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Wirtschaftsrecht
30.08.2023
Wirtschaftsrecht
BGH: Elektronisch geführtes Handelsregister: Verschmelzungs-Eintragung ist allgemeinkundige Tatsache

BGH, Beschluss vom 24.5.2023 – VII ZB 69/21

ECLI:DE:BGH:2023:240523BVIIZB69.21.0

Volltext: BB-Online BBL2023-1921-5

Amtlicher Leitsatz

Die im Internet über das Gemeinsame Registerportal der Länder (www.handelsregister.de) aus dem elektronisch geführten Handelsregister ersichtliche Eintragung der Verschmelzung zweier Rechtsträger ist eine allgemeinkundige Tatsache im Sinne von § 727 Abs. 1 und 2 ZPO.

ZPO §§ 727, 291

Sachverhalt

    I.

Die Antragstellerin begehrt die Erteilung vollstreckbarer Ausfertigungen zweier Versäumnisurteile sowie eines Kostenfestsetzungsbeschlusses jeweils mit einer Rechtsnachfolgeklausel.

Die E.                   GmbH (nachfolgend: Titelgläubigerin) erwirkte gegen den Antragsgegner ein Versäumnisurteil; nach Einspruchseinlegung erging ein - rechtskräftiges - Zweites Versäumnisurteil. Mit Beschluss vom 27. August 2020 setzte das Amtsgericht die von dem Antragsgegner an die Titelgläubigerin nach beiden Versäumnisurteilen zu erstattenden Kosten fest.

Mit Schriftsatz vom 6. Juli 2021 hat der Verfahrensbevollmächtigte der Titelgläubigerin dem Amtsgericht mitgeteilt, die Titelgläubigerin sei nach Maßgabe eines Verschmelzungsvertrages mit Wirkung zum 31. Mai 2021 als übertragender Rechtsträger mit der EM.                    GmbH (im Folgenden: Antragstellerin) als übernehmendem Rechtsträger verschmolzen worden. Die Gesamtrechtsnachfolge sei in den beiden dem Schriftsatz beigefügten unbeglaubigten Handelsregisterauszügen betreffend die Titelgläubigerin (Amtsgericht H.      , HRB      ) sowie die Antragstellerin (Amtsgericht H.     , HRB    ) dokumentiert und offenkundig im Sinne von § 727 Abs. 2 ZPO. Hierauf gestützt hat der Verfahrensbevollmächtigte beantragt, der Antragstellerin jeweils eine vollstreckbare Ausfertigung der beiden Versäumnisurteile sowie des Kostenfestsetzungsbeschlusses mit Rechtsnachfolgeklausel zu erteilen.

Das Amtsgericht - Rechtspflegerin - hat die Titelumschreibung von der Vorlage öffentlich beglaubigter Handelsregisterauszüge abhängig gemacht. Nachdem die Antragstellerin solche nicht vorgelegt und an ihrer Auffassung festgehalten hat, die Offenkundigkeit sei auch dann gegeben, wenn die Rechtsnachfolge sich aus dem im Internet allgemein zugänglichen Handelsregister (www.handelsregister.de) ergebe, auf das die Justiz jederzeit und kostenlos Zugriff nehmen könne, hat das Amtsgericht - Rechtspflegerin - den Antrag auf Erteilung einer Rechtsnachfolgeklausel für die drei Vollstreckungstitel zurückgewiesen. Der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin hat es nicht abgeholfen und sie dem Landgericht als Beschwerdegericht vorgelegt. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren in den Vorinstanzen erfolglos gebliebenen Antrag weiter.

Aus den Gründen

    II.

 

6          Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung kann der Antrag auf Erteilung vollstreckbarer Ausfertigungen der beiden Versäumnisurteile sowie des Kostenfestsetzungsbeschlusses gemäß § 727 Abs. 1 ZPO nicht abgelehnt werden.

 

7          1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

 

8          Eine Offenkundigkeit im Sinne des § 727 ZPO "hinsichtlich des öffentlich im Internet zugänglichen Handelsregisters" liege nicht vor. Tatsachen seien offenkundig, wenn sie der Allgemeinheit bekannt oder ohne besondere Fachkunde - auch durch Information aus allgemein zugänglichen Quellen - wahrnehmbar (allgemeinkundig) oder den zur Entscheidung über die Erteilung der Vollstreckungsklausel berufenen Gerichtspersonen aus ihrer jetzigen oder früheren amtlichen Tätigkeit bekannt (gerichtskundig) seien. Bezüglich der Allgemeinkundigkeit schließe das Beschwerdegericht sich der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Karlsruhe (NJW-RR 2021, 548) und Naumburg (NJW-RR 2012, 638) an. Das Oberlandesgericht Karlsruhe habe ausgeführt, für die Offenkundigkeit reiche eine etwaige Veröffentlichung im Internet unter www.handelsregister.de nicht aus, weil der Zugang zu Informationen auf dieser Seite eine umfangreiche Registrierung voraussetze und kostenpflichtig sei. Die Möglichkeit zur Registereinsicht begründe auch keine Gerichtskundigkeit, da dies voraussetze, dass die Tatsache bei dem für die Erteilung der Rechtsnachfolgeklausel zuständigen Gericht aufgrund seiner jetzigen oder früheren amtlichen Tätigkeit, jedoch nicht erst aus Anlass des aktuellen Antrags bekannt geworden sei, was vorliegend nicht der Fall sei.

 

9          2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

 

10        a) Bei einer (Gesamt-)Rechtsnachfolge durch Verschmelzung ist diese zunächst im Register des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers und sodann in das Register des Sitzes des übernehmenden Rechtsträgers einzutragen (§§ 2, 19 Abs. 1, § 20 Abs. 1 UmwG). Dazu, ob die hiernach erforderlichen Eintragungen sich aus dem Handelsregister betreffend die Titelgläubigerin (Amtsgericht H.       , HRB     ) sowie die Antragstellerin (Amtsgericht H.      , HRB      ) ergeben, haben die Vorinstanzen - von ihrem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist dies daher zugunsten der Antragstellerin zu unterstellen.

 

11        b) Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht angenommen, die Veröffentlichung der in Rede stehenden Eintragungen im Internetportal www.handelsregister.de vermöge die Offenkundigkeit der Rechtsnachfolge im Sinne von § 727 Abs. 1 und 2 ZPO nicht zu begründen.

 

12        aa) Der Begriff der Offenkundigkeit nach § 727 Abs. 1 und 2 ZPO entspricht demjenigen des § 291 ZPO (BGH, Beschluss vom 26. August 2020 - VII ZB 39/19 Rn. 21, BGHZ 227, 1; Beschluss vom 13. Oktober 2016 - V ZB 174/15 Rn. 9, BGHZ 212, 264). Offenkundigkeit ist anzunehmen, wenn die die Rechtsnachfolge begründenden Tatsachen bei Gericht allgemeinkundig oder gerichtskundig sind (BGH, Beschluss vom 26. August 2020 - VII ZB 39/19 Rn. 21, BGHZ 227, 1; Beschluss vom 22. Mai 2019 - VII ZB 87/17 Rn. 26, MDR 2019, 959). Die Feststellung, ob eine Tatsache offenkundig in diesem Sinne ist, obliegt dem Tatrichter. Das Rechtsbeschwerdegericht kann ausgehend von dem Maßstab nach § 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 Abs. 2 ZPO - von hier nicht geltend gemachten Verfahrensfehlern bei der Feststellung der maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse abgesehen - nur prüfen, ob die Beurteilung des Sachverhalts durch das Beschwerdegericht auf einer Verkennung der Rechtssätze über die Offenkundigkeit beruht (BGH, Beschluss vom 26. August 2020 - VII ZB 39/19 Rn. 21, BGHZ 227, 1). Das ist hier der Fall.

 

13        bb) Das Beschwerdegericht hat bei der Beurteilung der Frage, ob die Veröffentlichung der Eintragungen im elektronisch geführten Handelsregister im Internetportal www.handelsregister.de die Offenkundigkeit der Rechtsnachfolge im Sinne von § 727 Abs. 1 und 2 ZPO zu begründen vermag, unzutreffende Anforderungen an die Voraussetzungen der Allgemeinkundigkeit von Tatsachen gestellt und dadurch die Rechtssätze über die Offenkundigkeit verkannt.

 

14        (1) Ob der Umstand, dass die Eintragungen im Handelsregister über das Internetportal www.handelsregister.de öffentlich zugänglich sind, es gestattet, eine dort ausgewiesene Rechtsnachfolge für offenkundig im Sinne von § 727 Abs. 1 und 2 ZPO zu erachten, ist in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum umstritten.

 

15        Teilweise wird - mit im Einzelnen unterschiedlicher Begründung - die Annahme von Offenkundigkeit abgelehnt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - 10 W 6/20, NJW-RR 2021, 548, juris Rn. 6; OLG Naumburg, Beschluss vom 14. Dezember 2011 - 10 W 74/11, NJW-RR 2012, 638, juris Rn. 8; LG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Juli 2020 - 20 T 26/20, BeckRS 2020, 16586; BeckOK ZPO/Ulrici, Stand: 1. März 2023, § 726 Rn. 16.1; Zöller/Seibel, ZPO, 34. Aufl., § 727 Rn. 20), teilweise hingegen bejaht (OLG Hamburg, Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 6 W 24/20, BeckRS 2020, 44159; LG Bonn, Beschluss vom 7. November 2014 - 6 T 308/14, RNotZ 2015, 368, juris Rn. 13 ff.; LG Görlitz, Beschluss vom 21. September 2022 - 5 T 158/21, n. v.; MünchKommZPO/Wolfsteiner, 6. Aufl. 2020, § 726 Rn. 61; BeckOK ZPO/Bacher, Stand: 1. März 2023, § 291 Rn. 5; BeckOGK HGB/Beurskens, Stand: 15. August 2022, § 9 Rn. 55; Winkler, RNotZ 2019, 117, 127; im Grundsatz auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 31. Januar 2023 - 7 W 12/23, BeckRS 2023, 1810, Gehle in Anders/Gehle, ZPO, 81. Aufl., § 727 Rn. 16 sowie Nober in Anders/Gehle, ZPO, 81. Aufl., § 291 Rn. 10).

 

16        Der Bundesgerichtshof hat bisher offengelassen, ob Eintragungen in öffentlichen Registern "per se" offenkundig im Sinne von § 727 Abs. 1 und 2 ZPO sind (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2012 - V ZB 124/12 Rn. 7, BGHZ 195, 292 zum Genossenschaftsregister). Er geht in seiner Rechtsprechung allerdings grundsätzlich davon aus, dass das Internet eine allgemein zugängliche Quelle ist (BGH, Beschluss vom 7. Mai 2020 - IX ZB 84/19 Rn. 15, NZI 2020, 679), so dass zu den offenkundigen Tatsachen im Sinne von § 291 ZPO auch solche gehören können, die das Gericht dem Internet entnehmen kann (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2022 - III ZR 195/20 Rn. 8, NJW-RR 2022, 499; Urteil vom 6. Februar 2018 - VI ZR 76/17 Rn. 23, NJW 2018, 1820). Soweit der erkennende Senat die öffentlichen Bekanntmachungen auf der Webseite www.insolvenzbekanntmachungen.de für die Annahme von Offenkundigkeit im Sinne von § 727 Abs. 1 und 2 ZPO nicht hat ausreichen lassen (BGH, Beschluss vom 5. Juli 2005 - VII ZB 16/05, ZIP 2005, 1474, juris Rn. 12 f.), hat er dies mit dem nach den insoweit maßgeblichen Rechtsgrundlagen beschränkten Umfang der vorzunehmenden Veröffentlichungen - im betreffenden Fall: der fehlenden Möglichkeit, eine etwaige spätere Entlassung des einmal bestellten Insolvenzverwalters anhand der Webseite zu ermitteln - begründet. Vergleichbare Beschränkungen bestehen hinsichtlich des Internetportals www.handelsregister.de nicht.

 

17        (2) Der Senat entscheidet die Streitfrage dahin, dass die im Internet über das Gemeinsame Registerportal der Länder (www.handelsregister.de) aus dem elektronisch geführten Handelsregister ersichtliche Eintragung der Verschmelzung zweier Rechtsträger eine allgemeinkundige Tatsache im Sinne von § 727 Abs. 1 und 2 ZPO ist.

 

18        Tatsachen sind allgemeinkundig, wenn sie zumindest am Gerichtsort der Allgemeinheit bekannt oder ohne besondere Fachkunde - auch durch Information aus allgemein zugänglichen zuverlässigen Quellen - wahrnehmbar sind (BGH, Beschluss vom 26. August 2020 - VII ZB 39/19 Rn. 23 m.w.N., BGHZ 227, 1). Die Tatsache muss nicht jedermann gegenwärtig sein, es genügt vielmehr, dass man sich aus einer allgemein zugänglichen und zuverlässigen Quelle ohne besondere Fachkunde über sie sicher unterrichten kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

 

19        (a) Der Inhalt des von den Registergerichten geführten Handelsregisters (§ 8 HGB) ist eine zuverlässige Informationsquelle.

 

20        Sinn und Zweck des Handelsregisters liegen darin, als technisches Medium für die Verlautbarung der für den Rechtsverkehr wesentlichen Tatsachen und Rechtsverhältnisse der Kaufleute und Handelsgesellschaften zu sorgen (Informations- und Publizitätsfunktion; vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2015 - II ZB 12/14 Rn. 18 m.w.N., NJW 2015, 2116). Die Zuverlässigkeit des Registers wird dadurch gewährleistet, dass die Anmeldungen zur Eintragung der registergerichtlichen Kontrolle unterliegen (vgl. Koch/Harnos in Staub, HGB, 6. Aufl., § 8 Rn. 2 f.; vgl. § 8 Abs. 1 HGB, §§ 23 ff. HRV) und an das Vertrauen in die Richtigkeit der enthaltenen Eintragungen in dem durch § 15 HGB gezogenen Rahmen materiell-rechtliche Wirkungen knüpfen. Mit Rücksicht darauf hat der Gesetzgeber im grundbuchamtlichen Verfahren ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, den Nachweis rechtserheblicher Umstände, die sich aus dem Handelsregister ergeben, anhand des Registerinhalts zu führen (vgl. § 32 GBO).

 

21        (b) Das elektronisch geführte Handelsregister (§ 8 Abs. 1 HGB i.V.m. § 48 HRV) ist eine allgemein zugängliche Informationsquelle.

 

22        (aa) Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 HGB ist jedem die Einsichtnahme in das Handelsregister als einem staatlichen öffentlichen Register, das aufgrund des Gesetzes über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (BGBl. I 2006, 2553) seit dem 1. Januar 2007 von den Gerichten elektronisch geführt wird (§ 8 Abs. 1 HGB), sowie in die zum Handelsregister eingereichten Dokumente zu Informationszwecken gestattet, ohne dass es der Darlegung eines besonderen Interesses bedarf. Das Einsichtsrecht kann zum einen gemäß § 10 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 HRV auf der Geschäftsstelle des zuständigen Registergerichts über ein Datensichtgerät oder durch Einsicht in einen aktuellen oder chronologischen Ausdruck (§ 10 Abs. 2 Satz 1, § 30a Abs. 1, 4 HRV) ausgeübt werden. Zum anderen hat der Gesetzgeber in § 9 Abs. 1 Satz 2 HGB vorgesehen, dass der Rechtsverkehr über ein von den Landesjustizverwaltungen bestimmtes elektronisches Informations- und Kommunikationssystem, in dem die Daten aus den Handelsregistern abrufbar sind, in den Datenbestand sämtlicher Handelsregister Einsicht nehmen kann. Er ist dabei davon ausgegangen, dass das Internet jedermann frei zur Verfügung steht, sei es über einen eigenen Anschluss oder über öffentliche Zugänge, etwa in Bibliotheken (vgl. BT-Drucks. 16/690, S. 44). Zur Verwirklichung der Einsicht über ein elektronisches Informations- und Kommunikationssystem haben die Bundesländer, gestützt auf § 9 Abs. 1 Satz 4 und 5 HGB, unter der Internetadresse www.handelsregister.de ein länderübergreifendes, elektronisches Informationssystem (Gemeinsames Registerportal der Länder) eingerichtet. Über dieses Portal kann unter anderem der Inhalt der von den Registergerichten elektronisch geführten Registerblätter (§§ 13, 48 HRV) wiedergegeben werden (vgl. zum Gegenstand des Einsichtsrechts insgesamt BeckOGK HGB/Beurskens, Stand: 15. August 2022, § 9 Rn. 19 ff.).

 

23        Die hierdurch vermittelte Form der Kenntnisnahme steht in rechtlicher Hinsicht der Möglichkeit der Kenntnisnahme des Registerinhalts auf der Geschäftsstelle des Registergerichts - die ihrerseits in der Regel gleichfalls elektronisch, nämlich über das Datensichtgerät erfolgt - gleich (vgl. BT-Drucks. 16/960, S. 34, 42; BeckOGK HGB/Beurskens, Stand: 15. August 2022, § 9 Rn. 39 ff.; MünchKommHGB/Krafka, 5. Aufl., § 9 Rn. 4; Oetker/Preuß, HGB, 7. Aufl., § 9 Rn. 4 f.). Der Allgemeinheit ist es daher möglich, den Inhalt des elektronisch geführten Handelsregisters (§ 48 HRV) entweder vor Ort auf der Geschäftsstelle des jeweiligen Registergerichts oder online über einen beliebigen Internetzugang zu Auskunftszwecken zur Kenntnis zu nehmen (vgl. auch Wolfsteiner, Die vollstreckbare Urkunde, 4. Aufl., Rn. 46.65).

 

24        Soweit demgegenüber die Auffassung vertreten wird, eine hinreichende Überzeugung hinsichtlich der Tatbestände des § 727 ZPO könne dem Klauselorgan - abgesehen von einem amtlichen Registerausdruck oder einer beglaubigten Registerabschrift bzw. Bescheinigung gemäß § 21 BNotO - allein der "Originalregisterinhalt" vermitteln, der über das Internetportal www.handelregister.de nicht einsehbar sei, sondern nur vergleichbar einer Kopie oder Abschrift wiedergegeben werde (BeckOK ZPO/Ulrici, Stand: 1. März 2023, § 726 Rn. 16.1), verfängt dieser Einwand nicht. Darauf, dass eine durch Ausdruck der Bildschirmansicht am eigenen Computer erstellte Kopie der aufgerufenen Datei nicht einem amtlichen Ausdruck nach § 30a HRV gleichsteht (§ 52 HRV), kommt es nicht an. Denn bei Einsicht in das ausschließlich elektronisch geführte Handelsregister wird auf den stets identischen Datenbestand zugegriffen, unabhängig davon, auf welchem Weg - sei es durch Einsichtnahme mittels Datensichtgeräts beziehungsweise in einen Ausdruck (§ 30a Abs. 1, 4 HRV) auf der Geschäftsstelle des Registergerichts, sei es online über das Gemeinsame Registerportal der Länder - dieser Zugriff erfolgt. Daher ist auch nicht der Schluss gerechtfertigt, nur die Einsicht in ein "Originalregister" auf der Geschäftsstelle des jeweiligen Registergerichts könne die Basis für die Überzeugungsbildung vom Eintritt eines Rechtsnachfolgetatbestandes sein.

 

25        (bb) Einer Einsichtnahme in das elektronisch geführte Handelsregister stehen keine Hindernisse entgegen, die es rechtfertigen, an der allgemeinen Zugänglichkeit dieser Informationsquelle zu zweifeln.

 

26        Dies gilt zunächst für den vom Beschwerdegericht unter Verweis auf obergerichtliche Rechtsprechung (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - 10 W 6/20, NJW-RR 2021, 548; ebenso BeckOK ZPO/Ulrici, Stand: 1. März 2023, § 726 Rn. 16.1) angeführten Gesichtspunkt, es fehle deshalb an der allgemeinen Zugänglichkeit des Registers, weil bei der Einsicht über das Gemeinsame Registerportal der Länder Kosten für den Datenabruf entstünden. Dem lässt sich allerdings, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht schon entgegenhalten, der Abruf "durch das Gericht" sei kostenlos. Denn die in § 2 Abs. 1 JVKostG unter anderem speziell für den Bund und die Länder angeordnete Kostenfreiheit ist ein (Gebühren-)Sondertatbestand, der bei der Beurteilung der Allgemeinzugänglichkeit außer Betracht bleiben muss. Indes ist der bis zum 31. Juli 2022 geltende Kostentatbestand des § 4 Abs. 1 JVKostG i.V.m. KV Nr. 1140, wonach für den Abruf von Daten aus dem Handelsregister eine Gebühr in Höhe von 4,50 € je Registerblatt erhoben wurde, gemäß Art. 11 Nr. 4 des Gesetzes zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie vom 5. Juli 2021 - DiRUG (BGBl. I S. 3338) mit Wirkung ab dem 1. August 2022 ersatzlos entfallen; nach der seither geltenden Rechtslage, die vom Rechtsbeschwerdegericht zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober 1988 - IVb ZB 80/86, NJW-RR 1989, 130, juris Rn. 9), ist der Abruf von Daten aus dem Handelsregister kostenlos. Jedenfalls aus diesem Grund kann die Gebührenpflicht des Datenabrufs bei der Beurteilung der Allgemeinkundigkeit keine Rolle (mehr) spielen. Ob in der bis Ende Juli 2022 bestehenden Kostenpflicht des Datenabrufs über das Registerportal www.handelsregister.de eine beachtliche Beschränkung der Nutzungsmöglichkeit des elektronisch geführten Handelsregisters als Informationsquelle lag (vgl. dazu eingehend - im Ergebnis verneinend - LG Bonn, Beschluss vom 7. November 2014 - 6 T 308/14, RNotZ 2015, 368, juris Rn. 15), bedarf hiernach keiner Entscheidung mehr.

 

27        Der Offenkundigkeit einer aus dem elektronisch geführten Handelsregister ersichtlichen, über das Registerportal www.handelsregister.de abrufbaren Eintragung steht ferner nicht entgegen, dass nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts die Nutzung des Gemeinsamen Registerportals der Länder die Durchführung eines Registrierungsprozesses unter Preisgabe persönlicher Daten voraussetzt und der Registrierungsantrag auf dem Postweg an die Servicestelle des Registerportals zu übermitteln ist (a.A. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - 10 W 6/20, NJW-RR 2021, 548, juris Rn. 6; BeckOK ZPO/Ulrici, Stand: 1. März 2023, § 726 Rn. 16.1). Die Ausgestaltung des Registrierungsprozesses, insbesondere das Erfordernis eines postalisch zu übermittelnden Registrierungsantrags an die für die Freischaltung zuständige Stelle, mag die Attraktivität einer Einsichtnahme in das Handelsregister über das Registerportal mindern (so BeckOGK HGB/Beurskens, Stand: 1. Oktober 2021, § 9 Rn. 44) und einer spontanen Onlineabfrage der Registerdaten vor erfolgter Registrierung entgegenstehen. Bei wertender Betrachtung liegt darin aber noch keine beachtliche Beschränkung der Nutzung des Registers als Informationsquelle durch die Allgemeinheit, zumal weder festgestellt noch sonst ersichtlich ist, dass bei Zugrundelegung üblicher Postlauf- und Bearbeitungszeiten eine Einsichtnahme nicht zeitnah nach Antragstellung möglich ist. Darüber hinaus bleibt eine Einsicht für jedermann auf der für die Führung des Handelsregisters zuständigen Geschäftsstelle möglich (§ 10 HRV).

 

28        Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass im Zuge der Registrierung persönliche Daten wie der Wohnsitz beziehungsweise die Postanschrift der Personen erhoben werden, die das Gemeinsame Registerportal der Länder zur Einsicht in das Register nutzen wollen. Der Sachverhalt unterscheidet sich insoweit nicht wesentlich von einer Einsichtnahme in das Grundbuch, dessen Eintragungen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als offenkundige Informationen anzusehen sein können (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2012 - VII ZA 11/12 Rn. 2, juris; Urteil vom 28. März 2000 - XI ZR 184/99, NJW-RR 2000, 1358, juris Rn. 15). Auch die Wahrnehmung dieses Einsichtsrechts, das nach § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO die Darlegung eines berechtigten Interesses voraussetzt, ist grundsätzlich mit der Preisgabe persönlicher Daten verbunden (vgl. auch § 12 Abs. 4 GBO, § 46a Abs. 1 GBV). Ferner wird - was das Beschwerdegericht nicht erwogen hat - bei einer Registereinsicht auf der Geschäftsstelle des Registergerichts die Identität der Einsicht nehmenden Person grundsätzlich nicht geprüft (vgl. BeckOGK HGB/Beurskens, Stand: 15. August 2022, § 9 Rn. 29).

 

29        (c) Die Feststellungen des Beschwerdegerichts belegen auch nicht, dass zur Einsichtnahme in das elektronische Handelsregister eine besondere, der Annahme von Offenkundigkeit entgegenstehende Fachkunde erforderlich ist.

 

30        Zwar ist nach den tatrichterlichen Feststellungen für die Einsicht in das Register über das Gemeinsame Registerportal der Länder ein Grundverständnis über den Aufbau und die Funktionsweise der Webseite sowie die damit verbundenen Recherchemöglichkeiten erforderlich. Es ist indessen weder festgestellt noch ersichtlich, dass die Erlernung der Nutzung des Registerportals zu Informationszwecken für einen verständigen Teilnehmer des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs mit einem unzumutbaren Aufwand verbunden ist oder besonderen Sachverstand voraussetzt. Ein solches Verständnis wäre nicht nur unzeitgemäß, weil es im Widerspruch zum hohen Verbreitungsgrad des Internets als einem zentralen Informations- und Kommunikationsmedium in allen Lebensbereichen stünde, sondern es widerspräche auch der erklärten Vorstellung des Gesetzgebers, der davon ausgegangen ist, dass die elektronische Handelsregisterführung die freie Zugänglichkeit der Eintragungen für jedermann und von überall her online ermöglicht (vgl. BT-Drucks. 16/960, S. 34, 44).

 

31        (d) Die gegenteilige Auffassung des Beschwerdegerichts steht schließlich auch im Widerspruch dazu, dass das Gesetz in § 32 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GBO - der Sache nach - Eintragungen im elektronisch geführten Handelsregister wie offenkundige Tatsachen behandelt. Nach diesen Vorschriften kann im grundbuchamtlichen Verfahren der Nachweis der im Handels-, Genossenschafts-, Partnerschafts- oder Vereinsregister eingetragenen Vertretungsberechtigungen, Sitzverlegungen, Firmen- oder Namensänderung sowie das Bestehen juristischer Personen und Gesellschaften durch Bezugnahme auf das Register geführt werden, soweit das Register - wie im Falle des Handelsregisters - elektronisch geführt wird. Der Gesetzgeber hat insoweit die Bezugnahme als Form des Nachweises zugelassen, weil das Grundbuchamt auf ein elektronisch geführtes öffentliches Register direkt und mit geringem Aufwand durch eine Onlineabfrage zugreifen und sich über den Registerinhalt informieren kann (vgl. BT-Drucks. 16/12319, S. 21, 47).

 

32        Soweit die Möglichkeit der Bezugnahme auf ein elektronisch geführtes Handelsregister durch § 32 Abs. 2 Satz 1 GBO auf die in Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift genannten Fälle beschränkt worden ist und daher insbesondere der Nachweis einer Umwandlung (§ 32 Abs. 1 Satz 2 GBO) nicht auf diesem Wege geführt werden kann, folgt hieraus nichts anderes. Denn die betreffende Differenzierung beruht nicht auf dem - in § 32 GBO ohnehin nicht tatbestandlich vorausgesetzten - Merkmal der Offenkundigkeit, sondern auf der Absicht des Gesetzgebers, den Rechercheaufwand für das Grundbuchamt auf ein Mindestmaß zu begrenzen, weil in der grundbuchamtlichen Praxis ein Nachweis der Vertretungsbefugnis zumeist im Zusammenhang mit der Löschung oder Abtretung eines Grundpfandrechts zu führen sei, seit dessen Eintragung in der Regel mehrere Jahre oder Jahrzehnte vergangen seien (BT-Drucks. 16/12319, S. 21, 47). § 32 Abs. 2 Satz 1 GBO gestattet daher nicht den Schluss, eine aus dem elektronisch geführten Handelsregister ersichtliche Rechtsnachfolge durch Verschmelzung zweier Rechtsträger könne nicht offenkundig i.S.v. § 727 Abs. 1, 2 ZPO sein.  III.

 

33        Die angefochtene Entscheidung ist hiernach aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO). Der Senat macht entsprechend § 572 Abs. 3 ZPO von der Möglichkeit Gebrauch, zugleich den erstinstanzlichen Beschluss aufzuheben und die Sache unmittelbar an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2019 - VII ZB 87/17 Rn. 30, DNotZ 2019, 919).

 

34        Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat kommt im Streitfall nicht in Betracht. Die Feststellung, ob der von der Antragstellerin geltend gemachte Rechtsnachfolgetatbestand sich aus dem elektronisch geführten Handelsregister ergibt, muss den Tatsacheninstanzen überlassen bleiben (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO; vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 1990 - V ZR 21/89, NJW 1990, 2620, juris Rn. 19 für das Revisionsverfahren).

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