BGH: Einspruchsfrist bei unzulässiger Inlandszustellung
BGH, Urteil vom 11.5.2011 - VIII ZR 114/10
leitsätze
a) Die in § 184 ZPO geregelte Befugnis des Gerichts, bei einer Zustellung im Aus-land nach § 183 ZPO anzuordnen, dass bei fehlender Bestellung eines Prozess-bevollmächtigten ein inländischer Zustellungsbevollmächtigter zu benennen ist und andernfalls spätere Zustellungen durch Aufgabe zur Post bewirkt werden können, gilt nicht für Auslandszustellungen, die nach den Bestimmungen der EuZVO vorgenommen werden (Bestätigung des Senatsurteils vom 2. Februar 2011 - VIII ZR 190/10, EuZW 2011, 276).
b) Wird bei einer unzulässigen Inlandszustellung nach § 184 ZPO die Einspruchsfrist nicht gemäß § 339 Abs. 2 ZPO bestimmt, wird eine Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt.
ZPO §§ 183, 184, 189; EuZVO Art. 14
sachverhalt
Der in H. ansässige Kläger nimmt die in Y. /England an-sässige Beklagte aus einem Kaufvertrag über eine gebrauchte Druckmaschine auf Schadensersatz von 52.840,29 € zuzüglich Zinsen in Anspruch. Die Klage-schrift ist auf Zustellungsersuchen des Vorsitzenden der angerufenen Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hamburg vom 17. Oktober 2008, dem ei-ne durch Beschluss vom 14. Oktober 2008 unter Bestimmung einer Frist von vier Wochen getroffene Anordnung gemäß § 184 Abs. 1 ZPO beigefügt war, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zu-stellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Han-delssachen in den Mitgliedsstaaten (Amtsblatt EG Nr. L 160 S. 37 - im Folgen-den: EuZVO 2000) an die für England und Wales benannte Empfangsstelle in London übermittelt worden. Diese hat unter dem 25. November 2008 bestätigt, die Zustellung an die Beklagte unter der angegebenen Anschrift in Überein-stimmung mit dem innerstaatlichen Recht ohne Empfangsbestätigung mittels pre paid first class post vorgenommen zu haben.
Am 7. Januar 2009 hat das Landgericht in dem von ihm angeordneten schriftlichen Vorverfahren ein Versäumnisurteil über die Klageforderung nebst Zinsen erlassen. Eine Einspruchsfrist hat es nicht bestimmt. Das Versäumnisur-teil, dem der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle einen formularmäßigen Hin-weis auf eine zweiwöchige Einspruchsfrist und deren Lauf beigefügt hatte, ist der Beklagten sodann am 12. Januar 2009 gemäß § 184 ZPO durch Aufgabe der Sendung zur Post zugestellt worden. Nachdem die englischen Verfahrens-bevollmächtigten des Klägers den englischen Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten aufgrund zwischenzeitlich eingeleiteter Zwangsvollstreckungsmaß-nahmen am 6. Mai 2009 eine Kopie des Versäumnisurteils und seiner Bestäti-gung als Europäischer Vollstreckungstitel übersandt hatten, hat die Beklagte unter dem 21. Juli 2009 gegen das Versäumnisurteil Einspruch eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist beantragt.
Das Landgericht hat sowohl das Wiedereinsetzungsgesuch als auch den Einspruch der Beklagten als unzulässig verworfen. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Landgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen. Mit seiner vom Beru-fungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
aus den gründen
4 Die Revision hat keinen Erfolg.
5 I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-sentlichen ausgeführt:
6 Der Einspruch der Beklagten sei nicht verspätet, weil es bereits an einer wirksamen Zustellung des Versäumnisurteils fehle. Denn die vom Landgericht vorgenommene (Inlands-)Zustellung durch Aufgabe zur Post gemäß § 184 ZPO sei nicht zulässig gewesen. Die für eine solche Zustellung erforderliche Anord-nung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, sei vielmehr nach der bis zum 12. November 2008 geltenden Fassung des § 184 ZPO, die hier maßgeb-lich sei, nur bei Auslandszustellungen nach § 183 Abs. 1 Nr. 2 und 3 ZPO aF möglich gewesen, nicht dagegen - wie das OLG Düsseldorf (NJW-RR 2008, 1522) überzeugend ausgeführt habe - bei einer Zustellung nach § 183 Abs. 3 ZPO aF auf der Grundlage der EuZVO 2000.
7 Es könne dahinstehen, ob der dadurch begründete Zustellungsmangel ungeachtet des widersprüchlichen Vortrags der Beklagten zum tatsächlichen Zugang des Versäumnisurteils und einer dem Urteil nicht beigefügten Ein-spruchsbelehrung gemäß § 189 ZPO geheilt worden sei. Denn in diesem Fall hätte die Einspruchsfrist deshalb nicht zu laufen begonnen, weil das Landge-richt, das insoweit von einer Inlandszustellung ausgegangen sei, bewusst von der bei einer Auslandszustellung gemäß § 339 Abs. 2 ZPO erforderlichen Be-stimmung einer Einspruchsfrist abgesehen habe. Eine solche Zustellung im Ausland hätte indes vorgelegen, wenn es über § 189 ZPO zu einer Heilung der nach § 184 ZPO aF vorgenommenen unwirksamen Inlandszustellung gekom-men sein sollte.
8 II. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand, so dass die Revi-sion zurückzuweisen ist.
9 Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die vom Landgericht bei Zustellung der Klage nach Maßgabe von § 184 ZPO aF ge-troffene Anordnung, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestel-len, nicht zulässig war, so dass die auf diese Anordnung gestützte Zustellung des anschließend ergangenen Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post un-wirksam war. Des Weiteren hat das Berufungsgericht offen lassen können, ob dieser Zustellungsmangel gemäß § 189 ZPO geheilt worden ist, weil in diesem Fall die Frist zur Einlegung eines Einspruchs gegen das Versäumnisurteil man-gels der nach § 339 Abs. 2 ZPO erforderlichen gerichtlichen Fristbestimmung nicht in Lauf gesetzt worden wäre.
10 1. Die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO waren nicht gegeben, weil die vom Landgericht veranlasste Zustellung der Klageschrift nicht - wie von dieser Vorschrift vorausgesetzt - nach § 183 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 ZPO aF beziehungsweise nach § 183 ZPO in der seit dem 13. No-vember 2008 geltenden Fassung vorgenommen worden ist, sondern nach Maßgabe der gemäß § 183 Abs. 3 ZPO aF oder § 183 Abs. 5 BGB unberührt bleibenden Bestimmungen der EuZVO 2000 oder der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstü-cken) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates (ABl. EG Nr. L 324 S. 79 - im Folgenden: EuZVO 2007).
11 a) Zur Beurteilung der Wirksamkeit der Zustellung des Versäumnisurteils kann dahin stehen, ob die Zulässigkeit der vom Landgericht getroffenen Anord-nung, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, anhand der §§ 183 f. ZPO in der bis zum 12. November 2008 geltenden Fassung oder - wie die Revisionserwiderung meint - anhand der Neufassung dieser Bestim-mungen mit den durch Art. 1 Nr. 3, 4 des Gesetzes zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung und Zustellung vom 30. Okto-ber 2008 (BGBl. I S. 2122) erfolgten und gemäß Art. 8 Abs. 2 dieses Gesetzes am 13. November 2008 in Kraft getretenen Änderungen zu beurteilen ist. Denn § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Landgericht weder in der einen noch in der anderen Fassung ermächtigt, der Beklagten die Bestellung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten aufzugeben, um bei Unterbleiben einer solchen Bestellung spätere Zustellungen gemäß § 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch Aufga-be des zuzustellenden Schriftstücks zur Post mit den in § 184 Abs. 2 ZPO vor-gesehenen Folgen bewirken zu können. Wie der Senat in seinem Urteil vom 2. Februar 2011 (VIII ZR 190/10, EuZW 2011, 276 Rn. 17 ff., zur Veröffentli-chung in BGHZ vorgesehen) anhand des Wortlauts und der Entstehungsge-schichte der Normen sowie der Gesetzessystematik im Einzelnen ausgeführt hat, erstrecken sich die in § 184 Abs. 1 ZPO jeweils enthaltenen Verweisungen auf die Möglichkeit einer (Inlands-)Zustellung durch Aufgabe zur Post gerade nicht auf Zustellungen, denen grenzüberschreitende Zustellungen nach der EuZVO 2000 oder der EuZVO 2007 vorausgegangen sind.
12 b) Die am 12. Januar 2009 nach Maßgabe von § 184 ZPO bewirkte Zu-stellung des Versäumnisurteils hat die Frist zur Einlegung des hiergegen gege-benen Einspruchs, welche gemäß § 339 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO von einer wirk-samen Zustellung abhängt (vgl. Senatsurteil vom 24. September 1986 - VIII ZR 320/85, BGHZ 98, 263, 267), nicht in Lauf setzen können. Denn eine Zustellung durch Aufgabe zur Post ist nur zulässig, wenn die betroffene Partei keinen Zu-stellungsbevollmächtigten benannt hat, obgleich sie dazu gemäß § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO verpflichtet war. Erfolgt die Anordnung, einen Zustellungsbevoll-mächtigten zu benennen, dagegen ohne gesetzliche Grundlage, weil sie - wie hier - für eine Fallgestaltung ausgesprochen wird, die von der in § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO geregelten Anordnungsbefugnis nicht gedeckt wird, kann sie keine Wirkungen zu Lasten des Zustellungsempfängers entfalten (Senatsurteil vom 2. Februar 2011 - VIII ZR 190/10, aaO Rn. 21 mwN).
13 c) Die nach § 184 ZPO vorgenommene Zustellung des Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post wird auch sonst nicht den Anforderungen an eine nach europäischem Zustellungsrecht grundsätzlich zulässige Zustellung durch die Post gerecht, wie sie in der Zeit bis zum 12. November 2008 in Art. 14 EuZVO 2000 in Verbindung mit § 1068 Abs. 1 BGB aF geregelt war und seither in Art. 14 EuZVO 2007 geregelt ist. Denn eine solche Zustellung hätte wirksam nur in der Versandform des Einschreibens mit Rückschein oder gleichwertigem Beleg erfolgen können. Das ist hier nicht geschehen.
14 2. Das Berufungsgericht ist weiterhin zutreffend davon ausgegangen, dass der formgerecht eingelegte Einspruch der Beklagten auch nicht aufgrund einer nachfolgenden Heilung des Zustellungsmangels verfristet ist und deshalb nicht gemäß § 341 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen werden kann. Denn § 339 Abs. 2 ZPO schreibt für den Fall, dass die Zustellung eines Versäumnis-urteils im Ausland erfolgen muss, vor, dass das Gericht die Einspruchsfrist im Versäumnisurteil oder nachträglich durch besonderen Beschluss zu bestimmen hat. Diese Einspruchsfrist hat das Landgericht nicht bestimmt, so dass selbst durch eine vom Berufungsgericht für denkbar gehaltene Heilung des Zustel-lungsmangels gemäß § 189 ZPO eine solche Frist nicht hat in Lauf gesetzt und in der Folge versäumt werden können.
15 Eine - wie hier - unzulässige Inlandszustellung nach § 184 ZPO führt auch nicht etwa dazu, dass die in § 339 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO vorgesehene Ein-spruchsfrist von zwei Wochen gleichwohl zu laufen beginnt. Denn für den Fall, dass die vorzunehmende Zustellung im Ausland bewirkt werden muss, weil die Voraussetzungen für eine Zustellung des dafür vorgesehenen Schriftstücks im Inland nicht gegeben sind, enthält § 339 ZPO keine gesetzlich geregelte Ein-spruchsfrist. Die Einspruchsfrist ist vielmehr gemäß § 339 Abs. 2 ZPO von Amts wegen durch das Gericht im Versäumnisurteil oder nachträglich durch besonderen Beschluss zu bestimmen, so dass auch der Lauf dieser Frist erst mit Zustel-lung der vorzunehmenden Fristbestimmung beginnt. Nimmt das Gericht - wie vorliegend geschehen - die erforderliche Fristbestimmung nicht vor, wird der Lauf einer Einspruchsfrist nicht in Gang gesetzt (RGZ 63, 82, 84 f.; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 22. Aufl., § 339 Rn. 9; MünchKommZPO/Prütting, 3. Aufl., § 339 Rn. 7; Musielak/Stadler, ZPO, 8. Aufl., § 339 Rn. 3).