EuGH: Festsetzung von Mindestpreisen für Weiterverkauf und „bezweckte Wettbewerbsbeschränkung“
EuGH, Urteil vom 29.6.2023 – C-211/22, Super Bock Bebidas SA, AN, BQ gegen Autoridade da Concorrência
ECLI:EU:C:2023:529
Volltext: BB-Online BBL2023-1857-1
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Tenor
1. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass die Feststellung, dass eine vertikale Vereinbarung über die Festsetzung von Mindestpreisen für den Weiterverkauf eine „bezweckte Wettbewerbsbeschränkung“ enthält, nur getroffen werden kann, nachdem festgestellt wurde, ob diese Vereinbarung unter Berücksichtigung des Inhalts ihrer Bestimmungen, der mit der Vereinbarung verfolgten Ziele sowie aller Gesichtspunkte, die den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, bilden, den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt.
2. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine „Vereinbarung“ im Sinne dieses Artikels vorliegt, wenn ein Lieferant seinen Vertriebshändlern Mindestpreise für den Weiterverkauf der von ihm vertriebenen Waren vorschreibt, soweit die Vorgabe dieser Preise durch den Lieferanten und ihre Einhaltung durch die Vertriebshändler Ausdruck des übereinstimmenden Willens der Parteien ist. Diese Übereinstimmung des Willens kann sich sowohl aus den Klauseln des in Rede stehenden Vertriebsvertrags ergeben, wenn dieser eine ausdrückliche Aufforderung enthält, Mindestpreise für den Weiterverkauf einzuhalten, oder den Lieferanten zumindest autorisiert, solche Preise festzusetzen, als auch aus dem Verhalten der Parteien und insbesondere der ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung der Vertriebshändler zu der Aufforderung, sich an Mindestpreise für den Weiterverkauf zu halten.
3. Art. 101 AEUV in Verbindung mit dem Effektivitätsgrundsatz ist dahin auszulegen, dass das Vorliegen einer „Vereinbarung“ im Sinne dieses Artikels zwischen einem Lieferanten und seinen Vertriebshändlern nicht nur durch unmittelbare Beweise nachgewiesen werden kann, sondern auch durch objektive und übereinstimmende Indizien, aus denen auf das Vorliegen einer solchen Vereinbarung geschlossen werden kann.
4. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass der Umstand, dass eine vertikale Vereinbarung über die Festsetzung von Mindestpreisen für den Weiterverkauf nahezu das gesamte, aber nicht das vollständige Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats abdeckt, nicht ausschließt, dass diese Vereinbarung den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 Abs. 1 AEUV sowie von Art. 4 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 [AEUV] auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 2010, L 102, S. 1) sowie der Leitlinien für vertikale Beschränkungen (ABl. 2010, C 130, S. 1).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Super Bock Bebidas SA (im Folgenden: Super Bock), AN und BQ einerseits sowie der Autoridade da Concorrência (Wettbewerbsbehörde, Portugal) andererseits über die Rechtmäßigkeit von deren Entscheidung, mit der ein Verstoß von Super Bock, AN und BQ gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt wurde und deshalb Geldbußen gegen sie verhängt wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Die Verordnung Nr. 330/2010 trat mit Wirkung zum 1. Juni 2010 an die Stelle der Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission vom 22. Dezember 1999 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 [EG] auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 1999, L 336, S. 21). Die Verordnung Nr. 330/2010 galt gemäß ihrem Art. 10 Abs. 2 bis zum 31. Mai 2022.
4 In den Erwägungsgründen 5 und 10 der Verordnung Nr. 330/2010, die im Wesentlichen den Erwägungsgründen 5 und 10 der Verordnung Nr. 2790/1999 entsprechen, hieß es:
„(5) Die durch diese Verordnung bewirkte Gruppenfreistellung sollte nur vertikalen Vereinbarungen zugute kommen, von denen mit hinreichender Sicherheit angenommen werden kann, dass sie die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen.
…
(10) Diese Verordnung sollte keine vertikalen Vereinbarungen freistellen, die Beschränkungen enthalten, die wahrscheinlich den Wettbewerb beschränken und den Verbrauchern schaden oder die für die Herbeiführung der effizienzsteigernden Auswirkungen nicht unerlässlich sind; insbesondere vertikale Vereinbarungen, die bestimmte Arten schwerwiegender Wettbewerbsbeschränkungen enthalten, wie die Festsetzung von Mindest- oder Festpreisen für den Weiterverkauf oder bestimmte Arten des Gebietsschutzes, sollten daher ohne Rücksicht auf den Marktanteil der beteiligten Unternehmen von dem mit dieser Verordnung gewährten Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung ausgeschlossen werden.“
5 Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 330/2010 enthielt folgende Begriffsbestimmungen:
„Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen:
a) ‚vertikale Vereinbarung‘ ist eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise, die zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes für die Zwecke der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweise auf einer anderen Ebene der Produktions- oder Vertriebskette tätig ist, geschlossen wird und die die Bedingungen betrifft, zu denen die beteiligten Unternehmen Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen dürfen;
b) ‚vertikale Beschränkung‘ ist eine Wettbewerbsbeschränkung in einer vertikalen Vereinbarung, die unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt“.
6 Im Wesentlichen gleichlautende Begriffsbestimmungen fanden sich in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2790/1999.
7 Die Art. 2 der Verordnungen Nrn. 2790/1999 und 330/2010 enthielten eine Freistellungsregel. Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 330/2010, der im Wesentlichen Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2790/1999 entspricht, lautete:
„Nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV und nach Maßgabe dieser Verordnung gilt Artikel 101 Absatz 1 AEUV nicht für vertikale Vereinbarungen.
Diese Freistellung gilt, soweit solche Vereinbarungen vertikale Beschränkungen enthalten.“
8 Die Art. 4 der Verordnungen Nrn. 2790/1999 und 330/2010 betrafen „Kernbeschränkungen“, die keine Gruppenfreistellung beanspruchen konnten. Art. 4 der Verordnung Nr. 330/2010, der im Wesentlichen Art. 4 der Verordnung Nr. 2790/1999 entspricht, bestimmte:
„Die Freistellung nach Artikel 2 gilt nicht für vertikale Vereinbarungen, die unmittelbar oder mittelbar, für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen unter der Kontrolle der Vertragsparteien Folgendes bezwecken:
a) Die Beschränkung der Möglichkeit des Abnehmers, seinen Verkaufspreis selbst festzusetzen; dies gilt unbeschadet der Möglichkeit des Anbieters, Höchstverkaufspreise festzusetzen oder Preisempfehlungen auszusprechen, sofern sich diese nicht infolge der Ausübung von Druck oder der Gewährung von Anreizen durch eines der beteiligten Unternehmen tatsächlich wie Fest- oder Mindestverkaufspreise auswirken;
…“
Portugiesisches Recht
9 Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Lei n.° 19/2012 – Aprova o novo regime jurídico da concorrência, revogando as Leis n.os 18/2003, de 11 de junho, e 39/2006, de 25 de agosto, e procede à segunda alteração à Lei n.° 2/99, de 13 de janeiro (Gesetz Nr. 19/2012 zur Genehmigung der Neuregelung des Wettbewerbs, zur Aufhebung des Gesetzes Nr. 18/2003 vom 11. Juni 2003 und des Gesetzes Nr. 39/2006 vom 25. August 2006 und zur zweiten Änderung des Gesetzes Nr. 2/99 vom 13. Januar 1999) vom 8. Mai 2012 (Diário da República, Serie 1, Nr. 89/2012 vom 8. Mai 2012, im Folgenden: NRJC) sieht vor:
„Verboten sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, die eine Verhinderung, Verfälschung oder spürbare Einschränkung des Wettbewerbs auf dem gesamten nationalen Markt oder einem Teil davon bezwecken oder bewirken, insbesondere
a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen…“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
10 Bei Super Bock handelt es sich um ein Unternehmen mit Sitz in Portugal, das Bier, Wasser in Flaschen, Erfrischungsgetränke, Eistee, Wein, Sangria und Apfelwein herstellt und vertreibt. Es ist hauptsächlich auf den Märkten für Bier und Wasser in Flaschen tätig.
11 Bei AN und BQ handelt es sich um ein Mitglied des Verwaltungsrats von Super Bock und einen Leiter ihrer Geschäftsabteilung für Verkäufe über den auch als „On-trade“-Kanal bezeichneten „HoReCa“-Vertriebskanal.
12 Dieser Kanal, auf den sich das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verhalten bezieht, betrifft die Getränkeverkäufe in Hotels, Restaurants und Cafés, also den Verzehr außer Haus. Für den Vertrieb von Getränken in Portugal über diesen Kanal schloss Super Bock Alleinvertriebsverträge mit unabhängigen Vertriebshändlern. Diese verkaufen die bei Super Bock erworbenen Getränke nahezu im gesamten portugiesischen Hoheitsgebiet. Lediglich bestimmte Gebiete werden über Direktverkäufe von Super Bock beliefert. Dabei handelt es sich um Lissabon, Porto, Madeira, Coimbra (Portugal) (bis 2013) sowie ab 2014 um die Inseln Pico und Faial (Portugal).
13 Nach dem vom vorlegenden Gericht als erwiesen angesehenen Sachverhalt bestimmte Super Bock zumindest in der Zeit vom 15. Mai 2006 bis zum 23. Januar 2017 gegenüber all diesen Händlern regelmäßig, allgemein und unverändert die Geschäftsbedingungen, die sie beim Weiterverkauf der von Super Bock an sie verkauften Waren einhalten mussten, und verlangte deren Einhaltung. Super Bock legte insbesondere Mindestpreise für den Weiterverkauf fest, um die Aufrechterhaltung eines stabilen und einheitlichen Mindestpreisniveaus auf dem gesamten nationalen Markt zu gewährleisten.
14 Konkret genehmigte Super Bock in der Regel monatlich eine Liste mit Mindestpreisen für den Weiterverkauf, die sie an die Vertriebshändler weiterleitete. Die Netz- oder Markt-Manager bei Super Bock übermittelten die Weiterverkaufspreise entweder mündlich oder schriftlich (per E‑Mail) an die Vertriebshändler. Diese Preise wurden im Allgemeinen von den Vertriebshändlern angewendet. Letztere unterlagen ihrerseits im Rahmen eines von Super Bock eingeführten Kontroll- und Überwachungssystems der Verpflichtung, Informationen über den Weiterverkauf, beispielsweise zu Mengen und Beträgen, an Super Bock zu übermitteln. Bei Nichtbeachtung der Preise setzten sich die Vertriebshändler nach den von Super Bock festgelegten Geschäftsbedingungen „Vergeltungsmaßnahmen“ aus, wie der Streichung finanzieller Anreize, die in Preisnachlässen beim Kauf von Produkten und der Erstattung der von den Vertriebshändlern beim Weiterverkauf gewährten Preisnachlässen bestanden, sowie der Einstellung der Belieferung und der Auffüllung der Lagerbestände. Damit liefen sie Gefahr, die Garantie positiver Vertriebsmargen zu verlieren, die ihnen im Rahmen der Geschäftsbedingungen gewährt wurde.
15 Die Wettbewerbsbehörde ging davon aus, dass diese Praxis, über direkte und indirekte Maßnahmen Preise und weitere Bedingungen für den Weiterverkauf durch ein Netz unabhängiger Vertriebshändler im HoReCa-Vertriebskanal nahezu im gesamten portugiesischen Hoheitsgebiet festzulegen, einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der NRJC und Art. 101 Abs. 1 Buchst. a AEUV darstellt. Sie verhängte daher gegen Super Bock, AN und BQ Geldbußen.
16 Das von diesen angerufene Tribunal da Concorrência, Regulação e Supervisão (Gericht für Wettbewerb, Regulierung und Aufsicht, Portugal) bestätigte die Entscheidung der Wettbewerbsbehörde.
17 Gegen dieses Urteil legten Super Bock, AN und BQ beim Tribunal da Relação de Lisboa (Berufungsgericht Lissabon, Portugal), dem in der vorliegenden Rechtssache vorlegenden Gericht, Berufung ein.
18 Das vorlegende Gericht sieht angesichts der vor ihm vorgebrachten Argumente und der von den Parteien des bei ihm anhängigen Rechtsstreits vorgeschlagenen Vorabentscheidungsfragen Klärungsbedarf hinsichtlich der Auslegung von Art. 101 AEUV. Es wirft erstens die Frage auf, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Begriff der „bezweckten Wettbewerbsbeschränkung“ auch eine vertikale Vereinbarung zur Festsetzung von Mindestpreisen für den Weiterverkauf erfassen kann. Zweitens beziehen sich seine Fragen auf den Begriff „Vereinbarung“, wenn ein Lieferant seinen Vertriebshändlern die Mindestpreise für den Weiterverkauf vorschreibt. Drittens möchte es wissen, ob der Begriff der „Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten“ die Folgen einer Vertriebsvereinbarung erfassen kann, die für lediglich nahezu das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats gilt.
19 Unter diesen Umständen hat das Tribunal da Relação de Lisboa (Berufungsgericht Lissabon) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist die vertikale Festsetzung von Mindestpreisen per se eine bezweckte Zuwiderhandlung, die keine vorherige Prüfung der hinreichenden Schädlichkeit der Vereinbarung erfordert?
2. Erfordert der Nachweis des Tatbestandsmerkmals „Vereinbarung“ der Zuwiderhandlung durch (stillschweigende) Festsetzung von Mindestpreisen gegenüber den Vertriebshändlern den konkreten Nachweis, dass sich die Vertriebshändler in der Praxis an die festgesetzten Preise gehalten haben, und zwar durch einen direkten Beweis?
3. Genügen erstens die Übersendung von Tabellen mit Mindestpreisen und Vertriebsmargen, zweitens das Ersuchen um Angabe von Verkaufspreisen seitens der Vertriebshändler, drittens Beschwerden seitens der Vertriebshändler (wenn sie der Ansicht waren, dass die ihnen auferlegten Weiterverkaufspreise nicht wettbewerbsfähig waren, oder wenn sie feststellten, dass sich konkurrierende Vertriebshändler nicht daran hielten), sowie viertens das Vorhandensein von Mechanismen zur Überwachung von (Mindestdurchschnitts‑)Preisen und fünftens von Vergeltungsmaßnahmen (ohne Nachweis ihrer konkreten Anwendung), um eine Zuwiderhandlung durch (stillschweigende) Festsetzung von Mindestpreisen gegenüber den Vertriebshändlern zu bejahen?
4. Ist im Licht von Art. 101 Abs. 1 Buchst. a AEUV, Art. 4 Buchst. a der Verordnung Nr. 330/2010, der Leitlinien für vertikale Beschränkungen und der Rechtsprechung der Gerichte der Europäischen Union davon auszugehen, dass eine Vereinbarung zwischen Lieferant und Vertriebshändlern über die (vertikale) Festsetzung von Mindestpreisen und anderen für den Weiterverkauf geltenden Geschäftsbedingungen für den Wettbewerb hinreichend schädlich ist, unbeschadet der Prüfung etwaiger positiver wirtschaftlicher Auswirkungen dieser Praxis im Sinne von Art. 101 Abs. 3 AEUV?
5. Ist es mit Art. 101 Abs. 1 Buchst. a AEUV und mit der Rechtsprechung der Unionsgerichte vereinbar, wenn in einer gerichtlichen Entscheidung festgestellt wird, dass das objektive Tatbestandsmerkmal der „Vereinbarung“ zwischen Lieferant und Vertriebshändlern erfüllt ist, und zwar auf der Grundlage:
a) der während der Dauer der Praxis regelmäßigen, allgemeinen und unveränderten Festlegung und Auferlegung der Geschäftsbedingungen durch den Lieferanten gegenüber den Vertriebshändlern, die diese Bedingungen beim Weiterverkauf der vom Lieferanten bezogenen Waren einzuhalten haben, insbesondere der Preise, die sie ihren Kunden in Rechnung stellen, vor allem in Form von Mindestpreisen oder Mindestdurchschnittspreisen;
b) der Übermittlung der mündlich oder schriftlich (per E‑Mail) auferlegten Weiterverkaufspreise;
c) der fehlenden Möglichkeit für die Vertriebshändler, ihre Weiterverkaufspreise selbst festzulegen;
d) der üblichen und allgemeinen Praxis, die darin besteht, dass die Mitarbeiter des Lieferanten die Vertriebshändler (in Telefongesprächen oder persönlich) auffordern, die angegebenen Preise einzuhalten;
e) des Umstands, dass die Vertriebshändler die vom Lieferanten festgelegten Weiterverkaufspreise im Allgemeinen eingehalten haben (mit punktuellen Ausnahmen) und dass das Marktverhalten der Vertriebshändler im Allgemeinen den vom Lieferanten festgelegten Bedingungen entsprach;
f) des Umstands, dass es häufig die Vertriebshändler selbst sind, die den Lieferanten um Angabe der Weiterverkaufspreise ersuchen, um nicht gegen die vereinbarten Bedingungen zu verstoßen;
g) der Feststellung, dass sich die Vertriebshändler häufig beim Lieferanten über die anzuwendenden Preise beschweren, anstatt einfach andere Preise anzuwenden;
h) der Festlegung von (niedrigen) Vertriebsmargen durch den Lieferanten und der Annahme der Vertriebshändler, dass diese Margen der Höhe der Vergütung für ihre Geschäfte entsprechen;
i) der Feststellung, dass der Lieferant durch die Vorgabe niedriger Margen einen Mindestweiterverkaufspreis vorgibt, bei dessen Unterschreitung die Margen für die Vertriebshändler negativ werden;
j) der Politik von Preisnachlässen, die der Lieferant den Vertriebshändlern auf der Grundlage des tatsächlich angewandten Weiterverkaufspreises gewährt – wobei der zuvor vom Lieferanten festgesetzte Mindestpreis die Schwelle für die Erstattungen im Ausverkauf ist;
k) der – in vielen Fällen angesichts der negativen Vertriebsmarge – für die Vertriebshändler bestehenden Notwendigkeit, die vom Lieferanten vorgegebenen Weiterverkaufspreise einzuhalten; die Anwendung niedrigerer Weiterverkaufspreise kam nur sehr punktuell und auf Ersuchen der Vertriebshändler beim Lieferanten auf einen weiteren Preisnachlass im Ausverkauf vor;
l) der Festlegung von den jeweiligen Kunden zu gewährenden maximalen Preisnachlässen durch den Lieferanten und der Einhaltung dieser Preisnachlässe durch die Vertriebshändler, was zu einem Mindestweiterverkaufspreis führt, bei dessen Unterschreitung die Vertriebsmarge negativ wird;
m) der direkten Ansprache der Kunden der Vertriebshändler durch den Lieferanten und der Festlegung der den Vertriebshändlern später auferlegten Weiterverkaufsbedingungen;
n) des Tätigwerdens des Lieferanten auf Initiative der Vertriebshändler, in dem Sinne, dass dieser über die Anwendung eines bestimmten Preisnachlasses im Handel entscheidet oder die Geschäftsbedingungen für den Weiterverkauf neu aushandelt;
o) des Ersuchens von Vertriebshändlern um die Erlaubnis des Lieferanten, ein bestimmtes Geschäft zu bestimmten Bedingungen zu tätigen, um ihre Vertriebsmarge zu sichern?
6. Ist eine Vereinbarung über die Festsetzung von Mindestweiterverkaufspreisen, die die beschriebenen Merkmale aufweist und sich nahezu auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt, geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen?
Zu den Vorlagefragen
Vorbemerkungen
20 Super Bock und die Europäische Kommission haben, ohne die Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens geltend zu machen oder die Zulässigkeit bestimmter Fragen förmlich in Frage zu stellen, Zweifel hinsichtlich der Verständlichkeit der fünften Frage bzw. der Erforderlichkeit der zweiten Frage für die Zwecke des Ausgangsrechtsstreits geäußert.
21 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Vorlage zur Vorabentscheidung, bei der es sich um ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten handelt, auf einem Dialog des einen mit dem anderen Gericht beruht. Wenn es Sache des nationalen Gerichts ist, zu beurteilen, ob die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts notwendig ist, um ihm die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu ermöglichen, obliegt diesem Gericht in Anbetracht des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Verfahrensmechanismus auch die Entscheidung, wie diese Fragen zu formulieren sind. Auch wenn es dem Gericht freisteht, die Parteien des bei ihm anhängigen Rechtsstreits aufzufordern, Formulierungen vorzuschlagen, die bei der Abfassung der Vorabentscheidungsfragen übernommen werden können, ist die Entscheidung sowohl über Form als auch über Inhalt dieser Fragen doch letztlich Sache des Gerichts allein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juli 2011, Kelly, C‑104/10, EU:C:2011:506, Rn. 63 bis 65).
22 Es spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).
23 Zu Letzterem ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung, die nunmehr Ausdruck in Art. 94 Buchst. a und b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs gefunden hat, die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, es erforderlich macht, dass dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen die Fragen beruhen. Dieses Erfordernis gilt ganz besonders im Bereich des Wettbewerbs, der durch komplexe tatsächliche und rechtliche Verhältnisse gekennzeichnet ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Januar 1993, Telemarsicabruzzo u. a., C‑320/90 bis C‑322/90, EU:C:1993:26, Rn. 6 und 7, sowie vom 19. Januar 2023, Unilever Italia Mkt. Operations, C‑680/20, EU:C:2023:33, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).
24 Zudem ist es nach Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung unerlässlich, dass das Vorabentscheidungsersuchen selbst eine Darstellung der Gründe enthält, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang angibt, den das vorlegende Gericht zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt.
25 Im vorliegenden Fall wäre es im Sinne des Geistes der Zusammenarbeit, der dem Dialog zwischen den Gerichten innewohnt, und um dem Gerichtshof die Möglichkeit zu geben, eine möglichst sachdienliche Entscheidung zu treffen, wünschenswert gewesen, dass das vorlegende Gericht sein eigenes Verständnis des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sowie die seinem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegenden Rechtsfragen in komprimierterer und klarerer Weise darlegt, anstatt zahlreiche Auszüge aus seinen Akten langatmig wiederzugeben. Obgleich das vorlegende Gericht die Gründe skizziert hat, die es dazu veranlasst haben, den Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung zu befassen, hätte es gleichfalls im Interesse einer sachdienlichen Zusammenarbeit gelegen, dass es die ihm von den Parteien des Ausgangsrechtsstreits vorgeschlagenen Fragen umformuliert, um unnötige Überscheidungen zwischen diesen Fragen zu vermeiden. Es wäre auch sinnvoll gewesen, die rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen zu erläutern, auf denen die Fragen beruhen, um dem Gerichtshof genauere und zielgerichtetere Antworten zu ermöglichen.
26 Obgleich die Vorlage zur Vorabentscheidung, da sie den Voraussetzungen von Art. 94 der Verfahrensordnung entspricht, zulässig ist, muss es der Gerichtshof bei dieser Sachlage dabei belassen, dem vorlegenden Gericht grundlegende und allgemeine Hinweise zu geben, um es bei der Anwendung von Art. 101 AEUV unter den Umständen des Ausgangsrechtsstreits zu leiten.
Zur ersten und zur vierten Frage: zum Begriff „bezweckte Wettbewerbsbeschränkung“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV
27 Mit seiner ersten und seiner vierten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass die Feststellung, dass eine vertikale Vereinbarung über die Festsetzung von Mindestpreisen für den Weiterverkauf eine „bezweckte Wettbewerbsbeschränkung“ darstellt, getroffen werden kann, ohne zuvor zu prüfen, ob diese Vereinbarung den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt, oder ob eine solche Beeinträchtigung bei einer derartigen Vereinbarung vermutet werden kann.
28 Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass sich die Rolle des Gerichtshofs im Verfahren nach Art. 267 AEUV, der auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, auf die Auslegung derjenigen Bestimmungen des Unionsrechts beschränkt, zu denen ihm Fragen vorgelegt werden, hier Art. 101 Abs. 1 AEUV. Folglich ist es nicht Sache des Gerichtshofs, sondern des vorlegenden Gerichts, abschließend zu beurteilen, ob die fragliche Vereinbarung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens und seines wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs Wettbewerbsbeschränkungen bezweckt (Urteil vom 18. November 2021, Visma Enterprise, C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29 Der Gerichtshof kann jedoch bei seiner Entscheidung im Vorabentscheidungsverfahren auf der Grundlage der ihm vorliegenden Akten bestimmte Punkte klarstellen, um dem nationalen Gericht eine Richtschnur für seine Auslegung zu geben, damit es den Rechtsstreit entscheiden kann (Urteil vom 18. November 2021, Visma Enterprise, C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).
30 In erster Linie ist darauf hinzuweisen, dass alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, nach Art. 101 Abs. 1 AEUV mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind.
31 Vereinbarungen fallen nur dann unter dieses Verbot, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts „bezwecken oder bewirken“. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs seit dem Urteil vom 30. Juni 1966, LTM (56/65, EU:C:1966:38), weist der durch die Konjunktion „oder“ gekennzeichnete alternative Charakter dieser Voraussetzung darauf hin, dass zunächst der eigentliche Zweck der Vereinbarung in Betracht zu ziehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. November 2015, Maxima Latvija, C‑345/14, EU:C:2015:784, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 18. November 2021, Visma Enterprise, C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 54 und 55 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Steht der wettbewerbswidrige Zweck einer Vereinbarung fest, brauchen daher ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht geprüft zu werden (Urteil vom 20. Januar 2016, Toshiba Corporation/Kommission, C‑373/14 P, EU:C:2016:26, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
32 Der Begriff der „bezweckten Wettbewerbsbeschränkung“ ist eng auszulegen. So kann dieser Begriff nur auf bestimmte Arten von Koordinierung zwischen Unternehmen angewandt werden, die den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigen, damit davon ausgegangen werden kann, dass die Prüfung ihrer Auswirkungen nicht notwendig ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. November 2015, Maxima Latvija, C‑345/14, EU:C:2015:784, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 18. November 2021, Visma Enterprise, C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).
33 Vor diesem Hintergrund schließt der Umstand, dass eine Vereinbarung eine vertikale Vereinbarung darstellt, nicht die Möglichkeit aus, dass sie eine „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung beinhaltet. Zwar sind vertikale Vereinbarungen ihrer Natur nach oft weniger schädlich für den Wettbewerb als horizontale Vereinbarungen, sie können aber unter bestimmten Umständen auch ein besonders großes wettbewerbsbeschränkendes Potenzial haben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. März 2013, Allianz Hungária Biztosító u. a., C‑32/11, EU:C:2013:160, Rn. 43, und vom 18. November 2021, Visma Enterprise, C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 61).
34 Das wesentliche rechtliche Kriterium bei der Ermittlung, ob eine – horizontale oder vertikale – Vereinbarung eine „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung enthält, liegt daher in der Feststellung, dass eine solche Vereinbarung in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. September 2014, CB/Kommission, C‑67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 57, und vom 18. November 2021, Visma Enterprise, C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).
35 Bei der Prüfung, ob dieses Kriterium erfüllt ist, ist auf den Inhalt ihrer Bestimmungen und die mit ihr verfolgten Ziele sowie auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen. Im Rahmen der Beurteilung dieses Zusammenhangs sind auch die Natur der betroffenen Waren und Dienstleistungen, die auf dem betreffenden Markt oder den betreffenden Märkten bestehenden tatsächlichen Bedingungen und die Struktur dieses Marktes oder dieser Märkte zu berücksichtigen (Urteil vom 14. März 2013, Allianz Hungária Biztosító u. a., C‑32/11, EU:C:2013:160, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
36 Wenn sich die Parteien der Vereinbarung auf deren wettbewerbsfördernde Wirkungen berufen, sind diese Gesichtspunkte zudem als Bestandteile des Zusammenhangs der Vereinbarung zu berücksichtigen. Soweit derartige Wirkungen erwiesen, relevant, allein auf die betreffende Vereinbarung zurückzuführen und hinreichend erheblich sind, können sie nämlich begründete Zweifel daran aufkommen lassen, dass diese Vereinbarung den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 103, 105 und 107).
37 Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass das vorlegende Gericht für die Beurteilung, ob eine vertikale Vereinbarung über die Festsetzung von Mindestpreisen für den Weiterverkauf eine „bezweckte Wettbewerbsbeschränkung“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV enthält, zu prüfen hat, ob diese Vereinbarung im Licht der in den Rn. 35 und 36 des vorliegenden Urteils angeführten Kriterien eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs darstellt.
38 Im Rahmen dieser dem vorlegenden Gericht obliegenden Beurteilung hat dieses auch den von ihm selbst herausgestellten Umstand, dass eine vertikale Vereinbarung über die Festsetzung von Mindestpreisen für den Weiterverkauf in die Kategorie der „Kernbeschränkungen“ im Sinne von Art. 4 Buchst. a der Verordnungen Nrn. 2790/1999 und 330/2010 fallen kann, als Gesichtspunkt des rechtlichen Zusammenhangs zu berücksichtigen.
39 Dieser Umstand entbindet das vorlegende Gericht hingegen nicht von der in Rn. 37 des vorliegenden Urteils genannten Beurteilung.
40 Art. 4 Buchst. a der Verordnung Nr. 2790/1999 und Art. 4 Buchst. a der Verordnung Nr. 330/2010 bezwecken nämlich unter Berücksichtigung des zehnten Erwägungsgrundes der jeweiligen Verordnungen nur, bestimmte vertikale Beschränkungen vom Anwendungsbereich der Gruppenfreistellung auszunehmen. Diese in Art. 2 der jeweiligen Verordnungen festgelegte Freistellung kommt unter Berücksichtigung des fünften Erwägungsgrundes der jeweiligen Verordnungen vertikalen Vereinbarungen zugute, für die vermutet wird, dass sie den Wettbewerb nicht beeinträchtigen.
41 Dagegen lässt sich diesen Bestimmungen der Verordnungen Nrn. 2790/1999 und 330/2010 nichts dazu entnehmen, ob diese Beschränkungen als „bezweckte“ oder „bewirkte“ Beschränkung einzustufen sind. Die Begriffe „Kernbeschränkung“ und „bewirkte Beschränkung“ sind außerdem, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen vor dem Gerichtshof angemerkt hat, begrifflich nicht austauschbar und decken sich nicht zwangsläufig. Daher sind von der Gruppenfreistellung ausgenommene Beschränkungen anhand von Art. 101 Abs. 1 AEUV im Einzelfall zu prüfen.
42 Daraus ergibt sich, dass sich das vorlegende Gericht die in Rn. 37 des vorliegenden Urteils angesprochene Beurteilung nicht mit der Begründung ersparen kann, dass eine vertikale Vereinbarung über die Festsetzung von Mindestpreisen für den Weiterverkauf jedenfalls eine derartige bezweckte Beschränkung darstelle oder dies vermutet werde.
43 Nach alledem ist auf die erste und die vierte Frage zu antworten, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass die Feststellung, dass eine vertikale Vereinbarung über die Festsetzung von Mindestpreisen für den Weiterverkauf eine „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung enthält, nur getroffen werden kann, nachdem festgestellt wurde, ob diese Vereinbarung unter Berücksichtigung des Inhalts ihrer Bestimmungen, der mit der Vereinbarung verfolgten Ziele sowie aller Gesichtspunkte, die den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, bilden, den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt.
Zur dritten und zur fünften Frage: zum Begriff „Vereinbarung“ im Sinne von Art. 101 AEUV
44 Mit seiner dritten und seiner fünften Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine „Vereinbarung“ im Sinne dieses Artikels vorliegt, wenn ein Lieferant seinen Vertriebshändlern Mindestpreise für den Weiterverkauf der von ihm vertriebenen Waren vorschreibt.
45 Das vorlegende Gericht möchte damit Klarheit über den Begriff „Vereinbarung“ im Sinne dieser Bestimmung erlangen, um feststellen zu können, ob unter den Umständen des Ausgangsrechtsstreits eine solche Vereinbarung zwischen Super Bock und ihren Vertriebshändlern besteht. Da sich seine Fragestellung auf zahlreiche, in der dritten und der fünften Vorlagefrage aufgeführte tatsächliche Annahmen bezieht, die teils voneinander abweichen und von denen einige von Super Bock bestritten werden, ist darauf zu verweisen, dass es im Einklang mit der in Rn. 28 des vorliegenden Urteils angesprochenen Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof nicht Sache des Gerichtshofs ist, über den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu befinden.
46 In Anbetracht der tatsächlichen Feststellungen des vorlegenden Gerichts lässt sich allerdings festhalten, dass die Vorlagefragen in einem Zusammenhang stehen, in dem Super Bock ihren Vertriebshändlern regelmäßig Listen mit Mindestpreisen für den Weiterverkauf und Vertriebsmargen übermittelt. Diesen Feststellungen lässt sich entnehmen, dass sich die Vertriebshändler in der Praxis an die auf diese Weise angegebenen Weiterverkaufspreise halten, bisweilen um eine solche Angabe nachsuchen und nicht zögern, sich bei Super Bock über die übermittelten Preise zu beschweren, anstatt andere Preise zu praktizieren. Schließlich wird die Angabe von Mindestpreisen für den Weiterverkauf nach diesen Feststellungen von Preisüberwachungsmechanismen flankiert und die Nichteinhaltung der Preise kann Vergeltungsmaßnahmen nach sich ziehen und zu negativen Vertriebsmargen führen.
47 Nach dieser einleitenden Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine „Vereinbarung“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV schon dann vorliegt, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten (Urteil vom 18. November 2021, Visma Enterprise, C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 94 und die dort angeführte Rechtsprechung).
48 Eine Vereinbarung kann somit nicht darauf beruhen, dass eine ausschließlich einseitige Politik einer der Parteien eines Vertriebsvertrags zum Ausdruck kommt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Januar 2004, BAI und Kommission/Bayer, C‑2/01 P und C‑3/01 P, EU:C:2004:2, Rn. 101 und 102).
49 Ein scheinbar einseitiger Akt oder ein entsprechendes Verhalten stellt allerdings eine Vereinbarung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV dar, soweit er bzw. es Ausdruck des übereinstimmenden Willens von mindestens zwei Parteien ist, so dass die Form, in der diese Übereinstimmung zum Ausdruck kommt, als solche nicht entscheidend ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 2006, Kommission/Volkswagen, C‑74/04 P, EU:C:2006:460, Rn. 37).
50 Diese Übereinstimmung des Willens der Parteien kann sich sowohl aus den Klauseln des in Rede stehenden Vertriebsvertrags ergeben, wenn dieser eine ausdrückliche Aufforderung enthält, Mindestpreise für den Weiterverkauf einzuhalten oder den Lieferanten zumindest autorisiert, solche Preise festzusetzen, als auch aus dem Verhalten der Parteien und insbesondere der ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung der Vertriebshändler zu der Aufforderung, sich an Mindestpreise für den Weiterverkauf zu halten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Januar 2004, BAI und Kommission/Bayer, C‑2/01 P und C‑3/01 P, EU:C:2004:2, Rn. 100 und 102, sowie vom 13. Juli 2006, Kommission/Volkswagen, C‑74/04 P, EU:C:2006:460, Rn. 39, 40 und 46).
51 Die Beurteilung der Umstände des Ausgangsrechtsstreits anhand dieser Rechtsprechung obliegt dem vorlegenden Gericht.
52 In diesem Zusammenhang sind der Umstand, dass ein Lieferant Vertriebshändlern regelmäßig Listen mit von ihm festgesetzten Mindestpreisen und Vertriebsmargen übermittelt, sowie der Umstand, dass er von ihnen unter Androhung von Vergeltungsmaßnahmen und – bei Nichtbefolgung dieser Maßnahmen – der Gefahr des Ansatzes negativer Vertriebsmargen verlangt, sie unter seiner Aufsicht einzuhalten, gleichermaßen Gesichtspunkte, die zu dem Schluss führen können, dass der Lieferant seinen Vertriebshändlern Mindestpreise für den Weiterverkauf vorzuschreiben versucht. Auch wenn es so anmutet, als spiegle sich in diesen Umständen für sich genommen ein einseitiges Verhalten des Lieferanten wider, wäre dies anders, wenn sich die Vertriebshändler an diese Preise hielten. Darin, dass die Mindestpreise für den Weiterverkauf in der Praxis von den Vertriebshändlern eingehalten werden, die – obgleich sie sich beim Lieferanten über die angegebenen Preise beschweren –dennoch aus eigenem Antrieb keine anderen Preise verlangen, könnte sich eine Zustimmung der Vertriebshändler zu der Festsetzung der Mindestpreise für den Weiterverkauf durch den Lieferanten widerspiegeln.
53 Nach alledem ist auf die dritte und die fünfte Frage zu antworten, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine „Vereinbarung“ im Sinne dieses Artikels vorliegt, wenn ein Lieferant seinen Vertriebshändlern Mindestpreise für den Weiterverkauf der von ihm vertriebenen Waren vorschreibt, soweit die Vorgabe dieser Preise durch den Lieferanten und ihre Einhaltung durch die Vertriebshändler Ausdruck des übereinstimmenden Willens der Parteien ist. Diese Übereinstimmung des Willens kann sich sowohl aus den Klauseln des in Rede stehenden Vertriebsvertrags ergeben, wenn dieser eine ausdrückliche Aufforderung enthält, Mindestpreise für den Weiterverkauf einzuhalten, oder den Lieferanten zumindest autorisiert, solche Preise festzusetzen, als auch aus dem Verhalten der Parteien und insbesondere der ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung der Vertriebshändler zu der Aufforderung, sich an Mindestpreise für den Weiterverkauf zu halten.
Zur zweiten Frage: zum Nachweis des Vorliegens einer „Vereinbarung“ im Sinne von Art. 101 AEUV
54 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 101 AEUV dahin auszulegen ist, dass das Vorliegen einer „Vereinbarung“ im Sinne dieses Artikels zwischen einem Lieferanten und seinen Vertriebshändlern ausschließlich durch unmittelbare Beweise nachgewiesen werden kann.
55 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es mangels einschlägiger Unionsregeln zu den Grundsätzen für die Beweiswürdigung und das Beweismaß im Rahmen eines einzelstaatlichen Verfahrens zur Anwendung von Art. 101 AEUV nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, entsprechende Regeln festzulegen, vorausgesetzt allerdings, dass sie nicht ungünstiger sind als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen (Äquivalenzgrundsatz), und dass sie die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2016, Eturas u. a., C‑74/14, EU:C:2016:42, Rn. 30 bis 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
56 Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass der Effektivitätsgrundsatz verlangt, dass der Beweis für einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Union nicht nur durch unmittelbare Beweise erbracht werden kann, sondern auch mittels Indizien, sofern diese objektiv und übereinstimmend sind. In den meisten Fällen muss das Vorliegen einer aufeinander abgestimmten Verhaltensweise oder einer Vereinbarung nämlich aus einer Reihe von Koinzidenzen und Indizien abgeleitet werden, die bei einer Gesamtbetrachtung mangels einer anderen schlüssigen Erklärung den Beweis für eine Verletzung der Wettbewerbsregeln darstellen können (Urteil vom 21. Januar 2016, Eturas u. a., C‑74/14, EU:C:2016:42, Rn. 36 und 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
57 Daraus ergibt sich, dass das Vorliegen einer „Vereinbarung“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV über Mindestpreise für den Weiterverkauf nicht nur durch unmittelbare Beweise erbracht werden kann, sondern auch auf Grundlage übereinstimmender Koinzidenzen und Indizien, soweit daraus geschlossen werden kann, dass der Lieferant die Einhaltung solcher Preise von seinen Vertriebshändlern eingefordert hat und Letztere die vom Lieferanten angegebenen Preise in der Praxis eingehalten haben.
58 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 101 AEUV in Verbindung mit dem Effektivitätsgrundsatz dahin auszulegen ist, dass das Vorliegen einer „Vereinbarung“ im Sinne dieses Artikels zwischen einem Lieferanten und seinen Vertriebshändlern nicht nur durch unmittelbare Beweise nachgewiesen werden kann, sondern auch durch objektive und übereinstimmende Indizien, aus denen auf das Vorliegen einer solchen Vereinbarung geschlossen werden kann.
Zur sechsten Frage: zum Begriff „Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV
59 Mit seiner sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass der Umstand, dass eine vertikale Vereinbarung über die Festsetzung von Mindestpreisen für den Weiterverkauf nahezu das gesamte, aber nicht das vollständige Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats abdeckt, ausschließt, dass diese Vereinbarung den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann.
60 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Voraussetzung, dass eine Vereinbarung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, nur dann erfüllt, wenn sich anhand einer Gesamtheit tatsächlicher und rechtlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass diese Vereinbarung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell die Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten in einer Weise beeinflussen kann, die befürchten lässt, dass die Verwirklichung eines einheitlichen Marktes zwischen den Mitgliedstaaten behindert werden könnte. Außerdem darf dieser Einfluss nicht nur geringfügig sein (Urteile vom 11. Juli 2013, Ziegler/Kommission, C‑439/11 P, EU:C:2013:513, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 16. Juli 2015, ING Pensii, C‑172/14, EU:C:2015:484, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).
61 Eine Auswirkung auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten ergibt sich im Allgemeinen daraus, dass mehrere Voraussetzungen erfüllt sind, die für sich allein genommen nicht unbedingt entscheidend sind. Bei der Prüfung, ob eine Absprache den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar beeinträchtigt, ist es in seinem wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang zu untersuchen (Urteil vom 11. Juli 2013, Ziegler/Kommission, C‑439/11 P, EU:C:2013:513, Rn. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung).
62 Insoweit genügt der Umstand, dass eine Absprache nur die Vermarktung von Produkten in einem einzigen Mitgliedstaat bezweckt, nicht, um die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten auszuschließen. So hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, schon seinem Wesen nach die Wirkung hat, die Abschottungen auf nationaler Ebene zu verfestigen, und damit die vom AEU-Vertrag gewollte wirtschaftliche Verflechtung behindert (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. November 1975, Groupement des fabricants de papiers peints de Belgique u. a./Kommission, 73/74, EU:C:1975:160, Rn. 25 und 26, sowie vom 16. Juli 2015, ING Pensii, C‑172/14, EU:C:2015:484, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).
63 Ebenso hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Kartell, das sich nur auf einen Teil des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats erstreckt, unter bestimmten Umständen geeignet sein kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Dezember 1987, Aubert, 136/86, EU:C:1987:524, Rn. 18).
64 Die Feststellung, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vereinbarung unter Berücksichtigung ihres wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.
65 Nach alledem ist auf die sechste Frage zu antworten, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass der Umstand, dass eine vertikale Vereinbarung über die Festsetzung von Mindestpreisen für den Weiterverkauf nahezu das gesamte, aber nicht das vollständige Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats abdeckt, nicht ausschließt, dass diese Vereinbarung den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann.