R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Wirtschaftsrecht
09.06.2022
Wirtschaftsrecht
OLG München: Einstweilige Verfügung gegen Einziehung eines Geschäftsanteils – zeitnahes Handeln erforderlich

OLG München, Beschluss vom 22.2.2022 – 7 W 186/22

Volltext: BB-Online BBL2022-1361-1

Leitsätze

1. Ein einmal grundsätzlich gegebener Verfügungsgrund kann wieder entfallen, wenn der Antragsteller nach Eintritt der Gefährdung mit einem Antrag zuwartet oder das Verfahren nicht zügig betreibt. (redaktioneller Leitsatz)

2. Zwar lässt sich nicht allgemein bestimmen, sondern es hängt von der Art des geltend gemachten Anspruchs und den Umständen des Einzelfalls ab, wie lange ein Antragsteller mit dem Antrag zuwarten darf. Jedoch ist mit sechs Monaten die Grenze zulässigen Zuwartens bei Weitem überschritten. (redaktioneller Leitsatz)

Sachverhalt

I.

Die Parteien streiten um die Einziehung der Geschäftsanteile des Antragstellers an der Antragsgegnerin.

Die Antragsgegnerin, deren Stammkapital 25.000 € beträgt, betreibt Restaurants in München. An ihr waren - jedenfalls bis zum 06.07.2021 - der Antragsteller und … zu jeweils gleichen Teilen beteiligt. … ist zugleich alleiniger Geschäftsführer der Antragsgegnerin (vgl. Anl. K 3). In § 7 des Gesellschaftsvertrages laut Anl. K 4 ist stipuliert, dass die Geschäftsanteile eines Gesellschafters ohne seine Zustimmung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes eingezogen werden können. Bei der Fassung des Einziehungsbeschlusses hat der Gesellschafter, dessen Geschäftsanteile eingezogen werden sollen, kein Stimmrecht.

Am 06.07.2021 fasste die Gesellschafterversammlung der Antragsgegnerin mit den Stimmen des … zu TOP 3 der Tagesordnung laut Einladung vom 28.06.2021 (Anl. K 5) den Beschluss, die Geschäftsanteile des Antragstellers einzuziehen. … eichte noch am selben Tag eine Gesellschafterliste beim Handelsregister ein, die den Antragsteller nicht mehr als Gesellschafter der Antragsgegnerin auswies (vgl. Anl. K 2).

Am 21.07.2021 beantragte der Antragsteller beim Landgericht München I, Az. 29 O 9871/21, … zu verpflichten, eine Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen, in der der Antragsteller wieder als Gesellschafter der Antragsgegnerin genannt wird. Hilfsweise solle der Liste ein Widerspruch zugeordnet werden. Auf Hinweis des Landgerichts, dass … nicht passivlegitimiert sei, nahm der Antragsteller seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück.

Im Verfahren des Landgerichts München I, Az. 16 HK O 10678/21, verfolgt der Antragsteller die Nichtigerklärung des Einziehungsbeschlusses vom 06.07.2021. In diesem Verfahren erging am 14.12.2021 ein Versäumnisurteil, mit dem der Einziehungsbeschluss der Gesellschafterversammlung der Antragsgegnerin vom 06.07.2021 für nichtig erklärt wurde. Das Versäumnisurteil ist nicht rechtskräftig.

Der Antragsteller behauptete, es lägen in seiner Person keine Ausschluss- bzw. Einziehungsgründe vor. Außerdem könne die Antragsgegnerin das ihm zustehende Abfindungsguthaben nicht aus ihrem freien Vermögen bezahlen. Diese Frage sei in dem Einziehungsbeschluss vom 06.07.2021 nicht einmal angesprochen.

Der Antragsteller beantragte mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 11.01.2022 (Bl. 55/67 d.A.) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes:

1. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache über die Einziehung seiner Geschäftsanteile aufgrund Beschlusses der Gesellschafterversammlung vom 06.07.20212 als Gesellschafter der Beklagten mit einer Beteiligung von 12.500 EUR (lfd. Nr. 12.501-25.000 der Gesellschafterliste und einem Nennwert von 12.500 EUR, was einer prozentualen Beteiligung am Stammkapital i.H.v. 50 % entspricht) mit allen Rechten und Pflichten zu behandeln.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, eine korrigierte Gesellschafterliste zur Aufnahme im Handelsregister des Amtsgerichts München unter der Handelsregisternummer HRB 2...1 einzureichen, in welcher der Kläger als Gesellschafter der Beklagten mit einer Beteiligung von 12.500 EUR (Geschäftsanteile mit den lfd. Nrn. 12.501 bis 25.000 und einem Nennwert von je 1 EUR, was einer prozentualen Beteiligung am Stammkapital i.H.v. insgesamt 50 % entspricht) am Stammkapital genannt ist.

Die Antragsgegnerin beantragte die Zurückweisung des Antrags.

Sie erwiderte, dass ein wichtiger Grund für die Einziehung der Geschäftsanteile des Antragstellers vorläge. Denn der Antragsteller habe am 10.09.2020 auf Rechnung der Antragsgegnerin für seine Privatwohnung Möbel zum Preis von 3.519,84 € gekauft. Am 16.12.2021 habe er in den Restaurants der Antragsgegnerin Getränke konsumiert und Speisen mitgenommen, ohne dafür bezahlt zu haben und ohne einen 2G-Nachweis erbracht zu haben. Obwohl ihm daraufhin mit Schreiben des seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten vom 17.12.2021 für die Restaurants der Antragsgegnerin Hausverbot erteilt worden, habe er am Abend des 17.12.2021 - wiederum ohne 2G-Nachweis - die Räumlichkeiten eines der beiden Restaurants betreten.

Der Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung komme nicht in Betracht, da damit die Hauptsache vorweg genommen würde.

Schließlich habe der Antragsteller mit seinem Antrag auch zu lange zugewartet.

Mit Beschluss vom 21.01.2022, Az. 16 HK O 427/22, Bl. 81/85 d.A., der der Antragstellervertreterin am 25.01.2022 zugestellt wurde, wies das Landgericht München I den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass es an einem Verfügungsgrund fehle, da der streitgegenständliche Einziehungsbeschluss vom 06.07.2021 datiere, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung aber erst am 11.01.2022 und damit über sechs Monate nach Beschlussfassung eingereicht worden sei. Umstände, die eine neuerliche Dringlichkeit begründen würden, habe der Antragsteller nicht vorgetragen. Eine solche ergebe sich jedenfalls nicht daraus, dass die Antragsgegnerin sich mit Schreiben vom 05.01.2022 auf die negative Legitimationswirkung der eingereichten Gesellschafterliste berufen habe. Denn damit würde nur die Rechtslage wiedergegeben.

Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 04.02.2022 (Bl. 86/97 d.A.), eingegangen beim Landgericht am selben Tag, legte der Antragsteller gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 21.02.2022 sofortige Beschwerde ein.

Ein Verfügungsanspruch sei schon deshalb zu bejahen, da der streitgegenständliche Einziehungsbeschluss vom 06.07.2021 nicht klarstelle, dass die Auszahlung des Abfindungsguthabens an den Antragsteller nur bei Vorhandensein ungebundenen Vermögens erfolgen dürfe. Der Einziehungsbeschluss nehme aber auf die nach dem eigenen Vortrag der Antragsgegnerin vorliegende Unterbilanz keine Rücksicht.

Es sei aber auch ein Verfügungsgrund zu bejahen. Werde nämlich nach einem Einziehungsbeschluss eine korrigierte Gesellschafterliste zum Handelsregister eingereicht, die den von der Einziehung betroffenen Gesellschafter nicht mehr als Gesellschafter ausweise, so müsse diesem ein effektives Mittel in die Hand gegeben werden, um seine Entrechtung während der Dauer des Hauptsachestreits zu verhindern. Die bloße Zuordnung eines Widerspruchs genüge dem nicht, da damit nur der gutgläubige Erwerb eines Gesellschaftsanteils durch einen Dritten verhindert werde. Vielmehr müsse es - wie der Senat mit Beschluss vom 18.05.2021 - 7 W 718/21 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 02.07.2019 - II ZR 406/17 [BB 2019, 2124]) bereits entschieden habe - die Möglichkeit einer Korrektur im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geben.

Im streitgegenständlichen Fall sei darüber hinaus der Einziehungsbeschluss vom 06.07.2021 aufgrund des klageabweisenden Versäumnisurteils des Landgerichts München I vom 14.12.2021, Az. 16 HK O 10678/21, auch nicht mehr vorläufig wirksam, sondern gerade als vorläufig unwirksam zu behandeln. Trotz des Versäumnisurteils vom 14.12.2021 behandle die Antragsgegnerin den Antragsteller weiterhin nicht als ihren Gesellschafter, sondern berufe sich auf die negative Legitimationswirkung der eingereichten Gesellschafterliste und handle damit treuwidrig. Es drohten nunmehr aber Beschlussfassungen über richtungsweisende Maßnahmen bzw. die Unterlassung richtungsweisender Maßnahmen.

Eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit liege nicht vor. Der Antragsteller habe sich unmittelbar nach dem Einziehungsbeschluss um eine Verhinderung der Eintragung in das Handelsregister bemüht, seinen diesbezüglichen Verfügungsantrag jedoch nach einem Hinweis des Gerichts auf eine etwaig fehlende Passivlegitimation des Geschäftsführers und Mitgesellschafters zurückgenommen. Die Rechtsprechung billige für das Vorgehen gegen eine unzutreffende Gesellschafterliste dem davon betroffenen Gesellschafter großzügige Fristen von mehreren Monaten zu. Der Antragsteller habe damit im konkreten Fall mit einer Antragstellung nicht zu lange zugewartet.

Schließlich ergebe sich durch das Versäumnisurteil eine neuerliche Dringlichkeit. Denn damit würde die „vorläufige Vollziehbarkeit des streitgegenständlichen Einziehungsbeschlusses (…) aufgehoben“.

Mit Beschluss vom 17.02.2022 (Bl. 98/101 d.A.) half das Landgericht der sofortigen Beschwerde des Antragstellers nicht ab und ordnete die Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht München an. Die Zubilligung großzügiger Fristen durch die Rechtsprechung erfolge bei der Erwirkung eines Widerspruchs nach § 16 Abs. 3 S. 4 GmbHG. Im streitgegenständlichen Fall gehe es aber nicht darum, sondern um die Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste.

Aus den Gründen

II.

 

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber unbegründet, da das Landgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Recht zurückgewiesen hat.

Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Weiterbehandlung als deren Gesellschafter bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache und auf Einreichung einer korrigierten, ihn als Gesellschafter ausweisenden Gesellschafterliste hat. Denn es mangelt jedenfalls an einem Verfügungsgrund.

 

1. Zwar bejaht der Senat in Fällen, in denen die Satzung der Gesellschaft eine Einziehung von Geschäftsanteilen vorsieht (zur Ausschließung ohne Satzungsgrundlage vgl. Senat, Urteil vom 02.12.2020 - 7 U 4305/20) und die Gesellschafterversammlung einen solchen Beschluss fasst, grundsätzlich insoweit ein Verfügungsgrund, als der von der Einziehung betroffene Gesellschafter bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache seine Weiterbehandlung als Gesellschafter erreichen will (vgl. Senat, Beschluss vom 18.05.2021 - 7 W 718/21, Rdnr. 56).

Dem liegt die in der Rechtsprechung des BGH (vgl. Urteil vom 02.07.2019 - II ZR 406/17, [BB 2019, 2124] Rdnrn 38-39) zum Ausdruck kommende Überlegung zu Grunde, dass ein von einer möglicherweise fehlerhaften Einziehung betroffener Gesellschafter zwar gegen den Einziehungsbeschluss Klage erheben, damit allein aber nicht verhindern kann, dass eine die Einziehung nachvollziehende Gesellschafterliste zum Handelsregister eingereicht und im Registerordner aufgenommen wird. Während der Dauer des Rechtsstreits könnten die übrigen Gesellschafter das Unternehmen nach ihrem Belieben umgestalten. Aufgrund der Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG blieben die von den übrigen Gesellschaftern gefassten Beschlüsse auch dann wirksam, wenn der Gesellschafter mit seiner Klage gegen den Einziehungsbeschluss Erfolg hätte. Wird in einer Zweipersonengesellschaft der Anteil eines Gesellschafters eingezogen und dieser aus der Gesellschafterliste entfernt, ermöglichen die veränderten Machtverhältnisse weitreichende Geschäftsführungsentscheidungen sowie die Fassung und Umsetzung satzungs- und strukturändernder Beschlüsse, die der von der Einziehung seiner Geschäftsanteile betroffene Gesellschafter nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens entweder überhaupt nicht mehr oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand rückgängig machen kann. Die Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG entfällt auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben schon dann, wenn sich nachträglich die Einziehung als unwirksam und die nach der Einziehung eingereichte Gesellschafterliste daher als unrichtig darstellt. Dem von einer möglicherweise fehlerhaften Einziehung seines Geschäftsanteils betroffenen Gesellschafter muss daher ein effektives Mittel zur Verfügung gestellt werden, seine Entrechtung in der Gesellschaft während der Dauer des Rechtsstreits über die Einziehung zu verhindern bzw. seine streitige materiell-rechtliche Gesellschafterstellung bis zur Klärung der Wirksamkeit der Einziehung zu sichern.

Der Senat bejaht grundsätzlich auch einen Verfügungsgrund, insoweit als der von der Einziehung betroffenen Gesellschafter die Einreichung einer korrigierten, ihn wieder als Gesellschafter ausweisenden Gesellschafterliste verlangt. Denn anderenfalls wäre es von zeitlichen Zufälligkeiten abhängig, ob aufgrund eines in der Hauptsache umstrittenen Gesellschafterbeschlusses eine diesem Beschluss folgende Gesellschafterliste im Handelsregister eingetragen wird oder in selbigem unkorrigiert verbleibt (Senat, aaO, Rdnr. 59).

 

2. Nach diesen Grundsätzen wäre für die streitgegenständlichen Anträge ein Verfügungsgrund zu bejahen.

 

a. Ein einmal grundsätzlich gegebener Verfügungsgrund kann jedoch wieder entfallen, wenn der Antragsteller nach Eintritt der Gefährdung mit einem Antrag zuwartet oder das Verfahren nicht zügig betreibt (vgl. Drescher in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage, München 2020, Rdnr. 18 zu § 935 ZPO). So liegt der Fall hier, da der Antragsteller von dem Einziehungsbeschluss am 06.07.2021 erfuhr, die vorliegenden Anträge im Verfahren der einstweiligen Verfügung jedoch erst am 11.01.2022 und damit mehr als sechs Monate nach Kenntniserlangung vom Inhalt des Beschlusses stellte. Auf das zunächst beim Landgericht München I vom Antragsteller eingeleitete Verfügungsverfahren (Az. 29 O 9871/21) kann sich der Antragsteller zum Ausschluss der Selbstwiderlegung insoweit schon deshalb nicht berufen, da der Antrag zum einen gegen den falschen Antragsgegner gerichtet war und zum anderen im weiteren Verlauf zurückgenommen wurde.

 

b. Zwar lässt sich nicht allgemein bestimmen, sondern hängt es von der Art des geltend gemachten Anspruchs und den Umständen des Einzelfalles ab, wie lange ein Antragsteller mit dem Antrag zuwarten darf. Jedoch ist mit sechs Monaten die Grenze zulässigen Zuwartens bei weitem überschritten. Der Antragsteller beruft sich insoweit zu Unrecht auf obergerichtliche Entscheidungen und Literaturstimmen, die ein Zuwarten auch über sechs Monate hinaus für unschädlich ansahen. Denn dort ging es - anders als streitgegenständlich - um einstweilige Verfügungen nach §§ 16 Abs. 3 S. 3-5 GmbHG, 885 Abs. 1, 899 Abs. 2 BGB, durch die ein Rechtsscheinserwerb verhindert werden sollte. Da damit der tatsächliche Rechtsinhaber vor einem endgültigen Rechtsverlust durch den gutgläubigen Erwerb des Rechts durch einen Dritten geschützt werden soll, begegnet es keinen Bedenken, dem tatsächlichen Rechtsinhaber eine längere Frist zur Ergreifung sichernder Maßnahmen zuzubilligen (vgl. Drescher in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage, München 2020, Rdnr. 19 zu § 935 ZPO). Der vorliegende Fall betrifft jedoch gerade nicht die Abwehr eines drohenden irreversiblen Rechtsverlusts durch einen Rechtsscheinserwerb, sondern „nur“ die Sicherung des Einflusses des Antragstellers auf Entscheidungen innerhalb der Gesellschaft bis zur Entscheidung in der Hauptsache über die Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses. Dies rechtfertigt die Annahme einer Selbstwiderlegung schon nach einer deutlich kürzeren Zeitspanne als in den von der Antragstellervertreterin in Bezug genommenen obergerichtlichen Entscheidungen. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob die Frist, innerhalb derer der Verfügungsantrag gestellt sein muss, um eine Selbstwiderlegung zu vermeiden, ein, zwei oder drei Monate beträgt (vgl. insoweit die Nachweise bei Mayer, BeckOK ZPO, 43. Edition, Stand 01.12.2021, Rdnr. 17 zu § 935 ZPO), da ein Zeitraum von sechs Monaten jedenfalls zu lang ist.

 

c. An der demnach eingetretenen Selbstwiderlegung und dem damit erfolgte Wegfall des Verfügungsgrundes ändert auch das nicht rechtskräftige Versäumnisurteil vom 14.12.2021, mit dem dem Klageantrag entsprochen wurde, nichts. Denn der ursprünglich gegebene Verfügungsgrund resultierte daraus, dass der Gesellschafter, dessen Geschäftsanteile eingezogen wurden, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache über den Einziehungsbeschluss keine Einflussmöglichkeit mehr auf Entscheidungen der Gesellschafterversammlung hat. Daran änderte sich aber auch durch den Erlass des Versäumnisurteils nichts. Da letzteres nicht rechtskräftig ist, besteht weiterhin die gleiche Schwebesituation wie vor seinem Erlass.

 

d. Das Schreiben der Steuerberaterin der Antragsgegnerin vom 30.09.2021, in dem der Antragsgegnerin mitgeteilt wurde, dass zum 31.12.2019 ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag in Höhe von 43.659,90 €, zum 31.12.2020 in Höhe von 68.240,78 € und zum 31.05.2021 in Höhe von 78.152,13 € bestehe und auch keine stillen Reserven vorhanden seien, begründet keinen erneuten Verfügungsgrund und schafft die durch das Zuwarten mit der Antragstellung bis Mitte Januar 2022 eingetretene Selbstwiderlegung nicht aus der Welt, auch wenn das Schreiben erst nach der streitgegenständlichen Beschlussfassung vom 06.07.2021 verfasst wurde. Zwar können grundsätzlich neu aufgetretene Tatsachen auch nach einmal erfolgter Selbstwiderlegung zu einem neuerlichen Verfügungsgrund führen, jedoch sind vorliegend solche neue Tatsachen nicht ersichtlich. Denn dass die wirtschaftliche Lage der Antragsgegnerin schlecht war und deshalb Maßnahmen zu ergreifen waren, insbesondere um der Antragstellerin weiteres Kapital zufließen zu lassen, wusste der Antragsteller bereits zum Zeitpunkt der Fassung des Einziehungsbeschlusses vom 06.07.2021. Denn ausweislich des Protokolls der Gesellschafterversammlung vom 06.07.2019 wurde, nachdem der Antragsteller eine Feststellung des Jahresabschlusses für 2019 mangels vorheriger Übersendung der Unterlagen abgelehnt hatte (TOP 1), unter TOP 2 „Liquiditätssituation und Finanzbedarf“ vom Mitgesellschafter und Geschäftsführer der Antragsgegnerin erläutert, „dass der Finanzzustand der Gesellschaft“ immer noch schlecht sei, wobei er sich auf „Erörterungen (insb. zuletzt ausführlich am 17.06.2021) und Informationserteilungen an den Gesellschafter …“, d.h. den Antragsteller, bezog. Angesprochen wurde dabei auch, dass … der Antragsgegnerin 90.000 € zur Verfügung gestellt habe und der Antragsteller sich weigere „trotz der angespannten Finanzsituation“ dasselbe zu tun. Auch wenn der Antragsteller - jedenfalls nach seinem Sachvortrag in der Beschwerdeschrift (dort S. 9, Bl. 94 d.A.) - von der seit 2019 bestehenden Unterbilanz nichts gewusst haben will, so war ihm damit jedenfalls bekannt, dass von Seiten der Antragsgegnerin ein dringender Kapitalbedarf bestand, der zeitnahe Entscheidungen der Gesellschafter über das weitere Vorgehen notwendig machte, um entweder die Existenz der Antragsgegnerin zu sichern oder diese zu beenden. Trotz dieser Kenntnis hat der Antragsteller erst nach einem halben Jahr das vorliegende Verfahren der einstweiligen Verfügung eingeleitet. Dass sich die wirtschaftliche Situation mittlerweile weiter verschärft hat, begründet deshalb keinen neuen Verfügungsgrund.

Nach alledem war der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in Ermangelung eines Verfügungsgrundes zurückzuweisen.

 

III.

Der Ausspruch zu den Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

IV.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren war auf 6.250,00 € festzusetzen. Der Wert eines Antrags, einen Einziehungsbeschluss für nichtig zu erklären, richtet sich regelmäßig nach dem Wert des Geschäftsanteils, weil er dem wirtschaftlichen Interesse des Klägers an der Nichtigerklärung des Beschlusses entspricht (BGH, Beschluss vom 08.12.2008 - II ZR 39/08, Rdnr. 2). Nachdem sich aus der Mitteilung der Steuerberaterin der Antragsgegnerin vom 30.09.2021 ergibt, dass die Antragsgegnerin mit Stand vom 31.05.2021 nicht nur bilanziell überschuldet war, sondern darüber hinaus auch keine stillen Reserven vorhanden sind, ist der Wert der eingezogenen Geschäftsanteile des Antragstellers jedenfalls nicht höher als ihr Nominalwert, d.h. 12.500,00 €. Davon war, da es sich vorliegend nicht um das Hauptsacheverfahren, sondern um ein Verfahren der einstweiligen Verfügung handelt, mit dem der Erhalt der Gesellschafterstellung während der Dauer des Hauptsacheverfahrens erreicht werden sollte, ein Abschlag von 50 % vorzunehmen, sodass der Wert für das Beschwerdeverfahren auf 6.500,00 € festzusetzen war.

 

 

stats