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Wirtschaftsrecht
10.05.2012
Wirtschaftsrecht
BGH: Folgen unwirksamer Preisanpassungsklauseln in Erdgas-Sonderkundenverträgen

BGH, Urteil vom 14.3.2012 - VIII ZR 113/11


Leitsätze


Eine infolge der Unwirksamkeit einer formularmäßig vereinbarten Preisände-rungsklausel nach § 307 BGB entstehende planwidrige Regelungslücke in ei-nem Energieversorgungsvertrag mit einem (Norm-)Sonderkunden kann im We-ge der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) dahingehend ge-schlossen werden, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhö-hungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis füh-ren, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresrechnung, in der die Preis-erhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.


BGB § 157 D Ga


Sachverhalt


Der Kläger verlangt von der Beklagten, einem regionalen Gasversor-gungsunternehmen, welches den Kläger leitungsgebunden mit Erdgas versorg-te, die Rückzahlung eines Betrages in Höhe von 2.621,54 € nebst Zinsen und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren aufgrund unwirksamer Gaspreisanpassungen im Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. September 2008. Die Parteien schlossen am 7. April/1. Juni 1981 rückwirkend zum 1. Ja-nuar 1981 einen vorformulierten Erdgasliefervertrag (Gasversorgungs-Sondervertrag). Als Arbeitspreis waren 4,2 Pf/kWh netto vereinbart, als Grundpreis 36,40 DM/Monat netto. § 2 des Vertrages sieht vor, dass sich der Gas-preis ändert, wenn eine Änderung der allgemeinen Tarife der Beklagten eintritt.


Nach § 5 Ziffer 1 kann der Vertrag erstmals nach Ablauf von 24 Monaten und danach jeweils mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Abrech-nungsjahres schriftlich gekündigt werden.


Die Beklagte änderte aufgrund der Preisanpassungsklausel wiederholt ihre Preise. Der Kläger widersprach den Preisänderungen nicht. Zum 1. Okto-ber 2008 kündigte er den Vertrag und wechselte zu einem anderen Anbieter. Mit Schreiben vom 21. Februar 2009 beanstandete der Kläger die Preiserhö-hungen der Beklagten und forderte die gezahlten Erhöhungsbeträge zurück.


Er hat, ausgehend von dem ursprünglich vereinbarten Arbeitspreis in Höhe von 2,15 ct/kWh (4,2 Pf/kWh), den Rückforderungsanspruch mit 2.621,54 € beziffert. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Beru-fungsgericht hat auf die Berufung des Klägers die Beklagte zur Rückzahlung von 1.861,72 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren ver-urteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Be-klagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.


Aus den Gründen


5          Die Revision hat Erfolg.


6          I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-sentlichen ausgeführt:


7          Dem Kläger stehe ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu. Im Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 30. September 2009 habe der Kläger für die Gaslieferungen der Beklagten le-diglich einen Grundpreis von 223,33 € und einen Arbeitspreis von 2,15 ct/kWh zu entrichten gehabt.


8          Das vertragliche Preisänderungsrecht in § 2 des Sondervertrages sei - was die Beklagte nicht in Abrede stelle - gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, da die Klausel hinsichtlich des Umfangs der Preisänderung nicht klar und ver-ständlich sei und die Kunden deswegen unangemessen benachteilige. Ein ein-seitiges Preisanpassungsrecht der Beklagten ergebe sich auch nicht aus einem Rückgriff auf die AVBGasV beziehungsweise die GasGVV, denn § 2 des Ver-trages enthalte eine ausdrückliche und abschließende Vereinbarung über die Preisanpassung.


9          Ein Anspruch der Beklagten auf das erhöhte Entgelt folge auch nicht aus einer konkludenten vertraglichen Änderung des Gaspreises. Bei einer einseiti-gen Erhöhung von Gaspreisen des Gasversorgers gegenüber Sonderkunden werde der Gaspreis auch dann nicht zum vereinbarten Preis, wenn der Kunde auf die ihm individuell bekannt gegebene Preiserhöhung weiterhin wider-spruchslos Gas beziehe. Beide Parteien handelten insoweit in dem Bewusst-sein, die Erhöhungen des Arbeitspreises seien von dem vertraglichen Preisan-passungsrecht gedeckt, so dass dem Verhalten des Klägers nicht entnommen werden könne, er würde die Änderungen auch bei einer Unwirksamkeit des ver-traglichen Preisänderungsrechts akzeptieren.


10        Ein Recht der Beklagten zur einseitigen Preisänderung ergebe sich auch nicht durch ergänzende Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB. Eine sol-che komme nur in Betracht, wenn sich die mit dem Wegfall einer unwirksamen Klausel entstehende Lücke nicht durch dispositives Gesetzesrecht füllen lasse und dies zu einem Ergebnis führe, das den beiderseitigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trage, sondern das Vertragsgefüge völlig ein-seitig zugunsten des Kunden verschiebe. Dies könne hier nicht festgestellt wer-den.


11        Der Vertrag sei auch nicht nach § 306 Abs. 3 BGB unwirksam. Denn ebenso wenig wie eine einseitige Vertragsverschiebung könne eine unzumutba-re Härte für die Beklagte durch das Festhalten an dem Vertrag festgestellt wer-den.


12        Dem Rückzahlungsanspruch stehe auch nicht der Einwand der Verwir-kung oder ein sonstiger Verstoß gegen Treu und Glauben entgegen. Insoweit fehle es bereits am erforderlichen Zeitmoment, denn hierfür sei auf den Zeit-punkt der Kenntnis von der Unwirksamkeit des vertraglich vereinbarten Preis-änderungsrechts abzustellen.


13        Unter Zugrundelegung der Verbrauchszahlen ergebe sich - entgegen der Berechnung des Klägers - indes nur ein Rückforderungsanspruch in Höhe von 1.861,72 €.


14        II. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Zu Recht geht das Berufungsgericht zwar davon aus, dass dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rück-zahlung der aufgrund der unwirksamen Gaspreiserhöhungen für den Zeitraum von Januar 2006 bis September 2008 gezahlten Erhöhungsbeträge zusteht. Das Berufungsgericht hat aber der Berechnung des Rückforderungsanspruchs rechtsfehlerhaft den im Jahre 1981 vereinbarten Ausgangspreis von 4,2 Pf/kWh (2,15 ct/kWh) zugrunde gelegt.


15        1. Das Berufungsgericht ist im Anschluss an das Senatsurteil vom 17. Dezember 2008 (VIII ZR 274/06, BGHZ 179, 186 ff.) zutreffend vom Vorlie-gen eines (Norm-)Sonderkundenvertrages und von der Unwirksamkeit des in diesem Vertrag vorgesehenen Preisänderungsrechts der Beklagten ausgegan-gen. Gegen diese rechtliche Bewertung wendet sich die Revision nicht.


16        2. Das Berufungsgericht hat auch mit Recht angenommen, dass weder in der Zahlung der Abrechnungen noch in dem Weiterbezug von Gas nach An-kündigung der Preiserhöhungen eine konkludente Zustimmung des Klägers zur Erhöhung der Gaspreise liegt.


17        Eine Vertragsänderung bedarf entsprechender übereinstimmender Wil-lenserklärungen der vertragsschließenden Parteien. Hier fehlt es schon an ei-nem entsprechenden Vertragsangebot der Beklagten. Aus der maßgeblichen Sicht des Kunden lässt sich der Übersendung einer Jahresabrechnung, die ein-seitig erhöhte Preise ausweist, nicht der Wille des Versorgungsunternehmens entnehmen, eine Änderung des Gaslieferungsvertrages hinsichtlich des verein-barten Preises herbeizuführen (vgl. Senatsurteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08, BGHZ 186, 180 Rn. 57 mwN).


18        Entgegen der Auffassung der Revision ändert sich diese Beurteilung nicht dadurch, dass die Beklagte die Änderungen ihrer Preise nicht nur öffent-lich bekannt gab, sondern allen Kunden - und damit auch dem Kläger - in indi-viduellen Schreiben ankündigte. Denn nach dem eigenen Vortrag der Beklagten hat sie Preiserhöhungen dem Kläger lediglich bekannt gemacht. Dass hierin ein - von dem Kläger auch ablehnbares - Angebot zur einvernehmlichen Ver-tragsanpassung liegen kann, ist für einen objektiven Empfänger (§§ 133, 157 BGB) nicht ersichtlich. Aus der Sicht des Kunden stellte sich die Mitteilung der Beklagten vielmehr als Ausübung des vertraglich geregelten einseitigen Preis-bestimmungsrechts dar und nicht als Angebot, den Preis einvernehmlich zu ändern.


19        3. Da die Preisänderungsklausel unwirksam ist, hat der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzah-lung der aufgrund der unwirksamen Gaspreiserhöhungen für den Zeitraum von Januar 2006 bis September 2008 gezahlten Erhöhungsbeträge. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Berechnung des Anspruchs jedoch nicht der bei Vertragsschluss geschuldete Anfangspreis zugrunde zu legen. Dies ergibt sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) des Versorgungsvertrages, deren Voraussetzungen das Berufungsgericht zu Unrecht verneint hat und die dazu führt, dass sich der Kläger nicht darauf beru-fen kann, für den genannten Zeitraum nur den ursprünglich vereinbarten An-fangspreis mit Rechtsgrund geleistet zu haben.


20        Beide Parteien waren sich bei Vertragsschluss einig, dass der vereinbar-te (Anfangs-)Preis nur zu Beginn des Versorgungsverhältnisses gelten und bei späteren Änderungen der allgemeinen Tarife ein anderer Preis geschuldet sein sollte. Denn die Aufnahme eines Preisänderungsrechts zeigt den Willen der Parteien, dass der Kunde - und nicht das Versorgungsunternehmen - Preisän-derungen tragen soll, die etwa auf Veränderungen der Brennstoffbezugskosten oder der Lohn- und Materialkosten zurückgehen. Aus der Aufnahme einer Preisänderungsklausel bei Vertragsschluss wird deutlich, dass sich die Parteien von dem lebensnahen Bewusstsein haben leiten lassen, dass Preisänderungen im Laufe des auf unbestimmte Zeit angelegten Bezugsverhältnisses zu erwar-ten sind und deshalb der Gefahr einer zukünftigen Äquivalenzstörung in ange-messener Weise zu begegnen ist. Da die von den Parteien vereinbarte Preisänderungsklausel der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB (Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB) nicht standhält, ist daher im Regelungsplan der Parteien eine Lücke eingetreten (vgl. Senatsurteile vom 1. Februar 1984 - VIII ZR 54/83, BGHZ 90, 69, 74, und VIII ZR 106/83, juris Rn. 27).


21        Diese Lücke im Vertrag ist im Wege einer ergänzenden Vertragsausle-gung gemäß §§ 157, 133 BGB in der Weise zu schließen, dass der Kläger die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten An-fangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.


22        a) Zwar hat der Senat in Fällen, in denen auf Feststellung der Unwirk-samkeit bestimmter Preiserhöhungen gerichtete Klagen von (Norm-)Sonder-kunden Erfolg hatten, die Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsausle-gung mit dem Ziel der Ersetzung einer unwirksamen Preisanpassungsklausel durch eine wirksame Klausel als nicht erfüllt angesehen (vgl. Senatsurteile vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 295/09, NJW 2011, 1342 Rn. 38 f.; vom 13. Januar 2010 - VIII ZR 81/08, NJW-RR 2010, 1202 Rn. 27; jeweils mwN). Diese Fälle waren aber dadurch gekennzeichnet, dass das Energieversorgungsunterneh-men es selbst in der Hand hatte, einer nach Widerspruch oder Vorbehaltszah-lung des Kunden zukünftig drohenden unbefriedigenden Erlössituation durch Ausübung des ihm vertraglich eingeräumten Kündigungsrechts in zumutbarer Weise zu begegnen.


23        Offen gelassen hat der Senat die - im Streitfall entscheidungserhebliche - Frage, ob eine nicht mehr hinnehmbare Störung des Vertragsgefüges dann an-zunehmen ist, wenn es sich um ein langjähriges Gasversorgungsverhältnis handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basieren-den Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirk-samkeit der Preiserhöhungen geltend macht (Senatsurteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08, aaO Rn. 52). Das ist zu bejahen. In diesen Fällen vermag die vertraglich vorgesehene, nur in die Zukunft wirkende Kündigungsmöglichkeit des Energieversorgungsunternehmens die Regelungslücke im Vertrag nicht in einer für beide Seiten zumutbaren Weise zu schließen. Denn bevor der Kunde Widerspruch erhob oder Zahlungen nur noch unter Vorbehalt leistete, hatte das Energieversorgungsunternehmen keinen Anlass, das bis dahin praktizierte Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung in Frage gestellt zu sehen und dementsprechend das Versorgungsverhältnis zu kündigen.


24        b) Die ergänzende Vertragsauslegung hat sich nicht nur an dem hypo-thetischen Parteiwillen, sondern auch an dem objektiven Maßstab von Treu und Glauben zu orientieren und muss zu einer die beiderseitigen Interessen ange-messen berücksichtigenden Regelung führen (Senatsurteile vom 1. Februar 1984 - VIII ZR 54/83, aaO S. 78, und VIII ZR 106/83, aaO Rn. 33). Bereits des-halb kommt es nicht in Betracht, an die Stelle der unwirksamen, weil den Ver-tragspartner des Klauselverwenders im Sinne des § 307 BGB unangemessen benachteiligenden Preisänderungsklausel im Wege der ergänzenden Vertrags-auslegung eine (wirksame) Bestimmung gleichen Inhalts zu setzen. Auch wi-derspräche dies im Ergebnis dem in der Rechtsprechung des Bundesgerichts-hofs seit langem anerkannten Verbot der geltungserhaltenden Reduktion unan-gemessener Allgemeiner Geschäftsbedingungen (vgl. Senatsurteil vom 3. No-vember 1999 - VIII ZR 269/98, BGHZ 143, 103, 118 f. mwN). Es geht vielmehr darum zu ermitteln, was die Parteien bei einer angemessenen, objektiv-generalisierenden Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben redli-cherweise vereinbart hätten, wenn sie bedacht hätten, dass die Wirksamkeit der verwendeten Preisänderungsklausel jedenfalls unsicher war (vgl. Senatsurteile vom 1. Februar 1984 - VIII ZR 54/83, aaO S. 75; vom 12. Juli 1989 - VIII ZR 297/88, NJW 1990, 115 unter III 1 c).


25        c) Nach Ansicht des Senats ist ein in diesem Sinne angemessener Inter-essenausgleich dadurch zu erzielen, dass der Kunde die Unwirksamkeit derje-nigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis überstei-genden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrech-nung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.


26        aa) Bei langfristigen Vertragsverhältnissen, insbesondere solchen, die auf Leistungsaustausch gerichtet sind, besteht ein anerkennenswertes Bedürf-nis, das bei Vertragsschluss bestehende Verhältnis von Leistung und Gegen-leistung über die gesamte Vertragsdauer im Gleichgewicht zu halten (vgl. Se-natsurteile vom 1. Februar 1984 - VIII ZR 106/83, aaO Rn. 32; vom 16. Januar 1985 - VIII ZR 153/83, BGHZ 93, 252, 258). Diesem Bedürfnis liefe es zuwider, wenn bei einem Energielieferungsvertrag mit langer Laufzeit die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen rückwirkend ohne zeitliche Begrenzung geltend gemacht werden könnte. Denn dies hätte zur Folge, dass der Energieversorger ohne Rücksicht auf Schwankungen seiner eigenen Bezugspreise für die gesamte Vertragslaufzeit nur den ursprünglich vereinbarten Preis beanspruchen könnte. Angesichts der Entwicklung der Energiepreise entstünde dadurch bei langfristi-gen Versorgungsverträgen regelmäßig ein gravierendes Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleistung. Dies wäre unbillig und würde dem Kunden einen unverhofften und ungerechtfertigten Gewinn verschaffen (vgl. Senatsurteile vom 1. Februar 1984 - VIII ZR 54/83, aaO S. 77 f., und VIII ZR 106/83, aaO; vom 12. Juli 1989 - VIII ZR 297/88, aaO unter II 2 b, III 1 b). Dies entspräche auch nicht dem objektiv zu ermittelnden hypothetischen Parteiwillen.


27        bb) Bei der Beurteilung, welche Regelung als angemessener Interessen-ausgleich anzusehen ist, darf auch der mit dem Energiewirtschaftsrecht verfolg-te Zweck einer möglichst sicheren und preisgünstigen Energieversorgung (§ 1 EnwG) nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. Senatsurteil vom 2. Oktober 1991 - VIII ZR 240/90, NJW-RR 1992, 183 unter III 2 a; Büdenbender, EnWG, 2003, § 1 Rn. 56). Zwar wurde er erstmals durch das Energiewirtschaftsgesetz vom 24. April 1998 (BGBl. I S. 730) in den Gesetzestext selbst aufgenommen. Er war jedoch auch schon in der Präambel des davor geltenden Energiewirt-schaftsgesetzes (in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 752-1, veröffentlichten bereinigten Fassung) enthalten und konnte bereits damals für die Auslegung des Energierechts herangezogen werden (Büdenbender, aaO Rn. 4; Braband, Strompreise zwischen Privatautonomie und staatlicher Kontrol-le, 2003, S. 9 f.; Germer/Loibl/Dorß, Energierecht, 2. Aufl., S. 69).


28        Das Ziel der Preisgünstigkeit ist nicht nur auf die möglichst billige Ener-gieversorgung der Endkunden ausgerichtet. Zu berücksichtigen sind zugleich die insbesondere durch die Kostenstruktur geprägte individuelle Leistungsfähig-keit der Versorgungsunternehmen sowie die Notwendigkeit, die Investitionskraft und die Investitionsbereitschaft zu erhalten und angemessene Erträge zu er-wirtschaften (Danner/Theobald, Energierecht, Stand 2011, § 1 EnWG Rn. 19; Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2. Aufl., § 1 Rn. 28; vgl. Braband, aaO S. 30). Insofern wurde im Recht der Energielieferung stets vorausgesetzt, dass die Möglichkeit des Versorgers besteht, Änderungen der Bezugspreise weiterzuge-ben, ohne den mit dem Kunden bestehenden Versorgungsvertrag kündigen zu müssen (vgl. BR-Drucks. 77/79, S. 34 [für die AVBGasV]; Senatsurteile vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 56/08, BGHZ 182, 41 Rn. 24, und VIII ZR 225/07, BGHZ 182, 59 Rn. 22; vom 24. März 2010 - VIII ZR 178/08, BGHZ 185, 96 Rn. 27, und VIII ZR 304/08, NJW 2010, 2793 Rn. 34).


29        Dass das Energieversorgungsunternehmen die Möglichkeit hat, Kosten-steigerungen weiterzugeben, dient daneben auch dem Zweck der Versor-gungssicherheit (vgl. Danner/Theobald, aaO Rn. 7 und 26). Denn diese betrifft nicht nur die technische Sicherheit der Energieversorgung und die Sicherstel-lung einer mengenmäßig stets ausreichenden Versorgung der Abnehmer (BR-Drucks. 806/96, S. 28; Braband, aaO S. 29). Sie hat vielmehr insoweit auch einen ökonomischen Aspekt, als die nötigen Finanzmittel für die Unterhaltung von Reservekapazitäten, für Wartungsarbeiten, Reparaturen, Erneuerungs- und Ersatzinvestitionen bereit stehen müssen (Britz/Hellermann/Hermes, aaO Rn. 26; Salje, EnWG, 2006, § 1 Rn. 27). Das wiederum setzt voraus, dass die-se Mittel durch auskömmliche Versorgungsentgelte erwirtschaftet werden kön-nen.


30        cc) Die Rückforderung bereits gezahlter Entgelte durch den Kunden be-rührt die genannten Zielsetzungen des Energiewirtschaftsrechts, da hierdurch dem Versorger im Nachhinein die Möglichkeit genommen wird, Kostensteige-rungen an den Kunden weiterzugeben, ohne dass er sich einer möglichen Un-terdeckung durch eine Kündigung des Sonderkundenvertrages entziehen kann, zu der er bei einem zeitnahen Widerspruch des Kunden Anlass gehabt hätte. Die Parteien hätten daher, wenn sie erkannt hätten, dass die Wirksamkeit der vereinbarten Preisanpassungsklausel unsicher war, jedenfalls eine Regelung vereinbart, nach der es ausgeschlossen ist, nach einem längeren Zeitraum die Unwirksamkeit von Preisanpassungen geltend zu machen, die zuvor nicht in Frage gestellt worden sind.


31        dd) Die Bestimmung einer Frist, innerhalb derer der Kunde die Preiser-höhung beanstanden muss, um sich auf ihre Unwirksamkeit berufen zu können, trägt den Interessen beider Parteien Rechnung. Ein Gasliefervertrag ist ein Dauerschuldverhältnis, bei dem ein besonderes Bedürfnis danach besteht, dass gegenseitige Ansprüche zeitnah geltend gemacht werden und sich nicht durch verspätete Geltendmachung aufsummieren (vgl. Senatsurteil vom 26. April 1989 - VIII ZR 12/88, WM 1989, 1023 unter B II 5 a bb; vgl. für die Energiever-sorger die Abrechnungsfrist in § 40 Abs. 2 EnWG). Zudem handelt es sich um ein Schuldverhältnis mit einer Vielzahl von Kunden und damit auch einer Viel-zahl von Abrechnungsvorgängen, die Jahr für Jahr aufeinander aufbauen. Die in diesen Jahresabrechnungen enthaltenen Preiserhöhungen dürfen daher nicht unvertretbar lange mit Unsicherheiten behaftet sein. Es ist vielmehr erforderlich, dass die sich für beide Seiten stellende Frage, ob eine bestimmte Preiserhö-hung Bestand hat oder nicht, ohne größere praktische Schwierigkeiten beant-wortet werden kann. Damit wird dem Versorger eine verlässliche Basis für seine (Kosten-)Kalkulationen geschaffen, während der Verbraucher weiß, mit welchen Kosten er zu rechnen hat, um hiernach sein Verbrauchsverhalten und gegebe-nenfalls auch die Wahl des Energieversorgers auszurichten.


32        ee) Ein Interessenausgleich, der die Geltendmachung von Rechten von der Reaktion einer Partei innerhalb gewisser Fristen abhängig macht, ist im Energierecht auch sonst verschiedentlich vorgesehen, so dass es nahe liegt, sich an diesen Vorbildern auch für die hier im Wege ergänzender Vertragsaus-legung vorzunehmende Lückenschließung zu orientieren. Das gilt namentlich für die - zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Tarifkundenbereich geltende - AVBGasV, die in besonderer Weise darauf abzielt, den mit der Leitungsgebun-denheit zusammenhängenden wirtschaftlich-technischen und rechtlichen Be-sonderheiten der Gasversorgung sowie dem energiepolitischen Ziel einer möglichst kostengünstigen Gasversorgung Rechnung zu tragen (vgl. BR-Drucks. 77/79, S. 34).


33        So ist etwa in § 21 AVBGasV geregelt, dass Ansprüche wegen Fehlern bei der Ermittlung des Rechnungsbetrages auf einen Zeitraum von längstens zwei Jahren beschränkt sind. Zur Begründung dafür führte der Verordnungsge-ber an: Es gelte zu vermeiden, dass der Kunde größeren Nachforderungen ausgesetzt werde, die weit in die Vergangenheit zurückreichten. Es empfehle sich daher, eine zeitliche Begrenzung festzulegen. Dabei sei zwar zu berück-sichtigen, dass dem Gasversorgungsunternehmen Einnahmen entgehen könn-ten. Unter Abwägung dieser Umstände erscheine es aber gerechtfertigt, an ei-ner für beide Seiten gleichen Ausschlussfrist von zwei Jahren festzuhalten. Bei-de Seiten müssten es in Kauf nehmen, dass ihnen im Einzelfall unter Umstän-den weitergehende Ansprüche auf Rückerstattung beziehungsweise Nachzah-lung abgeschnitten würden (BR-Drucks. 77/79, S. 58). An dieser Zielsetzung hat die GasGVV in ihrem § 18, der die Anspruchsbeschränkung gegenüber § 21 AVBGasV von zwei auf drei Jahre erweitert, im Wesentlichen festgehalten, wobei der Verordnungsgeber auch hier darauf hingewiesen hat, dass diese Be-stimmung im Interesse einer reibungslosen Durchführung des Vertragsverhält-nisses und des Rechtsfriedens eine zeitliche Beschränkung der Ansprüche ent-halte (BR-Drucks. 306/06, S. 39).


34        In § 30 AVBGasV findet sich eine weitere zeitliche Begrenzung. Einwän-de gegen Rechnungen und Abschlagsberechnungen berechtigen zum Zah-lungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur, wenn sich aus den Um-ständen ergibt, dass offensichtliche Fehler vorliegen, und der Zahlungsauf-schub oder die Zahlungsverweigerung innerhalb von zwei Jahren nach Zugang der fehlerhaften Rechnung oder Abschlagsberechnung geltend gemacht wird. Zur Begründung heißt es: Um die Abwicklung des Versorgungsverhältnisses nicht auf lange Zeit mit Rechtsunsicherheiten zu belasten, sei es zweckmäßig, das Recht auf Zahlungsaufschub und -verweigerung auf einen Zeitraum von zwei Jahren nach Zugang der fehlerhaften Berechnung zu begrenzen (BR-Drucks. 77/79, S. 64). Das bedeute nicht, dass der Kunde das Recht verliere, die mangelnde Berechtigung solcher Forderungen auch noch nach Ablauf von zwei Jahren geltend zu machen. Er solle dann allerdings spätere Zahlungen nicht mehr mit der Begründung verweigern können, frühere Forderungen ohne Rechtsgrund beglichen zu haben (BR-Drucks. 77/79, aaO).


35        e) Einer derartigen ergänzenden Vertragsauslegung steht nicht entge-gen, dass theoretisch unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Ausfüllung der durch die Unwirksamkeit der Preisänderungsklausel entstandenen vertragli-chen Regelungslücke in Betracht gekommen wären (vgl. Senatsurteile vom 1. Februar 1984 - VIII ZR 54/83, aaO S. 80 f.; vom 12. Juli 1989 - VIII ZR 297/88, aaO unter III 1 c mwN; BGH, Urteile vom 12. Oktober 2005 - IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 317 mwN; vom 6. November 2009 - V ZR 63/09, NVwZ 2010, 531 Rn. 43). Die vorstehend aus einer objektiv-generalisierenden Abwägung der gegenseitigen Interessen und den Erfordernissen einer funktio-nierenden Energiewirtschaft entwickelte, die Rechtsfolgen einer unwirksamen Preisanpassungsklausel begrenzende Regelung stellt, was entscheidend ist, eine für beide Seiten zumutbare Lösung dar. Eine ergänzende Vertragsausle-gung setzt im Übrigen nicht voraus, dass sich für jede Einzelheit der "techni-schen" Ausgestaltung der Vertragsergänzung konkrete Anhaltspunkte im Willen oder in den Erklärungen der Vertragsparteien nachweisen lassen (Senatsurteil vom 1. Februar 1984 - VIII ZR 54/83, aaO S. 81).


36        4. In Anwendung vorstehender Grundsätze ergibt sich für den Streitfall folgendes:


37        Der Kläger kann der Berechnung des Rückforderungsanspruchs nicht den im Jahre 1981 vereinbarten Ausgangspreis von 2,15 ct/kWh zugrunde le-gen und somit die Unwirksamkeit sämtlicher Preiserhöhungen seit Vertragsbe-ginn geltend machen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger erstmals mit Schreiben vom 21. Februar 2009 und damit nach Beendi-gung des Vertrages den Preiserhöhungen widersprochen. Während der gesam-ten Vertragslaufzeit über einen Zeitraum von 27 Jahren hat der Kläger die Preiserhöhungen und Jahresabrechnungen ohne Beanstandungen hingenom-men und damit der Beklagten keine Veranlassung gegeben, eine Beendigung des (Norm-)Sonderkundenverhältnisses - etwa mit dem Ziel eines Übergangs in das Grundversorgungsverhältnis (vgl. dazu Senatsurteil vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 295/09, aaO; Senatsbeschluss vom 7. Juni 2011 - VIII ZR 333/10, juris, Rn. 8; jew. mwN) - in Erwägung zu ziehen. Die Beklagte kann somit nicht an dem bei Vertragsschluss vereinbarten Preis festgehalten werden.


38        Welchen Arbeitspreis der Kläger seinem Rückforderungsanspruch zu-grunde legen kann, hängt davon ab, wann dem Kläger die einzelnen Jahresab-rechnungen der Beklagten zugegangen sind und gegen welche darin enthalte-nen Preiserhöhungen der Widerspruch des Klägers vom 21. Februar 2009 so-mit noch rechtzeitig erfolgt ist. Hierzu hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.


39        III. Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen zum Zugang der Jahresabrechnungen getrof-fen werden können (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

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