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Wirtschaftsrecht
05.12.2013
Wirtschaftsrecht
OLG München: Einwirken auf das Abstimmungsverhalten eines Aufsichtsratsmitglieds

OLG München, Urteil vom 16.10.2013 - 7 U 3018/13


Amtliche Leitsätze


1. Für einen gegen ein Mitglied des Aufsichtsrats im Wege der einstweiligen Verfügung gerichteten Antrag eines Mitglieds des Vorstands auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten im Aufsichtsrat betreffend die Abberufung nach § 84 AktG gewährt diese Bestimmung keinen Anspruch


2. Da das Einwirken auf das Abstimmungsverhalten nur eines Mitglieds des Aufsichtsrats nicht geeignet ist, einen mehrheitlichen Beschluss zu verhindern, kann mit dem Antrag effektiver Rechtsschutz nicht erreicht werden


§ 84 AktG


Sachverhalt


I. Die Parteien streiten im Wege der einstweiligen Verfügung um die Berechtigung, die Vorstandsstellung des Verfügungsklägers zu widerrufen.


Der Kläger, Vorstand der a. A. S. AG, eines nicht börsennotiertes Softwareunternehmens, begehrt mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung dem Verfügungsbeklagten, dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Gesellschaft, zu untersagen, für den Widerruf seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied, für eine vorläufige Amtsenthebung (Suspendierung) als Vorstand der Gesellschaft und für die Kündigung seines Vorstandsanstellungsvertrags aus wichtigem Grund zu stimmen.


Das Landgericht hat am 12.12.2012 die beantragte einstweilige Verfügung erlassen. Nachdem der Beklagte hiergegen Widerspruch eingelegt hatte, hat es nach mündlicher Verhandlung vom 6.6.2013 die einstweilige Verfügung durch Endurteil im Wesentlichen aufrecht erhalten, allerdings mit der Maßgabe, dass die im ursprünglichen Beschluss genannten Maßnahmen, insbesondere der Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied nicht auf im einzelnen dargelegte Sachverhalte gestützt werden darf.


Das Landgericht hat seine Entscheidung maßgeblich damit begründet, dass dem Kläger ein Verfügungsanspruch zusteht, da er einen Anspruch darauf habe, nicht aus Gründen vom Aufsichtsrat abberufen zu werden, die auf einem Hauptversammlungsbeschluss beruhen, soweit diesem unsachliche Erwägungen i. S. d. § 84 Abs. 3 S. 2, 2. Hs AktG zugrunde liegen. Es sah die Gründe, aus denen die Hauptversammlung dem Kläger durch Beschluss das Vertrauen entzogen hat, als offenbar unsachlich an, wobei es im Einzelnen auf diese Gründe einging. Da nach dem Beschluss der Hauptversammlung über den Vertrauensentzug die naheliegende Gefahr bestehe, dass der Aufsichtsrat zumindest mehrheitlich zeitnah die Abberufung beschließen werde und dem Kläger aus dem Verlust der Organstellung bis zu einer erfolgreichen Hauptsacheentscheidung faktisch nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden, bejahte es die Voraussetzungen für einen einstweiligen Rechtsschutz. Der Verfügungsgrund sei auch nicht deshalb entfallen, weil der Kläger zu lange zugewartet habe.


Ergänzend wird auf die Entscheidungsgründe und die tatbestandlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils verwiesen.


Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der einwendet, dass das landgerichtliche Urteil offen lasse, warum einstweiliger Rechtsschutz nur gegen ein Mitglied der Aufsichtsrats begehrt wird. Der Beklagte verneint zudem unter Verweis auf die Norm des § 84 Abs. 3 S. 4 AktG grundsätzlich einstweiligen Rechtsschutz bei Abberufung eines Vorstandsmitglieds. Außerdem wendet er sich gegen die Feststellung des Erstgerichts, wonach der Hauptversammlungsbeschluss über die Vertrauensentziehung auf unsachlichen Erwägungen beruhte. Auch ein Verfügungsgrund läge nicht vor, es handle sich um einen unzulässigen Eingriff in die Entscheidungsfreiheit des Aufsichtsrats, wenn sich der Antrag nur gegen eins von drei Aufsichtsratsmitgliedern richte. Außerdem mangele es an der Dringlichkeit.


Der Beklagte beantragt daher die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.


Der Kläger begehrt die Zurückweisung der Berufung. Er hält das landgerichtliche Urteil für zutreffend. Auf den Hinweis des Senatsvorsitzenden lässt der Kläger vortragen, dass die Passivlegitimation des Beklagten zu bejahen sei. Effektiver Rechtsschutz gebiete es, in die Willensbildung eines Gesellschaftsorgans einzugreifen. Da die Abberufung durch den Beschluss des Aufsichtsrats nach § 84 Abs. 3 S. 4 AktG sofort wirksam werde, bestehe ein Recht, durch Eingriff in das Abstimmungsverhalten einen - wie vorliegend - sittenwidrigen Beschluss zu verhindern. Die herrschende Rechtsprechung zur GmbH sei auf Aktiengesellschaften entsprechend anwendbar.


Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen erster und zweiter Instanz verwiesen.


Aus den Gründen


II. Die zulässige Berufung des Beklagten erweist sich in der Sache als erfolgreich.


Dem Kläger steht ein Recht, dem Beklagten als Vorstand des Aufsichtsrats im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu untersagen, für den Widerruf der Bestellung, für eine vorläufige Amtsenthebung und die Kündigung des Vorstandsdienstvertrags des Klägers im Aufsichtsrat zu stimmen, nicht zu.


Eine Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch gegen ein Mitglied des Aufsichtsrats auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten gibt es nicht, insbesondere kann der Kläger einen Anspruch nicht auf § 84 AktG stützen.


Da es an der Passivlegitimation des Beklagten fehlt, er mithin nicht richtiger Anspruchsgegner ist, kommt es auf die Frage, ob der in der Hauptversammlung der Gesellschaft gefasste Beschluss über den Entzug des Vertrauens gegenüber dem Kläger auf unsachlichen Gründen fußt und ob ein Verfügungsgrund vorliegt, nicht an. Ebenso kann letztlich dahingestellt bleiben, ob einstweiliger Rechtsschutz angesichts des Wortlauts des § 84 Abs. 3 S. 4 AktG grundsätzlich in Betracht kommt, soweit das Fehlen eines wichtigen Grundes für den Widerruf der Bestellung geltend gemacht wird (Hölters, AktG, 2011, § 84 Rdnr. 84, m. w. N.).


Selbst wenn man im Ausgangspunkt dem Landgericht zustimmen sollte, dass die Untersagung eines bestimmten Abstimmungsverhaltens mit den Mitteln einer einstweiligen Verfügung in Ausnahmefällen statthaft ist, in denen auf andere Art und Weise effektiver Rechtsschutz nicht gewährleistet werden kann, und hierfür überaus strenge Anforderungen aufstellt, die sich daraus rechtfertigen, dass fehlerhafte Beschlüsse zu vollendeten Tatsachen führen und Folgen zeitigen, die mit den Mitteln nachgehenden Rechtsschutzes nicht mehr hinreichend beseitigt werden können (vgl. Entscheidung des Senats vom 13.9.2006 - 7 U 2912/06), kann das vorliegende Begehren des Klägers keinen Erfolg haben.


Der Kläger richtet seinen Antrag nämlich lediglich gegen ein Mitglied des Aufsichtsrats der Gesellschaft. Angesichts der Tatsache, dass das Einwirken auf das Abstimmungsverhalten eines Mitglieds des Aufsichtsrats nicht geeignet ist, einen mehrheitlichen Beschluss zu verhindern, kann der Kläger mit seinem Antrag effektiven Rechtsschutz, d. h. die Verhinderung des Aufsichtsratsbeschlusses, nicht erreichen. Sollte dem Beklagten die Abstimmung, wie beantragt, untersagt werden, hindert dies die mindestens zwei weiteren Aufsichtsratsmitglieder nämlich nicht, mehrheitlich für die Abberufung des Klägers etc. zu stimmen.


Hinzu kommt, dass, da für die Bestellung von Vorstandsmitgliedern nach § 84 Abs. 1 S. 1 AktG der Aufsichtsrat, und zwar der Gesamtaufsichtsrat zuständig ist, als „das getreuliche Gegenstück" zur Bestellung der Gesamtaufsichtsrat auch für den Widerruf zuständig ist (h. M., vgl. z. B. Spindler/Stilz, AktG, 2. Auflage, § 84 Rdnr. 92). Die Zuständigkeit für den Widerruf liegt somit beim Aufsichtsrat und damit dem Gremium und Organ der Gesellschaft, der/das durch Beschluss entscheidet, § 108 Abs. 1 AktG (Spindler/Stilz, a. a. O. Rdnr. 96). Einen Anspruch auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten gegen lediglich ein Mitglied des Aufsichtsrats kann der Kläger unter Berufung auf effektiven Rechtsschutz nicht herleiten. Dem stehen - entgegen der Auffassung des Klägervertreters - auch nicht Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten, die ein bestimmtes Abstimmungsverhalten einzelner, personalisierter Mitaktionäre in der Hauptversammlung zum Gegenstand hatten (s. oben Entscheidung des 7.Senats), entgegen. In den vom Kläger zitierten Entscheidungen war das Rechtsverhältnis der Aktionäre untereinander, die der gesellschafterlichen Treuepflicht unterliegen, betroffen. Eine vergleichbare Rechtsbeziehung zwischen dem Kläger als Vorstandsmitglied und einzelnen Mitgliedern des Aufsichtsrats besteht jedoch nicht.


Da der Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit zur Entscheidung berufen ist, könnte sich ein Anspruch des Klägers allenfalls gegen die Gesellschaft, vertreten durch den Aufsichtsrat, § 112 AktG, richten (vgl. Karsten Schmidt, AktG, 2008, § 84 Rdnr. 53).


Der Kläger kann sich auch nicht auf eine entsprechende Anwendbarkeit der im Bereich des GmbH-Rechts ergangenen Entscheidungen berufen. Dem GmbH-Recht ist ein dem Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft entsprechendes Organ fremd. Den vom Kläger herangezogenen Entscheidungen lagen zudem nicht vergleichbare Sachverhalte zu Grunde.


Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO.


Die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 710 Nr. 10, 713 ZPO

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