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Wirtschaftsrecht
09.01.2014
Wirtschaftsrecht
BGH: Fristenkontrolle - organisatorische Vorkehrungen zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle

BGH, Beschluss vom 27.11.2013 - XII ZB 116/13


Amtlicher Leitsatz


Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in alle geführten Fristenkalender eingetragen worden sind. Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen.


§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 117 FamFG


Aus den Gründen


I.



1


Das Amtsgericht hat den Antragsgegner durch Beschluss vom 26. Oktober 2012 verpflichtet, an die Antragstellerin übergegangenen Kindesunterhalt für seinen volljährigen Sohn zu zahlen. Dieser Beschluss ist dem Antragsgegner am 1. November 2012 zugestellt worden. Er hat dagegen am 22. November 2012 durch einen von seiner Verfahrensbevollmächtigten unterzeichneten Schriftsatz Beschwerde eingelegt.



2


Mit Schriftsatz vom 21. Januar 2013 hat der Antragsgegner eine Beschwerdebegründung eingereicht und mit folgender Begründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt: In der Kanzlei seiner Verfahrensbevollmächtigten sei die Büroleiterin für die eingehende Post, die Wiedervorlage sowie für das Eintragen und Überwachen der Fristen zuständig. Bei Posteingang notiere die Büroleiterin die Fristen auf dem eingegangenen Schriftstück, zusätzlich im elektronisch geführten Terminkalender im PC und im Fristenbuch. Die Verfahrensbevollmächtigte habe erst am 7. Januar 2013 bei der Beantwortung einer Anfrage des Amtsgerichts festgestellt, dass ihre langjährig zuverlässige und regelmäßig überwachte Büroleiterin die Beschwerdebegründungsfrist nicht eingetragen habe.



3


Das Oberlandesgericht hat die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Beschwerde des Antragsgegners verworfen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Rechtsbeschwerde.




II.



4


Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, weil der Antragsgegner nicht aufzuzeigen vermag, dass eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre (§ 574 Abs. 2 ZPO).



5


1. Die Beschwerdebegründung ist erst am 21. Januar 2013 und damit nach Ablauf der am 2. Januar 2013 endenden Frist zur Begründung der Beschwerde bei dem Oberlandesgericht eingegangen.



6


2. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor, denn der Antragsgegner hat die Beschwerdebegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt. Das Beschwerdegericht hat zutreffend erkannt, dass das Versäumnis auf einem Organisationsverschulden seiner Verfahrensbevollmächtigten beruht, welches sich der Antragsgegner nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.



7


a) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in alle geführten Fristenkalender eingetragen worden sind. Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. November 2011 - XII ZB 317/11 - FamRZ 2012, 108 Rn. 11 und vom 19. Oktober 2011 - XII ZB 250/11 - FamRZ 2012, 106 Rn. 9 jeweils mwN), wobei er sich dann grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Januar 2013 - XII ZB 167/11 - FamRZ 2013, 1117 Rn. 11; BGH Beschlüsse vom 10. März 2011 - VII ZB 37/10 - NJW 2011, 1597 Rn. 12 und vom 22. Januar 2008 - VI ZB 46/07 - NJW 2008, 1670 Rn. 6 mwN).



8


b) Soweit das Beschwerdegericht bei der Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Fall davon ausgegangen ist, dass die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners bei der Vorlage der Handakten im Zusammenhang mit der Einlegung der Beschwerde gehalten gewesen wäre, die korrekte Eintragung der Beschwerdebegründungsfrist zu überprüfen, hat es damit keine Verfahrensgrundrechte des Antragsgegners, insbesondere nicht dessen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.



9


aa) Zu Unrecht wirft die Rechtsbeschwerde dem Beschwerdegericht vor, es habe nach dem Inhalt der Akten und dem Sachvortrag des Antragsgegners erkennen müssen, dass seiner Verfahrensbevollmächtigten die Handakten am 22. November 2012 wegen Ortsabwesenheit nicht vorgelegt und die vom gleichen Tage datierte Beschwerdeschrift mit einer hinterlegten Blankounterschrift unterzeichnet worden sei.



10


Für einen solchen Sachverhalt lassen sich weder aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags noch aus der beigefügten eidesstattlichen Versicherung hinreichende Anhaltspunkte entnehmen. Die mit der Unterschrift der Verfahrensbevollmächtigten versehene Beschwerdeschrift vom 22. November 2012 ist um 11:21 Uhr per Telefax an das Amtsgericht abgesendet worden. Der ebenfalls vom 22. November 2012 datierte und offenbar von einem Kollegen der Verfahrensbevollmächtigten "in Vertretung" unterzeichnete Fristverlängerungsantrag im Tatbestandsberichtigungsverfahren ist demgegenüber erst deutlich später, nämlich um 13:41 Uhr an das Amtsgericht gefaxt worden. Durch diesen Schriftsatz drängte sich deshalb trotz des darin enthaltenen Hinweises, dass die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners "nach Erkrankung in den dringend benötigten Erholungsurlaub gefahren" sei, keineswegs die Schlussfolgerung auf, dass die Verfahrensbevollmächtigte am 22. November 2012 den ganzen Tag ortsabwesend gewesen sein und der mehr als zwei Stunden vorher versendete Beschwerdeschriftsatz eine hinterlegte Blankounterschrift getragen haben musste.



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Im Übrigen hätte das Gericht auch davon ausgehen können, dass der Rechtsanwalt den Inhalt eines mit seiner Blankounterschrift versehenen Schriftsatzes so genau festgelegt hat, dass er dessen eigenverantwortliche Prüfung bestätigen kann (vgl. Senatsbeschluss vom 12. September 2012 - XII ZB 642/11 - FamRZ 2012, 1935 Rn. 17; BGH Beschlüsse vom 23. Juni 2005 - V ZB 45/04 - NJW 2005, 2709, 2710 und vom 21. Dezember 2010 - VI ZB 28/10 - FamRZ 2011, 558 Rn. 9). Einen Sachverhalt, aus dem sich hier ergeben könnte, dass die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners die Bearbeitung und inhaltliche Festlegung der mit ihrem Diktatzeichen versehenen Beschwerdeschrift gänzlich ohne Vorlage der Handakte vorgenommen hat, lässt sich selbst dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde nicht entnehmen (zur Verpflichtung des Rechtsanwalts, die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen vgl. BGH Beschluss vom 20. Dezember 2012 - III ZB 47/12 - juris Rn. 7). Denn dieses beschränkt sich auf die Behauptung, der Verfahrensbevollmächtigten habe die Handakte am 22. November 2012 nicht vorgelegen. Dies schließt es beispielsweise nicht aus, dass der Verfahrensbevollmächtigten die Handakte bereits am Vortag als Fristsache zum Diktat der Beschwerdeschrift vorgelegen haben könnte.



12


bb) Sonstige Umstände, die ein Verschulden seiner Verfahrensbevollmächtigten im Zusammenhang mit der Gegenkontrolle bei der Vorlage der Handakten zur Bearbeitung der Beschwerdeschrift hätten ausschließen können, hat der Antragsgegner nicht dargelegt. Er hat schon nicht dargetan, dass in der Kanzlei seiner Verfahrensbevollmächtigten eine den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens genügende Fristenkontrolle vorgesehen war. Insbesondere hat der Antragsgegner nichts dazu vorgetragen, in welcher Weise die Gegenkontrolle in den Handakten zur Eintragung der Fristen organisiert worden ist. Fehlt es insoweit an den erforderlichen Darlegungen zu den Abläufen innerhalb der Kanzleiorganisation des Verfahrensbevollmächtigten, ist es nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, einen bislang fehlenden Vortrag über die Sicherheitsvorkehrungen bei der Fristenkontrolle einzufordern. Vielmehr darf das Beschwerdegericht auch in diesem Falle grundsätzlich davon ausgehen, dass der um Wiedereinsetzung nachsuchende Beteiligte seiner sich aus § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergebenden Verpflichtung zur vollständigen Angabe der ihm günstigen Tatsachen nachgekommen ist, welche die Wiedereinsetzung begründen sollen. Auch die Rechtsbeschwerde rügt insoweit nicht, dass das Beschwerdegericht gegen seine Hinweispflicht verstoßen habe.

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