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Wirtschaftsrecht
15.05.2014
Wirtschaftsrecht
Dr. Mark C. Hilgard, RA: Englisch als Gerichtssprache? – eine kritische Stellungnahme

 

BBL
Der Bundesrat (gemeinsame Initiative der Länder Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Hessen und Niedersachsen) hat bei seiner Sitzung am 14. März 2014 erneut den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen in den Bundestag eingebracht (BR-Drs. 93/14). Dieser Entwurf soll den Bundesländern die Möglichkeit eröffnen, an ausgewählten Landgerichten Kammern für Handelssachen zu schaffen, vor denen vollständig in englischer Sprache verhandelt werden kann. Der Gesetzentwurf stammt aus dem Jahre 2010 (der Entwurf entspricht fast wörtlich BR-Drs. 42/10), war im Parlament jedoch nicht beschlossen worden – seine Befürworter sprechen von „liegengeblieben“ – und muss wegen des Grundsatzes der Diskontinuität nun erneut eingebracht – seine Gegner sagen „aufgewärmt“ – werden. Der Deutsche Anwaltverein und andere Institutionen stehen uneingeschränkt hinter dieser Bundesratsinitiative und unterstützen sie im Rahmen der Kampagne „Law made in Germany“ nachhaltig. Nur wenige kritische Stimmen werden vernommen.

Die Initiative zur Einführung von Englisch als Gerichtssprache ist getragen von der Hoffnung, dadurch eine größere Anzahl internationaler Verfahren nach Deutschland zu holen und damit den Anteil deutscher Juristen am Weltmarkt für legal services zu vergrößern. Parteien, die eine Auseinandersetzung in Deutschland in englischer Sprache streitig austragen wollen, waren bislang gezwungen, ein Schiedsgericht zu bemühen.

Unternehmensvertreter werden eine Verfahrensführung in Englisch oft schon bevorzugen, wenn etwa konzernintern ausschließlich in Englisch kommuniziert wird. In solchen Fällen erfährt ein Gerichtsverfahren in Englisch automatisch eine höhere Akzeptanz und dient damit den Interessen des Unternehmens.

Allerdings muss zunächst gefragt werden, ob die Möglichkeit der Vereinbarung der Prozessführung in englischer Sprache tatsächlich zu einer häufigeren Wahl deutschen Rechts führt. Dies erscheint jedenfalls zumindest fraglich. Es ist durchaus zweifelhaft, ob deutsches Recht immer transparent ist für ausländische Parteien, und noch mehr gilt dies für das deutsche Zivilprozessrecht. Allerdings spricht auch nichts dagegen, in Englisch über die Anwendung deutschen Rechts zu verhandeln.


I. Ist ein Verfahren vor einem deutschen Gericht für Ausländer attraktiv?

Auf den uralten Streit der Juristen über die Vorzüge oder Nachteile einer discovery (was – übrigens – heißt discovery eigentlich auf Deutsch) soll vorliegend nicht eingegangen werden. Sie ist dem deutschen Verfahrensrecht fremd. Wer sich für ein Gerichtsverfahren in Deutschland entscheidet, dürfte damit bewusst eine Entscheidung gegen eine umfassende Vorlage einer Vielzahl aus deutscher Sicht oft völlig irrelevanter Dokumente durch alle Parteien (fishing expedition) getroffen haben. Dennoch sei die Frage erlaubt, ob z.B. Common Law-Juristen den Beibringungsgrundsatz des deutschen Zivilprozessrechts wirklich in einem solchen Maße schätzen, wie dies offenbar unterstellt wird, da es jeder Partei selbst obliegt, alle aus ihrer Sicht relevanten Tatsachen vorzubringen und vor allem nachzuweisen. Es ist fraglich, ob allein die Verfahrensführung in Englisch ihnen einen deutschen Zivilprozess, insbesondere die für einen Common Law-Juristen gewöhnungsbedürftige Art der Beweisbeibringung, nachhaltig attraktiver erscheinen lässt. Insofern könnte die Erleichterung einer Verfahrensführung in Englisch zwar bei der Abwägung der Vor- und Nachteile des Forums Deutschland einen „Bonus“ darstellen; letztlich dürfte jedoch vor allem die Ausgestaltung des deutschen Zivilprozesses die entscheidende Rolle bei der Auswahl des Gerichtsstandes spielen.


II. Art der Protokollführung schreckt ab

Zunächst sei darauf hingewiesen, dass der in Deutschland geltende Grundsatz der Mündlichkeit aus Sicht ausländischer Juristen sehr gewöhnungsbedürftig gehandhabt wird. Was soll eine ausländische Partei von einer mündlichen Verhandlung halten, in der laut einem knappen (gem. Entwurf des § 184 Abs. 2 GVG englischsprachigen) Protokoll „die Rechts- und Sachlage umfassend erörtert“ wurde? Und, schlimmer noch, von einer Beweisaufnahme, bei der die Zeugenaussagen zwar in Englisch, aber nicht wörtlich („verbatim“), sondern zusammenfassend und mit dem Zungenschlag des die Aussage ins Protokoll diktierenden Richters wiedergegeben werden? Diese Art der Protokollführung in deutschen Gerichtsverfahren ist im internationalen Vergleich so abschreckend, dass sie aus Sicht Anderes gewohnter Juristen den Vorteil einer für sie transparenten Verfahrensführung in Englisch schnell zunichte macht. Schon ein deutscher Rechtsanwalt, der in einem Schiedsverfahren die segensreichen Vorzüge eines Wortprotokolls erleben durfte, wird einer herkömmlichen Beweisaufnahme vor einem deutschen Gericht ‑ gleich ob in Deutsch oder in Englisch ‑ sehr skeptisch gegenüberstehen.

Um Gerichtsverfahren in Deutschland für ausländische Parteien attraktiv(er) zu machen, bedarf es vor der Möglichkeit einer fakultativen Verhandlung in Englisch erst einmal einer Reform des deutschen Zivilprozesses in den aufgezeigten Punkten.


III. Englisch für wen?

Auf den ersten Blick scheint es überzeugend, eine Verhandlung vor einem deutschen Gericht in Englisch führen zu können ‑ aber für wen wird denn eigentlich Englisch gesprochen? Man stelle sich den Fall vor, dass zwei deutsche Anwälte (und beim Anwaltszwang soll es auch nach dem neuen Modell bleiben) vor einem deutschen Richter in Englisch plädieren. Wer muss denn eigentlich überzeugt werden („Empfängerhorizont“), der Richter oder die Partei? Ist die Transparenz des Prozesses für die ausländischen Parteien wirklich so wichtig, dass einem deutschen Richter Feinheiten der Auslegung deutschen Rechts auf Englisch unterbreitet werden müssen? Werden die Argumente dadurch überzeugender? Dass es nicht immer ein Leichtes ist, deutsches Recht überhaupt in Englisch darzustellen, zeigt sich schon an dem – mehrfach gescheiterten – Versuch des Bundesjustizministeriums, eine allseits akzeptierte englische Übersetzung des BGB zu erarbeiten. Ein Drama! Im Übrigen kann der Verfasser aus der Schiedsgerichtsbarkeit berichten, dass dort in vielen Fällen, denen deutsches Recht zugrunde liegt, nach anfänglicher Prozessführung in Englisch (etwa weil der zugrundeliegende Unternehmenskaufvertrag in Englisch abgeschlossen wurde) zu Deutsch als Verfahrenssprache gewechselt wird.


IV. Englische Anlagen

Schon heute zeichnen sich viele Gerichtsverfahren dadurch aus, dass eine Vielzahl von Anlagen – etwa die zwischen den Parteien vereinbarten Verträge – auf Englisch abgefasst sind. Gerade bei umfangreichen Verträgen stellt das Erfordernis einer Übersetzung ins Deutsche eine überaus belastende, zeit- und kostenintensive prozessuale Bürde dar, die durchaus dazu führen kann, dass die Parteien in einen Vergleich getrieben werden. Englischsprachige Unterlagen spiegeln die Lebenswirklichkeit der Parteien wider; sofern sich ein Richter in der Lage sieht, diese fremdsprachigen Dokumente mit der erforderlichen Expertise zu beurteilen – und er kann ja jederzeit die Vorlage einer beglaubigten Übersetzung anordnen – sollte nichts dagegen einzuwenden sein, diese nicht übersetzen zu müssen.

Es ist geradezu ein Gebot der internationalen Handelsgerichtsbarkeit, diese Lebenswirklichkeit entsprechend würdigen zu können, ohne den Umweg einer – in der Praxis nicht immer erhellenden – Übersetzung einschlagen zu müssen. Anlagen in Englisch sollten daher ohne das Erfordernis einer Übersetzung in die deutsche Sprache zugelassen werden.


V. Urteil in Englisch, Vollstreckung in Deutsch, Berufung zum OLG auf Englisch, Revision zum BGH auf Deutsch?

Die Frage, wie ein englischsprachiges Urteil in Deutschland vollstreckt werden soll, beantwortet der Entwurf des § 184 Abs. 2 GVG so, dass Urteils- und Beschlussformeln von in englischer Sprache abgefasster Entscheidungen, sofern sie einen vollstreckbaren Inhalt haben, in die deutsche Sprache zu übersetzen sind. Eine Vollstreckung des in Englisch erwirkten Titels erfordert also wiederum eine Übersetzung.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass gegen ein englischsprachiges Urteil einer Kammer für internationale Handelssachen das Rechtsmittel der Berufung (in Englisch) zum Oberlandesgericht eingelegt werden kann. Was aber soll geschehen, wenn eine Partei Revision zum Bundesgerichtshof einlegen will? Dort besteht jedenfalls formell keine sprachliche Sonderkompetenz, und eine Verfahrensführung in Englisch vor dem BGH ist im Gesetzentwurf nur fakultativ („kann“) vorgesehen. Soll sich der BGH in einem (auf Deutsch geführten Verfahren) mit Akten zweier Vorinstanzen auseinandersetzen, welche in einer Sprache geführt wurden, welche den darüber urteilenden Richtern am BGH nicht geläufig ist? Wie soll ein Richter am BGH englischsprachigen Parteivortrag würdigen – auf Deutsch? Oder müssen die gesamten Schriftsätze der vorigen Instanzen jetzt ins Deutsche übersetzt werden, und wenn ja, von wem? Oder hört die Internationalität beim OLG auf?


VI. Good German English

Verhandlungen vor deutschen Gerichten sind – von wenigen Ausnahmen abgesehen – öffentlich. Jedermann soll die Möglichkeit haben, sich ohne besondere Schwierigkeiten vom Inhalt einer Verhandlung Kenntnis zu verschaffen. Nicht jeder Gerichtsbesucher versteht Englisch, und schon gar nicht in einem Umfang, der ihm ein lückenloses Verständnis des Verfahrens vermittelt. Hier lässt sich allerdings mit guten Gründen vertreten, dass in Deutschland so viele Menschen so gut Englisch sprechen, dass dem Grundsatz der Öffentlichkeit Genüge getan ist. Zudem genießt das Öffentlichkeitsprinzip keinen Verfassungsschutz.

Anwälte müssen sich keineswegs im Hinblick auf ihre englischen Sprach­kenntnisse „zertifizieren“. Weder für das Betreiben eines Schiedsverfahrens in Englisch noch für die Prozessführung in Englisch ist eine objektive Zulassungsbeschränkung bei Anwälten sinnvoll. Ein Mandant muss darauf vertrauen, dass der von ihm beauftragte Anwalt sich sprachlich so auszu­drücken weiß, dass dies einer Prozessführung in Englisch dienlich ist, ohne dass es dafür der Einführung eines „Fachanwalts für Englisch“ bedarf.

Anders sieht es allerdings bei einer Überprüfung der sprachlichen Qualifikation von Richtern aus. Da der Grundsatz des „gesetzlichen Richters“ die Auswahl eines bestimmten Richters nicht zulässt, muss der Staat als Träger der Justiz dafür Sorge tragen, dass eine entsprechende Eignung gewährleistet ist. Wie groß ist wohl der „Pool“ entsprechend qualifizierter Richter beim BGH oder OLG? Diesbezüglich sind noch einige Fragen nicht beantwortet.

Ein letzter Hinweis: Die Einrichtung internationaler Handelskammern erfordert nicht nur sprachlich gewandte und erfahrene Richter, sondern – allein für die Zwecke der Anfertigung des Protokolls in Englisch – auch entsprechend geschulte Sekretäre und Urkundsbeamte. Auch das Protokoll und die Entscheidungen des Gerichts sind in englischer Sprache abzufassen. Dies dürfte eine größere Herausforderung für die Justiz darstellen, die an allen Fronten mit Kosteneinsparungen zu kämpfen hat.

Ist die englische Sprache vor deutschen Gerichten wirklich ein Wettbewerbsvorteil oder manifestiert sich hierin ein übers Ziel hinausschießender Drang nach Internationalität? Es ließe sich nämlich durchaus vertreten, eine Prozessführung (auch) in Englisch nicht nur als Gewinn für die deutsche Justiz, sondern auch als Verlust für die deutsche Sprache zu interpretieren.


VII. Einschätzung der Justizkreise am Standort Frankfurt a. M.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie sich die betroffenen Justizkreise an dem wohl internationalsten Standort Deutschlands, in Frankfurt a. M., zu den Reformbestrebungen stellen.

Die Richter am Landgericht Frankfurt a. M. konnten sich in einer im Jahr 2010 durchgeführten Befragung nicht dazu durchringen, sich der von den Verbänden unterstützten Initiative zur Einführung von Englisch als Gerichtssprache anzuschließen. Bedenken wurden insbesondere im Hinblick auf die Sicherung eines hohen Qualitätsstandards geäußert.

Erstaunlicherweise konnte sich auch der Vorstand der Rechtsanwaltskammer Frankfurt im Frühjahr 2010 nicht zu einer Unterstützung dieser Initiative durchringen. Auch hier standen insbesondere Befürchtungen hinsichtlich einer Sicherung des Qualitätsstandards im Vordergrund. Da in kaum einer anderen deutschen Stadt Englisch so häufig im täglichen Verkehr anzutreffen sein dürfte wie in Frankfurt a. M., muss diesen Bedenken besonderes Gewicht beigemessen werden. Internationalität kann eben nicht von bestimmten Qualitätsstandards abgekoppelt werden.


VIII. Fazit

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn die Tatsache, dass Englisch zunehmend im internationalen Wirtschaftsverkehr um sich greift, auch bei der Prozessführung in Deutschland berücksichtigt wird. Insbesondere Anlagen in Englisch sollten zum Gegenstand eines Verfahrens gemacht werden können, ohne hierfür eine Übersetzung einreichen zu müssen, wenn alle Beteiligten der englischen Sprache hinreichend mächtig sind. In der Begeisterung für die englische Sprache darf jedoch nicht übersehen werden, dass im Wettbewerb der Rechtssysteme in erster Linie die Ausgestaltung des Verfahrens zählt, und erst in zweiter Linie die Sprache. Bestimmte prozessuale Eigenheiten des deutschen Rechts (Beweisbeibringung, Protokollführung) verlieren nicht deshalb an Abschreckungskraft, weil man sie nun auch in („gutem“ oder „schlechtem“) Englisch („German English“) praktiziert.

Dr. Mark C. Hilgard, Rechtsanwalt und Partner der internationalen Wirtschaftskanzlei Mayer Brown LLP in Frankfurt a. M., ist Leiter der Abteilung Litigation and Arbitration bei Mayer Brown in Deutschland. Er ist sowohl als Parteivertreter als auch als Schiedsrichter tätig. Schwerpunkte seiner schiedsrichterlichen Tätigkeit sind M&A-Transaktionen, Anlagenbau und vertragsrechtliche Auseinandersetzungen, etwa im Energiesektor.

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