BGH: Elektronische Einreichung eines Vollstreckungsantrags in Justizbeitreibungssachen ohne besondere Formerfordernisse
BGH, Beschluss vom 6.4.2023 – I ZB 84/22
ECLI:DE:BGH:2023:060423BIZB84.22.0
Volltext:BB-ONLINE BBL2023-2049-1
Amtliche Leitsätze
1. Im Verfahren der sofortigen Beschwerde gemäß §§ 567 ff. ZPO ist der vollbesetzte Spruchkörper außer in Fällen, in denen die Zuständigkeit des Einzelrichters zweifelhaft ist, nicht befugt, selbst über die Übertragung eines in die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters fallenden Beschwerdeverfahrens zu entscheiden (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 30. April 2020 - I ZB 61/19, BGHZ 225, 252 [juris Rn. 23 bis 25]). (Rn.8)
2. Der Vollstreckungsantrag nach dem Justizbeitreibungsgesetz entspricht den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn er entweder von der ihn verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert worden ist oder von der ihn verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist (§ 753 Abs. 4 Satz 2, § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Satz 1 und 2 JBeitrG). Damit hat der Gesetzgeber die formellen Anforderungen abschließend festgelegt. Die nach der Senatsrechtsprechung geltenden Anforderungen an einen in Papierform eingereichten Vollstreckungsantrag nach der Justizbeitreibungsordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - I ZB 27/14, DGVZ 2015, 146 [juris Rn. 16]) können auf einen elektronisch eingereichten Vollstreckungsantrag nach dem Justizbeitreibungsgesetz nicht übertragen werden. (Rn.15)
Aus den Gründen
1 A. Das für den Gläubiger, das Land Niedersachsen, handelnde Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung - Zentrale Vollstreckungsstelle - betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung wegen Gerichtskostenforderungen.
2 Im Mai 2022 beantragte der Gläubiger die Abnahme der Vermögensauskunft und bei unentschuldigtem Fernbleiben der Schuldnerin den Erlass eines Haftbefehls. Der Antrag schließt mit dem Namen "C. " und einem maschinell aufgedruckten Siegel der Vollstreckungsbehörde. Er wurde über das besondere elektronische Behördenpostfach des Niedersächsischen Landesamts für Bezüge und Versorgung an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (nachfolgend auch: EGVP) des Amtsgerichts zur Weiterleitung an den zuständigen Gerichtsvollzieher übermittelt.
3 Der Gerichtsvollzieher lehnte die Durchführung der beantragten Zwangsvollstreckungsmaßnahme ab, weil eine qualifizierte elektronische Signatur fehle und das Vollstreckungsersuchen zusätzlich mit Unterschrift und Dienstsiegel in Papierform eingereicht werden müsse.
4 Das Amtsgericht hat die hiergegen gerichtete Erinnerung des Gläubigers zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen Vollstreckungsantrag weiter.
5 B. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Gläubiger habe den Vollstreckungsantrag zwar entsprechend den Vorgaben des § 130a Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 ZPO ordnungsgemäß elektronisch eingereicht, insbesondere auf einem sicheren Übermittlungsweg. Damit habe er jedoch nicht den erweiterten materiellen Anforderungen an einen titelersetzenden Vollstreckungsantrag genügt. Es sei der höchstmögliche Sicherheitsstandard und damit eine qualifizierte elektronische Signatur einzufordern. Da keine unabhängige und neutrale Prüfung und Entscheidung über das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für den begehrten Vollstreckungsakt erfolge, müsse der Antrag jedenfalls einer konkreten Person zugeordnet werden können. Zur Schaffung hinreichenden Vertrauens müsse voll überprüfbar sein, dass eine identifizierbare Einzelperson Verantwortung für den Vollstreckungsantrag übernehme. Das grundsätzlich einen sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO darstellende besondere elektronische Behördenpostfach erlaube ohne qualifizierte Signatur keine spezifische Zuordnung zu einer Person.
6 C. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist bereits deswegen aufzuheben, weil die Kammer die Sache rechtsfehlerhaft auf sich übertragen hat.
7 I. Nach § 568 Satz 1 ZPO entscheidet das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen worden ist. Vorliegend hat die Amtsrichterin über die Erinnerung des Gläubigers entschieden. In einem solchen Fall ist die Kammer gemäß § 568 Satz 2 ZPO nur dann zur Entscheidung über die Beschwerde berufen, wenn der Einzelrichter durch eine gesonderte Entscheidung das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung übertragen hat. Dies setzt einen entsprechenden Beschluss des Einzelrichters voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2020 - I ZB 61/19, BGHZ 225, 252 [juris Rn. 23]).
8 II. An einem solchen Beschluss fehlt es im Streitfall. Die Kammer hat die Sache im angefochtenen Beschluss auf sich übertragen. Die Beschwerdekammer ist außer in Fällen, in denen die Zuständigkeit des Einzelrichters zweifelhaft ist, nicht befugt, selbst über die Übertragung eines in die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters fallenden Beschwerdeverfahrens zu entscheiden. Insoweit ist unerheblich, ob der Einzelrichter an einem solchen Kammerbeschluss mitwirkt, weil es nach § 568 Satz 2 ZPO alleinige Entscheidungskompetenz des Einzelrichters ist, ob die Voraussetzungen für eine Übertragung auf die Kammer vorliegen (vgl. BGHZ 225, 252 [juris Rn. 24]).
9 III. Die Bestimmung des § 568 Satz 3 ZPO, wonach auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung ein Rechtsmittel nicht gestützt werden kann, steht der Relevanz des der Kammer hier unterlaufenen Verfahrensfehlers nicht entgegen. Es besteht vorliegend kein Streit darüber, ob der Einzelrichter das Verfahren zu Recht nach § 568 Satz 2 ZPO der Kammer übertragen hat. Vielmehr hat der Einzelrichter insoweit keine Entscheidung getroffen. Dieser Fall wird von § 568 Satz 3 ZPO nicht erfasst (vgl. BGHZ 225, 252 [juris Rn. 25]).
10 D. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 4 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
11 I. Gerichtskosten werden gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 2 Abs. 1 Justizbeitreibungsgesetz (JBeitrG) von den Gerichtskassen vollstreckt, soweit die Landesregierungen keine anderen Behörden bestimmen. Die Abnahme der Vermögensauskunft beantragt die Vollstreckungsbehörde gemäß § 7 Satz 1 JBeitrG bei dem zuständigen Gerichtsvollzieher; dieser Antrag ersetzt gemäß § 7 Satz 2 JBeitrG den vollstreckbaren Schuldtitel. Gleiches gilt für den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - I ZB 27/14, DGVZ 2015, 146 [juris Rn. 15]).
12 Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, § 753 Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO können schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Parteien als elektronisches Dokument beim Gerichtsvollzieher eingereicht werden. Für das elektronische Dokument gelten § 130a ZPO, auf dieser Grundlage erlassene Rechtsverordnungen sowie § 298 ZPO entsprechend. § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO bestimmt, dass das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss. Zu den sicheren Übermittlungswegen gehört nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Gemäß § 753 Abs. 5 ZPO in Verbindung mit § 130d Satz 1 ZPO sind Behörden verpflichtet, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.
13 Der Senat hat - allerdings vor Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs - entschieden, dass der Vollstreckungsantrag zur Beitreibung von Gerichtskosten nach der Justizbeitreibungsordnung (inzwischen: Justizbeitreibungsgesetz) schriftlich gestellt werden muss, weil er den schriftlichen Schuldtitel ersetzt. Da dieser Antrag die alleinige Voraussetzung für die Anordnung von staatlichem Zwang und damit die einzige Urkunde ist, die der Gerichtsvollzieher oder die Gerichtsvollzieherin und das Vollstreckungsgericht von der Gerichtskasse erhalten, dürfen keine Zweifel an seiner Echtheit bestehen. Deshalb ist ein unterschriebener und mit einem Dienstsiegel versehener Vollstreckungsantrag erforderlich. Dadurch wird gewährleistet, dass aus dem Schriftstück die Person erkennbar wird, die für seinen Inhalt die Verantwortung übernimmt. Dabei genügt die Wiedergabe des Namens des Verfassers in Maschinenschrift, wenn er mit einem Beglaubigungsvermerk versehen ist (vgl. BGH, DGVZ 2015, 146 [juris Rn. 16]). Hierbei handelt es sich nicht um ein materiell-rechtliches Formerfordernis, sondern um Anforderungen, die sich aus den Besonderheiten des Justizbeitreibungsverfahrens und somit aus dem Verfahrensrecht ergeben.
14 II. Das Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung ist für das Land Niedersachsen zur Vollstreckung von Forderungen nach dem Justizbeitreibungsgesetz berufen (§ 6 Abs. 1 und 3 VwVG NI). Als Vollstreckungsbehörde ist es im Streitfall befugt, die Anträge auf Abnahme der Vermögensauskunft (§ 802c Abs. 1 Satz 1 ZPO) und auf Erlass eines Haftbefehls (§ 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO) zu stellen. Partei des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist dessen ungeachtet das Land Niedersachsen als Gläubiger der beizutreibenden Forderung. Soweit § 6 Abs. 2 Satz 1 JBeitrG bestimmt, dass an die Stelle des Gläubigers die Vollstreckungsbehörde tritt, betrifft dies die Vertretungsbefugnis und nicht die Gläubigerstellung (vgl. BeckOK.Kostenrecht/Berendt, 41. Edition [Stand 1. April 2023], § 6 JBeitrG Rn. 119 mwN).
15 III. Der Vollstreckungsantrag entspricht den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn er entweder von der ihn verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert worden ist oder von der ihn verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO). Weitere Formerfordernisse bestehen nicht. Insbesondere können die nach der Senatsrechtsprechung geltenden Anforderungen an einen in Papierform eingereichten Vollstreckungsantrag zur Beitreibung von Gerichtskosten nach § 7 Satz 1 und 2 JBeitrG (vgl. Rn. 13) auf einen elektronisch eingereichten Vollstreckungsantrag nicht übertragen werden.
16 1. Für eine (einfache) Signatur genügt die maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens der verantwortenden Person (vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 2022 - XII ZB 215/22, NJW 2022, 3512 [juris Rn. 10]; Anders in Anders/Gehle, ZPO, 81. Aufl., § 130a Rn. 22; BeckOK.ZPO/von Selle, 48. Edition [Stand 1. März 2023], § 130a Rn. 16; jurisPK.ERV/H. Müller, Stand 17. Februar 2023, § 130a ZPO Rn. 207; H. Müller, RDi 2022, 92, 94). Diesem Erfordernis ist durch die Angabe "C. " genügt.
17 2. Bislang fehlen hinreichende Feststellungen dazu, ob die Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO erfolgt ist.
18 a) Nach § 6 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) können Behörden zur Übermittlung elektronischer Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg bei Einhaltung bestimmter Anforderungen ein besonderes elektronisches Behördenpostfach nutzen. Unter anderem muss nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV feststellbar sein, dass das elektronische Dokument vom Postfachinhaber versandt wurde. Gemäß § 6 Abs. 3 Halbsatz 1 ERVV steht das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach eines Gerichts einem besonderen elektronischen Behördenpostfach gleich, soweit diese Stelle Aufgaben einer Behörde nach Absatz 1 wahrnimmt.
19 Die Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs durch eine berechtigte Person wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (VHN) bestätigt. Dabei handelt es sich um eine elektronische Signatur, die an eine Nachricht angebracht wird, wenn das Versandpostfach nach Authentifizierung und Identifizierung des Postfachinhabers in einem sicheren Verzeichnisdienst geführt wird und der Postfachinhaber zum Zeitpunkt der Erstellung der Nachricht sicher an dem Postfach angemeldet ist. Ob das eingegangene Dokument über einen sicheren Übermittlungsweg versandt worden ist, lässt sich (allein) anhand eines Prüfvermerks, Transfervermerks oder Prüfprotokolls zuverlässig erkennen, nicht aber aus dem Dokument selbst (vgl. jurisPK.ERV/H. Müller aaO § 130a ZPO Rn. 197 bis 203 mwN; Bayerischer VGH, Beschluss vom 23. Februar 2021 - 21 ZB 19.33891, juris Rn. 5 bis 7; bei Übersendung aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach vgl. BAGE 171, 28 [juris Rn. 25 bis 32]).
20 b) Der Gläubiger hat im Beschwerdeverfahren zwar vorgebracht, der Vollstreckungsantrag sei auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden. Das Beschwerdegericht hat das Vorliegen eines vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises für den Vollstreckungsantrag bislang jedoch nicht festgestellt.
21 3. Die von § 753 Abs. 4 Satz 2 ZPO in Bezug genommenen Voraussetzungen des § 130a ZPO legen die formellen Anforderungen an den Schuldtitel ersetzende Vollstreckungsanträge nach dem Justizbeitreibungsgesetz abschließend fest.
22 a) Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht (vgl. LG Berlin, DGVZ 2022, 218 [juris Rn. 2]; AG Berlin-Wedding, Beschluss vom 18. Oktober 2022 - 33 M 1616/22, BeckRS 2022, 28383 Rn. 5 und 7) im elektronischen Rechtsverkehr keiner zusätzlichen Einreichung des Vollstreckungsantrags in Papierform mit Unterschrift und Dienstsiegel bedarf (vgl. LG Arnsberg, Beschluss vom 23. September 2022 - 5 T 139/22, juris Rn. 9; LG München I, Beschluss vom 28. Februar 2023 - 16 T 2080/23, BeckRS 2023, 5786 Rn. 7; AG Berlin-Schöneberg, Beschluss vom 18. Oktober 2022 - 33 M 1112/22, BeckRS 2022, 28342 Rn. 2 und 14 f.; AG Berlin-Lichtenberg, DGVZ 2022, 269 [juris Rn. 4]; BeckOK.Kostenrecht/Berendt aaO § 7 JBeitrG Rn. 9a; BeckOK.ZPO/Ulrici aaO § 753 Rn. 8.2).
23 aa) Einem solchen Erfordernis steht bereits die nach § 753 Abs. 5, § 130d ZPO bestehende Pflicht zur elektronischen Einreichung des Vollstreckungsantrags entgegen, die sonst ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würde (vgl. AG Dorsten, Beschluss vom 6. September 2022 - 16 M 361/22, juris Rn. 15; AG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 2022 - 666 M 1788/22, juris Rn. 50 bis 52; Kegel, Zwangsvollstreckungsverfahren nach dem Justizbeitreibungsgesetz: Anlaufschwierigkeiten und eine Gesetzeslücke (?) im elektronischen Rechtsverkehr, https://ervjustiz.de/gastbeitrag-zwangsvollstreckungsverfahren-nach-dem-justizbeitreibungsgesetz-anlaufschwierigkeiten-und-eine-gesetzesluecke-im-elektronischen-rechtsverkehr - zuletzt abgerufen am 6. April 2023; zu § 5 Abs. 4 VwVG NW vgl. AG Düsseldorf, Beschluss vom 22. August 2022 - 665 M 867/22, juris Rn. 56 bis 58).
24 bb) Erklärtes Ziel des Gesetzgebers war es, den elektronischen Rechtsverkehr auch auf das Justizbeitreibungsverfahren zu erstrecken (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 sowie zur Änderung sonstiger zivilprozessualer Vorschriften, BTDrucks. 18/9698, S. 2). Es sollte sichergestellt werden, dass die neu eingeführten Regeln über den elektronischen Rechtsverkehr mit den Gerichtsvollziehern auch insoweit greifen, als diese Vollstreckungsanträge nach der Justizbeitreibungsordnung unmittelbar entgegennehmen. Eine Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs im Justizbeitreibungswesen sei in der Sache von erheblicher praktischer Bedeutung, weil ein Großteil der nach der Justizbeitreibungsordnung abzuwickelnden Verfahren Massenverfahren seien, bei denen die entsprechenden Vollstreckungsbehörden durch elektronische Einreichung ihrer Vollstreckungsanträge eine Verwaltungsvereinfachung erzielen könnten (BT-Drucks. 18/9698, S. 25).
25 Diesem erklärten Willen des Gesetzgebers widerspräche es, wenn an Vollstreckungsanträge nach dem Justizbeitreibungsgesetz strengere Anforderungen gestellt würden als an sonstige Vollstreckungsanträge. Dies kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass solchen Vollstreckungsanträgen titelersetzende Funktion zukommt, weil der Gesetzgeber auch für diese den elektronischen Rechtsverkehr einführen wollte, um eine Verwaltungsvereinfachung zu erzielen. Eine zusätzliche Einreichung in Papierform würde hingegen den Aufwand für die Vollstreckungsbehörden erhöhen.
26 cc) Aus den Vorschriften der §§ 754a, 829a ZPO, nach denen bei einer Vollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid in bestimmten Fällen die Übermittlung einer Abschrift des Schuldtitels als elektronisches Dokument genügt (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 23. September 2021 - I ZB 9/21, DGVZ 2022, 9 [juris Rn. 16 bis 19]), lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten. Sie enthalten Ausnahmen von dem Grundsatz, dass dem Vollstreckungsorgan die vollstreckbare Ausfertigung des Schuldtitels zu übergeben ist (vgl. hierzu auch § 754 ZPO). Für die Vollstreckung nach dem Justizbeitreibungsgesetz, bei der kein vollstreckbarer Schuldtitel erforderlich ist, sondern dieser nach § 7 Satz 1 und 2 JBeitrG durch den Antrag auf Abnahme der Vermögensauskunft ersetzt wird, treffen sie von vornherein keine Aussage.
27 b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts (ebenso AG Dorsten, Beschluss vom 6. September 2022 - 16 M 361/22, juris Rn. 5 bis 13; AG Düsseldorf, ZInsO 2023, 160 [juris Rn. 18]; AG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 2022 - 666 M 1788/22, juris Rn. 6 bis 57; AG Wuppertal, DGVZ 2022, 220 [juris Rn. 6 bis 13]; zu § 5 Abs. 4 VwVG NW vgl. AG Düsseldorf, Beschluss vom 22. August 2022 - 665 M 867/22, juris Rn. 3 bis 47) muss der elektronisch eingereichte Vollstreckungsantrag nicht qualifiziert elektronisch signiert sein; vielmehr ist die (einfache) Signatur in Verbindung mit einem sicheren Übermittlungsweg der qualifizierten elektronischen Signatur nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO gleichgestellt (vgl. LG Osnabrück, Beschluss vom 7. Juni 2022 - 2 T 142/22, juris Rn. 16; LG Arnsberg, Beschluss vom 23. September 2022 - 5 T 139/22, juris Rn. 9; AG Hameln, Beschluss vom 31. Mai 2022 - 24 M 45380/22, BeckRS 2022, 14954 Rn. 5; AG Bonn, DGVZ 2022, 219 [juris Rn. 16 und 19 f.]; AG Berlin-Lichtenberg, DGVZ 2022, 269 [juris Rn. 4]; BeckOK.Kostenrecht/Berendt aaO § 7 JBeitrG Rn. 9a; BeckOK.ZPO/Ulrici aaO § 753 Rn. 8.2).
28 aa) Durch die Einreichung über einen sicheren Übermittlungsweg ist die Authentizität des Vollstreckungsantrags mit Blick auf dessen Herkunft von der dazu befugten Behörde gewährleistet (vgl. BeckOK.ZPO/von Selle aaO § 130a Rn. 17; Kegel aaO). Damit wird der Gefahr begegnet, dass nicht zu der Behörde gehörende Personen einen fingierten Vollstreckungsantrag einreichen.
29 bb) Zwar trifft es zu, dass die einfache Signatur in Verbindung mit der Übermittlung über ein besonderes elektronisches Behördenpostfach oder das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach eines Gerichts - anders als die qualifizierte elektronische Signatur - keine Möglichkeit bietet, die Herkunft des Antrags von einem konkreten Sachbearbeiter rechtssicher nachzuweisen (vgl. AG Düsseldorf, Beschluss vom 22. August 2022 - 665 M 867/22, juris Rn. 40; AG Dorsten, Beschluss vom 6. September 2022 - 16 M 361/22, juris Rn. 10; AG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 2022 - 666 M 1788/22, juris Rn. 38; jurisPK.ERV/H. Müller aaO § 130a ZPO Rn. 214). Dies ist jedoch dem Umstand geschuldet, dass sowohl das besondere elektronische Behördenpostfach als auch das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach nicht für eine natürliche Person eingerichtet werden können (vgl. jurisPK.ERV/H. Müller aaO § 130a ZPO Rn. 293).
30 Die damit verbundene Unmöglichkeit der zweifelsfreien Zuordnung einer versandten Nachricht zu einer handelnden Person ist hinzunehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 2020 - 1 B 23/20, juris Rn. 5; VGH Baden-Württemberg, NJW 2019, 1543 [juris Rn. 4 f.]; Anders in Anders/Gehle aaO § 130a Rn. 23; H. Müller, RDi 2022, 92, 95). Der Postfachinhaber bestimmt nach § 8 Abs. 1 ERVV die natürlichen Personen, die Zugang zum besonderen elektronischen Behördenpostfach erhalten sollen, und stellt ihnen das Zertifikat und das Zertifikats-Passwort zur Verfügung. Die Zugangsberechtigten dürfen das Zertifikat nach § 8 Abs. 2 Satz 2 ERVV nicht an Unbefugte weitergeben und haben das Zertifikats-Passwort geheim zu halten. Der Postfachinhaber hat gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 ERVV zu dokumentieren, wer zugangsberechtigt ist, wann das Zertifikat und das Zertifikats-Passwort zur Verfügung gestellt wurden und wann die Zugangsberechtigung aufgehoben wurde; er stellt gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 ERVV zugleich sicher, dass der Zugang zu seinem besonderen elektronischen Behördenpostfach nur den von ihm bestimmten Zugangsberechtigten möglich ist. Durch diese Regelungen ist sowohl die Verantwortlichkeit der Behörde im Außenverhältnis als auch die Zuordnung zu einer im Innenverhältnis legitimierten Person hinreichend gewährleistet (vgl. BeckOK.ZPO/Ulrici aaO § 753 Rn. 8.2). Sollte der Gerichtsvollzieher gleichwohl Zweifel an der Urheberschaft des aus der einfachen Signatur hervorgehenden Sachbearbeiters hegen, steht es ihm frei, sich dieser Urheberschaft zum Beispiel durch Nachfrage bei der Vollstreckungsbehörde zu vergewissern.
31 cc) Auch aus der Vorschrift des § 802d Abs. 2 ZPO, die die Übermittlung eines vorhandenen Vermögensverzeichnisses an einen Gläubiger regelt, ergibt sich nichts anderes. Im Fall der elektronischen Übermittlung muss der Gerichtsvollzieher danach unter anderem eine qualifizierte elektronische Signatur anbringen. Daraus folgt jedoch nicht im Umkehrschluss, dass der Antrag auf Abnahme der Vermögensauskunft im Justizbeitreibungsverfahren ebenfalls einer solchen qualifizierten elektronischen Signatur bedürfte.
32 c) Sind die Voraussetzungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO eingehalten, ist auch die Anbringung eines aufgedruckten Dienstsiegels nicht erforderlich; erst recht bedarf es keines Stempel- oder Prägesiegels auf dem Vollstreckungsantrag (aA LG Hagen, FamRZ 2023, 381 [juris Rn. 18 bis 22]; vgl. hierzu auch AG Düsseldorf, ZInsO 2023, 160 [juris Rn. 20 bis 42]). Nach §§ 724, 725 ZPO ist zwar die vollstreckbare Ausfertigung eines Urteils mit dem Gerichtssiegel zu versehen. Hierfür reicht ein über die EDV-Anwendung des Gerichts aufgedrucktes Gerichtssiegel nicht aus (zu § 29 Abs. 3 GBO aF vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2016 - V ZB 88/16, NJW 2017, 1951 [juris Rn. 20 bis 23]; für das Mahnverfahren vgl. ergänzend § 703b ZPO). Die Verweisung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG erstreckt sich jedoch nicht auf die genannten Vorschriften. Für den Vollstreckungsantrag nach § 7 Satz 1 und 2 JBeitrG, der den Schuldtitel und auch dessen vollstreckbare Ausfertigung ersetzt, hat der Gesetzgeber daher kein solches Formerfordernis vorgesehen. Dies erscheint auch sachgerecht, weil dem Risiko, dass nicht zu der Behörde gehörende Personen einen fingierten Vollstreckungsantrag einreichen, durch das Erfordernis eines sicheren Übermittlungswegs begegnet wird (vgl. Rn. 28).