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Wirtschaftsrecht
31.03.2010
Wirtschaftsrecht
BGH: Eintritt der Verjährungshemmung trotz unwirksamer Zustellung des Mahnbescheids

BGH, Urteil vom 26.2.2010 - V ZR 98/09

Leitsatz

Die unwirksame Zustellung des Mahnbescheids hindert den Eintritt der Verjährungs-hemmung nicht, wenn der Anspruchsinhaber für die wirksame Zustellung alles aus seiner Sicht Erforderliche getan hat, der Anspruchsgegner in unverjährter Zeit von dem Erlass des Mahnbescheids und seinem Inhalt Kenntnis erlangt und die Wirk-samkeit der Zustellung ebenfalls in unverjährter Zeit in einem Rechtsstreit geprüft wird.

BGB § 204 Abs. 1 Nr. 3

Sachverhalt

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 1. Juli 2002 erwarb die Beklagte von der Klägerin ein Hausgrundstück für 173.840 €. Sie zahlte den Kaufpreis nicht. Am 27. Mai 2003 gab sie das Grundstück zurück und teilte der Klägerin mit, dass sie keine Einwände gegen die Rückabwicklung des Vertrags erhebe.

Die Klägerin verlangt nunmehr noch 24.783,57 € Schadensersatz (antei-lige Kosten für Grundsteuer, Haftpflicht- und Gebäudeversicherung für die Jah-re 2003 bis 2006 sowie den ihr in der Zeit vom 11. April 2003 bis zum 26. September 2006 entstandenen Zinsschaden) mit der Begründung, sie habe das Grundstück erst im Sommer 2006 für 175.000 € an Dritte verkaufen kön-nen.

Die Klägerin hat ihre Ansprüche im Mahnverfahren geltend gemacht. Am 18. April 2006 wurde der Mahnbescheid durch Einwurf in den Briefkasten zuge-stellt, allerdings unter einer nicht mehr zutreffenden Anschrift. Die Beklagte war Ende November 2005 umgezogen; sie hatte sich zwar ordnungsgemäß umge-meldet, aber die Namensschilder an Tür und Türklingel nicht entfernt. Der Voll-streckungsbescheid wurde am 9. Mai 2006 in gleicher Weise zugestellt.

Am 25. Juli 2006 wurde die Beklagte von dem Gerichtsvollzieher über eine bevorstehende Zwangsvollstreckungsmaßnahme unterrichtet. Auf Nach-frage erhielt sie am 27. Juli 2006 von dem Mahngericht die Mitteilung über die Zustellung des Vollstreckungsbescheids am 9. Mai 2006.

Mit Schriftsatz vom 2. August 2006 hat die Beklagte Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist beantragt. Das Landgericht hat mit Urteil vom 6. Oktober 2006 den Antrag zurückgewiesen und den Ein-spruch als unzulässig verworfen. Das Oberlandesgericht hat mit Urteil vom 11. Juli 2007 die Wiedereinsetzung gewährt, das Urteil des Landgerichts aufge-hoben und die Sache zur weiteren Verhandlung an das Landgericht zurückver-wiesen. Daraufhin hat das Landgericht die auf Aufrechterhaltung des Vollstre-ckungsbescheids gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zu-rückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin die Klage weiter.

Aus den Gründen

6          I. Das Berufungsgericht hält das Rechtsmittel für zulässig, obwohl die Klä-gerin in ihrer Berufungsbegründung ausschließlich die Erwägungen des Land-gerichts zur Verjährung des Anspruchs angegriffen hat. Es sei unklar, ob die Klageabweisung auf zwei selbständige rechtliche Gesichtpunkte, das Fehlen einer Rücktrittserklärung der Klägerin und die Verjährung, oder nur auf die Ver-jährung gestützt worden sei. Letzteres liege näher; deshalb habe die Klägerin ihre Rügen auf die Frage der Verjährung beschränken dürfen.

7          In der Sache sieht das Berufungsgericht den Klageanspruch als verjährt an. Die dreijährige Verjährungsfrist sei am 31. Dezember 2006 abgelaufen und nicht nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt worden, weil der Mahnbescheid der Beklagten nicht wirksam zugestellt worden sei. Die Anspruchsbegründung der Klägerin sei der Beklagten erst am 15. Oktober 2007 und damit nach dem Ablauf der Verjährungsfrist zugestellt worden. Diese Zustellung habe keine Rückwirkung entfaltet (§ 167 ZPO), weil die Verzögerung darauf beruhe, dass die Klägerin in dem Mahnbescheidsantrag eine Anschrift der Beklagten ange-geben habe, deren Unrichtigkeit ihr in unverjährter Zeit bekannt geworden sei. Die Verjährung sei auch nicht nach § 206 BGB gehemmt worden, weil die Klä-gerin von dem Zustellungsmangel ebenfalls in unverjährter Zeit Kenntnis erlangt habe. Schließlich komme die Heilung des Zustellungsmangels nach § 189 ZPO nicht in Betracht, weil die Beklagte die zuzustellenden Dokumente nicht in an-derer Weise tatsächlich "in die Hand bekommen" und sie sich auch nicht rüge-los eingelassen habe.

8          II. Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Ein eventueller Schadensersatzanspruch der Klägerin ist nicht verjährt.

9          1. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Zulässigkeit des Rechtsmittels bejaht. Das erstinstanzliche Urteil ist hinsichtlich der Begründung für die Klage-abweisung nicht unklar, sondern eindeutig. Das Landgericht hat es ausdrücklich dahingestellt gelassen, ob die Klägerin wirksam von dem Kaufvertrag zurückge-treten ist, und die Abweisung der Klage ausschließlich auf die angenommene Verjährung des eventuellen Anspruchs gestützt.

10        2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch diese Ansicht des Land-gerichts bestätigt.

11        a) Zutreffend ist allerdings sein Ausgangspunkt. Der geltend gemachte Anspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB). Nach der Vorschrift des § 199 Abs. 1 BGB begann sie mit dem Schluss des Jahres 2003 zu laufen; sie endete somit am 31. Dezember 2006.

12        b) Im Ergebnis mit Erfolg macht die Revision indes geltend, dass die Ver-jährung durch die innerhalb der Verjährungsfrist von der Klägerin betriebene Rechtsverfolgung gehemmt ist.

13        aa) In § 204 Abs. 1 BGB sind diejenigen Möglichkeiten der Rechtsverfol-gung aufgeführt, die der Anspruchsinhaber ergreifen muss, um den Eintritt der Verjährung des Anspruchs durch ihre Hemmung zu verhindern. Sie sind, soweit hier von Interesse, auf die Einleitung eines förmlichen gerichtlichen Verfahrens mit dem Ziel der Anspruchsdurchsetzung gerichtet. Allerdings tritt die Verjäh-rungshemmung nicht schon mit dem Tätigwerden des Anspruchsinhabers, son-dern erst dann ein, wenn der Anspruchsgegner davon durch die Zustellung der Klage (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) bzw. des Mahnbescheids (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB), eines sonstigen verfahrenseinleitenden Antrags (§ 204 Abs. 1 Nr. 2, 7 und 9 BGB) oder durch die Veranlassung der Bekanntgabe des bei der zustän-digen Stelle eingereichten Güteantrags (§ 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB) oder des erstmaligen Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (§ 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB) Kenntnis erlangt.

14        bb) Ob das Berufungsgericht, wie die Revision unter Berufung auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19. Dezember 2001 (VIII ZR 282/00, NJW 2002, 827, 831), auf die Regelung in § 167 ZPO und auf die Vorschrift des § 206 BGB meint, zu Unrecht angenommen hat, dass der von der Klägerin am 10. April 2006 beantragte Mahnbescheid der Beklagten nicht wirksam zugestellt worden ist, kann offenbleiben. Denn es hat dem Umstand, dass die Rechtzei-tigkeit des Einspruchs gegen den Vollstreckungsbescheid und damit auch die Wirksamkeit der Zustellung in dem ersten erstinstanzlichen Verfahren vor dem Ablauf der Verjährungsfrist geprüft worden ist, nicht die zutreffende rechtliche Bedeutung beigemessen und deshalb fehlerhaft die Verjährungshemmung we-gen unwirksamer Zustellung des Mahnbescheids verneint.

15        (1) Zwar setzt der Eintritt der Verjährungshemmung, wenn sich der An-spruchsinhaber - wie hier - für die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs im Wege des Mahnverfahrens (§§ 688 ff. ZPO) entscheidet, nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB die wirksame Zustellung des Mahnbescheids an den Anspruchsgeg-ner innerhalb der Verjährungsfrist voraus. Ausnahmen hiervon ergeben sich aus dem Prozessrecht. Nach § 167 ZPO tritt die Hemmung der Verjährung be-reits mit dem Eingang des Antrags auf Erlass des Mahnbescheids bei dem zu-ständigen Amtsgericht (§ 689 ZPO) ein, wenn die Zustellung des Mahnbe-scheids demnächst erfolgt. Nach § 189 ZPO gilt der Mahnbescheid, dessen formgerechte Zustellung nicht nachzuweisen ist oder der unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, in dem Zeitpunkt als zuge-stellt, in welchem er dem Zustellungsadressaten tatsächlich zugegangen ist.

16        (2) Aber das bedeutet nicht, die Hemmung der Verjährung im Fall der unwirksamen Zustellung ausnahmslos nicht eintreten zu lassen. Entscheidend ist vielmehr, ob im Einzelfall Sinn und Zweck der Vorschrift des § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gewahrt sind. Sie bestehen zum einen darin, sicherzustellen, dass ein Anspruch nicht verjährt, wenn der Anspruchsinhaber angemessene und unmissverständliche Schritte zur Durchsetzung des Anspruchs ergriffen (Begr. RegE BT-Drucks. 14/6040 S. 111), hier also den Erlass des Mahnbescheids beantragt hat. Zum anderen soll der Anspruchsgegner soweit wie möglich davor gewarnt werden, dass von ihm in unverjährter Frist die Erfüllung eines An-spruchs verlangt wird (vgl. Staudinger/Grothe, BGB [2009], § 204 Rdn. 33). Beides wird nicht nur durch die wirksame Zustellung des Mahnbescheids, son-dern auch dadurch erreicht, dass der Anspruchsinhaber für die wirksame Zu-stellung alles aus seiner Sicht Erforderliche getan hat, der Anspruchsgegner trotz unwirksamer Zustellung in unverjährter Zeit von dem Erlass des Mahnbe-scheids und seinem Inhalt Kenntnis erlangt und die Wirksamkeit der Zustellung ebenfalls in unverjährter Zeit in einem Rechtsstreit geprüft wird. In einem sol-chen Fall befinden sich beide Parteien im Hinblick auf den Eintritt der Verjäh-rungshemmung in derselben Lage, in der sie sich bei einer wirksamen Zustel-lung befänden. Gleichwohl die nochmalige Zustellung des Mahnbescheids zu verlangen, bedeutet ein unnötiges Beharren auf der Einhaltung einer Förmlich-keit, die nicht einmal das Gesetz für den Eintritt der Verjährungshemmung in jedem Fall verlangt.

17        (3) Danach hat das Berufungsgericht der Klägerin zu Unrecht angelastet, dass sie die Zustellung des Mahnbescheids unter der ihr in dem ersten erstin-stanzlichen Verfahren bekannt gewordenen neuen Anschrift der Beklagten nicht bis zum Ablauf der Verjährungsfrist veranlasst hat. Wie sich aus der Ein-spruchsbegründung der Beklagten vom 2. August 2006 ergibt, war ihr nicht nur der Umstand der Zustellung bekannt, sondern auch der Inhalt des Vollstre-ckungsbescheids, der am 5. Mai 2006 aufgrund des Mahnbescheids erlassen worden ist. Der Einspruch war Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens. Bei dieser Sachlage ist nichts ersichtlich, das dem Eintritt der Verjährungs-hemmung entgegensteht.

18        III. Somit hat das Berufungsurteil keinen Bestand. Es ist aufzuheben (§ 562 ZPO); die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Beru-fungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit es die not-wendigen Feststellungen zu Grund und Höhe des Anspruchs treffen kann.

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