R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Wirtschaftsrecht
19.09.2024
Wirtschaftsrecht
BGH: Feststellung der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen der Beihilfe zu einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung – Tatsachenfeststellung in Berufungsinstanz

BGH, Urteil vom 11.7.2024 – III ZR 176/22

ECLI:DE:BGH:2024:110724UIIIZR176.22.0

Volltext: BB-Online BBL2024-2178-2

unter www.betriebs-berater.de

Amtliche Leitsätze

a) Zur Feststellung der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen der Beihilfe zu einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung; hier: Tragfähigkeit von Indizien.

b) Zur Tatsachenfeststellung in der Berufungsinstanz.

§ 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 830 BGB, § 27 StGB, § 263 StGB, § 529 Abs 1 Nr 1 ZPO, § 529 Abs 1 Nr 2 ZPO

 

Sachverhalt

Die Kläger nehmen den Beklagten auf Schadensersatz im Zusammenhang mit einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage in Anspruch.

Die Kläger unterhielten seit 2014 ein sogenanntes Vermögensverwaltungsmandat bei der in der Schweiz ansässigen P.        AG (nachfolgend P.      ) in Form eines "Systemhandels für Wertpapiere", in das sie 250.000 € investierten. Die Beendigung jenes Vertrages war durch den Verkauf der börsennotierten Wertpapiere für den Anleger jederzeit möglich. Ende März 2017 kündigte die P.        die Geschäftsbeziehung mit der Begründung, die Dienstleistung für Privatkunden werde aufgrund "externer Umstände" eingestellt.

Bereits im November 2016 war im Auftrag des (damaligen) Verwaltungsrats der P.      - dem ursprünglich mitverklagten und durch rechtskräftiges Urteil mit Abschluss der ersten Instanz aus dem Verfahren ausgeschiedenen T.        E.            - mit Hilfe des Beklagten, der Dienstleistungen auf dem Kapitalmarkt anbietet, die Pi.     S.                 SA (nachfolgend Pi.       ), eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts, gegründet worden, deren im Handelsregister verlautbarter Zweck die Eingehung von Verbriefungsgeschäften war. Der Beklagte wurde Verwaltungsratsmitglied der Pi.      . Diese gab Inhaberschuldverschreibungen auf eine "hypothetische Beteiligung" an der S.                                       (im Folgenden S.      oder Referenzgesellschaft), deren Verwaltungsrat ebenfalls der Beklagte war, mit einer Laufzeit bis 31. Dezember 2030 aus, worüber sie Anfang April 2017 einen Prospekt und ein Produktinformationsblatt erstellte. Nach den Prospektinformationen war die Pi.        berechtigt, aber nicht verpflichtet, die Inhaberschuldverschreibungen, für die es keinen geregelten Markt gab, vor Fälligkeit zurückzunehmen. Die Anlageentscheidungen der Referenzgesellschaft traf ein mit der Pi.      vertraglich verbundener sogenannter Investmentmanager, die V.       AG mit Sitz in Vaduz (Liechtenstein), deren Verwaltungsrat wiederum T.         E.             war. Mit dem Vertrieb der Kapitalanlage wurde eine Vermittlungsgesellschaft mit Sitz im Inland beauftragt, für die ebenfalls T.          E.            nach außen auftrat.

Die Anleger, die in den Wertpapierhandel bei der P.      investiert hatten, erhielten im Mai und Juni 2017 unter anderem von T.        E.           unterzeichnete Schreiben, mit denen ihnen die Kapitalanlage bei der Pi.       als kostenfreie und inhaltlich vergleichbare Alternative zu dem eingestellten "P.       -System" angeboten wurde. Darin wurde das Anlagemodell unter anderem mit seiner schnellen/kurzfristigen Verfügbarkeit durch tägliche Rücknahme seitens der Emittentin beworben. Entsprechend äußerte sich T.           E.              bei den Schulungen der Vermittler. Die Kläger erwarben im Oktober 2017 mit dem ursprünglich bei der P.      angelegten Geld Inhaberschuldverschreibungen der Pi.      im Gegenwert von nominal 325.000 € zuzüglich Kosten. Die Pi.     investierte das vereinnahmte Kapital auf Weisung des Investmentmanagers in die S.      , die es wiederum bei der P.      anlegte. Die beteiligten Gesellschaften sind mittlerweile insolvent beziehungsweise nicht mehr am Markt tätig. Die Kläger haben unter anderem behauptet, ausschlaggebend für ihre Anlageentscheidung sei die jederzeitige Verfügbarkeit ihres Kapitals gewesen, worüber sie durch die Mitwirkung des Beklagten getäuscht worden seien.

Das Landgericht hat T.      E.            und den Beklagten gemäß §§ 826, 830 BGB unter Abweisung der weitergehenden Klage wegen einer gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlung als Gesamtschuldner zum Ersatz des bei der Pi.       angelegten Nominalbetrags und eines Teils der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt sowie die vorsätzliche Begehung der Tat und den Annahmeverzug festgestellt. Auf die dagegen eingelegte Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil der Höhe nach teilweise abgeändert und den Schadensersatzanspruch auf den Gegenwert der ursprünglichen Einlage bei der P.      reduziert. Das weitergehende Rechtsmittel hat es zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der vom Senat zugelassenen Revision.

Aus den GRünden

6          Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.            I.

 

7          Das Berufungsgericht, das anders als in einem gleichgelagerten Parallelverfahren (Az. 17 U 769/20) nicht nur den objektiven, sondern auch den subjektiven Tatbestand einer Beihilfe des Beklagten zu einer von T.            E.          begangenen unerlaubten Handlung in Form der Täuschung der Kapitalanleger über die jederzeitige (Wieder-)Verfügbarkeit ihres investierten Kapitals bejaht hat, hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

 

8          Der Beklagte habe durch die Darstellung eines fingierten Kursverlaufs auf der Internetseite der Pi.       den Vertrieb der Anlage mit der falschen Angabe einer jederzeitigen Ausstiegsmöglichkeit zu einem bestimmten Kurs objektiv gefördert. Hierdurch habe bei den Anlegern der Eindruck verstärkt werden sollen, es handele sich um eine lohnende Investition, was diese zum Kauf der Inhaberschuldverschreibungen habe motivieren sollen. Ohne Erfolg wende sich der Beklagte gegen die - gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindende - Feststellung des Landgerichts, dies sei mit bewusst falschen Angaben zu den Eigenschaften der Inhaberschuldverschreibung vorsätzlich geschehen. Danach habe der Beklagte gewusst, dass T.          E.             in den Schulungen der Vermittler und gegenüber den Anlegern den Eindruck vermittelt habe, die Inhaberschuldverschreibungen würden an der Börse gehandelt und es gebe einen tagesaktuellen Kurs. Das Landgericht habe sich nachvollziehbar und verfahrensfehlerfrei auf das einzige dafür vorliegende Indiz - ein E-Mail-Schreiben des Beklagten vom 26. Mai 2017 an seine Mitarbeiter - und dessen Hintergründe in einer die Gesamtumstände und den Parteivortrag berücksichtigenden nachvollziehbaren Art und Weise gestützt. Diese Würdigung greife die Berufung vergeblich an. Dass der dargestellte Kursverlauf fingiert gewesen sei und ihm keine tatsächliche Wertentwicklung der Inhaberschuldverschreibung zugrunde gelegen habe, hätten die Kläger mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2019 vorgetragen, ohne dass der Beklagte dies in erster Instanz wirksam bestritten habe. Erstmals mit Schriftsatz vom 11. August 2021 nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug habe der Beklagte zu der Darstellung der Kursentwicklung und den Hintergründen seiner E-Mail vorgetragen. Diesen Vortrag habe das Landgericht rechtsfehlerfrei gemäß § 296a ZPO unberücksichtigt gelassen. Der Vortrag könne auch im Berufungsverfahren der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden. Die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO lägen nicht vor. Insbesondere habe das Landgericht weder einen Hinweis auf ein unzureichendes Bestreiten der Kenntnis von den Vertriebsmethoden erteilen müssen noch habe es eines Hinweises im Hinblick auf die E-Mail vom 26. Mai 2017 und den unbestrittenen Vortrag der Kläger im Schriftsatz vom 21. Oktober 2019 bedurft, wonach der dargestellte Kursverlauf fingiert gewesen sei und ihm keine tatsächliche Wertentwicklung der Inhaberschuldverschreibung zugrunde gelegen habe. Wie das Landgericht zu Recht ausgeführt habe, sei der E-Mail des Beklagten an seine Mitarbeiter zu entnehmen, dass er bewusst die Darstellung des fiktiven Kurses auf der - auch der Information der Anleger dienenden - Homepage der Pi.      nach den Wünschen des T.           E.             veranlasst habe. Dies habe nur dem Zweck dienen können, die Anleger zu täuschen und den Vertrieb der Kapitalanlage zu fördern. Daraus habe das Landgericht zu Recht den Schluss gezogen, der Beklagte habe gewusst, dass von T.         E.          in den Schulungen der Vermittler und gegenüber den Anlegern der Eindruck vermittelt worden sei, die Inhaberschuldverschreibungen der Pi.       würden an der Börse gehandelt und es gebe einen tagesaktuellen Kurs, zu dem diese gegebenenfalls zurückgenommen werden würden. Dem stehe die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Beklagten nicht entgegen. Denn die Feststellung beruhe auf einer im vom Beibringungsgrundsatz geprägten Zivilprozess als zugestanden geltenden Indiztatsache und nicht auf Erkenntnissen aus einem Ermittlungsverfahren, dessen Einstellung keine Bindungswirkung entfalte.         II.

 

9          Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung lässt sich ein - hier allein in Betracht kommender - deliktischer Anspruch gegen den Beklagten aus §§ 826, 830 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 263, 27 StGB nicht bejahen.

 

10        1. Allerdings hat das Berufungsgericht zutreffend die - auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfende (st. Rspr.; zB BGH, Urteile vom 14. Juli 2015 - VI ZR 463/14, WM 2015, 2112 Rn. 13 und vom 17. März 2015 - VI ZR 11/14, WM 2015, 819 Rn. 14 mwN) - internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gemäß Art. 7 Nr. 2 VO (EU) 1215/2012 (Brüssel-Ia-VO = EuGVVO; Gerichtsstand der unerlaubten Handlung; vgl. dazu BGH, Urteil vom 20. Juli 2021 - VI ZR 63/19, NJW 2021, 2977 Rn. 15 ff, 20 f; EuGH, NJW 2021, 144 Rn. 31) und die Anwendbarkeit deutschen Rechts bejaht. Hiergegen bringt auch die Revision nichts vor.

 

11        2. Nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen hat T.           E.             als Haupttäter den Anlegern und den Vertriebsmitarbeitern bewusst wahrheitswidrig vorgespiegelt, dass die von der Pi.       begebenen Inhaberschuldverschreibungen "jederzeit verfügbar" seien, der Anleger mithin nach Belieben auf sein Kapital zugreifen könne. Dies konnte nur dazu dienen, die Attraktivität der Kapitalanlage zu erhöhen und darüber hinwegzutäuschen, dass sie tatsächlich eine feste Laufzeit (bis Ende 2030) hatte. Soweit ein Anleger - wie hier die Kläger, denen es nach ihrem Vorbringen auf die Fungibilität ihres Investments ankam - sich aufgrund dieser unzutreffenden Angaben dafür entschied, die von der Pi.     aufgelegten Inhaberschuldverschreibungen zu erwerben, erfüllte eine solche planmäßige Fehlinformation über eine wesentliche Eigenschaft der Kapitalanlage nicht nur den Tatbestand des Eingehungsbetrugs, sondern auch der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (vgl. dazu zB BGH, Urteile vom 16. Februar 2016 - VI ZR 441/14, NJW-RR 2016, 683 Rn. 6 und vom 14. Juli 2015 - VI ZR 463/14 aaO Rn. 24 sowie Beschluss vom 18. August 2015 - VI ZR 302/14, juris Rn. 13).

 

12        3. Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen jedoch nicht die Annahme, dass der Beklagte eine vorsätzliche Beihilfehandlung zu dieser auf Täuschung der Anleger gerichteten rechtswidrigen Haupttat des T.         E.          begangen hat. Mit Erfolg wendet sich der Beklagte mit seinen Verfahrensrügen gegen die Beurteilung der Vorinstanz, er habe von der von T.            E.         gegenüber den Anlegern und Vermittlern verbreiteten Fehlinformation Kenntnis gehabt.

 

13        a) Die Gehilfenhaftung richtet sich nach strafrechtlichen Grundsätzen (vgl. zB BGH, Urteil vom 25. Juli 2005 - II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 57 mwN). Beihilfe ist danach die vorsätzliche Hilfeleistung zu einer Vorsatztat eines anderen. Objektiv muss die Beihilfehandlung zwar nicht für den Taterfolg ursächlich gewesen sein, die tatbestandsmäßige Handlung aber gefördert, erleichtert oder den Täter in seinem Entschluss zur Tatbegehung bestärkt haben (BGH aaO). Gehilfenvorsatz liegt vor, wenn der Gehilfe zwar nicht alle Einzelheiten, aber dennoch die zentralen Merkmale der Haupttat sowie deren Förderung durch sein Verhalten kennt oder zumindest im Sinne bedingten Vorsatzes für möglich hält und in Kauf nimmt (zB Senat, Urteil vom 26. August 2021 - III ZR 189/19, NJW 2022, 705 Rn. 18 m.zahlr.w.N.). Eine berufstypische "neutrale" Handlung des Hilfeleistenden - wie hier die Darstellung des Kursverlaufs auf der Webseite der Emittentin - ist dann als strafbare Beihilfe anzusehen, wenn dieser weiß, dass das von ihm geförderte Verhalten des Haupttäters auf die Begehung einer Straftat abzielt. In diesem Fall verliert das unterstützende Tun seinen "Alltagscharakter" und damit seine Sozialadäquanz und erscheint als Solidarisierung mit dem Täter. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, sondern hält er es lediglich für möglich, dass er zur Begehung einer Straftat genutzt wird, liegt regelmäßig noch keine strafbare Beihilfehandlung vor. Die Schwelle zu einer vorsätzlichen Beihilfe ist erst dann überschritten, wenn das von ihm erkannte Risiko eines strafbaren Verhaltens des Unterstützten derart hoch ist, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein lässt (Senat aaO mwN).

 

14        b) Ob Vorsatz vorliegt, ist eine Tatfrage, die das Tatgericht nach § 286 Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer gegebenenfalls durchgeführten Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden hat. An die Feststellungen des Tatgerichts ist das Revisionsgericht nach § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Revisionsrechtlich ist lediglich zu überprüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen verfahrensfehlerfrei umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also auf prozessordnungsgemäßer Grundlage beruht und vollständig sowie rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. zB BGH, Urteile vom 14. Juli 2015 aaO Rn. 25 und vom 3. Dezember 2013 - XI ZR 295/12, NJW 2014, 1098 Rn. 26 mwN).

 

15        Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht. Das Berufungsgericht hat mit seiner Annahme, an die Feststellung des Landgerichts, der Beklagte habe gewusst, dass T.           E.            gegenüber den Anlegern und in den Schulungen der Vermittler den Eindruck erweckt habe, die Inhaberschuldverschreibungen würden an der Börse gehandelt und es gebe einen tagesaktuellen Kurs, gebunden zu sein, den Umfang der ihm gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zukommenden Prüfungskompetenz und die daraus folgende Pflicht zur erneuten Tatsachenfeststellung verkannt. Soweit es die erstinstanzliche Würdigung des E-Mail-Schreibens vom 26. Mai 2017 darüber hinaus als nachvollziehbar angesehen hat und dies dahin zu verstehen sein sollte, dass es sich eine eigene Überzeugung von der Richtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung gebildet hat, hat das Oberlandesgericht seinerseits unter Verstoß gegen § 286 Abs. 1 ZPO dieser Indiztatsache einen ihr denklogisch nicht zukommenden Beweiswert zugemessen. Schließlich hat das Oberlandesgericht zum Nachteil des Beklagten einen Gehörsverstoß (Art. 103 Abs. 1 GG) begangen, indem es den Inhalt der Protokolle des Landgerichts Ellwangen (Jagst) nicht berücksichtigt und sich mit den Erwägungen, die die Staatsanwaltschaft zur Einstellung des gegen den Beklagten im Zusammenhang mit den vorliegenden Vorgängen geführten Ermittlungsverfahrens bewogen haben, nicht auseinandergesetzt hat. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Vorinstanz - hätte sie all dies entweder einzeln oder in seiner Gesamtschau berücksichtigt - die subjektive Tatseite beim Beklagten anders als geschehen bewertet und einen Gehilfenvorsatz verneint hätte.

 

16        aa) Zu Unrecht hat sich das Oberlandesgericht an die Feststellungen des Landgerichts zu der Kenntnis des Beklagten von der vom Inhalt des Prospekts und des Informationsblatts abweichenden Darstellung der Eigenschaft der Inhaberschuldverschreibungen als "frei verfügbar" durch T.        E.           gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden gehalten. Das Berufungsgericht hat die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen nur zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Solche Anhaltspunkte, welche die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, WM 2004, 845, 846 mwN). Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind (BGH aaO). Zweifel an der Vollständigkeit oder Richtigkeit der festgestellten Tatsachen können sich mithin auch darauf gründen, dass die Beweiswürdigung des Erstrichters unvollständig oder unrichtig war und das Urteil deshalb im Ergebnis möglicherweise nicht zutrifft (vgl. zB BGH, Urteile vom 19. Juli 2019 - V ZR 255/17, NJW 2019, 3147 Rn. 65 und vom 9. März 2005 - VIII ZR 266/03, BGHZ 162, 313, 317; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl., § 529 Rn. 8). Dabei ist eine Verletzung des § 286 Abs. 1 ZPO durch Missachtung von Denkgesetzen oder gesicherten Erfahrungssätzen bei der Beweiswürdigung von Amts wegen zu berücksichtigen (MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl., § 529 Rn. 14). Gegen Denkgesetze verstößt eine Beweiswürdigung etwa dann, wenn das Gericht einem bestimmten Umstand eine Indizwirkung beimisst, die diesem nicht zukommen kann (zB BGH, Urteile vom 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10, NJW 2012, 3439 Rn. 29 und vom 22. Januar 1991 - VI ZR 97/90, NJW 1991, 1894, 1895; BeckOK/Bacher, ZPO, 52. Edition, § 286 Rn. 12.4 [Stand 1. März 2024]). Hieran gemessen, war die Beweiswürdigung durch das erstinstanzliche Gericht fehlerhaft. Denn das Landgericht hat dem E-Mail-Schreiben vom 26. Mai 2017 eine Indizwirkung zugemessen, die es nicht hat.

 

17        Das an seine Mitarbeiter gerichtete E-Mail-Schreiben des Beklagten (Anlage K 37) hat folgenden Wortlaut:   "Moin die Herrschaften, ich war ja bekanntermaßen am Mittwoch in Berlin, und da sind noch einige Wünsche geäußert worden.         Ad 1.) Darstellung auf unserer PI.       -Web-Site            Wir sollten den Kursverlauf darstellen, so wie wir es auch bei Fonds darstellen. Vielleicht eine Idee, wie wir es umsetzen können?     Ad 2.) Kursverlauf       Herr E.             wünscht sich, dass wir bei dem Zertifikat eine Linie in den Kursverlauf geben, d.h. wir sollen mindestens 8 % darstellen, und für die Besonderheiten bis zu 12 % nach Kosten umsetzen. Jedoch sollten wir nicht eine gerade Linie darstellen, das soll ein wenig im Verlauf "schwanken".    Immer zu besonderen Zeitpunkten machen wir dann einen harten oder weichen "Re-Set" - relativ klar [nicht lesbar] meine? Dann haben wir auch keine Thematiken mehr, wann wir uns wie [gemeint sein dürfte "die"] Kosten entnehmen können. On the long run wird der Kurs sich glätten, am Anfang ist das immer ein wenig schwierig. (…)"

 

18        Zu Unrecht hat das Landgericht gemeint, der Inhalt dieser Nachricht lasse "nur die Schlussfolgerung zu", dass der Beklagte in die Machenschaften des T.        E.             eingeweiht gewesen sei, und die Täuschung über einen in Wahrheit nicht existenten Börsenkurs habe ersichtlich "nur den Sinn" gehabt, "den Kunden eine jederzeit - zu einem bestimmten Kurs - gegebene Verkäuflichkeit der Inhaberschuldverschreibungen vorzuspiegeln." Das Landgericht ist damit davon ausgegangen, der Inhalt der Mail lasse zwingend den Rückschluss auf die Kenntnis des Beklagten von der Absicht des T.          E.            , über die Fungibilität der Anlage zu täuschen, zu. Damit hat das erstinstanzliche Gericht der Nachricht jedoch eine ihr - jedenfalls ohne weitere (nicht festgestellte) Indizien - denklogisch nicht zukommende Beweiswirkung beigemessen, denn zumindest unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstands im Übrigen waren auch andere Interpretationen möglich. Das E-Mail-Schreiben steht weder im unmittelbaren Zusammenhang mit der von T.         E.        gegenüber den Anlegern und Vermittlern behaupteten Fungibilität der Anlage noch lässt sich aus der Nachricht zwingend auf eine vorzutäuschende Börsennotierung der Anlage und damit deren uneingeschränkte jederzeitige Handelbarkeit schließen. Vielmehr ergab sich aus dem E-Mail-Schreiben, dass auch bei Fondsbeteiligungen, die - jedenfalls, soweit es um geschlossene Fonds geht - nicht an der Börse gehandelt werden, Kursverläufe dargestellt wurden. Überdies wurden nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden und von dem in erster Instanz vernommenen Zeugen K.       bestätigten Vortrag des Beklagten die Inhaberschuldverschreibungen bei ausreichender Liquidität der Emittentin (freiwillig) wieder zurückgenommen, weswegen einem außerbörslichen Kurs ein gewisser Sinn nicht abzusprechen war. Dass der Kurs des neu aufgelegten Wertpapiers fingiert gewesen sein mag, genügt hingegen nicht, um eine Teilnahme des Beklagten an einem von T.          E.           begangenen Betrug in Form der Täuschung über die jederzeitige Verfügbarkeit des angelegten Geldes zu belegen. Zu einer aus einer Fiktion des Kurses ableitbaren Täuschung über den Wert der Anlage gibt es bislang keine tatrichterlichen Feststellungen.

 

19        bb) Sollten die Ausführungen des Berufungsgerichts hingegen dahin zu verstehen sein, dass es sich nicht nur an die vom Landgericht vorgenommene Würdigung gebunden erachtet, sondern diese auch inhaltlich geteilt hat, ist dies nach den vorstehenden Gründen revisionsrechtlich ebenfalls gemäß § 286 Abs. 1 ZPO zu beanstanden (vgl. BGH, Urteile vom 10. Juli 2012 und vom 22. Januar 1991; jew. aaO).

 

20        cc) Ob die Rüge der Revision zutrifft, das Berufungsgericht habe den Vortrag des Beklagten zur Aussagekraft der Mail in der Berufungsbegründung auch unter Verstoß gegen § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO unberücksichtigt gelassen, kann deshalb auf sich beruhen.

 

21        dd) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang überdies Vorbringen des Beklagten nicht beziehungsweise nur unvollständig berücksichtigt (§ 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 ZPO) und dadurch in entscheidungserheblicher Weise dessen rechtliches Gehör verletzt.

 

22        Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils begründen, können sich auch aus neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln ergeben, wenn diese in der Berufungsinstanz zu beachten sind (vgl. zB BGH, Urteil vom 19. März 2004 - V ZR 104/03, BGHZ 158, 295, 301 f und Leitsatz b). Bleibt ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil es der Tatrichter in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie § 531 ZPO zu Unrecht zurückgewiesen hat, ist zugleich der Anspruch der Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt (st. Rspr.; vgl. zB BGH, Urteil vom 27. Februar 2018 - VIII ZR 90/17, NJW 2018, 1686 Rn. 13, 30; Beschlüsse vom 3. März 2015 - VI ZR 490/13, NJW-RR 2015, 1278 Rn. 7 und vom 21. März 2013 - VII ZR 58/12, NJW-RR 2013, 655 Rn. 12).

 

23        (1) Das Berufungsgericht hätte den bereits mit Schriftsatz vom 11. August 2021 und später auch in der Berufungsbegründung in Bezug genommenen Inhalt der Protokolle des Landgerichts Ellwangen (Jagst) über die - als solches unstreitigen - Angaben, die der Beklagte bei seiner Anhörung zur Darstellung des Kursverlaufs und der Herkunft der Kursdaten gemacht hatte (Anlagen K 25 und 26), zur Kenntnis nehmen und bei seiner Beurteilung berücksichtigen müssen (zur Berücksichtigung von unstreitigem neuen Vorbringen: zB BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 - VI ZR 551/13, r+s 2015, 212 Rn. 5 mwN und Urteil vom 18. November 2004 - IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138, 144 f). Dort hatte sich der Beklagte dahingehend geäußert, die P.     habe durch die Schaffung einer neuen Investmentstrategie abgelöst werden sollen, die deren Grundcharakter aber habe beibehalten sollen. Es habe die Vorgabe bestanden, die Gelder (über die S.      ) - zumindest vorerst - in die P.      zu investieren. Die Inhaberschuldverschreibungen hätten wie üblich eine feste Laufzeit haben sollen. Eine (vorzeitige) Rückgabe habe jedoch möglich sein sollen, soweit liquide Mittel dafür vorhanden gewesen seien. Der Kursverlauf habe auf den Daten der P.        in der Vergangenheit basiert und insoweit eine Prognose dargestellt. Ähnliche Angaben des Beklagten hat das Berufungsgericht im Parallelverfahren 17 U 769/20 - ungeachtet einer etwaigen Fragwürdigkeit der Darstellung der in der Vergangenheit erzielten Renditen bei der P.       und deren Bedeutung für die tatsächliche Wertentwicklung der Inhaberschuldverschreibungen der Pi.        - als plausibel angesehen und angenommen, die Darstellung einer Wertentwicklung sei zu Marketingzwecken auch bei nicht börsengehandelten Kapitalanlageprodukten üblich und kein Hinweis darauf, dass das angelegte Kapital täglich verfügbar sei (vgl. Urteilsumdruck S. 36, vorgelegt als Anlage NZBB 1).

 

24        (2) Ebenfalls zutreffend rügt die Revision die fehlende Einbeziehung der Gründe, die die Staatsanwaltschaft zur Einstellung des gegen den Beklagten in diesem Zusammenhang geführten Ermittlungsverfahrens bewogen haben, in die Beurteilung des Berufungsgerichts und damit einen weiteren damit einhergehenden Verstoß gegen den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

 

25        Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht unter anderem dazu, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft - in den Gründen zu bescheiden (st. Rspr., vgl. zB BGH, Beschluss vom 18. Juli 2019 - I ZB 90/18, WM 2019, 1973 Rn. 10). Setzt sich das Gericht mit dem Parteivortrag inhaltlich nicht auseinander, sondern geht es mit Leerformeln über diesen hinweg, ist dies im Hinblick auf die Anforderungen aus dem Verfahrensgrundrecht nicht anders zu behandeln als ein kommentarloses Übergehen (BGH aaO).

 

26        So liegt der Fall hier. Zwar hat das Oberlandesgericht den Umstand, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat (Anlagen BK 5 und 16), zur Kenntnis genommen. Es ist auch im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass dies für das vorliegende Verfahren keine Bindungswirkung hat, weil sich der Zivilrichter seine Überzeugung im Rahmen freier Beweiswürdigung selbst bilden muss (vgl. dazu Senat, Urteil vom 26. August 2021 - III ZR 189/19, NJW 2022, 705 Rn. 11 mwN; BGH, Beschluss vom 16. März 2005 - IV ZR 140/04, NJW-RR 2005, 1024, 1025), und es Unterschiede bei der Tatsachenfeststellung - nach dem Amtsermittlungsgrundsatz im Ermittlungsverfahren einerseits und dem vom Beibringungsgrundsatz geprägten Zivilprozess andererseits - gibt, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Allerdings ist das Gericht bei einem engen rechtlichen und sachlichen Zusammenhang von Zivil- und Strafverfahren gehalten, sich mit den dort maßgeblichen Feststellungen auseinanderzusetzen, soweit sie für seine eigene Beweiswürdigung relevant sind (vgl. zum Strafurteil Senat aaO mwN; BGH aaO). Nichts anderes kann für das hier vorliegende Ermittlungsverfahren und die Begründung der Einstellungsentscheidung gelten. Eine solche Auseinandersetzung ist vorliegend unterblieben.

 

27        In der - dem Beklagten erst nach Abschluss der ersten Instanz übermittelten - Einstellungsverfügung vom 25. Mai 2021 (BK 5) heißt es, der Hauptbeschuldigte E.          habe nur wenige Personen in die Tatbegehung eingeweiht, sondern sich diverser Personen bedient, ohne diesen die wirklichen Hintergründe ihrer Dienstleistungen und Tätigkeiten zu offenbaren. Dies betreffe insbesondere auch den Beklagten als Vertreter der M.         G.       . Trotz aufwendiger Ermittlungen habe ihm ein hinreichender Tatverdacht eines vorsätzlichen Handelns nicht nachgewiesen werden können. Diese Erwägungen betreffen den Kern des Vortrags des Beklagten, der eine vorsätzliche Unterstützungshandlung zugunsten des T.         E.         bestritten hat. Das Berufungsgericht hätte daher die Gründe, die zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Beklagten führten, in seine tatrichterliche Würdigung einbeziehen müssen.           III.

 

28        Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und - da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist - zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es sich mit den vorstehend genannten Aspekten auseinandersetzen und gegebenenfalls neue Feststellungen treffen kann (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sollte das Oberlandesgericht insoweit zu dem Ergebnis gelangen, dass eine vorsätzliche Mitwirkung des Beklagten an einer Täuschung der Anleger über die Fungibilität der Kapitalanlage zu verneinen sein sollte, wird es sich gegebenenfalls auch mit den weiteren gegen den Beklagten erhobenen Vorwürfen zu befassen haben.

stats