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Wirtschaftsrecht
17.06.2025
Wirtschaftsrecht
OLG Frankfurt a. M.: Einschränkung von Gerichtsstandsvereinbarung bei Kartellverstößen

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 22.4.2025 – 11 U 68/23 (Kart)

ECLI:DE:OLGHE:2025:0422.11U68.23KART.00

Volltext: BB-Online BBL2025-1474-6

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Amtlicher Leitsatz

Für auf Kartellverbote gestützte Klagen kann nicht mit einer Gerichtsstandsvereinbarung die Zuständigkeit deutscher Gerichte entzogen und auf Einrichtungen von Nicht-EU-Staaten übertragen werden.

 

Sachverhalt

I. Gegenstand der Berufung der Beklagten ist ein Zwischenurteil des Landgerichts, mit dem dieses seine internationale und örtliche Zuständigkeit gegenüber beiden Beklagten ausgesprochen hat.

Die Auseinandersetzung zwischen den Parteien betrifft die Frage, ob eine den dreizehn klagenden deutschen Sparkassen im von den Beklagten betriebenen VISA-Kartensystem gemachte Vorgabe mit dem deutschen Kartellrecht vereinbar ist. Danach ist es den Klägerinnen untersagt, mit Inhabern von Zahlungskarten der Marken „VISA“ und „V Pay“, die von anderen Kreditinstituten ausgestellt worden sind, ein Entgelt für den Bargeldbezug an Geldautomaten der jeweiligen Klägerin zu vereinbaren. Die Klägerinnen halten dies für unzulässig und machen gegen die Beklagten im Wege der Feststellungsklage Schadensatzansprüche wegen Verstoßes gegen kartellrechtliche Missbrauchsverbote geltend. Die Feststellungsanträge stellen auf Schäden ab, die den Klägerinnen dadurch entstanden sind oder entstehen werden, dass sie Bargeld zur Abhebung an Geldautomaten bereitgestellt haben oder bereitstellen werden.

Die Beklagte zu 1) hat ihren Sitz im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland. Sie schloss unter dem 01.12.2015 mit dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband e.V. (DSGV), im Vertrag „Nutzer“ genannt, ein in englischer Sprache abgefasstes „Membership Deed“ (Mitgliedschaftsvereinbarung), das unter Nr. 22.1 bestimmt, dass „diese Vereinbarung und sämtliche außervertraglichen Verpflichtungen aus oder in Zusammenhang mit dieser Vereinbarung (…) englischem Recht“ unterliegen und nach diesem auszulegen sind. Nach Nr. 22.2 erklären der „Nutzer“ und die Beklagte zu 1) („Visa Europe“) „ihre unwiderrufliche Zustimmung dahingehend, dass für die Entscheidung möglicher Rechtsstreitigkeiten aus oder in Zusammenhang mit dieser Vereinbarung ausschließlich die Gerichte in England zuständig sind und dass dementsprechend sämtliche Klagen aus oder in Zusammenhang mit dieser Vereinbarung vor diesen Gerichten zu erheben sind.“

Hinsichtlich des genauen Inhalts des Membership Deed wird auf die unstreitige beglaubigte Übersetzung Bl. 399 ff. d.A. (Anlage zur Klageerwiderung; Kopie des englischsprachigen Originals Bl. 419 ff d.A.) Bezug genommen. Das Deed selbst lässt ein Handeln im fremden Namen nicht erkennen, doch ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die in Kopie und Übersetzung vorgelegte Urkunde nicht einen den DGSV selbst betreffenden Vertrag über dessen Mitgliedschaft als „Principal Member“ zum Gegenstand hat, sondern das „Associate Membership Deed“ darstellt, das die Mitglieder des DSGV, u.a. die Klägerinnen, betreffen soll (vgl. Nr. 3.1 des Deed). Es wird durch den „Side Letter“ (Nebenvereinbarung) vom 02.09.2015 ergänzt, den der DSGV im Namen seiner Mitglieder, u.a. der Klägerinnen, „im Zusammenhang mit dem Membership Deed“ (Klageerwiderung S. 4, Bl. 373 d.A.) abschloss. Für den genauen Inhalt des Side Letters, der vom DSGV am 03.09.2015 und von der Beklagten zu 1) am 01.12.2015 unterzeichnet worden ist, wird auf die beglaubigte Übersetzung Bl. 449 ff. d.A. (Anlage zur Klageerwiderung) Bezug genommen.

Die Klägerinnen hatten dem DSGV zuvor schriftlich zweisprachige Vollmachten erteilt. Die Vollmachten sollen nach ihrem Wortlaut deutschem Recht unterliegen und am 31.12.2015 erlöschen. Sie beziehen sich in der ausdrücklich für maßgeblich erklärten deutschen Fassung auf die „notwendigen und als Anlage zum Vertrag beigefügten Dokumente“. Der englische Text spricht davon, den DSGV zu autorisieren (to authorize, bevollmächtigen) „to complete and to sign the attached documents of Visa“. Für den genauen Wortlaut der Vollmachten wird auf die Anlage B3, Bl. 485 ff. d.A., Bezug genommen.

Bei Abschluss des Associate Membership Deed war die Beklagte zu 1) mitgliedschaftlich verfasst. Sie stand im wirtschaftlichen Eigentum europäischer Banken und Zahlungsverkehrsdienstleister. Im Jahr 2016 erwarb die Beklagte zu 2), die ihren Sitz im US-Bundesstaat Delaware hat, alle Anteile an der Beklagten zu 1), die nunmehr eine 100prozentige Tochter der Beklagten zu 2) ist. Dies erfolgte durch Ausübung des Rechts aus dem im Membership Deed berücksichtigten Optionsvertrag aus dem Jahr 2007 am 21.06.2016. Nach Nr. 10.2 des Membership Deed sollte dieses durch die Optionsausübung mit sofortiger Wirkung beendet werden. Nach Nr. 12.2 sollten danach allerdings die Bestimmungen der Nr. 1, 5, 7, 8 und 12-22 vollumfänglich in Kraft bleiben.

Vor der Ausübung des Optionsrechts unterrichtete die Beklagte zu 1) die Mitgliedsbanken mit Schreiben vom 08.06.2016, Anlage K13, Bl. 813 ff. d.A., auf die für den englischen Text Bezug genommen wird, dass sich dadurch die Mitgliedschaftsregeln geändert hätten („… have been amended“). Dann werden Änderungen des Regelungswerks dargestellt. Auf Seite 2 dieses Schreibens heißt es gemäß der unstreitigen Übersetzung der Beklagten (Schriftsatz vom 11.11.2022, S. 22, Bl. 850 d.A.), wobei „Membership Deed“ mit „Mitgliedschaftsurkunden“ übersetzt ist:

„Die grundlegenden Lizensierungsdokumente (…) gelten auch nach Abschluss der Transaktion weiter. Insbesondere werden die Mitgliedschaftsurkunden, die Markenlizenzvereinbarung, die Technologielizenzvereinbarung und die Sponsoringurkunde (falls vorhanden) weiterhin die Rechte und Pflichten der Mitglieder definieren, mit Ausnahme des Umfangs, in dem sie sich auf die Beteiligung der Mitglieder an A oder auf die Satzung von A beziehen.“

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 01.11.2022, Bl. 825 d.A., die abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage angeordnet. Mit dem angefochtenen Zwischenurteil, auf das hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts sowie der erstinstanzlichen Klageanträge und der Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat es seine internationale und örtliche Zuständigkeit bejaht. Es hat ein kartellrechtliches Derogationsverbot angenommen, aufgrund dessen die Gerichtsstandsvereinbarung hinsichtlich der streitgegenständlichen Ansprüche unwirksam sei.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, die auch die Beklagte zu 2) als in die Gerichtsstandsvereinbarung einbezogen ansehen. Die Beklagten erstreben die Abweisung der Klage, die sie mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte für unzulässig halten.

Die Beklagten beantragen,

unter Abänderung des am 5. Juli 2023 verkündeten Zwischenurteils der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main, Az. 2-06 O 257/21, die Klage vollumfänglich abzuweisen;

hilfsweise den Rechtsstreit unter Aufhebung des Zwischenurteils zurückzuverweisen (§ 538 Abs. 2 ZPO).

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Aus den Gründen

II. 1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 511 I, II, 517, 519, 520 ZPO.

 

2. In der Sache hat sie keinen Erfolg.

 

a) Das Zwischenurteil des Landgerichts begegnet nicht deshalb verfahrensrechtlichen Bedenken, weil das Landgericht nur über die internationale und örtliche Zuständigkeit und nicht insgesamt über die Zuständigkeit oder die Zulässigkeit der Klage entschieden hat.

 

§ 280 ZPO ist nicht dahin auszulegen, dass in einem Zwischenurteil zwingend stets über alle Elemente der Zulässigkeit der Klage zu entscheiden wäre. Eine Entscheidung durch Zwischenurteil über lediglich eine oder einzelne Zulässigkeitsvoraussetzungen kann im Einzelfall sachgerecht sein (BGH, Beschluss vom 16. Juni 2005 - IX ZR 219/03, juris, Rn. 8). Im Streitfall bestand kein Anlass, auch über die sachliche Zuständigkeit zu befinden, weil diese bei Annahme der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte unproblematisch gegeben und von den Parteien auch nicht in Zweifel gezogen worden ist. Es war auch sachgerecht, noch nicht über die Zulässigkeit insgesamt zu entscheiden, weil es insofern, insbesondere hinsichtlich des Feststellungsinteresses, auf Umstände ankommt, zu denen im Rahmen des weiteren Verfahrens - auch im Hinblick auf die Begründetheit - noch vorgetragen werden könnte.

 

b) Die Überprüfung des angefochtenen Urteils durch den Senat ist auf die Frage der internationalen Zuständigkeit beschränkt. Insoweit steht § 513 II ZPO nicht entgegen; die Norm erfasst nur die Bejahung der sachlichen, örtlichen und funktionalen Zuständigkeit des Gerichts (vgl.BGH, Urteil vom 16. 12. 2003 - XI ZR 474/02, NJW 2004, 1456, 1457).

 

Auf eine irrige Annahme der örtlichen Zuständigkeit kann die Berufung nach § 513 II ZPO danach jedoch nicht gestützt werden. Dies wird von der Rechtsprechung nur in den Fällen in Zweifel gezogen, in denen internationale und örtliche Zuständigkeit von denselben Voraussetzungen abhängen (vgl. BGH, Urteil vom 21.11.1996 - IX ZR 264/95, NJW 1997, 397). So liegt der Fall aber nicht. Die Derogation hängt nur davon ab, ob eine wirksame, den Rechtsstreit erfassende Gerichtsstandsvereinbarung gegeben ist. Ist eine Derogation nicht anzunehmen, hängt die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte davon ab, ob sich der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung des § 32 ZPO an irgendeinem Ort in Deutschland befindet, wohingegen es für die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main als Kartellgericht darauf ankommt, ob dieser Gerichtsstand gerade in Frankfurt am Main ist (vgl. BGH, Urteil vom 17.3.2015 - VI ZR 11/14, NJW-RR 2015, 941 Rn. 17). Abgesehen davon bestehen im Falle der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegen die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main keine Bedenken; die Berufung macht insoweit auch nichts geltend.

 

c) Das Landgericht hat für den Fall, dass keine vorrangige Gerichtsstandsvereinbarung zu beachten ist, zu Recht angenommen, dass die sich dann gem. Art. 6 I Brüssel-Ia-VO nach deutschem nationalen Recht richtende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte analog § 32 ZPO gegeben ist. Denn die Klägerinnen sind durch das streitgegenständliche, ggfls. deliktische Handeln der Beklagten in ihren in Deutschland liegenden Geschäftsgebieten nachteilig betroffen und einschlägige, vorrangig zu beachtende, internationale Übereinkommen über die Zuständigkeit bestehen nicht.

 

d) Das Landgericht hat jedenfalls im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht aufgrund der im Membership Deed enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung zu verneinen ist.

 

aa) Die Gerichtsstandsvereinbarung wurde zwischen den Klägerinnen und der Beklagten zu 1) zunächst wirksam vereinbart und erfasste insoweit Rechtsstreitigkeiten, die auf die ursprüngliche, durch die Optionsausübung auflösend bedingte Vereinbarung zurückzuführen sind. Demgegenüber ist für die Zeit nach der unstreitig erfolgten Optionsausübung am 21.06.2016 eine wirksam zustande gekommene Gerichtsstandsvereinbarung nicht gegeben.

 

(1) Die Berücksichtigung der Gerichtsstandsvereinbarung im vorliegenden Verfahren setzt voraus, dass diese nach dem bei ihrem Abschluss geltenden Recht wirksam zustande gekommen und dass sie nach dem bei Klageerhebung geltenden Recht zu beachten ist.

 

Im Dezember 2015, in dem das Membership Deed abgeschlossen worden ist, war das Vereinigte Königreich noch Mitglied der Europäischen Union. Daher ist hinsichtlich der rechtlichen Anforderungen an das Zustandekommen der Vereinbarung zunächst Art. 25 der „Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ - nachfolgend Brüssel-Ia-VO - anzuwenden.

 

Das deutsche nationale Recht, insb. §§ 38, 40 ZPO, ist nur für die Frage maßgeblich, ob die ursprünglich wirksam zustande gekommene Gerichtsstandsvereinbarung auch nach Ablauf der Brexit-Übergangszeit von deutschen Gerichten zu beachten ist, denn inzwischen ist das Vereinigte Königreich aufgrund seines Austritts aus der Europäischen Union kein Mitgliedsstaat im Sinne des Art. 25 Brüssel-Ia-VO mehr. Die bis zum 31.12.2020 währende Übergangszeit der Art. 126, 67 I lit. a des „Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft“ (ABl. EU 2020 L 29/7), während der die Brüssel-Ia-VO weiter anzuwenden war, war bei Klageerhebung bereits abgelaufen; die Klageschrift stammt aus dem Jahr 2021.

 

Für das Unionsrecht ist allerdings nicht abschließend geklärt, ob für die Prüfung der Voraussetzungen des Art. 25 Brüssel-Ia-VO auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder der Klageerhebung - zu dem die Brüssel-Ia-VO auf den Streitfall keine Anwendung mehr findet - abzustellen ist (vgl. Stein/Thole, 23. Aufl. 2022, EuGVVO Art. 25 Rn. 131; Geimer/Schütze EurZivilVerfR/Geimer, 4. Aufl. 2020, EuGVVO Art. 25 Rn. 25; BeckOK ZPO/Gaier, 55. Ed. 1.12.2024, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rn. 56). Jedenfalls für die Frage der Formwahrung kann es jedoch nur auf den Zugang der Willenserklärungen ankommen, weil es nur durch diese zu einer formwirksamen Einigung kommen kann.

 

Aber auch, wenn dies unionsrechtlich anders zu beurteilen sein sollte, kann nach den im Streitfall für die heutige Berücksichtigungsfähigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung maßgeblichen § 38 I, II ZPO nur eine Vereinbarung anerkannt werden, die im Zeitpunkt der Vereinbarung wirksam war.

 

Denn § 38 I ZPO stellt sogar für die persönlichen Voraussetzungen der Norm auf diesen Zeitpunkt ab (vgl. Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 38 Rn. 11; MüKo-ZPO/Jungmann, 7. Aufl. 2025, § 38 Rn. 161; BeckOK ZPO/Toussaint, 55. Ed. 1.12.2024, ZPO § 38 Rn. 28) und es ist im deutschen Recht allgemein anerkannt, dass es für die Wirksamkeit von Vereinbarungen auf den Zeitpunkt des Zugangs der sie konstituierenden Willenserklärungen ankommt. § 38 ZPO schließt deshalb die Berücksichtigung nicht wirksam getroffener Gerichtsstandsvereinbarungen auch dann aus, wenn die Vereinbarung wegen Änderungen des gesetzlichen Regelungsregimes zu einem späteren Zeitpunkt in dieser Weise hätte getroffen werden können. Damit führt der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union nicht dazu, dass bislang unwirksame Gerichtsstandsvereinbarungen ohne erneute Willensbetätigung der Beteiligten wirksam werden.

 

(2) Nach Art. 25 I 3 Brüssel-Ia-VO muss eine Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen werden:

 

a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,

 

b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder

 

c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten

 

und ist gemäß Absatz 5 eine Gerichtsstandsvereinbarung, die Teil eines Vertrags ist, als eine von den übrigen Vertragsbestimmungen unabhängige Vereinbarung zu behandeln.

 

Besondere zwischen den Parteien geltende, bereits früher entstandene Gepflogenheiten oder einen internationalen Handelsbrauch machen die Parteien nicht geltend. In Betracht kommt daher nur eine Formwahrung nach lit. a (schriftliche oder sog. halbschriftliche Form). Dabei stehen gemäß Art. 25 II Brüssel-Ia-VO elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, der Schriftform gleich.

 

(3) Hinsichtlich des ursprünglich zwischen den Klägerinnen und der Beklagten zu 1) abgeschlossenen Membership Deed ist die Schriftform trotz des in der Vertragsurkunde fehlenden Verweises auf ein Handeln im Namen und in Vollmacht der Klägerinnen gewahrt. Dass das Deed insoweit im Namen der Klägerinnen geschlossen wurde, ergibt sich aus dem ebenfalls der Schriftform genügenden Side Letter.

 

Ob die schriftlichen Vollmachten den Abschluss des Deed umfassten, bedarf keiner Entscheidung. Dies ist zweifelhaft, weil der verbindliche deutsche Text der Vollmachten auf „Anlagen zum Vertrag“ Bezug nimmt. Versteht man unter dem Vertrag das Deed, ist es selbst keine solche Anlage und sollte daher nur zwischen dem DSGV und der Beklagten zu 1) bestehen. Versteht man unter dem „Vertrag“ wegen des englischen Textes die Vollmacht - obwohl diese einseitig erteilt ist - bezieht sich die Vollmacht nur auf Dokumente, die der Vollmacht beigefügt waren; die Klägerinnen haben im Verhandlungstermin vor dem Senat in Abrede gestellt, dass den Vollmachten Anlagen beigefügt waren. Jedenfalls haben aber die Klägerinnen durch die Teilnahme am Visa-Kartensystem das tatsächliche Vertreterhandeln des DSGV genehmigt. Dass sie über die Vertragskonstruktion unzutreffend informiert gewesen wären, machen die Klägerinnen nicht geltend.

 

(4) Entgegen der Auffassung der Beklagten erfasst die bei dem ursprünglichen Abschluss des Deed vereinbarte Gerichtsstandsvereinbarung Schadensersatzansprüche aus der Zeit ab Ausübung der Option nicht.

 

Das Deed ist gemäß seiner Nr. 10.2, 12.2 durch die Ausübung der Option mit diesem Zeitpunkt für die Zukunft zunächst außer Kraft getreten. Davon waren zwar bestimmte Regelungen, u.a. die Gerichtsstandsklausel der Nr. 22.2 gem. Nr. 12.2 des Deed ausgenommen. Diese fortgeltenden Regelungen hatten aber nur für nachvertragliche Pflichten und für bei Außerkrafttreten bereits begründete (Schadensersatz-) Ansprüche, also für bis zu diesem Zeitpunkt erfolgte Bargeldauszahlungen, Bedeutung. Auch die Beklagten gehen davon aus, dass sich diese Fortgeltung auf nachvertragliche Pflichten und die Abwicklung des Vertragsverhältnisses bezog (so ausdrücklich Schriftsatz der Beklagten vom 11.11.2022, S. 20 f., Bl. 848 f. d.A.). Dies ist zutreffend, weil die Klägerinnen ohne Folgevereinbarung mit der Beendigung des Deed aus dem VISA-Kartensystem ausscheiden müssten und es nach dem Regelungsplan des Deed daher keiner Fortgeltung bedurfte, die über nachvertragliche Pflichten und die Vertragsabwicklung hinausging.

 

Dass die ursprüngliche Gerichtsstandsvereinbarung sich anschließende Folgeverträge nicht erfasst, wird auch dann deutlich, wenn man den Fall mit einer hypothetischen Konstellation vergleicht, in dem ein neu verhandelter - nach dem Vorbringen der Beklagten ursprünglich (mit Gerichtsstandsklausel) beabsichtigter (Schriftsatz vom 07.03.2025, S. 5, Rn. 16, Bl. 1691 d.A.) - Folgevertrag Gerichtsstandsfragen unerwähnt lässt. Dann wäre offensichtlich, dass das neue Rechtsverhältnis nicht den Regelungen des Altvertrages unterliegen soll, zumal die Gerichtsstandsklausel in Nr. 12.2 des Deed ausdrücklich auf „diese Vereinbarung“ bzw. „this Deed“ und nicht allgemein auf Auseinandersetzungen wegen der Teilnahme der Klägerinnen am Visa-Kartensystem abstellt.

 

Im Übrigen liegt, wenn man die Begründetheit der Klage unterstellt, im erneuten Abschluss eines kartellrechtswidrige (allgemeine Geschäfts-) Bedingungen einschließenden Vertrages und der Umsetzung des neuen Vertrags ein erneuter Kartellrechtsverstoß und setzt sich nicht nur der frühere, durch die vorhergehende Vertragsbeendigung beendete Verstoß fort.

 

(5) Für die Folgezeit bedurfte es nicht nur des wirksamen Neuabschlusses des Deed, sondern - sofern gewünscht - auch der Gerichtsstandvereinbarung. Während der Neuabschluss des Deed möglicherweise nach englischem Recht formfrei möglich war, ist der Neuabschluss der Gerichtsstandsvereinbarung an der 2016 weiter gültigen Formvorschrift des Art. 25 I 3 Brüssel-Ia-VO zu messen.

 

(6) An einer solchen formgerechten neuen Gerichtsstandsvereinbarung fehlt es.

 

(aa) Eine Vereinbarung über die Folgezeit ist nicht im Zuge des Schreibens der Beklagten zu 1) vom 08.06.2016 noch vor Ausübung der Option am 21.06.2016 zustande gekommen.

 

Das Schreiben ist nicht auf einen neuen (zustimmungsbedürftigen) Vertragsschluss gerichtet, sondern teilt einseitig bereits erfolgte angebliche Änderungen mit. Die einseitigen Erklärungen genügen allein nicht den Anforderungen des Art. 25 I 3 lit. a der Brüssel-Ia-VO, weil eine ihnen vorangegangene entsprechende Einigung mit den Parteien nicht dargetan ist. Die einseitige Mitteilung erfüllt bei einer vorangegangenen feststehenden Einigung die notwendige Form, ersetzt aber nicht die Einigung selbst. Eine solche Einigung vor dem Schreiben - oder überhaupt vor der Optionsausübung am 21.06.2016 - ist nicht vorgetragen und ein stillschweigender Neuabschluss des Deed durch weitere Beteiligung der Klägerinnen am Visa-Kartensystem kann erst durch das Handeln nach Eintritt der Beendigung des bisherigen Deed erfolgt sein.

 

Etwas anderes folgt nicht aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11.11.1986, Rs. 313/85 zu Art. 17 EuGVÜ aF. Der Gerichtshof hat dort ausgeführt, dass Gerichtsstandsvereinbarungen, die zu einer Gesamtheit von Bestimmungen gehören, die stillschweigend aus einem abgelaufenen früheren schriftlichen Vertrag übernommen worden sind und die weiter als rechtliche Grundlage für die vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien gedient haben, den Formerfordernissen des Art. 17 EuGVÜ nur (Hervorhebung nur hier) dann genügen, wenn eine der beiden Parteien die Gerichtsstandsvereinbarungen oder die Gesamtheit der Vertragsbestimmungen, zu denen sie gehört, schriftlich bestätigt hat, ohne dass die andere Partei, der diese Bestätigung zugegangen ist, Einwendungen dagegen erhoben hätte (EuGH, Urteil vom 11. November 1986 - Rs. 313/85, NJW 1987, 2155, vorletzter Absatz). Der Gerichtshof hat dies damit begründet, dass nach seiner Rechtsprechung im Falle einer nicht schriftlich getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung den Erfordernissen des Art. 17 EuGVÜ genügt sei, wenn eine von einer, gleich welcher, der Parteien stammende schriftliche Bestätigung dieser Vereinbarung der anderen zugegangen sei und diese nicht rechtzeitig Einwendungen erhoben habe. Er hat sich auf sein Urteil vom 11.07.1985 in der Rs 221/84 - „Berghöfer“ (BeckRS 2004, 72394 [sic!]) bezogen, in dem vorausgesetzt wird, dass die tatsächliche Einigung feststeht.

 

Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung vom 11.11.1986 in Übereinstimmung mit dem Wortlaut („nur“) dahin zu verstehen, dass entweder die tatsächliche frühere (ausgelaufene oder auslaufende) Einigung über die formbedürftige Klausel oder über die ganze unverändert fortgeltende Vereinbarung erforderlich ist und dass die ohne erneute Einigung erfolgende Erklärung, der alte Vertrag gelte unter Modifikationen fort, nicht genügt. Die Entscheidung ist danach entgegen der Auffassung der Beklagten, die in ihrem Schriftsatz vom 07.03.2025, S. 6, Bl. 1692 d.A., nur die Beantwortung der Vorlagefrage (EuGH, Urteil vom 11. November 1986 aaO im letzten Absatz), nicht aber deren Herleitung im vorangehenden (vorletzten) Absatz zitieren, nicht auf den Streitfall übertragbar, weil auch nach dem Beklagtenvorbringen nicht alle Bestimmungen des bisherigen Vertragsverhältnisses fortgelten sollen, sondern diejenigen, die sich auf die Beteiligung der Mitglieder an der Beklagten zu 1) oder deren Satzung beziehen, wegfallen sollen. Die schriftliche Bestätigung geht gerade nicht dahin, an der früheren Einigung trotz der formal erfolgten oder bevorstehenden Beendigung des Altvertrages unverändert weiter festhalten zu wollen. Sie hat damit nicht die Bestätigung der früheren Einigung auch für die Folgezeit zum Gegenstand, sondern vielmehr - worin auch immer die ausgeklammerten Regelungen konkret bestehen mögen - eine Vereinbarung mit abweichendem Inhalt, hinsichtlich der die vorherige feststehende Einigung nicht dargetan ist.

 

(bb) Die Beklagten tragen auch für die Zeit nach der Optionsausübung keine anderen (wechselseitigen) schriftlichen Erklärungen - Angebot und Annahme - vor, durch die die Fortgeltung des Deed oder der Gerichtsstandsvereinbarung durch die erneute Begründung der Vereinbarungen herbeigeführt worden wäre.

 

(7) Danach kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte zu 2) in die Gerichtsstandsvereinbarung einbezogen ist.

 

Hinsichtlich des ursprünglichen Deed kommt es auf diese Frage nicht an, weil dieses am 21.06.2016 beendet wurde und die Beklagte zu 2) nur für Schadensfälle ab dem 01.07.2016 in Anspruch genommen wird. Für die Folgezeit kommt es auf eine Einbeziehung der Beklagten zu 2) in eine etwaige erneute Gerichtsstandsvereinbarung nicht an, weil diese Vereinbarung schon unabhängig von dieser Frage nicht in der notwendigen Form errichtet worden ist.

 

bb) Die Beklagten können sich unabhängig davon aber auch deshalb nicht auf die Gerichtsstandsvereinbarung berufen, weil die streitgegenständlichen kartellrechtlichen Ansprüche in diese nicht einbezogen sind.

 

Dies folgt aus dem für die Auslegung der Vereinbarung maßgeblichen, bei ihrem Zustandekommen noch geltenden, Unionsrecht.

 

(1) Für das nationale deutsche Recht hat der Bundesgerichtshof vor Inkrafttreten der Rom-I-VO auf Grundlage der damaligen Art. 27 ff. EGBGB entschieden, dass das Zustandekommen einer (nicht isolierten, sondern in weitergehende materiellrechtliche Absprachen eingebetteten) Gerichtsstandsvereinbarung nach den Regeln des internationalen Privatrechts zu beurteilen sei (BGH, Urteil vom 30.05.1983 - II ZR 135/82, juris, Rn. 12). Er hat insoweit auf Grundlage des deutschen internationalen Privatrechts die Maßgeblichkeit derjenigen Rechtsordnung angenommen, nach der sich das zugehörige, den Inhalt des gesamten Vertrages bildende materielle Rechtsverhältnis der Parteien richte; dies gelte auch für eine die deutsche Gerichtsbarkeit derogierende Vereinbarung (BGH, Urteil vom 18. März 1997 - XI ZR 34/96, juris, Rn. 13). Dazu hat er auch die Frage gezählt, ob die Gerichtsstandsvereinbarung auf die internationale Zuständigkeit des Landes beschränkt werden kann oder zwingend das zuständige Gericht ausdrücklich bezeichnet werden muss (aaO Rn. 16).

 

Dass sich die Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung, die Teil einer umfassenderen Übereinkunft ist, nach dem Recht des Hauptvertrages richte, nimmt der Bundesgerichtshof auch für Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 25 Brüssel-Ia-VO an, soweit diese Norm keine Maßgaben und Vorgaben enthalte (BGH, Urteil vom 10.02.2021 - KZR 66/17 „Wikingerhof“, juris, Rn. 20). Er führt damit die noch Art. 23 der früheren Brüssel-I-VO betreffende Rechtsprechung fort (vgl. dazu BGH, Urteil vom 06.12.2018 - IX ZR 22/18, juris, Rn. 25, auf das sich BGH „Wikingerhof“ aaO beruft).

 

Dies berücksichtigt nicht hinreichend, dass die heutige Regelung in Art. 25 Brüssel-Ia-VO, d.h. der VO Nr. 1215/2012, im Gegensatz zu ihrer (im Januar 2015 außer Kraft getretenen, vgl. Art. 80, 81 Brüssel-Ia-VO) Vorläuferregelung in Art. 23 I der Brüssel-I-VO (VO (EG) Nr. 44/2001) eine eigenständige Kollisionsnorm enthält, die auch im 20. Erwägungsgrund der neuen Verordnung erwähnt wird. Nach dem 20. Erwägungsgrund der Brüssel-Ia-VO und deren Art. 25 I 1 richtet sich die Unwirksamkeit nach dem Recht des prorogierten Gerichts einschließlich seines Kollisionsrechts (im Streitfall damit ebenfalls nach englischem Recht).

 

Die Regelung ist dahin zu verstehen, dass die materielle Wirksamkeit der Vereinbarung zu vermuten ist, wenn sie die Formerfordernisse des Art. 25 Brüssel-Ia-VO wahrt; d.h. die Form indiziert die Wirksamkeit, gegen die die Unwirksamkeit nach dem Recht des prorogierten Gerichts einschließlich seines Kollisionsrechts eingewandt werden kann (vgl. BeckOK-ZPO/Gaier, 55. Edition, Stand: 01.12.2024, Art. 25 Brüssel-Ia-VO, Rn. 22 ff.).

 

Ob es zu einer tatsächlichen Willenseinigung gekommen ist richtet sich demgegenüber nach Unionsrecht (so auch Musielak/Voit/Stadler/Krüger, 21. Aufl. 2024, EuGVVO Art. 25 Rn. 4). Denn der Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung ist ein autonomer Begriff des Unionsrechts (EuGH, Urteil vom 18.11.2020 - C-519/19, NZV 2021, 36 Rn. 38; ebenso BGH „Wikingerhof“ aaO Rn 28). Deshalb ist das Vorliegen eines Vertragsschlusses durch übereinstimmende Willenserklärungen ausschließlich nach Art. 25 Brüssel-Ia-VO zu beurteilen (Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Int. Rechtsverkehr, 67. EL Juni 2024, Art. 25 VO (EG) 1215/2012, Rn. 85). Von der Feststellung, dass bestimmte übereinstimmende Erklärungen der Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung darstellen, lässt sich die Frage nach dem Erklärungsinhalt und damit die nach der Auslegung der Erklärungen nicht trennen (anders BGH, „Wikingerhof“ aaO Rn. 20), so dass auch insoweit nach autonomem Unionsrecht nach dem tatsächlichen Inhalt der Erklärungen zu fragen ist (ähnlich Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer aaO Rn. 86 f.; aA (lex causae) BeckOK ZPO/Gaier, 55. Ed. 1.12.2024, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rn. 69.1; Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, 5. Aufl. 2021, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 37 sowie (Recht des prorogierten Gerichts) Stein/Jonas/Thole, ZPO, 23. Auflage, Art. 25 EuGVVO, Rn. 138; Dörner, EuGVVO, 7. Aufl. 2017, Art. 25 Rn. 20). Es bedarf daher keiner Überlegungen des entgegen der Prorogation angerufenen Gerichts, wie die als zuständig vereinbarten Gerichte die Erklärung nach Maßgabe ihres Rechts in tatsächlicher Hinsicht ausgelegt hätten, insbesondere ob insoweit nationale Beweis- oder Beweislastregeln eingreifen.

 

Die neue Kollisionsregelung stimmt mit der neuen Bestimmung des Art. 25 V Brüssel-Ia-VO überein, wonach (auch) eine Gerichtsstandsvereinbarung, die Teil eines Vertrages ist, als von den übrigen Vertragsbestimmungen - also auch der dortigen Rechtswahl - unabhängige Vereinbarung zu behandeln ist (vgl. Staudinger/Magnus, Neubearb. 2021, IntVertrVerfR, Rn. 493). Berücksichtigt man, dass die das in Deutschland heute (auch gegenüber Drittstaaten) geltende Internationale Privatrecht enthaltende (europäische) Rom-I-VO nach ihrem Art. 1 II lit. e auf Gerichtsstandsvereinbarungen keine Anwendung findet und der europäische Verordnungsgeber die Kollisionsnorm in die verfahrensrechtliche Brüssel-Ia-VO aufgenommen hat, ist es letztlich so, dass Gerichtsstandsvereinbarungen nach geltendem europäischen und deutschen Recht auch dann Prozessverträge sind, wenn sie in einen materiell-rechtlichen Vertrag aufgenommen wurden. Materielles (Sach-) Recht ist auf sie allenfalls analog anzuwenden. Dies entspricht der Sichtweise des Reichsgerichts, nach der die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Gerichts als eine Prozesshandlung angesehen worden ist, die nach deutschem Prozessrecht beurteilt wurde (RGZ 159, 254, 255 f.). Diese Sichtweise hatte der Bundesgerichtshof für das frühere Recht aufgegeben (Urteil vom 29.02.1968 - VII ZR 102/65, juris, Rn. 17 ff.; Urteil vom 17.05.1972 - VIII ZR 76/71, juris, Rn. 9 ff.); durch die Neuregelung in der Brüssel-Ia-VO i.V.m. der Rom-I-VO ist ihr Ansatz im Ergebnis - wohl entgegen BGH „Wikingerhof“ aaO - wieder aktuell. Zwar unterwirft Art. 25 Brüssel-Ia-VO Gerichtsstandsvereinbarungen hinsichtlich ihrer „materiellen“ Wirksamkeit dem Recht des prorogierten Gerichts einschließlich etwaiger Gerichtsstandsvereinbarungen erfassender Bestimmungen seines Kollisionsrechts, damit grenzt es dessen Unwirksamkeitsgründe aber nur von den Formerfordernisses des Art. 25 I Brüssel-Ia-VO als formale Wirksamkeitsanforderungen ab; die Norm ordnet Gerichtsstandsvereinbarungen nicht als materiell-rechtliche Vereinbarungen ein.

 

(2) Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union führt zu keiner Änderung des auf Zustandekommen, ursprüngliche Wirksamkeit und Inhalt der Gerichtsstandsvereinbarung anzuwendenden Rechts.

 

Dies folgt schon daraus, dass es insoweit, wie ausgeführt, auf die Rechtslage bei Abschluss der Vereinbarung ankommt.

 

Aber auch dann, wenn man letzterem nicht folgen wollte, wäre nichts anderes anzunehmen.

 

Wegen der Regelung in ihrem Art. 1 II lit. e ist die Rom-I-VO auf Gerichtsstandsvereinbarungen nicht anzuwenden. Da das deutsche EGBGB für vertragliche Schuldverhältnisse oder Gerichtsstandsvereinbarungen keine Regelungen (mehr) enthält, fehlt es insoweit an einem auf fremdes Recht verweisenden Anwendungsbefehl im Rahmen des in Deutschland geltenden Kollisionsrechts. In der Literatur wird versucht, die Lücke durch eine analoge Anwendung der Rom-I-VO zu füllen (BeckOGK/Paulus, Art. 1 Rom-I-VO, Stand: 01.12.2024, Rn. 102), was mit deren Art. 1 II lit. e kollidiert. Für Schiedsvereinbarungen hat der Bundesgerichtshof die analoge Anwendung der Rom-I-VO wegen der fehlenden Planwidrigkeit einer etwaigen Regelungslücke inzwischen zu Recht abgelehnt (Urteil vom 26.11.2020 - I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 Rn. 49 ff.; anders noch BGH, Urteil vom 08.05.2014 - III ZR 371/12, juris, Rn. 23).

 

Sachgerecht erscheint, die Gerichtsstandsvereinbarung als Prozessvertrag außerhalb der direkten Anwendbarkeit des Art. 25 Brüssel-Ia-VO zunächst am maßgeblichen nationalen Prozessrecht, d.h. in Deutschland den §§ 38, 40 ZPO zu prüfen und ergänzend dazu eine Analogie zu Art. 25 Brüssel-Ia-VO zu bilden, sie also jenseits der feststellbaren Anforderungen des nationalen Prozessrechts so zu behandeln, wie Art. 25 Brüssel-Ia-VO unterfallende Klauseln.

 

(3) Bei Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung nach autonomem Unionsrecht lässt sich nicht positiv feststellen, dass die streitgegenständlichen kartellrechtlichen Ansprüche einbezogen sein sollen.

 

Insoweit ist zu beachten, dass die Formerfordernisse gewährleisten sollen, dass die Zuständigkeitsklausel Gegenstand einer Willenseinigung war, die klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist; d.h. dass die Einigung tatsächlich feststeht (EuGH, Urteil v. 09.11.2000 - C-387/98, EuZW 2001, 122, Rn. 13 zu Art. 17 EuGVÜ aF). Verbleiben daher nach dem Wortlaut der Klausel und den sonstigen für die Auslegung relevanten tatsächlichen Umständen Zweifel daran, dass die Einbeziehung der Ansprüche dem Regelungsplan der Parteien entspricht, ist die Klausel auf sie nicht anzuwenden. So verhält es sich hier.

 

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist schon früh anerkannt worden, dass zwar im Grundsatz zwischen Vereinbarungen über das anwendbare Recht einerseits und über die zuständigen Gerichte andererseits logisch zu unterscheiden ist, andererseits aber der Wille der Parteien im Zweifel dahin geht, dass das Recht des Landes angewendet werden solle, dessen Gerichte als ausschließlich zuständig vereinbart werden (BGH, Urteil vom 30.01.1961 - VII ZR 180/60, NJW 1961, 1061, 1062). Dabei handelt es sich nicht um einen Rechtssatz, sondern um die zutreffende, vom erkennenden Senat allgemein geteilte Erkenntnis tatsächlicher Gegebenheiten.

 

Wegen dieses Willens kann die Vereinbarung des ausländischen Gerichts dann als bestimmte Ansprüche nicht umfassend anzusehen sein, wenn die Parteien die Anwendung des in der Vereinbarung bestimmten Rechts für diese Ansprüche nicht wirksam vereinbaren konnten; die Frage der Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung und die Frage der wirksamen Vereinbarung fremden Rechts sind insoweit im Zusammenhang zu sehen (vgl. BGH, Urteil vom 30.01.1961 aaO, dort unter dem Gesichtspunkt einer Unwirksamkeit).

 

Ein entsprechender Regelungsplan deutet sich auch im Membership Deed an. Dessen Regelungen gehen dahin, dass die Zuständigkeit der Gerichte des Staates vereinbart wird, dessen materielles Recht maßgeblich sein soll. Dies spricht gegen die Erstreckung der Klausel auf Ansprüche aus dem deutschen Kartellrecht, weil dieses nach Art. 6 III, IV Rom-II-VO, § 185 II GWB keiner Rechtswahl zugänglich ist und sich die Beklagten deshalb nach deutschem Recht verantworten müssen, soweit es um Auswirkungen in Deutschland geht. Hinsichtlich der anderen Mitgliedsstaaten der EU gilt entsprechendes, so dass ein Gleichlauf zwischen dem anwendbaren Kartellrecht und dem Heimatrecht des prorogierten Gerichts nicht zu erreichen ist.

 

Hinzu kommt, dass die kartellrechtliche Haftung nicht im Sinne des Art. 22.2 „aus der Vereinbarung“ folgt, in Betracht kommt allein eine Haftung „in Zusammenhang mit dieser Vereinbarung“. Dabei knüpft allerdings die kartellrechtliche Haftung an das tatsächliche Verhalten und nicht daran an, ob dieses - nach englischem Recht wirksamen oder unwirksamen - Parteivereinbarungen entspricht.

 

Danach erfordert der sich im Deed andeutende Regelungsplan die Einbeziehung der streitgegenständlichen Ansprüche nicht. Sie wird auch nicht durch den denkbaren weiteren, von den Beklagten im Senatstermin herangezogenen Zweck, widersprüchliche Entscheidungen über kartellrechtliche Fragen zu vermeiden, getragen. Für das deutsche Recht sind einheitliche Entscheidungen durch den hiesigen Instanzenzug gewährleistet. Soweit die Beklagten kartellrechtlichen Ansprüchen auch aus dem Kartellrecht anderer Staaten ausgesetzt sein sollten, ist wegen der unterschiedlichen Regelungsregime ein einheitliches Ergebnis ohnehin nicht gewährleistet. Auf die Vermeidung mehrerer Prozesse vor unterschiedlichen Gerichten zielt die Klausel nicht in erkennbarer Weise ab, denn sie prorogiert pauschal die „Gerichte in England“ und nicht ein bestimmtes Gericht.

 

cc) Unabhängig davon ist die angefochtene Entscheidung hinsichtlich beider Beklagten aber auch deshalb zu bestätigen, weil der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach dem im Verhältnis zum Vereinigten Königreich erfolgten Außerkrafttreten der Brüssel-Ia-VO ein kartellrechtliches Derogationsverbot entgegensteht (i.E. ebenso Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 25.02.2025, 20 U 2/24 Kart, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.04.2025, VI-U (Kart) 2/24, Anlage K31, bislang unveröffentlicht). Dieses folgt schon aus nationalem deutschen Recht, so dass dahinstehen kann, ob ein Derogationsverbot auch unionsrechtlich geboten ist.

 

Das Derogationsverbot ergibt sich aus der Gesamtschau der §§ 40 II Nr. 2 ZPO, 95, 185 II GWB, Art. 6 III, IV Rom-II-VO und dem Zweck der Kartellverbote nach den §§ 19, 20, 21 GWB, aus denen nach deutschem Recht eine ausschließliche internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die vorliegende Klage folgt, die nur durch Sonderregelungen - wie der Brüssel-Ia-VO zugunsten der Gerichte anderer Mitgliedsstaaten der Europäischen Union - durchbrochen wird.

 

(1) Hinsichtlich der wirksamen Erstreckung einer an sich wirksam zu Stande gekommenen, derogierenden Gerichtsstandsvereinbarung auf die im konkreten Verfahren streitgegenständlichen Ansprüche sind zwei Fälle zu unterscheiden. Zum einen kann ein beschränktes Derogationsverbot bestehen, bei dem eine derogierende Gerichtsstandsvereinbarung hinsichtlich der streitgegenständlichen Ansprüche im Grundsatz zulässig, gleichwohl aber die Derogation durch die Bestimmung der ausschließlichen Zuständigkeit gerade der gewählten Gerichte unzulässig ist. Zum anderen kann eine Derogation für bestimmte Ansprüche grundsätzlich ausgeschlossen sein. Dies gilt in den Fällen des § 40 II ZPO, aber auch dann, wenn die kollisionsrechtliche deutsche oder europäische Norm die Anwendung durch deutsche oder europäische Gerichte verlangt. Das ist bei den streitgegenständlichen Ansprüchen wegen Verstößen gegen Verbote nach §§ 19, 20, 21 GWB der Fall, weshalb dahinstehen kann, wie englische Gerichte den Fall handhaben würden.

 

(2) Wie bereits oben ausgeführt, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schon früh anerkannt worden, dass zwar im Grundsatz zwischen Vereinbarungen über das anwendbare Recht einerseits und über die zuständigen Gerichte andererseits logisch zu unterscheiden ist, andererseits aber beide Fragen im Zusammenhang zu sehen sind. Dabei soll allein der Umstand, dass die vereinbarte ausländische Rechtsordnung Regelungen nicht enthält, die im deutschen Recht zwingend sind, nicht gegen die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung sprechen (BGH, Urteil vom 30.01.1961 - VII ZR 180/60, NJW 1961, 1061, 1062). Der Bundesgerichtshof hat außerdem angenommen, dass es einer Partei, die auf den Streitgegenstand verzichten kann, nicht verwehrt sein könne, auf den Rechtsschutz vor deutschen Gerichten zu verzichten; sie könne auch auf den Rechtsschutz insgesamt verzichten. Gleichzeitig hat er aber betont, es könne auch in diesen Fällen aus „einem anderen Grund“ eine zwingende deutsche internationale Zuständigkeit gegeben sein (BGH, Urteil vom 13.12.1967 aaO Rn. 11 f.). Er hat außerdem anerkannt, dass die Unzulässigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung (nach nationalem deutschem Recht) auch aus Vorschriften folgen könne, die sich nicht mit der örtlichen Zuständigkeit befassen (BGH, Urteil vom 13.12.1967 - VIII ZR 203/65, juris, Rn. 5).

 

(3) Aus der ein beschränktes Derogationsverbot annehmenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt jedoch, dass er solchen Normen des deutschen materiellen (Kollisions-) Rechts den Vorrang gegenüber der Privatautonomie der Parteien gewährt, die dazu dienen, deutsches Recht auch gegen entgegenstehendes ausländisches Recht durchzusetzen. Diesen Vorrang nimmt der Bundesgerichtshof ungeachtet des Umstands an, dass die Parteien sich über den Gegenstand des Rechtsstreits und weitere Fragen nach deutschem Recht vergleichen könnten oder der Kläger auf den von der Gerichtsstandsvereinbarung betroffenen Anspruch verzichten könnte. Es geht ihm um die Verteidigung von Normen, die dazu dienen, deutsches Recht auch gegen entgegenstehendes ausländisches Recht durchzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 12.03.1984 - II ZR 10/83, juris, Rn. 21).

 

Nachdem der Bundesgerichtshof zunächst im Urteil vom 30.01.1961 aaO ein Derogationsverbot für den Handelsvertreterausgleichsanspruch des § 89b HGB verneint hat, weil es sich (nur) um eine zwingende Norm des deutschen Rechts handele, hat er dies später anders beurteilt. Er hat ein (beschränktes) Derogationsverbot für Ansprüche aus § 89b HGB angenommen, weil die Verneinung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Gerichte im US-Bundesstaat Virginia, dessen Recht keinen zwingenden Anspruch auf einen Handelsvertreterausgleich kenne und dessen Gerichte europäisches und deutsches Recht nicht zur Anwendung brächten, den international zwingenden Anwendungsbereich der Art. 17, 18 der Richtlinie 86/653/EWG absichere (BGH, Urteil vom 05.09.2012 - VII ZR 25/12, juris, Rn. 4). Danach steht die Verzichtbarkeit des Anspruchs und seiner Klagbarkeit einem Derogationsverbot nicht entgegen; vielmehr ist die international zwingende Anwendbarkeit des nationalen Rechts ein „anderer Grund“ im Sinne der o.g. Entscheidung vom 13.12.1967 zur Annahme eines Derogationsverbots.

 

Der Bundesgerichtshof hat ein beschränktes Derogationsverbot auch insofern angenommen, als ausländische Gerichte den Termineinwand bei Börsentermingeschäften nicht beachten, der nach deutschem Recht auch bei ausländischem Recht unterliegenden Geschäften anzuwenden sei (BGH, Urteil vom 12.03.1984 - II ZR 10/83, juris, Rn. 21).

 

(4) Der vom Gesetz gewollte Anwendungsvorrang des deutschen Kartellrechts vor dem Recht anderer Staaten betrifft nicht nur die grundsätzliche Anwendung des deutschen und europäischen Kartellrechts, verbunden mit einer erst bei groben, gar unerträglichen Ergebnisfehlern überschrittenen, weitgehenden Fehlertoleranz bei der Entscheidung des konkreten Einzelfalls. Vielmehr muss die Richtigkeit der Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch den bis zum Bundesgerichtshof sowie zum Europäischen Gerichtshof gehenden Instanzenzug gewährleistet sein. Dies erfordert ein generelles Derogationsverbot für unmittelbar aus einem Verstoß gegen die §§ 19, 20, 21 GWB folgende Schadensersatzansprüche. Dieses Verbot wird durch Art. 25 Brüssel-Ia-VO nur hinsichtlich der Gerichte anderer Mitgliedsstaaten, die mit Deutschland einen einheitlichen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Art. 3 II EUV) mit grundsätzlich gleichwerter Gewährleistung des Rechtsschutzes bilden, sowie im Rahmen einzelner anderer Ausnahmebestimmungen durchbrochen. Eine „Ersatzzuständigkeit“ deutscher Gerichte (für eine solche Geimer, Internat. ZivilprozessR, 9. Auflage 2024, 11. Derogationsverbote Rn. 1770), die erst nach Durchführung des ausländischen Verfahrens möglich wäre, würde die Verteidigung des deutschen und europäischen „ordre public“ verzögern und daher während des fremden Verfahrens ihm widersprechende Verhältnisse ermöglichen, die das deutsche und europäische Kartellrecht gerade verhindern soll.

 

Für die hier fraglichen Ansprüche wegen Verstoßes gegen die §§ 19, 20, 21 GWB ist zu beachten, dass es sich bei den kartellrechtlichen Regelungen nicht nur um zwingende privatrechtliche Normen handelt, sondern dass die privatrechtlichen Ansprüche öffentlich-rechtliche Wettbewerbsregeln abzusichern helfen, die auch von deutschen Behörden, insbesondere dem Bundeskartellamt, verteidigt werden.

 

Die Verbote nach §§ 19, 20, 21 GWB gehören nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, zu den elementaren Grundlagen der Rechtsordnung und den grundlegenden Normen des Kartellrechts. Deshalb widerspricht die Anerkennung oder Vollstreckung von Schiedssprüchen der öffentlichen Ordnung („ordre public“) bereits dann, wenn der Schiedsspruch auf einer fehlerhaften Anwendung dieser Regelungen beruht und nicht erst dann, wenn die Entscheidung in ihrem Ergebnis grob falsch ist, weil sie die maßgeblichen Normen unbeachtet lässt oder falsch anwendet. Schiedssprüche unterliegen insoweit einer uneingeschränkten Kontrolle durch das ordentliche Gericht im Hinblick auf die Anwendung dieser Normen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2022 - KZB 75/21 „Kartellrecht im Schiedsverfahren“, juris, Rn. 14 f.).

 

Diese Erwägungen sind auf die zu bejahende Frage nach einem generellen Derogationsverbot zu übertragen. Die besondere Stellung der maßgeblichen kartellrechtlichen Normen, nach der ein Verstoß gegen den „ordre-public“ nicht erst bei groben und unerträglichen Abweichungen im Ergebnis der Rechtsanwendung, sondern bei jedem für das Ergebnis kausalen Anwendungsfehler anzunehmen ist, kann anders nicht gewahrt werden. So wie es keine Rechtsordnung hinnehmen kann, dass Verstöße gegen ihre grundlegendsten Normen durch ihre eigenen Gerichte bestätigt werden, unabhängig davon, ob diese Verstöße offenkundig oder offensichtlich sind oder nicht (BGH aaO), kann es auch keine Rechtsordnung hinnehmen, dass den staatlichen Einrichtungen, die die Einhaltung dieser Bestimmungen gewährleisten sollen, durch die Akteure - und damit unter Mitwirkung der potentiellen Deliktstäter - die Zuständigkeit entzogen und stattdessen den Einrichtungen fremder Staaten übertragen wird.

 

Der Senat teilt auch die weiteren Erwägungen des Bundesgerichtshofs, mit denen er die volle Überprüfung der Schiedssprüche begründet hat; auch diese sind auf die Derogation deutscher Gerichte zugunsten der Gerichte von nicht der Europäischen Union angehörenden Staaten zu übertragen. Nur durch das Derogationsverbot werden die umfassenden Beteiligungsrechte des Bundeskartellamts gewahrt, die in den vor den staatlichen Gerichten geführten Kartellzivilverfahren bestehen, und nur so wird sichergestellt, dass entscheidungserhebliche ungeklärte Rechtsfragen, die in unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 101, 102 AEUV wurzeln, im Zuge der Entscheidung der Klärung durch den Europäischen Gerichtshof zugeführt werden können (vgl. BGH aaO Rn. 16).

 

So hat auch der Europäische Gerichtshof seine vom erkennenden Senat geteilte Auffassung, dass Gerichtsstandsvereinbarungen zu Gunsten mitgliedstaatlicher Gerichte nicht gegen Art. 101 AEUV verstoßen und den „effet utile“ des Unionsrechts nicht beeinträchtigen, mit den unionsrechtlichen Regeln zu Gerichtsstandsvereinbarungen und insbesondere mit dem durch das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV verbürgten gleichwertigen Rechtsschutzsystem in der Union begründet (EuGH, Urteil vom 21.05.2015 - C-352/13 „CDC Hydrogen Peroxide“, juris, Rn. 63). Ob insoweit auch ein unionsrechtliches Derogationsverbot hinsichtlich nichtmitgliedsstaatlicher Gerichte anzunehmen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

 

Dass danach eine Derogation der internationalen Zuständigkeit für kartellrechtliche Streitigkeiten nicht grundsätzlich möglich sein soll, korrespondiert im Übrigen damit, dass das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30. Juni 2005 (ABl. EU 2009 L 133 S. 3) nach seinem Art. 2 II lit. h „kartellrechtliche (wettbewerbsrechtliche) Angelegenheiten“ nicht erfasst.

 

Daraus, dass Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 23 des Luganer „Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ (EuGVÜ 2007) wohl auch hinsichtlich kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche zulässig sind, folgt nichts anderes. Dieses rechtlich selbständige Übereinkommen, das zwischen der Europäischen Union sowie der Schweiz, Norwegen und Island geschlossen worden ist, betrifft nur Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten der Gerichte der durch das Abkommen gebundenen Staaten, zu denen das Vereinigte Königreich nicht gehört. Es handelt sich um eine Sonderregelung, aus der keine Öffnung der deutschen und europäischen Rechtsordnung gegenüber Drittstaaten folgt. Mit dem Übereinkommen geht eine besondere Bindung an die Rechtsprechung der Gerichte der gebundenen Staaten und des Europäischen Gerichtshofs einher (vgl. insb. Art. 1 des Protokolls Nr. 2 über die einheitliche Auslegung des Übereinkommens und den selbständigen Ausschuss, ABl. EU 2007 L 339/27).

 

(5) Ob das Derogationsverbot auch dann eingreift, wenn nicht Schadensersatzansprüche wegen Verstößen gegen kartellrechtliche Missbrauchsverbote Klagegegenstand sind, sondern einem anderweitig - z.B. vertraglich - begründeten Anspruch nur beklagtenseits entgegengehalten wird, es liege ein Verstoß gegen die §§ 19, 20, 21 GWB vor, bedarf keiner Entscheidung. Im letztgenannten Fall könnte es zur Durchsetzung des deutschen Kartellrechts genügen, den unter Verstoß gegen deutsches Kartellrecht ergangenen ausländischen Urteilen die Anerkennung und Vollstreckung in Deutschland zu versagen.

 

Es bedarf auch keiner Entscheidung, inwieweit die hiesigen Erwägungen auf Schiedsklauseln zu übertragen sind, die auf Verstöße gegen die §§ 19, 20, 21 GWB gestützte Ansprüche erfassen und diese Schiedsgerichten zuweisen, die nicht der Kontrolle mitgliedsstaatlicher Gerichte der Europäischen Union unterliegen.

 

3. Das Verfahren ist ohne Ausspruch des Senats zu einer Zurückverweisung vor dem Landgericht fortzusetzen. Der Rechtsstreit ist dem Senat durch das Zwischenurteil nur im Umfang der Zwischenentscheidung angefallen und im Übrigen in der ersten Instanz anhängig geblieben (Musielak/Voit/Ball, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 538 Rn. 21; BeckOK ZPO/Wulf, 55. Ed. 1.12.2024, § 538 Rn. 19; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 538 Rn. 24, 32)

 

Dabei kommt es (entgegen MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, § 538 Rn. 57) nicht darauf an, ob das Gericht I. Instanz (wie vorliegend geschehen) die abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage angeordnet hat. Maßgeblich ist der Umfang der angefochtenen Entscheidung, nicht der Verhandlung, weshalb der Senat auch nicht ohne weiteres andere, vom Landgericht noch nicht beschiedene Zulässigkeitsfragen bescheiden muss (vgl. Stein/Jonas/Althammer aaO Rn. 32). Anlass, den Rechtsstreit insoweit teilweise an sich zu ziehen, hat der Senat nicht.

 

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO.

 

Die Revision ist gemäß § 543 II Nr. 1 ZPO zuzulassen. Die Fragen des rechtlichen Schicksals vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU abgeschlossener Gerichtsstandsvereinbarungen, des auf die Auslegung von unter Art. 25 I Brüssel-Ia-VO fallenden Vereinbarungen anzuwendenden Rechts, aber auch die Frage des kartellrechtlichen Derogationsverbots haben grundsätzliche Bedeutung. Letztere auch deshalb, weil ohne eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in weiteren Verfahren mit entsprechenden Zuständigkeitsrügen und unterschiedlichen Beurteilungen durch die Eingangsinstanzen zu rechnen ist, durch die die effektive Durchsetzung des Kartellrechts zumindest vorübergehend verhindert wird. Hinsichtlich des für die Auslegung von unter Art. 25 I Brüssel-Ia-VO fallenden Gerichtsstandsvereinbarungen anzuwendenden Rechts weicht der Senat außerdem von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab, so dass insoweit auch die Voraussetzungen des § 543 II Nr. 2 Alt. 2 ZPO vorliegen.

 

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO. Ihre Erstreckung auf die angefochtene Entscheidung ist entbehrlich, weil das Zwischenurteil des Landgerichts keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat.

 

Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen - nicht nachgelassenen - Schriftsätze hat der Senat zur Kenntnis genommen. Sie rechtfertigen keine andere Entscheidung und erfordern keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

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