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Wirtschaftsrecht
04.04.2012
Wirtschaftsrecht
BGH: Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Einziehung von Forderungen

BGH, Urteil vom 15.3.2012 - IX ZR 249/09


Leitsätze


a) Das Insolvenzgericht kann den vorläufigen Insolvenzverwalter im Wege des besonderen Verfügungsverbots ermächtigen, eine Forderung des Schuldners im eigenen Namen einzuziehen.


b) Der vorläufige Insolvenzverwalter darf nur dann ermächtigt werden, außerhalb des laufenden Geschäftsbetriebs des Schuldners dessen Forderungen einzu-ziehen, wenn deren Verjährung oder Uneinbringlichkeit droht.


c) Der vorläufige Insolvenzverwalter ist kraft des auf eine Schuldnerforderung be-zogenen besonderen Verfügungsverbots zur Entgegennahme aller Erklärungen befugt, welche die von ihm einzuziehende Forderung betreffen.


InsO §§ 21, 22; InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3


Das aus der Anfechtbarkeit der Aufrechnungslage folgende Aufrechnungsverbot wirkt nicht im Eröffnungsverfahren.


sachverhalt


Der Kläger ist mit Beschluss vom 13. Oktober 2006 zum vorläufigen In-solvenzverwalter über das Vermögen der W. GmbH & Co. KG (fortan: Schuldnerin) bestellt worden. Im Beschluss ist angeordnet worden, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Die Schuldnerin hatte aufgrund eines Distri-butionsvertrages vom 12. Januar 2006 Software an die Beklagte geliefert, wel-che diese unter eigenem Namen weiter verkaufen sollte. Im Vertrag heißt es:


"Bei Defekten und Retouren erfolgt Gutschrift. Der Distributor [= die Beklagte] hat beim Publisher [= die Schuldnerin] Retouren-recht ab einer Minimum Garantie von 1000 Stücken."


Am 7. Dezember 2006 erließ das zuständige Insolvenzgericht folgenden Beschluss:


"Der vorläufige Insolvenzverwalter Rechtsanwalt Dr. A. R. wird ermächtigt, im Wege des besonderen Verfügungsver-bots zur gerichtlichen Geltendmachung der Forderung gegenüber der [Firma der Beklagten].


Gründe


Die Anordnung ist erforderlich, um bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens eine den Gläubigern nachteilige Verän-derung in der Vermögenslage der Schuldnerin zu verhüten (§ 21 Abs. 1 InsO)."


Auf der Grundlage dieses Beschlusses hat der Kläger von der Beklagten Kaufpreiszahlungen in Höhe von insgesamt 130.407,10 € nebst Zinsen ver-langt. Die Beklagte hat sich auf das Retourenrecht berufen und hilfsweise die Aufrechnung mit Ansprüchen aus der Ausübung dieses Rechts erklärt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsrechtszug hat die Beklagte die Hilfsaufrechnung fallen gelassen, nachdem das Berufungsgericht den Hin-weis erteilt hatte, das Retourenrecht sei als einseitiges Rückgabe- und Gut-schriftverlangen zur Reduzierung der Rechnungsbeträge zu verstehen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Beklagte zur Zahlung von 112.543,70 € nebst Zinsen verurteilt. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revisi-on will die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils errei-chen.


aus den gründen


5          Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zu-rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.


6          I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Kläger habe eine Kaufpreis-forderung in Höhe von 112.543,70 € schlüssig dargelegt. Zahlungen über den vom Kläger berücksichtigten Betrag von 58.904,90 € hinaus habe die Beklagte nicht konkret dargelegt. Retouren habe es insoweit nicht gegeben. Die Voraus-setzungen einer Verrechnung des Anspruchs mit Erstattungsansprüchen aus Retouren hinsichtlich anderer Lieferungen habe die Beklagte nicht dargelegt. Die Beklagte sei zwar berechtigt gewesen, Lieferungen der Schuldnerin ohne Angabe von Gründen zurückzusenden und Erstattung des bereits gezahlten Kaufpreises zu verlangen. Dieses Recht habe sie jedoch nicht gegenüber der Schuldnerin als der richtigen Erklärungsempfängerin ausgeübt. Der Kläger ha-be den Zugang einer entsprechenden Erklärung bei der Schuldnerin zulässig mit Nichtwissen bestritten. Erklärungen im Rahmen des vorliegenden Rechts-streits reichten nicht aus, weil der Kläger als vorläufiger Insolvenzverwalter nicht empfangszuständig gewesen sei. Der Kläger sei lediglich zur klageweisen Gel-tendmachung der Kaufpreisforderungen ermächtigt worden. Materiellrechtliche Willenserklärungen seien hiervon nicht erfasst. Ein allgemeines Verfügungsver-bot sei nicht angeordnet worden. Selbst wenn der Kläger das Schreiben der Beklagten, welches die Retouren betreffe, an die Schuldnerin weitergeleitet ha-be, was nicht bewiesen sei, reiche dies nicht aus, weil eine empfangsbedürftige Willenserklärung zielgerichtet abgegeben werden müsse. Die Voraussetzungen einer treuwidrigen Vereitelung des Zugangs durch die Schuldnerin seien nicht hinreichend dargetan.


7          II. Die Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.


8          1. Die Klage ist zulässig. Der Kläger ist prozessführungsbefugt.


9          a) Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO hat das Insolvenzgericht alle Maßnah-men zu treffen, um bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Es kann insbesondere dem Schuldner ein allgemeines Verfügungs-verbot auferlegen oder anordnen, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Der nur mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattete vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht prozessführungsbefugt. Das Insolvenzgericht kann ihn jedoch ermächtigen, zur Sicherung und Erhaltung des Schuldnervermögens Prozesse zu führen. Eine solche Anordnung kann nicht allgemein, sondern nur im Wege der Einzelanordnung (§ 22 Abs. 2 InsO; vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2002 - IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 366 f; vom 5. Mai 2011 - IX ZR 144/10, NZI 2011, 602 Rn. 54, zVb in BGHZ 189, 299) mit oder nach Erlass eines be-sonderen Verfügungsverbots bezüglich des hiervon betroffenen Vermögensge-genstandes ergehen (HK-InsO/Kirchhof, 6. Aufl., § 22 Rn. 63; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 22 Rn. 144; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 13. Aufl., § 22 Rn. 195; HmbKomm-InsO/Schröder, 3. Aufl., § 22 Rn. 175; Gottwald/Uhlenbruck/Vuia, Insolvenzrechtshandbuch, 4. Aufl., § 14 Rn. 114).


10        Der Beschluss vom 7. Dezember 2006, welcher den Kläger "im Wege des besonderen Verfügungsverbots zur gerichtlichen Geltendmachung" der streitgegenständlichen Kaufpreisforderungen ermächtigte, ist dahingehend aus-zulegen, dass er neben der Übertragung der Prozessführungsbefugnis die materiellrechtliche Einziehungsermächtigung (vgl. hierzu OLG Köln, ZIP 2004, 2450, 2451) sowie ein Verfügungsverbot hinsichtlich dieser Forderungen um-fasste. Ohne die Einziehungsermächtigung hätte der Kläger auf Zahlung an die Schuldnerin antragen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 1994 - VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196, 204 unter d); ohne das Verfügungsverbot wäre die Schuldnerin nicht daran gehindert gewesen, ihrerseits die gerichtliche Durch-setzung der Kaufpreisforderungen zu betreiben. Beides war im Zweifel nicht gewollt.


11        b) Entgegen § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO und trotz des gegenteiligen Wort-lauts des Beschlusses vom 7. Dezember 2006 dient die dem Kläger erteilte Er-mächtigung zur Einziehung der Kaufpreisforderungen allerdings nicht dazu, ei-ne den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuld-ners zu verhüten. Die von der Beklagten bestrittenen Forderungen stellen die einzigen Vermögensgegenstände der Schuldnerin dar. Der Kläger will sie sei-ner eigenen Darstellung nach einziehen, um so Masse zur Deckung der Verfah-renskosten zu schaffen. Dies ist in der Insolvenzordnung nicht vorgesehen. Der vorläufige Verwalter hat nicht die Aufgabe, das Schuldnervermögen zu ver-werten (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2000 - IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165, 176 unter d; vom 13. Juli 2006 - IX ZB 104/05, BGHZ 168, 321 Rn. 22; HK-InsO/Kirchhof, 6. Aufl., § 22 Rn. 14, 16). Fällige Forderungen des Schuldners gegen Drittschuldner darf er außerhalb des laufenden Geschäftsbetriebs, den es im vorliegenden Fall nicht gab, nur einziehen, um drohender Verjährung oder Uneinbringlichkeit vorzubeugen, nicht jedoch allein zur Masseanreiche-rung (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2003 - IX ZB 28/03, NZI 2004, 381, 382; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 13. Aufl., § 22 Rn. 35a).


12        Die Frage der Verfahrenskostendeckung ist in § 26 InsO geregelt. Das Verfahren ist zu eröffnen, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens zu decken, oder wenn ein aus-reichender Vorschuss geleistet wird. Ist dies nicht der Fall, ist der Eröffnungsan-trag abzuweisen. Auf den Sonderfall des § 26 Abs. 3, 4 InsO braucht in diesem Zusammenhang nicht eingegangen zu werden. Wenn die streitgegenständli-chen Forderungen also eine ausreichende Grundlage für die Eröffnung des Ver-fahrens boten, hätte das Verfahren eröffnet werden müssen; war dies aus Rechtsgründen oder wegen Uneinbringlichkeit nicht der Fall, hätte der Eröff-nungsantrag abgewiesen werden müssen.


13        c) Eine Anordnung, welche eine Behörde innerhalb des ihr zugewiese-nen Geschäftskreises trifft, darf aus Gründen der Rechtssicherheit in ihrer Wirk-samkeit jedoch nicht allein deshalb in Frage gestellt werden, weil sie mit dem Verfahrensrecht nicht im Einklang steht (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 - IX ZR 206/08, NZI 2010, 99 Rn. 13). Nichtig und ohne jede rechtliche Wirkung ist die Anordnung nur dann, wenn sie offensichtlich jeder gesetzlichen Grundla-ge entbehrt (BGH, Urteil vom 17. Dezember 1992 - IX ZR 226/91, BGHZ 121, 98, 101; vom 24. Mai 2007 - IX ZR 97/04, BGHZ 172, 278 Rn. 15; vom 20. März 2008 - IX ZR 2/07, WM 2008, 838 Rn. 8; vom 10. Dezember 2009, aaO). Das ist hier nicht der Fall, weil ein Verfügungsverbot hinsichtlich der streitgegen-ständlichen Kaufpreisansprüche und die Ermächtigung, diese Ansprüche gerichtlich geltend zu machen, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO rechtlich zulässig gewesen wäre.


14        2. Die Schuldnerin hat der Beklagten von dieser bestellte Waren geliefert und mit insgesamt 189.312 € in Rechnung gestellt. Abzüglich des vertraglich vereinbarten Einbehalts für künftige Retouren sowie einer Zahlung von 58.904,90 € ergibt sich der zugesprochene Betrag von 112.543,70 €. Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalt stehen der Beklagten je-doch weitere Gegenrechte aus Retouren zu.


15        a) Die Vertragsparteien hatten ein voraussetzungsloses und unbefriste-tes Retourenrecht vereinbart. Feststellungen dazu, ob dieses durch Erklärung auszuüben war oder ob zusätzlich die retournierte Ware zurückgesandt werden musste, hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Die Beklagte hat hierzu unwi-dersprochen und unter Beweisantritt vorgetragen, eine Rücksendung der Wa-ren sei nicht erforderlich gewesen, weil die Schuldnerin kein eigenes Lager vor-gehalten habe. Hiervon ist im Folgenden auszugehen. Auf den weiteren Vortrag der Beklagten, das Geschäftslokal der Schuldnerin sei geschlossen, und der Kläger habe trotz mehrfacher Nachfragen abgelehnt, eine Lieferanschrift für die Rücksendung der Waren anzugeben, kommt es angesichts dessen nicht an.


16        b) Das Berufungsgericht hat gemeint, den Zugang der Belastungsanzei-ge vom 28. Juni 2007 bei der Schuldnerin nicht feststellen zu können, weil der Kläger ihn zulässig mit Nichtwissen bestritten habe (§ 138 Abs. 4 ZPO). Ein Bestreiten mit Nichtwissen war jedoch unzulässig. Der Insolvenzverwalter muss die Geschäftsunterlagen des Schuldners sichten und erforderlichenfalls den Schuldner (hier: den Geschäftsführer der Schuldnerin) befragen. Erst wenn sei-ne Erkundigungen keinen Aufschluss erbracht haben, darf sich der Insolvenzverwalter unter nachvollziehbarer Darlegung der von ihm unternommenen Be-mühungen pauschal mit Nichtwissen erklären (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezem-ber 2005 - IX ZR 95/04, ZIP 2006, 192, 194). Für den vorläufigen Insolvenzver-walter gilt nichts anderes. Seine Möglichkeiten, Informationen einzuholen, ent-sprechen denjenigen eines Insolvenzverwalters. Gemäß § 22 Abs. 3 Satz 2 InsO hat der Schuldner dem vorläufigen Insolvenzverwalter Einsicht in seine Bücher und Geschäftspapiere zu gestatten. Er hat ihm alle erforderlichen Aus-künfte zu erteilen und ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen; die Vorschriften der §§ 97, 98 und 101 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 InsO gelten ent-sprechend.


17        c) Ob die Belastungsanzeige bei der Schuldnerin eingegangen ist oder nicht, ist überdies aus Rechtsgründen nicht von Bedeutung. Entgegen der An-sicht des Berufungsgerichts reicht der Zugang der Erklärung bei den vorinstanz-lichen Prozessbevollmächtigten des Klägers aus.


18        aa) Der Kläger ist kraft der ihm erteilten Einzelermächtigung zur Entge-gennahme aller Erklärungen befugt, welche die von ihm einzuziehenden Forde-rungen betreffen. Wie gezeigt, umfasst die Ermächtigung die Prozessführungs-befugnis, die Einziehungsermächtigung und die Verwaltungs- und Verfügungs-befugnis hinsichtlich der streitgegenständlichen Forderungen. Jede einzelne Befugnis begründet schon für sich genommen die Empfangszuständigkeit des Klägers für Rückgabe- und Verrechnungserklärungen der Beklagten entspre-chend § 388 BGB. Wird eine Forderung im Wege der Prozessstandschaft gel-tend gemacht, kann der Prozessgegner im Verfahren mit Forderungen gegen den Ermächtigenden aufrechnen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., Vor § 50 Rn. 57; Wieczorek/Schütze/Hausmann, ZPO, 3. Aufl., Vor § 50 Rn. 96); denn die gewählte Art der Prozessführung darf den Prozessgegner nicht unbillig benachteiligen. Liegt eine materiellrechtliche Einziehungsermächtigung vor, wird die Rechtsstellung des Schuldners nicht dadurch beeinträchtigt, dass ihm statt des Gläubigers der Ermächtigte gegenübertritt. Rechtshandlungen zwischen ihm und dem Ermächtigten muss der Ermächtigende ebenso gegen sich gelten lassen, als wenn er sie selbst oder durch einen Bevollmächtigten mit dem Schuldner vorgenommen hätte (RGZ 73, 306, 309; RGRK/Weber, BGB, 12. Aufl., § 398 Rn. 165; vgl. zu § 166 Abs. 2 InsO BGH, Beschluss vom 24. März 2009 - IX ZR 112/08, WM 2009, 814 Rn. 4). Der Schuldner kann dem Ermächtigten alle Einwendungen entgegenhalten, die ihm dem Gläubiger ge-genüber zustehen (Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 398 Rn. 35; Erman/ H.P. Westermann, BGB, 13. Aufl., § 398 Rn. 39). Im Falle einer Aufrechnung hat der Schuldner den Ermächtigten als Adressaten seiner Aufrechnungserklä-rung zu betrachten, während sich die Gegenseitigkeit nach der Person des Er-mächtigenden bemisst, der Inhaber der Forderung geblieben ist (Nörr/ Scheyhing, Sukzessionen, 1. Aufl., § 11 IV d (S. 192); Staudinger/Gursky, BGB [2011], § 387 Rn. 23; § 388 Rn. 7; MünchKomm-BGB/Roth, BGB, 5. Aufl., § 398 Rn. 49). Wer verfügungsbefugt ist, ist gemäß § 388 Satz 1 BGB Adressat der Aufrechnungserklärung (RGZ 56, 362, 364). Das gilt für den (endgültigen) Insolvenzverwalter (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1983 - VIII ZR 19/82, NJW 1984, 357, 358 unter bb; Staudinger/Gursky, BGB [2011], § 388 Rn. 7) ebenso wie für den "starken" vorläufigen Verwalter (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1, § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) sowie den vorläufigen Verwalter, dem eine Einzelermächtigung erteilt worden ist, in Bezug auf den hiervon betroffenen Vermögensgegenstand.


19        bb) Die anwaltliche Prozessvollmacht berechtigt regelmäßig zur Abgabe und Entgegennahme aller Erklärungen, die zum Angriff und zur Verteidigung erforderlich sind, auch wenn sie zugleich materiellrechtliche Wirkung haben (vgl. RGZ 50, 426, 427; 53, 148; 53, 212, 213; 63, 411, 413; BGH, Urteil vom 12. Oktober 1983 - VIII ZR 19/82, NJW 1984, 357, 358 unter bb; Zöller/ Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 81 Rn. 10; Zöller/Greger, aaO, § 145 Rn. 11; MünchKomm-BGB/Schlüter, 5. Aufl., § 388 Rn. 2; Soergel/Schreiber, BGB, 13. Aufl., § 388 Rn. 2; jeweils zu Aufrechnungserklärungen).


20        III. Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als rich-tig (§ 561 ZPO).


21        1. Die Revisionserwiderung meint, die Verrechnungsabrede, welche das Berufungsgericht angenommen hat, sei durch die Anordnung einer Verfü-gungsbeschränkung im Beschluss vom 13. Oktober 2006 unwirksam geworden; gleiches gelte für etwaige Vorausverfügungen der Schuldnerin im Distributions-vertrag. Sie verweist hierzu auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Kontokorrentabrede. Danach hat die Anordnung von Verfügungsbeschrän-kungen im Eröffnungsverfahren keinen Einfluss auf die (schuldrechtliche) Kon-tokorrentabrede. Diese erlischt vielmehr gemäß §§ 115, 116 InsO erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BGH, Urteil vom 25. Juni 2009 - IX ZR 98/08, BGHZ 181, 362 Rn. 10). Verfügungsbeschränkungen wirken sich jedoch auf die im Kontokorrentvertrag enthaltenen antizipierten Verrechnungsvereinba-rungen aus (grundlegend BGH, Urteil vom 4. Mai 1979 - I ZR 127/77, BGHZ 74, 253, 254 f). Ist ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet worden, kann die konto-führende Bank weiterhin Überweisungsverträge mit dem Schuldner schließen. Ohne die Zustimmung des vorläufigen Verwalters kann sie den Überweisungs-betrag jedoch nicht mehr in das Kontokorrent einstellen (BGH, Urteil vom 5. Februar 2009 - IX ZR 78/07, NZI 2009, 307 Rn. 21; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 24 Rn. 6; HK-InsO/Kirchhof, 6. Aufl., § 24 Rn. 5 a.E.). Die im Kontokorrentver-trag enthaltenen Verfügungsvereinbarungen besagen, dass künftige Forderun-gen lediglich zur Verrechnung zu stellen sind mit der Folge, dass sie nicht mehr selbständig geltend gemacht oder abgetreten werden können und als gestundet zu geltend haben; der antizipierte Verrechnungsvertrag sieht vor, dass sich die Verrechnung am Ende einer Rechnungsperiode automatisch vollzieht (BGH, Urteil vom 4. Mai 1979, aaO). Beides ist nicht mehr möglich, wenn der Schuld-ner nicht mehr uneingeschränkt verfügungsbefugt ist.


22        2. Ein Kontokorrentverhältnis war zwischen der Schuldnerin und der Be-klagten jedoch nicht vereinbart worden. In § 3 Abs. 1 des Distributionsvertrags war für die einzelnen Warenlieferungen ein Zahlungsziel von 30 Tagen vorge-sehen. Die einzelnen Ansprüche aus § 433 Abs. 2 BGB, die der Kläger im vor-liegenden Verfahren geltend macht, sollten ihre rechtliche Selbständigkeit da-nach gerade nicht verlieren. Auch Rechnungsabschlüsse waren nicht vorgese-hen. Das Retourenrecht hat das Berufungsgericht nachvollziehbar und von kei-ner Partei beanstandet dahingehend ausgelegt, dass die Beklagte gelieferte Waren ohne Angabe von Gründen an die Schuldnerin zurückgeben durfte. Sie sollte dafür eine Gutschrift erhalten, in deren Höhe sie die von ihr zu leistenden Zahlungen kürzen durfte. Es handelte sich damit um eine rein schuldrechtliche Vereinbarung, die von der Anordnung der Verfügungsbeschränkung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 InsO unberührt blieb.


23        3. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung steht die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO der von der Beklagten vorgenommenen Verrechnung nicht entgegen.


24        a) Der Senat hat bereits entschieden, dass § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO auf eine im Eröffnungsverfahren begründete Aufrechnungslage auch dann keine Anwendung findet, wenn das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzver-walter bestimmt und Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 InsO getroffen hat (BGH, Urteil vom 29. Juni 2004 - IX ZR 195/03, BGHZ 159, 388, 390 ff; vgl. auch BGH, Beschluss vom 4. Juni 1998 - IX ZR 165/97, ZIP 1998, 1319 zu § 55 Nr. 1 KO).


25        b) Die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, auf welche die Revision verweist, scheidet von vornherein aus, weil das Insolvenzverfahren noch nicht eröffnet worden ist. Die §§ 94 bis 96 InsO stehen im Ersten Abschnitt des Drit-ten Teils der Insolvenzordnung, welcher die allgemeinen Wirkungen der Eröff-nung des Insolvenzverfahrens behandelt. Im Eröffnungsverfahren sind sie nicht, auch nicht entsprechend, anwendbar. Aufrechnungserklärungen von Gläubi-gern, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Insolvenzgläubiger wä-ren, sind bis zur Eröffnung gemäß den allgemeinen Vorschriften der §§ 387 ff BGB auch dann uneingeschränkt zulässig und wirksam, wenn ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet worden ist (Jaeger/Gerhardt, InsO, § 21 Rn. 67 ff; HK-InsO/Kirchhof, 6. Aufl., § 24 Rn. 10; HmbKomm-InsO/Schröder, 3. Aufl., § 24 Rn. 10; FK-InsO/Schmerbach, 6. Aufl., § 24 Rn. 12; Gerhardt in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., S. 193 ff Rn. 11; aA wohl Uhlen-bruck, InsO, 13. Aufl., § 24 Rn. 7; unklar auch Graf-Schlicker/Voß, InsO, 2. Aufl., § 24 Rn. 6). Da der Anfechtungsanspruch erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht (RGZ 30, 71, 74; BGH, Urteil vom 3. Dezember 1954 - V ZR 96/53, BGHZ 15, 333, 337; vom 9. Juli 1987 - IX ZR 167/86, BGHZ 101, 286, 288; Beschluss vom 29. April 2004 - IX ZB 225/03, WM 2004, 1390; vom 18. Dezember 2008 - IX ZB 46/08, ZInsO 2009, 495 Rn. 10; vom 23. Sep-tember 2010 - IX ZB 204/09, NZI 2011, 73 Rn. 11) und die Vorschriften der §§ 129 ff InsO erst von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an anwendbar sind (BT-Drucks. 12/2443, S. 156), kann das auf die Anfechtbarkeit der Entste-hung der Aufrechnungslage gestützte Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO erst mit dem Eröffnungsbeschluss in Kraft treten.


26        IV. Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Es ist auf-zuheben; die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Beru-fungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Dieses wird sich mit den Voraussetzungen und dem Umfang des von der Beklagten eingewandten Re-tourenrechts zu befassen haben.

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