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Wirtschaftsrecht
08.03.2012
Wirtschaftsrecht
OLG Stuttgart: Entlastung des Porsche-Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2088/2009 für nichtig erklärt

OLG Stuttgart, Urteil vom 29.2.2012 - 20 U 3/11


sachverhalt


A.



Die Klägerin, ein eingetragener Verein, wendet sich als (Vorzugs-)Aktionärin der Beklagten gegen den in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 29.01.2010 unter Tagesordnungspunkt (TOP) 4 gefassten Beschluss über die Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2008/2009.



I.



1.            Zu den gesellschaftsrechtlichen Verhältnissen der Beklagten ist anzumerken:



a)            Die Beklagte ist eine börsennotierte Gesellschaft in der Rechtsform der Europäischen Gesellschaft (SE). Sie ist im Jahr 2007 durch Umwandlung der P AG entstanden, wobei der operative Geschäftsbetrieb auf eine andere Aktiengesellschaft ausgegliedert wurde, die in P AG umfirmierte und bis zum Ende des Geschäftsjahrs 2008/2009 eine einhundertprozentige Tochtergesellschaft der Beklagten war (im Folgenden P AG).



b)            Nach der im Geschäftsjahr 2008/2009 geltenden Fassung der Satzung reichte ihr Geschäftsjahr jeweils vom 01.08. eines Jahres bis zum 31.07. eines Folgejahres. § 2 der Satzung bestimmt den Unternehmensgegenstand der Beklagten wie folgt:



㤠2 Gegenstand des Unternehmens


(1)           Gegenstand des Unternehmens ist die Leitung von Unternehmen und die Verwaltung von Beteiligungen an Unternehmen, die insbesondere in folgenden Geschäftsfeldern tätig sind:


-              Entwicklung, Konstruktion, Herstellung und Vertrieb von Fahrzeugen, Motoren aller Art und anderen technischen Erzeugnissen sowie von Teilen und Baugruppen für die genannten Produkte;


-              Beratung auf dem Gebiet der Entwicklung und Fertigung, insbesondere im Bereich des Fahrzeug- und Motorenbaus;


-              Beratung und Entwicklung der Datenverarbeitung sowie die Erstellung und der Vertrieb von Erzeugnissen der Datenverarbeitung;


-              Vermarktung von Waren unter Nutzung von Markenrechten;


-              Erbringen von Finanzdienstleistungen.


                Die Tätigkeit des Unternehmens umfasst insbesondere den Erwerb, das Halten und Verwalten sowie die Veräußerung von Beteiligungen an solchen Unternehmen, deren Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung sowie deren Unterstützung und Beratung einschließlich der Übernahme von Dienstleistungen für diese Unternehmen.


(2)           Die Gesellschaft kann in den genannten Geschäftsfeldern auch selbst tätig werden. Dies gilt nicht für genehmigungsbedürftige Bankgeschäfte und Finanzdienstleistungen.


(3)           Die Gesellschaft ist berechtigt, alle Geschäfte vorzunehmen und alle Maßnahmen zu ergreifen, die mit dem Zweck des Unternehmens zusammenhängen oder ihm unmittelbar oder mittelbar förderlich erscheinen. Sie kann dazu auch im In- und Ausland Zweigniederlassungen errichten, andere Unternehmen gründen, erwerben oder sich an solchen Unternehmen beteiligen."  



c)            Die Klägerin ist mindestens seit der Einberufung der ordentlichen Hauptversammlung vom 29.01.2010 Aktionärin der Beklagten (Bl. 5).



2.            Die Beklagte hatte 2005 mit dem Aufbau einer Beteiligung an der V (V) begonnen.



a)            Dazu erwarb sie zunächst ein Aktienpaket von 10,26% der V-Stammaktien. Diese Beteiligung erhöhte sie in der Folgezeit sukzessive. Ende März 2007 erreichte sie eine Beteiligung von 30,93% der V-Stammaktien, woraufhin sie ein Pflichtangebot abgab. Nach einer Pressemitteilung der Beklagten vom 03.03.2008 gab der Aufsichtsrat „grünes Licht" für eine Erhöhung der Beteiligung auf über 50% der stimmberechtigten Aktien (B10). Nach weiteren Erwerben erreichte die Beklagte am 16.09.2008 ausweislich ihrer Pressemitteilung vom 16.09.2008 (K72) eine Beteiligung von 35,14%.



b)            Neben dem unmittelbaren Erwerb von V-Stammaktien schloss die Beklagte Derivatgeschäfte auf V-Aktien ab.



c)            Nachdem der Kurs der V-Stammaktie Mitte Oktober 2008 zunächst von über 200 Euro auf gut 400 Euro gestiegen, anschließend aber wieder unter 200 Euro gefallen war (vgl. zur Kursentwicklung die Grafiken und Tabellen im Schriftsatz der Klägerin vom 17.09.2010, S. 50 bis 52, Bl. 316 bis 318), gab die Beklagte in einer Pressemitteilung am 26.10.2008 (K 25) Folgendes bekannt:



„Aufgrund der dramatischen Verwerfungen auf den Finanzmärkten hat sich die P SE, S., am Wochenende entschlossen, ihre Aktien und Kurssicherungspositionen im Zusammenhang mit der Übernahme der V, W., offen zu legen. Demnach hält die P SE am Ende der vergangenen Woche 42,6 Prozent der V Stammaktien sowie zusätzlich 31,5 Prozent cash gesettelte Optionen auf V Stammaktien zur Kurssicherung, was in der Summe einen Betrag von 74,1 Prozent ergibt. Bei Auflösung dieser cash gesettelten Optionen erhält P die Differenz zwischen dem dann aktuellen V Kurs und dem darunter liegenden Absicherungskurs (dem sogenannten "Strike") ausbezahlt. Die V Papiere werden zum jeweils aktuellen Kurs gekauft.


Zielsetzung ist, sofern die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen, im Jahr 2009 auf 75 Prozent aufzustocken und damit den Weg für einen Beherrschungsvertrag frei zu machen. An dem Fahrplan, noch im November/Dezember 2008 die 50 Prozent Hürde bei V zu nehmen, wird unverändert festgehalten.


P hat sich zu dieser Bekanntgabe entschlossen, nachdem offenkundig geworden ist, dass deutlich mehr Shortpositionen im Markt sind als erwartet. Die Offenlegung soll deshalb den sogenannten Shortsellern - also Finanzinstituten, die auf einen fallenden V Kurs gewettet haben oder noch wetten - Gelegenheit geben, ihre Positionen in Ruhe und ohne größeres Risiko aufzulösen.


Hinzu kommt, dass nach Presseberichten vom Wochenende die EU Kommission schon in überschaubarer Zukunft die von der Bundesregierung geplante Neuauflage des V Gesetzes als europarechtswidrig einstufen wird. Es ist zu erwarten, dass in der Folge eine erneute Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht wird.


Auch die Tatsache, dass sich die P Eigentümerfamilien P und FP geschlossen und uneingeschränkt hinter das Vorgehen der P SE Vorstände W und H stellen, bestärkte den jetzt erfolgten Schritt zur Offenlegung. Wie berichtet, haben sich vergangene Woche die Familien eindeutig für eine Beherrschung des V Konzerns durch P ausgesprochen."



d)            Nach dieser Pressemitteilung stieg der Kurs der V-Stammaktie weiter stark an und erreichte am 28.10.2008 vorübergehend gut 1.000 Euro. In einer weiteren Pressemitteilung erklärte die Beklagte am 29.10.2008 unter anderem (B 45):



„Um weitere Kursturbulenzen und daraus resultierende Folgen für die beteiligten Akteure zu vermeiden, beabsichtigt die P SE - je nach Marktlage - Kurssicherungsgeschäfte in Höhe von bis zu fünf Prozent der V-Stammaktien aufzulösen. Das kann dazu führen, dass sich die Liquidität der V-Stammaktie erhöht.


Die P SE weist jegliche Verantwortung für diese Marktverwerfungen und die daraus resultierenden Risiken zurück, in die sich die Leerverkäufer selbst gebracht haben. P stellt klar, dass die kapitalmarktrechtlichen Vorschriften zu jeder Zeit beachtet wurden. P war während dieser Kursbewegungen nicht im Markt aktiv." 



Wie angekündigt, löste die Beklagte daraufhin Optionen auf; das Ergebnis dieser Auflösung ist streitig.



e)            Am 05.01.2009 erwarb die Beklagte ein weiteres Aktienpaket von ca. 8% der V-Stammaktien und baute so die V-Beteiligung auf 50,76% der Stammaktien aus (B11).



3.            Am 30.01.2009 fand eine ordentliche Hauptversammlung der Beklagten statt, welcher der Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 2007/2008 (vgl. B21) vorlag.



a)            Der Geschäftsbericht wies ein Konzernergebnis vor Steuern von +8,569 Mrd. Euro aus, das überwiegend auf Ergebnissen aus Derivatgeschäften beruhte. Das operative Ergebnis belief sich demgegenüber auf circa +1 Mrd. Euro. Des Weiteren gab der Geschäftsbericht auf S. 194 (B21) die vom Vorstand für das Geschäftsjahr 2007/2008 insgesamt bezogene Vergütung mit 143,5 Mio. Euro gegenüber 112,7 Mio. Euro im Vorjahr an, davon 139,5 Mio. - gegenüber 107,3 Mio. Euro im Vorjahr - als gewinnbezogene variable Vergütung.



b)            Gegen die in der Hauptversammlung am 30.01.2009 gefassten Beschlüsse über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, über die Neuwahl des Aufsichtsrats und die Vergütung des ersten Aufsichtsrats der Beklagten als SE hat unter anderem die Klägerin Anfechtungsklage erhoben, wobei sie sich im Schwerpunkt auf Pflichtverletzungen in Bezug auf die Vergütung des Vorstands bzw. die Derivatgeschäfte sowie Auskunftspflichtverletzungen berief. Nach Abweisung der Anfechtungsklage durch das Landgericht hat der Senat durch Urteil vom 17.11.2010 die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen (OLG Stuttgart, AG 2011, 93).



4.            Im Zeitraum zwischen der Hauptversammlung am 30.01.2009 und der streitgegenständlichen Hauptversammlung am 29.01.2010 ereignete sich folgendes:



a)            Die Beklagte verhandelte bis Ende März 2009 mit einem Bankenkonsortium über die Refinanzierung eines Kredits über 10 Mrd. Euro („syndizierter Kredit"), der zu dieser Zeit fällig wurde. Der Kredit war ursprünglich wegen des Pflichtangebots vom März 2007 mit einer Kreditlinie in Höhe von 35 Mrd. Euro vereinbart worden, später indes unter Erweiterung des Verwendungszwecks auf allgemeine geschäftliche Zwecke auf 10 Mrd. Euro reduziert worden. Am 24.03.2009 vereinbarte die Beklagte mit einem Konsortium von 15 Banken eine Refinanzierung des Kredits über 10 Mrd. Euro (B29), der mit V-Aktien besichert wurde. Zu einer zunächst geplanten Aufstockung um weitere 2,5 Mrd. Euro auf 12,5 Mrd. Euro kam es jedoch nicht; stattdessen wurde der Kredit lediglich durch den Beitritt eines weiteren Vertragspartners zum Konsortium um 750 Mio. Euro erhöht.



b)            Am 11.05.2009 äußerte sich das Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten - zugleich Vorsitzender des Aufsichtsrats von V -, FP, am Rand einer Veranstaltung von V auf Sardinien - zwar nicht in einer förmlichen Pressekonferenz, aber in einem Gespräch mit Journalisten - über Vorgänge bei der Beklagten und deren Lage (im Folgenden „Sardinien-Pressekonferenz" oder „Sardinien-Äußerungen"). Darüber wurde in der Presse berichtet.



c)            Am 22.07.2009 und 23.07.2009 tagte der Aufsichtsrat der Beklagten. Am 23.07.2009 wurde die Demission der Vorstandsmitglieder W und H unter Aufhebung ihrer Bestellung sowie ihrer Anstellungsverträge vereinbart. W und H erhielten Abfindungen in Millionenhöhe; dies wurde durch Pressemitteilung vom 23.07.2009 (K8) veröffentlicht.



d)            Durch ad-hoc-Mitteilung vom 29.07.2009 gab die Beklagte bekannt, dass im Konzernabschluss für das Geschäftsjahr 2008/2009 mit einem Ergebnis vor Steuern in einer Größenordnung von bis zu -5 Mrd. Euro zu rechnen sei (K9, K103).



e)            Seit August 2009 ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart insbesondere gegen W und H wegen des Verdachts der Verletzung aktienrechtlicher Publizitätspflichten und der Marktmanipulation (K12). Auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) führte entsprechende Ermittlungen durch. Seit Januar 2010 wird berichtet, dass Anleger in den USA Klagen gegen die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz wegen der Manipulation des Kurses der V-Stammaktie in Milliardenhöhe erhoben haben.



f)             Mitte August 2009 stimmte der Aufsichtsrat der Beklagten einer Vereinbarung zwischen der Beklagten und V zu („Grundlagenvereinbarung"). Diese Vereinbarung sieht in mehreren Schritten die Schaffung eines integrierten Automobilkonzerns vor, unter anderem durch eine 42%ige Beteiligung von V an der P AG im Wege einer Barkapitalerhöhung, Barkapitalerhöhungen bei V und der Beklagten sowie eine für 2011 geplante Verschmelzung der Beklagten auf V. Bestandteil der Vereinbarung ist auch die Bestätigung einer Satzungsänderung bei V, wonach anstelle der gesetzlichen Mehrheit von drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals eine solche von 80% erforderlich sei. Wegen weiterer Einzelheiten der Grundlagenvereinbarung wird auf die Pressemittlung der Beklagten vom 13.08.2009 (K77) sowie Seite 17 ff. des Geschäftsberichts 2008/2009 (B21) Bezug genommen. Zur Umsetzung der Grundlagenvereinbarung wurden ausweislich von Pressemitteilungen im November 2009 weitere Verträge geschlossen (K78). Am 07.12.2009 beteiligte sich V zum Preis von 3,9 Mrd. Euro mit einem Anteil von 49,9% an einer neuen Zwischenholding, deren einhundertprozentige Tochtergesellschaft das operative Geschäfte wieder unter der Firma P AG betreibt; 50,1% der Anteile der Zwischenholding hält die Beklagte (K14, K51, K17 S. 17).



g)            Ebenfalls Mitte August 2009 erwarb das Emirat Q. über die Q von den Stammaktionären der Beklagten 10% der Stammaktien und von der Beklagten einen Großteil der von dieser gehaltenen Derivate; die Q beteiligte sich ausweislich des Geschäftsberichts der Beklagten 2008/2009 überdies an dem der Beklagten gewährten Konsortialkredit mit 265 Mio. Euro (B17 S. 226 f.).



h)            Im November 2009 wurden neue Vereinbarungen zur Finanzierung der Beklagten und der operativ tätigen Gesellschaft mittels getrennter Kredite geschlossen (Bl. 135).



5.            Der angefochtene Beschluss wurde in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 29.01.2010 gefasst, zu der im Dezember 2009 eingeladen worden war (K1, Bl. 5).



a)            Der Hauptversammlung lag der Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 2008/2009 vor, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (B17).



aa)          Dieser wies zum 31.07.2009 im Konzernabschluss - in dem erstmals der V-Konzern voll konsolidiert wurde - auf S. 142 ein Ergebnis vor Steuern in Höhe von    -4,405 Mio. Euro aus.



bb)          Auf S. 68 f. enthält der Geschäftsbericht 2008/2009 im Rahmen der Wiedergabe des Konzernlageberichts folgenden Hinweis:



„Die Liquiditätssituation der P SE war zum Bilanzstichtag kritisch. Der Höhe des Finanzmit­telfonds des P Konzerns ohne den Teilkonzern V und ohne liquide Mittel, die einer Verfügungsbeschränkung unterliegen, belief sich zum 31. Juli 2009 auf rund eine Milli­arde Euro. Im Geschäftsjahr 2008/09 war es der P SE nicht gelungen, den syndizierten Kredit auf die ursprünglich anvisierte Summe von 12,5 Milliarden Euro aufzustocken. In der zweiten Hälfte des Berichtsjahres wurde eine Vereinbarung getroffen, im August 2009 einen Teil der Hybridanleihe, die ein Nominalvolumen von insgesamt 1,0 Milliarden Euro aufwies, zu­rückzuführen. Der Mittelabfluss belief sich auf 0,5 Milliarden Euro.


Die Abgabe eines wesentlichen Teils der auf Barausgleich gerichteten Optionen auf Aktien der V an die Q kurz nach dem Bilanzstichtag führte zu einer Aufhe­bung der mit den verkauften Optionen in Zu­sammenhang stehenden Verfügungsbeschrän­kungen in Bezug auf bestehende Tages- und Termingeldeinlagen. Die Veräußerung führte insgesamt zu einer Erhöhung der freien Liquidi­tät um mehr als eine Milliarde Euro. Im Gegen­zug beteiligte sich die Q auf Verlangen der P SE mit 265 Millionen Euro an dem zu diesem Zeitpunkt bestehenden, syndizierten Kredit.


Die P SE geht davon aus, dass der Ab­schluss der GLV insbesondere mit V und den Stammaktionären der P SE und die Umsetzung der einzelnen Schritte zur Zu­sammenführung der Unternehmen P SE und V als notwendige Vorausset­zung einer deutlich verbesserten Liquiditätssitu­ation zeitnah erfolgen. Auch der erfolgreiche Abschluss der laufenden Gespräche mit den Kredit gebenden Banken setzt das Zustande­kommen der GLV voraus. Bei diesen Verhandlun­gen geht es der P SE neben der Anpas­sung an die in der GLV vorgesehenen Strukturen auch um eine Verbesserung ihrer Kreditkonditio­nen. Dies betrifft insbesondere die Verlängerung der Laufzeit sowie die Reduzierung der Kredit­kosten.


Sollten die Schritte zur Zusammenführung der beiden Unternehmen und damit auch die Ent­schuldung der P SE nicht wie geplant erfolgen, könnte sich bis Ende des Jahres 2009 erneut eine kritische Liquiditätssituation bei der P SE ergeben, die den Fortbestand des Unternehmens und des Konzerns gefährden könnte. Der Vorstand der P SE ist jedoch aufgrund des derzeitigen Stands der Verhand­lungen davon überzeugt, dass sich dieses Risiko nicht verwirklichen wird."



cc)          Auf S. 243 gibt der Geschäftsbericht 2008/2009 den Bestätigungsvermerk des Konzernabschlussprüfers wieder. Dieser gelangt zu der Beurteilung, dass der Konzernabschluss den anzuwendenden Regeln und Vorschriften nach IFRS und HGB entspreche und ein der tatsächlichen Lage entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns vermittele. Der Konzernlagebericht stimme damit überein, vermittle insgesamt ein zutreffendes Bild von der Lage des Konzerns und stelle die Chancen und Risiken der zukünftigen Entwicklung dar. Im Folgenden ist dort vermerkt:



„Ohne diese Beurteilung einzuschränken, weisen wir auf die Ausführungen über die Chancen und Risiken der künftigen Entwicklung im Konzernlagebericht hin. Dort heißt es:


Sollten die Schritte zur Zusammenführung der beiden Unternehmen und damit auch die Ent­schuldung der P SE nicht wie geplant erfolgen, könnte sich bis Ende des Jahres 2009 erneut eine kritische Liquiditätssituation bei der P SE ergeben, die den Fortbestand des Unternehmens und des Konzerns gefährden könnte."



b)            Im Rahmen der Hauptversammlung wurden mehrere Fragen von Seiten der Aktionäre gestellt. Wegen des Wortlauts der hier interessierenden Fragen und der darauf erteilten Auskünfte wird auf die Darstellung der Fragen 1) bis 20) im angefochtenen Urteil (Bl. 668, 672, 675, 677, 679 f., 682 ff., 686, 688, 691, 693 ff., 699 f. 702, 704, 706) verwiesen. Dabei stellte der Vertreter der Klägerin selbst die Fragen 1) bis 13) und 18). Die vom Aktionär B gestellten Fragen 14) bis 17) sowie 19) und 20) machte sich die Klägerin zu eigen (Bl. 149, B50, B51).



c)            In der Einladung (K1) wurde der Hauptversammlung unter Tagesordnungspunkt (TOP) 4 von der Verwaltung vorgeschlagen, den im Geschäftsjahr 2008/2009 amtierenden Mitgliedern des Aufsichtsrats Entlastung für diesen Zeitraum zu erteilen. Zu TOP3 wurde von der Verwaltung vorgeschlagen, die Beschlussfassung über die Entlastung der ehemaligen Vorstandsmitglieder W und H (H) für das Geschäftsjahr 2008/2009 wegen schwebender Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu vertagen und zunächst nur den übrigen in diesem Geschäftsjahr amtierenden Mitgliedern des Vorstands Entlastung zu erteilen. Trotz Forderungen von Aktionären, auch die Entlastung des Aufsichtsrats zu vertagen, wurden beide Beschlüsse entsprechend dem Vorschlag der Verwaltung mit den Stimmen der jeweils stimmberechtigten Stammaktionäre gefasst (K2, Bl. 6). Der Aktionärsvertreter Wa hatte zuvor wegen der Äußerungen von FP in der Hauptversammlung am 29.01.2010 eine Einzelabstimmung über die Entlastung des Aufsichtsrats verlangt (Bl. 891, 897). Der Vertreter der Klägerin hat dem Beschluss über die Entlastung des Aufsichtsrats zur notariellen Niederschrift widersprochen (Bl. 6).



6.            Nach Erhebung der diesem Verfahren zugrunde liegenden Klage kam es zu weiteten Ereignissen, auf welche die Klägerin besonders verwiesen hat.



a)            Am 24.09.2010 veröffentlichte die Beklagte im elektronischen Bundesanzeiger folgende Mitteilung (K114):



„Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat festgestellt, dass der Konzernzwischenlagebericht für das Geschäftsjahr 2008/2009 zum verkürzten Konzernabschluss zum Abschlussstichtag 31. Januar 2009 der P SE, S., gemäß § 37q Abs. 1 WpHG fehlerhaft ist:


Die P SE hat im Konzernzwischenlagebericht für das Geschäftsjahr 2008/2009 nicht über das Liquiditätsrisiko berichtet, das aus der Notwendigkeit der kurzfristigen Liquiditätssicherung resultierte. Am Abschlussstichtag konkretisiert sich dieses Liquiditätsrisiko in der Notwendigkeit der Verlängerung einer ausgeschöpften und im März 2009 auslaufenden Kreditlinie in Höhe von 10 Mrd. Euro.


Die mangelnde Darstellung dieses Liquiditätsrisikos verstößt gegen §§ 37y, 37w Abs. 4 Satz 1 WpHG, wonach im Konzernzwischenlagebericht im Halbjahresfinanzbericht die wesentlichen Risiken für die dem Berichtszeitraum folgenden 6 Monate des Geschäftsjahres zu beschreiben sind."



b)            Am 24.02.2011 veröffentlichte die Staatsanwaltschaft Stuttgart folgende Pressemitteilung (K116):



„'Zwischenbilanz' im P-Verfahren


...


Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat das Verfahren in einem Teilbereich gegen die ehemaligen Verantwortlichen der P SE/ P AG (im Folgenden: P) sowie der M Bank wegen des Verdachts der handelsgestützten Marktmanipulation gemäß §§ 38 Abs. 2, 39 Abs. 1 Nr. 1, 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG i.V.m. §§ 25 Abs. 2, 53 StGB nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Nach Sichtung und Auswertung eines wesentlichen Teils der im Rahmen von Durchsuchungen erhobenen äußerst umfangreichen Asservate durch die Ermittlungsgruppe des Landeskriminalamts Baden-Württemberg sowie der Einholung eines Sachverständigengutachtens konnte der Tatverdacht, dass die Beschuldigten in gemeinschaftlichem Zusammenwirken durch börslichen Handel mit Aktien der V Geschäfte vorgenommen haben, die falsche oder irreführende Signale für das Angebot, die Nachfrage oder den Börsen- oder Marktpreis von Finanzinstrumenten gegeben oder ein künstliches Preisniveau herbeigeführt haben, nicht mit hinreichender Sicherheit erhärtet werden. Aus diesem Grunde wurde auch der Verdacht des Cornerings gemäß §§ 38 Abs. 2, 39 Abs. 1 Nr. 2, 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG i.V.m. § 25 Abs. 2 StGB, soweit dieser in Zusammenhang mit dem Handelsverhalten (nicht Informationsverhalten) steht, eingestellt. Diese Teileinstellungen führen für die Verantwortlichen der M Bank insgesamt zu einer Verfahrensbeendigung.


Die gegen die ehemaligen Vorstände von P gerichteten weiterhin bestehenden zentralen Vorwürfe der informationsgestützten Marktmanipulation gemäß §§ 38 Abs. 2, 39 Abs. 2 Nr. 11, 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG i.V.m. §§ 25 Abs. 2, 53 StGB umfassen Erklärungen der Verantwortlichen von P gegenüber der Öffentlichkeit bzw. das zeitweise Unterlassen notwendiger Erklärungen in Bezug auf den Beteiligungserwerb an der V in den Jahren 2007-2009. Von einem das Frühjahr des Jahres 2008 betreffenden und eingestellten Teilaspekt abgesehen, haben sich diese Vorwürfe verfestigt und haben weiterhin andauernde Ermittlungen einschließlich der Einholung weiterer Sachverständigengutachten zur Folge. Entsprechendes gilt für den gegen die Verantwortlichen von P gerichteten Vorwurf des Cornerings gemäß §§ 38 Abs. 2, 39 Abs. 1 Nr. 2, 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG i.V.m. § 25 Abs. 2 StGB, soweit er in Zusammenhang mit dem Informationsverhalten (nicht Handelsverhalten) von P steht.


Nach Eingang eines zentralen Sachverständigengutachtens wurde das Verfahren gegen die ehemaligen Vorstände von P auf den Verdacht der Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB erweitert. Es besteht der Verdacht, dass die ehemaligen Vorstände im Zuge des Übernahmeversuchs der V existenzgefährdende Risiken für das Unternehmen durch Abschluss von Aktienkurssicherungsgeschäften eingegangen waren.


Die intensive Auswertung der Asservate führte außerdem zur Einleitung eines Verfahrens wegen des Verdachts des Kreditbetrugs gemäß §§ 265b Abs. 1 Nr. 1b StGB gegen drei Verantwortliche aus dem Finanzbereich von P. Diesem Vorwurf liegt der Verdacht zugrunde, die Beschuldigten hätten im Rahmen der Verhandlungen zur Refinanzierung der von der P SE abgeschlossenen Kredite unrichtige oder unvollständige Angaben gegenüber einem der beteiligten Kreditinstitute gemacht.


Die weiteren Ermittlungen stellen sich als äußerst aufwendig und zeitintensiv dar und können jedenfalls nicht vor Ende diesen Jahres abgeschlossen werden."



7.            In einem im ersten Rechtszug vor dem Landgericht Stuttgart unter 32 O 33/10 KfH und im Beschwerdeverfahren vor dem Senat unter 20 W 5/11 geführten Auskunftserzwingungsverfahren macht die hiesige Klägerin geltend, die Fragen 1) bis 20) seien in der Hauptversammlung unzureichend beantwortet worden.



II.



Mit ihrer am Montag, 01.03.2010, eingegangenen Klage (Bl. 1/82) wendet sich die Klägerin gegen den in der Hauptversammlung am 29.01.2010 gefassten Beschluss zur Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2008/2009.



Ihre Klage stützt sie zum einen auf die Behauptung, den Aufsichtsratsmitgliedern seien im Geschäftsjahr 2008/2009 schwere Pflichtverletzungen anzulasten und zum anderen auf die Behauptung, dass Informationen, die wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung der Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre gewesen seien, unrichtig bzw. unvollständig erteilt oder verweigert worden seien (Bl. 3).



Die Klägerin hat im ersten Rechtszug beantragt (Bl. 2, 505),



den unter TOP4 gefasste Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung vom 29.01.2010 über die Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2008/2009 für unwirksam zu erklären;



hilfsweise festzustellen, dass der unter TOP4 gefasste Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung vom 29.01.2010 über die Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2008/2009 nichtig sei.



Die Beklagte hat im ersten Rechtszug beantragt (Bl. 92, 505),



die Klage abzuweisen.



Der Entlastungsbeschluss sei fehlerfrei gefasst worden.



Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils in der durch den Beschluss vom 08.07.2011 berichtigten Fassung verwiesen.



In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 18.02.2011 rügte die Beklagte, die Klägerin habe Umstände zur Liquiditätslage der Beklagten im Herbst 2008 und im Juli 2009 erst in der Replik vorgetragen (Bl. 505, 541 ff.). Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug (Bl. 506) beantragte die Klägerin unter Hinweis auf die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 24.02.2011 deren Wiedereröffnung und die Beiziehung der Unterlagen, die dieser Presseerklärung zugrunde liegen (Bl. 508 ff.).



III.



Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 17.05.2011 (Bl. 567 ff.) abgewiesen. Durch Beschluss vom 08.07.2011 hat das Landgericht den Tatbestand seines Urteils auf Antrag der Klägerin (Bl. 711 ff.) bzw. der Beklagten (Bl. 716 ff.) auf den Seiten 14, 15, 24, 30, 33, 41 und 97 berichtigt (Bl. 730 f.). Die weitergehenden Tatbestandsberichtigungsanträge der Klägerin wurden zurückgewiesen (Bl. 731).



Zur Begründung führte das Landgericht unter anderem aus:



1.            Der Beschluss sei nicht wegen der Verletzung von Auskunftspflichten anfechtbar. Die Beklagte habe die oben (I. 5. b) aa) bis tt)) bezeichneten Fragen ausreichend beantwortet oder sich zu Recht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht bzw. den Geheimnisschutz für Inhalte von Aufsichtsratssitzungen berufen (Bl. 668 ff.).



2.            Auch wegen inhaltlicher Mängel greife die Anfechtung im Ergebnis nicht durch. Die Klägerin habe nicht dargetan, dass die Entlastung wegen eines eindeutigen und schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstoßes, welcher der Hauptversammlung erkennbar war, nicht hätte erteilt werden dürfen (Bl. 613 ff.). Dies gelte auch für den Vortrag der Klägerin zu Äußerungen des Aufsichtsratsmitglieds FP im Rahmen der „Sardinien-Pressekonferenz", weil die Klägerin nicht vorgetragen habe, dass der Hauptversammlung gerade die konkreten Äußerungen, auf die sie sich bezieht, bekannt bzw. dass diese Gegenstand der Generaldebatte gewesen seien (Bl. 663).



Wegen der Einzelheiten der Begründung der Entscheidung wird auf das Urteil in der Fassung des Tatbestandberichtigungsbeschlusses vom 08.07.2011 Bezug genommen.




IV.



Die Klägerin hat gegen das ihr am 20.05.2011 zugestellte (Bl. 709) Urteil am 27.05.2011 Berufung eingelegt (Bl. 737 f.) und sie am 18.08.2011 begründet (Bl. 748 ff.), nachdem ihr die Berufungsbegründungsfrist bis zum 20.08.2011 verlängert worden war (Bl. 744).



1.            Zur Begründung ihrer Berufung trägt sie im Wesentlichen vor:



a)            Die Anfechtung des Entlastungsbeschlusses sei zum einen wegen der dargelegten Sorgfaltspflichtverletzungen des Aufsichtsrats begründet.



aa)          Das Landgericht habe schon die Anfechtungsvoraussetzungen falsch bestimmt.



(1)           Es habe der Entlastungserteilung zu Unrecht eine nur geringe Bedeutung zugemessen (Bl. 762). Dabei habe es verkannt, dass auch der Ermessensausübung der Hauptversammlung im Rahmen der Entscheidung über die Entlastung Grenzen gesetzt seien (Bl. 763); die Grenzen der Ermessensausübung seien im Zivilrecht etwa in § 315 Abs. 1 BGB geregelt. Der Pflicht zur „Berücksichtigung der Interessen beider Parteien" im Sinne von § 315 BGB entspreche dabei die aktienrechtliche Treuepflicht, das „in vergleichbaren Fällen Übliche" dem gesetzes- und satzungstreuen Verhalten im Sinne von § 243 Abs. 1 AktG (Bl. 764).



(2)           Außerdem habe das Landgericht den Rechtsstreit zu Unrecht ausschließlich aus der ex-ante-Perspektive zum Zeitpunkt der Entscheidung zum Abschluss der Derivatgeschäfte beurteilt (Bl. 809). Damit habe es die Vorgaben des Bundesgerichtshofs zur rückschauenden Beurteilung schwerer Versäumnisse der Geschäftsführung missachtet (Bl. 810 f.); in diesem Zusammenhang rügt die Klägerin, die Beklagte sei nicht bereit gewesen, Auskunft über den Umfang der Derivatpositionen zu verschiedenen Stichtagen zu geben, darunter zum 31.07.2008 und zum 31.07.2009, so dass die Aktionäre über den Erfolg der Geschäftsführung im Geschäftsjahr 2008/2009 nur anhand des negativen Vorsteuerergebnisses von 4,405 Mrd. Euro hätten befinden können (Bl. 811).



(3)           Zu Unrecht habe das Landgericht einseitig und unter Verstoß gegen die prozessualen Darlegungs- und Beweislasten von der Klägerin den Positivbeweis eines strafbewehrten Satzungs- bzw. Gesetzesverstoßes der Organe der Beklagten verlangt, obwohl die Beklagte schon den Sachvortrag der Klägerin gar nicht erheblich bestritten habe (Bl. 765, 783 ff., 832 ff.). Die Klägerin habe ihrer Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf den begründeten Verdacht schwerer Gesetzes- oder Satzungsverstöße der Organmitglieder der Beklagten durch die Auswertung der Verlautbarungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart, der Beklagten selbst und der einschlägigen Presseberichterstattung genügt, da sie - anders als die Beklagte - zu weiteren Informationen keinen Zugang habe (Bl. 836 f.).



bb)          Zu den dem Aufsichtsrat vorgeworfenen Pflichtverletzungen trägt die Klägerin vor:



(1)           Mit dem Aufbau und Halten von Derivatpositionen in gigantischem Ausmaß hätten die Organe der Beklagten gegen die Beschränkungen der Satzung zum Unternehmensgegenstand verstoßen (Bl. 768). Zu Unrecht habe das Landgericht die Derivatgeschäfte als zulässige Hilfsgeschäfte in Bezug auf die „Leitung und Beteiligung an Unternehmen der Automobilbranche" angesehen (Bl. 769).



(2)           Im Übrigen fielen den Organen der Beklagten - auch dem Aufsichtsrat - im Zusammenhang mit dem Eingehen von Risiken beim Aufbau der Beteiligung an V eindeutige und schwerwiegende Verfehlungen zur Last; insbesondere hätten sie Derivatgeschäfte in einem Umfang getätigt, der zu einer Existenzgefährdung der Gesellschaft geführt habe, und damit strafbewehrte Handlungen begangen, namentlich ihre Vermögensbetreuungspflicht verletzt sowie Marktmanipulationen und Verstöße gegen kapitalmarktrechtliche Publizitätsvorschriften begangen (Bl. 781).



(3)           Die Organmitglieder der Beklagten hätten ihre Pflichten jedenfalls durch den Erwerb weiterer rund 8% der V-Stammaktien im Januar 2009 verletzt (Bl. 841 ff.). Der Kaufpreis sei überhöht gewesen. Jedenfalls liege mangels fristenkongruenter Finanzierung eine Sorgfaltspflichtverletzung vor (Bl. 844 ff.). Zudem hätten dem Erwerb der Aktien keine entsprechenden Chancen gegenüber gestanden (Bl. 849 f.).



(4)           Der Aufsichtsrat habe des Weiteren im Zusammenhang mit der Vergütung der Vorstandsmitglieder eindeutig gesetzeswidrig gehandelt (Bl. 850). Er habe es pflichtwidrig unterlassen, die Auszahlung der unangemessenen bzw. sittenwidrigen Vergütungen und Abfindungen an W und H zu verhindern bzw. bereits ausgezahlte Beträge zurückzufordern (Bl. 851). Der Wert der Vergütungen habe die Leistung von W und H um ein Vielfaches überstiegen; die Vergütungsregelungen seien deshalb sittenwidrig und damit nichtig gewesen (Bl. 853, 857). Jedenfalls hätten W und H bei ihrem Ausscheiden am 23.07.2009 mit 50 Mio. Euro bzw. 21 Mio. Euro überhöhte Abfindungen erhalten (Bl. 861). Sowohl die Auszahlung der variablen Vergütung des W als auch die Festsetzung seiner Abfindung seien im Übrigen mangels Zustimmung der Hauptversammlung gesetzeswidrig gewesen, weil insoweit ein Teilgewinnabführungsvertrag im Sinne von § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG anzunehmen sei (Bl. 874 ff.).



(5)           Schließlich sei der Entlastungsbeschluss wegen des geschäftsschädigenden Verhaltens und des Geheimnisverrats des Aufsichtsratsmitglieds FP anlässlich der „Sardinien-Pressekonferenz" anfechtbar (Bl. 878).



(5.1)       Die abweichende Entscheidung des Landgerichts sei verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Zum einen habe das Landgericht seine Entscheidung in diesem Punkt auf Sachvortrag gestützt, den die Beklagte erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug gehalten habe (Bl. 879 ff.). Die Beklagte habe erst in ihrem Schriftsatz vom 14.03.2011 behauptet, dass der Hauptversammlung am 29.01.2010 die Presseberichte zu den Äußerungen von FP nicht hinreichend bekannt gewesen seien (Bl. 881). Zum anderen habe das Landgericht seine Entscheidung auf einen Aspekt gestützt, der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zwischen den Parteien in dieser Form nicht thematisiert worden sei und zu dem sich die Klägerin nicht habe äußern können, weshalb die Entscheidung für sie überraschend ergangen sei (Bl. 887 ff.). Die Frage, ob die Hauptversammlung am 29.01.2010 von den Äußerungen des FP Kenntnis hatte, sei nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 18.02.2011 gewesen (Bl. 885).



(5.2)       FP habe mit seinen Äußerungen seine Verschwiegenheitspflicht aus Artikel 49 SE-VO verletzt und sich geschäftsschädigend verhalten.



                Hinsichtlich der gerügten Äußerungen verwies die Klägerin auf ihre Klagschrift und die dortigen Anlagen (Bl. 892, 22, 44 ff.; K43, K21, K45, K46 und K47). Die wesentlichen Passagen der Presseberichte habe sie sich durch deren wörtliche Wiedergabe zu Eigen gemacht (Bl. 892). Die Beklagte habe die behaupteten Äußerungen von FP - wie das Landgericht insoweit zutreffend festgestellt habe - nicht wirksam mit Nichtwissen bestreiten können (Bl. 893 f.).



                Durch diese Äußerungen habe FP seine Verschwiegenheitspflicht verletzt mit der Folge, dass er nicht hätte entlastet werden dürfen. Mitglieder des Aufsichtsrats seien nicht berechtigt, ihrem Unmut über den Vorstand über die Medien Luft zu machen (Bl. 895). Unerheblich sei im Rahmen der hier anzuwendenden Vorschrift des Artikels 49 SE-VO - anders als nach §§ 93 Abs. 1 Satz 3, 116 AktG - ob die Informationen bereits bekannt seien (Bl. 986). Die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht sei nach § 404 AktG strafbewehrt und damit schwerwiegend (Bl. 895, 898). Im Übrigen habe das Landgericht zutreffend festgestellt, dass die Äußerungen von FP geeignet gewesen seien, den Interessen der Beklagten zu schaden; unerheblich sei dagegen, ob ihr tatsächlich ein Schaden entstanden sei (Bl. 896). Unabhängig davon belege die Entwicklung des Aktienkurses der Beklagten, dass der Gesellschaft tatsächlich ein Schaden entstanden sei (Bl. 986, 45, K44); hinzu komme die Beschädigung des Rufs der Gesellschaft und die Schmälerung des Unternehmenswerts in Bezug auf die beabsichtigte Verschmelzung mit V (Bl. 896).



                Zu Unrecht habe das Landgericht die Anfechtbarkeit der erteilten Entlastung unter Berufung auf die fehlende Kenntnis der Hauptversammlung von konkreten Presseberichten über die Äußerungen von FP verneint (Bl. 897). Jedenfalls seien die Äußerungen von FP - entgegen den unzutreffenden Feststellungen des Landgerichts - ausweislich der von der Beklagten als Anlage B51 vorgelegten Kopie der zur notariellen Niederschrift gereichten Fragen der Klägerin in der Generaldebatte am 29.01.2010 thematisiert worden (Bl. 882 f.). Im Übrigen habe der Aktionär S in einem Redebeitrag die Äußerungen von FP in der Hauptversammlung wiedergegeben (Bl. 889). Zudem habe der Aktionärsvertreter Wa die Äußerungen von FP in der Hauptversammlung angesprochen (Bl. 890). 



c)            Die Anfechtung des Entlastungsbeschlusses sei außerdem begründet, weil die Beklagte die mit den Fragen 1) bis 20) begehrten Auskünfte nicht, nicht vollständig oder verschleiernd erteilt habe (Bl. 899 f.).



aa)          Das Landgericht verkenne, dass nach den eigenen Ausführungen der Beklagten im Geschäftsbericht 2008/2009 zum 31.07.2009 einen existenzgefährdende Ausnahmesituation bestanden habe. Werde dem Aktionär in einer solchen Ausnahmesituation sein Auskunftsrecht bis hin zur faktischen Wirkungslosigkeit beschnitten, höhle dies seine aktienrechtlichen Befugnisse aus (Bl. 899).



bb)          Die Beklagte berufe sich zu Unrecht auf Auskunftsverweigerungsrechte. Es bestehe weder ein Auskunftsverweigerungsrecht in Bezug auf Einzelheiten der Derivatgeschäfte, noch ein Auskunftsverweigerungsrecht in Bezug auf Vorgänge im Aufsichtsrat.



cc)          Wegen des Vortrags der Klägerin zu den einzelnen Fragen wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 905 ff.) Bezug genommen.



2.            Die Klägerin hat im Berufungsverfahren beantragt (Bl. 1161, 748),



                das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 17.05.2011, Az. 31 O 30/10 KfH, abzuändern und wie in der ersten Instanz beantragt zu entscheiden,



                hilfsweise



                das Verfahren unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 17.05.2011, Az. 31 O 30/10 KfH, zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts und zur Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.



                Die Beklagte hat demgegenüber beantragt (Bl. 1161, 951),



                die Berufung zurückzuweisen.



3.            Sie verteidigt die Entscheidung des Landgerichts und rügt die in der Berufung von Seiten der Klägerin neu vorgebrachten Tatsachenbehauptungen bzw. Dokumente als verspätet (Bl. 1150).



a)            Das Landgericht habe die Klage zu Recht mangels inhaltlicher Mängel des angefochtenen Beschlusses abgewiesen; die Klägerin habe keine schwerwiegenden und eindeutigen, für die Hauptversammlung am 29.01.2010 erkennbaren Pflichtverstöße dargelegt (Bl. 958).



aa)          Das Landgericht sei zunächst vom richtigen Prüfungsmaßstab ausgegangen.



(1)           Wegen seines Inhalts sei ein Entlastungsbeschluss nur anfechtbar, wenn Entlastung erteilt wurde, obwohl das entlastete Organ schwerwiegend und eindeutig gegen Gesetz oder Satzung verstoßen habe. Die Eindeutigkeit der Pflichtverletzung sei aus der Perspektive und aufgrund des Kenntnisstands der Hauptversammlung bei der Beschlussfassung zu beurteilen; in Bezug auf eine etwaige Rechtsverletzung fehle es bei einer unklaren Rechtslage an der nötigen Eindeutigkeit (Bl. 961).



(2)           Dabei trage die Klägerin in vollem Umfang die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Anfechtbarkeit (Bl. 962). Dem habe sie durch den Vortrag von subjektiven Wertungen und Mutmaßungen - etwa zur Verursachung der kritischen Liquiditätssituation am 31.07.2009 durch Risiken der Derivatgeschäfte oder des Stehens „am Rande der Insolvenz" - nicht genügt (Bl. 1025). Die von der Beklagten angeführte Passage im Lagebericht zum Jahresabschluss 2008/2009 (B17 S. 69) enthalte lediglich einen Risikohinweis auf die Möglichkeit einer entsprechenden Entwicklung für den Fall, dass die seinerzeit geplanten Maßnahmen nicht erfolgen könnten; die Feststellung einer Gefährdung des Fortbestands des Unternehmens am 31.07.2009 oder einer zu diesem Zeitpunkt drohenden Insolvenz sei in dem Hinweis nicht enthalten (Bl. 1026).



(3)           Aus den von der Klägerin angeführten verfassungsgerichtlichen Entscheidungen ergebe sich nichts Anderes, da diese keine Aussagen zur Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen träfen (Bl. 963).



bb)          Das Landgericht habe demnach zu Recht die Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses wegen Pflichtverletzungen der Aufsichtsratsmitglieder verneint.



(1)           Die Derivatgeschäfte der Beklagten seien von der Satzung gedeckt gewesen. Zutreffend habe das Landgericht angenommen, die Derivatgeschäfte auf V-Aktien hätten dem Beteiligungsaufbau gedient. Dem stehe der Umfang der Derivatgeschäfte nicht entgegen. Jedenfalls fehle es aus Sicht der Hauptversammlung an einem eindeutigen Satzungsverstoß (Bl. 971).



(2)           Zutreffend habe das Landgericht auch die Anfechtbarkeit wegen der angeblichen Eingehung existenzgefährdender Risiken (Klumpenrisiko) im Zusammenhang mit dem Abschluss der Derivatgeschäfte verneint (Bl. 971). Die vom Landgericht dabei angestellte ex-ante-Betrachtung entspreche dem Willen des Gesetzgebers und der Rechtsprechung (Bl. 972 f.). Zu Recht habe das Landgericht im Zusammenhang mit dem Begriff des „Klumpenrisikos" festgestellt, dass Wertungen des Bankenaufsichtsrechts hier nicht einschlägig seien (Bl. 977). Zu Unrecht rüge die Klägerin die Annahmen des Landgerichts zur Darlegungs- und Beweislast in diesem Bereich.



(3)           Zu Recht habe das Landgericht eine Pflichtwidrigkeit des Erwerbs von rund 8% der V-Stammaktien im Januar 2009 verneint. Dies gelte zunächst im Hinblick auf den Vorwurf des überhöhten Kaufpreises. Fehl gehe der Einwand der Klägerin, die Beklagte habe pflichtwidrig den Erwerb der weiteren Stammaktien im Januar 2009 unter Missachtung einer „goldenen Bilanzregel" bzw. einer „Regel der fristenkongruenten Finanzierung" erworben. Zu Unrecht behaupte die Klägerin schließlich, die Beklagte habe durch die Aufstockung der Beteiligung keine wirtschaftlichen oder strategischen Vorteile erlangt (Bl. 989). Die Entscheidung zur Beteiligungsaufstockung unterfalle der Business Judgement Rule. Objektive Tatsachen, welche eine Verletzung der Business Judgement Rule belegten, fehlten; jedenfalls habe die Hauptversammlung am 29.01.2010 von solchen Umständen keine Kenntnis gehabt (Bl. 989).



(4)           Die von der Klägerin gerügte Verletzung der Sorgfalts- und Überwachungspflichten des Aufsichtsrats habe das Landgericht zu Recht verneint. Dies gelte zunächst im Hinblick auf den gegen Organmitglieder erhobenen Verdacht der Marktmanipulation (Bl. 991). Zutreffend habe das Landgericht eine Anfechtbarkeit wegen der Verletzung der Pflicht zur Einrichtung eines Risikomanagementsystems nach § 91 Abs. 2 AktG verneint. Zu Recht habe das Landgericht auch Pflichtverletzungen des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit der Überwaschung der Liquiditätssituation verneint. Fehl gehe die Auffassung der Klägerin, der Entlastungsbeschluss sei anfechtbar, weil der Aufsichtsrat den Strategiewechsel in Bezug auf die Beteiligung an V nur auf einen Pressebericht in der Börsenzeitung gestützt und damit ohne angemessene Informationsgrundlage gehandelt habe. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, der Aufsichtsrat habe seine Pflichten verletzt, indem er die Finanzierung der Derivatgeschäfte und die Erhöhung der Beteiligung an V ohne angemessene Informationsgrundlage toleriert habe (Bl. 1009). Zu Unrecht rüge die Klägerin schließlich, das Landgericht habe wegen angeblicher Äußerungen, die FP vom Handelsblatt online zugeschrieben worden seien, der Anfechtungsklage unter dem Aspekt des Handelns ohne angemessene Informationsgrundlage stattgeben müssen (Bl. 1005).



(5)           Fehl gehe die Berufung der Klägerin auf Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Vergütung und Abfindung des Vorstands. Die Auszahlung der variablen Vergütung für das Geschäftsjahr 2007/2008 im Geschäftsjahr 2008/2009 habe weder der Aufsichtsrat noch die Hauptversammlung am 29.01.2010 als eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzung einordnen müssen. Die Anstellungsverträge von W und H seien insbesondere nicht nichtig gewesen, so dass ein Rechtsgrund für die Vergütungsauszahlung bestanden habe. Ob der Beklagten ein - ungeschriebenes - Leistungsverweigerungsrecht zugestanden hätte, sei aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen zweifelhaft gewesen. Zutreffend habe das Landgericht die Anfechtbarkeit auch wegen angeblich pflichtwidrigen Handelns des Aufsichtsrats bei der Auflösung der Anstellungsverträge mit W und H verneint.



(6)           Das Landgericht habe zutreffend entschieden, dass die Klägerin ihre Anfechtungsklage nicht auf den Bescheid der BaFin vom 24.09.2010 stützen könne (Bl. 1021). Die Rüge der Klägerin sei schon verfristet. § 246 Abs. 1 AktG stelle eine kenntnisabhängige Ausschlussfrist dar (Bl. 1022). Das Landgericht habe ein Bedürfnis für die Zulassung verfristeter Anfechtungsgründe bei nachträglichem Bekanntwerden schwerwiegender Pflichtverletzungen zu Recht verneint (Bl. 1023). Jedenfalls sei keine Pflichtverletzung des Aufsichtsrats ersichtlich, da die Pflicht zur Veröffentlichung des Konzernzwischenlageberichts allein dem Vorstand obliege (Bl. 1024).



(7)           Schließlich habe das Landgericht zu Recht eine Pflichtverletzung des Aufsichtsratsmitglieds FP durch die die ihm im Zusammenhang mit der „Sardinien-Pressekonferenz" zugeschriebenen Äußerungen verneint, weil die Klägerin nicht dargelegt habe, dass die Äußerungen der Hauptversammlung am 29.01.2010 in der von der Klägerin behaupteten Form bekannt gewesen seien.



(7.1)       Selbst wenn man die in Anlage B51 enthaltene Fragenliste berücksichtigen wollte - obwohl diese nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Klägervortrags gewesen sei (Bl. 1030) - sei damit die nötige Kenntnis der Hauptversammlung nicht dargetan, weil der Prozessvertreter der Klägerin danach nicht sämtliche FP zugeschrieben Äußerungen, die Gegenstand dieses Rechtsstreits seien, in der Generaldebatte thematisiert habe (Bl. 1031). Jedenfalls die große Mehrzahl der FP zugeschriebenen Äußerungen seien der Hauptversammlung nicht bekannt gewesen (Bl. 1151). Nach der Frageliste seien nur zwei der FP zugeschriebenen Äußerungen thematisiert worden, nämlich zum einen - in Frage 40 - die Äußerung, aus der Bilanz könne man die Risiken nicht hinreichend ablesen, und zum anderen - in Frage 43 - die Bemerkung, V dürfe keine nicht definierten Risiken eingehen. Frage 41 habe sich demgegenüber auf die Berichterstattung in der Financial Times Deutschland bezogen, die nicht Gegenstand der Klageschrift gewesen sei (Bl. 1031). Der Redebeitrag des Aktionärs Wa führe nicht aus, was FP gesagt haben solle, sondern stelle ohne weitere Substantiierung in den Raum, FP habe bei dem „Interview" gezeigt, dass er in einem Interessenkonflikt stehe; weder sein Redebeitrag noch derjenige des Aktionärs S erwähnten zudem die von der Klägerin angeführten Medien Welt Online und Handelsblatt Online (Bl. 1087). Übrigen sei nicht dargelegt, dass die Hauptversammlung darüber diskutiert hätte, ob FP die ihm zugeschriebenen Äußerungen tatsächlich getätigt habe; jedenfalls sei durch die Einbeziehung angeblich getätigter Äußerungen in Fragen der Klägerin nicht dargelegt, dass die Hauptversammlung von der Presseberichterstattung zu diesen Äußerungen Kenntnis hatte oder haben musste und dass sie davon ausging oder ausgehen musste, FP habe die Äußerungen tatsächlich gemacht (Bl. 1031).



(7.2)       Die in der Hauptversammlung in Bezug genommenen, FP zugeschriebenen Äußerungen begründeten jedenfalls keine eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzung (Bl. 1032, 1152). Die Behauptung, der Bilanz seien keine Risiken zu entnehmen, sei kein Geheimnis; die Bilanz stelle keinen Risikobericht dar (Bl. 1032). Die Aussage, V dürfe bei einer Verschmelzung keine nicht definierten Risiken eingehen, sei in ihrer Allgemeinheit weder geschäfts- noch rufschädigend (Bl. 1032). Jedenfalls habe die Klägerin keinen materiellen oder immateriellen Schaden dargelegt; der von ihr angesprochene Kursrückgang habe allenfalls die Interessen der Anleger beeinträchtigt und sei im Übrigen nur vorübergehend gewesen (Bl. 1032).



b)            Zu Recht habe das Landgericht keine Auskunftspflichtverletzungen festgestellt. Auch hier habe das Landgericht den Prüfungsmaßstab richtig bestimmt. Fehl gehe die Berufung der Klägerin auf eine „existenzbedrohende Ausnahmesituation" (Bl. 1035). Wegen des Vortrags der Beklagten zu den einzelnen Fragen wird auf die Berufungserwiderung (Bl. 1037 ff.) Bezug genommen.



4.            Der Senat hat am 14.12.2011 mit den Parteien mündlich verhandelt.



a)            Dabei wies er darauf hin, dass der Entlastungsbeschluss nach seiner vorläufigen Rechtsauffassung wegen einer Pflichtverletzung von FP anfechtbar sein könne. Träfe der Wortlaut der FP im Rahmen der „Sardinien-Pressekonferenz" zugeschriebenen, jedenfalls vom Aktionär S in die Hauptversammlung eingeführten Äußerung zu, er wisse nicht, wie hoch die Risiken sind, und ihm sei es nicht gelungen, sich Klarheit über die Risiken aus den Optionsgeschäften zu verschaffen, könne FP seine Pflichten schwerwiegend verletzt haben. Falls die Äußerungen in eine andere Richtung zielten, etwa in Richtung einer Fundamentalkritik an der Geschäftspolitik des Vorstands bzw. einer Distanzierung von dessen Vorhaben angesichts zumindest intern absehbar gewordener Probleme oder in Richtung der „Rettung" von V vor einer Beherrschung durch die Beklagte, könne gleichwohl eine schwerwiegende Pflichtverletzung anzunehmen sein (Bl. 1157 f.). Wegen des Parteivortrags in der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 1154 ff.) verwiesen.



b)            Die Klägerin hat im Rahmen der ihr bis zum 09.01.2012 gesetzten Frist ergänzend vorgetragen (Bl. 1161, 1165 ff.), dass ihr Vertreter in der Hauptversammlung am 29.01.2010 die Texte der dem Notar als unbeantwortet übergebenen Fragen mit der Bezeichnung Nummer 40 bis 42 (B51) - mit marginalen sprachlichen Abweichungen (dazu im Einzelnen Bl. 1167) - als Redebeitrag eingeführt habe. Sie hat auf ein von ihr selbst erstelltes stenografisches Protokoll verwiesen (Bl. 1167) sowie Zeugenbeweis angeboten (Bl. 1168).



c)            Die Beklagte hat im Rahmen der ihr bis zum 19.01.2012 gesetzten Frist (Bl. 1161, 1190) unstreitig gestellt, dass neben dem Aktionär S auch der Vertreter der Klägerin die FP im Rahmen der „Sardinien-Pressekonferenz" zugeschriebenen Äußerungen, er wisse nicht wie hoch die Risiken seien, es sei ihm nicht gelungen, sich Klarheit über die Risiken aus den Optionsgeschäften zu verschaffen und aus der Bilanz könne man die Risiken nicht hinreichend ablesen, durch Redebeiträge in die Hauptversammlung am 29.01.2010 einführte und dass FP diese Äußerungen sinngemäß getätigt habe (Bl. 1196). Sie meint dennoch, dass der Entlastungsbeschluss fehlerfrei gefasst worden sei.



aa)          Voraussetzung für die Anfechtung des Entlastungsbeschlusses sei nicht nur eine eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzung. Die schwerwiegende Pflichtverletzung müsse der Hauptversammlung sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Sicht zweifelsfrei erkennbar gewesen sein. Bloße Verdachtsmomente oder Indizien reichten dazu nicht aus (Bl. 1195).



bb)          Die Informationslage der Hauptversammlung am 29.01.2010 habe indes schon in tatsächlicher Hinsicht nicht in eine eindeutige Richtung gewiesen (Bl. 1197 ff.).



(1)           Für den verständigen Aktionär in der Hauptversammlung am 29.01.2010 hätten sich zwar gewisse Anhaltspunkte über die mutmaßlich von FP getätigten Äußerungen und deren tatsächlichen Aussagegehalt ergeben; er habe darüber aber keine klare und eindeutige Kenntnis gehabt.



(1.1)       Das vom Aktionär S eingeführte Zitat „ich weiß nicht, wie hoch die Risiken sind" und die nachfolgend in indirekter Rede wiedergegebene Aussage, es sei FP nicht gelungen, sich Klarheit über die Risiken zu verschaffen, sei ohne Quellenangabe in die Hauptversammlung eingeführt und in der Klageschrift noch nicht vorgebracht worden (Bl. 1199). Die Äußerungen hätten in der Generaldebatte zudem nur eine untergeordnete Rolle gespielt (Bl. 1198 f.).



(1.2)       Für einen verständigen Aktionär habe es sich bei den durch einzelne Aktionäre wiedergegebenen Pressezitaten um Informationen vom „Hörensagen" gehandelt (Bl. 1198). Dabei habe er berücksichtigen dürfen, dass Redebeiträge von Aktionären stets das Risiko einer selektiven, verkürzten oder fehlerhaften Darstellung in sich bergen (Bl. 1203). Aus der Tatsache, dass die Verwaltung nicht von sich aus zu den in Redebeiträgen von Aktionären wiedergegebenen Presseberichten Stellung genommen habe, könne nicht geschlossen werden, sie habe diese „zugestanden" (Bl. 1198).



(1.3)       Die vom Aktionär S und vom Klägervertreter eingeführten Äußerungen ähnelten sich im Übrigen nur scheinbar. Die vom Klägervertreter zitierte Äußerung, aus der Bilanz könne man Risiken nicht hinreichend ablesen, sei eine Selbstverständlichkeit, die von Aktionären nicht als eindeutiger Beleg für eine Pflichtverletzung interpretiert werden konnte. Es sei vor diesem Hintergrund für den verständigen Aktionär nicht feststellbar gewesen, was FP im Einzelnen in Bezug auf Risiken bei der Beklagten gesagt habe (Bl. 1200).



(2)           Kein Aktionär habe im Rahmen der Hauptversammlung nachgefragt, ob die Beklagte Erkenntnisse zur Richtigkeit der Presseberichterstattung habe; es sei nicht einmal der Versuch einer Aufklärung der „Sardinien-Äußerungen" unternommen worden. Die relevanten Redner hätten aus den zu den Äußerungen erschienenen Presseberichten ganz unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen; ein geschäftsschädigendes Verhalten sei in der Hauptversammlung nicht ausdrücklich gerügt worden (Bl. 1201 f., B130, B51). Das Landgericht habe eine Pflichtverletzung in diesem Zusammenhang vor allem unter dem Aspekt eines Vertraulichkeitsverstoßes in Betracht gezogen (Bl. 1203).



(3)           Schließlich hätten den Aktionären in erster Linie andere Informationen zur Verfügung gestanden, um die Arbeit des Aufsichtsrats für die Zwecke der Abstimmung über seine Entlastung zu beurteilen. Aus diesen Informationen habe sich ergeben, dass eine Pflichtverletzung, wie sie bestimmte Redner aus den „Sardinien-Äußerungen" abzuleiten versuchten, gerade nicht bestanden habe. Dazu legte die Beklagte im Einzelnen Fragen und Antworten zur Kontrolltätigkeit des Aufsichtsrats in der Hauptversammlung am 29.01.2010 sowie die die entsprechenden Teile des Aufsichtsratsberichts dar (Bl. 1204 ff., B51, B13, B64, B131, B17 S. 8 f.) und verwies auf das Ergebnis der Prüfung der KPMG (Bl. 1208, B17 S. 10, B132). Ein vernünftig denkender Aktionär habe davon ausgehen dürfen, dass diese Informationen zutreffend gewesen seien (Bl. 1210). Die Annahme, dass FP sehenden Auges auf die Kenntnisnahme der Informationen und Prüfungsergebnisse verzichtet und sich gleichsam aus seiner Kontrolltätigkeit „ausgeklinkt" habe oder dass gerade ihm bestimmte Informationen zu Derivatgeschäften vorenthalten worden seien, liege aus der Sicht eines verständigen Aktionärs völlig fern (Bl. 1209 f.).



cc)          Angesichts dieser Informationslage habe ein verständiger Aktionär keine eindeutige und schwerwiegende Verletzung der Kontrollpflicht durch den Aufsichtsrat oder durch FP ableiten müssen; das Landgericht habe dies ebenfalls nicht festgestellt (Bl. 1210 f.). Im Übrigen habe ein verständiger Aktionär die Äußerungen von FP auch als „kritisch-pointierte Meinungsäußerung" eines Großaktionärs und als Ausdruck eines sich zuspitzenden Ringens um die richtige Strategie zur Bildung eines integrierten Automobilkonzerns verstehen können (Bl. 1211 f.). Letzteres stelle jedoch keine eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzung dar.



(1)           Dabei sei zu bedenken, dass ein Aufsichtsratsmitglied außerhalb seiner Organtätigkeit den Interessen der Gesellschaft nicht unbedingt den Vorrang einräumen müsse (Bl. 1212). Aus dem Medienecho 2009 sei bekannt gewesen, dass die „Sardinien-Äußerungen" am Rande einer Veranstaltung von V getätigt worden seien, die FP in seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender von V besucht habe. Im Übrigen werde der Aufsichtsrat in aller Regel nur in oder aufgrund von Sitzungen des Aufsichtsratsplenums oder seiner Ausschüsse innerhalb seiner Organstellung tätig (Bl. 1213).



(2)           Außerhalb ihrer Organstellung treffe die Aufsichtsratsmitglieder zwar eine allgemeine Rücksichtnahmepflicht gegenüber der Gesellschaft. Nach herrschender Meinung seien sie aber nicht daran gehindert, eigene Interessen zu verfolgen, selbst wenn der Gesellschaft dadurch Nachteile entstehen könnten. Angesichts der noch nicht endgültig geklärten Grenzen der Rücksichtnahmepflichten habe ein verständiger Aktionär nicht zwingend auf eine Pflichtverletzung schließen müssen (Bl. 1213). Er habe zudem berücksichtigen dürfen, dass Eigentümer großer Gesellschaften die Unternehmensführung auch öffentlich kritisieren; dies sei nicht unüblich und werde in der Verbindung mit der Wahrnehmung berechtigter Interessen gemeinhin - zu Recht - nicht als Pflichtverletzung wahrgenommen (Bl. 1214).



(3)           Schließlich sei in der Hauptversammlung noch nicht einmal behauptet worden, dass der Beklagten durch die Äußerungen ein Schaden oder ein sonstiger Nachteil entstanden wäre (Bl. 1215). Auch das Landgericht habe bei der Frage, ob eine etwaige Pflichtverletzung als schwerwiegend zu betrachten sei, erhebliche Zweifel durchblicken lassen (Bl. 1216).



5.            Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 748 ff.), die Berufungserwiderung (Bl. 951 ff.) sowie die weiteren Schriftsätze vom 17.11.2011 (Bl. 1089 ff.), 21.11.2011 (Bl. 1130 ff.), 02.12.2011 (Bl. 1136 ff.), 20.12.2011 (Bl. 1163 f.), 05.01.2012 (Bl. 1165 ff.), 19.01.2012 (Bl. 1194 ff.), 24.01.2012 (Bl. 1227 ff.), 14.02.2012 (Bl. 1240 f.), 20.02.2012 (Bl. 1246 f.) und 21.02.2012 (Bl. 1249 ff.) verwiesen.


aus den gründen

B.



Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Auf ihre Anfechtungsklage hin ist im Berufungsverfahren unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung der Beschluss über die Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2008/2009 für nichtig zu erklären.



Zwar hat das Landgericht die Klage auf der Grundlage des von ihm zu beurteilenden Sachverhalts zu Recht abgewiesen. Weder wurde eine der in der Klageschrift angeführten 20 Fragen unvollständig, unrichtig oder sonst unzureichend beantwortet, ohne dass dies durch ein Auskunftsverweigerungsrecht gedeckt wäre, noch war auf der Grundlage des Streitstandes im ersten Rechtszug ein inhaltlicher Mangel in Gestalt einer Überschreitung des Entlastungsermessens der Hauptversammlung festzustellen. In Bezug auf die Entlastung des Aufsichtsratsmitglieds FP ist aber im Zusammenhang mit den „Sardinien-Äußerungen" im Berufungsverfahren neuer Sachvortrag zu berücksichtigen, aus dem sich ergibt, dass die Hauptversammlung FP zu Unrecht entlastet hat (dazu unten I.), weshalb der gesamte angefochtene Beschluss für nichtig zu erklären ist (dazu unten II.), auch wenn die übrigen Anfechtungsgründe, welche die Klägerin vorgebracht hat, selbst unter Berücksichtigung ihres Vortrags im Berufungsverfahren, nicht durchdringen.



Auf die in der Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) organisierte Beklagte finden nach Artikel 9 Abs. 1 c) ii) der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 08.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-VO) grundsätzlich die Bestimmungen des Aktiengesetzes (AktG) Anwendung. Soweit im Folgenden ohne weitere Erläuterungen die Bestimmungen des AktG angeführt werden, beruht dies auf der vorgenannten Verweisung.



I.



Die „Sardinien-Äußerungen" belegen eine die Entlastung hindernde Pflichtverletzung von FP (dazu unten 1.), die einem objektiven Durchschnittsaktionär in der Hauptversammlung am 29.01.2010 nach dem im Berufungsverfahren zugrunde zu legenden Sachverhalt hinreichend erkennbar war (dazu unten 2.); die Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG wurde gewahrt (dazu unten 3.).



1.         Angesichts seiner „Sardinien-Äußerungen" hätte die Hauptversammlung am 29.01.2010 das Aufsichtsratsmitglied FP für das Geschäftsjahr 2008/2009 nicht entlasten dürfen.



a)         Zu Unrecht kritisiert die Klägerin allerdings die Auffassung des Landgerichts zur Reichweite der gerichtlichen Kontrolle bei der Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen.



aa)       Dahinstehen kann, ob der Anfechtung eines Entlastungsbeschlusses entsprechend den Ausführungen des Landgerichts vor dem Hintergrund der durch § 120 Abs. 2 Satz 2 AktG beschränkten Wirkung der Entlastungserteilung nur eine „geringe rechtliche Bedeutung" zukommt (Bl. 762). Die Eröffnung der Möglichkeit, einen Beschluss über die Entlastung der Verwaltung anzufechten, dient jedenfalls entgegen der Auffassung der Klägerin (Bl. 768) nicht der „umfassenden gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns im abgelaufenen Geschäftsjahr", sondern ausschließlich der Kontrolle der Beschlussfassung der Hauptversammlung.



(1)        Der Entlastungsbeschluss ist nach § 243 Abs. 1 AktG wie jeder andere Hauptversammlungsbeschluss nur anfechtbar, soweit er gegen das Gesetz oder die Satzung verstößt. Im Rahmen der Anfechtung eines Entlastungsbeschlusses hat das Gericht demnach - anders als beispielsweise bei einem Regressprozess gegen ein Mitglied der Verwaltung oder bei einem Verfahren zur Bestellung eines Sonderprüfers nach § 142 Abs. 2 Satz 1 AktG - nicht unmittelbar das Handeln der Verwaltung, sondern das Handeln der Hauptversammlung zu überprüfen (Decher in Festschrift Hopt, 2010, 499, 501; Spindler in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 33).



(2)        Das Verwaltungshandeln spielt im Rahmen der Anfechtung eines Entlastungsbeschlusses nur insoweit eine Rolle, als bei der Prüfung der Rechtsmäßigkeit der Entlastungserteilung durch die Hauptversammlung zu klären ist, ob die Hauptversammlung das ihr zukommende Ermessen angesichts von Pflichtverletzungen des Entlasteten überschritten hat. Entgegen der Auffassung der Klägerin (Bl. 764) ist dabei allerdings nicht zu prüfen, ob die Erteilung der Entlastung im Sinne von § 315 BGB billigem Ermessen entspricht. Stattdessen kommt es darauf an, ob sich die Entlastungserteilung als Treuepflichtverletzung der den Entlastungsbeschluss tragenden Mehrheit der Hauptversammlungsteilnehmer darstellt und dadurch die Beschlussfassung einen Rechtsverstoß im Sinne von § 243 Abs. 1 AktG begründet (OLG Stuttgart, AG 2011, 93 [juris Rz. 373]; BGHZ 153, 47 [juris Rz. 15] „Macrotron"; Hoffmann in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 27 und 49).



bb)       Da die Entlastungsentscheidung grundsätzlich im Ermessen der Gesellschafter liegt, ist ein Entlastungsbeschluss nicht schon dann fehlerbehaftet im Sinne von § 243 Abs. 1 AktG, wenn es Gründe gegeben hätte, die Entlastung zu verweigern.



(1)        Ist Gegenstand des Entlastungsurteils der Hauptversammlung ein Verhalten, welches das unternehmerisch zweckmäßige Handeln betrifft, bleibt es beim weiten Ermessen der Hauptversammlungsmehrheit (BGHZ 153, 47 [juris Rz. 15 und 17] „Macrotron"). Ist Gegenstand der Entlastung jedoch ein Verhalten, das eindeutig einen schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstellt, ist der Entlastungsbeschluss anfechtbar; dies gebietet nicht zuletzt der Aspekt der Treuepflicht der Mehrheit gegenüber der Minderheit (BGHZ 153, 47 [juris Rz. 15 und 17] „Macrotron"; OLG Stuttgart, AG 2011, 93 [juris Rz. 365 f.]).



(2)        Dabei beurteilt sich die Schwere des Verstoßes anhand einer wertenden Betrachtung. Zu berücksichtigen ist, ob trotz des Verstoßes die Anerkennung des Verhaltens als im Großen und Ganzen gesetzes- und satzungskonform objektiv noch vertretbar erscheint (Hoffmann in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 49). Das Erfordernis der schwerwiegenden Pflichtverletzung soll die Entlastungsanfechtung wegen Bagatellverstößen ausschließen (Litzenberger, NZG 2010, 854, 856).



(3)        An der nötigen Eindeutigkeit eines Verstoßes fehlt es, wenn sich der Entlastete nicht über eine zweifelsfreie Rechtslage hinweggesetzt hat, sondern sein Verhalten nach maßgeblichen Stimmen in der Literatur zulässig war und die Rechtslage nicht obergerichtlich oder höchstrichterlich geklärt ist (OLG Stuttgart, AG 2011, 93 [juris Rz. 366]; OLG München, ZIP 2008, 1237 [juris Rz. 52 f.] bestätigt durch BGH, AG 2010, 79).



b)         Entgegen der Auffassung der Beklagten stellen danach die „Sardinien-Äußerungen" von FP eindeutig eine schwerwiegende Verletzung seiner Pflichten als Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten dar.



aa)       Ausgangspunkt der Feststellungen des Senats sind dabei Äußerungen von FP zu den Risiken der Beklagten aus ihren auf V-Aktien bezogenen Derivatgeschäften.



(1)        Über diese Äußerungen wurde beispielsweise in Welt-Online am 13.05.2009 (K43: „wie groß die P-Risiken sind, weiß FP angeblich nicht") und in Handelsblatt-Online am 12.05.2009 (K21: „Entscheidend, da sind sich N., V-Spitze und der Betriebsrat einig, ist es, Genaueres über die Risiken aus dem von P gehaltenen Optionspaket auf rund 20 Prozent der V-Aktien zu erfahren. Details wisse er auch nicht, sagt FP genüsslich. ... ‚Aus der Bilanz von P kann man Risiken nicht ausreichend ablesen‘") berichtet. Der Vertreter der Klägerin zitierte in seinem - von der Beklagten im Berufungsverfahren unstreitig gestellten (Bl. 1196) - Redebeitrag in der Hauptversammlung am 29.01.2010 zudem einen Bericht der Financial Times Deutschland am 13.05.2009, wonach es FP „selbst als P-Aufsichtsrat nicht gelungen [sei], Klarheit über die Folgen der Optionsgeschäfte zu gewinnen: Ich weiß nicht, wie hoch die Risiken sind." (Bl. 1167).



(2)        Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass die Beklagte im ersten Rechtszug die von der Klägerin in ihren Schriftsätzen und durch die Vorlage von Presseartikeln behaupteten Äußerungen von FP nicht wirksam mit Nichtwissen bestreiten konnte (Bl. 656). Jedenfalls hat die Beklagte im Berufungsverfahren unstreitig gestellt, dass FP am Rande einer V-Veranstaltung auf Sardinien gegenüber Journalisten geäußert hat, er wisse nicht, wie hoch die Risiken seien, es sei ihm nicht gelungen sich Klarheit über die Risiken aus den Optionsgeschäften zu verschaffen und aus der Bilanz könne man die Risiken nicht hinreichend ablesen (Bl. 1196, 1215).



bb)       Nimmt man diese Äußerungen von FP beim Wort, hat er eine schwerwiegende Verletzung seiner Pflichten als Mitglied des Aufsichtsrats eingestanden.



(1)        FP war verpflichtet, das mit den Derivatgeschäften der Beklagten auf V-Aktien verbundene Risiko selbständig abzuschätzen.



(1.1)     § 111 Abs. 1 AktG verpflichtet den Aufsichtsrat zur Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands.



            Art und Intensität der vom Aufsichtsrat geschuldeten Überwachung sind im Einzelfall zu bestimmen. Die Bestimmung der Intensität der Überwachungspflicht hat sich an der jeweiligen Risikosituation zu orientieren (Habersack in Münchener Kommentar, AktG, 3. Aufl. § 116 Rz. 46; Hoffmann-Becking in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, AG, 3. Aufl., § 29 Rz. 27b; Hüffer, AktG, 9. Aufl., § 111 Rz. 7).



            Dahinstehen kann in diesem Zusammenhang, ob und in welcher Form sich die Beklagte im Entlastungszeitraum in einer Krise befand. Eine gesteigerte Intensität der Überwachung ist nicht nur in Krisensituationen geboten, sondern bereits in deren Vorfeld sowie auch unabhängig davon bei Entscheidungen außerhalb der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit. Dies gilt jedenfalls für Geschäfte, die wegen ihres Umfangs, der mit ihnen verbundenen Risiken oder ihrer strategischen Funktion für die Gesellschaft besonders bedeutsam sind (vgl. Mertens in Kölner Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 111 Rz. 16; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 111 Rn. 25; Drygala in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 111 Rn. 23; Hasselbach, NZG 2012, 41, 42).



            Besonders bedeutsam in diesem Sinne waren im Entlastungszeitraum die Derivatgeschäfte der Beklagten auf V-Aktien. Ihre besondere Bedeutung und die damit verbundene Intensivierung der Überwachungspflicht des Aufsichtsrats folgt bereits aus ihrer von der Beklagten selbst dargestellten (Bl. 964 f.) Funktion beim Aufbau der Beteiligung der Beklagten an V, die ihrerseits unbestritten maßgeblich für die strategische Ausrichtung der Beklagten war (vgl. zur Intensivierung der Überwachungspflicht beim Erwerb unternehmerischer Beteiligungen Hasselbach, NZG 2012, 41, 42). Dass es sich zudem um Geschäfte mit erheblichem Umfang handelte, belegen die mit ihnen im Entlastungszeitraum verbundenen Aufwendungen und Erträge von jeweils über 50 Mrd. Euro (Bl. 121); unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob das Nominalvolumen der Derivatgeschäfte Rückschlüsse auf die mit ihnen verbundenen Risiken zulässt (Bl. 969). Offen bleiben kann hier auch, ob die mit den Derivatgeschäften verbundenen Risiken übermäßig groß oder noch vertretbar waren. Jedenfalls waren die Derivatgeschäfte angesichts ihrer Abhängigkeit von der Kursentwicklung der V-Aktien im Vergleich zum allgemeinen operativen Geschäft der Beklagten mit einem gesteigerten Risiko verbunden, was ebenfalls zu einer Intensivierung der Überwachungspflicht führt (vgl. Krieger in Krieger/Schneider in Handbuch Managerhaftung, § 3 Rz. 18; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl., § 13 Rn. 987). Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob bei Derivatgeschäften oder anderen großvolumigen Finanzgeschäften im Übrigen per se eine besonders intensive Überwachung durch den Aufsichtsrat geboten ist (vgl. dazu Hasselbach, NZG 2012, 41, 42; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 111 Rz. 25).



(1.2)     In Bezug auf die Derivatgeschäfte der Beklagten auf V-Aktien folgte aus der Intensivierung der Kontroll- und Überwachungspflicht des Aufsichtsrats eine Pflicht zur selbständigen Risikoabschätzung.



            Jedenfalls bei besonders bedeutsamen Geschäften, die zu einer Intensivierung der Überwachungspflicht führen, kann sich der Aufsichtsrat nicht auf die Entgegennahme der Informationen des Vorstands beschränken. Stattdessen hat er selbständig den relevanten Sachverhalt vollständig sowie richtig zu erfassen (speziell dazu Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 111 Rz. 17; Semler in Semler/v.Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl., § 1 Rz. 176) und sich ein eigenes Urteil darüber zu bilden (Mertens in Kölner Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 111 Rz. 16 und § 116 Rz. 10; Drygala in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 116 Rz. 7; Habersack in Münchener Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 116 Rz. 32 i.V.m. § 111 Rz. 46; Hopt in Großkommentar, AktG, 4. Aufl., § 116 Rz. 169; Hasselbach, NZG 2012, 41, 42; Köstler/Zackert/Müller, Aufsichtsratspraxis, 9. Aufl., S. 274 Rz. 540; ähnlich Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl., § 12 Rz. 887 und § 13 Rz. 987; so auch OLG Düsseldorf, BB 1984, 997, 999 für den Aufsichtsrat einer Publikums-KG).



            Im Fall der Derivatgeschäfte der Beklagten auf V-Aktien war der Aufsichtsrat demnach unter anderem verpflichtet, nicht nur die Risikobeurteilung des Vorstands zur Kenntnis zu nehmen, sondern im Rahmen einer eigenständigen Risikoanalyse die Risiken dieser Geschäfte zu erfassen und zu beurteilen. Ohne eine solche selbständige Risikoabschätzung war eine ordnungsgemäße Überwachung der für die Gesellschaft besonders bedeutsamen und jedenfalls im Vergleich zum allgemeinen operativen Geschäft der Beklagten mit einem besonderen Risiko verbundenen Geschäfte nicht möglich.



(1.3)     Die Pflicht, die Risiken der Derivatgeschäfte selbständig abzuschätzen, traf nicht nur den Aufsichtsrat als Gesamtorgan, sondern auch FP persönlich. Jedes einzelne Mitglied muss sich im Bereich der Überwachung der Geschäftsführung sein eigenes Urteil bilden (Habersack in Münchener Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 116 Rz. 32; Hasselbach, NZG 2012, 41, 42 und 47; Mertens in Kölner Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 116 Rn. 10; Hopt/Roth in Großkommentar, AktG, 4. Aufl., § 111 Rz. 146).



(2)        Treffen die von der Beklagten hinsichtlich der Äußerung durch FP unstreitig gestellten Aussagen inhaltlich zu, hat FP eindeutig seine Pflicht zur selbständigen Abschätzung der Risiken der Derivatgeschäfte verletzt; es ist ein Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehler festzustellen.



(2.1)     Nach dem von der Beklagten sinngemäß unstreitig gestellten Wortlaut seiner „Sardinien-Äußerungen" ist es FP nicht gelungen, sich Klarheit über die Risiken aus den Optionsgeschäften zu verschaffen; er wisse nicht wie hoch die Risiken seien. Damit hat er eine Pflichtverletzung in Gestalt eines Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehlers eingestanden.



            Ist es FP nicht gelungen, sich Klarheit über die Risiken der Derivatgeschäfte zu verschaffen, so konnte er diese nicht nur der Höhe nach nicht beziffern, sondern vermochte sie insgesamt nicht selbständig abzuschätzen. Demnach hat er die gebotene Risikoabschätzung zwar nicht falsch durchgeführt, etwa indem er die Risiken der Geschäfte geringer einschätzte als sie tatsächlich waren, aber er hat sie ergebnislos eingestellt, also letztlich unterlassen. Dadurch hat er seine Pflichten als Aufsichtsratsmitglied verletzt.



            War FP nicht in der Lage, den Sachverhalt eigenständig zu erfassen oder zu beurteilen, musste er entweder - gegebenenfalls durch Berichtanforderung nach § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG - weitere Sachverhaltsinformationen vom Vorstand einholen oder sich die für eine Beurteilung notwendigen Kenntnisse verschaffen, notfalls durch Hinwirken auf die Hinzuziehung externer Berater durch das Gesamtorgan nach § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG. War ihm auch danach die gebotene Risikoabschätzung nicht möglich, musste er gegen die Derivatgeschäfte einschreiten; jedenfalls konnte er die Derivatgeschäfte der Beklagten auf V-Aktien nicht billigen, ohne die gebotene selbständige Risikoabschätzung durchgeführt zu haben (vgl. Habersack in Münchener Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 116 Rz. 30 und 32).



            Dass FP aus seinem Unvermögen, die Risiken der Derivatgeschäfte abzuschätzen, im Entlastungszeitraum entsprechende Konsequenzen gezogen hätte, ist weder dargetan noch ersichtlich. Im Gegenteil: Ausweislich der in der Hauptversammlung am 29.01.2010 auf die Frage 6) erteilten Auskunft hat der Aufsichtsrat in seiner Sitzung am 20.08.2008 - in welcher ausweislich der auf Frage 7) erteilten Auskunft die V-Beteiligung und das weitere Vorgehen mit seinen Folgen umfassend, also einschließlich der Derivatgeschäfte, behandelt wurde - „uneingeschränkt" erklärt, dass er hinter der Arbeit des Vorstands stehe und diese mittrage. Da die Notwendigkeit der Sitzung ausdrücklich mit Zweifeln an der Unterstützung durch alle Mitglieder des Aufsichtsrats begründet wurde, meint der Begriff „uneingeschränkt" in diesem Zusammenhang aus objektiver Sicht, dass sämtliche Aufsichtsratsmitglieder - also einschließlich FP - in dieser Sitzung die Strategie des Vorstands in Bezug auf die V-Beteiligung einschließlich der Derivatgeschäfte billigten. Unabhängig davon war FP jedenfalls im Entlastungszeitraum verpflichtet, gegen die Fortsetzung der Derivatgeschäfte auf V-Aktien einzuschreiten, wenn er diesen zuvor seit Beginn des Aufbaus der V-Beteiligung Ende 2005 pflichtwidrig - nämlich ohne die gebotene eigenständige Risikoabschätzung - zugestimmt hatte.



(2.2)     Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt es nicht an der Eindeutigkeit der Pflichtverletzung, wenn die Äußerungen von FP inhaltlich zutreffen.



            Ohne Erfolg wendet sie ein, die Äußerungen ließen nicht eindeutig erkennen, dass FP seine Sorgfaltspflichten als Aufsichtsratsmitglied verletzt habe, weil sie jedenfalls im Kontext mit der Äußerung, aus der Bilanz könne man Risiken nicht ablesen, mehrdeutig seien (Bl. 1200). Zwar stellt die Beklagte zu Recht fest, dass diese Aussage lediglich eine Selbstverständlichkeit enthält, weil sich aus der Bilanz - abgesehen von Rückschlüssen aus der Durchführung von Wertberichtigungen oder Rückstellungen - naturgemäß die Risiken bestimmter Geschäftsführungsmaßnahmen nicht entnehmen lassen. Die Bilanz soll nicht über Risiken Auskunft geben, sondern über das Verhältnis von Vermögen und Schulden (§ 242 Abs. 1 HGB); über die Chancen und Risiken des Unternehmens ist nicht in der Bilanz, sondern im Lagebericht Auskunft zu erteilen (§ 289 Abs. 1 Satz 4 HGB). Die Feststellung dieser Selbstverständlichkeit steht aber zur Ableitung eines Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehlers aus den weiteren Äußerungen, FP wisse nicht, wie hoch die Risiken sind, und es sei ihm nicht gelungen, sich darüber Klarheit zu verschaffen, nicht in Widerspruch, da sie im Zusammengang der Äußerungen lediglich erklärt, dass die Bilanz der Beklagten - die allen Aufsichtsratsmitgliedern bekannt sein sollte - keine Risikoabschätzung ermöglicht.



            Auch der Einwand der Beklagten (Bl. 141, 1204 ff., 1210), der Aufsichtsrat sei vom Vorstand ausreichend mit Informationen über die Derivatgeschäfte versorgt worden bzw. die Prüfungen durch KPMG im Frühjahr 2009 hätten keine Beanstandungen ergeben (Bl. 1208), dringt nicht durch. Dies steht zu einem Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehler von FP nicht in Widerspruch. Das der Annahme eines solchen Fehlers zugrunde liegende Unvermögen der eigenständigen Abschätzung der Risiken der Derivatgeschäfte, welches in der Äußerung, FP habe sich über die Risiken keine Klarheit verschaffen können, zum Ausdruck kommt, kann viele Ursachen haben. Trotz objektiv ausreichender Informationsversorgung durch den Vorstand kann einem Aufsichtsratsmitglied die gebotene eigenständige Risikoabschätzung unmöglich sein, wenn es entweder nicht über den nötigen Sachverstand verfügt oder wenn die Risiken objektiv unabschätzbar sind. Umgekehrt befreit die unvollständige Information durch den Vorstand ein Aufsichtsratsmitglied nicht von seiner Verantwortlichkeit (Habersack in Münchener Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 116 Rz 32 und 30).



            Ohne Erfolg verweist die Beklagte schließlich darauf, das Landgericht habe in der angefochtenen Entscheidung kein Kontrollversagen festgestellt (Bl. 1211, 658 ff.). Nicht zu entscheiden ist, ob allein eine unterschiedliche rechtliche Beurteilung innerhalb des Instanzenzuges die Eindeutigkeit der Pflichtverletzung entfallen lassen kann. Jedenfalls hat das Landgericht ausdrücklich (Bl. 662) von einer abschließenden Entscheidung über Verletzung der Pflichten von FP im Zusammenhang mit den „Sardinien-Äußerungen" abgesehen, weil aus seiner Sicht die Entlastungsanfechtung aus anderen Gründen hierauf nicht gestützt werden konnte (Bl. 662 f.; dazu unten 2. b)). Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass das Landgericht bei seinen nicht entscheidungserheblichen und deshalb ausdrücklich nicht vertieften Überlegungen (Bl. 662) nicht auf einzelne Äußerungen einging, sondern allgemein auf die Abgabe öffentlicher Erklärungen abstellte und folgerichtig in erster Linie an den weiten Tatbestand des Artikels 49 SE-VO anknüpfte (Bl. 659).



(3)        Die Pflichtverletzung in Gestalt eines Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehlers in Bezug auf die Risiken der Derivatgeschäfte wiegt schwer. Hat FP entsprechend dem Wortlaut seiner Äußerungen seine Pflicht zur selbständigen Risikoabschätzung besonders bedeutsamer Geschäfte der Gesellschaft verletzt, liegt nicht nur ein einfaches Versäumnis vor, das die Anerkennung seines Verhaltens im Entlastungszeitraum als im Großen und Ganzen noch gesetzes- oder satzungskonform vertretbar erscheinen ließe. Wird - wie hier - eine gesetzliche Kardinalpflicht verletzt, handelt es sich um eine schwerwiegende Pflichtverletzung (vgl. Reger in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 5).



cc)       Zu Recht weist die Beklagte zwar darauf hin, dass die Interpretation der Äußerungen von FP als Eingeständnis eines persönlichen Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehlers nicht die einzig mögliche Auslegung darstellt; unter Berücksichtigung ihres Kontextes im Mai 2009 könne es sich, so die Beklagte, auch um „kritisch-pointierte Meinungsäußerungen" im Rahmen eines unternehmensinternen Konflikts (Bl. 1211, 147) handeln. Auch in diesem Fall wäre aber eindeutig eine schwerwiegende Verletzung der Pflichten von FP als Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten festzustellen.



(1)        In diesem Fall hätte FP die Kreditwürdigkeit der Beklagten erheblich gefährdet, indem er einen unternehmensinternen Konflikt nach außen trug, den Vorstand öffentlich kritisierte und vor allen Dingen öffentlich den Eindruck erweckte, die Derivatgeschäfte der Beklagten auf V-Aktien seien mit objektiv unabschätzbaren Risiken verbunden.



(1.1)     Nach dem Vortrag der Beklagten, die es für fernliegend hält, dass gerade FP nicht in der Lage gewesen sein soll, die Risiken der Derivatgeschäfte abzuschätzen (Bl. 1208 f.), stellen die fraglichen Äußerungen kein Eingeständnis eines Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehlers, sondern eine „kritisch-pointierte Meinungsäußerung" eines V-Repräsentanten bzw. eines Großaktionärs der Beklagten im Rahmen eines sich „zuspitzenden Ringens um die richtige Strategie" zur Bildung eines integrierten Automobilkonzerns dar (Bl. 1211 f., 1214, 147), mithin ein Handeln im Rahmen eines unternehmensinternen Konflikts zwischen Vorstand und Aufsichtsrat bzw. zwischen den Mitgliedern des Aufsichtsrats. Für dieses Verständnis der Beklagten lässt sich der zeitliche Kontext der Äußerungen im Mai 2008 anführen. Kurz zuvor hatte sich ein Kurswechsel der EU-Kommission in Bezug auf ein Vorgehen gegen das geänderte V-Gesetz abgezeichnet (Bl. 132, B35), zudem waren Gespräche mit V über einen Zusammenschluss begonnen worden (Bl. 1211, B133). In dieser Situation konnten die Äußerungen von FP aus objektiver Sicht nicht nur als persönliches Eingeständnis eines Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehlers, sondern auch als Kritik an der Geschäftspolitik des Vorstands der Beklagten und den diese stützenden Aufsichtsratsmitgliedern verstanden werden. Dass die „Sardinien-Äußerungen" von einzelnen Journalisten tatsächlich in diese Richtung verstanden wurden, belegen die Überschriften der von der Klägerin vorgelegten Presseberichte Welt-Online (K43: „Machtdemonstration auf Sardinien") und Handelsblatt-Online (K21: „FP tranchiert W in feinen Schnitten").



(1.2)     Versteht man die Äußerungen in diesem Sinne, wandelt sich ihr objektiver Erklärungsgehalt von dem Eingeständnis eines persönlichen Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehlers in die Behauptung, die Derivatgeschäfte der Beklagten auf V-Aktien seien mit objektiv unabschätzbaren Risiken verbunden.



            Geht ein objektiver Empfänger davon aus, dass FP sich vom Vorstand der Beklagten distanzieren bzw. diesen kritisieren wollte, sind die Äußerungen angesichts der langjährigen Erfahrung von FP als Mitglied des Vorstands bzw. des Aufsichtsrats großer Unternehmen dahin zu verstehen, dass die vom Vorstand geschlossenen Derivatgeschäfte mit Risiken verbunden seien, die - wenn selbst FP sie nicht abschätzen kann - von niemandem abgeschätzt werden können, weil sie objektiv unabschätzbar sind.



            Unerheblich ist demgegenüber der Einwand der Beklagten, die Äußerungen seien nicht dahin zu verstehen, dass die Risiken der Derivatgeschäfte „unvertretbar" hoch wären (Bl. 1212). Zur Vertretbarkeit der Risiken enthalten die Äußerungen von FP zwar keine Aussage. Dies bedeutet aber nicht, dass ein objektiver Empfänger die Äußerungen als eine nicht ernst gemeinte Scherzerklärung verstehen musste. Hiergegen spricht gerade der von der Beklagten angeführte Kontext. Musste der Empfänger die Äußerungen als Teil eines „Ringens um die richtige Strategie" (Bl. 1211 f.), mithin als Kritik am Vorstand (Bl. 1214) im Zuge einer unternehmensinternen Auseinandersetzung verstehen, dann durfte er nicht annehmen, dass FP die Risiken der Derivatgeschäfte klar waren. Zwar musste er nicht davon ausgehen, dass nur FP nicht in der Lage gewesen sein soll, die Risiken abzuschätzen. Im Kontext einer Kritik am Vorstand und den ihn stützenden Aufsichtsratsmitgliedern erscheinen die Äußerungen aber als ein In-Frage-Stellen der unternehmerischen Richtigkeit der Derivatgeschäfte durch einen Hinweis auf die Unmöglichkeit der objektiven Abschätzung ihrer Risiken und damit letztlich der Risikobeherrschung.



(1.3)     Damit gefährdeten die Äußerungen aber objektiv die Kreditwürdigkeit der Beklagten.



            Wer als Aufsichtsratsmitglied den Eindruck erweckt, bedeutsame Geschäfte der Beklagten wie ihre Derivatgeschäfte auf V-Aktien (dazu oben bb) (1) (1.1)) seien mit objektiv unabschätzbaren Risiken verbunden, bestätigt nicht nur, dass innerhalb der Verwaltung Meinungsverschiedenheiten bestehen, worüber in der Presse im Frühjahr 2009 bereits berichtet wurde. Er drückt damit aus, die weitere Entwicklung der Beklagten sei mit objektiv unabschätzbaren Risiken behaftet. Dies stellt die Fähigkeit der Beklagten, künftig ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen, in Frage und gefährdet in der Folge die Kreditwürdigkeit des Unternehmens. Die Äußerungen konnten Dritte zur Ablehnung von Kreditwünschen der Beklagten bewegen oder aber veranlassen, Kredite nur um den Preis höherer Zinsen bzw. gegen zusätzliche Sicherheiten zu bewilligen. Unerheblich ist dabei, dass sich FP nicht in einer förmlichen Pressekonferenz, sondern nur in einem Gespräch mit Journalisten äußerte. Denn er musste davon ausgehen, dass diese über seine Äußerungen in den Medien berichten würden.



            Über Risiken der Derivatgeschäfte war zwar schon vor der „Sardinien-Pressekonferenz" in Presseberichten spekuliert worden (vgl. K4: Managermagazin 5/2009, S. 36: „P`s Put-Problem - Welche Risiken in H`s Optionsstrategie schlummern"). Die Äußerungen von FP, es sei ihm nicht gelungen, sich Klarheit über die Risiken der Derivatgeschäfte zu verschaffen, und er wisse nicht, wie hoch die Risiken sind, ergänzte aber die vorhandenen Spekulationen nicht lediglich um weitere Mutmaßungen. Angesichts seiner Stellung als Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten musste die Öffentlichkeit annehmen, dass FP - im Gegensatz zu den Urhebern der bisherigen Spekulationen - vom Vorstand der Beklagten über die Derivatgeschäfte informiert war. Wie FP wusste, kam seinen Äußerungen zu den Derivatgeschäften ein besonderes Gewicht zu; sie fanden sowohl in der Fachwelt als auch in der breiten Öffentlichkeit große Beachtung. Jedenfalls konnte FP nicht darauf vertrauen, seine Äußerungen würden in der Öffentlichkeit als „Scherz" empfunden werden oder gar ungehört bleiben.



            Besondere Umstände, die im Fall der Beklagten eine Gefährdung der Kreditwürdigkeit ausschlossen, sind weder dargelegt noch ersichtlich. Im Gegenteil: Die von der Klägerin vorgelegten Presseberichte zu den Reaktionen im engen zeitlichen Zusammenhang mit der „Sardinien-Pressekonferenz" belegen gerade, dass die „Sardinien-Äußerungen" in Bezug auf die Risiken der Derivatgeschäfte im Unternehmen und in der Öffentlichkeit als Gefahr für die Kreditwürdigkeit der Beklagten angesehen wurden. Spiegel-Online (K45) berichtete am 16.05.2009, der Aufsichtsratsvorsitzende und andere Stammaktionäre hätten FP vorgeworfen, die Beklagte durch seine „Sardinien-Äußerungen" „herunter geredet" zu haben. Bereits am 13.05.2009 hatte Spiegel-Online (K46) berichtet, der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzend trete den Äußerungen mit der Aussage „wir haben keine finanzielle Schieflage" entgegen. Die Süddeutsche Zeitung (K47) berichtete schließlich am 18.06.2009 unter ausdrücklicher Anknüpfung an die Äußerung von FP, er wisse nicht, wie hoch die Risiken sind, die „Sardinien-Äußerungen" könnten sich „im schlimmsten Fall auf die Kreditwürdigkeit" der Beklagten auswirken.



(2)        Stellten die Äußerungen von FP eine „pointierte Meinungsäußerung" gegenüber Journalisten dar, welche die Kreditwürdigkeit der Beklagten gefährdete, hat FP seine Pflichten als Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten eindeutig verletzt.


.]


(2.1)     In diesem Fall ist eine Verletzung der Treuepflicht festzustellen.



            Die Mitglieder des Aufsichtsrats unterliegen einer Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft (Habersack in Münchener Kommentar, 3. Aufl., § 116 Rz. 43; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 116 Rz. 8; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. § 116 Rz. 56; Hopt/Roth in Großkommentar, AktG, 4. Aufl., § 116 Rz. 173; Drygala in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 116 Rz. 20). Aus dieser Treuepflicht folgt für sie unter anderem das Verbot, ihr Amt bzw. den damit verbundenen Einfluss auszunutzen, um der Gesellschaft zugunsten eigener Interessen oder der Interessen Dritter einen Nachteil zuzufügen (Hopt/Roth in Großkommentar, AktG, 4. Aufl., § 116 Rz. 184; Habersack in Münchener Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 116 Rz. 47; Drygala in Schmidt/Lutter, 2. Aufl., § 116 Rz. 20; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 116 Rz. 60; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl., § 13 Rz. 1002; Mertens in Kölner Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 116 Rz. 30). Bereits eine Gefährdung der Interessen der Gesellschaft ist unzulässig (Hopt/Roth in Großkommentar, AktG, 4. Aufl., § 116 Rz. 179; Drygala in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl.. § 116 Rz. 20; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl., § 13 Rz. 1002).



            FP hat mit seiner „pointierten Meinungsäußerung" gegenüber Journalisten nicht nur aktiv die Kreditwürdigkeit des Unternehmens gefährdet, sondern dazu auch sein Amt als Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten genutzt. Seinen Äußerungen kam  - anders als den bereits veröffentlichten Spekulationen über die Risiken der Derivatgeschäfte - gerade aufgrund seiner Mitgliedschaft im Aufsichtsrat besonderes Gewicht und besondere Aufmerksamkeit zu (dazu oben (1) (1.3)).



(2.2)     Zu Unrecht verneint die Beklagte die für eine Entlastungsanfechtung nötige Eindeutigkeit einer Pflichtverletzung mit dem Hinweis (Bl. 1212 f., 185), FP habe bei seinen „Sardinien-Äußerungen" nur einer eingeschränkten, von der Rechtsprechung nicht genau umrissenen Treuepflicht unterlegen, weil er die Äußerungen außerhalb seines Amtes als Aufsichtsratsmitglied der Beklagten getätigt habe.



            Dies gilt schon deshalb, weil FP bei den fraglichen Äußerungen nicht außerhalb seines Amtes, sondern in seiner Funktion als Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten handelte. Unerheblich ist, dass FP seine „Sardinien-Äußerungen" nicht in einer förmlichen Pressekonferenz der Beklagten, sondern in einem formlosen Gespräch mit Journalisten in einem Hotel auf Sardinien am Rande einer Werbeveranstaltung von V tätigte (Bl. 1213). Entscheidend ist nicht, aus welchem Anlass und an welchem Ort sich FP äußerte, sondern in welcher Funktion (vgl. Habersack in Münchener Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 116 Rz. 46 und 47). Jedenfalls die hier zu beurteilenden Äußerungen tätigte FP bei einer funktionalen Betrachtung als Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten. Dies folgt schon aus dem Umstand, dass FP sich über die Beklagte äußerte, weil seine Äußerungen - im hier interessierenden Zusammenhang - die Beurteilung bedeutsamer Geschäfte der Beklagten betrafen, die er in seiner Funktion als Mitglied des Aufsichtsrats erfassen und beurteilen musste (dazu oben bb) (1) (1.2)). Hinzu kommt, dass die Wirkung der Äußerungen entscheidend auf der Mitgliedschaft von FP im Aufsichtsrat der Beklagten beruhte (dazu oben (1) (1.3)).



            Selbst wenn annehmen wollte, FP habe bei seinen „Sardinien-Äußerungen" außerhalb seines Amtes als Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten gehandelt, weil er sich nicht in einer Aufsichtsratssitzung äußerte (vgl. Hopt/Roth in Großkommentar, AktG, 4. Aufl., § 116 Rz. 178), hätte er mit seinen Äußerungen zu den Risiken der Derivatgeschäfte dennoch seine Treuepflichten gegenüber der Beklagten verletzt. Zu Unrecht beruft sich die Beklagte auf eine Literaturmeinung, nach der ein Aufsichtsratsmitglied außerhalb seines Amtes generell nicht daran gehindert sei, eigene Interessen zu verfolgen, selbst wenn der Gesellschaft dadurch Nachteile entstehen. Die zum Beleg dieser Auffassung angeführten Kommentarstellen (Bl. 1213) behandeln lediglich die - hier nicht einschlägige - Frage, ob Aufsichtsratsmitglieder Geschäftschancen der Gesellschaft für eigene oder fremde Interessen nutzen dürfen, was unter Hinweis auf den Nebenamtscharakter der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat im Vergleich zur Mitgliedschaft im Vorstand grundsätzlich bejaht wird (Habersack in Münchener Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 116 Rz. 48; Drygala in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 116 Rz. 22; Hopt/Roth in Großkommentar, AktG, 4. Aufl., § 116 Rz. 178). Dies stellt jedoch die Auffassung, dass ein Aufsichtsratsmitglied die Gesellschaft auch außerhalb seines Amtes nicht aktiv schädigen darf (BGH, DB 1980, 438 [juris Rz. 11 und 13] „Schaffgotsch"; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl., § 13 Rz. 1002; Mertens in Kölner Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 116 Rz. 30; Habersack in Münchener Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 116 Rz. 47), nicht in Frage.



            Die Eindeutigkeit der festgestellten Pflichtverletzung entfällt entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht, weil die Rechtsprechung die Einzelheiten der Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft bei Handlungen außerhalb ihres Amtes noch nicht im Einzelnen geklärt hätte (Bl. 1213). An der für eine Entlastungsanfechtung nötigen Eindeutigkeit der Pflichtverletzung fehlt es nur, wenn sich der Entlastete nicht über eine zweifelsfreie Rechtslage hinweggesetzt hat, sondern sein Verhalten nach maßgeblichen Stimmen in der Literatur zulässig war und die Rechtslage nicht obergerichtlich oder höchstrichterlich geklärt ist (OLG Stuttgart, AG 2011, 73 [juris Rz. 366]; OLG München, ZIP 2008, 1237 [juris Rz. 52 f.] bestätigt durch BGH, AG 2010, 79). Da die von der Beklagten angeführte Literatur die Zulässigkeit des Verhaltens von FP hier nicht zu belegen vermag, kann die Frage, ob die Rechtslage durch die Rechtsprechung ausreichend geklärt ist, offen bleiben.



(2.3)     Die Äußerungen von FP sind nicht wegen der Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt.



            Dabei kann dahinstehen, ob FP mit seinen Äußerungen eigene Interessen als Großaktionär oder fremde Interessen von V verfolgte. Nicht zu entscheiden ist hier außerdem, ob ein Mitglied des Aufsichtsrats im Allgemeinen berechtigt ist, sich öffentlich zu äußern. FP kann jedenfalls kein Recht für sich in Anspruch nehmen, zur Förderung eigener oder fremder Interessen im Rahmen eines unternehmensinternen Konflikts durch öffentliche Äußerungen den Eindruck zu erwecken, die Derivatgeschäfte der Beklagten auf V-Aktien seien mit objektiv unabschätzbaren Risiken behaftet, obwohl er damit ihre Kreditwürdigkeit gefährdet.



            Die Verfolgung eigener bzw. fremder Interessen durch Aufsichtsratsmitglieder darf die Interessen der Gesellschaft im Allgemeinen nicht stärker beeinträchtigen als dies unvermeidlich ist (vgl. Mertens in Kölner Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 116 Rz. 29). Dies gilt auch für öffentliche Äußerungen (Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl., § 14 Rz. 564) und zwar selbst, dann, wenn der Gang an die Öffentlichkeit dem Schutz der Gesellschaft dienen soll (Habersack in Münchener Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 116 Rz. 33 „ultima ratio"; Mertens in Kölner Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 116 Rz. 17; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 116 Rz. 96). Weder dargelegt noch ersichtlich ist, dass die hier in Frage stehenden Äußerungen und insbesondere die mit ihnen verbundene Gefährdung der Kreditwürdigkeit der Beklagten zur Förderung der von FP verfolgten Interessen erforderlich waren und kein milderes Mittel zur Verfügung stand.



            Selbst wenn man annimmt, FP habe entsprechend dem Vortrag der Beklagten im Rahmen eines „sich zuspitzenden Ringens um die richtige Strategie von P und V zur Bildung eines integrierten Automobilkonzerns" (Bl. 1211 f.) gehandelt, durfte er sich jedenfalls nicht durch die Kreditwürdigkeit der Beklagten gefährdende Äußerungen an die Öffentlichkeit wenden. Nach der gesetzlichen Regelung sind Konflikte innerhalb des Aufsichtsrates bzw. Konflikte zwischen Vorstand und Aufsichtsrat innerhalb des Unternehmens auszutragen (Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl., § 14 Rz. 392 f.). Dies folgt daraus, dass die Geschäftsführung bzw. Vertretung der Gesellschaft dem Vorstand obliegt und der Aufsichtsrat grundsätzlich nur als „Binnenorgan" ausgestaltet ist (vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl., § 14 Rz. 401; Mertens in Kölner Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 116 Rz. 47; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 116 Rz. 82). Einzelne Aufsichtsratsmitglieder können allenfalls versuchen, ihre Meinung innerhalb des Gesamtorgans durchzusetzen (vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl., § 14 Rz. 402 zum Streit über die Auswechslung des Vorstands). Die Mobilisierung Außenstehender durch öffentliche Äußerungen ist einem einzelnen Aufsichtsratsmitglied dagegen - abgesehen von notstandsähnlichen Extremfällen, deren Voraussetzungen hier weder dargetan noch ersichtlich sind - nicht gestattet (Mertens in Kölner Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 116 Rz. 47; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl., § 14 Rz. 403; Volhard, GRUR 1980, 496, 497).



            Ohne Erfolg verweist die Beklagte demgegenüber auf eine aus ihrer Sicht übliche Praxis der öffentlichen Kritik von Großaktionären gegenüber dem Vorstand (Bl. 1214). Die Eindeutigkeit der Pflichtverletzung wird dadurch nicht in Frage gestellt. Dahinstehen kann, ob und in welchem Umfang die von der Beklagten behauptete Praxis tatsächlich existiert. Es ist jedenfalls weder dargetan noch ersichtlich, dass in den von der Beklagten pauschal angesprochenen Fällen die öffentlichen Äußerungen von Aktionären oder Aktionärsvertretern stammten, die als Mitglieder des Aufsichtsrats besonderen Treuepflichten unterlagen, und dass dort durch öffentliche Äußerungen die Kreditwürdigkeit der Gesellschaft in vergleichbarer Weise gefährdet wurde wie durch die hier zu beurteilenden Äußerungen von FP. Im Übrigen lässt die Existenz einer bestimmten Praxis allein noch nicht auf deren Rechtmäßigkeit schließen.



(3)        Hat FP durch öffentliche Äußerung im Rahmen eines unternehmensinternen Konflikts die Kreditwürdigkeit der Beklagten gefährdet, wiegt diese Pflichtverletzung mindestens ebenso schwer wie ein persönlicher Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehler in Bezug auf die Derivatgeschäfte der Beklagten.



            Dahinstehen kann in diesem Zusammenhang, ob der Beklagten durch diese Pflichtverletzung tatsächlich ein identifizierbarer Schaden entstanden ist. Unerheblich ist deshalb, ob zwischen dem Einbruch des Börsenkurses der Beklagten Mitte Mai 2009 und den „Sardinien-Äußerungen" ein Ursachenzusammenhang besteht (Bl. 46, 147), dass dieser Kurseinbruch nur vorübergehend war (Bl. 662, K44) und ob die Beklagte überhaupt durch einen solchen Kurseinbruch geschädigt wäre. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Kreditversorgung der Beklagten tatsächlich beeinträchtigt wurde.



            Zwar hat das Landgericht im Rahmen seiner nicht entscheidungserheblichen Überlegungen (Bl. 662 f.) zur Schwere der von FP durch die „Sardinien-Äußerungen" begangenen Pflichtverletzung die theoretische Möglichkeit angesprochen, dass die Pflichtwidrigkeit der „Sardinien-Äußerungen" zwischen Mai 2009 und Januar 2010 durch weitere Entwicklungen, namentlich durch das Zustandekommen der Grundlagenvereinbarung im August 2009, überlagert worden sein könnte (Bl. 1216, 662). Dies ist aber jedenfalls für die hier zu beurteilenden Äußerungen zu verneinen. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass FP seine Pflichtverletzung durch ein Mitwirken am Zustandekommen der Grundlagenvereinbarung ausgeglichen hätte. Zum anderen stellt die Inkaufnahme einer Gefährdung der Kreditwürdigkeit der Gesellschaft durch das Austragen unternehmensinterner Konflikte in der Öffentlichkeit eine so erhebliche Pflichtverletzung dar, dass das Verhalten von FP im Entlastungszeitraum insgesamt nicht mehr als im Großen und Ganzen gesetzes- und satzungskonform anerkannt werden kann (vgl. dazu Hoffmann in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 49).



dd)       Der Umstand, dass die Äußerungen von FP aus der Sicht eines objektiven Empfängers zum einen als Eingeständnis eines persönlichen Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehler (dazu oben bb)), bei Berücksichtigung ihres Kontextes aber zum anderen auch als eine Treuepflichtverletzung (dazu oben cc)) interpretiert werden können, hindert die Feststellung der nötigen Eindeutigkeit einer Pflichtverletzung nicht, weil in beiden Fällen jedenfalls eine die Entlastung hindernde Pflichtverletzung festzustellen ist.



(1)        Die Interpretationsfähigkeit der Äußerungen ließe die Eindeutigkeit einer Pflichtverletzung nur entfallen, wenn eine dritte Variante in Betracht käme, nach der eine Pflichtverletzung von FP ausscheidet. Dies ist indes weder dargelegt noch ersichtlich. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang insbesondere der Einwand der Beklagten (Bl. 141, 1024 ff.), der Aufsichtsrat sei ausreichend mit Informationen über die Derivatgeschäfte der Beklagten versorgt worden. Dies schließt weder einen persönlichen Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehler von FP wegen Unterlassens der gebotenen eigenständigen Risikoabschätzung (dazu oben bb) (2) (2.2)) noch eine Treuepflichtverletzung wegen öffentlicher Äußerungen (dazu oben cc) (1) (1.2)) aus.



(2)        Der unterschiedliche Umgang mit den Äußerungen von FP durch Aktionäre in der Hauptversammlung am 29.01.2010 bzw. durch das Landgericht hindert die Feststellung der für die Entlastungsanfechtung nötigen Eindeutigkeit ebenfalls nicht.



(2.1)     Die Eindeutigkeit der Pflichtverletzung entfällt nicht schon dann, wenn einzelne Aktionäre ein Verhalten im Rahmen ihrer rechtlichen Bewertung unterschiedlich beurteilen, sondern nur, wenn dieses Verhalten nach maßgeblichen Stimmen in der Literatur zulässig und die Rechtslage nicht durch die Gerichte geklärt ist (dazu oben a) bb) (3)). Im Übrigen widersprechen die von der Beklagten vorgetragenen Redebeiträge der Aktionäre bzw. Aktionärsvertreter Dr. W., S und Wa in der Hauptversammlung am 29.01.2010 (Bl. 1201 ff.) den hier getroffenen Feststellungen nicht. In den Redebeiträgen spiegelt sich lediglich die hier festgestellte Interpretationsfähigkeit der Äußerungen wider.



            Der Vertreter der Klägerin deutete die Äußerungen zwar als Indiz für eine unzureichende Versorgung des Aufsichtsrats mit Informationen über die Derivatgeschäfte durch den Vorstand (Bl. 1202, 1167). Dies schließt eine Pflichtverletzung von FP aber nicht aus (dazu oben (1)).



            Der Aktionär S nahm demgegenüber eine andere Perspektive ein, indem er fragte, ob der Aufsichtsrat Art und Ausmaß der Risiken der Derivatgeschäfte gekannt habe (Bl. 1202, B130). Diese offene Frage zielte in Richtung eines möglichen Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehlers aller Aufsichtsratsmitglieder, als dessen Eingeständnis die Äußerungen jedenfalls in Bezug auf FP persönlich gewertet werden können (dazu oben bb)).



            Der Aktionärsvertreter Wa beschränkte sich zwar auf das Verhalten von FP und rügte nur, dass dieser trotz bei ihm bestehender „Interessenkonflikte" ein „Interview" gegeben habe (Bl. 1202, 890). Damit interpretierte er die Äußerungen aber letztlich als durch die Verfolgung eigener oder fremder Interessen in einem unternehmensinternen Konflikt motivierte öffentliche Äußerungen (dazu oben cc)), die er ausdrücklich als ein mögliches Hindernis für die Entlastung von FP, also als eine Pflichtverletzung identifizierte.



(2.2)     Die Eindeutigkeit einer schwerwiegenden Pflichtverletzung entfällt schließlich nicht, weil das Landgericht die „Sardinien-Äußerungen" unter dem Aspekt eines Verstoßes gegen Artikel 49 SE-VO, mithin einer Verschwiegenheitspflichtverletzung geprüft hat (Bl. 1203, 659 ff.). Zum einen hat das Landgericht die Feststellung einer bestimmten Pflichtverletzung durch die „Sardinien-Äußerungen" insgesamt zu Recht offen gelassen, weil es auf der Grundlage des Vortrags im ersten Rechtszug jedenfalls an der Erkennbarkeit konkreter Äußerungen für den objektiven Durchschnittsaktionär in der Hauptversammlung fehlte (Bl. 662 f., dazu unten 2. b)). Zum anderen schließt die Verwirklichung des weit gefassten, grundsätzlich jede Weiterleitung von Informationen über die Gesellschaft umfassenden Tatbestands die Feststellung einer Treuepflichtverletzung durch öffentliche Äußerungen, die die Kreditwürdigkeit der Beklagten gefährden, ebenso wenig aus wie die Feststellung eines persönlichen Erfassungs- und Beurteilungsfehlers.



2.         Die eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzung des Aufsichtsratsmitglieds FP war für einen objektiven Durchschnittsaktionär in der Hauptversammlung am 29.01.2010 hinreichend erkennbar.



a)         Zu Recht hat das Landgericht den Erfolg der Anfechtung davon abhängig gemacht, dass die Hauptversammlung einen Rechtsverstoß erkennen konnte (Bl. 614).



aa)       Die Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses setzt voraus, dass der Rechtsverstoß für einen objektiven Durchschnittsaktionär in der Hauptversammlung auf der Grundlage der ihm vorliegenden Informationen erkennbar war (OLG Stuttgart, AG 2011, 93 [juris Rz. 370]; OLG Köln, NZG 2009, 1110 [juris Rz. 22]; OLG Frankfurt, ZIP 2007, 26 [juris Rz. 17 f.]; Reger in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 5; Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 49; Spindler in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 33; Volhard/Weber, NZG 2003, 351, 352; Lorenz, NZG 2009, 1138, 1139; Blasche, EWiR 2010, 105; Litzenberger, NZG 2010, 865, 855 f.; Decher in Festschrift Hopt, 2010, 499, 509).



bb)       Dies folgt aus dem rechtlichen Hintergrund der Entlastungsanfechtung.



(1)        Ist der Entlastungsbeschluss der Hauptversammlung anfechtbar, wenn Gegenstand der Entlastung ein Verhalten ist, das eindeutig einen schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstellt, weil die Anfechtbarkeit hier unter dem Aspekt der Treuepflicht der Mehrheit gegenüber der Minderheit geboten scheint (dazu oben 1. a) bb) (1)), kann die Anfechtbarkeit nicht auf Rechtsverstöße gestützt werden, die für einen objektiven Durchschnittsaktionär in der Hauptversammlung nicht erkennbar waren, da das Verfahren ansonsten entgegen seiner eigentlichen Funktion (dazu oben 1. a) aa) (1)) in eine unmittelbare Kontrolle des Handelns der Verwaltung verwandelt würde (OLG Köln, NZG 2009, 1110 [juris Rz. 22]; im Ergebnis ebenso OLG Stuttgart, AG 2011, 93 [juris Rz. 374]).



(2)        Für die Erheblichkeit der Erkenntnismöglichkeiten der Hauptversammlungsteilnehmer spricht auch, dass der Erklärungsinhalt der Entlastungserteilung Vorgänge grundsätzlich nicht umfasst, zu denen erst nach der Beschlussfassung Umstände bekannt werden, welche die Entlastung hindern (BGH, NJW 1959, 192, 194 [zum Recht der GmbH]; OLG Frankfurt, ZIP 2007, 26 [juris Rz. 18]; OLG Frankfurt, AG 2007, 401 [juris Rz. 26]; Reger in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 11; Semler in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, AG, 3. Aufl., § 34 Rz. 28; Litzenberger, NZG 2010, 854, 856). Soweit die Literatur die Entlastungswirkung unabhängig vom Kenntnisstand der Hauptversammlung eintreten lässt, zieht sie beim nachträglichen Bekanntwerden von Umständen, welche die Entlastung hinderten, jedenfalls einen Widerruf der erteilten Entlastung in Betracht (Spindler in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 40; Hoffmann in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 7; Kubis in Münchener Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 20; Mülbert in Großkommentar, AktG, 4. Aufl., § 120 Rz. 84).



cc)       Gegen die Erheblichkeit der Erkenntnismöglichkeiten des objektiven Durchschnittsaktionärs in der die Entlastung erteilenden Hauptversammlung lässt sich nicht einwenden, die Verwaltung könne sich die Billigung von Rechtsverstößen erschleichen, indem sie der Hauptversammlung Informationen dazu vorenthält. War dem objektiven Durchschnittsaktionär ein Rechtsverstoß aufgrund einer Informationspflichtverletzung der Verwaltung nicht erkennbar, ist der Entlastungsbeschluss gegebenenfalls aus diesem Grund anfechtbar (OLG Stuttgart, AG 2011, 93 [juris Rz. 374]; OLG Frankfurt, ZIP 2007, 26 [juris Rz. 21 f.]; Hoffmann in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 49). Eine Informationspflichtverletzung ist aber nicht schon dann anzunehmen, wenn der Hauptversammlung ein Umstand, der die Verweigerung der Entlastung gerechtfertigt hätte, von der Verwaltung nicht mitgeteilt wurde (vgl. OLG Frankfurt, ZIP 2007, 26 [juris Rz. 21 f.]). Andernfalls ließe sich im Rahmen der Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen stets argumentieren, dass die Hauptversammlung jedenfalls von der Verwaltung nicht über einen Rechtsverstoß aufgeklärt worden sei. Entgegen der Auffassung der Klägerin (Bl. 49) obliegt es der Verwaltung nicht, sämtliche für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ihres Handelns im Entlastungszeitraum irgendwie erheblichen Informationen ungefragt zur Verfügung zu stellen. Informationspflichten, deren Verletzung die Anfechtbarkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses nach sich ziehen kann, ergeben sich entweder aus dem Auskunftsrecht des Aktionärs in der Hauptversammlung nach § 131 AktG oder aus den im Einzelnen gesetzlich geregelten Berichts- und Vorlagepflichten der Verwaltung (vgl. dazu die Übersicht bei Würthwein in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 243 Rz. 130).



b)         Nicht zu beanstanden ist, dass das Landgericht die Anfechtbarkeit der Entlastung unter dem Aspekt der „Sardinien-Äußerungen" von FP auf der Grundlage des von ihm zu beurteilenden Sachverhalts mangels Erkennbarkeit der konkreten Äußerungen für die Teilnehmer der Hauptversammlung verneint hat (Bl. 662 f.).



aa)       Soll aus einer Äußerung auf eine Pflichtverletzung geschlossen werden, muss ihr konkreter Inhalt zumindest sinngemäß erkennbar sein.



(1)        Über die „Sardinien-Pressekonferenz" wurde zwar nach dem 11.05.2009 in den Medien umfassend berichtet, so dass der Umstand, dass sich FP gegenüber Journalisten geäußert hatte, für einen objektiven Durchschnittsaktionär am 29.01.2010 aufgrund der allgemeinen Medienberichterstattung erkennbar war.



(2)        Die Berichte wiesen aber unterschiedliche Akzentuierungen und Schwerpunktsetzungen auf, weshalb vom objektiven Durchschnittsaktionär nicht erwartet werden konnte, dass er im Zuge der Verfolgung der allgemeinen Medienberichterstattung den konkreten Inhalt bestimmter Äußerungen zur Kenntnis genommen hatte.



(2.1)     Dies hat das Landgericht zutreffend anhand einer Auswertung der von der Klägerin vorgelegten Presseberichte festgestellt (Bl. 663). Der Artikel der Welt online vom 13.05.2009 (K43) berichtet beispielsweise über Äußerungen von FP in Bezug auf die Entscheidung der Beklagten, ihre Beteiligung an V auf 75% zu erhöhen, oder den Zinsanstieg ab Oktober 2008; zu Risiken der Derivatgeschäfte enthält der Artikel indes nur die Bemerkung „wie hoch die P-Risiken sind, weiß [FP] angeblich nicht". Der Artikel im Handelsblatt online vom 12.05.2009 (K21) berichtet zwar umfassend über Äußerungen betreffend Risiken der Derivatgeschäfte einschließlich der Bemerkung „Details wisse er auch nicht" und Äußerungen betreffend die Niederlegung des Amts von FP im Präsidialausschuss des Aufsichtsrats; Äußerungen zum Zinsanstieg 2008 oder zum Zeitpunkt einer Übernahmeabsicht enthält dieser Artikel dagegen nicht. Deshalb kann nicht angenommen werden, dass sämtliche Berichte in der Presse oder in anderen Medien die Äußerungen von FP, es sei ihm nicht gelungen, sich Klarheit über die Risiken der Derivatgeschäfte zu verschaffen, bzw. er wisse nicht, wie hoch die Risiken sind, ausdrücklich oder zumindest sinngemäß wiedergaben.



(2.2)     Da nicht unterstellt werden kann, dass ein objektiver Durchschnittsaktionär regelmäßig bestimmte Zeitungen und Zeitschriften oder andere Medien konsultiert, lässt sich vor diesem Hintergrund nicht feststellen, dass ihm konkreten Äußerungen, aus denen hier eine die Entlastung hindernde Pflichtverletzung von FP abzuleiten ist, in der Hauptversammlung am 29.01.2010 erkennbar waren.



bb)       Dass die fraglichen Äußerungen für die Teilnehmer der Hauptversammlung am 29.01.2010 durch Redebeiträge von Aktionären erkennbar gemacht wurden, wurde im ersten Rechtszug nicht vorgetragen.



(1)        Die Klägerin stützte sich im ersten Rechtszug zwar auf bestimmte Presseartikel, behauptete aber nicht, dass diese Gegenstand der Debatte in der Hauptversammlung gewesen seien.



(2)        Die Beklagte hatte lediglich zum Beleg eines von ihr behaupteten Missbrauchs des Fragerechts unter B51 die Kopie eines Fragenkatalogs vorgelegt und erläutert, diesen Katalog habe der Vertreter der Klägerin mit handschriftlichen Anmerkungen sowie der Erklärung, es handele sich um von ihm gestellte, nicht ordnungsgemäß beantwortete Fragen, zur Niederschrift des Notars gereicht (Bl. 149, B51). Zwar enthielt die dort mit der Nummer 41 bezeichnete Frage einleitend die Erklärung, FP habe gegenüber Journalisten geäußert, ihm sei es selbst als Aufsichtsrat der Beklagten nicht gelungen, Klarheit über die Folgen der Optionsgeschäfte zu gewinnen, und er wisse nicht, wie hoch die Risiken sind. Die Beklagte hat durch die Vorlage des Fragenkatalogs aber nicht zugestanden, dass die dort formulierten Fragen tatsächlich mit diesem Inhalt in der Hauptversammlung gestellt wurden.



(3)           Die Klägerin konnte sich auch nicht darauf berufen, die Erkennbarkeit der konkreten Äußerungen für den objektiven Durchschnittsaktionär in der Hauptversammlung habe zu ihren Gunsten unterstellt werden müssen, weil die Beklagte (Bl. 550 f.) sie erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug bestritten habe (Bl. 879 f.). Die Darlegungslast für die Frage der Erkennbarkeit eines Rechtsverstoßes liegt nicht bei der Beklagten, sondern bei der Klägerin.



c)         Angesichts des ergänzenden Vortrags der Klägerin im zweiten Rechtszug ist jedoch festzustellen, dass dem objektiven Durchschnittsaktionär in der Hauptversammlung am 29.01.2010 eine eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzung von FP hinreichend erkennbar war.



aa)       Die Klägerin hat ihren Vortrag zur Einführung der „Sardinien-Äußerungen" in die Hauptversammlung in der Berufungsbegründung sowie in einem im Termin am 14.12.2011 nachgelassenen Schriftsatz ergänzt.



(1)           Sie hat zunächst vorgetragen, dass der Aktionär S im Rahmen seines Redebeitrags zu TOP4 Äußerungen von FP wie folgt in die Debatte eingeführt habe (Bl. 889 [kursive Hervorhebungen wurden ergänzt]):



„... Aber so einfach war es mit der Kontrolle  wohl nicht; denn ein wichtiges wir alle wissen: das entscheidende Aufsichtsratsmitglied, nämlich Herr Dr. FP, hat am 11. Mai 2009  wörtlich, meine Damen und Herren da war er nicht alleine gesagt: „Ich weiß nicht, wie hoch diese Risiken sind." Ihm sei es als P-Aufsichtsrat nicht gelungen, sich Klarheit über die Risiken aus den Optionsgeschäften zu verschaffen, und das, obwohl laut letztem Geschäftsbericht der schon erwähnte Bericht, der Prüfungsgesellschaft KPMG davor im März/April 2009 sagte, sie hätten das umfassend geprüft und dem Aufsichtsrat auch den Bericht erstattet. Aber irgendwie hat es nicht gereicht. Man konnte es wohl nicht erkennen oder nicht verstehen, sagt Herr FP..."



(2)        Ergänzend hat sie behauptet, dass ihr Vertreter in der Hauptversammlung die zur notariellen Niederschrift gereichte Frage Nummer 41 in folgender, von dem zur Niederschrift gereichten Manuskript nur geringfügig sprachlich abweichender Fassung tatsächlich gestellt habe (Bl. 1160, 1167 [kursive Hervorhebungen wurden ergänzt]):



„Die Financial Times Deutschland schrieb am 13. Mai 2009 über FP zu dessen Sardinien Aussagen: „Ihm sei es selbst als P Aufsichtsrat nicht gelungen, Klarheit über die Folgen der Optionsgeschäfte zu gewinnen. ‚Ich weiß nicht, wie hoch die Risiken sind‘". Das Handelsblatt berichtet in der Online-Ausgabe zu den Hintergründen des Ausscheidens FPs aus dem Präsidialausschuss des Aufsichtsrats: „‘Ich habe mein Amt niedergelegt, weil ich wesentliche Informationen nicht bekommen habe‘, sagt FP auf Nachfrage dem Handelsblatt. ‚Das habe ich verlangt‘. Die bewussten Informationen sind alles andere als Peanuts. Es geht um die Risiken aus P`s Optionen mit V-Stammaktien."



(3)        Dieser Vortrag ist trotz der von der Beklagten pauschal erhobenen Verspätungsrüge (Bl. 1150) im Berufungsverfahren zu berücksichtigen, weil er unstreitig ist (vgl. BGHZ 161, 138 [juris Rz. 14]; Heßler in Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 531 Rz. 20). Der Redebeitrag des Aktionärs S gilt als zugestanden, weil er nicht bestritten wurde (§ 138 Abs. 3 ZPO). Er und der Redebeitrag des Vertreters der Klägerin wurden von der Beklagten zudem unstreitig gestellt (Bl. 1196).



bb)       Zu Unrecht meint die Beklagte, die sinngemäße Einführung der konkreten Äußerungen von FP, es sei ihm nicht gelungen, sich Klarheit über die Risiken der Derivatgeschäfte zu verschaffen, und er wisse nicht, wie hoch die Risiken seien, genüge nicht, um eine die Entlastung hindernde Pflichtverletzung durch ihn für den objektiven Durchschnittsaktionär in der Hauptversammlung am 29.01.2010 erkennbar zu machen. Es bedarf hier keiner abschließenden Klärung, welche Informationen den Hauptversammlungsteilnehmern im Allgemeinen vorliegen müssen, um die Erkennbarkeit einer die Entlastung hindernden Pflichtverletzung zu bejahen; in diesem Fall genügten jedenfalls die Redebeiträge des Aktionärs S und des Vertreters der Klägerin.



(1)        Ausreichend ist die Darlegung der tatsächlichen Umstände, die eine Pflichtverletzung begründen, durch den Redebeitrag eines Aktionärs in der Hauptversammlung jedenfalls dann, wenn es sich um einen unstreitigen Sachverhalt handelt.



(1.1)     Um eine die Entlastung hindernde Pflichtverletzung für den objektiven Durchschnittsaktionär in der Hauptversammlung erkennbar zu machen, ist sie ihm grundsätzlich vor der Beschlussfassung vor Augen zu führen.



                        Werden tatsächliche Umstände, aus denen die Pflichtverletzung folgt, oder Hilfstatsachen, aus denen auf solche Umstände zu schließen ist, dagegen erst nach der Hauptversammlung aufgedeckt, ist ihre Erkennbarkeit für den objektiven Durchschnittsaktionär ausgeschlossen (vgl. oben a) bb) (2)).



            Ein Vor-Augen-führen kann zwar entbehrlich sein, wenn die maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Zeitpunkt der Hauptversammlung bereits als bei einem objektiven Durchschnittsaktionär bekannt vorausgesetzt werden können. Dies galt am 29.01.2010 aber nur für die „Sardinien-Pressekonferenz" als solche, nicht jedoch für die konkreten Äußerungen von FP, die für die Feststellung einer Pflichtverletzung entscheidend sind (dazu oben b) aa)).




            Ausreichend ist indes, dass spätestens in der Hauptversammlung dem objektiven Durchschnittsaktionär sämtliche tatsächlichen Umstände vor Augen geführt werden, aus denen die Pflichtverletzung folgt (vgl. OLG Köln, NZG 2009, 1110 [juris Rz. 29] mit zutreffendem Verweis auf BGHZ 180, 9 [juris Rz. 28]). Ungenügend ist allerdings in der Regel das bloße Aufstellen einer Rechtsbehauptung, insbesondere wenn die Bewertung eines bestimmten Verhaltens als Pflichtverletzung von komplexen tatsächlichen Umständen abhängt (vgl. OLG Köln, NZG 2009, 1110 [juris Rz. 27]: für die Ermittlung des Marktwertes einer Unternehmensbeteiligung maßgebliche tatsächliche Verhältnisse).



(1.2)     Zu Unrecht meint die Beklagte, die Pflichtverletzung müsse nach dem Kenntnisstand der Hauptversammlung „zweifelsfrei" bzw. „eindeutig" erkennbar gewesen sein (Bl. 1195).



            Das damit angesprochene Erfordernis der Eindeutigkeit ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf die Feststellung der tatsächlichen Umstände, aus denen eine Pflichtverletzung abzuleiten ist, sondern nur auf die rechtliche Bewertung dieser Umstände zu beziehen. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Anfechtbar ist ein Entlastungsbeschluss danach, wenn Gegenstand der Entlastung ein tatsächliches Verhalten ist, das eindeutig einen schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstellt (BGHZ 153, 47 [juris Rz. 15] „Macrotron"). Das Adjektiv „eindeutig" bezieht sich dabei nur auf die Feststellung des Rechtsverstoßes, nicht auf die Feststellung des tatsächlichen Verhaltens.



            In Bezug auf die tatsächlichen Umstände genügt die bloße Erkennbarkeit, also die Möglichkeit der Kenntnisnahme (Spindler in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 33; Decher in FS Hopt, 2010, 499, 509; OLG Köln, NZG 2009, 1110 [juris Rz. 22]). Aus Literaturstimmen, die umgekehrt die Anfechtbarkeit der Entlastung jedenfalls bei fehlender Kenntnis der Hauptversammlung ausschließen, folgt nichts Anderes (Reger in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 5; Volhard/Weber, NZG 2003, 351, 352). Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass nach zutreffender Ansicht die Anfechtung eines Entlastungsbeschlusses nicht auf Umstände gestützt werden kann, die erst im Anfechtungsprozess aufgeklärt werden (OLG Köln, NZG 2009, 1110 [juris Rz. 27]; vgl. auch Hoffman in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 49, der insoweit von „eindeutig" erkennbar spricht). Dies bedeutet nicht, dass die tatsächlichen Umstände, aus denen auf eine Pflichtverletzung geschlossen wird, bereits in der Hauptversammlung zweifelsfrei erwiesen sein müssten, sondern nur, dass im Anfechtungsprozess nicht aus solchen Umständen auf eine die Entlastung hindernde Pflichtverletzung geschlossen werden kann, die im Zeitpunkt der Hauptversammlung weder allgemein bekannt waren noch in der Hauptversammlung vor Augen geführt, sondern erst im Anfechtungsprozess aufgedeckt wurden.



            Hinsichtlich der rechtlichen Bewertung der tatsächlichen Umstände - wozu grundsätzlich auch die Auslegung von Erklärungen aus der Sicht eines objektiven Empfängers zählt - ist zwar das Eindeutigkeitserfordernis zu beachten. Dies gebietet aber nicht in dem Sinne eine Berücksichtigung der Perspektive des objektiven Durchschnittsaktionärs in der Hauptversammlung, dass eine Parallelbewertung des Sachverhalts aus der Sicht eines juristischen Laien durchzuführen wäre. Maßgeblich ist vielmehr die rechtliche Bewertung des Gerichts im Anfechtungsprozess. Die Perspektive der Hauptversammlungsteilnehmer spielt nur insoweit eine Rolle, als ein tatsächliches Verhalten, das nach maßgeblichen Stimmen in der Literatur rechtmäßig ist, selbst dann die Entlastungsanfechtung nicht trägt, wenn das Gericht diese Auffassung zwar nicht teilt, die Rechtslage aber nicht obergerichtlich oder höchstrichterlich geklärt ist (dazu oben 1. a) bb) (3)). In diesem Sinne steht hier die Eindeutigkeit jedoch außer Frage. Zweifelhaft erscheint allenfalls, ob die Äußerungen von FP als Eingeständnis eines persönlichen Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehlers oder als Treuepflichtverletzung durch eine die Kreditwürdigkeit der Beklagten gefährdende öffentliche „pointierte Meinungsäußerung" in Rahmen eines unternehmensinternen Konflikts zu werten sind. Dies hindert die Eindeutigkeit nicht, weil in jedem Fall eindeutig eine schwerwiegende Pflichtverletzung festzustellen ist (dazu oben 1. b) dd)).



(1.3)     Die eine Pflichtverletzung begründenden tatsächlichen Umstände können jedenfalls dann nicht nur durch Informationen der Verwaltung, sondern auch durch Redebeiträge von Aktionären in der Hauptversammlung vor Augen geführt werden, wenn sie aus der Sicht eines objektiven Durchschnittsaktionärs unstreitig sind.



            Wird der Hauptversammlung ein unstreitiger Sachverhalt unterbreitet, aus dem unmittelbar und ohne weitere Informationen auf eine Pflichtverletzung zu schließen ist, liegen nicht nur Verdachtsmomente oder Indizien vor. In diesem Fall ist nicht ersichtlich, welche Zweifel ein objektiver Durchschnittsaktionär in der Hauptversammlung in tatsächlicher Hinsicht hegen sollte. Das Verhalten, aus dem eine Pflichtverletzung abzuleiten ist, ist in diesem Fall entsprechend der Forderung der Beklagten (Bl. 1195, 1197) „in tatsächlicher Hinsicht zweifelsfrei" (Bl. 1195) bzw. „in tatsächlicher Hinsicht eindeutig" (vgl. Decher in Festschrift Hopt, 2010, 499, 508). Was nicht bestritten oder anderweitig zweifelhaft ist, muss in der Hauptversammlung nicht - etwa durch Ausübung des Auskunftsrechts der Aktionäre nach § 131 AktG (dazu Decher in Festschrift Hopt, 2010, 499, 509) - in tatsächlicher Hinsicht aufgeklärt werden.



            Von der Frage der Erkennbarkeit tatsächlicher Umstände aus der Sicht des objektiven Durchschnittsaktionärs in der Hauptversammlung zu unterscheiden ist die Frage, ob im Anfechtungsprozess eine Pflichtverletzung in tatsächlicher Hinsicht festgestellt werden kann. Stellen Aktionäre in ihren Redebeiträgen in der Hauptversammlung wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen auf, wird eine wirksame Entlastungserteilung durch die Hauptversammlungsmehrheit deshalb nicht unmöglich. Bestreitet die Gesellschaft diese Tatsachenbehauptungen im Anfechtungsprozess, muss der Aktionär, der die Entlastungserteilung angefochten hat, sie nach prozessualen Regeln darlegen und beweisen (OLG Stuttgart, AG 2009, 124 [juris Rz. 81]; Würthwein in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 243 Rz. 264).



            Ohne Erfolg wendet die Beklagte in diesem Zusammenhang ein (Bl. 1196, 1198), die zivilprozessualen Folgen des Bestreitens bzw. Nichtbestreitens von gegnerischem Vortrag dürften nicht auf die Redebeiträge von Aktionären in der Hauptversammlung angewendet werden. Die hinreichende Erkennbarkeit unstreitiger tatsächlicher Umstände beruht nicht auf einer unmittelbaren oder entsprechenden Anwendung des § 138 Abs. 3 ZPO; die Verwaltung muss sich zu tatsächlichen Behauptungen in Redebeiträgen der Aktionäre nicht erklären, soweit nicht Auskünfte im Sinne von § 131 AktG begehrt werden. Die Frage, ob ein in die Hauptversammlung eingeführter Sachverhalt streitig oder unstreitig ist, beurteilt sich anders als im Anfechtungsprozess nicht formal anhand eines Vergleichs von Rede und Gegenrede in der Hauptversammlung, sondern aus der - von der Beklagten selbst für maßgeblich erachteten (Bl. 1195) - Perspektive eines objektiven Durchschnittsaktionärs. Die im Redebeitrag eines Aktionärs aufgestellte Tatsachenbehauptung kann danach unabhängig davon unstreitig sein, ob die Verwaltung ihr in der Hauptversammlung entgegen tritt, wenn sie schon vor der Hauptversammlung aufgeklärt wurde. Umgekehrt sind Fälle denkbar, in denen ein objektiver Durchschnittsaktionär die im Redebeitrag eines Aktionärs aufgestellte Tatsachenbehauptung nicht als unstreitig ansehen kann, obwohl die Verwaltung ihr nicht ausdrücklich widerspricht, insbesondere wenn sie mit anderen von der Verwaltung erteilten Informationen unvereinbar ist oder wenn es sich erkennbar um Mutmaßungen, Spekulationen und Behauptungen ins Blaue hinein handelt.



(2)        Dass FP die in den Redebeiträgen des Aktionärs S und des Vertreters der Klägerin wiedergegebenen Äußerungen, er habe sich keine Klarheit über die Risiken verschaffen können, und er wisse nicht, wie hoch die Risiken sind, sinngemäß getätigt hatte, ist nicht nur in diesem Anfechtungsprozess unstreitig (Bl. 1196), sondern war es aus der Sicht eines objektiven Durchschnittsaktionärs bereits in der Hauptversammlung am 29.01.2010.



(2.1)     Mit der Bezugnahme auf die „Sardinien-Pressekonferenz" wurde dem objektiven Durchschnittsaktionär zunächst ein Sachverhalt vor Augen geführt, der ihm in groben Umrissen durch die allgemeine Medienberichterstattung im Mai 2009 bekannt war. Die entsprechenden Bezugnahmen in den Redebeiträgen des Aktionärs S und des Vertreters der Klägerin lagen insbesondere in der Erklärung, FP sei „nicht allein" gewesen und es handele sich um die Aussagen vom „11. Mai 2009" bzw. um die „Sardinien-Aussagen".



(2.2)     Die Verwaltung ist den vom Aktionär S und vom Vertreter der Klägerin behaupteten Äußerungen weder ausdrücklich entgegen getreten noch ließ die übrige Informationslage der Hauptversammlung am 29.01.2010 einem objektiven Durchschnittsaktionär den Umstand, dass FP die Äußerungen getätigt hatte, streitig erscheinen.



            Der Kontext der weiteren Informationen, die ein objektiver Durchschnittsaktionär nach Auffassung der Beklagten bei seiner Entscheidung über die Entlastung des Aufsichtsrats berücksichtigen konnte (Bl. 1197) stand zu der Behauptung, FP habe gegenüber Journalisten geäußert, er habe sich keine Klarheit über die Risiken der Derivatgeschäfte verschaffen können, und er wisse nicht, wie hoch die Risiken sind, nicht in Widerspruch. Dies gilt sowohl für die Schlussfolgerungen, die Aktionäre in ihren Redebeiträgen aus den Äußerungen zogen (dazu oben 1. b) dd) (2)), als auch für andere „Sardinien-Äußerungen", die in Redebeiträgen von Aktionären eingeführt wurden, etwa zur Bilanz der Beklagten (dazu oben 1. b) bb) (2) (2.2) und für die von der Verwaltung zur Information des Aufsichtsrats durch den Vorstand erteilten Auskünfte (dazu oben 1. b) dd) (1)).



            Bei den in den Redebeiträgen des Aktionärs S und des Vertreters der Klägerin behaupteten Äußerungen handelte es sich auch ersichtlich nicht nur um Mutmaßungen, Spekulationen oder Behauptungen ins Blaue hinein. Dahinstehen kann, ob für die Wiedergabe von Presseberichten im Allgemeinen anderes gilt, wenn keine bestimmte Quelle genannt wird (Bl. 1199); jedenfalls der Redebeitrag des Vertreters der Klägerin berief sich ausdrücklich die Financial Times Deutschland vom 13.05.2009 (Bl. 1167, 1196). Zu Unrecht rügt die Beklagte in diesem Fall (Bl. 1198), die Wiedergabe von Pressezitaten in Redebeiträgen von Aktionären stelle aus Sicht eines objektiven Durchschnittsaktionärs in der Hauptverhandlung nur „Hörensagen" dar. Zum einen war der Umstand, dass FP sich im Mai 2009 auf Sardinien gegenüber Journalisten geäußert hatte, im Zeitpunkt der Hauptversammlung einem objektiven Durchschnittsaktionär bekannt (dazu oben b) aa) (2)). Zum anderen spekulierten die Redebeiträge nicht über den konkreten Inhalt der Äußerungen, sondern gaben „wörtlich[e]" Aussagen und Zitate wieder, die FP in der Presse zugeschrieben wurden. Zwar besteht die Presseberichterstattung erfahrungsgemäß nicht nur aus Tatsachenberichten, sondern auch aus Wertungen bzw. Schlussfolgerungen des jeweiligen Autors. Soweit Autoren Äußerungen Dritter ausdrücklich durch Anführungszeichen als Zitate oder zumindest in indirekter Rede wiedergeben, erklären sie aber aus objektiver Sicht, dass sich der Dritte jedenfalls sinngemäß entsprechend geäußert habe. Zwar muss dies nicht immer zutreffen. In diesem Fall ergaben sich für den objektiven Durchschnittsaktionär aber jedenfalls keine konkreten Anhaltspunkte, dass FP die ihm in der Presse zugeschriebenen Äußerungen nicht zumindest sinngemäß selbst getätigt hatte, sondern ihm kritische Zitate „untergeschoben" wurden. Dabei ist zu bedenken, dass die Richtigkeit der Pressezitate ersichtlich von keiner Seite in Frage gestellt worden war; zudem hatten die „Sardinien-Äußerungen" im Frühjahr 2009 Kritik am Verhalten von FP hervorgerufen, worüber wiederum allgemein in den Medien berichtet worden war (vgl. beispielhaft Bl. 45 f., K45, K46, K47). All dies war dem objektiven Durchschnittsaktionär zumindest in groben Umrissen bekannt war.



            Ohne Erfolg bleibt schließlich der pauschale Einwand der Beklagten (Bl. 1203), aus der Sicht eines objektiven Durchschnittsaktionärs seien Redebeiträge von Aktionären stets mit dem Risiko einer selektiven, verkürzten oder fehlerhaften Darstellung behaftet. Die Beklagte kann nicht einerseits für die Informationen der Verwaltung eine Richtigkeitsvermutung in Anspruch nehmen (Bl. 1210) und andererseits Redebeiträge von Aktionären als grundsätzlich fehlerbehaftet einordnen (Bl. 1203). Allein die Strafvorschriften der § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG, § 331 Nr. 1 HGB rechtfertigen entsprechend differenzierende tatsächliche Vermutungen jedenfalls in Bezug auf Äußerungen einzelner Aufsichtsratsmitglieder gegenüber Dritten nicht, weil sie unrichtige Angaben von Mitgliedern der Verwaltung nicht per se, sondern nur in Bezug auf die Verhältnisse der Gesellschaft mit Strafe bedrohen. Der theoretische Einwand, kritische Redebeiträge der Aktionäre seien stets interessegeleitet (Bl. 1203) überzeugt ebenfalls nicht, denn er trifft grundsätzlich auf alle Redebeiträge zu. Der Vortrag der Beklagten lässt im Übrigen nicht erkennen, in welchem Punkt einem objektiven Durchschnittsaktionär die in die Hauptversammlung eingeführten Äußerungen zur Abschätzung der Risiken der Derivatgeschäfte durch FP verkürzt oder selektiert, also aus dem Zusammenhang gerissen erscheinen sollten. Der Kontext der Äußerungen ist ohnehin nur für die Frage von Bedeutung, wie sie gemeint waren (dazu oben 1. b) cc) (1) (1.1)); da in jedem Fall eine eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzung festzustellen ist (dazu oben 1. b) dd)), spielt er für die Erkennbarkeit eines Entlastungshindernisses jedoch keine Rolle.



(2.3)     War demnach aus der Sicht eines objektiven Durchschnittsaktionärs unstreitig, dass FP die konkreten Äußerungen sinngemäß getätigt hatte, rügt die Beklagte zu Unrecht (Bl. 1200 f.), dass keiner der Aktionäre, die eine Entlastung von FP verhindern wollten, sich um eine weitere Aufklärung in der Hauptversammlung bemühte; dazu bestand kein Anlass. Unklar war aus der Sicht eines objektiven Durchschnittsaktionärs allenfalls die Frage, wie FP seine Äußerungen zu den Risiken der Derivatgeschäfte der Beklagten gemeint hatte. Dies kann jedoch zum einen dahinstehen (dazu oben 1. b) dd)). Zum anderen hätte diese Frage nur durch eine persönliche Auskunft von FP geklärt werden können. Nicht zu entscheiden ist in diesem Zusammenhang, ob die Klägerin von dem nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG für die Erteilung von Auskünften in der Hauptversammlung zuständigen Vorstand - etwa nach Rücksprache des Vorstands mit FP (dazu Reger in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 131 Rz. 5; Siems in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 131 Rz. 17) - die Beantwortung einer entsprechenden Frage hätte verlangen können, oder ob es sich bei den hinter den Äußerungen stehenden Absichten von FP um eine nicht vom Auskunftsrecht umfasste gesellschaftsfremde Angelegenheit handelte (vgl. dazu OLG Stuttgart, AG 1995, 234, 235, BVerfG, ZIP 1999, 1798 [juris Rz. 28]; Decher in Großkommentar, AktG, 4. Aufl., § 131 Rz. 131). Der Vorstand der Beklagten ließ jedenfalls ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Fragen- und Antwortenblatts Nr. 6.20 (B99) in der Hauptversammlung am 29.01.2010 wenig Bereitschaft erkennen, Fragen des Vertreters der Klägerin nach möglichen Widersprüchen zwischen dem Abstimmungsverhalten von FP im Aufsichtsrat und anderen „Sardinien-Äußerungen" zu beantworten; er wies vielmehr darauf hin, dass nur Fragen an die Gesellschaft, nicht aber an FP gestellte Fragen beantwortet werden könnten.



(3)        Ohne Erfolg rügt die Beklagte schließlich, dass die fraglichen Äußerungen von FP  nicht den Schwerpunkt der Generaldebatte in der Hauptversammlung am 29.01.2010 gebildet, sondern dort nur eine untergeordnete Rolle gespielt hätten (Bl. 1198 f.).



(3.1)     Für die Feststellung der Möglichkeit der Kenntnisnahme von bestimmten Umständen durch einen objektiven Durchschnittsaktionär kommt es grundsätzlich nicht darauf an, welchen Umfang diese innerhalb der Generaldebatte in der Hauptversammlung einnahmen. Auch Umstände, die nur einmal oder in einem kurzen Redebeitrag in der Hauptversammlung vor Augen geführt werden, sind für einen objektiven Durchschnittsaktionär grundsätzlich erkennbar. Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, nach welchen Kriterien ermittelt werden sollte, ob ein Thema in ausreichendem Umfang behandelt wurde oder nicht. Weder das von der Beklagten angesprochene Zeitmoment (Bl. 1198, B129) noch die Anzahl der auf einen Umstand bezogenen Redebeiträge (Bl. 1198) erscheinen für die Feststellung der Erkennbarkeit einer die Entlastung hindernden Pflichtverletzung tauglich. Ein Minderheitsaktionär kann zudem weder das eine noch das andere steuern. Hinge die Anfechtbarkeit eines Entlastungsbeschlusses von dem Umfang ab, den ein Thema in der Generaldebatte eingenommen hat, würden Beschränkungen des Frage- und Rederechts der Aktionäre grundsätzlich in Frage gestellt.



(3.2)     Jedenfalls wurden die konkreten Äußerungen von FP hier mindestens in zwei Redebeiträgen von Aktionären angesprochen. In einem ebenfalls auf die „Sardinien-Äußerungen" bezogenen dritten Redebeitrag des Aktionärsvertreters Wa wurde zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Äußerungen von FP für die Frage seiner Entlastung bedeutsam sein könnten, indem aus Anlass der Äußerungen eine Einzelabstimmung über die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder angeregt wurde (Bl. 890).



3.         Zu Unrecht rügt die Beklagte schließlich, die Klägerin habe die mit den „Sardinien-Äußerungen" von FP zu den Risiken der Derivatgeschäfte der Beklagten verbundenen Vorwürfe nicht innerhalb der Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG geltend gemacht (Bl. 1199). Obwohl die Klägerin den konkreten Wortlaut der vom Aktionär S bzw. der von ihrem Vertreter in die Hauptversammlung am 29.01.2010 eingeführten Äußerungen nicht schon in der Klageschrift und damit nicht innerhalb der Anfechtungsfrist vorgetragen hat, stellt der Vortrag dieser Redebeiträge in der Berufung (Bl. 889 bzw. Bl. 882, 1167) kein im Hinblick auf die Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG unzulässiges Nachschieben eines Anfechtungsgrundes dar. Erforderlich aber auch ausreichend ist, dass die Klägerin innerhalb der Anfechtungsfrist den Anfechtungsgrund einschließlich des zugrundeliegenden Sachverhalts mit den für die Anfechtung wesentlichen Tatsachen vorträgt (OLG Stuttgart, AG 2011, 93 [juris Rz. 406 f.] m.w.N.; näher Stilz in Festschrift Winter, 2011, 671, 679).



a)         Bereits in der Klageschrift hat die Klägerin den wesentlichen Sachverhalt vorgetragen, auf den sich die Feststellungen des Senats zur Fehlerhaftigkeit der Entlastung von FP stützen. Zwar hat sie dort noch nicht die von ihrem Vertreter und vom Aktionär S in ihren Redebeiträgen in der Hauptversammlung angeführten konkreten Zitate benannt. Ihr Vortrag ließ aber bereits hinreichend erkennen, dass sie ihre Anfechtung auch auf Äußerungen von FP in Bezug auf die Risiken der Derivatgeschäfte stützt. Dies folgt insbesondere aus den als K43 und K21 vorgelegten Presseberichten in Welt Online vom 13.05.2009 und Handelsblatt Online vom 12.05.2009 sowie aus der auszugsweisen Wiedergabe von Äußerungen FPs zu seinem Wissen über „Risiken" bzw. „Details" des „Optionspakets" (Bl. 22 und 45).



b)         Dies reicht zur Wahrung der Anfechtungsfrist jedenfalls deshalb aus, weil die Klägerin in diesem Zusammenhang bereits die den oben dargestellten Interpretationsmöglichkeiten (dazu oben 1. b) bb) und cc)) entsprechenden Angriffsrichtungen benannte, indem sie einerseits rügte, FP habe mit seinen Äußerungen zum Ausdruck gebracht, dass er sich pflichtwidrig über die Risiken der Derivatgeschäfte „unzureichend informiert" habe (Bl. 22), bzw. andererseits beanstandete, er habe durch seine Äußerungen „suggeriert", die Risiken seien möglicherweise größer als bislang bekannt (Bl. 45).



II.



Die Fehlerhaftigkeit der Entlastung von FP hat zu Folge, dass der angefochtene Beschluss insgesamt für nicht zu erklären ist. Der Umstand, dass das Landgericht in Bezug auf die übrigen Aufsichtsratsmitglieder zu Recht keine die Entlastung hindernde Pflichtverletzung und auch keine Informationspflichtverletzung festgestellt hat, gebietet nicht, den angefochtenen Beschluss teilweise aufrecht zu erhalten.



Zwar kommt bei der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen grundsätzlich die Beschränkung der Nichtigerklärung auf einen sachlich abgrenzbaren Teil in Betracht, auf den sich die Anfechtbarkeit beschränkt (Göz in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 248 Rz. 13; Dörr in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 248 Rz. 20; Hüffer in Münchener Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 241 Rz. 90). Allein die theoretische Möglichkeit, innerhalb eines Beschlusses über die Gesamtentlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats mehrere Entscheidungen über die Entlastung einzelner Mitglieder voneinander abzugrenzen, führt aber nicht zur Beschränkung der Wirkung der Anfechtungsklage.



Ob abgrenzbare Beschlussteile, denen der Anfechtungsgrund nicht unmittelbar anhaftet, von der Nichtigerklärung auszunehmen sind, richtet sich nach dem Maßstab des § 139 BGB (Würthwein in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 241 Rz. 76; Göz in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 248 Rz. 13; Dörr in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 248 Rz. 20; Hüffer in Münchener Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 241 Rz. 91; Heidel in Heidel, AktG, 3. Aufl., § 241 Rz. 16). Danach ist der Beschluss im Regelfall insgesamt für nichtig zu erklären (Würthwein in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 241 Rz. 76; Göz in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 248 Rz. 13; Hüffer in Münchener Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 241 Rz. 91; ebenso Semler in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, AG, 3. Aufl., § 41 Rz. 5 bei einem - hier anzunehmenden - inneren Zusammenhang der Beschlussteile). Eine Beschränkung der Nichtigerklärung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn anzunehmen ist, dass die fehlerfreien Beschlussteile auch ohne den fehlerbehafteten Teil zustande gekommen wären (vgl. BGH, WM 1988, 377 [juris Rz. 10]; Würthwein in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 241 Rz. 76; Göz in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 248 Rz. 13; Hüffer in Münchener Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 241 Rz. 91; Heidel in Heidel, AktG, 3. Aufl., § 241 Rz. 16). Dies trifft im Fall der Gesamtentlastung regelmäßig nicht zu. Jedenfalls sind hier weder Umstände vorgetragen noch ersichtlich, aufgrund derer festgestellt werden könnte, dass den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern auch dann sicher Entlastung erteilt worden wäre, wenn die Entlastung des Aufsichtsratsmitglieds FP verweigert worden wäre.



Selbst diejenigen, die eine Gesamtentlastung als Bündel von Einzelentlastungsentscheidungen ansehen (Hoffmann in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 13), kommen zu keinem anderen Ergebnis, wenn - wie hier in einem Redebeitrag des Aktionärsvertreters Wa unter ausdrücklicher Berufung auf die „Sardinien-Äußerungen" von FP geschehen - in der Hauptversammlung die Einzelentlastung beantragt wurde (Hoffmann in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 120 Rz. 16).



III.



1.         Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.



2.         Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine Befassung des Revisionsgerichts weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.



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