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Wirtschaftsrecht
17.11.2022
Wirtschaftsrecht
EuGH: Eine anerkannte Umweltvereinigung (hier: Deutsche Umwelthilfe e. V.) darf eine EG-Typengenehmigung für Kfz, die möglicherweise mit verbotenen „Abschalteinrichtungen“ ausgestattet sind, vor Gericht anfechten

EuGH, Urteil vom 8.11.2022 – C-873/19, Deutsche Umwelthilfe e. V. gegen Bundesrepublik Deutschland

ECLI:EU:C:2022:857

Volltext: BB-Online BBL2022-2689-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

1. Art. 9 Abs. 3 des am 25. Juni 1998 in Aarhus unterzeichneten und im Namen der Europäischen Gemeinschaft mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 genehmigten Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass es einer Umweltvereinigung, die nach nationalem Recht zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigt ist, nicht verwehrt werden darf, eine Verwaltungsentscheidung, mit der eine EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge erteilt oder geändert wird, die möglicherweise gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge verstößt, vor einem innerstaatlichen Gericht anzufechten.

2. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung nur dann nach dieser Bestimmung zulässig sein kann, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Außerdem ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinne dieser Bestimmung, wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann.

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, das am 25. Juni 1998 in Aarhus (Dänemark) unterzeichnet und mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt wurde (ABl. 2005, L 124, S. 1, im Folgenden: Übereinkommen von Aarhus), und von Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007, L 171, S. 1).

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Deutsche Umwelthilfe e. V., einer Umweltvereinigung, und der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Kraftfahrt-Bundesamt (Deutschland, im Folgenden: KBA), wegen der Entscheidung, mit der das KBA für bestimmte von der Volkswagen AG hergestellte Fahrzeuge die Verwendung einer Software zur Verringerung des Recyclings von Schadstoffen nach Maßgabe der Außentemperatur genehmigt hat.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

3          Nach dem 18. Erwägungsgrund des Übereinkommens von Aarhus

„[soll] die Öffentlichkeit, einschließlich Organisationen, Zugang zu wirkungsvollen gerichtlichen Mechanismen haben …, damit ihre berechtigten Interessen geschützt werden und das Recht durchgesetzt wird“.

4          Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) Nrn. 4 und 5 dieses Übereinkommens sieht vor:

„4. [Im Sinne dieses Übereinkommens] bedeutet ‚Öffentlichkeit‘ eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen;

5. bedeutet ‚betroffene Öffentlichkeit‘ die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran; im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben nichtstaatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse.“

5          Art. 9 („Zugang zu Gerichten“) Abs. 3 und 4 des Übereinkommens bestimmt:

„(3) Zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren stellt jede Vertragspartei sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.

(4) Zusätzlich und unbeschadet des Absatzes 1 stellen die in den Absätzen 1, 2 und 3 genannten Verfahren angemessenen und effektiven Rechtsschutz und, soweit angemessen, auch vorläufigen Rechtsschutz sicher; diese Verfahren sind fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer. Entscheidungen nach diesem Artikel werden in Schriftform getroffen oder festgehalten. Gerichtsentscheidungen und möglichst auch Entscheidungen anderer Stellen sind öffentlich zugänglich.“

Unionsrecht

Verordnung (EG) Nr. 1367/2006

6          Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft (ABl. 2006, L 264, S. 13) sieht vor:

„Ziel dieser Verordnung ist es, durch Festlegung von Vorschriften zur Anwendung der Bestimmungen des [Übereinkommens von Aarhus] auf die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft zur Umsetzung der Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen beizutragen, und zwar insbesondere indem

d) in Umweltangelegenheiten der Zugang zu Gerichten auf Gemeinschaftsebene zu den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen gewährt wird.“

7          Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) Abs. 1 Buchst. f dieser Verordnung sieht vor:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

f) ‚Umweltrecht‘ Rechtsvorschriften der Gemeinschaft, die unabhängig von ihrer Rechtsgrundlage zur Verfolgung der im Vertrag niedergelegten Ziele der gemeinschaftlichen Umweltpolitik beitragen: Erhaltung und Schutz der Umwelt sowie Verbesserung ihrer Qualität, Schutz der menschlichen Gesundheit, umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen sowie Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler und globaler Umweltprobleme“.

Rahmenrichtlinie

8          Die Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (ABl. 2007, L 263, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1060/2008 der Kommission vom 7. Oktober 2008 (ABl. 2008, L 292, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenrichtlinie) wurde durch die Verordnung (EU) 2018/858 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 715/2007 und (EG) Nr. 595/2009 und zur Aufhebung der Richtlinie 2007/46/EG (ABl. 2018, L 151, S. 1) mit Wirkung vom 1. September 2020 aufgehoben. In Anbetracht des für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitraums bleibt die Rahmenrichtlinie jedoch auf diesen anwendbar.

9          Art. 1 der Rahmenrichtlinie bestimmte:

„Diese Richtlinie schafft einen harmonisierten Rahmen mit den Verwaltungsvorschriften und allgemeinen technischen Anforderungen für die Genehmigung aller in ihren Geltungsbereich fallenden Neufahrzeuge und der zur Verwendung in diesen Fahrzeugen bestimmten Systeme, Bauteile und selbstständigen technischen Einheiten; damit sollen ihre Zulassung, ihr Verkauf und ihre Inbetriebnahme in der Gemeinschaft erleichtert werden.

Zur Durchführung dieser Richtlinie werden in Rechtsakten besondere technische Anforderungen für den Bau und den Betrieb von Fahrzeugen festgelegt; Anhang IV enthält eine vollständige Auflistung dieser Rechtsakte.“

10        Art. 3 Nr. 5 der Rahmenrichtlinie sah vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie und der in Anhang IV aufgeführten Rechtsakte – soweit dort nichts anderes bestimmt ist – bezeichnet der Ausdruck

5. ‚EG-Typgenehmigung‘ das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbstständigen technischen Einheit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen dieser Richtlinie und der in Anhang IV oder XI aufgeführten Rechtsakte entspricht“.

11        Anhang IV („Für die EG-Typgenehmigung von Fahrzeugen anzuwendende Vorschriften“) der Rahmenrichtlinie verwies in seinem Teil I („Aufstellung der Rechtsakte für die EG-Typgenehmigung von in unbegrenzter Serie hergestellten Fahrzeugen“) für „Emissionen leichter Pkw und Nutzfahrzeuge (Euro 5 und 6)/Zugang zu Informationen“ auf die Verordnung Nr. 715/2007.

Verordnung Nr. 715/2007

12        In den Erwägungsgründen 1, 6, 7 und 12 der Verordnung Nr. 715/2007 heißt es:

„(1) … Die technischen Vorschriften für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen sollten … harmonisiert werden, um zu vermeiden, dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche Vorschriften erlassen, und um ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen.

(6) Zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte ist insbesondere eine erhebliche Minderung der [NOx-Emissionen] bei Dieselfahrzeugen erforderlich. …

(7) Bei der Festlegung von Emissionsgrenzwerten ist es wichtig zu berücksichtigen, wie sie sich auf die Märkte und die Wettbewerbsfähigkeit der Hersteller auswirken, welche direkten und indirekten Kosten den Unternehmen durch sie entstehen und welchen Nutzen in Form von Anregung von Innovation, Verbesserung der Luftqualität, Senkung der Gesundheitskosten und Gewinn zusätzlicher Lebensjahre sie bringen und welche Gesamtwirkung sie auf die [Kohlendioxid (CO2)]-Emissionen haben.

(12) Es sollten weitere Anstrengungen unternommen werden, um striktere Emissionsgrenzwerte einzuführen, einschließlich der Senkung von [CO2-Emissionen], und um sicherzustellen, dass sich die Grenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen.“

13        Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung sieht vor:

„Diese Verordnung legt gemeinsame technische Vorschriften für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen (nachstehend ‚Fahrzeuge‘ genannt) und Ersatzteilen wie emissionsmindernde Einrichtungen für den Austausch hinsichtlich ihrer Schadstoffemissionen fest.“

14        Art. 3 Nr. 10 der Verordnung bestimmt:

„Im Sinne dieser Verordnung und ihrer Durchführungsmaßnahmen bezeichnet der Ausdruck:

10. ‚Abschalteinrichtung‘ ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“.

15        Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung sieht vor:

„(1) Der Hersteller weist nach, dass alle von ihm verkauften, zugelassenen oder in der Gemeinschaft in Betrieb genommenen Neufahrzeuge über eine Typgenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen. Der Hersteller weist außerdem nach, dass alle von ihm in der Gemeinschaft verkauften oder in Betrieb genommenen neuen emissionsmindernden Einrichtungen für den Austausch, für die eine Typgenehmigung erforderlich ist, über eine Typgenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen.

Diese Pflichten schließen ein, dass die in Anhang I und in den in Artikel 5 genannten Durchführungsmaßnahmen festgelegten Grenzwerte eingehalten werden.

(2) Der Hersteller stellt sicher, dass die Typgenehmigungsverfahren zur Überprüfung der Übereinstimmung der Produktion, der Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen und der Übereinstimmung in Betrieb befindlicher Fahrzeuge beachtet werden.

Die von dem Hersteller ergriffenen technischen Maßnahmen müssen außerdem sicherstellen, dass die Auspuff- und Verdunstungsemissionen während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeuges bei normalen Nutzungsbedingungen entsprechend dieser Verordnung wirkungsvoll begrenzt werden. …

…“

16        Art. 5 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 715/2007 bestimmt:

„(1) Der Hersteller rüstet das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.

(2) Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:

a) die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten;

…“

17        Anhang I („Emissionsgrenzwerte“) dieser Verordnung enthält u. a. die Emissionsgrenzwerte für Stickstoffoxide.

Deutsches Recht

18        § 42 der Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960 (BGBl. 1960 I S. 17) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (BGBl. 1991 I S. 686) (im Folgenden: VwGO) regelt die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Klagen wie folgt:

„(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.“

19        § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO lautet:

„Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf.“

20        § 1 Abs. 1 des Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz – UmwRG) vom 7. Dezember 2006 (BGBl. 2006 I S. 2816), in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (BGBl. 2017 I S. 3290) (im Folgenden: UmwRG) bestimmt:

„Dieses Gesetz ist anzuwenden auf Rechtsbehelfe gegen folgende Entscheidungen:

5. Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche Verträge, durch die andere als in den Nummern 1 bis 2b genannte Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zugelassen werden, …

Dieses Gesetz findet auch Anwendung, wenn entgegen geltenden Rechtsvorschriften keine Entscheidung nach Satz 1 getroffen worden ist. …

…“

21        § 2 Abs. 1 UmwRG sieht vor:

„Eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung

1. geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht,

2. geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein, …

Bei Rechtsbehelfen gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer[n] 2a bis 6 oder gegen deren Unterlassen muss die Vereinigung zudem die Verletzung umweltbezogener Rechtsvorschriften geltend machen.“

22        § 3 UmwRG legt die Voraussetzungen fest, die die inländischen oder ausländischen Vereinigungen erfüllen müssen, damit ihnen die Anerkennung zur Einlegung von Rechtsbehelfen erteilt wird, und regelt das Anerkennungsverfahren. Nach § 3 Abs. 1 UmwRG wird einer solchen Vereinigung auf Antrag die Anerkennung im Wesentlichen erteilt, wenn sie nach ihrer Satzung ideell und nicht nur vorübergehend vorwiegend die Ziele des Umweltschutzes fördert, im Zeitpunkt der Anerkennung mindestens drei Jahre besteht und in diesem Zeitraum tätig gewesen ist, die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung, insbesondere für eine sachgerechte Beteiligung an behördlichen Entscheidungsverfahren, bietet, gemeinnützige Zwecke verfolgt und jeder Person den Eintritt als Mitglied ermöglicht, die die Ziele der Vereinigung unterstützt.

23        § 25 Abs. 1 und 2 der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge (EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung – EG‑FGV) vom 3. Februar 2011 (BGBl. 2011 I S. 126) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung bestimmt:

„(1) Stellt das [KBA] fest, dass Fahrzeuge, Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten nicht mit dem genehmigten Typ übereinstimmen, kann es die erforderlichen Maßnahmen nach den für den jeweiligen Typ anwendbaren Richtlinien [2007/46], 2002/24/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. März 2002 über die Typgenehmigung für zweirädrige oder dreirädrige Kraftfahrzeuge und zur Aufhebung der Richtlinie 92/61/EWG des Rates (ABl. 2002, L 124, S. 1)] und 2003/37/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Typgenehmigung für land- oder forstwirtschaftliche Zugmaschinen, ihre Anhänger und die von ihnen gezogenen auswechselbaren Maschinen sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten dieser Fahrzeuge und zur Aufhebung der Richtlinie 74/150/EWG (ABl. 2003, L 171, S. 1)] anordnen, um die Übereinstimmung der Produktion mit dem genehmigten Typ sicherzustellen.

(2) Das [KBA] kann zur Beseitigung aufgetretener Mängel und zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit auch bereits im Verkehr befindlicher Fahrzeuge, selbstständiger technischer Einheiten oder Bauteile nachträglich Nebenbestimmungen anordnen.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

24        Volkswagen ist ein Automobilhersteller, der Kraftfahrzeuge, insbesondere Fahrzeuge des Modells VW Golf Plus TDI, vertrieben hat, die mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 der Generation Euro 5 ausgestattet waren. Diese Fahrzeuge verfügten über ein Abgasrückführventil (im Folgenden: AGR-Ventil), bei dem es sich um eine der Technologien handelt, die von den Automobilherstellern, u. a. Volkswagen, zur Kontrolle und Reduzierung der NOx-Emissionen verwendet werden.

25        Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts enthielten diese Fahrzeuge ursprünglich eine in den Rechner zur Motorsteuerung integrierte Software, aufgrund deren eine Abgasrückführung nach zwei Betriebsmodi erfolgte, nämlich einem Modus 0, der beim Fahrbetrieb im Straßenverkehr aktiviert wird, und einem Modus 1, der beim im Labor durchgeführten, die Schadstoffemissionen betreffenden Zulassungstest namens „New European Driving Cycle“ (NEDC) zum Einsatz kommt. Im Modus 0 verminderte sich die Abgasrückführungsrate. Unter normalen Nutzungsbedingungen befanden sich die betreffenden Fahrzeuge fast ausschließlich im Modus 0 und hielten die in der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehenen Grenzwerte für NOx-Emissionen nicht ein.

26        Im Rahmen des EG-Typgenehmigungsverfahrens für diese Fahrzeuge wurde das KBA von Volkswagen über das Vorhandensein einer solchen Software nicht informiert.

27        Am 15. Oktober 2015 erließ das KBA eine Entscheidung nach § 25 Abs. 2 der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge (EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung, in der es die Auffassung vertrat, dass es sich bei dieser Software um eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 handele, die nicht mit Art. 5 dieser Verordnung im Einklang stehe, und gab Volkswagen auf, diese Einrichtungen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um diese Fahrzeuge mit den geltenden nationalen und unionsrechtlichen Vorschriften in Einklang zu bringen.

28        Auf diese Entscheidung hin nahm Volkswagen ein Update dieser Software vor. Dieses Update bewirkte, dass das AGR-Ventil so eingestellt wurde, dass es die Abgasrückführungsrate so regelte, dass diese Rückführungsrate bei einer Umgebungstemperatur unter –9 Grad Celsius bei 0 %, zwischen –9 und 11 Grad Celsius bei 85 % und schließlich, über 11 Grad Celsius ansteigend, ab einer Umgebungstemperatur von 15 Grad Celsius bei 100 % lag. Somit war die Reinigung der Abgase durch dieses Rückführungssystem nur dann voll wirksam, wenn die Umgebungstemperatur über 15 Grad Celsius lag (im Folgenden: Thermofenster).

29        Mit Entscheidung vom 20. Juni 2016 (im Folgenden: streitige Entscheidung) erteilte das KBA eine Genehmigung für die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Software. Die in den betreffenden Fahrzeugen (im Folgenden: im Ausgangsverfahren in Rede stehende Fahrzeuge) noch vorhandenen Abschalteinrichtungen erachtete es als zulässig.

30        Am 15. November 2016 legte die Deutsche Umwelthilfe, eine nach § 3 UmwRG zur Einlegung von Rechtsbehelfen anerkannte Vereinigung, gegen die streitige Entscheidung Widerspruch ein, der allerdings nicht beschieden wurde.

31        Am 24. April 2018 erhob die Deutsche Umwelthilfe beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht, dem vorlegenden Gericht, Klage auf Aufhebung der streitigen Entscheidung. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Fahrzeuge seien immer noch mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet, weil diese bei den in Deutschland vorherrschenden durchschnittlichen Temperaturen aktiv werde. Außerdem sei es den Automobilherstellern möglich, Motoren zu entwickeln, die aus technischer Sicht eine Herunterregelung der Systeme zur Verringerung von Emissionen bei durchschnittlichen Temperaturen nicht erforderlich machten und daher unter normalen Betriebsbedingungen funktionierten.

32        Die Bundesrepublik Deutschland, Beklagte des Ausgangsverfahrens, macht zum einen geltend, dass die Deutsche Umwelthilfe für eine Anfechtung der streitigen Entscheidung nicht klagebefugt und ihre Klage daher unzulässig sei. Zum anderen sei das Thermofenster, über das die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Fahrzeuge nach dem Update der betreffenden Software verfügten, mit dem Unionsrecht vereinbar.

33        Was die Zulässigkeit der Klage im Ausgangsverfahren angeht, ist das vorlegende Gericht erstens der Ansicht, dass die Deutsche Umwelthilfe nach § 42 Abs. 2 VwGO nicht klagebefugt sei, wonach die Klage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt sei, nur zulässig sei, wenn der Kläger geltend mache, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Diese Bestimmung sei Ausdruck des subjektiv-rechtlich ausgeprägten Individualrechtsschutzsystems der VwGO. Im Ausgangsrechtsstreit sei jedoch ein durch die streitige Entscheidung verletztes subjektives Recht nicht zu erkennen. Das in Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 715/2007 normierte und von der Deutschen Umwelthilfe geltend gemachte Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringerten, vermittele nämlich einer natürlichen Person kein subjektives Recht, da diese Bestimmung nicht dem Individualschutz einzelner Bürger diene.

34        Zweitens ist das vorlegende Gericht der Auffassung, die Deutsche Umwelthilfe könne auch keine Klagebefugnis aus § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 UmwRG herleiten, der eine gesetzliche Ausnahme vom Erfordernis eines subjektiven Rechts im Sinne von § 42 Abs. 2 Halbsatz 1 VwGO vorsehe. Nur eine der in § 1 Abs. 1 UmwRG aufgezählten Entscheidungen könne Gegenstand einer Klage einer Umweltvereinigung nach dem UmwRG sein. Von diesen Entscheidungen kämen im vorliegenden Fall nur die in Abs. 1 Nr. 5 dieser Bestimmung genannten Entscheidungen in Betracht, nämlich „Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche Verträge, durch die … Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zugelassen werden“.

35        Die streitige Entscheidung stelle jedoch keine Entscheidung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 5 UmwRG dar, da mit ihr nicht ein „Vorhaben“, sondern ein „Produkt“ zugelassen werde. Der Begriff „Vorhaben“ im Sinne dieser Bestimmung sei nämlich dem Planungsrecht entnommen und auf der Grundlage der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 1985, L 175, S. 40) definiert worden, nach deren Art. 1 Abs. 2 der Begriff „Projekt“ „die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen“ und „sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen“ bezeichne. Insoweit ergebe sich aus der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung, dass dieser Begriff nur ortsfeste Anlagen oder unmittelbar in Natur und Landschaft eingreifende Maßnahmen betreffe. Daher könnten die EG-Typgenehmigung für leichte Personenkraftwagen wie auch die Modifizierung einer solchen EG-Typgenehmigung, die Gegenstand der streitigen Entscheidung sei, nicht als Genehmigung eines „Vorhabens“ im Sinne des nationalen Rechts angesehen werden, da sie keine ortsfeste Anlage beträfen und mit ihnen auch kein unmittelbarer Eingriff in die Natur oder die Landschaft verbunden sei.

36        Außerdem könnten die Bestimmungen des UmwRG nicht analog angewandt werden, da in den Beratungen vor der Änderung des UmwRG im Jahr 2017 explizit darauf eingegangen worden sei, dass der Gesetzentwurf den Produktbereich, einschließlich Kraftfahrzeuge, außen vor lasse.

37        Drittens kann die Deutsche Umwelthilfe nach Auffassung des vorlegenden Gerichts auch aus Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus keine Klagebefugnis herleiten, da diese Bestimmung als solche, wie der Gerichtshof im Urteil vom 20. Dezember 2017, Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation (C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 45), entschieden habe, nicht unmittelbar anwendbar sei. Daher stelle dieser Art. 9 keine gesetzliche Ausnahme vom Erfordernis eines subjektiven Rechts im Sinne von § 42 Abs. 2 Halbsatz 1 VwGO dar.

38        Unter diesen Umständen hängt die Zulässigkeit der Klage nach Ansicht des vorlegenden Gerichts von der Frage ab, ob die Deutsche Umwelthilfe eine Klagebefugnis unmittelbar aus dem Unionsrecht herleiten kann. Im Licht des Urteils vom 20. Dezember 2017, Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation (C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 45), könne sich die Klagebefugnis der Deutschen Umwelthilfe aus Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 der Charta ergeben.

39        Im Hinblick darauf, dass die sich aus diesem Urteil ergebenden Konsequenzen von den nationalen Gerichten unterschiedlich beurteilt worden seien, müsse es wissen, ob Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen sei, dass es einer Umweltvereinigung auch über die bereits bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten des UmwRG hinaus möglich sein müsse, eine behördliche Produktzulassung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art anzufechten, wenn die von dieser Vereinigung erhobene Klage darauf abziele, die Beachtung von Bestimmungen des Umweltrechts der Union durchzusetzen, die keine subjektiven Rechte begründeten.

40        Das vorlegende Gericht führt aus, dass seine Zweifel die Auslegung der Wendung „nach innerstaatlichem Recht festgelegte Kriterien“ im Sinne von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus beträfen. Zum einen könnten von dieser Wendung nämlich nur solche Kriterien erfasst sein, die sich auf den Kreis der Anfechtungsberechtigten bezögen, so dass den Mitgliedstaaten ein Gestaltungsspielraum nur hinsichtlich der Frage zustehe, welchen Umweltvereinigungen sie das Recht einräumen wollten, umweltbezogene Allgemeininteressen vor Gericht durchzusetzen. Sollte dieser Auslegung zu folgen sein, wäre die Deutsche Umwelthilfe im Rahmen des Ausgangsverfahrens klagebefugt, da der deutsche Gesetzgeber diese Kriterien in § 3 UmwRG aufgestellt habe und die Deutsche Umwelthilfe nach dieser Bestimmung anerkannt worden sei.

41        Zum anderen könnte diese Wendung aber auch so auszulegen sein, dass die Mitgliedstaaten Kriterien auch im Hinblick auf den Anfechtungsgegenstand festlegen dürften und somit bestimmte Verwaltungsentscheidungen von einer durch Umweltvereinigungen veranlassten gerichtlichen Überprüfung ausnehmen könnten. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnte eine solche Beschränkung der Klagebefugnis dieser Vereinigungen auf bestimmte, im Hinblick auf ihre Umweltauswirkungen schwerwiegende Entscheidungen aufgrund der Vielzahl behördlicher Entscheidungen mit Umweltbezug sinnvoll sein. Was speziell Produktzulassungen angeht, weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass zwar nicht jeder Produktzulassung eine nur geringe umweltrechtliche Bedeutung zugesprochen werden könne. Allerdings sprächen im Hinblick auf die Vielzahl von Produkteinzelzulassungen auch praktische Erwägungen dafür, dass es den Mitgliedstaaten möglich sein müsse, im Wege typisierender Betrachtungen bestimmte Einzelfallentscheidungen nicht der Unsicherheit einer Anfechtbarkeit durch Dritte, wie Umweltvereinigungen, auszusetzen.

42        Für den Fall, dass der Gerichtshof der Auffassung sein sollte, dass eine Umweltvereinigung zu einer Klage gegen den streitigen Beschluss befugt sei, fragt sich das vorlegende Gericht, wie Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 auszulegen ist.

43        Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Thermofenster eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 darstelle. Zwar werde das in dieser Bestimmung enthaltene Tatbestandsmerkmal „Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind“ in der Verordnung Nr. 715/2007 nicht definiert, im Hinblick auf die Ziele dieser Verordnung, und insbesondere ihre Erwägungsgründe 4 und 6, könnten aber nur die Bedingungen des realen Straßenverkehrs als normale Betriebsbedingungen angesehen werden. Das Ziel der Verringerung der NOx-Emissionen könne nur erreicht werden, wenn diese Emissionen im realen Fahrbetrieb und nicht nur unter künstlichen Bedingungen reduziert würden. „Normale Bedingungen“, die im Sinne dieser Bestimmung „vernünftigerweise zu erwarten sind“, seien in Europa auch Temperaturen unter 15 Grad Celsius. Im Jahr 2018 habe die Jahresdurchschnittstemperatur in Deutschland nämlich 10,4 Grad Celsius betragen. Somit werde die Abgasrückführungsrate der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Fahrzeuge bereits bei Durchschnittstemperaturen reduziert und das Emissionskontrollsystem teilweise deaktiviert.

44        Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, ob der Begriff der „Notwendigkeit“ einer Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 nach Maßgabe des aktuellen Stands der Technik auszulegen ist, um festzustellen, ob eine Abschalteinrichtung tatsächlich notwendig ist, um den Motor vor Beschädigungen oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des betreffenden Fahrzeugs zu gewährleisten. Außerdem fragt es sich, ob auch weitere Umstände zu berücksichtigen sind, wie beispielsweise die Kosten für die Hersteller und die Auswirkungen auf ihre Wettbewerbsfähigkeit.

45        Unter diesen Umständen hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen, und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus in Verbindung mit Art. 47 der Charta dahin gehend auszulegen, dass es Umweltvereinigungen grundsätzlich möglich sein muss, einen Bescheid vor Gericht anzufechten, mit dem die Produktion von Diesel-Personenkraftwagen mit Abschalteinrichtungen – möglicherweise unter Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 – gebilligt wird?

2. Bei Bejahung der Frage 1:

a) Ist Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin gehend auszulegen, dass Maßstab für die Frage der Notwendigkeit einer Abschalteinrichtung zum Schutz des Motors vor Beschädigungen oder Unfall und zur Gewährleistung des sicheren Betriebs des Fahrzeugs grundsätzlich der aktuelle Stand der Technik im Sinne des technisch Machbaren im Zeitpunkt der Erteilung der EG-Typgenehmigung ist?

b) Sind neben dem Stand der Technik weitere Umstände zu berücksichtigen, welche zur Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung führen können, obwohl diese allein am jeweils aktuellen Stand der Technik bemessen nicht „notwendig“ im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 wäre?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

46        Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen ist, dass es einer Umweltvereinigung, die nach nationalem Recht zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigt ist, nicht verwehrt werden darf, eine Verwaltungsentscheidung, mit der eine EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge erteilt oder geändert wird, die möglicherweise gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 verstößt, vor einem innerstaatlichen Gericht anzufechten.

47        Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass die erste Frage darauf beruht, dass nach den Angaben des vorlegenden Gerichts die anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften der Deutschen Umwelthilfe keine Klagebefugnis gegen eine Verwaltungsentscheidung über die Erteilung oder Änderung einer EG-Typgenehmigung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden verleihen.

48        Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof dafür zuständig ist, im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung des von der Gemeinschaft unterzeichneten und sodann mit dem Beschluss 2005/370 genehmigten Übereinkommens von Aarhus, dessen Vorschriften daher integraler Bestandteil der Unionsrechtsordnung geworden sind, zu befinden (Urteile vom 8. März 2011, Lesoochranárske zoskupenie, C‑240/09, EU:C:2011:125, Rn. 30, und vom 15. März 2018, North East Pylon Pressure Campaign und Sheehy, C‑470/16, EU:C:2018:185, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49        Nach Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus stellt unbeschadet der in den Abs. 1 und 2 dieser Vorschrift genannten Überprüfungsverfahren jede Vertragspartei sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.

50        Als Erstes ist festzustellen, dass eine Verwaltungsentscheidung, mit der eine EG-Typgenehmigung erteilt oder geändert wird und die möglicherweise gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 verstößt, in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus fällt, da sie eine „Handlung“ einer Behörde darstellt, die angeblich gegen „umweltbezogene Bestimmungen [des] innerstaatlichen Rechts [der Vertragspartei]“ verstößt.

51        Zum einen ist nämlich darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in den Urteilen vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. (Abschalteinrichtung für Dieselmotoren) (C‑693/18, EU:C:2020:1040, Rn. 67, 86 und 87), sowie vom 14. Juli 2022, GSMB Invest (C‑128/20, EU:C:2022:570, Rn. 43), und vom 14. Juli 2022, Volkswagen (C‑134/20, EU:C:2022:571, Rn. 50), entschieden hat, dass das mit der Verordnung Nr. 715/2007 verfolgte Ziel, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 1 und 6 ergibt, darin besteht, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte insbesondere die NOx-Emissionen bei Dieselkraftfahrzeugen zu mindern.

52        Die Feststellung, dass die Verordnung Nr. 715/2007, insbesondere ihr Art. 5 Abs. 2, ein solches Umweltziel verfolgt und damit Teil der „umweltbezogenen Bestimmungen“ im Sinne von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus ist, wird jedoch entgegen der Auffassung des KBA durch den Umstand, dass diese Verordnung auf Art. 95 EG (jetzt Art. 114 AEUV) gestützt ist, der die Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betrifft, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben, keinesfalls entkräftet.

53        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 114 Abs. 3 AEUV die Kommission in ihren Vorschlägen für Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich des Umweltschutzes von einem hohen Schutzniveau ausgeht und dabei insbesondere alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützten neuen Entwicklungen berücksichtigt. Folglich ist, wie der Generalanwalt in Nr. 50 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Tatsache, dass die Verordnung nicht auf einer spezifischen Rechtsgrundlage für die Umwelt, wie Art. 175 EG (jetzt Art. 192 AEUV), beruht, nicht geeignet, ihre Verbindung mit den „umweltbezogenen Bestimmungen“ auszuschließen.

54        Diese Feststellung wird erstens durch die Verordnung Nr. 1367/2006 bestätigt, deren Ziel es nach ihrem Art. 1 Abs. 1 Buchst. d ist, durch Festlegung von Vorschriften zur Anwendung des Übereinkommens von Aarhus auf die Organe und Einrichtungen der Union zur Umsetzung der Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen beizutragen, und zwar insbesondere indem in Umweltangelegenheiten der Zugang zu Gerichten auf Unionsebene gewährt wird. So bestimmt Art. 2 Abs. 1 Buchst. f dieser Verordnung, dass Umweltrecht im Sinne dieser Verordnung Rechtsvorschriften der Union bezeichnet, die „unabhängig von ihrer Rechtsgrundlage“ zur Verfolgung der im AEU‑Vertrag niedergelegten Ziele der Umweltpolitik der Union beitragen, darunter die Erhaltung und der Schutz der Umwelt sowie die Verbesserung ihrer Qualität und der Schutz der menschlichen Gesundheit.

55        Zweitens wird sie durch den Leitfaden zur Durchführung des Übereinkommens von Aarhus, d. h. das von der United Nations Economic Commission for Europe veröffentlichte Dokument „The Aarhus Convention: An Implementation Guide“ (zweite Auflage, 2014), bestätigt, das nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs als ein erläuterndes Dokument betrachtet werden kann, das gegebenenfalls neben anderen relevanten Gesichtspunkten für die Auslegung des Übereinkommens herangezogen werden kann, auch wenn die darin enthaltenen Analysen nicht bindend sind und nicht die normative Geltung haben, die den Vorschriften des Übereinkommens von Aarhus zukommt (Urteil vom 20. Januar 2021, Land Baden-Württemberg [Interne Mitteilungen], C‑619/19, EU:C:2021:35, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56        Dieser Leitfaden bestätigt nämlich die weite Bedeutung, die der Wendung „umweltbezogene Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts“ in Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus beizumessen ist, da es auf S. 197 dieses Leitfadens heißt: „Die einzelstaatlichen Vorschriften des Umweltrechts beschränken sich weder auf die durch das Übereinkommen gewährleisteten Rechte auf Information oder Öffentlichkeitsbeteiligung noch auf Rechtsvorschriften, in denen die Umwelt in der Überschrift für den gesamten Text oder einen Teil davon erwähnt wird. Entscheidend ist vielmehr, ob die fragliche Bestimmung in irgendeiner Weise einen Umweltbezug hat. So fallen Handlungen und Unterlassungen, die den Bestimmungen u. a. über den Städtebau, die Umweltsteuern, die Kontrolle von chemischen Erzeugnissen oder Abfällen, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und die Verschmutzung durch Schiffe entgegenstehen können, ebenfalls unter Absatz 3, unabhängig davon, ob die Bestimmungen sich in den Raumordnungsvorschriften, den Steuergesetzen oder den Seegesetzen befinden.“

57        Im Übrigen ändert der angeblich technische Charakter von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 715/2007, der vorsieht, dass die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig ist, nichts daran, dass diese Bestimmung mit einem solchen Verbot gerade darauf abzielt, die Emissionen von Schadstoffen zu begrenzen und auf diese Weise zu dem mit dieser Verordnung verfolgten Ziel des Umweltschutzes beizutragen.

58        Zum anderen ist Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 als umweltbezogene Bestimmung, die im Übrigen gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV in jedem Mitgliedstaat unmittelbar gilt, als Teil des „innerstaatlichen Rechts“ im Sinne von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus anzusehen.

59        Als Zweites ist festzustellen, dass eine Umweltvereinigung, die zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigt ist, in den persönlichen Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus fällt. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass ein Kläger, um Inhaber der in dieser Bestimmung vorgesehenen Rechte zu sein, insbesondere „Mitglied der Öffentlichkeit“ sein und „etwaige [im] innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen“ muss.

60        Nach Art. 2 Abs. 4 des Übereinkommens von Aarhus bedeutet „Öffentlichkeit“ eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen. Aus Art. 2 Abs. 4 und Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens geht somit hervor, dass die Vertragsparteien des Übereinkommens in ihrem innerstaatlichen Recht Kriterien vorsehen können, die eine Umweltvereinigung erfüllen muss, um die in der letztgenannten Bestimmung vorgesehenen Rechte geltend machen zu können.

61        Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass diese Kriterien im deutschen Recht in § 3 Abs. 1 UmwRG festgelegt sind und dass die Deutsche Umwelthilfe, die nach ihrer Satzung den Natur- und Umweltschutz sowie den umwelt- und gesundheitsrelevanten Verbraucherschutz zu fördern beabsichtigt, diesen Kriterien genügt und in der Tat als zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigte Umweltvereinigung nach § 3 UmwRG anerkannt worden ist.

62        Im Übrigen ist festzustellen, dass eine solche Vereinigung auch Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 5 des Übereinkommens von Aarhus ist, die die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran umfasst. So haben nach dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht staatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein solches Interesse.

63        Was zum Dritten die Fragen des vorlegenden Gerichts betrifft, mit denen insbesondere geklärt werden soll, ob der Begriff der „im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Kriterien“ im Sinne von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus es den Vertragsparteien des Übereinkommens ermöglicht, solche Kriterien nicht nur in Bezug auf den Kreis der Anfechtungsberechtigten, sondern auch in Bezug auf den Gegenstand der Klage festzulegen, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass sich aus dieser Bestimmung und insbesondere aus der Tatsache, dass für Rechtsbehelfe gemäß dieser Bestimmung „Kriterien“ festgelegt werden können, ergibt, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen des ihnen insoweit überlassenen Gestaltungsspielraums grundsätzlich verfahrensrechtliche Vorschriften über die Voraussetzungen der Einlegung solcher Rechtsbehelfe erlassen können (Urteile vom 20. Dezember 2017, Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation, C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 86, sowie vom 14. Januar 2021, Stichting Varkens in Nood u. a., C‑826/18, EU:C:2021:7, Rn. 49).

64        Erstens ist jedoch festzustellen, dass sich diese Kriterien schon nach dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus auf die Bestimmung des Kreises der Anfechtungsberechtigten beziehen und nicht auf den Gegenstand der Klage, vorausgesetzt, dass sie sich auf einen Verstoß gegen umweltbezogene Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts bezieht. Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 3 nicht dadurch einschränken dürfen, dass sie bestimmte Kategorien von Bestimmungen des nationalen Umweltrechts vom Gegenstand der Klage ausnehmen.

65        Zweitens führt ein Mitgliedstaat, wenn er verfahrensrechtliche Vorschriften erlässt, die auf Rechtsbehelfe gemäß Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus anwendbar sind und die Geltendmachung von Rechten einer Umweltvereinigung aus Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 betreffen, um Entscheidungen der zuständigen nationalen Behörden im Hinblick auf ihre sich aus diesem Artikel ergebenden Verpflichtungen überprüfen zu lassen, im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta Recht der Union durch und muss daher insbesondere die Beachtung des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation, C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 44 und 87 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

66        Daher hat zwar Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus keine unmittelbare Wirkung im Unionsrecht und kann somit als solcher im Rahmen eines Rechtsstreits, der unter das Unionsrecht fällt, nicht geltend gemacht werden, um die Anwendung einer dem Unionsrecht zuwiderlaufenden Vorschrift des nationalen Rechts auszuschließen; zum einen gebietet es jedoch der Vorrang der von der Union geschlossenen völkerrechtlichen Verträge, das nationale Recht, soweit möglich, so auszulegen, dass es mit deren Anforderungen in Einklang steht, und zum anderen verpflichtet diese Bestimmung in Verbindung mit Art. 47 der Charta die Mitgliedstaaten dazu, einen wirksamen gerichtlichen Schutz der durch das Recht der Union garantierten Rechte, insbesondere der Vorschriften des Umweltrechts, zu gewährleisten (Urteil vom 20. Dezember 2017, Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation, C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 45).

67        Das Recht, einen Rechtsbehelf einzulegen, das in Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus – mit dem darauf abgezielt wird, die Gewährleistung eines effektiven Umweltschutzes zu ermöglichen (Urteil vom 8. März 2011, Lesoochranárske zoskupenie, C‑240/09, EU:C:2011:125, Rn. 46) – vorgesehen ist, hätte aber keine praktische Wirksamkeit, ja würde ausgehöhlt, wenn zugelassen würde, dass durch im innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien bestimmte Kategorien der „Mitglieder der Öffentlichkeit“, erst recht der „betroffenen Öffentlichkeit“ wie Umweltvereinigungen, die die Voraussetzungen von Art. 2 Abs. 5 des Übereinkommens von Aarhus erfüllen, ein Rechtsbehelf gegen die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen, die gegen bestimmte Kategorien umweltbezogener Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen, gänzlich verwehrt würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation, C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 46).

68        Umweltvereinigungen darf durch im innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien insbesondere nicht die Möglichkeit genommen werden, die Beachtung der aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen, zumal solche Rechtsvorschriften in den meisten Fällen auf das allgemeine Interesse und nicht auf den alleinigen Schutz der Rechtsgüter Einzelner gerichtet sind und Aufgabe besagter Umweltorganisationen der Schutz des Allgemeininteresses ist (Urteil vom 20. Dezember 2017, Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation, C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 47 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

69        Der Ausdruck „etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien“ in Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus bedeutet zwar, dass die Mitgliedstaaten bei der Durchführung dieser Bestimmung einen Gestaltungsspielraum behalten. Kriterien, die derart streng sind, dass es für Umweltvereinigungen praktisch unmöglich ist, Handlungen und Unterlassungen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus anzufechten, sind aber nicht zulässig (Urteil vom 20. Dezember 2017, Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation, C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 48).

70        Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Angaben des vorlegenden Gerichts, die in den Rn. 33 bis 35 des vorliegenden Urteils wiedergegeben worden sind, dass offenbar nach deutschem Recht eine Umweltvereinigung, da sie nicht berechtigt ist, einen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung über die Zulassung eines „Produkts“ einzulegen, selbst wenn sie den Anforderungen von § 3 Abs. 1 UmwRG genügt, keine Klage bei einem innerstaatlichen Gericht erheben kann, um eine Entscheidung anzufechten, mit der eine EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge erteilt oder geändert wird, die möglicherweise gegen das in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehene Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, verstößt.

71        Soweit die betreffenden nationalen Verfahrensvorschriften auf diese Weise Umweltvereinigungen eine Anfechtung einer solchen Entscheidung, mit der eine EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge erteilt oder geändert wird, gänzlich verwehren, genügen sie nicht den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus in Verbindung mit Art. 47 der Charta (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Dezember 2017, Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation, C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 52).

72        Insbesondere stellt die Tatsache, dass eine Umweltvereinigung, obwohl sie berechtigt ist, die in Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus genannten gerichtlichen Verfahren einzuleiten, keinen Zugang zu den Gerichten erhält, um eine Entscheidung anzufechten, mit der eine EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge erteilt oder geändert wird, die möglicherweise gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 und damit gegen „umweltbezogene Bestimmungen [des] innerstaatlichen Rechts“ verstößt, eine Einschränkung des in Art. 47 der Charta garantierten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf dar. Eine solche Beschränkung kann nicht als gerechtfertigt angesehen werden.

73        Insoweit ist zu dem Vorbringen, eine solche Beschränkung der Klagebefugnis von Umweltvereinigungen auf bestimmte, insbesondere im Hinblick auf ihre Umweltauswirkungen schwerwiegende Entscheidungen könnte aufgrund der Vielzahl behördlicher Entscheidungen mit Umweltbezug gerechtfertigt sein, festzustellen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 71 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, zum einen aus Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus nicht hervorgeht, dass das darin vorgesehene Anfechtungsrecht allein auf Entscheidungen mit Umweltauswirkungen von großer Bedeutung beschränkt wäre. Zum anderen können Entscheidungen über die Erteilung oder Änderung einer EG-Typgenehmigung zahlreiche Fahrzeuge betreffen und können daher jedenfalls nicht als für die Umwelt nur von geringer Bedeutung angesehen werden. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach dem sechsten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 715/2007 zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte insbesondere eine erhebliche Minderung der NOx-Emissionen bei Dieselfahrzeugen erforderlich ist. Entscheidungen, mit denen eine EG-Typgenehmigung unter Verstoß gegen das in Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung vorgesehene Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, erteilt oder geändert wird, können aber die Erreichung dieser Umweltschutzziele verhindern.

74        Außerdem ist es entgegen dem Vorbringen des KBA zur Verhinderung einer Popularklage keineswegs erforderlich, es einer Umweltvereinigung wie der Deutschen Umwelthilfe zu verwehren, gegen Entscheidungen, mit denen eine EG-Typgenehmigung erteilt oder geändert wird, einen Rechtsbehelf einzulegen. Wie der Generalanwalt in Nr. 73 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist nämlich, wenn eine Vereinigung nach den im nationalen Recht vorgesehenen Kriterien anerkannt worden ist und ihr damit das Recht eingeräumt wurde, in Umweltangelegenheiten vor Gericht zu klagen, davon auszugehen, dass sie von einem Verstoß gegen das Umweltrecht der Union ausreichend betroffen ist, um einen solchen Verstoß vor den nationalen Gerichten geltend machen zu können.

75        Folglich hat das vorlegende Gericht das Verfahrensrecht in Bezug auf die Voraussetzungen, die für die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens vorliegen müssen, so weit wie möglich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus als auch mit dem Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auszulegen, um es einer Umweltvereinigung wie der Deutschen Umwelthilfe zu ermöglichen, eine Entscheidung, mit der eine EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge erteilt oder geändert wird, die möglicherweise gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 verstößt, vor einem Gericht anzufechten (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Dezember 2017, Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation, C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 54).

76        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen ein Urteil angeführt hat, das in Deutschland im Anschluss an das Urteil vom 20. Dezember 2017, Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation (C‑664/15, EU:C:2017:987), ergangen ist, in dem durch eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 42 Abs. 2 Halbsatz 2 VwGO einer solchen Vereinigung, wenn sie die Beachtung von aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften begehrt, die Klagebefugnis zuerkannt worden sei. Somit erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass diese Klagebefugnis einer Umweltvereinigung wie der Deutschen Umwelthilfe auf der Grundlage einer Auslegung des deutschen Rechts, die den Anforderungen von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus in Verbindung mit Art. 47 der Charta genügt, zuerkannt werden kann.

77        Für den Fall, dass sich eine solche konforme Auslegung als unmöglich erweisen sollte, ist darauf hinzuweisen, dass jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ eines Mitgliedstaats verpflichtet ist, jede nationale Bestimmung, die einer Bestimmung des Unionsrechts, die in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit unmittelbare Wirkung hat, entgegensteht, unangewendet zu lassen (Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 161 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

78        Wie sich aus Rn. 66 des vorliegenden Urteils ergibt, hat Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus als solcher keine unmittelbare Wirkung, so dass diese Bestimmung das vorlegende Gericht nicht dazu zwingen kann, eine ihm zuwiderlaufende nationale Bestimmung unangewendet zu lassen.

79        Der Gestaltungsspielraum, der den Mitgliedstaaten bei der Festlegung von Regeln für das in dieser Bestimmung genannte Anfechtungsrecht eingeräumt wird, berührt jedoch nicht ihre Verpflichtung, ein in Art. 47 der Charta verankertes Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf zu gewährleisten, wie im Übrigen auch in Art. 9 Abs. 4 des Übereinkommens von Aarhus in Erinnerung gerufen wird. Art. 47 entfaltet aber aus sich heraus Wirkung und muss nicht durch Bestimmungen des Unionsrechts oder des nationalen Rechts konkretisiert werden, um dem Einzelnen ein Recht zu verleihen, das er als solches geltend machen kann (Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 162 und die dort angeführte Rechtsprechung). Somit kann dieser Artikel als Grenze des den Mitgliedstaaten nach Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus eingeräumten Gestaltungsspielraums geltend gemacht werden.

80        Daher wird in dem in Rn. 77 des vorliegenden Urteils genannten Fall das vorlegende Gericht die Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen haben, die es einer Umweltvereinigung wie der Deutschen Umwelthilfe verwehren, eine Entscheidung über die Erteilung oder Änderung der EG-Typgenehmigung, die möglicherweise gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 verstößt, anzufechten.

81        Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus in Verbindung mit Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass es einer Umweltvereinigung, die nach nationalem Recht zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigt ist, nicht verwehrt werden darf, eine Verwaltungsentscheidung, mit der eine EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge erteilt oder geändert wird, die möglicherweise gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 verstößt, vor einem innerstaatlichen Gericht anzufechten.

Zur zweiten Frage

82        Mit den Buchst. a und b seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass die „Notwendigkeit“ einer Abschalteinrichtung im Sinne dieser Bestimmung anhand des Stands der Technik im Zeitpunkt der Erteilung der EG-Typgenehmigung zu beurteilen ist, und ob für die Prüfung der Zulässigkeit dieser Abschalteinrichtung auch andere Umstände als diese „Notwendigkeit“ zu berücksichtigen sind.

83        Vorab ist daran zu erinnern, dass „Abschalteinrichtung“ in Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 definiert wird als „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“.

84        Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Software ein Thermofenster festgelegt hat, bei dem die Abgasrückführungsrate bei einer Umgebungstemperatur unter –9 Grad Celsius bei 0 % liegt, zwischen –9 und 11 Grad Celsius bei 85 % und über 11 Grad Celsius ansteigt, um erst ab einer Umgebungstemperatur von über 15 Grad Celsius 100 % zu erreichen. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts liegt die Abgasrückführungsrate also bei der in Deutschland festgestellten Durchschnittstemperatur, die im Jahr 2018 10,4 Grad Celsius betragen habe, nur bei 85 %.

85        Hierzu hat der Gerichtshof in Bezug auf ein Thermofenster, das mit dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden identisch war, entschieden, dass Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1 000 Höhenmetern erfolgt, eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieses Art. 3 Nr. 10 darstellt (Urteile vom 14. Juli 2022, GSMB Invest, C‑128/20, EU:C:2022:570, Rn. 47, und vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C‑134/20, EU:C:2022:571, Rn. 54).

86        Nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Von diesem Verbot gibt es jedoch drei Ausnahmen, darunter die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung, die den Fall betrifft, dass „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“.

87        Da sie eine Ausnahme vom Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen enthält, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist diese Bestimmung eng auszulegen (Urteile vom 14. Juli 2022, GSMB Invest, C‑128/20, EU:C:2022:570, Rn. 50, vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C‑134/20, EU:C:2022:571, Rn. 63, sowie vom 14. Juli 2022, Porsche Inter Auto und Volkswagen, C‑145/20, EU:C:2022:572, Rn. 61).

88        Schon dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 ist zu entnehmen, dass eine Abschalteinrichtung, um unter die in dieser Bestimmung enthaltene Ausnahme zu fallen, nicht nur notwendig sein muss, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen, sondern auch um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Angesichts der Verwendung der Konjunktion „und“ in dieser Bestimmung ist diese nämlich dahin auszulegen, dass die darin vorgesehenen Voraussetzungen kumulativ sind (Urteile vom 14. Juli 2022, GSMB Invest, C‑128/20, EU:C:2022:570, Rn. 61, vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C‑134/20, EU:C:2022:571, Rn. 73, sowie vom 14. Juli 2022, Porsche Inter Auto und Volkswagen, C‑145/20, EU:C:2022:572, Rn. 72).

89        Daher kann in Anbetracht der Tatsache, dass diese Ausnahme eng auszulegen ist, eine Abschalteinrichtung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine solche Prüfung gehört jedoch im Ausgangsrechtsstreit zur Würdigung des Sachverhalts, die allein Sache des vorlegenden Gerichts ist (Urteile vom 14. Juli 2022, GSMB Invest, C‑128/20, EU:C:2022:570, Rn. 62, vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C‑134/20, EU:C:2022:571, Rn. 74, sowie vom 14. Juli 2022, Porsche Inter Auto und Volkswagen, C‑145/20, EU:C:2022:572, Rn. 73).

90        Außerdem hat der Gerichtshof in Bezug auf ein Thermofenster, das mit dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden identisch ist, entschieden, dass es zwar zutrifft, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 formell keine weiteren Voraussetzungen für die Anwendung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausnahme vorschreibt. Doch würde eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet wäre, offensichtlich dem mit dieser Verordnung Nr. 715/2007 verfolgten Ziel, von dem diese Bestimmung nur unter ganz besonderen Umständen eine Abweichung zulässt, zuwiderlaufen und zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Grundsatzes der Begrenzung der NOx-Emissionen von Fahrzeugen führen (Urteile vom 14. Juli 2022, GSMB Invest, C‑128/20, EU:C:2022:570, Rn. 63, vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C‑134/20, EU:C:2022:571, Rn. 75, sowie vom 14. Juli 2022, Porsche Inter Auto und Volkswagen, C‑145/20, EU:C:2022:572, Rn. 74).

91        Der Gerichtshof ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass in Anbetracht der Tatsache, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. a eng auszulegen ist, eine solche Abschalteinrichtung nach dieser Bestimmung nicht gerechtfertigt sein kann. Ließe man nämlich zu, dass eine solche Abschalteinrichtung unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme fallen könnte, würde dies dazu führen, dass diese Ausnahme während des überwiegenden Teils eines Jahres unter den im Unionsgebiet herrschenden tatsächlichen Fahrbedingungen anwendbar wäre, so dass der in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 aufgestellte Grundsatz des Verbots solcher Abschalteinrichtungen in der Praxis weniger häufig zur Anwendung kommen könnte als diese Ausnahme (Urteile vom 14. Juli 2022, GSMB Invest, C‑128/20, EU:C:2022:570, Rn. 64 und 65, vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C‑134/20, EU:C:2022:571, Rn. 76 und 77, sowie vom 14. Juli 2022, Porsche Inter Auto und Volkswagen, C‑145/20, EU:C:2022:572, Rn. 75 und 76).

92        Außerdem hat der Gerichtshof zum einen hervorgehoben, dass aus dem siebten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 715/2007 hervorgeht, dass der Unionsgesetzgeber bei der Festlegung der Grenzwerte für Schadstoffemissionen die wirtschaftlichen Interessen der Automobilhersteller und insbesondere die Kosten, die den Unternehmen durch die erforderliche Einhaltung dieser Werte auferlegt werden, berücksichtigt hat. Es ist somit Sache der Hersteller, sich anzupassen und technische Vorrichtungen anzuwenden, mit denen diese Grenzwerte eingehalten werden können, wobei diese Verordnung keineswegs den Einsatz einer bestimmten Technologie vorschreibt (Urteile vom 14. Juli 2022, GSMB Invest, C‑128/20, EU:C:2022:570, Rn. 67, vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C‑134/20, EU:C:2022:571, Rn. 79, sowie vom 14. Juli 2022, Porsche Inter Auto und Volkswagen, C‑145/20, EU:C:2022:572, Rn. 78).

93        Zum anderen impliziert das mit der Verordnung Nr. 715/2007 verfolgte Ziel, das darin besteht, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und die Luftqualität in der Union zu verbessern, eine wirksame Verringerung der NOx-Emissionen während der gesamten normalen Lebensdauer der Fahrzeuge. Wenn aber eine Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 allein deshalb zugelassen würde, weil z. B. die Kosten für die Forschung hoch sind, die technische Ausrüstung teuer ist oder für den Nutzer häufigere und kostspieligere Wartungsarbeiten am Fahrzeug anfallen, würde dieses Ziel in Frage gestellt (Urteile vom 14. Juli 2022, GSMB Invest, C‑128/20, EU:C:2022:570, Rn. 68, vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C‑134/20, EU:C:2022:571, Rn. 80, sowie vom 14. Juli 2022, Porsche Inter Auto und Volkswagen, C‑145/20, EU:C:2022:572, Rn. 79).

94        Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass diese Bestimmung eng auszulegen ist, ist davon auszugehen, dass eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinne dieser Bestimmung ist, wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (Urteile vom 14. Juli 2022, GSMB Invest, C‑128/20, EU:C:2022:570, Rn. 69, vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C‑134/20, EU:C:2022:571, Rn. 81, sowie vom 14. Juli 2022, Porsche Inter Auto und Volkswagen, C‑145/20, EU:C:2022:572, Rn. 80).

95        Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass eine Abschalteinrichtung nur dann nach dieser Bestimmung zulässig sein kann, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Außerdem ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinne dieser Bestimmung, wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann.

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