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Wirtschaftsrecht
09.11.2023
Wirtschaftsrecht
KG: Funktionelle Zuständigkeit der KfH für Beschlussmängelklagen gegen GmbH-Gesellschafterbeschlüsse

KG, Beschluss vom 26.9.2023 – 2 AR 39/22

Volltext: BB-Online BBL2023-2626-6

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Amtliche Leitsätze

Die bei den Landgerichten eingerichteten Kammern für Handelssachen sind für Beschlussmängelklagen gegen Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH in entsprechender Anwendung von § 246 Abs. 3 S. 2 AktG funktionell ausschließlich zuständig. Entsprechende Klageverfahren sind daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen an die Kammer für Handelssachen abzugeben, ohne dass es des Antrags einer Partei bedarf.

§ 246 Abs. 3 S. 2 AktG, § 94 ff. GVG

Aus den Gründen

I.          Die Parteien streiten um die Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen einer GmbH. Der Kläger und die Nebenintervenientin sind jeweils zur Hälfte an der beklagten GmbH betei-ligt. Der Kläger ist darüber hinaus zum alleinigen Geschäftsführer bestellt. Er wendet sich mit einer am 9. Januar 2023 (Montag) bei dem Landgericht Berlin eingegangen Beschlussanfech-tungsklage gegen in einer Gesellschafterversammlung vom 8. Dezember 2022 gefasste Be-schlüsse der Beklagten. Um einen unzulässigen In-sich-Prozess zu vermeiden, hat der Kläger beantragt, die Klage der späteren Nebenintervenientin als gesetzlicher Vertreterin der Beklag-ten zustellen, und hilfsweise die Bestellung eines Prozesspflegers angeregt.

Die zunächst mit der Sache befasste allgemeine Zivilkammer 88 des Landgerichts hat mit einer Verfügung vom 6. April 2023 einen frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 29. September 2023 anberaumt und der Beklagten eine Klageerwiderungsfrist von vier Wochen gesetzt. Mit einem Schriftsatz vom 19. Mai 2023 ist die Mitgesellschafterin des Klägers dem Rechtsstreit als streitgenössische Nebenintervenientin beigetreten. Mit einer formlosen Verfügung vom 12. Juli 2023 hat die Zivilkammer 88 die Sache schließlich an die Kammern für Handelssachen des Landgerichts abgeben, weil deren ausschließliche funktio-nelle Zuständigkeit im Hinblick auf das Vorliegen einer Beschlussmängelklage in entspre-chender Anwendung von § 246 Abs. 3 S. 2 AktG begründet sei.

Die hierauf mit der Sache befasste Kammer für Handelssachen 95 hat die Parteien mit einer Verfügung vom 21. Juli 2023 auf Bedenken gegen ihre Zuständigkeit hingewiesen, da nach zutreffender Auffassung eine ausschließliche Zuständigkeit der Kammern für Handelssachen für Beschlussmängelklagen bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung nicht begründet sei und ein innerhalb der Klageerwiderungsfrist gestellter Verweisungsantrag der Beklagten eben-falls nicht vorliege. Dieser Auffassung haben sowohl der Kläger als auch die Nebeninterveni-entin mit Schriftsätzen vom 31. Juli 2023 widersprochen, die Nebenintervenientin hat darüber hinaus vorsorglich eine Verweisung des Rechtsstreits an die Kammern für Handelssachen beantragt. Die Kammer für Handelssachen 95 hat sich gleichwohl mit einem Beschluss vom 21. August 2023 für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an die Zivilkammer 88 verwiesen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ihre Ausführungen aus der Verfügung vom 21. Juli 2023 wiederholt.

Die Zivilkammer 88 hat sich hierauf mit einem Beschluss vom 13. September 2023 ebenfalls für funktionell unzuständig erklärt und die Sache dem Kammergericht zur Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers vorgelegt.

II. 1.     Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 ZPO als das im Rechtszug zunächst höhe-re Gericht zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.

2.         Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen auch der Sache nach vor, weil sich sowohl die Zivilkammer 88 als auch die Kammer für Handelssachen 95 des Landgerichts Berlin rechtskräftig im Sinne der Vorschrift (vgl. zum Begriff BGH, Beschluss vom 4. Juni 1997 - XII AZR 13/97, NJW-RR 1997, 1161) für unzuständig erklärt haben. Da die Verteilung der Geschäfte zwischen den allgemei-nen Zivilkammern und den Kammern für Handelssachen eines Landgerichts nicht durch den vom Präsidium beschlossenen Geschäftsverteilungsplan (§ 21e GVG) bestimmt wird, sondern den gesetzlichen Regelungen in §§ 93 ff. GVG folgt, sind negative Kompetenzkonflikte zwi-schen den beteiligten Spruchkörpern nach allgemeiner Auffassung in entsprechender Anwen-dung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch das im Rechtszug übergeordnete Gericht, hier also durch das Kammergericht, und nicht durch das Präsidium zu entscheiden (Senat, Beschluss vom 20. Juli 2017 – 2 AR 24/07, NJW-RR 2017, 1189; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 94 Rn. 8, jeweils m. w. N.).

3.         Die Kammern für Handelssachen sind funktionell zuständig. Diese folgt bereits aus dem Umstand, dass für den Rechtsstreit in entsprechender Anwendung von § 246 Abs. 3. S. 2 AktG ihre ausschließliche Zuständigkeit begründet ist (dazu a.), so dass es auf die Frage, ob ein rechtzeitig gestellter Verweisungsantrag vorliegt, nicht mehr entscheidend ankommt (dazu b.). Schließlich hat die Kammer für Handelssachen ihre Zuständigkeit auch nicht aufgrund des von ihr gleichwohl erlassenen Verweisungsbeschlusses verloren, weil sich dieser als objektiv willkürlich darstellt und deshalb ausnahmsweise keine Bindungswirkung entfaltet (dazu c.).

a.         Anfechtung und Nichtigkeitsfeststellung von Gesellschafterbeschlüssen einer GmbH sind gesetzlich nicht geregelt. Nach ständiger Rechtsprechung (so bereits RG, Urteil vom 9. Oktober 1914 – II 223/14, RGZ 85, 311; BGH, Urteil vom 16. Dezember 1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231 [235]; sowie zuletzt BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 – II ZR 187/21, NJW 2023, 1220 Rn. 28 m. w. N.) und herrschender Lehre (Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 21. Aufl. 2023, Anh. § 47 Rn. 1; MüKoZPO/Wertenbruch, 4. Aufl. 2023, Anh. § 47 Rn. 1 ff. m. w. N.) sind deshalb die einschlägigen aktienrechtlichen Bestimmungen (§§ 241 ff. AktG) entsprechend anzuwenden. Dies gilt auch für die prozessualen Bestimmungen in § 246 AktG zur Anfechtungsklage. Es entspricht daher allgemeiner Meinung und nicht nur der von der Kammer für Handelssachen zitierten Rechtsauffassung des OLG München, dass für ent-sprechende Beschlussmängelklagen die bei den Landgerichten eingerichteten Kammern für Handelssachen ausschließlich funktionell zuständig sind (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juli 2017 - 2 AR 24/17, NZG 2017, 1385 [1386]; OLG München, Beschluss vom 14. September 2007 - 31 AR 211/07, NZG 2007, 947 [948]; Lutter/Hommelhoff/Bayer, a. a. O., Anh. § 47 Rn. 81; MüKoZPO/Wertenbruch, 4. Aufl. 2023, Anh. § 47 Rn. 323; Henssler/Strohn GesR/Drescher, 5. Aufl. 2021, AktG § 246 Rn. 36; BeckOK GVG/Pernice, 20. Ed. 15.8.2023, GVG § 95 Rn. 35). Entsprechende Klageverfahren sind daher nach allgemeiner Auffassung in jeder Lage des Verfahren von Amts wegen an die Kammer für Handelssachen abzugeben, ohne dass es des Antrags einer Partei bedarf (OLG München, Beschluss vom 14. September 2007 - 31 AR 211/07, NZG 2007, 947 [948]; Hopt/Merkt, HGB, 42. Aufl. 2023, vor § 1 Rn. 105).

Die gegenteilige Auffassung der verweisenden Kammer für Handelssachen ist schlechter-dings nicht mehr vertretbar. Insbesondere stellt der schlichte Hinweis, es fehle bereits an einer planwidrigen Regelungslücke, weil dem Gesetzgeber die Problematik seit Jahren bekannt sei, keine tragfähige Begründung dar. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber von einer gesetzlichen Regelung des Beschlussmängelrechts der GmbH bis heute abgesehen hat, weil ihm bekannt ist, dass die Rechtsprechung seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts die aktienrechtlichen Bestimmungen entsprechend anwendet. Wollte man dies anders sehen, wäre der entsprechenden Anwendung der §§ 241 ff. AktG auf das Beschlussmängelrecht der GmbH insgesamt der Boden entzogen, was - soweit ersichtlich - von niemanden ernstlich ver-treten wird.

b.         Bei dieser Sachlage kommt es auf die Frage, ob ein rechtzeitig gestellter Verwei-sungsantrag einer der Parteien vorliegt, nicht mehr entscheidend an. Gleichwohl sei darauf hingewiesen, dass die Begründung des Verweisungsbeschlusses auch insoweit zu kurz greift. Zwar trifft es zu, dass die Beklagte eine Verweisung des Rechtsstreits innerhalb der ihr ge-setzten Klageerwiderungsfrist nicht beantragt hat. Allerdings wäre insoweit zu erwägen gewe-sen, ob der Antrag im Hinblick auf die Regelung in § 101 Abs. 1 S. 3 GVG i. V. m. § 296 Abs. 3 ZPO noch nachgeholt werden kann, da die gesetzliche Vertretung und die Prozessfähigkeit der Beklagten in dem vorliegenden Rechtsstreit noch nicht geklärt sind und die Beklagte be-reits aus diesem Grund bislang gehindert war, einen entsprechenden Antrag zu stellen.

Ferner hat die Nebenintervenientin mit ihrem Schriftsatz vom 31. Juli 2023 eine Verweisung des Rechtsstreits an die Kammer für Handelssachen ausdrücklich beantragt. Soweit in dem Beschluss der Kammer für Handelssachen 95 vom 21. August 2023 ausgeführt wird, dass die der Beklagten gesetzte Klageerwiderungsfrist bereits abgelaufen sei, greift dies ebenfalls zu kurz. Auf Beklagtenseite liegt im Hinblick auf die umfassende Urteilswirkung eines Anfech-tungsprozesses analog § 248 AktG eine streitgenössische Nebenintervention nach §§ 62, 69 ZPO vor (Lutter/Hommelhoff/Bayer, a. a. O., Anh. zu § 47 Rn. 87). Die Nebenintervenientin gilt damit zugleich als notwendige Streitgenossin der Beklagten und ist damit in ihrer Stellung einer selbständigen Partei zumindest angenähert, was die Frage aufwirft, ob ihr nicht eine eigene Klageerwiderungsfrist zu setzen gewesen wäre. Hierfür könnte sprechen, dass für ei-nen streitgenössischen Nebenintervenienten - anders als für einen einfachen Streithelfer nach §§ 66 f. ZPO - auch eigene Rechtsmittelfristen gelten (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2001 – XII ZB 194/99, NJW 2001, 1355, juris Rn. 5; Musielak/Voit/Weth, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 69 Rn. 8). Die der Nebenintervenientin mit der gerichtlichen Verfügung vom 21. Juni 2023 einge-räumte Frist zur Stellungnahme auf die Klage war zum Zeitpunkt ihres Verweisungsantrags noch nicht abgelaufen.

c.         Die Kammer für Handelssachen hat ihre Zuständigkeit schließlich auch nicht aufgrund des von ihr gleichwohl erlassenen Verweisungsbeschlusses vom 21. August 2023 verloren.

Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst er-gangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Dies folgt aus der Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach ein auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangener Verweisungs-beschluss für das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, bindend ist. Die Bindungswir-kung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundla-ge entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungs-beschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015 - X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016; Beschluss vom 19. Februar 2013 - X ARZ 507/12, NJW-RR 2013, 764 Rn. 7; Beschluss vom 17. Mai 2011 - X ARZ 109/11, NJW-RR 2011, 1364 Rn. 9). Bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen einer allgemeinen Zivilkammer und einer Kammer für Handelssachen gelten diese Grundsätze im Hinblick auf die mit § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO vergleichbare Regelung in § 102 Satz 2 GVG entsprechend (Senat, Beschluss vom 12. Juli 2018 - 2 AR 31/18, ZIP 2018, 2387; Zöller/Lückemann, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 102 GVG Rn. 5 f.; Kissel/Mayer, a. a. O., § 102 Rn. 8 ff.).

Gemessen an diesem Maßstab ist der von der Kammer für Handelssachen 95 des Landge-richts Berlin erlassene Verweisungsbeschluss als objektiv willkürlich anzusehen, weshalb ihm die nach § 102 Satz 2 GVG vorgesehene gesetzliche Bindungswirkung ausnahmsweise ver-sagt bleiben muss. Diese Bewertung ist bereits deshalb gerechtfertigt, weil der Verweisungs-beschluss von der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung betreffend die analoge An-wendung von § 246 Abs. 3 S. 2 AktG auf Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH abweicht, ohne sich den hierfür tragenden Gründen in angemessener Weise auseinanderzusetzen.

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