BGH: Erkennbarkeit eines RA-Handelns als Vertreter des hauptbevollmächtigten RA
BGH, Urteil vom 20.12.2022 – VI ZR 279/21
ECLI:DE:BGH:2022:201222UVIZR279.21.0
Volltext: BB-Online BBL2023-578-5
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Amtlicher Leitsatz
Zur Frage, wann das Handeln eines Rechtsanwalts als Vertreter des hauptbevollmächtigten Rechtsanwalts hinreichend deutlich erkennbar ist (hier: Verwendung des Briefkopfs des Hauptbevollmächtigten ohne zusätzlichen Hinweis auf Vertretungsverhältnis).
ZPO § 130 Nr. 6, § 520 Abs. 5
Sachverhalt
Die Klägerin hat gegen das Urteil des Amtsgerichts durch ihren Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt M. form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Der Schriftsatz, mit dem die Berufung begründet worden ist, enthält den Briefkopf des Prozessbevollmächtigten ("M. Rechtsanwaltskanzlei") und führt neben diesem den weiteren Rechtsanwalt J. auf. Unterzeichnet ist der Schriftsatz von Rechtsanwalt B. Darunter befindet sich der maschinenschriftliche Zusatz "B. Rechtsanwalt".
Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin verworfen und die Revision zugelassen.
Aus den Gründen
I.
3 Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Berufung sei unzulässig, da sie nicht in der gesetzlichen Form begründet worden sei. Der am Tage des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist per Telefax eingegangene Schriftsatz sei nicht vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Rechtsanwalt M., unterzeichnet worden. Vielmehr sei der auf dem Briefbogen des Rechtsanwalts M. verfasste Berufungsbegründungsschriftsatz ohne jeden Vertretungszusatz von Rechtsanwalt B. unterschrieben worden. Auf dem Briefbogen, überschrieben mit "M. Rechtsanwaltskanzlei", sei lediglich Rechtsanwalt J. als weiterer Rechtsanwalt genannt. Damit sei nicht erkennbar, dass Rechtsanwalt B. selbst für den Inhalt der Rechtsmittelbegründung Verantwortung übernehmen wolle und nicht bloßer Erklärungsbote sei. Einen Vertretungsvermerk (wie z.B. "für" oder "i.V.") habe Rechtsanwalt B. seiner Unterschrift nicht hinzugefügt. Der verwendete Briefbogen ermögliche keine Schlüsse auf ein Vertretungsverhältnis zwischen Rechtsanwalt M. und Rechtsanwalt B., denn auf diesem seien allein Rechtsanwalt M. und Rechtsanwalt J. ausgewiesen. Dahinstehen könne, ob die von Rechtsanwalt M. mit späterem Schriftsatz dargestellte "Untervollmacht" für Rechtsanwalt B. wirksam sei. Denn bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist sei nicht erkennbar oder klargestellt gewesen, dass Rechtsanwalt B. in Vertretung des Rechtsanwalts M. unterzeichnet oder in welcher Funktion er überhaupt unter dem Briefkopf und Namen des Rechtsanwalts M. unterschrieben habe, unter dessen Namen die Berufung begründet worden sei und der als Absender der Berufungsbegründung erscheine. Es sei im Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist nicht erkennbar gewesen, wer für den Inhalt der Berufungsbegründung die Verantwortung übernehme und dass der Schriftsatz mit Wissen und Willen des Rechtsanwalts B. an das Gericht gesandt worden sei. Für diesen Zeitpunkt könne nicht festgestellt werden, dass die Berufungsbegründungsschrift vom Prozessbevollmächtigten des Klägers oder einem allgemein bestellten Vertreter oder nur unterbevollmächtigten Anwalt eigenhändig unterschrieben worden sei. Die Heilung eines solchen, die wirksame Begründung des Rechtsmittels betreffenden Mangels sei nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist nicht mehr möglich. II.
4 Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden.
5 1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Berufungsbegründung den Formanforderungen nicht genügt.
6 a) Die Berufungsbegründungsschrift muss als bestimmender Schriftsatz im Anwaltsprozess (§ 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO) von einem Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein (§ 130 Nr. 6, § 520 Abs. 5 ZPO). Die Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen. Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. März 2022 - VI ZB 27/20, NJW-RR 2022, 716 Rn. 9; vom 22. Oktober 2019 - VI ZB 51/18, MDR 2020, 305 Rn. 8; jeweils mwN).
7 b) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass Rechtsanwalt B. für den Inhalt der Rechtsmittelbegründung die Verantwortung übernommen haben muss und nicht bloßer Erklärungsbote gewesen sein darf. Die Annahme des Berufungsgerichts, dies sei im Streitfall nicht erkennbar, ist hingegen unzutreffend. Denn es spricht grundsätzlich eine Vermutung dafür, dass der Unterzeichner sich den Inhalt des Schreibens zu eigen gemacht hat, dafür aufgrund eigener Prüfung die Verantwortung übernimmt und nicht lediglich als Erklärungsbote tätig wird (vgl. BVerfG[K], NJW 2016, 1570 Rn. 25; BGH, Beschlüsse vom 24. September 2019 - XI ZR 451/17, NJW 2020, 618 Rn. 9; vom 14. März 2017 - XI ZB 16/16, NJW-RR 2017, 760 Rn. 10; vom 26. Juli 2012 - III ZB 70/11, NJW-RR 2012, 1142 Rn. 11; Urteil vom 31. März 2003 - II ZR 192/02, NJW 2003, 2028 f., juris Rn. 7). Diese Vermutung ist hier nicht erschüttert; insbesondere hat Rechtsanwalt B. nicht lediglich "i.A." unterzeichnet (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 5. November 1987 - V ZR 139/87, NJW 1988, 210; Urteil vom 27. Februar 2018 - XI ZR 452/16, juris Rn. 16 mwN).
8 c) Liegt eine Erklärung des Unterzeichners vor, kommt es darauf an, ob er als Unterbevollmächtigter im Namen des hauptbevollmächtigten Rechtsanwalts aufgetreten ist oder eine Erklärung im eigenen Namen abgegeben hat. Ein Handeln als Vertreter ist dann anzunehmen, wenn sich neben der Unterschrift der Zusatz "i.V." oder der Zusatz "für" den Hauptbevollmächtigten befindet. Zwingend ist die Verwendung solcher Zusätze aber nicht. Es reicht aus, wenn sich das Handeln als Vertreter für das Gericht aus den Umständen hinreichend deutlich erkennbar ergibt (vgl. zum allgemeinen/amtlich bestellten Vertreter BGH, Beschlüsse vom 28. Juli 2005 - III ZB 56/05, NJW 2005, 3415, juris Rn. 6; vom 22. Oktober 1998 - VII ZB 15/98, NJW 1999, 365, juris Rn. 7; vom 3. Mai 1995 - XII ZB 53/95, NJW-RR 1995, 950, juris Rn. 9; vom 9. Februar 1993 - XI ZB 2/93, NJW 1993, 1925, juris Rn. 3; jeweils mwN). Dies ist hier vor dem Hintergrund, dass Rechtsanwalt B. die Berufungsbegründung auf dem Briefkopf der von der Klägerin mandatierten Kanzlei M. verfasst hat, der Fall. Dass Rechtsanwalt B., obwohl das Mandat für die Berufung ausweislich der Berufungsschrift der Kanzlei M. erteilt war, die Berufungsbegründung - ungeachtet der Benutzung des Briefbogens der Kanzlei M. - nicht für diese als Unterbevollmächtigter, sondern - trotz fehlender Mandatierung - im eigenen Namen abgeben wollte, ist fernliegend. Ein solches Auslegungsergebnis würde ihm den Willen zu einer eindeutig unzulässigen Prozesshandlung unterstellen und damit gegen den Auslegungsgrundsatz verstoßen, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (siehe hierzu auch BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 1993 - XI ZB 2/93, juris Rn. 3 und vom 28. Juli 2005 - III ZB 56/05, NJW 2005, 3415, juris Rn. 8 aE).
9 2. Ob, was das Berufungsgericht ausdrücklich offengelassen hat, Rechtsanwalt B. zu dieser Vertretung befugt gewesen ist, und - wie die Revision geltend macht - insoweit als berechtigter Unterbevollmächtigter gehandelt hat, wird zu klären sein.