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Wirtschaftsrecht
26.02.2010
Wirtschaftsrecht
LG Berlin: EdW muss volle Entschädigung an Phoenix-Anleger zahlen

LG Berlin, Urteil vom 28.1.2010 - 21 O 446/09

Sachverhalt

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Entschädigung nach dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (ESAEG) In Anspruch. Der Kläger legte bei der Kapitaldienst GmbH (im folgenden...in einem sog....Managed Account an und zahlte am 28.2.2006 insgesamt 10.000 EUR zzgl. 300 EUR Agio ein.

Die ... ist ein der Beklagten zugeordnetes Institut. Am 15.3.2005 stellte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) den Entschädigungsfall bei ... fest. Die Anleger der ... konnten innerhalb der einjährigen Anmeldefrist nach § 5 Absatz 3 Satz 1 ESAEG einen Entschädigungsanspruch anmelden. Die ... bot seit 1992 die Beteiligung an dem Produkt...Managed Account...an. Bei dieser Anlage beteiligten sich die Investoren mit Ihren Geldern an einer Kollektivanlage (Finanzpool). Gegenstand der Geschäftsbesorgung durch ... war die Anlage der Einzahlungen der Anleger in Termingeschäften für gemeinsame Rechnung.

...führte die Wertpapiergeschäfte über verschiedene lizenzierte Brokerhäuser aus. Dazu unterhielt...bei den Brokerhäusern Gemeinschaftstreuhandkonten für den K. Der einzelne Anleger war mit seinem Kapital an der Entwicklung des Gemeinschaftsvermögens beteiligt und sollte - der Höhe. nach abhängig vom Wert seines Kapitalanteils zu Beginn der jeweiligen Abrechnungsperiode - am Handelserfolg partizipieren (Ziffer 7 AGB der...). Nach Ziffer 12.3 der. AGB der...nahm der Anleger am weiteren Ergebnis, des ... indes nicht mehr teil,. wenn der Wert seiner Beteiligung auf 65% oder weniger seiner Gesamteinzahlungen gesunken war. Die von ... erstellten und den Anlegern zugesandten Kontoauszüge spiegelten allerdings nicht den tatsächlichen Handelsverlauf wider. Es wurden fiktive Gewinne und Verluste ausgewiesen, die nicht tatsächlich erwirtschaftet wurden. Insgesamt wunde bis zum Eintritt des Entschädigungsfalles ein tatsächlicher Handelsverlust in Höhe von 54.853.629;48 EUR erzielt. Der jeweilige Kapitalanteil eines Anlegers war darüber hinaus mit verschiedenen Abzugsposten gemäß Ziffer 10 der AGB belastet. Zunächst erhob... bei Zahlung der Ersteinlage ein variables Agio. Ferner wurde eine Verwaltungsgebühr von 0,5 °% pro Monat vom jeweiligen Vermögensstand des ... vor Abzug einer etwaigen Gewinnbeteiligung der ...berechnet. Weiter standen der    Teile der Transaktionskosten von 20 USD für jeden vorgenommenen Handel sowie die Zinsen zu, welche die Broker für die auf den „Treuhandkonten" liegenden Gelder zahlten. Schließlich gebührte... ein Anspruch in Höhe von 30 °% der erzielten Handelsgewinne ihrer Anleger pro Abrechnungsperiode.

Über das Vermögen der...wurde am 14.3.2005 die vorläufige lnsolvenzverwaltung angeordnet und ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Am 1.7.2005 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet, Es gelang Vermögenswerte der ... in Höhe von circa. 238 Millionen EUR sicherzustellen. Der Kläger meldete innerhalb der Jahresfrist seine Forderung an, der Insolvenzverwalter erkannte diese Forderung in Höhe von 10.300 EUR zur Tabelle an. Im Insolvenzverfahren kam es zunächst zu einem Beschluss über einen Insolvenzplan, der jedoch von einem Teil der Gläubiger erfolgreich gerichtlich angefochten wurde (LG Frankfurt a. M. Beschluss vom 29.10.2007 - 2/9 T 198/07 - - NZI 2008, 110 ff; BGH Beschluss vom 5.2.2009 - IX ZB 230/07-= NJW-RR 2009, 839 ff).

Insoweit beriefen sich Gläubiger auf .Aussonderungsrechte an den sicher gestellten Geldern. Ein neuer lnsolvenzplan wurde nicht beschlossen. Zwischenzeitlich verfolgt ein Tell der Gläubiger diese Aussonderungsrechte gerichtlich. Insoweit werden fünf verschiedene Berechnungsmethoden hinsichtlich der Aussonderungsrechte vertreten, Eine abschließende Klärung, in welchem Umfang hinsichtlich der sicher gestellten Gelder in Höhe von circa 236 Millionen EUR Aussonderungsrechte bestehen und welche Beträge etwa noch an die lnsolvenzgläubiger zu verteilen sind, ist bislang nicht erfolgt.

Mit Bescheid vom 14.4.2009 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Teilentschädigung in Höhe von 416,84 EUR. Die beklagte zog von dem Beteiligungsbetrag von 10.300 EUR das Agio von 300 EUR ab. Diesen Betrag. reduzierte sie weiter um den maximal möglichen Betrag in Höhe von 9.536,134 EUR, hinsichtlich dessen Aussonderungsrechte für den Kläger bestehen könnten.

Der Kläger Ist der Auffassung, ihm stehe ein weiterer Zahlbetrag bereits jetzt gegen die Beklagte zu, weil ein Einbehalt wegen eines Aussonderungsrechts nicht erfolgen dürfe. Insoweit beruft sich der Kläger auf zwischenzeitlich ergangenen Urteile unter anderem des LG Frankfurt am Main, die in Verfahren zwischen einzelnen Anlegern und dem Insolvenzverwalter geführt wurden und die Aussonderungsrechte verneinen. Der Kläger ist ferner der Auffassung, dass bei der Berechnung des der Entschädigung zu Grunde zu Iegenden Betrages das Agio nicht in Abzug zu bringen Ist. Er errechnet sich eine Forderung wie folgt: 10.300 EUR x 0,9 - 416,16 EUR = 8.853,16 EUR.

Der Kläger beantragt unter teilweiser Rücknahme der ursprünglich auf 9.538,84 EUR lautenden Klage,

die Beklagte, zu verurteilen, an ihn 8.853,16 € zu zahlen, und zwar hilfsweise Zug um Zug gegen Abtretung aller Ansprüche, die ihm ggü. Dritten aus der Beteiligung zustehen - begrenzt auf die Höhe der Klageforderung.

Die .Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.'

Wegen des weiteren VorbrIngens der Parteien wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst der beigefügten Anlagen ergänzend verwiesen.

Aus den Gründen

Der Klage war überwiegend statt zu geben. Der Kläger hat gegen die Beklagten einen fälligen Erstattungsanspruch In Höhe von 8.5831,16 EUR.

Das LG Berlin kann in der Sache  über die Höhe des Anspruchs des Klägers entscheiden, well im Gegensatz zur der Parallelentscheidung LG Berlin, 21 O 132/08, vom 26.6.2008, ein Bescheid vorliegt und der entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Beklagten ausermittelt ist.

2) Der Kläger, ist dem Grunde nach entschädigungsberechtigt, insoweit wird auf den Bescheid der Beklagten vorn 14.4.2009 Bezug genommen.

3) Der Kläger hat einen Entschädigungsanspruch von weiteren 8.683,16 EUR.

Der Umfang des Entschädigungsanspruchs richtet sich nach § 4 ESAEG.

a) Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 ESAEG ist von der Höhe der Einlagen des Gläubigers bzw. der ihm gegenüber bestehenden Verbindlichkeiten unter Berücksichtigung etwaiger Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrechte des Institute auszugehen. Das sind vorliegend 10.000 EUR. Das Agio ist keine Einlage und der Kläger hat gegen ...auch keinen Anspruch auf Zahlung des Agios an ihn aus dem Vertrag zum... Ein etwaiger Rückzahlungsanspruch gegen...wegen Vertragsverletzung unterfiele der Entschädigung nicht. Es wird insoweit auf die zutreffende Begründung LG Berlin, Urteil vom 1.10.2008, 4 O.297/08, Seite 7, Bezug genommen.

Aufrechnungs- und Zurückhaltungsrechte der ... gegenüber dem Kläger bestehen nicht. Sie sind weder vorgebracht noch ersichtlich.

Etwaige Aussonderungsrechte des Klägers sind nicht zu berücksichtigen. Das ergibt eine Auslegung des ESAEG.

Die Auslegung von Gesetzen erfolgt anhand von Wortsinn, Bedeutungszusammenhang des Textes (sog. systematische Auslegung), Normvorstellungen des Gesetzgebers und der an der Gesetzgebung beteiligten Personen (sog. historische Auslegung), die Regelzwecke (sog. Teleologische Auslegung) und schließlich die der Regelung übergeordneten verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Vorhaben (vgl. nur BVerfGE 11, 126/130; Larenz/Wolf, Allg.Teil des BGB, 9. Aufl., § 4 Rn.34 ff. m.w.N.; Coing/Honsell in Staudinger, BGB, 2004, EinI zum BGB, Rn,138 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Bd. 1,11. Aufl., §28 V 3). Unter den angegebenen Auslegungskriterien besteht ein Vorrang der gemeinschaftskonformen Auslegung. Im Übrigen besteht kein starres Rangverhältnis (vgl. Larenz/Wolf, a.a.O. Rn. 60). Allerdings sind Motive des Gesetzgebers nur dann zu beachten, .sofern sie im Gesetz Ausdruck gefunden haben (vgl. nur BVerfGE a.a.O.; BGHZ 23, 377/390; Wolf u.a., a.a.O., 28 VI 2 Rn. 71 m.w.N.).

Der Gesetzeswortlaut des § 4 ESAEG sieht eine Berücksichtigung von Aussonderungsrechten nicht vor. Auch im übrigen Gesetzeswortlaut findet sich nirgends eine Bestimmung, wonach das Nichtbestehen von Aussonderungsrechten Anspruchs-/Fälligkeitsvoraussetzung zu sein hat. Der Gläubiger wird im Gesetz auch nicht darauf verwiesen, zunächst einmal gegenüber dem Insolvenzverwalter des Instituts Aussonderungsrechte geltend zu machen und der Beklagten wird keine Berechtigung eingeräumt, mit einer Entschädigung abzuwarten, ob und bis sich einer von mehreren oder gar jeder der Gläubiger in Rechtsstreitigkeiten wegen Aussonderungsrechten rechtskräftige Titel gegen Insolvenzverwalter der Institute beschafft haben.

Das entspricht dem Sinn und Zweck des ESAEG und der Gesetzessystematik. Wie sich aus BT-Drs. 13/10188, S.14, ergibt, ist ein wesentliches Ziel, „im Insolvenzfall eine rasche Entschädigung der Gläubiger vorzunehmen". Dem würde eklatant entgegenstehen, müsste der Gläubiger erst jahrelange (Rechts-) Streitigkeiten mit dem jeweiligen Insolvenzverwalter der Institute wegen Aussonderungsrechten abwarten, bevor ihm eine Entschädigung gewährt wird, weil die Beklagte abwarten dürfte, ob der Gläubiger sich nicht anderswo schadlos hält. Diese Beschleunigung spiegelt sich wiederholt ausdrücklich im Gesetz wieder. So heißt es etwa „Das BaFin hat den Entschädigungsfall unverzüglich festzustellen... „(§ 5 Abs.4 Satz 1). Im Folgenden Text wird dieses Wort dreimal wiederholt. Die Beklagte „trifft geeignete Maßnahmen, um die Gläubiger innerhalb von drei Monaten noch Eintritt des Entschädigungsfalls zu entschädigen" § 5 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz). Die Subsidiarität der Entschädigung, die natürlich auch gewollt ist, ist gesetzessystematisch nur bei der ersten des Verfahrens nach dem ESAEG angesiedelt. So ist dem BaFin aufgegeben durch § 1 Abs. 5, als Voraussetzung für einen Entschädigungsfall zu prüfen, ob nicht eine Aussicht auf spätere Rückzahlung oder Erfüllung besteht. Für die zweite Stufe, die Prüfung der Entschädigung durch die Beklagte nach Feststellung des Entschädigungsfalls, fehlt eine solche Prüfungsberechtigung. Es bedarf auf dieser Stufe auch nicht der Prüfung, ob irgendwann einmal der Gläubiger von dem Institut bzw. dessen Insolvenzverwalter Zahlungen erhält, so dass sich irgendwann herausstellt, dass der Schaden doch nicht so hoch war. Denn genau dafür sieht § 5 Abs. 5 ESAEG vor, dass kraft Gesetzes jene Ansprüche gegen den Insolvenzverwalter auf die Beklagte übergehen. § 5 Abs. 5 ESAEG ist seinem Wortlaut nach gleichfalls schrankenlos.

Ein eventuell entgegenstehender Gesetzgeberwillen - vgl. BT-Drs. 13/10188 S. 17: „Ein Kunde... kann im Entschädigungsfall einen Anspruch gegen das Entschädigungssystem ... nur geltend machen, wenn das Institut ihm einen Anspruch ... nicht erfüllen kann. Dies ist aufgrund der ...Aussonderungsmöglichkeiten nur für den Fall denkbar, ... - findet im Gesetz keinerlei Anklang und ist deshalb, wie oben unter Nachweis der entsprechenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts belegt, unbeachtlich. Entsprechendes gilt für die amtliche Begründung zu cessio legis in § 5 Abs. 5 zumal dort ohnehin fraglich ist, ob die verwandten Begrifflichkeiten in der Begründung tatsächlich rechtstechnisch  ... waren.

Die übrigen Auslegungen ... für Gesetze sind hier unergiebig. Es gibt allerdings noch zwei Kontrollüberlegungen, die als Indiz für die Richtigkeit der hier gewonnenen Auslegung dienen können.

Es ist unlogisch, wenn ... dem Subsidiaritätsprinzip der Zahlung einer Entschädigung durch die Beklagte  den Vorrang einräumen würde, es dann bei Aussonderungsrechten  zu belassen. ... des Gläubigers stünde nach diesem Denkschema erst fest, wenn der Insolvenzverwalter die Masse gänzlich verteilt hätte. Die Beklagte selbst will aber so weit nicht gehen, bis zur Auswicklung des Insolvenzverfahrens zu warten.

Nach verfassungsrechtlichen Vorgaben haben Gesetzes alles Wesentliche selbst zu regeln. Wenn die Entschädigungseinrichtung Rechtsstreitigkeiten zu Aussonderungsrechten abwarten dürfte oder gar zur Verteilung der Masse, wäre das wesentlich für das ESAEG, weil es für alle  ... von erheblicher (finanzieller) Bedeutung wäre. Es finden sich aber keine Regelungen dazu. Muss etwas auch ein Gläubiger, der wie der Insolvenzverwalter des Instituts keine Aussonderungsrechte mit enormen Kosten durch ggf. 3 Instanzen klagen, nur weil andere Gläubiger Aussonderungsrechte behaupten? Dass die Beklagte wie hier im Termin Zusagen macht, bis zu welchem Zeitpunkt sie abwarten soll, ersetzte nicht die fehlende gesetzliche Regelung.`

Die Beklagte ... nicht ernstlich zu befürchten, dass bei der hier angenommenen Lage, Gläubiger ... unterlassen könnten, sich am Insolvenzverfahren zu beteiligen, dass diese vielmehr sich dann bequem allein an die Entschädigungseinrichtung wenden könnten. Denn die Gläubiger werden nach dem EAES immer nur teilentschädigt und haben damit unge... ein Interesse an der Anmeldung im Insolvenzverfahren und zur Geltendmachung von Aussonderungsrechten.

b) Die Problematik von Scheingewinnen besteht im vorliegenden Fall nicht. Gleiches gilt, weil der Kläger sich unscheinbar vor der Entscheidung der BaFin an dem ... beteiligte, hinsichtlich von Gebühren und dergleichen seitens der Phoenix.

c) Damit errechnet sich: Von den 10.000 EUR ist ein Abzug von 10% gemäß § 4 Abs. 2 EAEG vorzunehmen. Von den sich daraus ergebenden 9.000 EUR sind die 416,84 EUR gemäß Bescheid in Abzug zu bringen.

Das führt zu dem ..... Betrag.

Die prozessuale ...entscheidungen ergeben sich aus §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3, 708 Nr. 11, 709, 7... ZPO.

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