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Wirtschaftsrecht
01.09.2022
Wirtschaftsrecht
EuGH: EuGH: Vorabentscheidungsverfahren unzulässig

EuGH, Urteil vom 16.6.2022 – C-596/20, DuoDecad Kft. gegen Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága

ECLI:EU:C:2022:474

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2022-2012-1

Tenor

Der Gerichtshof der Europäischen Union ist für die Beantwortung der Vorlagefragen, die der Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtischer Gerichtshof, Ungarn) mit Entscheidung vom 28. September 2020 gestellt hat, nicht zuständig.

EGRL 112/2006 Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1, Art. 43; Art. 56, Art. 59; AEUV Art. 267

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 und Art. 43 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der DuoDecad Kft. und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága (Rechtsbehelfsdirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, Ungarn) (im Folgenden: Rechtsbehelfsdirektion) über die Zahlung der Mehrwertsteuer auf Dienstleistungen, die DuoDecad in den Jahren 2009 und 2011 erbrachte.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          Gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 unterliegen Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer.

4          Art. 24 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1) Als ‚Dienstleistung‘ gilt jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.

(2) Als ‚Telekommunikationsdienstleistung‘ gelten Dienstleistungen zum Zweck der Übertragung, Ausstrahlung oder des Empfangs von Signalen, Schrift, Bild und Ton oder Informationen jeglicher Art über Draht, Funk, optische oder andere elektromagnetische Medien, einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Abtretung oder Einräumung von Nutzungsrechten an Einrichtungen zur Übertragung, Ausstrahlung oder zum Empfang, einschließlich der Bereitstellung des Zugangs zu globalen Informationsnetzen.“

5          Art. 43 der Richtlinie 2006/112 in ihrer vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2009 geltenden Fassung lautete:

„Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnsitz oder sein gewöhnlicher Aufenthaltsort.“

6          Die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Änderung der Richtlinie 2006/112 (ABl. 2008, L 44, S. 11) hat die Art. 43 bis 59 der Richtlinie 2006/112 mit Wirkung vom 1. Januar 2010 ersetzt. Art. 44 der Richtlinie 2006/112 in der Fassung der Richtlinie 2008/8 lautet:

„Als Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, gilt der Ort, an dem dieser Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Werden diese Dienstleistungen jedoch an eine feste Niederlassung des Steuerpflichtigen, die an einem anderen Ort als dem des Sitzes seiner wirtschaftlichen Tätigkeit gelegen ist, erbracht, so gilt als Ort dieser Dienstleistungen der Sitz der festen Niederlassung. In Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung gilt als Ort der Dienstleistung der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort des steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängers.“

7          Art. 45 dieser Fassung der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

„Als Ort einer Dienstleistung an einen Nichtsteuerpflichtigen gilt der Ort, an dem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Werden diese Dienstleistungen jedoch von der festen Niederlassung des Dienstleistungserbringers, die an einem anderen Ort als dem des Sitzes seiner wirtschaftlichen Tätigkeit gelegen ist, aus erbracht, so gilt als Ort dieser Dienstleistungen der Sitz der festen Niederlassung. In Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung gilt als Ort der Dienstleistung der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort des Dienstleistungserbringers.“

8          Art. 56 der Richtlinie in der vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung lautete:

„(1) Als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an außerhalb der [Europäischen] Gemeinschaft ansässige Dienstleistungsempfänger oder an Steuerpflichtige, die innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Staates des Dienstleistungserbringers ansässig sind, erbracht werden, gilt der Ort, an dem der Dienstleistungsempfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnsitz oder sein gewöhnlicher Aufenthaltsort:

k) elektronisch erbrachte Dienstleistungen, unter anderem die in Anhang II genannten Dienstleistungen;

…“

9          In Anhang II („Exemplarisches Verzeichnis elektronisch erbrachter Dienstleistungen im Sinne des Artikels 56 Absatz 1 Buchstabe k“) dieser Fassung der Richtlinie 2006/112 waren die „Bereitstellung von Websites, Webhosting, Fernwartung von Programmen und Ausrüstungen“ und die „Bereitstellung von Bildern, Texten und Informationen sowie Bereitstellung von Datenbanken“ aufgeführt.

10        Art. 59 der Richtlinie 2006/112 in der Fassung der Richtlinie 2008/8 bestimmt:

„Als Ort der folgenden Dienstleistungen an einen Nichtsteuerpflichtigen, der außerhalb der Gemeinschaft ansässig ist oder seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort außerhalb der Gemeinschaft hat, gilt der Ort, an dem dieser Nichtsteuerpflichtige ansässig ist oder seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat:

k) elektronisch erbrachte Dienstleistungen, insbesondere die in Anhang II genannten Dienstleistungen.

…“

Ungarisches Recht

11        § 37 des Az általános forgalmi adóról szóló 2007. évi CXXVII. törvény (Gesetz Nr. CXXVII von 2007 über die Mehrwertsteuer) (Magyar Közlöny 2007/155 [XI. 16.]) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung sah vor:

„(1) Werden Dienstleistungen an eine steuerpflichtige Person erbracht, ist der Ort der Dienstleistung der Ort, an dem der Dienstleistungsempfänger zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit niedergelassen ist, oder, in Ermangelung einer solchen Niederlassung mit wirtschaftlicher Zielsetzung, der Ort seines Wohnsitzes oder seines gewöhnlichen Aufenthalts.

(2) Werden Dienstleistungen an eine nicht steuerpflichtige Person erbracht, ist der Ort der Dienstleistung der Ort, an dem der Dienstleistungserbringer zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit niedergelassen ist, oder, in Ermangelung einer solchen Niederlassung mit wirtschaftlicher Zielsetzung, der Ort seines Wohnsitzes oder seines gewöhnlichen Aufenthalts.“

12      § 46 des Gesetzes in dieser Fassung bestimmte:

„(1) Für die von dem vorliegenden Paragrafen erfassten Dienstleistungen ist der Ort der Dienstleistung der Ort, an dem in diesem Kontext der nicht steuerpflichtige Dienstleistungsempfänger niedergelassen ist, oder, in Ermangelung einer solchen Niederlassung, der Ort seines Wohnsitzes oder seines gewöhnlichen Aufenthalts, sofern dieser sich außerhalb des Gemeinschaftsgebiets befindet.

(2) Folgende Dienstleistungen fallen unter diesen Paragrafen:

k) elektronisch erbrachte Dienstleistungen.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13        DuoDecad ist eine in Ungarn eingetragene Gesellschaft, deren Haupttätigkeit in der Programmierung von Computersoftware besteht. Sie erbrachte technische Unterstützungsleistungen an ihre wichtigste Kundin, die Lalib – Gestão e Investimentos Lda. (im Folgenden: Lalib), eine Gesellschaft mit Sitz in Madeira (Portugal), die auf elektronischem Weg Unterhaltungsdienstleistungen erbringt. Hierfür stellte DuoDecad für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2009 sowie für das ganze Jahr 2011 Rechnungen über einen Gesamtbetrag von 8 086 829,40 Euro aus.

14        Nach einer bei DuoDecad durchgeführten Prüfung, die die zweite Jahreshälfte 2009 und das gesamte Jahr 2011 betraf, verfügte die erstinstanzliche Steuerbehörde gegenüber DuoDecad mit Bescheid vom 10. Februar 2020 eine Mehrwertsteuernachzahlung in Höhe von insgesamt 458 438 000 ungarischen Forint (HUF) (etwa 1 286 835 Euro), ein Steuerbußgeld in Höhe von 343 823 000 HUF (etwa 964 767 Euro) und die Zahlung von Verzugszinsen in Höhe von 129 263 000 HUF (etwa 362 841 Euro). Sie war der Ansicht, die wahre Empfängerin der von DuoDecad erbrachten Dienstleistungen sei nicht Lalib, sondern die WebMindLicences Kft. (im Folgenden WML), eine in Ungarn registrierte Handelsgesellschaft, die über Know-how für die elektronische Erbringung von Unterhaltungsdienstleistungen verfüge und mit Lalib einen Lizenzvertrag zur Nutzung dieses Know-hows geschlossen habe.

15        Nachdem dieser Bescheid auf einen Rechtsbehelf von DuoDecad hin von der Rechtsbehelfsdirektion mit Bescheid vom 6. April 2020 bestätigt worden war, erhob DuoDecad gegen letzteren Bescheid Klage beim Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtischer Gerichtshof, Ungarn), dem vorlegenden Gericht.

16        Zur Stützung ihrer Klage machte DuoDecad geltend, die im Ausgangsverfahren fraglichen technischen Unterstützungsleistungen seien als an Lalib in Portugal erbracht anzusehen, da alle vom Gerichtshof hierfür aufgestellten Voraussetzungen erfüllt seien. Der Bescheid der Rechtsbehelfsdirektion sei fehlerhaft, da der Inhalt der Dienstleistungen darin nicht zutreffend bestimmt worden sei. In dem Bescheid seien diese Dienstleistungen fälschlicherweise damit gleichgesetzt worden, dass das technische Funktionieren der betreffenden Websites unmittelbar sichergestellt worden sei, so dass nicht beachtet worden sei, dass Lalib über die erforderlichen personellen und materiellen Mittel verfüge, die für die Erbringung der von ihr erbrachten Dienstleistungen erforderlich seien. DuoDecad habe ihre Unterstützungsleistungen unmittelbar an Lalib und nicht an WML erbracht. Zudem habe sie bei Aufgaben, die nicht unter den betreffenden Lizenzvertrag über das Know-how fielen, eine aktive Rolle gespielt. Zu diesem Zweck habe Lalib DuoDecad kontrolliert, überwacht und ihr Anweisungen erteilt, während WML nicht als Kundin aufgetreten sei und folglich keine Anfrage oder Anweisung an DuoDecad habe richten können.

17        DuoDecad macht auch geltend, dass die portugiesischen Behörden laut den Antworten der portugiesischen Steuerbehörde auf das Ersuchen der ungarischen Behörden um internationale Zusammenarbeit, das im Rahmen eines Verfahrens betreffend WML gestellt worden sei, klargestellt hätten, dass Lalib in Portugal ansässig sei, wo sie auf eigenes Risiko eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübe, und dass sie über alle technischen und personellen Mittel verfügt habe, die für die Nutzung des von ihr erworbenen Know-hows erforderlich seien. Des Weiteren habe der Ort der Erbringung der im Ausgangsverfahren fraglichen Unterhaltungsdienstleistungen nicht in Ungarn liegen können, da dort ein objektives Hindernis bestanden habe, nämlich das Fehlen von Finanzinstituten, die Zahlungen per Bankkarte auf Websites mit Inhalten für Erwachsene ermöglichten. Ferner sei Lalib gegenüber der Außenwelt als Anbieterin dieser Unterhaltungsdienstleistungen in Erscheinung getreten. Sie habe Verträge im eigenen Namen geschlossen und über eine Datenbank der Kunden, die die Gegenleistung für diese Dienstleistungen bezahlt hätten, sowie über die mit diesen Dienstleistungen erzielten Einnahmen verfügt, und sie habe die Entwicklungen des betreffenden Know-hows kontrolliert sowie über ihre Einführung entschieden. Im Übrigen sei der Sitz von Lalib als physischer Ort der Kundenbetreuung angegeben worden.

18        Die Rechtsbehelfsdirektion führt aus, sie habe bei WML eine Untersuchung durchgeführt. Bei dieser habe sich herausgestellt, dass die im Ausgangsverfahren fraglichen Unterhaltungsdienstleistungen nicht von Lalib, sondern von WML von Ungarn aus erbracht worden seien, wobei der zwischen diesen beiden Unternehmen geschlossene Lizenzvertrag ihrer Ansicht nach „fiktiv“ sei.

19        Das vorlegende Gericht stellt fest, dass der Gerichtshof insbesondere im Urteil vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses (C‑419/14, EU:C:2015:832 [EWS 2016, 55 Tenor, K&R 2016, 103 Tenor]), die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 ausgelegt habe. Im Ausgangsverfahren sei allerdings eine zusätzliche Auslegung erforderlich, da trotz dieses Urteils die portugiesische Steuerbehörde und die ungarische Steuerbehörde denselben Umsatz steuerlich unterschiedlich behandelt hätten.

20        Angesichts der Ausführungen im Urteil vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses (C‑419/14, EU:C:2015:832 [EWS 2016, 55 Tenor, K&R 2016, 103 Tenor]), stellt sich nach Ansicht des vorlegenden Gerichts die Frage, ob Ungarn als Ort der im Ausgangsverfahren fraglichen Unterhaltungsdienstleistungen gelten kann, obwohl Lalib im Mittelpunkt eines für diese Dienstleistungen unerlässlichen komplexen Vertrags- und Dienstleistungsnetzes gestanden habe und die zur Erbringung dieser Dienstleistungen erforderlichen Voraussetzungen sichergestellt habe, und zwar durch ihre eigenen Datenbanken, ihre Software und Dritte oder Dienstleister, die zur Lalib-Gruppe und zu der Unternehmensgruppe gehöre, der DuoDecad angehöre, wodurch sie notwendigerweise die damit verbundenen rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken getragen habe, und zwar auch dann, wenn die zur Unternehmensgruppe des „Inhabers“ des betreffenden Know-hows gehörenden Subunternehmer bei dessen technischer Umsetzung beteiligt gewesen seien und dieser „Inhaber“ auf die Nutzung des Know-hows eingewirkt habe. Ebenfalls stelle sich die Frage, wie zu beurteilen sei, ob Lalib in Portugal über die erforderlichen Räumlichkeiten und Infrastrukturen und das erforderliche Personal verfüge.

21        Unter Bezugnahme auf Rn. 51 des Urteils vom 18. Juni 2020, KrakVet Marek Batko (C‑276/18, EU:C:2020:485), hält sich das vorlegende Gericht hauptsächlich wegen der unterschiedlichen steuerlichen Einstufungen durch die ungarische Steuerbehörde und durch die portugiesische Steuerbehörde für verpflichtet, den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. Es ersucht den Gerichtshof um Klarstellung, ob die Feststellung einer Steuerpflicht durch die ungarische Steuerbehörde und zugleich durch die portugiesische Steuerbehörde rechtmäßig ist, ob der im Ausgangsverfahren fragliche Umsatz von der erstgenannten oder der zweitgenannten Steuerbehörde wirksam besteuert werden kann und welches Gewicht den verschiedenen einschlägigen Kriterien beigemessen werden kann.

22        Unter diesen Umständen hat das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtischer Gerichtshof, Ungarn) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1 und Art. 43 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen, dass die auf einer Website verfügbaren Dienste den Endnutzern nicht durch die Erwerberin einer Know-how-Lizenz, eine in einem EU‑Mitgliedstaat (im Ausgangsverfahren in Portugal) ansässige Gesellschaft, erbracht werden und daher diese Gesellschaft nicht Empfängerin der von einer in einem anderen EU‑Mitgliedstaat (im Ausgangsverfahren in Ungarn) ansässigen Steuerpflichtigen als Subunternehmerin erbrachten Dienstleistung der technischen Unterstützung für das Know-how sein kann, sondern vielmehr die Steuerpflichtige ihre Dienstleistungen der in dem gleichen anderen Mitgliedstaat ansässigen Lizenzgeberin des Know-hows erbringt, wenn in Bezug auf die Lizenznehmerin folgende Umstände vorliegen:

a) [die Lizenznehmerin] verfügte im ersten EU-Mitgliedstaat über angemietete Büroräume, EDV- und sonstige Büroinfrastrukturen, eigenes Personal und über breite Erfahrung auf dem Gebiet des elektronischen Handels sowie über einen Eigentümer mit umfangreichen internationalen Verbindungen und einen im elektronischen Handel qualifizierten Geschäftsführer,

b) [die Lizenznehmerin] erhielt das Know-how und dessen Aktualisierungen in Bezug auf die Verfahren für den Betrieb der Websites, kommentierte diese, schlug Änderungen für diese vor und billigte diese,

c) die Steuerpflichtige erbrachte auf der Grundlage dieses Know-hows ihre Dienstleistungen für die Lizenznehmerin,

d) die Lizenznehmerin erhielt kontinuierlich Berichte über die Leistung der Subunternehmen (insbesondere über den Website Traffic und die von Bankkonten erfolgenden Zahlungen),

e) [die Lizenznehmerin] registrierte auf eigenen Namen die die Internet-Verfügbarkeit der Websites sicherstellenden Domainnamen,

f) auf den Websites wurde die Lizenznehmerin als Dienstleisterin angegeben,

g) [die Lizenznehmerin] ergriff selbst Maßnahmen, um den guten Ruf der Websites zu erhalten,

h) [die Lizenznehmerin] schloss die für die Dienstleistungserbringung erforderlichen Mitwirkungs- und Subunternehmensverträge selbst im eigenen Namen ab (insbesondere mit den Banken, die die Kartenzahlungen auf den Websites sicherstellten, mit den auf den Websites verfügbare Inhalte bereitstellenden Akteuren und mit den für die Inhalte werbenden Webmastern),

i) [die Lizenznehmerin] verfügte über ein vollständiges System zur Entgegennahme der Einnahmen aus der Erbringung der betreffenden Dienstleistung für Endnutzer, wie z. B. über Bankkonten, über das ausschließliche und uneingeschränkte Verfügungsrecht über die Bankkonten, über eine Endnutzerdatenbank, die es ermöglicht, den Endnutzern Rechnungen über die Dienstleistungserbringung auszustellen, und über eine eigene Abrechnungssoftware,

j) [die Lizenznehmerin] gab auf den Websites als physisch präsenten Kundendienst ihren Sitz im ersten Mitgliedstaat an, und

k) [die Lizenznehmerin] ist eine Gesellschaft, die sowohl von der Lizenzgeberin als auch von den im Know-how beschriebenen ungarischen Subunternehmen, die bestimmte technische Verfahren umsetzen, unabhängig ist,

sowie unter Berücksichtigung des Umstands, dass erstens auch die Partnerbehörde im ersten Mitgliedstaat als Stelle, die diese objektiven und durch Dritte nachprüfbaren Umstände verifizieren kann, die [vorstehenden Angaben] bestätigte, dass zweitens die Nichtverfügbarkeit eines Zahlungsdienstleisters, der die Annahme von Bankkartenzahlungen auf den Websites sichergestellt hätte, für eine Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats ein objektives Hindernis für die Dienstleistungserbringung von Websites aus einem anderen Mitgliedstaat darstellte, so dass die auf diesen Websites verfügbaren Dienstleistungen nie, weder vor noch nach dem geprüften Zeitraum, von der Gesellschaft des anderen Mitgliedstaats erbracht wurden, und dass drittens die lizenznehmende Gesellschaft und die mit ihr verbundenen Unternehmen insgesamt mit dem Betreiben der Websites einen höheren Gewinn erzielten als die sich aus dem im ersten und im zweiten Mitgliedstaat anwendbaren Umsatzsteuersatz ergebende Steuerdifferenz?

2. Sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1 und Art. 43 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen, dass die Geberin einer Know-how-Lizenz, eine in dem anderen EU‑Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft, den Endnutzern die auf einer Website verfügbaren Dienste erbringt und dadurch Empfängerin der von einer Steuerpflichtigen als Subunternehmerin erbrachten Dienstleistung der technischen Unterstützung für das Know-how ist und die Steuerpflichtige ihre Dienstleistungen somit nicht der in dem ersten Mitgliedstaat ansässigen Lizenznehmerin des Know-hows erbringt, wenn die Lizenzgeberin:

a) über eigene Mittel verfügte, die nur aus einem angemieteten Büro und einem von ihrem Geschäftsführer genutzten Computer bestanden,

b) neben dem Geschäftsführer und einem einige Stunden pro Woche in Teilzeit beschäftigten Rechtsbeistand keine eigenen Arbeitnehmer beschäftigte,

c) neben dem Vertrag über die Entwicklung des Know-hows keine weiteren Verträge hatte,

d) die in ihrem Besitz befindlichen Domainnamen auf der Grundlage eines Vertrags mit der Lizenznehmerin von der lizenznehmenden Gesellschaft auf eigenen Namen registrieren ließ,

e) zu keinem Zeitpunkt als Erbringerin der in Rede stehenden Dienste gegenüber Dritten aufgetreten ist, insbesondere nicht gegenüber Endnutzern, gegenüber Bankkartenzahlungen auf den Websites sicherstellenden Banken, gegenüber auf den Websites verfügbare Inhalte bereitstellenden Akteuren und gegenüber für die Inhalte werbenden Webmastern,

f) zu keinem Zeitpunkt Belege im Zusammenhang mit den auf den Websites verfügbaren Dienstleistungen, mit Ausnahme der Rechnung über die Lizenzgebühren, ausstellte und

g) über kein geeignetes System zur Entgegennahme von Einnahmen aus den auf den Websites erbrachten Dienstleistungen (ein entsprechendes Bankkonto und andere Infrastruktur) verfügte, auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass es nach dem Urteil vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses (C‑419/14, EU:C:2015:832 [EWS 2016, 55 Tenor, K&R 2016, 103 Tenor]), für sich allein nicht entscheidend ist, dass der Geschäftsführer und alleinige Anteilsinhaber der lizenzgebenden Gesellschaft der Urheber dieses Know-hows war, dass ferner diese Person Einfluss auf bzw. Kontrolle über die Entwicklung und die Nutzung des genannten Know-hows und die Erbringung der auf diesem Know-how beruhenden Dienstleistungen ausübte, und zwar so, dass der Privatperson-Geschäftsführer und Eigentümer der lizenzgebenden Gesellschaft gleichzeitig auch Eigentümer dieser Subunternehmer-Wirtschaftsgesellschaften und somit auch der Geschäftsführer und/oder Eigentümer der Klägerin ist, die bei der Dienstleistungserbringung – bestimmte, für sie vorgesehene Aufgaben wahrnehmend – im Auftrag der Lizenznehmerin als Subunternehmen [beteiligt sind]?

Zu den Vorlagefragen

Fraglich ist, wer Leistungserbringerin ist

23        Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1 und Art. 43 der Richtlinie 2006/112 im Hinblick auf eine ganze Reihe von in diesen Fragen angeführten Umständen dahin auszulegen sind, dass nicht die Gesellschaft, die eine Lizenz für Know-how zur elektronischen Erbringung von Unterhaltungsdienstleistungen erhalten hat, diese Dienstleistungen tatsächlich erbringt, so dass nicht sie als Empfängerin der von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbrachten technischen Unterstützungsleistungen für dieses Know-how angesehen werden kann, sondern dass in Wirklichkeit die ebenfalls in diesem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft, die diese Lizenz erteilt hat, die wahre Erbringerin der Unterhaltungsdienstleistungen und damit die Empfängerin der technischen Unterstützungsleistungen ist.

Maßgeblichkeit des Lizenzvertrages für die Leistungserbringung

24        Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass das vorlegende Gericht mit diesen Fragen im Anschluss an das Urteil vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses (C‑419/14, EU:C:2015:832 [EWS 2016, 55 Tenor, K&R 2016, 103 Tenor]), klären möchte, ob Lalib oder – obwohl das Know-how, das die Erbringung dieser Unterhaltungsdienstleistungen ermöglicht, Gegenstand eines zwischen WML und Lalib geschlossenen Lizenzvertrags war – WML als wahre Erbringerin der Dienstleistungen anzusehen ist.

Lizenzverträge können missbräuchliche Gestaltungen sein

25        In der Rechtssache, in der das Urteil vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses (C‑419/14, EU:C:2015:832 [EWS 2016, 55 Tenor, K&R 2016, 103 Tenor]), ergangen ist, wurde der Gerichtshof dazu befragt, inwiefern bestimmte Tatsachen relevant sind, um zu beurteilen, ob ein Lizenzvertrag wie der zwischen WML und Lalib auf einen Rechtsmissbrauch zurückzuführen war, durch den ausgenutzt werden sollte, dass der auf die betreffenden Unterhaltungsdienstleistungen anwendbare Mehrwertsteuersatz in Madeira niedriger war als in Ungarn. Der Gerichtshof hat hierzu in Rn. 34 dieses Urteils festgestellt, dass es Sache des damals vorlegenden Gerichts war, die ihm unterbreiteten Tatsachen zu beurteilen und zu prüfen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer missbräuchlichen Praxis erfüllt sind, und dass der Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren jedoch Klarstellungen vornehmen kann, um dem vorlegenden Gericht eine Richtschnur für seine Auslegung zu geben.

Künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen nur zum Zwecke des Steuersparens sind verboten

26        In Rn. 35 des Urteils vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses (C‑419/14, EU:C:2015:832 [EWS 2016, 55 Tenor, K&R 2016, 103 Tenor]), hat der Gerichtshof u. a. ausgeführt, dass nach dem Grundsatz des Verbots missbräuchlicher Praktiken, das auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer Anwendung findet, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen, die allein zu dem Zweck erfolgen, einen Steuervorteil zu erlangen, verboten sind.

Der Nachweis der rein künstlichen Gestaltung muss geführt werden

27        In Rn. 43 des genannten Urteils hat der Gerichtshof festgestellt, dass aus der ihm vorliegenden Akte hervorging, dass Lalib eine von WML verschiedene Gesellschaft war, da sie weder eine Zweigniederlassung noch eine Tochtergesellschaft noch eine Agentur von WML war, und dass Lalib die Mehrwertsteuer in Portugal entrichtet hatte. In Rn. 44 des Urteils hat er ausgeführt, dass unter diesen Umständen, um feststellen zu können, dass der betreffende Lizenzvertrag auf eine missbräuchliche Praxis zurückzuführen war, durch die ein niedrigerer Mehrwertsteuersatz auf Madeira genutzt werden sollte, nachzuweisen war, dass der Lizenzvertrag eine rein künstliche Gestaltung darstellte, durch die verschleiert wurde, dass die betreffende Dienstleistung tatsächlich nicht von Lalib auf Madeira, sondern in Wirklichkeit von WML in Ungarn erbracht wurde.

Zu untersuchen ist die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit

28        In Rn. 45 des Urteils vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses (C‑419/14, EU:C:2015:832 [EWS 2016, 55 Tenor, K&R 2016, 103 Tenor]), hat der Gerichtshof erläutert, dass das vorlegende Gericht, um zu bestimmen, ob der genannte Vertrag eine solche Gestaltung darstellte, sämtliche ihm unterbreiteten tatsächlichen Umstände zu untersuchen hat, wobei es insbesondere ermitteln muss, ob die Errichtung des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit oder der festen Niederlassung von Lalib auf Madeira nicht den Tatsachen entsprach oder ob Lalib für die Ausübung der fraglichen wirtschaftlichen Tätigkeit keine geeignete Struktur in Form von Geschäftsräumen, Personal und technischen Mitteln aufwies oder ob sie diese wirtschaftliche Tätigkeit nicht in eigenem Namen und auf eigene Rechnung, in Eigenverantwortung und auf eigenes Risiko ausübte.

Die Frage, wer das Know-how aus welchen Gründen nutzt, ist nicht entscheidend

29        Wie der Gerichtshof in Rn. 46 dieses Urteils weiter ausgeführt hat, erschienen dagegen die Tatsache, dass der Geschäftsführer und alleinige Anteilsinhaber von WML der Urheber des Know-hows von WML war, die Tatsache, dass er einen Einfluss auf oder eine Kontrolle über die Entwicklung und die Nutzung des Know-hows und die Erbringung der auf diesem Know-how beruhenden Dienstleistungen ausübte, die Tatsache, dass die Verwaltung der Finanztransaktionen, des Personals und der für die Erbringung der Dienstleistungen erforderlichen technischen Mittel von Subunternehmern erledigt wurde, sowie die Gründe, die WML dazu bewegt haben konnten, das betreffende Know-how an Lalib zu verpachten, anstatt es selbst zu nutzen, für sich genommen nicht entscheidend.

Eine Nacherhebung von Mehrwertsteuer ist bei mißbräuchlicher Gestaltung möglich

30        Des Weiteren hat der Gerichtshof in Rn. 54 des Urteils vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses (C‑419/14, EU:C:2015:832 [EWS 2016, 55 Tenor, K&R 2016, 103 Tenor]), entschieden, dass das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass im Fall der Feststellung einer missbräuchlichen Praxis, die dazu geführt hat, dass als Ort einer Dienstleistung ein anderer Mitgliedstaat bestimmt wurde als der, der ohne diese missbräuchliche Praxis bestimmt worden wäre, die Tatsache, dass die Mehrwertsteuer in dem anderen Staat gemäß dessen Rechtsvorschriften entrichtet wurde, einer Nacherhebung der Mehrwertsteuer in dem Mitgliedstaat, in dem diese Dienstleistung tatsächlich erbracht wurde, nicht entgegensteht.

Die Steuerbehörden müssen Auskunftsersuchen durchführen

31        In Rn. 59 dieses Urteils hat der Gerichtshof jedoch entschieden, dass die Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates vom 7. Oktober 2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (ABl. 2010, L 268, S. 1) dahin auszulegen ist, dass die Steuerbehörde eines Mitgliedstaats, die prüft, ob für Leistungen, für die in anderen Mitgliedstaaten bereits Mehrwertsteuer entrichtet worden ist, Mehrwertsteuer verlangt werden kann, dann verpflichtet ist, an die Steuerbehörden dieser anderen Mitgliedstaaten ein Auskunftsersuchen zu richten, wenn ein solches Ersuchen nützlich oder sogar unverzichtbar ist, um festzustellen, dass in dem erstgenannten Mitgliedstaat Mehrwertsteuer verlangt werden kann.

Eine zusätzliche Auslegung ist erforderlich wenn zwei Mitgliedstaaten einen Sachverhalt unterschiedlich würdigen

32        Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die ungarische Steuerbehörde und die portugiesische Steuerbehörde im Anschluss an das Urteil vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses (C‑419/14, EU:C:2015:832 [EWS 2016, 55 Tenor, K&R 2016, 103 Tenor]), trotz der Auskünfte, die die portugiesische Steuerbehörde der ungarischen Steuerbehörde in Beantwortung eines Ersuchens um internationale Zusammenarbeit erteilt habe, ein und denselben Umsatz unterschiedlich behandelt hätten, was zur Erhebung der auf ihn anwendbaren Mehrwertsteuer sowohl in Ungarn als auch in Portugal geführt habe. Das vorlegende Gericht halte daher eine „zusätzliche Auslegung“ für erforderlich und sehe sich hauptsächlich deswegen verpflichtet, dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen, weil die genannten Steuerbehörden den Sachverhalt unterschiedlich bewertet hätten.

Das vorlegende Gericht hat das Vorabentscheidungsersuchen fehlerhaft erstellt

33        Das vorlegende Gericht legt jedoch zum einen nicht dar, aus welchen Gründen die Klarstellungen im Urteil vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses (C‑419/14, EU:C:2015:832 [EWS 2016, 55 Tenor, K&R 2016, 103 Tenor]), nicht ausreichen sollten, um zu bestimmen, ob WML oder Lalib als wahre Erbringerin der im Ausgangsverfahren fraglichen Unterhaltungsdienstleistungen anzusehen ist. Des Weiteren enthält das Vorabentscheidungsersuchen weder eine Prüfung der Tatsachen, die der ungarischen Behörde von der portugiesischen Behörde mitgeteilt wurden, noch eine Prüfung des gesamten Sachverhalts, der in der Entscheidung der Beschwerdekammer vom 6. April 2020, mit der dieses Gericht befasst ist, dargestellt ist, oder anderer Informationen, über die es verfügt.

Das Gericht stellt zusammenhanglos verschiedene Fragen

34        Somit beschränkt sich das vorlegende Gericht darauf, eine Vielzahl von Umständen anzuführen, ohne anzugeben, inwiefern diese eine Schwierigkeit bei der Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 aufwerfen, die sie in ihren Fragen nennt. Dies zeigt, dass es den Gerichtshof in Wirklichkeit nicht darum ersucht, diese Richtlinie auszulegen, sondern darum, mit Blick auf diese Umstände selbst zu bestimmen, ob WML und nicht Lalib als wahre Erbringerin der im Ausgangsverfahren fraglichen Unterhaltungsdienstleistungen anzusehen ist, woraus sich ergeben würde, dass der zwischen diesen Gesellschaften geschlossene Lizenzvertrag eine rein künstliche Gestaltung darstellte.

Die nationalen Gerichte sind zur Vorlage verpflichtet

35        Zum anderen hat zwar der Gerichtshof in Rn. 51 des Urteils vom 18. Juni 2020, KrakVet Marek Batko (C‑276/18, EU:C:2020:485), entschieden, dass die Gerichte eines Mitgliedstaats – je nachdem, ob ihre Entscheidungen selbst noch mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können oder nicht – berechtigt oder verpflichtet sind, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen, wenn sie mit einem Rechtsstreit befasst sind, der Fragen nach der Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen aufwirft, über die sie zu entscheiden haben, und sie feststellen, dass ein und derselbe Umsatz in einem anderen Mitgliedstaat steuerlich unterschiedlich behandelt wird.

Der EuGH hat noch nicht entschieden, ob ein Vorabentscheidungsersuchen zum Zweck der Sachverhaltswürdigung zulässig ist

36        Aus diesem Urteil ergibt sich jedoch nicht, dass die nationalen Gerichte, wenn sie feststellen, dass ein und derselbe Umsatz in einem anderen Mitgliedstaat steuerlich unterschiedlich behandelt wurde, berechtigt oder verpflichtet sind, dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen nicht zum Zweck einer Auslegung des Unionsrechts vorzulegen, sondern zum Zweck einer Sachverhaltswürdigung und einer Anwendung des Unionsrechts im Ausgangsverfahren.

Zwischen dem EuGH und dem nationalen Gerichtshof herrscht strikte Aufgabentrennung

37        Im Verfahren nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, ist nämlich allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits zuständig. Der Gerichtshof ist für die Anwendung der Rechtsnormen auf einen bestimmten Sachverhalt nicht zuständig, da Art. 267 AEUV ihm nur die Befugnis verleiht, sich zur Auslegung der Verträge und der Rechtsakte der Unionsorgane zu äußern (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Juni 2007, Omni Metal Service, C‑259/05, EU:C:2007:363, Rn. 17, sowie vom 6. Oktober 2021, W.Ż. [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑487/19, EU:C:2021:798, Rn. 78 und 132).

Das Vorabentscheidungsersuchen darf sich nicht auf Tatsachenfragen stützen

38        Insoweit wird in den Nrn. 8 und 11 der Empfehlungen an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (ABl. 2019, C 380, S. 1) darauf hingewiesen, dass sich das Vorabentscheidungsersuchen nicht auf Tatsachenfragen beziehen darf, die im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits aufgeworfen werden, und dass der Gerichtshof das Unionsrecht nicht selbst auf diesen Rechtsstreit anwendet.

Der Gerichtshof ist nicht zuständig

39        Daraus folgt, dass der Gerichtshof im vorliegenden Fall nicht dafür zuständig ist, die Vorlagefragen zu beantworten.

Das nationale Gericht hat die mißbräuchliche Gestaltung aufzuklären

40        Im Übrigen ist festzustellen, dass diese Fragen auf der Annahme beruhen, dass die Empfängerin der im Ausgangsverfahren fraglichen technischen Unterstützungsleistungen, nämlich Lalib, nicht als Empfängerin dieser Leistungen angesehen werden könnte, wenn in Wirklichkeit nicht Lalib, sondern WML die betreffenden Unterhaltungsdienstleistungen erbrachte, so dass der Lizenzvertrag zwischen WML und Lalib eine künstliche Gestaltung wäre, die auf einen Rechtsmissbrauch zurückzuführen wäre, der sich notwendigerweise auf das Vertragsverhältnis zwischen DuoDecad und Lalib sowie folglich auf ihre Rechte und Pflichten aus der Richtlinie 2006/112 auswirken würde. Wie die Generalanwältin sinngemäß in den Nrn. 63 und 65 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob der Vertrag zwischen DuoDecad und Lalib selbst auf einen mehrwertsteuerrechtlichen Rechtsmissbrauch zurückzuführen ist, was u. a. dann der Fall sein könnte, wenn festgestellt würde, dass eine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltung unter Beteiligung u. a. von WML, Lalib und DuoDecad vorliegt, die zu dem einzigen Zweck geschaffen wurde, einen mehrwertsteuerrechtlichen Vorteil zu erlangen.

Die formale Anwendung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie kann eine mißbräuchliche Praxis darstellen

41        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, wie in Rn. 36 des Urteils vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses (C‑419/14, EU:C:2015:832 [EWS 2016, 55 Tenor, K&R 2016, 103 Tenor]), ausgeführt, die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer zum einen voraussetzt, dass die betreffenden Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe, und zum anderen, dass aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich ist, dass mit den betreffenden Umsätzen im Wesentlichen lediglich ein Steuervorteil bezweckt wird.

Kosten

Die Kostenentscheidung ist Angelgenheit des vorlegenden Gerichts

42        Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

 

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