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Wirtschaftsrecht
23.07.2009
Wirtschaftsrecht
BGH: Erstattungspflicht des GmbH-Geschäftsführers wegen Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen nach Insolvenzreife

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 08.06.2009
Aktenzeichen: II ZR 147/08
Rechtsgebiete: GmbHG
Vorschriften:

      GmbHG § 64 Abs. 2

Die Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung durch den Geschäftsführer ist nach der Insolvenzreife der Gesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht vereinbar und führt zur Erstattungspflicht nach § 64 Satz 1 und 2 GmbHG.


Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat

auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juni 2009

durch

den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und

die Richter Kraemer, Caliebe, Dr. Reichart und Dr. Drescher

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 30. April 2008 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist.

Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts München I vom 14. September 2007 wie folgt teilweise abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 6.937,09 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13. Mai 2006 zu bezahlen. Hinsichtlich dieses Anspruchs wird dem Beklagten vorbehalten, seine Rechte nach Erstattung an die Masse gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen.

Im Umfang der weitergehenden Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens und der Revision, an den 23. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Insolvenzverwalter der H. Bedachungen GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), über deren Vermögen am 30. November 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Beklagte war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Schuldnerin, die seit Ende 2003 durchgehend überschuldet war. Zwischen Juni und August 2005 veräußerte der Beklagte Gegenstände aus dem Anlage- und Umlaufvermögen der Schuldnerin für insgesamt 34.872,96 EUR. Aus den Verkaufserlösen zahlte er 27.935,87 EUR an verschiedene Gläubiger, davon 16.819,82 EUR an Sozialversicherungsträger. Der Kläger hat behauptet, auch mit dem restlichen Verkaufserlös von 6.937,09 EUR habe der Beklagte Gläubiger der Schuldnerin befriedigt.

Mit der Klage hat der Kläger u.a. Erstattung der Zahlungen in Höhe von 34.782,96 EUR verlangt. Das Landgericht hat ihm davon 27.935,87 EUR zugesprochen. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers insoweit noch zur Zahlung von 11.116,05 EUR verurteilt. Gegen die Teilabweisung richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision des Klägers, mit der er den abgewiesenen Anspruch (23.756,91 EUR) weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit zum Nachteil des Klägers entschieden ist. Der Beklagte ist zur Zahlung von weiteren 6.937,09 EUR zu verurteilen; hinsichtlich weiterer 16.819,82 EUR ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen (16.819,82 EUR) sei mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, jedenfalls bestehe dafür eine tatsächliche Vermutung. Hinsichtlich der weiter verlangten 6.937,09 EUR sei dem Klagevorbringen nicht zu entnehmen, auf welche vom Beklagten veranlassten Zahlungen der Anspruch gestützt sein solle.

II.

Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Zahlung von Beiträgen zur Sozialversicherung, auch der Arbeitgeberbeiträge, nach Insolvenzreife sei mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, ist von Rechtsirrtum geprägt. Der Geschäftsführer einer GmbH ist nach § 64 Abs. 2 Satz 1 und 2 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 1 und 2 GmbHG n.F.) zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft geleistet werden, wenn die Zahlungen nicht auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Die Zahlung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung nach Insolvenzreife ist im Gegensatz zur Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht vereinbar. § 266 a Abs. 1 StGB stellt nur das Vorenthalten der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, nicht auch der Arbeitgeberbeiträge unter Strafe. Zahlungen der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung sind mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, weil einem Geschäftsführer mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht angesonnen werden kann, fällige Leistungen an die Sozialkasse nicht zu erbringen, wenn er dadurch Gefahr liefe, strafrechtlich verfolgt zu werden (Sen. Urt. v. 14. Mai 2007 - II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Tz. 12; v. 5. Mai 2008 - II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Tz. 13; v. 2. Juni 2008 - II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Tz. 6; v. 29. September 2008 - II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 Tz. 10).

Rechtsirrig ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, für die Vereinbarkeit der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns spreche eine tatsächliche Vermutung. Schon weil nach § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 2 GmbHG n.F.) vermutet wird, dass der Geschäftsführer Zahlungen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt geleistet hat (Sen. Urt. v. 14. Mai 2007 - II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Tz. 15; Sen. Beschl. v. 5. Februar 2007 - II ZR 150/06, ZIP 2007, 1501 Tz. 4; Sen. Urt. v. 5. Mai 2008 - II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Tz. 8), ist kein Raum für eine gegenteilige tatsächliche Vermutung. Auch für eine Vermutung, dass Zahlungen an Sozialversicherungsträger auf Arbeitnehmerbeiträge geleistet werden, besteht keine Grundlage. § 4 der Verordnung über die Berechnung, Zahlung, Weiterleitung, Abrechnung und Prüfung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages - Beitragsverfahrensverordnung (BVV) - trifft eine Bestimmung über die Reihenfolge der Tilgung bei Teilzahlungen des Gesamtsozialversicherungsbeitrages. Arbeitnehmeranteile werden nur dann vorrangig getilgt, wenn der Arbeitgeber eine Tilgungsbestimmung trifft. Eine konkludente Tilgungsbestimmung setzt voraus, dass sie greifbar in Erscheinung getreten ist (BGH, Urt. v. 26. Juni 2001 - VI ZR 111/00, ZIP 2001, 1474), und kann nicht vermutet werden.

2.

Von Rechtsfehlern beeinflusst ist auch die Abweisung der Klage in Höhe von 6.937,09 EUR. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Substantiierung des Vortrags des Klägers überspannt, weil es Angaben verlangt hat, auf welche konkreten Zahlungen der Anspruch in Höhe von 6.937,09 EUR gestützt sein soll. Der Insolvenzverwalter muss nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 1 GmbHG n.F.) nur darlegen und ggf. beweisen, dass ein Geschäftsführer Zahlungen nach Insolvenzreife veranlasst hat (Sen. Urt. v. 16. März 2009 - II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 Tz. 14). Diese Anforderungen hat der Kläger erfüllt. Der Kläger hat vorgetragen, dass der Beklagte nach Feststellung der Überschuldung als Geschäftsführer der Schuldnerin aus den Verkaufserlösen für das Anlage- und Umlaufvermögen 6.937,09 EUR an Gläubiger gezahlt hat. Da der Beklagte nicht bestritten hat, dass er mit diesem Teil des Erlöses aus dem Verkauf des Anlage- und Umlaufvermögens Zahlungen an Gläubiger geleistet hat, musste der Kläger weder nähere Einzelheiten vortragen noch einzelne Zahlungen nachweisen.

III.

Das Berufungsurteil ist aufzuheben (§ 563 Abs. 1 ZPO).

1.

Soweit Zahlungen an Sozialversicherungsträger betroffen sind (16.819,82 EUR), ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Insoweit ist die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif. Der Beklagte hat behauptet, sämtliche Zahlungen an den Sozialversicherungsträger seien Zahlungen auf die Arbeitnehmerbeiträge gewesen. Das Berufungsgericht hat dazu - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.

2.

Dagegen kann der Senat hinsichtlich des Anspruchs in Höhe von 6.937,09 EUR in der Sache selbst entscheiden, weil die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Der Beklagte leistete die Zahlungen an Gläubiger nach Insolvenzreife. Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Schuldnerin zum Zeitpunkt des Verkaufs des Anlage- und Umlaufvermögens, mit dessen Erlös der Beklagte die Zahlungen geleistet hat, bereits seit langem überschuldet war, ist in der Revisionsinstanz nicht mehr angegriffen und der Entscheidung zugrunde zu legen.

Den Beklagten trifft ein Verschulden. Es entlastet ihn nicht, dass er mit dem Verkaufserlös laufende Verbindlichkeiten der Gesellschaft getilgt hat. Nach Insolvenzreife ist dem Geschäftsführer die Tilgung fälliger Verbindlichkeiten grundsätzlich verboten (§ 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. = § 64 Satz 1 GmbHG), um Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern. Nur ausnahmsweise ist eine die Masse schmälernde Zahlung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar (§ 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. = § 64 Satz 2 GmbHG n.F.). Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen einer Ausnahme ist der Geschäftsführer (Sen. Urt. v. 14. Mai 2007 - II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Tz. 15; Sen. Beschl. v. 5. Februar 2007 - II ZR 150/06, ZIP 2007, 1501 Tz. 4; Sen. Urt. v. 5. Mai 2008 - II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Tz. 8). Dass die Zahlungen der Abwendung von größeren Nachteilen für die Masse dienten oder der Beklagte strafbewehrte bzw. steuerliche Verbindlichkeiten tilgte, ist nicht behauptet.


BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Verfahrensgang: OLG München, 7 U 5132/07 vom 30.04.2008
LG München I, 6 O 18080/06 vom 14.09.2007

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