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Wirtschaftsrecht
29.04.2010
Wirtschaftsrecht
LG München I: Erfordernis der Lautsprecherübertragung der HV in Präsenzbereich außerhalb des eigentlichen Versammlungssaals

LG München I, Versäumnisurteil vom 26.11.2009, Az. - 5HK O 12554/09

Leitsatz

Wird für die Hauptversammlung ein Präsenzbereich außerhalb des eigentlichen Versammlungssaals festgelegt und erfolgt in diesen keine Übertragung des Ablaufs der Hauptversammlung mittels Lautsprecher, so liegt eine Verletzung des Teilnahmerechts der Aktionäre vor, die zur Anfechtbarkeit aller gefassten Beschlüsse führt.

AktG §§ 243, 118

Sachverhalt

Die Parteien streiten mittels Anfechtungsklage um die Wirksamkeit der von einer Hauptversammlung der Beklagten gefassten Beschlüsse. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats erklärte zum Präsenzbereich der Hauptversammlung den Versammlungssaal sowie das davor liegende Foyer, in dem auch Speisen und Getränke angeboten wurden. Zur Begründung ihrer Klage machen die Kläger u. a. geltend, die Feststellung der Präsenz während der Hauptversammlung sei fehlerhaft erfolgt, weil eine Kontrolle des Teilnehmerverzeichnisses während der Hauptversammlung nicht stattgefunden und es an einem rechts neben dem Podium gelegenen Raum sowie an den Sanitärräumen keine Ein- oder Ausgangskontrollen gegeben habe. Das Unterlassen der Tonübertragung in das Foyer als Teil des Präsenzbereiches führe wegen des damit verbundenen Informationsdefizits zu einer relevanten Verletzung der Teilnahme- und Mitwirkungsrechte der Aktionäre und damit zur Anfechtbarkeit. Die Klagen hatten Erfolg.

Aus den Gründen

            Verletzung der Teilnahmerechte der Aktionäre aufgrund unterlassener Übertragung der Hauptversammlung in das Foyer

A. I. ... II. ... 1. ... 3. Die Anfechtungsklage ist begründet, weil die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten im Sinne von § 243 Abs. 1 AktG gegen das Gesetz verstoßen.

a. Die unterbliebene Übertragung der Hauptversammlung mittels Lautsprecher in das Foyer stellt sich als Verletzung des Teilnahmerechts der Aktionäre dar. Auch wenn das mitgliedschaftliche Recht der Aktionäre auf Teilnahme an der Hauptversammlung gesetzlich nur bei ganz bestimmten Spezialkomplexen geregelt ist, muss dem Aktionär als Ausschluss seines Mitgliedschaftsrechts und aufgrund der Möglichkeit der Ausübung seiner Rechte nur in der Hauptversammlung, wie sich aus § 118 Abs. 1 AktG ergibt, ein Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung zugesprochen werden (vgl. Mülbert in: Großkommentar zum AktG, 4. Aufl., Rdn. 47 zu § 118; Zöllner in: Kölner Kommentar zum AktG, 1. Aufl., Rdn. 20 zu § 118; Kubis in: Münchener Kommentar zum AktG, 2. Aufl., Rdn. 37 zu § 118). Diesem Recht auf Teilnahme ist es immanent, dass der Aktionär in die Lage versetzt sein muss, dem Verlauf der Hauptversammlung zu folgen. Dabei ist diese Möglichkeit durch eine Aktiengesellschaft im gesamten Bereich zu gewährleisten, den der Versammlungsleiter zum Präsenzbereich erklärt hat. Wenn Räume außerhalb des eigentlichen Versammlungssaales zum Präsenzbereich erklärt werden, muss seitens der Gesellschaft sicher gestellt sein, dass in diesem Bereich den Aktionären die Möglichkeit eingeräumt wird, die Hauptversammlung in einer Art und Weise zu verfolgen, die der entspricht, die die im Versammlungssaal anwesenden Aktionäre haben. Dazu gehört es zumindest, der Hauptversammlung akustisch folgen zu können. Nur dann ist nämlich gewährleistet, dass der Aktionär von seinen weiteren Rechten, die ihm während der Hauptversammlung zustehen - insbesondere dem Rede- und Fragerecht sowie dem Recht auf Stimmabgabe - ordnungsgemäß Gebrauch machen kann. Auf Fragen anderer Aktionäre oder die Antworten des Vorstandes kann er nur dann angemessen reagieren und gegebenenfalls Stellung nehmen und Fragen stellen, wenn er den Verlauf der Hauptversammlung im Präsenzbereich akustisch folgen kann. In gleicher Weise ist die Information des Aktionärs über die in der Hauptversammlung getätigten Äußerungen entscheidend dafür, in welcher Art und Weise er von seinem Stimmrecht Gebrauch machen möchte.

Dem kann die Beklagte nicht entgegen halten, der Aktionär verlasse freiwillig den Versammlungssaal und begebe sich dadurch der Möglichkeit, der Hauptversammlung zu folgen. Damit verhält sich die Beklagten nämlich widersprüchlich - wenn sie einen bestimmten Teil des Versammlungsgebäudes zum Präsenzbereich erklärt, kann sie sich nicht danach darauf berufen, der Aktionär müsse den Versammlungssaal schließlich nicht verlassen, wenn er an der Hauptversammlung teilnehmen wolle.

            Kausalität des Verstoßes

b. Der Verstoß ist auch kausal. Dabei kann es nicht auf eine naturwissenschaftliche Kausalität ankommen. Eine ausschließlich auf die Mehrheitsverhältnisse und das Stimmverhalten eines oder wie hier mehrerer Großaktionäre abstellende Betrachtung dem Normzweck von § 243 Abs. 1 AktG nicht gerecht würde. Die Anfechtungsklage ist ein Kontrollrecht, das gerade jedem einzelnen Aktionär zusteht. Dieser Normzweck gebietet dann aber eine einschränkende Kausalitätsbetrachtung, weshalb vorliegend die Anfechtbarkeit bejaht werden muss. Erforderlich ist vielmehr eine am Zweck der verletzten Norm orientierte, wertende Betrachtung in dem Sinne, dass dem Beschluss ein Legitimationsdefizit anhaftet, das die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit rechtfertigt (vgl. BGH NZG 2005, 77, 79 - ThyssenKrupp; Hüffer, AktG, a.a.O., Rdn. 13 zu § 243). Nur diese Betrachtung wird dem Zweck der Anfechtungsklage als einem auf Rechtskontrolle gerichteten Individualrecht gerecht.

Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs ist die Relevanz zu bejahen. Es liegt eine unmittelbare Beeinträchtigung des Teilnahmerechts der Aktionäre vor, wenn sie nicht in der Lage sind, dem Verlauf der Hauptversammlung in einem dem eigentlichen Versammlungssaal gleichgestellten Raum zumindest akustisch zu folgen, weshalb allen in der Hauptversammlung vom 4.6.2009 gefassten Beschlüssen ein Legitimationsdefizit anhaftet ...  


 

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