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Wirtschaftsrecht
02.01.2025
Wirtschaftsrecht
EuGH: Ford Italia – Produkthaftung des Lieferanten eines fehlerhaften Produkts als „Person, die sich als Hersteller [dieses Produkts] ausgibt“ i. S. d. Art. 3 Abs. 1 RL 85/374/EWG

EuGH, Urteil vom 19.12.2024 – C-157/23, Ford Italia SpA gegen ZP, Stracciari SpA

ECLI:EU:C:2024:1045

Volltext: BB-Online BBL2025-1-2

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte ist dahin auszulegen, dass der Lieferant eines fehlerhaften Produkts als „Person, die sich als Hersteller [dieses Produkts] ausgibt“, im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist, wenn dieser Lieferant zwar nicht physisch seinen Namen, sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt angebracht hat, wenn aber das Warenzeichen, das der Hersteller auf dem Produkt angebracht hat, zum einen mit dem Namen oder einem Erkennungszeichen des genannten Lieferanten und zum anderen mit dem Namen des Herstellers übereinstimmt.

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ABl. 1985, L 210, S. 29).

 

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ford Italia SpA auf der einen und ZP sowie der Stracciari SpA auf der anderen Seite über die Haftung für fehlerhafte Produkte von Ford Italia infolge eines Verkehrsunfalls, den ZP erlitt, als er ein Fahrzeug der Marke Ford führte, das er von Stracciari gekauft hatte.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          In den Erwägungsgründen 4 und 5 der Richtlinie 85/374 heißt es:

„Der Schutz des Verbrauchers erfordert es, dass alle am Produktionsprozess Beteiligten haften, wenn das Endprodukt oder der von ihnen gelieferte Bestandteil oder Grundstoff fehlerhaft war. Aus demselben Grunde hat die Person, die Produkte in die Gemeinschaft einführt, sowie jede Person zu haften, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen anbringt, oder die ein Produkt liefert, dessen Hersteller nicht festgestellt werden kann.

Haften mehrere Personen für denselben Schaden, so erfordert der Schutz des Verbrauchers, dass der Geschädigte eine jede für den vollen Ersatz des Schadens in Anspruch nehmen kann.“

 

4          Art. 1 der Richtlinie 85/374 sieht vor, dass der Hersteller eines Produkts für den Schaden haftet, der durch einen Fehler dieses Produkts verursacht worden ist.

 

5          Art. 3 der Richtlinie 85/374 lautet:

„(1) ‚Hersteller‘ ist der Hersteller des Endprodukts, eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts sowie jede Person, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt.

(2) Unbeschadet der Haftung des Herstellers gilt jede Person, die ein Produkt zum Zweck des Verkaufs, der Vermietung, des Mietkaufs oder einer anderen Form des Vertriebs im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit in die Gemeinschaft einführt, im Sinne dieser Richtlinie als Hersteller dieses Produkts und haftet wie der Hersteller.

 

(3) Kann der Hersteller des Produkts nicht festgestellt werden, so wird jeder Lieferant als dessen Hersteller behandelt, es sei denn, dass er dem Geschädigten innerhalb angemessener Zeit den Hersteller oder diejenige Person benennt, die ihm das Produkt geliefert hat. Dies gilt auch für eingeführte Produkte, wenn sich bei diesen der Importeur im Sinne des Absatzes 2 nicht feststellen lässt, selbst wenn der Name des Herstellers angegeben ist.“

 

6          Art. 5 der Richtlinie 85/374 bestimmt:

„Haften aufgrund dieser Richtlinie mehrere Personen für denselben Schaden, so haften sie unbeschadet des einzelstaatlichen Rückgriffsrechts gesamtschuldnerisch.“

 

Italienisches Recht

7          Die Richtlinie 85/374 wurde durch das Decreto del Presidente della Repubblica n. 224 – Attuazione della direttiva CEE n. 85/374 relativa al ravvicinamento delle disposizioni legislative, regolamentari e amministrative degli Stati membri in materia di responsabilità per danno da prodotti difettosi, ai sensi dell’art. 15 della legge 16 aprile 1987, n. 183 (Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 224 zur Umsetzung der Richtlinie 85/374/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte gemäß Art. 15 des Gesetzes Nr. 183 vom 16. April 1987) vom 24. Mai 1988 (GURI Nr. 146 vom 23. Juni 1988, im Folgenden: Dekret Nr. 224/1988) in italienisches Recht umgesetzt.

 

8          Art. 3 („Hersteller“) Abs. 1 dieses Dekrets bestimmt, dass der Hersteller der Hersteller des Endprodukts oder eines Bestandteils davon sowie der Hersteller des Grundstoffs ist. Außerdem gilt nach Abs. 3 dieses Artikels als Hersteller auch derjenige, der sich als solcher ausgibt, indem er seinen Namen, sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt oder dessen Verpackung anbringt.

 

9          Art. 4 dieses Dekrets über die Haftung des Lieferanten bestimmt in Abs. 1, dass, wenn der Hersteller nicht festgestellt wird, der Lieferant, der das Produkt im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit vertrieben hat, in gleicher Weise haftet, wenn er es unterlassen hat, dem Geschädigten innerhalb von drei Monaten nach dem Ersuchen den Hersteller und dessen Anschrift oder die Person, die ihm das Produkt geliefert hat, zu benennen. In Abs. 5 dieses Artikels ist vorgesehen, dass dem als Hersteller oder früheren Lieferanten angegebenen Dritten der Streit verkündet und der beklagte Lieferant von der Haftung befreit werden kann, wenn die angegebene Person erscheint und die Angabe nicht bestreitet.

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

10        Am 4. Juli 2001 erwarb ZP ein Kraftfahrzeug der Marke Ford (im Folgenden: in Rede stehendes Fahrzeug) von Stracciari, einer in Italien ansässigen Vertragshändlerin dieser Marke.

 

11        Das in Rede stehende Fahrzeug war von der Ford WAG, einem in Deutschland ansässigen Unternehmen, hergestellt und dann über Ford Italia an Stracciari geliefert worden, die die von der Ford WAG hergestellten Fahrzeuge in Italien vertreibt. Die Ford WAG und Ford Italia gehören zur selben Unternehmensgruppe.

 

12        Am 27. Dezember 2001 war ZP an einem Verkehrsunfall beteiligt, bei dem ein Airbag des in Rede stehenden Fahrzeugs nicht funktionierte.

 

13        Am 8. Januar 2004 erhob ZP beim Tribunale di Bologna (Gericht Bologna, Italien) Klage gegen Stracciari und Ford Italia auf Ersatz der Schäden, die ihm aufgrund des Fehlers dieses Fahrzeugs entstanden sein sollen.

 

14        Ford Italia trug vor dem Gericht vor, dass sie das in Rede stehende Fahrzeug nicht hergestellt habe. Sie sei nur die Lieferantin gewesen, während die Herstellerin die Ford WAG gewesen sei. Ford Italia machte ferner geltend, dass sie auf der Verkaufsrechnung des in Rede stehenden Fahrzeugs sehr wohl angegeben habe, dass die Ford WAG dessen Herstellerin sei, so dass Ford Italia im vorliegenden Fall nicht selbst als Herstellerin im Sinne von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 85/374 angesehen werden könne und auch nicht die Haftung eines Herstellers nach dieser Richtlinie übernehmen könne.

 

15        Mit Entscheidung vom 5. November 2012 stellte das Tribunale di Bologna (Gericht Bologna) fest, dass Ford Italia aus außervertraglicher Haftung für die fehlerhafte Herstellung des Airbags des in Rede stehenden Fahrzeugs hafte.

 

16        Ford Italia legte gegen diese Entscheidung Berufung bei der Corte d’Appello di Bologna (Berufungsgericht Bologna, Italien) ein.

 

17        Ford Italia stützte ihre Berufung darauf, dass das erstinstanzliche Gericht zu Unrecht angenommen habe, dass sie verpflichtet gewesen sei, dem Hersteller den Streit zu verkünden, um selbst entlastet werden zu können. Außerdem habe das erstinstanzliche Gericht ultra petita entschieden, da sie als Lieferantin des in Rede stehenden Fahrzeugs verurteilt worden sei, während ZP ihre Verurteilung als Herstellerin des in Rede stehenden Fahrzeugs beantragt habe.

 

18        Mit Urteil vom 21. Dezember 2018 wies die Corte d’Appello di Bologna (Berufungsgericht Bologna) die Berufung von Ford Italia mit der Begründung zurück, dass Ford Italia als Lieferantin zu Recht die gleiche Haftung wie der Herstellerin auferlegt worden sei, da „sie dem nicht streitverkündeten Hersteller gleichzustellen“ sei. Da Ford Italia es versäumt habe, der Ford WAG den Streit zu verkünden, habe sie keinen Anspruch darauf gehabt, gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 85/374 entlastet zu werden.

 

19        Gegen dieses Urteil legte Ford Italia bei der Corte suprema di Cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien), dem vorlegenden Gericht, Kassationsbeschwerde ein.

 

20        Zur Begründung dieses Rechtsmittels rügt Ford Italia die Lösung des vorlegenden Gerichts in einem vergleichbaren Fall, in dessen Rahmen die Haftung der Ford WAG als Herstellerin auf Ford Italia ausgedehnt worden war. Das vorlegende Gericht habe nämlich im Wesentlichen entschieden, dass nach Art. 3 Abs. 3 des Dekrets Nr. 224/1988, mit dem Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 in italienisches Recht umgesetzt worden sei, der Lieferant eines fehlerhaften Produkts für die Zwecke der Haftung für solche Produkte dem Hersteller gleichzustellen sei, wenn sein Warenzeichen oder sein Name und das Warenzeichen oder der Name des Herstellers ganz oder zum großen Teil übereinstimmten und das Produkt unter dieser Marke vertrieben werde.

 

21        Das vorlegende Gericht wirft jedoch die Frage nach der genauen Bedeutung der Wendung „indem sie ihren Namen … anbringt“ in Art. 3 Abs. 3 des Dekrets Nr. 224/1988 und in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 auf.

 

22        Es fragt sich im Wesentlichen, ob die Erstreckung der Haftung des Herstellers auf den Lieferanten somit auf den Fall beschränkt ist, dass die „Anbringung“ darin besteht, dass der Lieferant physisch seinen Namen, sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt in der Absicht anbringt, eine Verwechslung zwischen seiner Identität und derjenigen des Herstellers herbeizuführen, oder ob diese Erstreckung auch dann anwendbar ist, wenn eine bloße Übereinstimmung der identifizierenden Angaben vorliegt, wie dies hier der Fall sei.

 

23        Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Steht eine Auslegung, wonach die Haftung des Herstellers, auch wenn der Lieferant weder seinen Namen noch sein Warenzeichen noch ein anderes Erkennungszeichen physisch auf dem Produkt angebracht hat, auf den Lieferanten ausgedehnt wird, nur weil der Lieferant einen Namen, ein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen hat, der bzw. das mit dem des Herstellers ganz oder teilweise übereinstimmt, mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 im Einklang – und wenn nicht, warum nicht?

 

Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

24        Nach der Stellung der Schlussanträge des Generalanwalts hat Ford Italia mit Schriftsatz, der am 29. April 2024 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens gemäß Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beantragt.

 

25        Zur Stützung ihres Antrags beruft sich Ford Italia im Wesentlichen auf das Vorliegen eines Umstands, der „neu in der prozessualen Erörterung, aber nicht neu in der Verfahrensakte sei“ und der sich auf den Zeitpunkt beziehe, an dem der Verbraucher Kenntnis von der Identität des tatsächlichen Herstellers des in Rede stehenden Fahrzeugs erlangt habe. Der Generalanwalt habe diesen Umstand in seinen Schlussanträgen nicht berücksichtigt, die daher auf einer unzutreffenden Sachdarstellung beruhten.

 

26        Es ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung keine Möglichkeit für die in Art. 23 der Satzung bezeichneten Beteiligten vorsehen, eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einzureichen. Zum anderen stellt der Generalanwalt nach Art. 252 Abs. 2 AEUV öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Der Gerichtshof ist weder an diese Schlussanträge noch an ihre Begründung durch den Generalanwalt gebunden. Dass ein Beteiligter nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann folglich unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (Urteil vom 6. Oktober 2021, W. Ż. [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑487/19, EU:C:2021:798, Rn. 62 und 63 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

27        Nach Art. 83 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof außerdem jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.

 

28        Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof jedoch der Ansicht, dass er über alle für seine Entscheidung erforderlichen Angaben verfügt. Außerdem ergibt sich aus dem Antrag von Ford Italia auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens nicht, dass bei der Entscheidung über die vorliegende Rechtssache ein Vorbringen zugrunde zu legen wäre, das zwischen den Beteiligten nicht erörtert worden wäre, und er enthält auch keine neue Tatsache, die von entscheidender Bedeutung für die vom Gerichtshof in dieser Rechtssache zu erlassende Entscheidung wäre. Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts der Ansicht, dass die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens nicht anzuordnen ist.

 

Zur Vorlagefrage

29        Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 dahin auszulegen ist, dass der Lieferant eines fehlerhaften Produkts als „Person, die sich als Hersteller [dieses Produkts] ausgibt“, anzusehen ist, wenn dieser Lieferant zwar nicht physisch seinen Namen, sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt angebracht hat, wenn aber das Warenzeichen, das der Hersteller auf dem Produkt angebracht hat, zum einen mit dem Namen oder einem Erkennungszeichen des genannten Lieferanten und zum anderen mit dem Namen des Herstellers übereinstimmt.

 

30        Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 85/374 für die darin geregelten Punkte eine vollständige Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten bezweckt und dass daher der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Regelung der Haftung für fehlerhafte Produkte zur Gänze von dieser Richtlinie festgelegt wird und aus deren Wortlaut, Zweck und Systematik abzuleiten ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Januar 2006, Skov und Bilka, C‑402/03, EU:C:2006:6, Rn. 22 und 23).

 

31        In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Personen, gegen die der Verbraucher eine Klage im Rahmen des in der Richtlinie 85/374 vorgesehenen Haftungssystems erheben kann, in den Art. 1 und 3 dieser Richtlinie aufgeführt sind. Da die Richtlinie – wie aus der vorstehenden Randnummer hervorgeht – für die darin geregelten Punkte eine vollständige Harmonisierung bezweckt, ist die Aufführung der Personen in ihren Art. 1 und 3 als erschöpfend anzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Januar 2006, Skov und Bilka, C‑402/03, EU:C:2006:6, Rn. 32 und 33).

 

32        Was den Wortlaut dieser Bestimmungen betrifft, wird in Art. 1 der Richtlinie 85/374 der Hersteller für fehlerhafte Produkte haftbar gemacht, während Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie den Begriff „Hersteller“ dahin definiert, dass er insbesondere den Hersteller des Endprodukts, den Hersteller eines Grundstoffs oder den Hersteller eines Teilprodukts bezeichnet.

 

33        Zwar hat sich der Unionsgesetzgeber in Art. 1 der Richtlinie 85/374 dafür entschieden, grundsätzlich dem Hersteller die Haftung für durch seine fehlerhaften Produkte verursachte Schäden aufzubürden, doch bestimmt Art. 3 dieser Richtlinie unter den Personen, die im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit an den Herstellungs‑ und Vertriebsvorgängen des in Rede stehenden Produkts beteiligt sind, diejenigen, die möglicherweise ebenfalls die durch diese Richtlinie eingeführte Haftung übernehmen müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Januar 2006, Skov und Bilka, C‑402/03, EU:C:2006:6, Rn. 29 und 30).

 

34        Hierzu ist festzustellen, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 im Wesentlichen eine Alternative vorsieht, von der nur der erste Teil die Person betrifft, die zumindest teilweise am Herstellungsprozess des betreffenden Produkts beteiligt ist. Der zweite Teil der Alternative bezeichnet hingegen eine Person, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2022, Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia, C‑264/21, EU:C:2022:536, Rn. 26).

 

35        Aus dem klaren und eindeutigen Wortlaut dieses Art. 3 Abs. 1 ergibt sich somit, dass eine Beteiligung der Person, die sich als Hersteller ausgibt, am Herstellungsprozess des Produkts für deren Einstufung als „Hersteller“ im Sinne dieser Bestimmung nicht erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2022, Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia, C‑264/21, EU:C:2022:536, Rn. 27).

 

36        Daher kann eine Person wie im vorliegenden Fall die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die keine Fahrzeuge herstellt, sondern sich darauf beschränkt, diese beim Hersteller dieser Fahrzeuge zu kaufen, um sie in einem anderen Mitgliedstaat zu vertreiben, als „Hersteller“ im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 85/374 angesehen werden, wenn sie sich im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie als solcher präsentiert hat, indem sie auf dem in Rede stehenden Fahrzeug ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen angebracht hat.

 

37        Die Person, die sich als Hersteller ausgibt, erweckt nämlich dadurch, dass sie auf dem fraglichen Produkt ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen anbringt, den Eindruck, am Herstellungsprozess beteiligt zu sein oder dafür verantwortlich zu sein. Demnach läuft die Verwendung dieser Angaben darauf hinaus, dass diese Person ihre Bekanntheit nutzt, um das fragliche Produkt in den Augen der Verbraucher attraktiver zu machen. Das rechtfertigt es, dass sie als Gegenleistung wegen dieser Verwendung haftbar gemacht werden kann (Urteil vom 7. Juli 2022, Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia, C‑264/21, EU:C:2022:536, Rn. 34).

 

38        Allerdings wirft der Ausgangsrechtsstreit die Frage nach der Haftung des offiziellen Vertriebshändlers eines fehlerhaften Produkts in Italien auf, und zwar im vorliegenden Fall Ford Italia, die nicht selbst ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen physisch auf dem Produkt angebracht hat, da die auf dem Produkt angebrachte Marke, nämlich Ford, während des Herstellungsprozesses dieses Produkts angebracht wurde und dem Namen des Herstellers des Produkts entspricht. Es ist daher zu prüfen, ob der Umstand, dass diese Marke auch einem Erkennungszeichen des Namens dieses Lieferanten entspricht, ausreicht, um ihn als „Person, die sich als Hersteller ausgibt“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 anzusehen.

 

39        Zwar könnte der Wortlaut dieser Bestimmung durch die Bezugnahme auf eine Person, „die sich als Hersteller ausgibt“, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt „anbringt“, darauf hindeuten, dass diese Einstufung von einer aktiven Handlung dieser Person abhängt, die darin besteht, selbst einen solchen Hinweis auf dem fraglichen Produkt anzubringen.

 

40        Zum einen ist jedoch festzustellen, dass sich diese Bezugnahme, wie in Rn. 37 des vorliegenden Urteils ausgeführt, im Wesentlichen auf das Verhalten einer Person bezieht, die die Anbringung ihres Namens, ihres Warenzeichens oder eines sonstigen Erkennungszeichens auf einem Produkt nutzt, um den Eindruck zu erwecken, am Herstellungsprozess beteiligt zu sein oder dafür verantwortlich zu sein.

 

41        In dieser Hinsicht ist es, wenn diese Person das fragliche Produkt liefert, unerheblich, ob sie selbst physisch eine solche Angabe auf diesem Produkt angebracht hat oder ob ihr Name die vom Hersteller darauf angebrachte Angabe enthält, die dem Namen des Herstellers entspricht. In beiden Fällen nutzt der Lieferant nämlich die Übereinstimmung zwischen der in Rede stehenden Angabe und seiner eigenen Firma, um sich dem Verbraucher als für die Qualität des Produkts Verantwortlicher zu präsentieren und beim Verbraucher ein Vertrauen hervorzurufen, das mit dem vergleichbar ist, das er hätte, wenn das Produkt unmittelbar von seinem Hersteller verkauft würde. In beiden Fällen ist er daher als eine Person anzusehen, die sich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 „als Hersteller ausgibt“.

 

42        Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 24. November 2022, Cafpi und Aviva assurances, C‑691/21, EU:C:2022:926, Rn. 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

43        Insoweit ergibt sich aus Art. 5 der Richtlinie 85/374 im Licht ihrer Erwägungsgründe 4 und 5, dass der Unionsgesetzgeber zum Schutz des Verbrauchers ein weites Verständnis des Begriffs „Hersteller“ angenommen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2022, Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia, C‑264/21, EU:C:2022:536, Rn. 31).

 

44        Aus dem vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 85/374 geht nämlich hervor, dass der Unionsgesetzgeber berücksichtigt hat, dass der Verbraucherschutz es erfordert, dass die Haftung „jeder Person“, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt, in gleicher Weise wie die Haftung des „tatsächlichen“ Herstellers ausgelöst wird. Außerdem ergibt sich aus Art. 5 dieser Richtlinie in Verbindung mit ihrem fünften Erwägungsgrund, dass sich die Haftung der Person, die sich als Hersteller ausgibt, nicht von derjenigen des „tatsächlichen“ Herstellers unterscheidet und dass der Verbraucher die freie Wahl hat, jeden von ihnen unterschiedslos für den vollen Ersatz des Schadens in Anspruch zu nehmen, da es sich um eine gesamtschuldnerische Haftung handelt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2022, Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia, C‑264/21, EU:C:2022:536, Rn. 32).

 

45        Somit zeigt sich, dass mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 das Ziel verfolgt wird, die Last, den tatsächlichen Hersteller des fraglichen fehlerhaften Produkts ermitteln zu müssen, zu lindern. Insoweit geht aus der Begründung zu Art. 2 des der Richtlinie 85/374 zugrunde liegenden Richtlinienvorschlags der Kommission vom 9. September 1976, aus dem ohne inhaltliche Änderung Art. 3 dieser Richtlinie geworden ist, hervor, dass nach Ansicht des Unionsgesetzgebers der Verbraucherschutz nicht ausreichend wäre, wenn der Händler den Verbraucher auf den Hersteller „verweisen“ könnte, der dem Verbraucher möglicherweise nicht bekannt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2022, Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia, C‑264/21, EU:C:2022:536, Rn. 33).

 

46        Folglich ist Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 im Licht des Zusammenhangs, in den sich diese Bestimmung einfügt, und des Ziels, das mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt wird, dahin auszulegen, dass der Begriff „Person, die sich als Hersteller ausgibt“ im Sinne dieser Bestimmung nicht ausschließlich die Person erfassen kann, die physisch ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt angebracht hat. Andernfalls würde die Bedeutung des Begriffs „Hersteller“ eingeschränkt und damit der Verbraucherschutz beeinträchtigt. Insbesondere ist davon auszugehen, dass sich der Lieferant eines Produkts „als Hersteller ausgibt“, wenn der Name oder ein Erkennungszeichen dieses Lieferanten zum einen mit dem Namen des Herstellers und zum anderen mit dem Namen, der Marke oder einem anderen Erkennungszeichen, das der Hersteller auf dem Produkt angebracht hat, übereinstimmt.

 

47        Da jedoch nach Art. 5 der Richtlinie 85/374 die Haftung der Person, die sich als Hersteller ausgibt, und die Haftung des Herstellers des fehlerhaften Produkts gesamtschuldnerisch sind, lässt die Geltendmachung der Haftung dieser Person durch den Verbraucher die einzelstaatlichen Bestimmungen des Rückgriffsrechts und insbesondere die Bestimmungen unberührt, die es dieser Person ermöglichen, ihrerseits den Hersteller des fehlerhaften Produkts haftbar zu machen.

 

48        Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 dahin auszulegen ist, dass der Lieferant eines fehlerhaften Produkts als „Person, die sich als Hersteller [dieses Produkts] ausgibt“, im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist, wenn dieser Lieferant zwar nicht physisch seinen Namen, sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt angebracht hat, wenn aber das Warenzeichen, das der Hersteller auf dem Produkt angebracht hat, zum einen mit dem Namen oder einem Erkennungszeichen des genannten Lieferanten und zum anderen mit dem Namen des Herstellers übereinstimmt.

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