OLG München: Ende der Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat
OLG München, Beschluss vom 9.11.2009 - 31 Wx 136/09
Leitsatz
Die Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat endet spätestens in dem Zeitpunkt, in dem die Hauptversammlung über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr seit Amtsantritt hätte beschließen müssen (im Anschluss an BGH AG 2002, 676/677).
AktG § 102
Sachverhalt
I. Die beteiligte börsennotierte Aktiengesellschaft verfügt über ein Grundkapital in Höhe von 9.577.302 €, das in ebenso viele nennwertlose Stückaktien eingeteilt ist. Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht aus drei Mitgliedern, die längstens für die Zeit bis zur Beendigung der Hauptversammlung bestellt werden, die über ihre Entlastung für das vierte Geschäftsjahr nach dem Beginn der Amtszeit beschließt (§ 9 Abs. 1 und 2 der Satzung). Nach § 18 Abs. 2 der Satzung ist die ordentliche Hauptversammlung innerhalb der ersten sechs Monate eines jeden Geschäftsjahrs abzuhalten. Das Geschäftsjahr der Gesellschaft entspricht dem Kalenderjahr. Die gesetzlich vorgeschriebenen Bekanntmachungen erfolgen ausschließlich im elektronischen Bundesanzeiger (§ 4 Abs. 1 der Satzung).
Die Beteiligte zu 2 ist Aktionärin der Gesellschaft. Sie selbst hält rund 18% der Aktien, zusammen mit weiteren Mitgliedern der Aktionärsgruppe verfügt sie über Anteile von rund 30%. Ihr Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter W. wurde durch die Hauptversammlung vom 15.6.2005 zum Mitglied des Aufsichtsrats gewählt. Er legte das Amt nieder, als er Mitte Oktober 2008 Vorsitzender des Vorstands wurde. Für ihn wurde mit Wirkung zum 1.12.2008 Z. als Mitglied des Aufsichtsrats gerichtlich bestellt. Weitere Mitglieder waren der Vorsitzende B. (gewählt durch die Hauptversammlung vom 9.6.2004) und V. (gewählt durch die Hauptversammlung vom 15.6.2005). Im Februar 2009 machte die Beteiligte zu 2 bekannt, dass sie aufgrund einer Aktionärsvereinbarung infolge Stimmrechtszurechnung die Kontrolle über die Gesellschaft erlangt habe und rund 30,42% der Stimmrechte halte, und unterbreitete Anfang März ein öffentliches Übernahmeangebot. Vorstand und Aufsichtsrat beurteilten das Angebot als zu niedrig und empfahlen den Aktionären, es nicht anzunehmen. Das Angebot wurde für knapp 0,20% des Grundkapitals angenommen. Mit Schreiben vom 23.4.2009 schlug die Beteiligte zu 2 für die Hauptversammlung vom 18.5.2009 zwei Kandidaten für den Aufsichtsrat vor, unter anderem die Ehefrau ihres Geschäftsführers, und kündigte an, der Wahl der vom Vorstand vorgeschlagenen Kandidaten zu widersprechen. Der Aufsichtsrat lehnte die Vorschläge mit Stellungnahme vom 28.4.2009 ab. Am 14.5.2009 berief er den Geschäftsführer der Beteiligten zu 2 als Vorstand der Gesellschaft ab und kündigte dessen Anstellungsvertrag außerordentlich. Am selben Tag sagten Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam die für den 18.5.2009 einberufene ordentliche Hauptversammlung am 14.5.2009 ab.
Mit Schreiben vom 25.5.2009 verlangte die Beteiligte zu 2 unter Vorlage einer Depotbescheinigung und Angabe einer Tagesordnung die unverzügliche Einberufung einer Hauptversammlung. Mit ad-hoc-Mitteilung vom 15.6.2009 kündigte die Gesellschaft an, dem Einberufungsverlangen nachzukommen und für den 29.9.2009 die ordentliche Hauptversammlung einzuberufen; die Tagesordnung werde die Gesellschaft innerhalb der gesetzlichen Fristen bekanntgeben, wobei sämtliche geforderten Tagesordnungspunkte der Beteiligten zu 2 berücksichtigt würden. Am 18.6.2009 wurde - ohne Tagesordnung - die Einberufung zur ordentlichen Hauptversammlung der Gesellschaft für den 29.9.2009 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht. Mit Schreiben vom 19.6.2009 an die Vorstände beanstandete die Beteiligte zu 2 die Terminierung und forderte eine Hauptversammlung noch im Juli. Der Vorstand wies die Vorhaltungen zurück.
Am 23.6.2009 beantragte die Beteiligte zu 2 beim Registergericht die Bestellung eines Mitglieds des Aufsichtsrats, weil die Amtszeit von B. abgelaufen sei, und schlug hierfür ihren Geschäftsführer vor. Nach Anhörung der Gesellschaft wies das Registergericht den Antrag mit Beschluss vom 16.7.2009 zurück mit der Begründung, die Amtszeit für Aufsichtsratsmitglieder sei nicht mit der Einberufungsfrist verknüpft. Die Beschlussfähigkeit einer „verspätet" einberufenen Hauptversammlung sei nicht tangiert. Es sei nicht sachgerecht, schon bei geringfügigen Fristüberschreitungen gerichtliche Notbestellungen vorzunehmen.
Am 15.9.2009 veröffentlichte die Gesellschaft eine ad-hoc-Mitteilung, wonach die für den 29.9.2009 angesetzte Hauptversammlung verschoben und neu terminiert werde, denn „auf Basis der bisherigen, seitens der Aktionärin (Beteiligte zu 2) veranlasstenVeröffentlichungen" sei eine „rechtssichere Hauptversammlung am 29.9.2009 nicht durchführbar". Am 17.9.2009 beantragte die Beteiligte zu 2 beim Registergericht, sie zur Einberufung einer Hauptversammlung zu ermächtigen, die die im Einzelnen genannten Tagesordnungspunkte behandeln sollte. Zugleich regte sie im Hinblick auf die beabsichtigte Abberufung des Vorsitzenden des Aufsichtsrats und dessen Stellvertreter die Bestimmung eines neutralen Versammlungsleiters an. Am 21.9.2009 beantragte die Beteiligte zu 2 gemeinsam mit ihrer Schwestergesellschaft, der Beteiligten zu 3, ein Mitglied des Aufsichtsrats gerichtlich zu bestellen, weil das Amt des B. am 31.8.2009, spätestens aber mit der am 15.9.2009 erfolgten Absage der vorgesehenen Hauptversammlung geendet habe. Sie schlug vor, den Geschäftsführer der Beteiligten zu 2 zu bestellen, hilfsweise Rechtsanwalt Sch., der regelmäßig die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz bei Hauptversammlungen vertrete, so auch bei den letzten beiden Hauptversammlungen der Gesellschaft. Mit ad-hoc-Mitteilung vom 29.9.2009 gab die Gesellschaft als neuen Termin für die ordentliche Hauptversammlung den 15.12.2009 bekannt. Mit Schreiben vom 30.9.2009 nahm sie zu den Anträgen vom 17.9.2009 und 21.9.2009 Stellung und beantragte, beide zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 5.10.2009 bestellte das Amtsgericht - Registergericht - Rechtsanwalt Sch. zum Mitglied des Aufsichtsrats. Mit weiterem Beschluss vom selben Tag ermächtigte es die Beteiligte zu 2, eine Hauptversammlung einzuberufen und bestellte einen Notar zum Versammlungsleiter. Im elektronischen Bundesanzeiger wurde am 8.10.2009 die Einberufung der Hauptversammlung durch die Beteiligte zu 2 für den 16.11.2009 veröffentlicht, am 12.10.2009 die Einberufung der ordentlichen Hauptversammlung für den 15.12.2009 durch die Gesellschaft. Bei der Sitzung des Aufsichtsrats am 23.10.2009 wurde V. zum Vorsitzenden gewählt. Die Wahl eines Stellvertreters erfolgte nicht, weil Sch. an der Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt (ebenso wie zu denjenigen betreffend Geschäftsordnung von Vorstand und Aufsichtsrat) nicht teilnahm.
Die Gesellschaft legte gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts - Registergericht vom 5.10.2009 jeweils Beschwerde ein und beantragte, sie aufzuheben sowie die Vollziehung auszusetzen. Die Beteiligte zu 2 beantragte Zurückweisung der Beschwerden und der Anträge auf Aussetzung der Vollziehung.
Aus den Gründen
II. Die zulässige Beschwerde (§ 104 Abs. 1 Satz 5 AktG, § 402 Abs. 1, § 375 Nr. 3, §§ 58 ff. FamFG) ist nicht begründet.
1. Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1 hindert die Entscheidung des Amtsgerichts - Registergericht vom 16.7.2009 nicht eine erneute Antragstellung und Entscheidung hinsichtlich der Ergänzung des Aufsichtsrats der beteiligten Gesellschaft. Dabei kann dahinstehen, ob die Ablehnung eines Antrags auf Ergänzung des Aufsichtsrats der materiellen Rechtskraft fähig ist (zur materiellen Rechtskraft in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vgl. Keidel/Engelhardt FamFG 16. Aufl. § 45 Rn. 8). Mit der am 15.9.2009 erfolgten Absetzung des Termins für die Hauptversammlung vom 29.9.2009 ist eine neue Sachlage eingetreten, die jedenfalls eine erneute Antragstellung und Entscheidung ermöglicht (vgl. Keidel/Zimmermann FGG 15. Aufl. § 31 Rn. 22).
2. Wie das Amtsgericht zutreffend angenommen hat, ist B. nicht mehr Mitglied des Aufsichtsrats mit der Folge, dass dieser nicht mehr beschlussfähig und zu ergänzen ist. B. ist allerdings bereits mit Ablauf des 31.8.2009 aus dem Aufsichtsrat ausgeschieden und nicht erst am 15.9.2009.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der überwiegenden Meinung in der Literatur ist § 102 Abs. 1 AktG dahin auszulegen, dass die Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat spätestens in dem Zeitpunkt endet, in dem die Hauptversammlung über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr seit Amtsantritt hätte beschließen müssen, also längstens acht Monate (§ 120 Abs. 1 AktG) nach dem Ende des vierten Geschäftsjahrs (BGH AG 2002, 676/677; MünchKommAktG/Habersack 3. Aufl. § 102 Rn. 18; GroßKommAktG/Hopt/Roth/Peddinghaus 4. Aufl. Bearbeitungsstand 2005 § 102 Rn. 12; Bürgers/Israel AktG § 102 Rn. 3; Schmidt/Lutter/Drygala AktG § 102 Rn. 6).
Nicht überzeugend ist dagegen die Auffassung, es seien wegen § 104 Abs. 2 AktG und zur Vermeidung gerichtlicher Notbestellungen bei geringfügigen Fristüberschreitungen weitere drei Monate zuzugeben (so Hüffer § 102 Rn. 3). § 104 Abs. 2 AktG bestimmt lediglich, dass bei einem unterbesetzten, aber beschlussfähigen Aufsichtsrat eine Ergänzung durch das Gericht grundsätzlich erst nach drei Monaten erfolgen kann, und sagt nichts über das Ende der Amtszeit eines Aufsichtsratsmitglieds aus. Die Anknüpfung an § 120 Abs. 1 AktG hat hingegen den Vorzug der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit (BGH a. a. O.). Bei nur geringfügiger Überschreitung der Frist - die sich im Übrigen auch nach elf Monaten ergeben kann - wird in der Regel auch keine gerichtliche Notbestellung erforderlich werden, denn der Vorstand ist zur Antragstellung nicht verpflichtet, wenn die rechtzeitige Ergänzung vor der nächsten Aufsichtsratssitzung zu erwarten ist (§ 104 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz AktG).
3. Die Bestellung von Rechtsanwalt Sch. ist nicht zu beanstanden. Dass dieser von der Beteiligten zu 2 als Vertreter von deren Interessen vorgeschlagen wurde, steht der Bestellung nicht entgegen, denn Neutralität gegenüber den Aktionären ist für die Bestellung als Aufsichtsrat nicht Voraussetzung. Vielmehr ist es allgemein üblich, dass ein Aktionär oder eine Aktionärsgruppe, die über einen erheblichen Anteil der Aktien verfügt, auch einen Vertreter im Aufsichtsrat erhält. Wie das Erstgericht hält der Senat es angesichts der Streitigkeiten zwischen der Beteiligten zu 2 und der Gesellschaft für angezeigt, nicht den an erster Stelle vorgeschlagenen Geschäftsführer der Beteiligten zu 2 persönlich als Mitglied des Aufsichtsrats zu bestellen, sondern Rechtsanwalt Sch. Das von der Gesellschaft geschilderte Verhalten von Rechtsanwalt Sch. vor und in der Aufsichtsratssitzung vom 23.10.2009, bei der er nur an der Abstimmung über den Vorsitzenden, nicht aber an der über den Stellvertreter und die Geschäftsordnungen für Aufsichtsrat und Vorstand teilgenommen hat, erlaubt noch nicht den Rückschluss, er sei für das Amt ungeeignet. Das Vorbringen der Gesellschaft belegt auch nicht die behauptete Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch Sch. Selbst wenn die Anregung des Geschäftsführers der Beteiligten zu 2 vom 26.10.2009 gegenüber dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Sch. zum Stellvertreter zu machen, auf eine Information durch Letzteren über die vorangegangene Sitzung zurück gehen sollte, vermag der Senat darin keine Verletzung der Verschwiegenheits- und Geheimhaltungspflicht zu erkennen. Wer zum Vorsitzenden und zum Stellvertreter gewählt ist, unterliegt nicht der Geheimhaltung, sondern ist zum Handelsregister anzumelden (§ 107 Abs. 1 Satz 2 AktG).
4. Der Senat hält es weiter für angebracht, die Bestellungsdauer von Sch. zu befristen bis zum Ende der nächsten Hauptversammlung. Zwar endet das Amt des gerichtlich bestellten Mitglieds des Aufsichtsrats nach § 104 Abs. 5 AktG ohne weiteres mit der Behebung des Mangels, hier also mit Neuwahl und Annahme des Amtes durch den Gewählten. Diese Regelung schließt aber die Möglichkeit nicht aus, ein Aufsichtsratsmitglied nur befristet zu bestellen (vgl. Ziffer 5.4.3 DCGK; MünchKommAktG/Habersack § 104 Rn. 46). Das erscheint hier zweckmäßig, um zu vermeiden, dass eine Beschlussfassung der Hauptversammlung etwa im Hinblick auf die gerichtliche Bestellung unterbleibt.
5. Die von der Beschwerde gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht über die beiden gesondert eingereichten Anträge, die unterschiedliche Verfahrensgegenstände betreffen, in zwei gesonderten Beschlüssen entschieden hat. Die Gesellschaft konnte zu beiden Anträgen vor der Entscheidung des Gerichts Stellung nehmen und hat das auch getan. Dass sie einen Schriftsatz für beide Verfahren eingereicht hat, hat nicht dazu geführt, dass ihre Stellungnahme nicht in beiden Verfahren zur Kenntnis genommen wurde (was im Übrigen auch für das Beschwerdeverfahren gilt). Der Erstrichter war angesichts der widerstreitenden Auffassungen der Beteiligten nicht gehalten, die Gesellschaft vor seiner Entscheidung darauf hinzuweisen, dass er ihr nicht folgen werde (vgl. Keidel/Sternal FamFG 16. Aufl. § 28 Rn. 13).
6. Die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung durch Erlass einer einstweiligen Anordnung (§§ 49 ff. FamFG) ist nicht veranlasst, weil der Senat abschließend in der Hauptsache entscheidet. Zudem hätte eine Aussetzung der Vollziehung zur Folge, dass der Aufsichtsrat weiterhin nicht beschlussfähig wäre.
III. 1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, denn die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 70 FamFG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Es liegen keine besonderen Umstände vor, die ein Abweichen vom Regelfall rechtfertigen würden. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 131 Abs. 4, § 30 KostO. Für das Hauptsacheverfahren schätzt der Senat den Wert wie das Amtsgericht auf 50.000 €, für die beantragte einstweilige Anordnung (Aussetzung der Vollziehung) auf 10.000 €.