentralantenne“ des Hotels verbinde, vermittels derer diese Fernsehgeräte Rundfunksendungen empfangen könnten. Es ergebe sich jedoch aus dem Urteil vom 2. April 2020, Stim und SAMI (C‑753/18, EU:C:2020:268), dass es sich bei der Bereitstellung von Radioempfangsgeräten in Mietwagen um keine derartige öffentliche Wiedergabe handele.

 

13        Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts lässt sich anhand dieser Rechtsprechung die Frage nicht zweifelsfrei beantworten, ob es sich um eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 handelt, wenn der Betreiber eines Apartmenthauses, ohne dass eine „zentrale Antenne“ vorhanden wäre, mit einer Zimmerantenne ausgestattete Fernsehgeräte zur Verfügung stellt, mit denen Signale empfangen und Sendungen in diese Apartments übertragen werden können.

 

14        Unter diesen Umständen hat das Amtsgericht Potsdam beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

 

Stellt es eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 2001/29 dar, wenn der Betreiber eines Apartmenthauses in dem Apartmenthaus Fernseher zur Verfügung stellt, die ohne einen zentralen Empfang für eine Weiterleitung der Signale Sendungen jeweils über eine Zimmerantenne empfangen?

 

Zur Vorlagefrage

15        Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass es unter den Begriff „öffentliche Wiedergabe“ in dieser Bestimmung fällt, wenn der Betreiber eines Hauses mit Mietapartments mit einer Zimmerantenne ausgestattete Fernsehgeräte zur Verfügung stellt, die ohne weiteres Tätigwerden Signale empfangen und die Übertragung von Sendungen ermöglichen.

 

16        Es ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vorsehen, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten, einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit an Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind.

 

17        Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, verfügen die Urheber nach dieser Bestimmung über ein Recht vorbeugender Art, das es ihnen erlaubt, sich bei Nutzern ihrer Werke vor der öffentlichen Wiedergabe, die diese Nutzer möglicherweise durchzuführen beabsichtigen, einzuschalten, und zwar, um diese zu verbieten (Urteile vom 31. Mai 2016, Reha Training, C‑117/15, EU:C:2016:379, Rn. 30, und vom 20. April 2023, Blue Air Aviation, C‑775/21 und C‑826/21, EU:C:2023:307, Rn. 44 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

18        Da in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ nicht präzisiert wird, sind Sinn und Tragweite dieses Begriffs mit Blick auf die Ziele, die mit dieser Richtlinie verfolgt werden, und den Zusammenhang, in den sich die auszulegende Vorschrift einfügt, zu bestimmen (Urteil vom 20. April 2023, Blue Air Aviation, C‑775/21 und C‑826/21, EU:C:2023:307, Rn. 45 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

19        Was diese Ziele betrifft, so hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29, wie im 23. Erwägungsgrund dieser Richtlinie hervorgehoben, in weitem Sinne verstanden werden sollte, nämlich dahin, dass er jegliche Wiedergabe an die Öffentlichkeit, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe ihren Ursprung nimmt, nicht anwesend ist, und somit jegliche entsprechende drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Übertragung oder Weiterverbreitung eines Werks, einschließlich der Rundfunkübertragung, umfasst. Aus den Erwägungsgründen 4, 9 und 10 dieser Richtlinie ergibt sich nämlich, dass deren Hauptziel darin besteht, ein hohes Schutzniveau für die Urheber zu erreichen und diesen damit die Möglichkeit zu geben, für die Nutzung ihrer Werke u. a. bei einer öffentlichen Wiedergabe eine angemessene Vergütung zu erhalten (Urteil vom 20. April 2023, Blue Air Aviation, C‑775/21 und C‑826/21, EU:C:2023:307, Rn. 46 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

20        Was den Zusammenhang, in den sich die in Rede stehende Vorschrift einfügt, anbelangt, so stellt gemäß dem 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29, der im Wesentlichen die Vereinbarte Erklärung zu Art. 8 WCT übernimmt, „[d]ie bloße Bereitstellung der Einrichtungen, die eine Wiedergabe ermöglichen oder bewirken, … selbst keine Wiedergabe im Sinne dieser Richtlinie dar“ (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. April 2020, Stim und SAMI, C‑753/18, EU:C:2020:268, Rn. 33).

 

21        Nach ständiger Rechtsprechung vereint der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne dieses Art. 3 Abs. 1 zwei kumulative Tatbestandsmerkmale, nämlich eine Handlung der Wiedergabe eines Werks und seine öffentliche Wiedergabe, und erfordert eine individuelle Beurteilung (Urteile vom 31. Mai 2016, Reha Training, C‑117/15, EU:C:2016:379, Rn. 37, und vom 20. April 2023, Blue Air Aviation, C‑775/21 und C‑826/21, EU:C:2023:307, Rn. 47 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

22        Im Rahmen einer derartigen Beurteilung sind eine Reihe weiterer Kriterien zu berücksichtigen, die unselbständig und miteinander verflochten sind. Da diese Kriterien im jeweiligen Einzelfall in sehr unterschiedlichem Maß vorliegen können, sind sie einzeln und in ihrem Zusammenwirken mit den anderen Kriterien anzuwenden (Urteile vom 31. Mai 2016, Reha Training, C‑117/15, EU:C:2016:379, Rn. 35, und vom 20. April 2023, Blue Air Aviation, C‑775/21 und C‑826/21, EU:C:2023:307, Rn. 48 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

23        Unter diesen Kriterien hat der Gerichtshof die zentrale Rolle des Nutzers und der Vorsätzlichkeit seines Tätigwerdens hervorgehoben. Der Nutzer nimmt nämlich eine „Handlung der Wiedergabe“ vor, wenn er in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens tätig wird, um seinen Kunden Zugang zu einem geschützten Werk zu verschaffen, und zwar insbesondere dann, wenn ohne dieses Tätigwerden die Kunden das ausgestrahlte Werk nicht empfangen könnten (Urteile vom 31. Mai 2016, Reha Training, C‑117/15, EU:C:2016:379, Rn. 46, und vom 20. April 2023, Blue Air Aviation, C‑775/21 und C‑826/21, EU:C:2023:307, Rn. 49 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

24        Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass es nicht unerheblich ist, ob eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 Erwerbszwecken dient, auch wenn der Erwerbszweck keine zwingende Voraussetzung für das Vorliegen einer öffentlichen Wiedergabe ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. April 2023, Blue Air Aviation, C‑775/21 und C‑826/21, EU:C:2023:307, Rn. 50 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

25        In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof entschieden, dass die „Aufnahmebereitschaft“ der Öffentlichkeit insoweit von Bedeutung sein kann, als die Verbreitung geschützter Werke Erwerbszwecken dient, wenn der Nutzer daraus einen wirtschaftlichen Nutzen ziehen kann, der mit der Attraktivität und daher der größeren Frequentierung der Einrichtung, in der er diese Verbreitung vornimmt, verbunden ist, während ein wirtschaftlicher Nutzen fehlt, wenn die angesprochenen Verkehrskreise einer solchen Verbreitung keine Bedeutung beimessen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Mai 2016, Reha Training, C‑117/15, EU:C:2016:379, Rn. 50 bis 52).

 

26        So ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es insbesondere die zentrale Rolle des Nutzers, um seinen Kunden Zugang zu geschützten Werken zu verschaffen, und die Vorsätzlichkeit seines Tätigwerdens, insbesondere wenn dieses Erwerbszwecken dient, für die Zwecke der Anwendung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 ermöglichen, zwischen der „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne dieser Bestimmung und der „bloßen Bereitstellung von Einrichtungen“ im Sinne des 27. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie zu unterscheiden.

 

27        Im Hinblick auf diese Grundsätze, die sich aus einer ständigen Rechtsprechung ergeben, hat der Gerichtshof entschieden, dass weder die Bereitstellung eines Radioempfangsgeräts, das in ein Mietfahrzeug eingebaut ist und das ohne weiteres Tätigwerden seitens der vermietenden Gesellschaft die terrestrische Rundfunkübertragung empfangen kann, die in dem Gebiet, in dem sich das Fahrzeug befindet, zugänglich ist, noch die Bereitstellung einer Lautsprecheranlage und gegebenenfalls einer Software, die die Ausstrahlung von Hintergrundmusik ermöglicht, „Wiedergabehandlungen“ darstellen. Bei solchen Handlungen handelt es sich nämlich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs um die „Bereitstellung der Einrichtungen“ im Sinne des 27. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2001/29 (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. April 2020, Stim und SAMI, C‑753/18, EU:C:2020:268, Rn. 34, sowie vom 20. April 2023, Blue Air Aviation, C‑775/21 und C‑826/21, EU:C:2023:307, Rn. 69).

 

28        Hierbei hat der Gerichtshof insbesondere darauf hingewiesen, dass, falls der bloße Umstand, dass die Nutzung einer Anlage dafür erforderlich ist, damit die Öffentlichkeit tatsächlich in den Genuss des Werkes gelangen kann, automatisch dazu führen würde, dass das Tätigwerden desjenigen, der diese Anlage zur Verfügung stellt, als Handlung der „öffentlichen Wiedergabe“ einzustufen wäre, schon jede „Bereitstellung der Einrichtungen, die eine Wiedergabe ermöglichen oder bewirken“, eine solche Handlung darstellen würde: Dies schließt der 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29, der im Wesentlichen die Vereinbarte Erklärung zu Art. 8 WCT übernimmt, jedoch explizit aus (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. April 2023, Blue Air Aviation, C‑775/21 und C‑826/21, EU:C:2023:307, Rn. 68 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

29        Dagegen hat der Gerichtshof in Bezug auf die Betreiber einer Gastwirtschaft, eines Hotels, einer Kureinrichtung und eines Rehabilitationszentrums entschieden, dass sie dann eine Wiedergabe vornehmen, wenn sie geschützte Werke absichtlich dadurch an ihre Kunden übertragen, dass sie willentlich ein Signal über Fernseh- oder Radioempfänger, die sie in ihrer Einrichtung installiert haben, verbreiten (vgl. insbesondere Urteile vom 7. Dezember 2006, SGAE, C‑306/05, EU:C:2006:764, Rn. 46, vom 4. Oktober 2011, Football Association Premier League u. a., C‑403/08 und C‑429/08, EU:C:2011:631, Rn. 196, vom 27. Februar 2014, OSA, C‑351/12, EU:C:2014:110, Rn. 26, sowie vom 31. Mai 2016, Reha Training, C‑117/15, EU:C:2016:379, Rn. 55 und 56).

 

30        In dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof im Wesentlichen festgestellt, dass es sich, wenn der Betreiber einer Einrichtung willentlich seinen Kunden Signale und Fernseh- oder Radiogeräte bereitstellt, die die Übertragung von in diesen Signalen kodierten Sendungen ermöglichen und an mehreren Orten dieser Einrichtung installiert sind, um Handlungen der „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 handelt, ohne dass es darauf ankommt, welche Technik zur Übertragung des Signals verwendet wird.

 

31        Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass der Betreiber des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Apartmenthauses den Mietern dieser Apartments mit einer Zimmerantenne ausgestattete Fernsehgeräte zur Verfügung stellt, für die feststeht, dass sie Signale empfangen und die Übertragung von Sendungen, insbesondere von Musik, ermöglichen.

 

32        Es ist zwar Sache des nationalen Gerichts, im Hinblick auf die in den Rn. 19 bis 30 des vorliegenden Urteils dargelegten Erwägungen zu beurteilen, ob ein Betreiber eines Hauses wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine Handlung der „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vornimmt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. März 2012, Phonographic Performance [Ireland], C‑162/10, EU:C:2012:141, Rn. 39), doch ist es Aufgabe des Gerichtshofs, insoweit zweckdienliche Hinweise zu geben, damit das vorlegende Gericht über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheiden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Mai 2022, BV, C‑570/20, EU:C:2022:348, Rn. 44).

 

33        Insoweit ist erstens, wie der Generalanwalt in den Nrn. 40 und 50 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht, davon auszugehen, dass der Betreiber eines Apartmenthauses durch die Ausstattung der Apartments mit Fernsehgeräten und Zimmerantennen, die ohne weiteres Tätigwerden Signale empfangen und die Übertragung von Sendungen, insbesondere von Musik, in diese Apartments ermöglichen, mit der Absicht tätig wird, um seinen Kunden Zugang zu solchen Sendungen in den gemieteten Apartments und während der Mietzeit zu verschaffen, ohne dass es darauf ankommt, ob sie diese Möglichkeit nutzen oder nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juni 2017, Stichting Brein, C‑610/15, EU:C:2017:456, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

34        Zudem ist das Tätigwerden dieses Betreibers, durch das dessen Gästen Zugang zu über den Rundfunk übertragenen Werken verschafft wird, als eine zusätzliche Dienstleistung anzusehen, die erbracht wird, um daraus einen gewissen Nutzen zu ziehen.

 

35        Das Angebot dieser Dienstleistung wirkt sich nämlich auf den Standard der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Apartments und damit auf den Preis für die Vermietung der Zimmer aus (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. März 2012, SCF, C‑135/10, EU:C:2012:140, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung) bzw., wie in Rn. 25 des vorliegenden Urteils ausgeführt, auf ihre Attraktivität und folglich auf ihre Frequentierung. Somit ist davon auszugehen, dass das Angebot einer solchen Dienstleistung den Nachweis ermöglicht, dass die Wiedergabe im Sinne der in den Rn. 24 und 25 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung Erwerbszwecken dient.

 

36        Für die vom vorlegenden Gericht vorzunehmende Prüfung ist der von ihm hervorgehobene Umstand unerheblich, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Fernsehgeräte mit einer „Zimmerantenne“ verbunden sind und nicht mit einer „zentralen Antenne“ wie derjenigen, um die es in der Rechtssache ging, in der der Beschluss vom 18. März 2010, Organismos Sillogikis Diacheirisis Dimiourgon Theatrikon kai Optikoakoustikon Ergon (C‑136/09, EU:C:2010:151), ergangen ist.

 

37        Eine solche Unterscheidung zwischen Zentral- und Zimmerantennen stünde nämlich nicht im Einklang mit dem Grundsatz der Technologieneutralität, wonach das Gesetz die Rechte und Pflichten der Personen allgemein bezeichnen muss, damit nicht eine Technologie einer anderen vorgezogen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. März 2022, Austro-Mechana, C‑433/20, EU:C:2022:217, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

38        Zweitens verlangt der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29, dass die geschützten Werke tatsächlich öffentlich wiedergegeben werden. Insoweit hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass der Begriff „Öffentlichkeit“ eine unbestimmte Zahl möglicher Adressaten umfasst und im Übrigen recht viele Personen voraussetzt (Urteil vom 20. April 2023, Blue Air Aviation, C‑775/21 und C‑826/21, EU:C:2023:307, Rn. 51 und 52 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

39        Somit beinhaltet der Begriff „Öffentlichkeit“ eine bestimmte Mindestschwelle, womit dieser Begriff eine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen ausschließt. Bei der Bestimmung dieser Zahl ist insbesondere zu berücksichtigen, wie viele Personen gleichzeitig Zugang zu demselben Werk haben können, aber auch, wie viele von ihnen nacheinander Zugang zu diesem Werk haben können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 31. Mai 2016, Reha Training, C‑117/15, EU:C:2016:379, Rn. 43 und 44, sowie vom 19. Dezember 2019, Nederlands Uitgeversverbond und Groep Algemene Uitgevers, C‑263/18, EU:C:2019:1111, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

40        Im vorliegenden Fall macht das vorlegende Gericht keine Angaben zur Zahl der Personen, die gleichzeitig oder nacheinander Zugang zu den Werken haben können, außer dahin gehend, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Haus 18 Apartments umfasst. Das vorlegende Gericht gibt insbesondere nicht an, ob die Apartments kurzzeitig vermietet werden, namentlich als Unterkunft für Touristen, was sich auf die Zahl der Personen auswirken kann, die nacheinander Zugang zu den in Rede stehenden Werken haben können.

 

41        Nach der in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ist es Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, ob geschützte Werke im Sinne der in den Rn. 38 und 39 dieses Urteils angeführten Rechtsprechung tatsächlich „öffentlich“ wiedergegeben werden, und Sache des Gerichtshofs, ihm insoweit sachdienliche Hinweise zu geben.

 

42        Wie der Generalanwalt in Nr. 36 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sollten, falls das vorlegende Gericht feststellen sollte, dass die Apartments des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Hauses kurzzeitig vermietet werden, namentlich als Unterkunft für Touristen, ihre Bewohner als „Öffentlichkeit“ anzusehen sein, da sie in ihrer Gesamtheit wie Hotelgäste eine unbestimmte Zahl potenzieller Leistungsempfänger bilden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. März 2012, Phonographic Performance [Ireland], C‑162/10, EU:C:2012:141, Rn. 41 und 42).

 

43        Drittens ist es nach ständiger Rechtsprechung für eine Einstufung als „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 erforderlich, dass ein geschütztes Werk unter Verwendung eines spezifischen technischen Verfahrens, das sich von den bisher verwendeten unterscheidet, oder ansonsten für ein „neues Publikum“ wiedergegeben wird, d. h. für ein Publikum, an das der Rechtsinhaber nicht bereits gedacht hatte, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe erlaubte (Urteil vom 22. Juni 2021, YouTube und Cyando, C‑682/18 und C‑683/18, EU:C:2021:503, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

44        Wie der Generalanwalt in Nr. 59 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, können Mieter von Apartments in einem Haus, in dem kurzzeitige Vermietungen, namentlich als Unterkunft für Touristen, erfolgen, ein solches „neues“ Publikum bilden: Denn diese Personen könnten, obwohl sie sich im Sendegebiet der Sendung aufhalten, ohne das Tätigwerden des Betreibers dieses Hauses, das darin besteht, dass er in den Apartments mit einer Zimmerantenne ausgestattete Fernsehgeräte aufstellt, grundsätzlich nicht in den Genuss des ausgestrahlten Werks kommen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Mai 2016, Reha Training, C‑117/15, EU:C:2016:379, Rn. 46 und 47).

 

45        Dagegen können, wie der Generalanwalt in Nr. 60 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, falls das vorlegende Gericht feststellen sollte, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Apartments als Wohnsitz an Mieter vermietet werden, diese nicht als „neues Publikum“ im Sinne der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung angesehen werden.

 

46        Nach alledem ist auf die Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass es unter den Begriff „öffentliche Wiedergabe“ in dieser Bestimmung fällt, wenn der Betreiber eines Hauses mit Mietapartments mit Absicht mit einer Zimmerantenne ausgestattete Fernsehgeräte, die ohne weiteres Tätigwerden Signale empfangen und die Übertragung von Sendungen ermöglichen, zur Verfügung stellt, sofern die Mieter dieser Apartments als „neues Publikum“ angesehen werden können.

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