OLG Stuttgart: Erhebung eines Widerspruchs gegen Beschlussfassung der Hauptversammlung
OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.6.2013 - 20 U 2/13
Sachverhalt
I. Der klagende Vorstand begehrt die Nichtigerklärung von Beschlüssen der am 16.08.2012 durchgeführten Hauptversammlung der beklagten Aktiengesellschaft. Die Beschlüsse haben die Anordnung einer Sonderprüfung zum Gegenstand. Die einschlägigen, vom Streithelfer gestellten Anträge, die mit der erforderlichen Stimmenmehrheit angenommen worden sind, woraufhin der Aktionär und Vorstand der Beklagten K gegen das bekannt gegebene Abstimmungsergebnis Widerspruch einlegte, sind nach Auffassung des klagenden Vorstands nicht rechtzeitig zur Tagesordnung bekannt gemacht worden. Es liege ein Verstoß gegen § 126 Abs. 1 AktG vor. Die Beschlüsse hätten nach § 124 Abs. 4 Satz 1 AktG nicht gefasst werden dürfen. Die Anträge seien auch nicht nach § 124 Abs. 4 Satz 2 AktG bekanntmachungsfrei gewesen. Es komme nicht darauf an, ob der Verfahrensfehler für die Beschlussfassung ursächlich gewesen sei, weil das Verbot der Beschlussfassung nach § 124 Abs. 4 AktG strikt gelte.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es sei bereits zweifelhaft, könne aber dahinstehen, ob die Klage durch einen Vorstandsbeschluss, der nach § 245 Nr. 4 AktG erforderlich gewesen sei, gedeckt gewesen sei. Die Klage sei deshalb unbegründet, weil der vorgebrachte Anfechtungsgrund - das Vorliegen eines Bekanntmachungsfehlers - nicht bestehe. Insofern könne offen bleiben, ob die in Frage stehenden Anträge nach § 124 Abs. 4 Satz 2 AktG ohnehin bekanntmachungsfrei gewesen seien. Ferner müsse nicht entschieden werden, ob es andernfalls an der Relevanz eines Bekanntmachungsfehlers gefehlt hätte, etwa deshalb, weil sämtliche Aktionäre in der Hauptversammlung erschienen und sich keiner von ihnen auf die fehlende Bekanntmachung berufen hatte. Denn jedenfalls seien nach § 121 Abs. 6 AktG u. a. die Vorschriften über die Bekanntmachung und auch die Regelung in § 124 Abs. 4 Satz 1 AktG über das Verbot einer Beschlussfassung bei nicht ordnungsgemäßer Bekanntmachung nicht anzuwenden, wenn die Hauptversammlung eine Vollversammlung aller Aktionäre war und kein Aktionär der Beschlussfassung widersprochen hat. So liege es im Streitfall. Unstreitig und durch das Hauptversammlungsprotokoll belegt hätten alle Aktionäre an der Hauptversammlung teilgenommen. Gegen eine Beschlussfassung über die in der Hauptversammlung vom Streithelfer vorgeschlagenen Anträge auf Anordnung einer Sonderprüfung habe sich auch kein Widerspruch erhoben. § 121 Abs. 6 AktG meine nicht den von Herrn K als Aktionär ausweislich des Hauptversammlungsprotokolls erhobenen Widerspruch nach der Beschlussfassung, der sich gegen das Beschlussergebnis wende und als Widerspruch im Sinne von § 245 Nr. 1 AktG zu verstehen sei. Vielmehr gehe es bei § 121 Abs. 6 AktG um einen Widerspruch gegen die Durchführung der Abstimmung über den möglicherweise nicht rechtzeitig bekanntgemachten Beschlussvorschlag. Ein solcher Widerspruch könne bis spätestens vor Bekanntgabe des Beschlussergebnisses durch den Versammlungsleiter erhoben werden, der dann nach pflichtgemäßer Prüfung der Rechtslage die Beschlussfassung zu unterbinden habe. Ausweislich des Hauptversammlungsprotokolls sei gegen die Durchführung der Abstimmung über die Beschlussvorschläge des Streithelfers jedoch kein derartiger Widerspruch erhoben worden. Vielmehr sei die Abstimmung durchgeführt worden, erst gegen das festgestellte Abstimmungsergebnis habe Herr K sodann Widerspruch erhoben. Fehle es nach allem an einem Widerspruch gegen die Beschlussfassung, seien die im Streit stehenden Beschlüsse nicht mit der - allein vorgebrachten - Begründung anfechtbar, es fehle an einer ordnungsgemäßen Bekanntmachung.
Hiergegen richtet sich die Berufung, mit der der Vorstand seine bereits in erster Instanz gestellten Anträge weiterverfolgt, mit der Begründung, die Auffassung des Landgerichts, der hier nach § 121 Abs. 6 AktG streitentscheidende Widerspruch gegen die Beschlussfassung müsse spätestens vor Bekanntgabe des Beschlussergebnisses durch den Versammlungsleiter erhoben werden, sei rechtsirrig. Diese Auffassung des Landgerichts werde zwar - wobei die Frage obergerichtlich nicht entschieden sei - auch von Teilen der Literatur vertreten, sie sei aber gleichwohl unzutreffend. Soweit ein Aktionär gegen einen Beschluss einen Widerspruch zu Protokoll gebe, solle damit zum Ausdruck gebracht sein, dass die Beschlussfassung aus jedem erdenklichen rechtlichen und tatsächlichen Grund nicht akzeptiert wird und einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden soll. Es könne keinen Unterschied machen, ob ein solcher Widerspruch vor oder nach Bekanntgabe des Beschlussergebnisses erfolge. Insbesondere unter den hier gegebenen Umständen mache eine Unterscheidung hinsichtlich des Zeitpunkts der Widerspruchserklärung keinen Sinn. Bereits vor der Beschlussfassung der anwesenden Aktionäre sei klar gewesen, wie das Beschlussergebnis lauten werde. Es könne auch deshalb nicht darauf ankommen, ob vor oder nach der Feststellung des ohnehin feststehenden Beschlussergebnisses widersprochen werde. Die Widerspruchserklärung des Aktionärs K sei so zu werten und auszulegen, dass der Widerspruch nicht nur die Erhebung einer Anfechtungsklage habe ermöglichen sollen, sondern auch zum Ausdruck bringen, dass die Beschlussfassung insgesamt nicht zulässig sei. Ein erst nach Bekanntgabe des vorherzusehenden Beschlussergebnisses erhobener Widerspruch könne die Nichtbeachtung aktienrechtlicher Bekanntmachungsvorschriften nicht heilen. Insbesondere sei ein Schweigen der Aktionäre in einem solchen Fall nicht als Zustimmung zur Aufnahme eines nicht ordentlich angekündigten Beschlussantrags zu werten. Im Streitfall fehle es an einer Abstimmung aller anwesenden Aktionäre darüber, dass sie auf die Einhaltung gesetzlicher oder satzungsmäßiger Formen und Fristen verzichteten.
Aus den Gründen
II. Die Berufung des Klägers hat keine Aussicht auf Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die vom Senat zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO. Der Senat folgt der Entscheidung des Landgerichts im Ergebnis wie in ihrer tragenden Begründung, auf die er verweist. Der Senat teilt insbesondere die vom Landgericht vertretene, den alleinigen Gegenstand der Berufungsangriffe bildende Rechtsauffassung, ein nach § 121 Abs. 6 AktG erheblicher Widerspruch könne lediglich bis spätestens vor Bekanntgabe des Beschlussergebnisses durch den Versammlungsleiter erhoben werden.
1. Diese Auffassung entspricht der in der Literatur einhellig vertretenen Meinung (hierzu etwa Kubis, in: Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 121 Rn. 98; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 121 Rn. 87; Ziemons, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 121 Rn. 93; Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 121 Rn. 34; Herrler, in: Grigoleit, AktG, 1. Aufl., § 121 Rn. 32). Hiervon abweichende Judikatur ist nicht ersichtlich. Der Senat folgt mit dem Landgericht dieser Auffassung. Sie wird insbesondere gestützt durch die - höchstrichterlich bestätigte - Rechtslage im Recht der GmbH, die § 121 Abs. 6 AktG in das Aktienrecht übernimmt (vgl. Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl., § 51 Rn. 31; Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 121 Rn. 21): Um die Heilungswirkung nach § 51 Abs. 3 GmbHG auszuschließen, genügt es nicht, einen behaupteten Ankündigungsmangel nicht vor oder bei der Abstimmung, sondern erst danach zu rügen (s. BGH, NZG 2003, 127, 129; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl., § 51 Rn. 31).
2. Die von der Berufung angeführten Gegenargumente überzeugen nicht.
a) Es mag hier bereits vor der Beschlussfassung festgestanden haben bzw. zumindest absehbar gewesen sein, wie das Beschlussergebnis lauten werde. Das entbindet den Aktionär, der sich auf einen Verstoß gegen die von § 121 Abs. 6 AktG in Bezug genommenen Bestimmungen berufen möchte, jedoch nicht davon, rechtzeitig Widerspruch zu erheben, widrigenfalls die in § 121 Abs. 6 AktG geregelte Folge eintritt. Die Vorschrift stellt nicht darauf ab, ob das Zustandekommen eines bestimmten Beschlussergebnisses schon vor der Stimmabgabe wahrscheinlich oder gar sicher erscheint.
b) Die zu Protokoll gegebene Erklärung des Aktionärs K mag hier zum Ausdruck gebracht haben, der Aktionär akzeptiere die Beschlussfassung aus jedem denkbaren rechtlichen und tatsächlichen Grund nicht. Das ändert jedoch an dem Umstand nichts, dass die Erklärung nicht rechtzeitig erfolgte. Allein darauf kommt es hier entscheidend an.
c) Das Schweigen der Aktionäre mag hier nicht als „Zustimmung zur Aufnahme eines nicht ordentlich angekündigten Beschlussantrages zu werten" gewesen sein, wie die Berufung vorbringt. Um die Wertung eines Schweigens als Zustimmung geht es indes nicht. Die vom Landgericht und vom Senat für richtig gehaltene Folge beruht nicht darauf, sondern allein auf der in § 121 Abs. 6 AktG bestimmten gesetzlichen Folge. Die Bedeutung dieser Vorschrift liegt gerade darin, dass es keiner Deutung eines fehlenden Widerspruchs als eines stillschweigenden Verzichts auf die Einberufungsformalia bedarf, es darauf vielmehr nicht ankommt, weil dem Schweigen kraft § 121 Abs. 6 AktG normative Bedeutung zukommt (vgl. Kubis, in: Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 121 Rn. 98; Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 121 Rn. 34).
III.
Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO. Eine Berufung ist offensichtlich aussichtslos, wenn für jeden Sachkundigen ohne längere Nachprüfung erkennbar ist, dass die vorgebrachten Berufungsgründe das angefochtene Urteil nicht zu Fall bringen können (so BT-Drucks. 17/6406, S. 9). Offensichtlichkeit setzt dabei nicht voraus, dass die Aussichtslosigkeit gewissermaßen auf der Hand liegt; sie kann auch das Ergebnis vorgängiger gründlicher Prüfung sein (vgl. BT-Drucks. 17/6406, S. 9; Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 522 Rn. 36; Meller-Hannich, NJW 2011, 3393, 3394). Entscheidend ist, dass der Senat die durch die Berufung aufgeworfenen Tat- und Rechtsfragen nicht nur einstimmig, sondern auch zweifelsfrei beantworten kann und sich von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung keine neuen Erkenntnisse verspricht (vgl. BT-Drucks. 17/6406, S. 9; Meller-Hannich, NJW 2011, 3393, 3394). Das ist hier der Fall. Dementsprechend rät der Senat dem Kläger zur Rücknahme seiner Berufung, um weitere Kosten zu vermeiden.
IV.
Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO; vgl. zum Begriff etwa Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 522 Rn. 38), eine Entscheidung des Senats ist nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Daran ändert insbesondere der von der Berufung hervorgehobene Umstand nichts, dass die hier in Rede stehende, von der Berufung zum alleinigen Gegenstand ihrer Angriffe gemachte Rechtsfrage bisher obergerichtlich nicht entschieden sein mag. Der Senat hält eine mündliche Verhandlung auch nicht für geboten, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO (vgl. zu dieser Voraussetzung etwa BT-Drucks. 17/6406, S. 9; Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 522 Rn. 40; Meller-Hannich, NJW 2011, 3393, 3395).