R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Wirtschaftsrecht
01.12.2011
Wirtschaftsrecht
BGH: Eine die Gesellschafter gleichbehandelnde Berechnung der Abfindung ist im Zweifel gewollt

BGH, Urteil vom 27.9.2011 - II ZR 279/09

leitsatz

Bei der Auslegung der Bestimmungen über die Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters im Gesellschaftsvertrag einer GmbH ist zu berücksichtigen, dass die am Gesellschaftsvertrag beteiligten Personen im Zweifel eine auf Dauer wirksame und die Gesellschafter gleichbehandelnde Berechnung der Abfindung gewollt haben.

BGB § 133 B, § 157 C; GmbHG § 3

sachverhalt

Der Kläger war seit 1994 zuletzt mit einem Kapitalanteil von 28 % (14.000 DM) Gesellschafter und seit 1997 Geschäftsführer der beklagten GmbH. In der Gesellschafterversammlung vom 20. September 2007 und erneut in der Gesellschafterversammlung vom 9. November 2007 wurde beschlossen, den Kläger als Geschäftsführer abzuberufen, den Geschäftsführeranstellungs-vertrag mit ihm zu kündigen und seinen Geschäftsanteil unter Berufung auf § 11 des Gesellschaftsvertrags der Beklagten einzuziehen. In § 11 des Gesellschaftsvertrags ist die Einziehung eines Geschäftsanteils ohne Zustimmung des Gesellschafters unter anderem dann vorgesehen, wenn dieser aus der Ge-schäftsführung oder aus der auf einer gesonderten Vereinbarung beruhenden Mitarbeit in der Gesellschaft ausscheidet. Die Parteien streiten um die Höhe der Abfindung des Klägers.

§ 12 des am 23. März 1998 neu gefassten Gesellschaftsvertrags der Be-klagten vom 14. September 1982 (im Folgenden: GV) enthält zur Abfindung des ausgeschiedenen Gesellschafters folgende Regelung:

„(1) Ein nach § 11 der Satzung ausscheidender Gesellschafter wird für seine Ansprüche in Geld abgefunden. Die Abfindung des ausscheidenden Gesell-schafters besteht in einem nach dem Verhältnis der Stammeinlagen zu be-rechnenden Anteil am nominellen Eigenkapital der Gesellschaft im Sinne von § 266 Abs. 3 lit. A HGB i. V. m. § 272 HGB, soweit dies gesetzlich zulässig ist. Maßgebend ist das nominelle Eigenkapital am letzten Bilanzstichtag vor dem Ausscheiden des betreffenden Gesellschafters.

(2) In den Fällen, in denen die Anwendbarkeit der Bestimmung des Absatzes 1 Satz 2 gesetzlich nicht zulässig ist, bemisst sich die Abfindung des aus-scheidenden Gesellschafters nach dem gemeinen Wert seines Anteils, der sich unter Anwendung des sog. Stuttgarter Verfahrens nach den Bestimmun-gen der Abschnitte 76 f Vermögenssteuerrichtlinien zum letzten vor dem Aus-scheiden liegenden Bilanzstichtag errechnet."

Der Kläger hat eine Abfindung nach § 12 Abs. 1 GV in Höhe von 7.158,09 € erhalten. Er verlangt Zahlung einer weiteren Abfindung nach § 12 Abs. 2 GV in Höhe von 298.602 € in vier Jahresraten.

Das Landgericht hat die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines weiteren Abfindungsbetrages nach § 12 Abs. 2 GV nach dem Stuttgarter Ver-fahren dem Grunde nach festgestellt. Das Berufungsgericht hat auf die Beru-fung der Beklagten die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom er-kennenden Senat zugelassene Revision des Klägers.

aus den gründen

5          Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

6          I. Das Berufungsgericht (OLG München, Urteil vom 3. Dezember 2009 23 U 2863/09, juris) hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt be-gründet: Der Abfindungsanspruch des Klägers errechne sich nach § 12 Abs. 1 GV, bestehe also in einem nach dem Verhältnis der Stammeinlage zu berech-nenden Anteil am nominellen Eigenkapital. Die Auslegung der Satzung ergebe, dass eine Abfindung nach dem Stuttgarter Verfahren nach § 12 Abs. 2 GV eine Vertragslücke schließen solle, falls sich die Klausel nach § 12 Abs. 1 GV als gesetzlich unzulässig darstelle. Dies sei jedoch nicht der Fall, weil eine eventu-elle Unwirksamkeit entsprechend § 242 Abs. 2 AktG geheilt sei. Eine Ver-tragsanpassung von § 12 Abs. 1 GV und daraus folgend eine Abfindung nach dem Verkehrswert komme nicht in Betracht. Zwar behaupte der Kläger in der Berufungsinstanz, dass sich das grobe Missverhältnis zwischen Nennwert und Verkehrswert erst nach seinem Beitritt ergeben habe. Das insoweit neue Vor-bringen könne aber nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen werden, weil der Kläger in erster Instanz das Gegenteil behauptet habe.

7          II. Diese Ausführungen halten revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie beruhen auf einer fehlerhaften Auslegung der in § 12 GV enthaltenen Abfindungsregel.

8          1. Das Recht eines Gesellschafters, bei Ausscheiden aus der Gesell-schaft eine Abfindung zu erhalten, gehört zu seinen Grundmitgliedsrechten. Da es die gegenwärtigen und künftigen Gesellschafter betrifft und auch für Gesell-schaftsgläubiger von Bedeutung ist, kommt ihm körperschaftsrechtlicher Cha-rakter zu. Die Auslegung von Abfindungsregeln ist daher anhand objektiver Umstände vorzunehmen und unterliegt der freien Nachprüfung durch das Revi-sionsgericht (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1991 II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 364).

9          2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts durfte nicht offen bleiben, ob die nach § 12 Abs. 1 GV bemessene Abfindung in einem groben Missverhältnis zum Verkehrswert des Anteils des Klägers im Zeitpunkt seines Ausscheidens aus der Beklagten steht. Denn der Gesellschaftsvertrag der Be-klagten ist dahin auszulegen, dass in diesem Fall die Regelung des § 12 Abs. 2 GV zur Anwendung kommen soll.

10        a) Der zweite Absatz des § 12 GV ist, wie sich aus der Regelung in ei-nem Paragrafen und dem einleitenden Wortlaut des Absatzes „In den Fällen, in denen die Anwendbarkeit der Bestimmung des Absatzes 1 Satz 2 gesetzlich nicht zulässig ist" ergibt, als Auffangtatbestand konzipiert. Er erfasst aber nicht nur wie das Berufungsgericht wohl meint den Fall, dass sich die Bemessung der Abfindung nach Absatz 1 von Anfang an als unzulässig erweist. Absatz 2 soll vielmehr eine Berechnungsmöglichkeit für alle Fälle bieten, in denen sich die nach Absatz 1 berechnete Abfindung im Einzelfall als gesetzlich unzulässig erweist und zwar unabhängig davon, ob die Abfindung zum Nominalwert von Anfang an sittenwidrig zu gering ist oder ob sie aufgrund der Geschäftsentwick-lung der Beklagten mit der Zeit in gesetzwidriger Weise unangemessen wird. Für diese Auslegung spricht die in beiden Absätzen verwendete Formulierung „gesetzlich zulässig", in der eine dauerhafte Verknüpfung der Abfindungsalter-nativen zum Ausdruck kommt. Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 GV erhält der aus-scheidende Gesellschafter eine nach dem Verhältnis seiner Stammeinlage am nominellen Eigenkapital der Gesellschaft berechnete Abfindung, soweit dies gesetzlich zulässig ist. In den Fällen, in denen die so berechnete Abfindung ge-setzlich nicht zulässig ist, ordnet § 12 Abs. 2 GV eine Abfindung nach dem Stuttgarter Verfahren an. Die aufeinander bezogenen Bestimmungen der Absätze 1 und 2 des § 12 GV stellen ersichtlich eine einheitliche Regelung der Abfindung dar, die als Gesamtregelung rechtlich unbedenklich ist, so dass schon aus diesem Grunde eine entsprechende Anwendung von § 242 Abs. 2 AktG nicht in Betracht kommt. Dadurch, dass das Berufungsgericht den An-wendungsbereich des § 12 Abs. 2 GV nur dann eröffnet sieht, wenn sich die Regelung in Absatz 1 isoliert betrachtet und von Anfang an in jedem Fall als gesetzlich unzulässig erweist, haftet es in unzulässiger Weise zu sehr am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks „Anwendbarkeit der Bestimmung des Ab-satzes 1 Satz 2" und verkennt die Verknüpfung der beiden Absätze zu einer einheitlichen Regelung der Bemessung der Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters.

11        b) Der Auslegung des Berufungsgerichts steht weiter entgegen, dass sie zu einer unpraktikablen Abfindungsregelung und zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung ausscheidender Gesellschafter führt. Der ausscheidende Gesellschafter wird bei Anwendung des vom Berufungsgericht zugrunde geleg-ten Verständnisses der Abfindungsregelung entweder mit einem sittenwidrig zu geringen, einem nach allgemeinen Bedingungen angemessenen oder einem nach dem Stuttgarter Verfahren berechneten Betrag abgefunden, je nachdem, wie sich zum Zeitpunkt seines Ausscheidens die Geschäftsentwicklung des Un-ternehmens der Beklagten darstellt.

12        aa) Wäre die Abfindung nach § 12 Abs. 1 GV bereits bei Errichtung der Satzung oder im Zeitpunkt ihrer Neufassung sittenwidrig gewesen, wäre die Satzungsbestimmung entsprechend § 241 Nr. 4 AktG oder nach § 138 BGB nichtig. Der Gesellschafter ist dann grundsätzlich zum vollen wirtschaftlichen Wert seines Geschäftsanteils (Verkehrswert) abzufinden (vgl. nur BGH, Urteil vom 16. Dezember 1991 II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 368 f.; MünchKomm-GmbHG/Strohn, § 34 Rn. 236 f.). 13        Nach der Auslegung des Berufungsgerichts erhält ein ausscheidender Gesellschafter aber immer dann eine sittenwidrig zu niedrige Abfindung, wenn er später als drei Jahre nach Eintragung der unterstellt sittenwidrigen Satzungsbestimmung ins Handelsregister aus der Gesellschaft ausscheidet und die Nichtigkeit bis dahin nicht geltend gemacht hat (§ 242 Abs. 2 AktG; zur Anwendbarkeit BGH, Urteil vom 16. Dezember 1991 II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 368; Urteil vom 19. Juni 2000 II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 368). Scheidet der Gesellschafter bereits nach zwei Jahren aus, erhält er eine Abfindung nach § 12 Abs. 2 GV nach dem Stuttgarter Ver-fahren.

Anders ist die Lage, wenn der nach § 12 Abs. 1 GV zu bestimmende Ab-findungsbetrag und der wirkliche Wert des Geschäftsanteils nicht von Anfang an, sondern erst infolge der Geschäftsentwicklung der Gesellschaft auseinan-der fallen. Ist in diesem Fall der Abfindungsbetrag unangemessen gering, kann die Abfindungsregelung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung an die neuen Verhältnisse angepasst werden (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 1993 II ZR 104/92, BGHZ 123, 281, 284 f.; Urteil vom 19. Juni 2000 II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 369; Urteil vom 24. Mai 1993 II ZR 36/92, ZIP 1993, 1160, 1161; MünchKommGmbHG/Strohn, § 34 Rn. 241). Weil die Abfindungsregelung nicht nach § 12 Abs. 1 GV unwirksam ist, käme § 12 Abs. 2 GV nicht zur Anwendung.

14        bb) Im Zweifel haben die am Gesellschaftsvertrag beteiligten Personen aber etwas Vernünftiges gewollt, nämlich eine auf Dauer wirksame und die Ge-sellschafter gleichbehandelnde Berechnung der Abfindung. Die Regelung baut nicht auf der Nichtigkeit wegen gesetzlicher Unzulässigkeit von § 12 Abs. 1 GV auf, sondern auf der Unanwendbarkeit der grundsätzlich vereinbarten, aber im konkreten Fall gesetzlich nicht zulässigen Berechnungsmethode. Immer dann, wenn sich die nach § 12 Abs. 1 GV berechnete Abfindung zum Nominalwert nach den soeben dargestellten Grundsätzen der Senatsrechtsprechung im Zeitpunkt der Abfindung als unzulässig erweist, hat der Gesellschafter Anspruch auf eine Abfindung nach § 12 Abs. 2 GV nach dem Stuttgarter Verfah-ren. Bei einem solchen Verständnis kann flexibel auf Schwankungen im Wert des Geschäftsanteils reagiert werden und es wird der Gleichbehandlung aller Gesellschafter Rechnung getragen, die unabhängig vom Zeitpunkt ihres Aus-scheidens nach den gleichen Grundsätzen abgefunden werden.

15        III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob der Kläger nach dem Nominalwert nach § 12 Abs. 1 GV abgefunden werden darf oder ob ihm das Festhalten an der vertraglichen Regelung auch unter Berücksichtigung des berechtigten Interesses der Mitge-sellschafter nicht mehr zugemutet werden kann. Hierbei sind die gesamten Um-stände des konkreten Falles in Betracht zu ziehen (BGH, Urteil vom 20. September 1993 II ZR 104/92, BGHZ 123, 281, 284 f.; Urteil vom 19. Juni 2000 II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 369; Urteil vom 24. Mai 1993 II ZR 36/92, ZIP 1993, 1160, 1161).

16        Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen zur Entwicklung des Werts des Geschäftsanteils des Klägers getroffen. Nach dem Vortrag des Klä-gers in zweiter Instanz überstieg der nach § 12 Abs. 2 GV berechnete Wert des Unternehmens der Beklagten am 31. Dezember 2007 den Nominalwert um 4.000 %, der Verkehrswert lag sogar um 13.800 % über dem Nominalwert. Ent-gegen der Auffassung des Berufungsgerichts war das Vorbringen des Klägers zur Höhe des Unternehmenswerts zulässig. Es kann dahinstehen, ob es sich bei den Darlegungen des Klägers wie die Revision meint nur um eine zuläs-sige Konkretisierung erstinstanzlichen Vorbringens handelt. Selbst wenn es neu im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO gewesen wäre, war es gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 ZPO zuzulassen. Der Kläger hatte erstinstanzlich keine Veranlas-sung, zum Wert seines Geschäftsanteils bei seinem Ausscheiden vorzutragen, weil das Landgericht diesen Umstand erkennbar für unerheblich gehalten hat. Das Landgericht hat eine Abfindungsbeschränkung auf den Nominalwert nach § 12 Abs. 1 GV unabhängig vom Wert im Zeitpunkt des Ausscheidens für unzu-lässig erachtet.

stats