BGH: Eintritt einer Hauptsacheerledigung bei Einberufung auf Verlangen einer Minderheit
BGH, Beschluss vom 8.5.2012 - II ZB 17/11
Leitsätze
a) Im Verfahren auf Ermächtigung einer Aktionärsminderheit zur Einberufung einer Hauptversammlung und Ergänzung der Tagesordnung gem. § 122 Abs. 1 bis 3 AktG tritt eine Hauptsacheerledigung ein, wenn die Hauptversammlung entsprechend dem Verlangen gesetzes- und satzungsgemäß einberufen und durchgeführt worden ist.
b) Im unternehmensrechtlichen Verfahren wird ein Rechtsmittel mit der Erledigung der Hauptsache grundsätzlich insgesamt unzulässig, wenn kein Fall des § 62 Abs. 1 Fa-mFG vorliegt oder der Rechtsmittelführer sein Rechtsmittel nicht in zulässiger Weise auf den Kostenpunkt beschränkt.
FamFG §§ 62, 74 Abs. 1; AktG § 122 Abs. 3
Sachverhalt
I. Die Antragstellerin, eine Aktionärin der Rechtsbeschwerdeführerin, bean-tragte beim Amtsgericht Charlottenburg, sie zur Einberufung einer Hauptver-sammlung mit den Tagesordnungspunkten „Geltendmachung von Ersatzan-sprüchen gemäß § 147 Abs. 1 Satz 2 AktG gegen den Aufsichtsratsvorsitzen-den" und „Bestellung eines besonderen Vertreters gemäß § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG" zu ermächtigen. Das Amtsgericht Charlottenburg ermächtigte die Antrag-stellerin antragsgemäß am 28. Februar 2011. Auf der Hauptversammlung der Rechtsbeschwerdeführerin vom 31. März 2011 kam es nicht zur Feststellung der beantragten Beschlüsse. Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende als Versammlungsleiter bewertete die Stimmen der Antragstellerin als treuwidrig abgegeben und nichtig.
Daraufhin stellte die Antragstellerin den Antrag auf Einberufung einer Hauptversammlung mit den genannten Tagesordnungspunkten am 20. Mai 2011 erneut. Das Amtsgericht Charlottenburg wies den Antrag ab, weil es be-reits mit Beschluss vom 28. Februar 2011 einem solchen Antrag der Antragstel-lerin stattgegeben habe. Der dagegen erhobenen Beschwerde der Antragstelle-rin half das Amtsgericht insoweit ab, als es eine Ergänzung der Tagesordnung für die inzwischen auf den 30. August 2011 einberufene Hauptversammlung der Rechtsbeschwerdeführerin um die genannten Tagesordnungspunkte anordne-te. Gegen den Teilabhilfebeschluss legte die Rechtsbeschwerdeführerin ihrer-seits Beschwerde ein. Das Kammergericht verwarf mit Beschluss vom 25. August 2011 die Beschwerde der Antragstellerin, soweit ihr nicht abgehol-fen worden war, als unzulässig, weil der Vorstand der Rechtsbeschwerdeführe-rin bereits für den 30. August 2011 eine Hauptversammlung einberufen habe, wies die Beschwerde der Rechtsbeschwerdeführerin zurück und ließ die Rechtsbeschwerde zu. Danach sagte die Rechtsbeschwerdeführerin die auf den 30. August 2011 anberaumte Hauptversammlung ab.
Gegen den Beschluss des Kammergerichts legte die Rechtsbeschwerde-führerin am 31. August 2011 Rechtsbeschwerde ein, mit der sie beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ihrer Beschwerde stattzugeben, hilfsweise das Verfahren zur neuen Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Auf erneuten Antrag der Antragstellerin ermächtigte sie das Amtsgericht Charlottenburg am 12. September 2011 zur Einberufung einer Hauptversammlung mit den genannten Tagesordnungspunkten. In der Hauptversammlung der Rechtsbeschwerdeführerin vom 17. Oktober 2011 wurden entsprechende Be-schlüsse gefasst.
Aus den Gründen
5 II. Die Rechtsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen (§ 74 Abs. 1 FamFG). Sie ist unzulässig geworden, weil die Hauptsache mit der Fassung der beantragten Beschlüsse in der Hauptversammlung der Rechtsbeschwerdefüh-rerin am 17. Oktober 2011 erledigt ist.
6 1. Ein bereits eingelegtes Rechtsmittel wird im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit der Erledigung der Hauptsache grundsätzlich insgesamt unzulässig, wenn kein Fall des § 62 Abs. 1 FamFG vorliegt oder der Rechtsmit-telführer sein Rechtsmittel nicht in zulässiger Weise auf den Kostenpunkt be-schränkt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2011 - V ZB 170/11, WM 2012, 300 Rn. 5; Beschluss vom 3. Dezember 1986 - IVb ZB 35/84, FamRZ 1987, 469; Beschluss vom 10. Februar 1983 - V ZB 18/82, BGHZ 86, 393, 395; OLG München, AG 2006, 590, 591). Mit der Erledigung entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittel. Im Verfahren der freiwilligen Ge-richtsbarkeit tritt eine Erledigung der Hauptsache ein, wenn der Verfahrensge-genstand durch ein Ereignis, das eine Veränderung der Sach- und Rechtslage bewirkt, weggefallen ist, so dass die Weiterführung des Verfahrens keinen Sinn mehr hätte, da eine Sachentscheidung nicht mehr ergehen kann (vgl. BGH, Be-schluss vom 25. November 1981 - IVb ZB 756/81, NJW 1982, 2505, 2506; Be-schluss vom 10. Oktober 2010 - V ZB 78/10, FGPrax 2011, 39).
7 2. Mit der Beschlussfassung in der Hauptversammlung am 17. Oktober 2011 über die Tagesordnungspunkte „Geltendmachung von Ersatzansprüchen gemäß § 147 Abs. 1 Satz 2 AktG gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden" und „Bestellung eines besonderen Vertreters gemäß § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG" hat sich das Begehren der Minderheit gemäß § 122 Abs. 3 AktG und somit die Hauptsache des mit dem Antrag vom 20. Mai 2011 eingeleiteten Verfahrens erledigt. Der Verfahrensgegenstand ist weggefallen, so dass die Weiterführung des Verfahrens sinnlos geworden ist und eine Sachentscheidung nicht mehr ergehen kann.
8 a) Im Verfahren auf Ermächtigung einer Aktionärsminderheit zur Einberu-fung einer Hauptversammlung und Ergänzung der Tagesordnung gem. § 122 Abs. 1 bis 3 AktG tritt eine Hauptsacheerledigung ein, wenn die Hauptversamm-lung entsprechend dem Verlangen gesetzes- und satzungsgemäß einberufen und durchgeführt worden ist (vgl. KG, NZG 2003, 441, 442; Werner in Groß-komm. AktG, 4. Aufl., § 122 Rn. 67; Noack/Zetzsche in KK-AktG, 3. Aufl., § 122 Rn. 110; Reger in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 122 Rn. 22; Butzke in Obermüller/Werner/Winden, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., Rn. B 125; Wagner, ZZP 1992 [105], 294, 300). Wenn die Hauptver-sammlung über die mit der beantragten Ermächtigung gewünschten Be-schlussgegenstände abgestimmt hat und ein Abstimmungsergebnis festgestellt ist, ist der Verfahrensgegenstand für das Ermächtigungsverfahren nach § 122 Abs. 3 AktG entfallen. Das Ermächtigungsverfahren dient der Durchsetzung des Minderheitenverlangens nach § 122 Abs. 1 und 2 AktG. Mit der Durchführung der Hauptversammlung und der Beschlussfassung über Ergänzungsanträge ist das Minderheitenverlangen erfüllt. § 122 Abs. 1 und 2 AktG gewährleistet einer Minderheit von Aktionären, dass die Hauptversammlung zusammentritt und sich mit Angelegenheiten befasst, deren Behandlung die Minderheit wünscht. Damit erhält die Minderheit zugleich die Möglichkeit, andere Aktionäre für die von ihr gewünschte Beschlussfassung zu gewinnen und bei einer Ablehnung ihrer An-träge den entsprechenden Beschluss der Hauptversammlung einer gerichtli-chen Nachprüfung zu unterziehen (KG, NZG 2003, 441, 443; Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 122 Rn. 1; MünchKommAktG/Kubis, 2. Aufl., § 122 Rn. 1).
9 Die Rechtmäßigkeit der Ermächtigung ist nach der Beschlussfassung auf einer satzungs- und gesetzesmäßig einberufenen Hauptversammlung ohne Bedeutung. Wegen der Gestaltungswirkung der gerichtlichen Ermächtigung kann die Anfechtung des gefassten Beschlusses nicht darauf gestützt werden, dass die Ermächtigung nicht hätte erteilt werden dürfen; deren Wirksamkeit ist vielmehr im Verfahren nach § 122 Abs. 3 AktG zu überprüfen (RGZ 170, 88, 93 zur Genossenschaft; OLG Düsseldorf, ZIP 1997, 1153, 1158). Eine Aufhebung der Ermächtigung im Beschwerdeverfahren oder Rechtsbeschwerdeverfahren nach Beschlussfassung der Hauptversammlung hat aus diesem Grund ebenso wenig wie eine Bestätigung Bedeutung für die Wirksamkeit der gefassten Be-schlüsse (Noack/Zetzsche in KK-AktG, 3. Aufl., § 122 Rn. 124; Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 122 Rn. 68; MünchKommAktG/Kubis, 2. Aufl., § 122 Rn. 64; MünchKommAktG/Hüffer, 3. Aufl., § 241 Rn. 29; Werner in Groß-komm. AktG, 4. Aufl., § 122 Rn. 85; K. Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 241 Rn. 45; Butzke in Obermüller/Werner/Winden, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., Rn. B 127; Wagner, ZZP 1992 [105], 294, 303).
10 Das Verfahren ist auch erledigt, wenn über die mit einem Antrag nach § 122 Abs. 2 AktG verlangten Beschlussgegenstände unabhängig von der erteilten Ermächtigung Beschluss gefasst worden ist. Auch dann ist ein Verlangen der Minderheit erfüllt.
11 b) Durch die Abstimmung über die Tagesordnungspunkte auf der Haupt-versammlung am 17. Oktober 2011 ist das mit dem Antrag vom 20. Mai 2011 verfolgte Begehren der Antragstellerin erfüllt worden. Der Wirksamkeit der am 17. Oktober 2011 gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse stände auch eine Aufhebung der hier angefochtenen Entscheidung des Kammergerichts und eine Wiederherstellung des Beschlusses des Amtsgerichts Charlottenburg vom 27. Juni 2011 nicht entgegen. Ob mit der Beschlussfassung auf der Hauptver-sammlung vom 17. Oktober 2011 der Ermächtigungsbeschluss des Amtsge-richts Charlottenburg vom 12. September 2011 vollzogen wurde oder von der aufgrund des Antrags vom 20. Mai 2011 erteilten Ermächtigung Gebrauch ge-macht wurde, ist dafür ohne Bedeutung.
12 c) Der Eintritt der Erledigung ist im Rechtsbeschwerdeverfahren zu be-achten. Eine Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an die insoweit fehlenden Feststellungen des Beschwerdegerichts (§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG, § 559 ZPO) besteht nicht. Neu vorgetragene Tatsachen, welche die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde betreffen, sind vom Rechtsbeschwerdegericht zu berücksichtigen. Dazu gehö-ren insbesondere die Tatsachen, die zu einer Erledigung der Hauptsache wäh-rend des Rechtsbeschwerdeverfahrens führen (BGH, Beschluss vom 31. März 2011 - V ZB 83/10, juris Rn. 7; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 17. Aufl., § 74 Rn. 39, 41; Unger in Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, 3. Aufl., § 74 Rn. 20, 23).