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Wirtschaftsrecht
09.02.2022
Wirtschaftsrecht
EuGH: EU-Blocking-VO vs. US-Sekundärsanktionen – Bank Melli Iran vs. Telekom

EuGH, Urteil vom 21.12.2021 – C-124/20; Bank Melli Iran gegen Telekom Deutschland GmbH

ECLI:EU:C:2021:1035

Volltext: BB-Online BBL2022-321-1

Tenor

1.         Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen in der durch die Verordnung (EU) Nr. 37/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2014 und die Delegierte Verordnung (EU) 2018/1100 der Kommission vom 6. Juni 2018 zur Änderung des Anhangs der Verordnung Nr. 2271/96 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass darin den von Art. 11 dieser Verordnung erfassten Personen auch dann untersagt wird, den in den im Anhang dieser Verordnung aufgeführten Gesetzen vorgesehenen Forderungen oder Verboten nachzukommen, wenn seitens der Verwaltungs- oder Justizbehörden der Drittländer, die diese Gesetze erlassen haben, keine Weisung zu deren Einhaltung vorliegt.

2.         Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 in der durch die Verordnung Nr. 37/2014 und die Delegierte Verordnung 2018/1100 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es einer von Art. 11 der Verordnung in geänderter Fassung erfassten Person, die nicht über eine Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung in geänderter Fassung verfügt, nicht verwehrt, Verträge mit einer Person, die in der „Liste der besonders benannten Staatsangehörigen und gesperrten Personen“ (Specially Designated Nationals and Blocked Persons List) aufgeführt ist, ohne Angabe von Gründen zu kündigen. Wenn alle Beweismittel, über die das nationale Gericht verfügt, auf den ersten Blick darauf hindeuten, dass eine von Art. 11 der Verordnung Nr. 2271/96 in geänderter Fassung erfasste Person den im Anhang dieser Verordnung in geänderter Fassung aufgeführten Gesetzen nachgekommen ist, ohne insoweit über eine Genehmigung zu verfügen, verlangt Art. 5 Abs. 1 der Verordnung in geänderter Fassung allerdings, dass es im Rahmen eines Zivilprozesses über einen behaupteten Verstoß gegen die in dieser Bestimmung vorgesehenen Anforderungen ebendieser Person obliegt, rechtlich hinreichend nachzuweisen, dass ihr Verhalten nicht darauf abzielte, diesen Gesetzen nachzukommen.

3.         Die Verordnung Nr. 2271/96 in der durch die Verordnung Nr. 37/2014 und die Delegierte Verordnung Nr. 2018/1100 geänderten Fassung, insbesondere ihre Art. 5 und 9, ist im Licht von Art. 16 und Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie der Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung von Verträgen nicht entgegensteht, die durch eine von Art. 11 der Verordnung in geänderter Fassung erfasste Person zur Befolgung von Forderungen oder Verboten, die auf den im Anhang der Verordnung in geänderter Fassung aufgeführten Gesetzen beruhen, erklärt wurde, obgleich sie nicht über eine Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung in geänderter Fassung verfügt, soweit die Feststellung der Unwirksamkeit für diese Person keine in Anbetracht der Ziele der Verordnung in geänderter Fassung, die bestehende Rechtsordnung und die Interessen der Europäischen Union im Allgemeinen zu schützen, unverhältnismäßigen Auswirkungen hat. Bei dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung ist die Verfolgung dieser Ziele, der mit der Feststellung der Unwirksamkeit einer gegen das in Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung in geänderter Fassung vorgesehene Verbot verstoßenden Vertragskündigung gedient wird, gegen die Wahrscheinlichkeit abzuwägen, dass die betroffene Person wirtschaftlichen Verlusten ausgesetzt wird, sowie gegen deren Ausmaß für den Fall, dass sie die Geschäftsverbindung mit einer Person nicht beenden darf, gegen die sich die Sekundärsanktionen richten, die sich aus den im Anhang dieser Verordnung in geänderter Fassung aufgeführten Gesetzen ergeben.

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen (ABl. 1996, L 309, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 37/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2014 (ABl. 2014, L 18, S. 1) und die Delegierte Verordnung (EU) 2018/1100 der Kommission vom 6. Juni 2018 (ABl. 2018, L 199 I, S. 1), mit der der Anhang der Verordnung Nr. 2271/96 geändert wurde, geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 2271/96).

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Bank Melli Iran (im Folgenden: BMI) und der Telekom Deutschland GmbH (im Folgenden: Telekom) über die Wirksamkeit der Kündigung von Verträgen zwischen diesen beiden Gesellschaften über die Erbringung von Telekommunikationsdiensten, nachdem BMI in eine Liste von Personen aufgenommen worden war, die unter eine von den Vereinigten Staaten von Amerika im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm erlassene Sanktionsregelung fallen, mit der u. a. das Unterhalten von Geschäftsbeziehungen mit diesen Personen außerhalb des Hoheitsgebiets der Vereinigten Staaten verboten wird (im Folgenden: Sekundärsanktionen).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 2271/96

3          In den Erwägungsgründen 1 bis 6 der Verordnung Nr. 2271/96 heißt es:

„Eines der Ziele der [Europäischen Union] ist es, zur harmonischen Entwicklung des Welthandels und zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr beizutragen.

Die [Union] bemüht sich um eine möglichst weitgehende Verwirklichung des Ziels eines freien Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern, einschließlich der Beseitigung jeglicher Beschränkungen im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten.

Ein Drittland hat Gesetze, Verordnungen und andere Rechtsakte erlassen, mit denen die Tätigkeit von natürlichen und juristischen Personen geregelt werden soll, die der Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten der Europäischen [Union] unterstehen.

Diese Gesetze, Verordnungen und anderen Rechtsakte verletzen durch ihre extraterritoriale Anwendung das Völkerrecht und behindern die Verwirklichung der zuvor genannten Ziele.

Solche Gesetze, einschließlich Verordnungen und anderer Rechtsakte, sowie die darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen beeinträchtigen die bestehende Rechtsordnung oder drohen diese zu beeinträchtigen; sie haben ferner nachteilige Auswirkungen auf die Interessen der [Union] und die Interessen natürlicher und juristischer Personen, die ihre Rechte gemäß dem [AEU‑]Vertrag … ausüben.

Unter diesen außergewöhnlichen Umständen müssen Maßnahmen auf [Unionsebene] ergriffen werden, um die bestehende Rechtsordnung, die Interessen der [Union] und die Interessen der genannten natürlichen und juristischen Personen zu schützen, insbesondere durch Aufhebung, Neutralisierung, Blockierung oder anderweitige Bekämpfung der Auswirkungen der betreffenden ausländischen Rechtsakte.“

4          Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Diese Verordnung dient dem Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung der im Anhang aufgeführten Gesetze, einschließlich Verordnungen und anderer Rechtsakte, sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen und wirkt den Folgen der extraterritorialen Anwendung entgegen, soweit diese Anwendung die Interessen von Personen im Sinne des Artikels 11 beeinträchtigt, die am internationalen Handels- und/oder Kapitalverkehr und an damit verbundenen Geschäftstätigkeiten zwischen der [Union] und Drittländern teilnehmen.“

5          Art. 4 der Verordnung sieht vor:

„Entscheidungen von … Gerichten [außerhalb der Union] oder von … Verwaltungsbehörden [außerhalb der Union], die den im Anhang aufgeführten Gesetzen und den darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen direkt oder indirekt Wirksamkeit verleihen, werden nicht anerkannt und sind nicht vollstreckbar.“

6          In Art. 5 der Verordnung heißt es:

„Keine Person im Sinne des Artikels 11 darf selbst oder durch einen Vertreter oder einen anderen Vermittler aktiv oder durch bewusste Unterlassung Forderungen oder Verboten, einschließlich Aufforderungen ausländischer Gerichte, nachkommen, die direkt oder indirekt auf den im Anhang aufgeführten Gesetzen oder den darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen beruhen oder sich daraus ergeben.

Betroffenen Personen kann es nach den Verfahren der Artikel 7 und 8 genehmigt werden, ganz oder teilweise Forderungen oder Verboten nachzukommen, soweit anderenfalls ihre Interessen oder die der [Union] schwer geschädigt würden. Die Kriterien für die Anwendung dieser Bestimmung werden nach dem Verfahren des Artikels 8 festgelegt. Ist hinreichend erwiesen, dass der Umstand, dass Forderungen oder Verboten nicht nachgekommen wird, einer natürlichen oder juristischen Person schweren Schaden zufügen würde, so unterbreitet die Kommission dem in Artikel 8 genannten Ausschuss unverzüglich einen Entwurf der nach Maßgabe dieser Verordnung zu treffenden geeigneten Maßnahmen.“

7          Art. 6 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 2271/96 bestimmt:

„Jede Person im Sinne von Artikel 11, die an einer Tätigkeit gemäß Artikel 1 teilnimmt, hat Anspruch auf Ersatz aller Schäden, einschließlich von Rechtskosten, die ihr aufgrund der Anwendung der im Anhang aufgeführten Gesetze oder der darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen entstanden sind.

Dieser Schadensersatz ist von der natürlichen oder juristischen Person oder sonstigen Stelle, die den Schaden verursacht hat, oder von der Person, die in deren Auftrag handelt oder als Vermittler auftritt, zu leisten.“

8          Art. 7 Buchst. b und d der Verordnung sieht vor:

„Zur Durchführung dieser Verordnung

b)         erteilt die Kommission Genehmigungen unter den in Artikel 5 genannten Voraussetzungen; bei der Festsetzung der Fristen für die Stellungnahme des Ausschusses trägt sie in vollem Umfang den Fristen Rechnung, die von den Personen einzuhalten sind, denen eine Genehmigung erteilt werden soll;

d)         veröffentlicht die Kommission im Amtsblatt [der Europäischen Union] eine Mitteilung über die Entscheidungen, auf die die Artikel 4 und 6 Anwendung finden“.

9          In Art. 8 der Verordnung heißt es:

„(1)      Zur Durchführung von Artikel 7 Buchstabe b wird die Kommission durch den Ausschuss für extraterritoriale Rechtsakte unterstützt. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Absatz 2 vorgesehenen Prüfverfahren erlassen. Dieser Ausschuss ist ein Ausschuss im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren (ABl. 2011, L 55, S. 13)].

(2)        Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gilt Artikel 5 der Verordnung [Nr. 182/2011].“

10        Art. 9 der Verordnung Nr. 2271/96 bestimmt:

„Jeder Mitgliedstaat legt die Sanktionen für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen einschlägige Vorschriften dieser Verordnung fest. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“

11        In Art. 11 der Verordnung Nr. 2271/96 heißt es:

„Diese Verordnung gilt für

1.         alle natürlichen Personen, die in der [Union] ansässig … und Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind,

2.         alle juristischen Personen, die in der [Union] eingetragen sind,

3.         alle in Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 4055/86 [des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf die Seeschiffahrt zwischen Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern (ABl. 1986, L 378, S. 1)] genannten natürlichen und juristischen Personen …,

4.         alle übrigen natürlichen Personen, die in der [Union] ansässig sind, sofern sich diese nicht in dem Land aufhalten, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen,

5.         alle übrigen natürlichen Personen im Gebiet der [Union], einschließlich ihrer Küstengewässer und ihres Luftraums sowie in allen Luft- oder Wasserfahrzeugen, die der Gerichtsbarkeit oder Kontrolle eines Mitgliedstaats unterstehen und die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit handeln.“

12        In dem mit „Gesetze, Verordnungen und andere Rechtsinstrumente“ überschriebenen Anhang der Verordnung Nr. 2271/96 heißt es im Abschnitt zu den Vereinigten Staaten:

„…

4.         ‚Iran Freedom and Counter-Proliferation Act of 2012‘

Compliance-Anforderungen:

Es ist untersagt, wissentlich:

i)          erhebliche Unterstützung, auch durch die Erleichterung bedeutender finanzieller Transaktionen, oder Waren oder Dienstleistungen für bestimmte Personen bereitzustellen, die in den Bereichen Häfen, Energie, Schifffahrt oder Schiffbau in Iran tätig sind, oder für jede iranische Person, die in der Liste der besonders benannten Staatsangehörigen und gesperrten Personen aufgeführt ist;

ii)         Handel mit Iran mit wichtigen Gütern und Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit dem Energie‑, Schifffahrts- oder Schiffbausektor Irans verwendet werden, zu betreiben;

iii)        Erdöl und Erdölprodukte aus Iran zu kaufen und unter bestimmten Umständen Finanztransaktionen in Verbindung mit diesen durchzuführen;

iv)        Transaktionen für den Handel mit Erdgas von oder nach Iran durchzuführen oder zu erleichtern (gilt für ausländische Finanzinstitute);

v)         Handel mit Iran mit Edelmetallen, Graphit, rohen oder halbfertigen Metallen oder Software, die in bestimmten Sektoren verwendet werden kann oder bestimmte Personen betrifft, zu betreiben; oder eine bedeutende finanzielle Transaktion im Zusammenhang mit diesem Handel zu erleichtern;

vi)        Übernahmedienstleistungen, Versicherungs- und Rückversicherungsdienstleistungen im Zusammenhang mit bestimmten Tätigkeiten, einschließlich, aber nicht beschränkt auf die unter den Ziffern i und ii genannten oder für andere Personengruppen zu erbringen;

…“

Delegierte Verordnung 2018/1100

13        Im vierten Erwägungsgrund der Delegierten Verordnung 2018/1100 heißt es:

„Am 8. Mai 2018 haben die Vereinigten Staaten angekündigt, dass sie die Aussetzung ihrer nationalen restriktiven Maßnahmen gegenüber Iran nicht weiter verlängern werden. Einige dieser Maßnahmen haben extraterritoriale Wirkung und beeinträchtigen die Interessen der Union und der natürlichen und juristischen Personen, die Rechte nach dem [AEU‑]Vertrag … ausüben.“

Durchführungsverordnung (EU) 2018/1101

14        Art. 4 der Durchführungsverordnung (EU) 2018/1101 der Kommission vom 3. August 2018 zur Festlegung der Kriterien für die Anwendung von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2271/96 (ABl. 2018, L 199 I, S. 7) sieht vor:

„Bei der Beurteilung der Frage, ob eine schwere Schädigung der geschützten Interessen im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung [Nr. 2271/96] eintreten würde, berücksichtigt die Kommission gegebenenfalls unter anderem die folgenden Kriterien, von denen jedes einzelne das Eintreten eines schweren Schadens begründen kann:

a)         eine wahrscheinliche spezifische Gefährdung des geschützten Interesses, unter Berücksichtigung des Kontexts, der Art und des Ursprungs einer Schädigung des geschützten Interesses;

b)         das Vorliegen anhängiger behördlicher oder gerichtlicher Ermittlungen gegen [die von Art. 11 der Verordnung Nr. 2271/96 erfasste Person, die eine Genehmigung nach Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung beantragt hat,] seitens des Drittlands, auf das die gelisteten extraterritorialen Rechtsakte zurückgehen, oder einer früheren Vergleichsvereinbarung mit diesem Drittland;

c)         das Bestehen einer wesentlichen Verbindung zu dem Drittland, auf das die gelisteten extraterritorialen Rechtsakte oder die Folgemaßnahmen zurückgehen; beispielsweise wenn [die von Art. 11 der Verordnung Nr. 2271/96 erfasste Person, die eine Genehmigung nach Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung beantragt hat,] Mutterunternehmen oder Tochterunternehmen oder eine Beteiligung natürlicher oder juristischer Personen [hat], die der primären Zuständigkeit des Drittlandes, auf das die gelisteten extraterritorialen Rechtsakte oder die Folgemaßnahmen zurückgehen, unterliegen;

d)         die Frage, ob [die von Art. 11 der Verordnung Nr. 2271/96 erfasste Person, die eine Genehmigung nach Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung beantragt hat,] zumutbare Maßnahmen ergreifen könnte, um den Schaden zu vermeiden oder abzumildern;

e)         die nachteiligen Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit, insbesondere ob [der von Art. 11 der Verordnung Nr. 2271/96 erfassten Person, die eine Genehmigung nach Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung beantragt hat,] erhebliche wirtschaftliche Verluste entstünden, die beispielsweise [ihre] Rentabilität gefährden oder ein erhebliches Insolvenzrisiko darstellen könnten;

f)          die Frage, ob die Tätigkeit [der von Art. 11 der Verordnung Nr. 2271/96 erfassten Person, die eine Genehmigung nach Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung beantragt hat,] aufgrund des Verlusts wesentlicher Inputs oder Ressourcen, die nicht mit vertretbarem Aufwand ersetzt werden können, übermäßig erschwert würde;

g)         die Frage, ob die Wahrnehmung der individuellen Rechte [der von Art. 11 der Verordnung Nr. 2271/96 erfassten Person, die eine Genehmigung nach Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung beantragt hat,] erheblich behindert würde;

h)         das Bestehen einer Bedrohung für Sicherheit, Gefahrenabwehr, Schutz des menschlichen Lebens und der menschlichen Gesundheit sowie den Umweltschutz;

i)          das Bestehen einer Bedrohung für die Fähigkeit der Union, ihre Politik in den Bereichen humanitäre Hilfe, Entwicklungs- und Handelspolitik oder die externen Aspekte ihrer internen Politikbereiche durchzuführen;

j)          die Sicherheit der Versorgung mit strategischen Gütern oder Dienstleistungen innerhalb der Union oder auf dem Weg in die Union bzw. innerhalb eines Mitgliedstaats oder auf dem Weg in einen Mitgliedstaat sowie die Auswirkungen etwaiger diesbezüglicher Versorgungsengpässe oder Versorgungsunterbrechungen;

k)         die Folgen für den Binnenmarkt im Hinblick auf den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital sowie für die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität oder für zentrale Infrastrukturen der Union;

l)          die systemischen Auswirkungen des Schadens, insbesondere in Bezug auf die Spillover-Effekte auf andere Sektoren;

m)        die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt eines oder mehrerer Mitgliedstaaten und deren grenzübergreifende Auswirkungen innerhalb der Union;

n)         sonstige relevante Faktoren.“

Deutsches Recht

15        § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: BGB) sieht vor:

„Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

16        Bei BMI, die über eine Zweigniederlassung in Deutschland verfügt, handelt es sich um eine iranische Bank im Eigentum des iranischen Staates. Sie schloss mit Telekom, einer Tochtergesellschaft der Deutsche Telekom AG, die ihren Sitz in Deutschland hat und etwa die Hälfte ihres Umsatzes mit ihrer Tätigkeit in den Vereinigten Staaten erwirtschaftet, mehrere Verträge über die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen.

17        Zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens besteht ein Rahmenvertrag, der BMI gestattet, alle Telefon- und Internetanschlüsse ihres Unternehmens an verschiedenen Standorten in Deutschland in einem Vertrag zusammenzufassen. Im Rahmen der verschiedenen zwischen den Parteien abgeschlossenen Verträge erbrachte Telekom verschiedene Telekommunikationsdienstleistungen an BMI, die von BMI stets fristgerecht bezahlt wurden. Die in diesen Verträgen vorgesehenen Dienstleistungen sind für die interne und externe Kommunikation von BMI in Deutschland unentbehrlich. Dem vorlegenden Gericht zufolge ist es BMI ohne diese Dienstleistungen nicht möglich, mittels ihrer Niederlassung in Deutschland am Geschäftsverkehr teilzunehmen.

18        2018 zogen sich die Vereinigten Staaten aus dem am 14. Juli 2015 in Wien unterzeichneten iranischen Atomabkommen zurück, das die Kontrolle des iranischen Atomprogramms und die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Iran zum Ziel hat. Ab dem 5. November 2018 verhängten die Vereinigten Staaten folglich erneut u. a. Sekundärsanktionen gegen Iran.

19        Diese Sanktionen betreffen die Personen, die in der vom Office of Foreign Assets Control (OFAC) (Amt zur Kontrolle von Auslandsvermögen [OFAC], Vereinigte Staaten) erstellten „Liste der besonders benannten Staatsangehörigen und gesperrten Personen“ (Specially Designated Nationals and Blocked Persons List) (im Folgenden: SDN-Liste) aufgeführt sind, darunter BMI. Nach den Sanktionen ist es für jedermann verboten, außerhalb des Gebiets der Vereinigten Staaten Geschäftsbeziehungen mit einer Person oder Organisation zu unterhalten, die auf der SDN-Liste steht.

20        Am 16. November 2018 teilte Telekom BMI die Kündigung sämtlicher mit ihr geschlossener Verträge mit sofortiger Wirkung mit und verfuhr in gleicher Weise mit mindestens vier weiteren Unternehmen mit Verbindungen zu Iran, die auf der SDN-Liste standen und ihren Sitz in Deutschland hatten.

21        Im Rahmen eines von BMI bei den deutschen Gerichten eingeleiteten einstweiligen Verfügungsverfahrens erlegte das Landgericht Hamburg (Deutschland) Telekom mit einem Urteil vom 28. November 2018 auf, die laufenden Verträge bis zum Ablauf der in den Verträgen vorgesehenen ordentlichen Kündigungsfristen zu erfüllen, die zwischen dem 25. Januar 2019 und dem 7. Januar 2021 abliefen.

22        Am 11. Dezember 2018 teilte Telekom BMI erneut die Kündigung sämtlicher Verträge „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ mit. Diese Kündigung enthielt keinerlei Begründung.

23        BMI erhob daher beim Landgericht Hamburg Klage mit dem Antrag, Telekom zu verpflichten, sämtliche vertraglich vereinbarten Telefon- und Internetanschlüsse freigeschaltet zu lassen.

24        Das Gericht verurteilte Telekom, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträge bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfristen zu erfüllen und wies die Klage im Übrigen ab. Es entschied, dass die ordentliche Kündigung der Verträge durch Telekom mit Art. 5 der Verordnung Nr. 2271/96 vereinbar sei.

25        BMI legte beim vorlegenden Gericht Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg ein und berief sich darauf, dass die Kündigung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträge nicht mit Art. 5 der Verordnung Nr. 2271/96 vereinbar sei. Die Kündigung sei ausschließlich durch die Absicht von Telekom motiviert, sich an die von den Vereinigten Staaten verhängten Sekundärsanktionen zu halten.

26        Das vorlegende Gericht weist erstens darauf hin, dass BMI nicht dargetan habe, die Kündigung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträge gehe auf direkte oder indirekte behördliche oder gerichtliche Anweisungen aus den Vereinigten Staaten zurück. Das Oberlandesgericht Köln (Deutschland) habe in einem Urteil vom 7. Februar 2020 entschieden, dass Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 in einer solchen Situation nicht anwendbar sei.

27        Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts reicht die bloße Existenz der Sekundärsanktionen aber für die Anwendung von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 aus, da das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot anders nicht wirksam umgesetzt werden könne.

28        Zweitens lässt sich der Vorlageentscheidung entnehmen, dass Telekom unter Berufung auf Ziff. 5 des Leitfadens der Kommission mit dem Titel „Fragen und Antworten: Annahme der aktualisierten Blocking-Verordnung“ vom 7. August 2018 (ABl. 2018, C 277 I, S. 4) vorträgt, dass Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 ihr die unternehmerische Freiheit lasse, die mit BMI geschlossenen Verträge jederzeit aus gleich welchem Grund zu beendigen. Dies hätten einige deutsche Gerichte entschieden, u. a. das Oberlandesgericht Köln, das mit einem Beschluss vom 1. Oktober 2019 bestätigt habe, dass eine Vertragsbeendigung aus „durch die US-Außenpolitik geprägten Motiven“ erfolgen könne.

29        Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts verstößt die Kündigung der Verträge dann nicht gegen Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96, wenn sie auf rein wirtschaftlichen Erwägungen ohne konkreten Bezug zu den von Drittländern verhängten Sanktionen beruhe. Folglich müsse Telekom ausnahmsweise die Motive für die Kündigung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträge erläutern, jedenfalls aber darlegen und gegebenenfalls nachweisen, dass die Entscheidung zur Beendigung der Verträge nicht aus Furcht vor etwaigen Nachteilen für Telekom auf dem amerikanischen Markt getroffen worden sei.

30        Drittens ergebe sich aus § 134 BGB, dass eine Kündigung, die gegen Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 verstoße, rechtlich unwirksam sei. Nach deutschem Recht stelle jeder Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 der Verordnung zudem eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einem Bußgeld von bis zu 500 000 Euro bewehrt sei.

31        Angesichts der drohenden wirtschaftlichen Schäden für Telekom, die einem Konzern angehöre, dessen Umsatz etwa zur Hälfte aus seiner Tätigkeit in den Vereinigten Staaten stamme, könnte es als ein Verstoß gegen den in Art. 9 der Verordnung Nr. 2271/96 vorgesehenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anzusehen sein, ein Bußgeld gegen das Unternehmen zu verhängen und außerdem zu verlangen, dass es die mit BMI geschlossenen Verträge weiterhin erfülle. Dies gelte umso mehr, als die Verordnung nicht unmittelbar dem Schutz von BMI diene.

32        Viertens weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Verordnung Nr. 2271/96 nach ihrer Präambel dem Schutz der Wirtschaftsteilnehmer der Union dienen solle.

33        Es geht allerdings davon aus, dass die Gefahr wirtschaftlicher Schäden weder durch den in Art. 6 der Verordnung vorgesehenen Schadensersatzanspruch noch durch die in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung vorgesehene etwaige Erteilung von Ausnahmegenehmigungen hinreichend ausgeglichen wird. Angesichts des Zwecks der Verordnung, eine Durchsetzung von Sekundärsanktionen gegenüber Wirtschaftsteilnehmern der Union zu verhindern, werde diese Genehmigung nämlich eher restriktiv erteilt. Folglich reiche allein die Gefahr wirtschaftlicher Einbußen nicht aus, um eine solche Genehmigung zu erhalten. Vor diesem Hintergrund bezweifelt das vorlegende Gericht, dass das generelle Verbot in der Verordnung Nr. 2271/96, sich von einem Geschäftspartner zu trennen, im Fall der Gefahr erheblicher wirtschaftlicher Einbußen auf dem Markt der Vereinigten Staaten mit der von Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) geschützten unternehmerischen Freiheit und dem in Art. 52 der Charta verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist.

34        Unter diesen Umständen hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.         Findet Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 nur dann Anwendung, wenn an den handelnden EU-Wirtschaftsteilnehmer im Sinne von Art. 11 dieser Verordnung seitens der Vereinigten Staaten direkt oder indirekt behördliche oder gerichtliche Anweisungen ergangen sind, oder genügt es für die Anwendung, dass das Handeln des EU-Wirtschaftsteilnehmers auch ohne solche Anweisungen darauf gerichtet ist, Sekundärsanktionen zu befolgen?

2.         Sollte der Gerichtshof Frage 1 im Sinne der zweiten Alternative beantworten: Steht Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 einem Verständnis des nationalen Rechts dahin entgegen, dass es dem Kündigenden möglich ist, auch jedwede Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses mit einem Vertragspartner, der vom Amt zur Kontrolle von Auslandsvermögen auf der SDN-Liste geführt wird, – und damit auch eine Kündigung mit der Motivation, US-Sanktionen zu befolgen – auszusprechen, ohne dass es hierfür eines Kündigungsgrundes bedürfte und deshalb ohne dass er in einem Zivilprozess darzulegen und zu beweisen hätte, dass der Grund für den Ausspruch der Kündigung jedenfalls nicht sei, US-Sanktionen zu befolgen?

3.         Sollte der Gerichtshof Frage 2 bejahen: Ist eine ordentliche Kündigung, die gegen Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 verstößt, zwingend als unwirksam anzusehen, oder ist dem Zweck der Verordnung auch mit anderen Sanktionen, beispielsweise der Verhängung eines Bußgeldes, genügt?

4.         Sollte der Gerichtshof Frage 3 im Sinne der ersten Alternative beantworten: Gilt dies in Ansehung von Art. 16 und Art. 52 der Charta auf der einen und der Möglichkeit der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2271/96 auf der anderen Seite auch dann, wenn dem EU-Wirtschaftsteilnehmer mit der Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung zum gelisteten Vertragspartner erhebliche wirtschaftliche Verluste auf dem US-Markt drohen (hier: 50 Prozent des Konzernumsatzes)?

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkungen

35        Die Verordnung Nr. 2271/96 soll, wie sich aus ihrem sechsten Erwägungsgrund ergibt, die bestehende Rechtsordnung, die Interessen der Union und die Interessen natürlicher und juristischer Personen schützen, die ihre Rechte gemäß dem AEU‑Vertrag ausüben, insbesondere durch Aufhebung, Neutralisierung, Blockierung oder anderweitige Bekämpfung der Auswirkungen der im Anhang dieser Verordnung aufgeführten Gesetze, einschließlich Verordnungen und anderer Rechtsakte (im Folgenden: gelistete Gesetze).

36        Wie Art. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 hierzu ausführt, bezweckt der Unionsgesetzgeber mit den in der Verordnung vorgesehenen Maßnahmen einen Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung der gelisteten Gesetze und vor darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen sowie, den Folgen der extraterritorialen Anwendung entgegenzuwirken, soweit diese Anwendung die Interessen von Personen im Sinne von Art. 11 beeinträchtigt, die am internationalen Handels- und/oder Kapitalverkehr und an damit verbundenen Geschäftstätigkeiten zwischen der Union und Drittländern teilnehmen.

37        Wie sich den Erwägungsgründen 1 bis 5 der Verordnung Nr. 2271/96 entnehmen lässt, soll mit den im Anhang der Verordnung gelisteten Gesetzen die Tätigkeit von natürlichen und juristischen Personen geregelt werden, die der Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten unterstehen; diese Gesetze werden extraterritorial angewandt. Dadurch beeinträchtigen sie die bestehende Rechtsordnung und haben nachteilige Auswirkungen auf die Interessen der Union und die Interessen der bezeichneten Personen, indem sie das Völkerrecht verletzen und die Verwirklichung der Ziele der Union behindern. Diese zielt nämlich darauf ab, zur harmonischen Entwicklung des Welthandels und zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr beizutragen, indem sie den freien Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern möglichst weitgehend fördert, und darauf, jegliche Beschränkungen im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten zu beseitigen.

38        Zu den gelisteten Gesetzen gehört der „Iran Freedom and Counter-Proliferation Act of 2012“ (Gesetz von 2012 über die Freiheit und die Bekämpfung der Proliferation in Iran), auf dessen Anwendung die Vereinigten Staaten, wie sich aus dem vierten Erwägungsgrund der Delegierten Verordnung Nr. 2018/1100 ergibt, nach ihrem Rückzug aus dem iranischen Atomabkommen nicht mehr verzichteten, wie sie am 8. Mai 2018 angekündigt hatten.

39        Zur Erreichung der in den Rn. 35 bis 37 des vorliegenden Urteils genannten Ziele sieht die Verordnung Nr. 2271/96 Regelungen unterschiedlicher Art vor. So sieht Art. 4 der Verordnung zum Schutz der bestehenden Rechtsordnung und der Interessen der Union im Wesentlichen vor, dass Entscheidungen von außerhalb der Union, die den gelisteten Gesetzen und den darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen Wirksamkeit verleihen, nicht anerkannt werden und nicht vollstreckbar sind. Mit der gleichen Zielsetzung untersagt es Art. 5 Abs. 1 der Verordnung allen Personen im Sinne von Art. 11 der Sache nach, den gelisteten Gesetzen oder den darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen nachzukommen, wobei Art. 5 Abs. 2 gleichwohl vorsieht, dass es solchen Personen jederzeit genehmigt werden kann, diesen Gesetzen ganz oder teilweise nachzukommen, soweit andernfalls ihre Interessen oder die der Union schwer geschädigt würden. Ferner sieht Art. 6 der Verordnung Nr. 2271/96 zum Schutz der Interessen der von Art. 11 der Verordnung erfassten Personen vor, dass diejenigen, die an einer Tätigkeit gemäß Art. 1 der Verordnung teilnehmen, Anspruch auf Ersatz aller Schäden haben, die ihnen aufgrund der Anwendung der bezeichneten Gesetze oder Maßnahmen entstanden sind.

40        Über Art. 9 der Verordnung Nr. 2271/96 wird sichergestellt, dass diese Regelungen wirksam angewandt werden, indem die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, Sanktionen für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen diese Regelungen festzulegen, wobei die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen. Derartige Sanktionen sind somit insbesondere vorzusehen, wenn eine von Art. 11 der Verordnung erfasste Person gegen das in Art. 5 Abs. 1 aufgestellte Verbot verstößt.

41        Die Fragen des vorlegenden Gerichts sind anhand dieser Erwägungen zu beantworten.

Zur ersten Frage

42        Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 dahin auszulegen ist, dass darin den von Art. 11 der Verordnung erfassten Personen auch dann untersagt wird, den in den gelisteten Gesetzen vorgesehenen Forderungen oder Verboten nachzukommen, wenn seitens der Verwaltungs- oder Justizbehörden der Drittländer, die diese Gesetze erlassen haben, keine Weisung zu deren Einhaltung vorliegt.

43        Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur der Wortlaut, sondern auch der Kontext und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 12. Mai 2021, Bundesrepublik Deutschland [Red Notice, Interpol], C‑505/19, EU:C:2021:376, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44        Zum Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 ist festzustellen, dass diese Bestimmung den von Art. 11 der Verordnung erfassten Personen untersagt, „Forderungen oder Verboten, einschließlich Aufforderungen ausländischer Gerichte, nachzukommen, die direkt oder indirekt auf den [gelisteten] Gesetzen oder den darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen beruhen oder sich daraus ergeben“.

45        Diesem Wortlaut, insbesondere dem Ausdruck „Forderungen oder Verboten, … die … auf … beruhen“ und dem Wort „einschließlich“ lässt sich entnehmen, dass diese weit formulierte Bestimmung auch dann Anwendung findet, wenn keine Aufforderung oder Weisung einer Verwaltungs- oder Justizbehörde vorliegt.

46        Wie der Generalanwalt in Nr. 55 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, kann sich eine Forderung oder ein Verbot nach dem gängigen Sinngehalt dieser Begriffe nicht nur aus einer Einzelmaßnahme oder einem Bündel von Einzelentscheidungen ergeben, sondern auch aus einem allgemeinen und abstrakten Rechtsakt.

47        Diese Auslegung der Begriffe „Forderungen“ und „Verbote“ lässt sich auch aus dem Zusammenhang von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 ableiten. Wie der Generalanwalt in Nr. 57 seiner Schlussanträge festgestellt hat, bezeichnet der Begriff „Entscheidung“ in Art. 4 und Art. 7 Buchst. d der Verordnung als „Weisungen“ verstandene Rechtsakte der Justiz oder von Behörden, was die Feststellung bestätigt, dass die in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung verwendeten Begriffe „Forderungen“ und „Verbote“ einen weiteren Gehalt haben.

48        Diese Auslegung wird auch durch die Ziele der Verordnung Nr. 2271/96 gestützt, die u. a., wie sich aus ihren Erwägungsgründen 2 und 6 ergibt, die bestehende Rechtsordnung, die Interessen der Union und die Interessen natürlicher und juristischer Personen, die ihre Rechte gemäß dem AEU‑Vertrag ausüben, im Hinblick auf eine möglichst weitgehende Verwirklichung des Ziels eines freien Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern schützen soll.

49        Zu dem Ziel der Verordnung Nr. 2271/96, die bestehende Rechtsordnung und die Interessen der Union im Allgemeinen zu schützen, ist nämlich festzustellen, dass die gelisteten Gesetze, wie der Generalanwalt in den Nrn. 63 und 64 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ihre Wirkungen u. a. über die bloße Androhung von Rechtsfolgen entfalten können, die bei einer Missachtung dieser Gesetze durch die von Art. 11 der Verordnung erfassten Personen ausgesprochen werden könnten. Die Verordnung Nr. 2271/96 wäre demzufolge für die Bekämpfung der Auswirkungen der gelisteten Gesetze und somit für die Erreichung des zuvor angeführten Ziels ungeeignet, wenn das in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung genannte Verbot unter der Bedingung einer Erteilung von Weisungen durch Verwaltungs- und Justizbehörden der Drittländer stünde, die diese Gesetze erlassen haben.

50        Die in Rn. 45 des vorliegenden Urteils dargelegte Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 lässt sich im Übrigen mit dem weiteren Ziel der Verordnung Nr. 2271/96 vereinbaren, die Interessen der von Art. 11 erfassten Personen zu schützen, einschließlich ihrer unternehmerischen Freiheit als einer in Art. 16 der Charta verankerten Grundfreiheit, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, die Vertragsfreiheit und den freien Wettbewerb umfasst (Urteil vom 16. Juli 2020, Adusbef u. a., C‑686/18, EU:C:2020:567, Rn. 82). Diese Interessen, die durch Maßnahmen bedroht werden können, denen sich die genannten Personen in den betreffenden Drittstaaten aussetzen, wenn sie den gelisteten Gesetzen nicht nachkommen, sind nämlich gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung, der unter Beachtung dieses Ziels auszulegen ist, angemessen geschützt.

51        Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 dahin auszulegen ist, dass darin den von Art. 11 der Verordnung erfassten Personen auch dann untersagt wird, den in den gelisteten Gesetzen vorgesehenen Forderungen oder Verboten nachzukommen, wenn seitens der Verwaltungs- oder Justizbehörden der Drittländer, die diese Gesetze erlassen haben, keine Weisung zu deren Einhaltung vorliegt.

Zur zweiten Frage

52        Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 dahin auszulegen ist, dass er es einer von Art. 11 der Verordnung erfassten Person, die nicht über eine Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung verfügt, verwehrt, Verträge mit einer in der SDN-Liste aufgeführten Person ohne Angabe von Gründen zu kündigen.

53        Diese Frage stellt sich in einem Zivilrechtsstreit, in dem BMI beim vorlegenden Gericht dagegen vorgeht, dass Telekom ihr Recht zur ordentlichen Kündigung ohne Angabe von Gründen der zwischen ihr und BMI geschlossenen Verträge ausübt. BMI zufolge verstößt diese Kündigung gegen Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96.

54        Zunächst ist zu klären, ob Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 in einem Zivilprozess wie dem Ausgangsrechtsstreit geltend gemacht werden kann.

55        Nach ständiger Rechtsprechung obliegt es den nationalen Gerichten, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit das Unionsrecht anzuwenden haben, die volle Wirkung seiner Bestimmungen, wie der in der Verordnung Nr. 2271/96 enthaltenen, zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. September 2002, Muñoz und Superior Fruiticola, C‑253/00, EU:C:2002:497, Rn. 28).

56        Außerdem hat die Verordnung nach Art. 288 Abs. 2 AEUV allgemeine Geltung und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat (Urteil vom 17. September 2002, Muñoz und Superior Fruiticola, C‑253/00, EU:C:2002:497, Rn. 27).

57        Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 sieht vor, dass keine Person im Sinne ihres Art. 11 selbst oder durch einen Vertreter oder einen anderen Vermittler aktiv oder durch bewusste Unterlassung Forderungen oder Verboten nachkommen darf, die direkt oder indirekt auf den gelisteten Gesetzen beruhen. Dieses klar, genau und unbedingt formulierte Verbot erklärt sich durch den Umstand, dass die von Art. 11 erfassten Personen bei der Ausübung insbesondere ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten einschließlich ihrer etwaigen Entscheidungen zur Kündigung von Verträgen in der Lage sind, extraterritoriale Wirkungen der gelisteten Gesetze zu konkretisieren, die mit der Verordnung gerade bekämpft werden sollen.

58        Im Übrigen ist die einzige Ausnahme von diesem Verbot in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2271/96 vorgesehen, nach dem die von Art. 11 erfassten Personen eine Genehmigung für die Nichtbefolgung des Verbots beantragen können.

59        Da es, wie sich aus Rn. 55 des vorliegenden Urteils ergibt, den nationalen Gerichten obliegt, die volle Wirksamkeit der Verordnung Nr. 2271/96 zu gewährleisten, muss die Beachtung des in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung aufgestellten Verbots im Rahmen eines Zivilprozesses wie dem im Ausgangsverfahren durchgesetzt werden können, der von einer Person gegen eine andere Person angestrengt wird, an die sich das Verbot richtet (vgl. entsprechend Urteil vom 17. September 2002, Muñoz und Superior Fruiticola, C‑253/00, EU:C:2002:497, Rn. 30).

60        Zwar überlässt Art. 9 der Verordnung Nr. 2271/96 den Mitgliedstaaten die Festlegung der Sanktionen für den Fall von Zuwiderhandlungen gegen die Verordnung, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen. Diese Zuständigkeit darf aber nicht dazu führen, dass die Reichweite anderer Bestimmungen der Verordnung Nr. 2271/96 beeinträchtigt wird, in denen klare, genaue und unbedingte Verpflichtungen oder Verbote vorgesehen sind, deren volle Wirkung die nationalen Gerichte, wie in Rn. 55 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, in den Rechtsstreitigkeiten zu gewährleisten haben, mit denen sie befasst sind.

61        Diese Auslegung von Art. 5 der Verordnung Nr. 2271/96 kann entgegen dem Vorbringen von Telekom nicht durch den in Rn. 28 des vorliegenden Urteils erwähnten Leitfaden der Kommission in Frage gestellt werden. Dieser Leitfaden enthält nämlich keine rechtlich verbindlichen Regelungen oder Auslegungen. Wie die Präambel des Leitfadens in Abs. 5 ausführt, ist nur die Verordnung Nr. 2271/96 verbindlich, und für die verbindliche Auslegung der Rechtsakte der Union ist, wie in Abs. 6 der Präambel angegeben, nur der Gerichtshof zuständig.

62        Allerdings lässt sich weder Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96, noch irgendeiner anderen Bestimmung dieser Verordnung entnehmen, dass eine von Art. 11 erfasste Person für die Kündigung eines Handelsvertrags mit einer in der SDN-Liste aufgeführten Person Gründe angeben müsste.

63        Unter diesen Umständen steht Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der eine von Art. 11 der Verordnung erfasste Person, die nicht über eine Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung verfügt, ihre Verträge mit einer in der SDN-Liste aufgeführten Person kündigen kann, ohne hierfür Gründe angeben zu müssen.

64        Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, dass § 134 BGB auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist. Das vorlegende Gericht führt hierzu aus, dass die Kündigung, sollte sie gegen Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 verstoßen, gemäß § 134 BGB unwirksam ist. Die deutsche Regierung hat zudem in Beantwortung einer Frage des Gerichtshofs die einschlägigen Beweislastregeln für den Nachweis eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB im Rahmen eines Zivilprozesses dargelegt. Danach kann die Partei, die sich darauf beruft, dass ein Rechtsgeschäft, einschließlich der Kündigung eines Vertrags, wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot wie das in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 vorgesehene nichtig sei, diese Nichtigkeit vor Gericht geltend machen. Hierzu hat sie die Tatsachen vorzutragen, aus denen sich der behauptete Verstoß ergibt. Bestreitet die andere Prozesspartei diese Tatsachen, liegt die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des Verstoßes bei der Partei, die die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts geltend macht. Somit würde die Beweislast im vorliegenden Fall vollumfänglich bei der Person liegen, die einen Verstoß gegen Art. 5 der Verordnung Nr. 2271/96 geltend macht.

65        Hierzu ist allerdings festzustellen, dass die Anwendung einer solchen allgemeinen Beweislastregel die Feststellung eines Verstoßes gegen das in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 vorgesehene Verbot für das vorlegende Gericht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren und somit die praktische Wirksamkeit des Verbots beeinträchtigen kann.

66        Beweismittel, die den Nachweis erlauben würden, dass das Verhalten einer von Art. 11 der Verordnung Nr. 2271/96 erfassten Person von deren Willen getragen ist, den gelisteten Gesetzen nachzukommen, sind nämlich normalerweise keiner anderen Privatperson zugänglich, weil sie insbesondere, wie der Generalanwalt in Nr. 95 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, unter das Geschäftsgeheimnis fallen können.

67        Um die volle Wirksamkeit von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 zu gewährleisten, muss daher, soweit im Rahmen eines Zivilprozesses über einen behaupteten Verstoß gegen die in dieser Bestimmung vorgesehenen Anforderungen alle Beweismittel, über die ein nationales Gericht verfügt, auf den ersten Blick darauf hindeuten, dass eine von Art. 11 der Verordnung erfasste Person, die nicht über eine Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung verfügt, den gelisteten Gesetzen nachgekommen ist, es ebendieser Person obliegen, rechtlich hinreichend nachzuweisen, dass ihr Verhalten nicht darauf abzielte, diesen Gesetzen nachzukommen.

68        Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 dahin auszulegen ist, dass er es einer von Art. 11 der Verordnung erfassten Person, die nicht über eine Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung verfügt, nicht verwehrt, Verträge mit einer in der SDN-Liste aufgeführten Person ohne Angabe von Gründen zu kündigen. Wenn alle Beweismittel, über die das nationale Gericht verfügt, auf den ersten Blick darauf hindeuten, dass eine von Art. 11 der Verordnung Nr. 2271/96 erfasste Person den gelisteten Gesetzen nachgekommen ist, ohne insoweit über eine Genehmigung zu verfügen, verlangt Art. 5 Abs. 1 allerdings, dass es im Rahmen eines Zivilprozesses über einen behaupteten Verstoß gegen die in dieser Bestimmung vorgesehenen Anforderungen ebendieser Person obliegt, rechtlich hinreichend nachzuweisen, dass ihr Verhalten nicht darauf abzielte, diesen Gesetzen nachzukommen.

Zur dritten und zur vierten Frage

69        Mit seiner dritten und seiner vierten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Verordnung Nr. 2271/96, insbesondere ihre Art. 5 und 9, im Licht der Art. 16 und 52 der Charta dahin auszulegen ist, dass sie der Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung von Verträgen entgegensteht, die durch eine von Art. 11 der Verordnung erfasste Person zur Befolgung von Forderungen oder Verboten, die auf den gelisteten Gesetzen beruhen, erklärt wurde, obgleich sie nicht über eine Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung verfügt, wenn dieser Person aufgrund der Feststellung der Unwirksamkeit erhebliche wirtschaftliche Verluste drohen.

70        Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen des Unionsrechts wie die der Verordnung Nr. 2271/96 im Licht der Grundrechte auszulegen sind, die nach ständiger Rechtsprechung zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat und die nun in der Charta verankert sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Mai 2016, Meroni, C‑559/14, EU:C:2016:349, Rn. 45).

71        Nach Art. 9 der Verordnung Nr. 2271/96 müssen die von den Mitgliedstaaten für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen einschlägige Vorschriften dieser Verordnung zu verhängenden Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

72        Im Übrigen bleiben die Mitgliedstaaten in Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene auf dem Gebiet der Sanktionen befugt, die Sanktionen zu wählen, die ihnen sachgerecht erscheinen. Sie sind jedoch verpflichtet, bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht und seine allgemeinen Grundsätze zu beachten (Urteil vom 11. Februar 2021, K. M. [Gegen den Kapitän eines Schiffs verhängte Sanktionen], C‑77/20, EU:C:2021:112, Rn. 36), zu denen die Grundrechte und Grundfreiheiten gehören.

73        Darüber hinaus hat der Gerichtshof entschieden, dass die Härte der Sanktionen der Schwere der mit ihnen geahndeten Verstöße entsprechen muss, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (Urteil vom 5. März 2020, OPR-Finance, C‑679/18, EU:C:2020:167, Rn. 26).

74        Hinzuzufügen ist, dass den innerstaatlichen Gerichten, die allein für die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig sind, die Prüfung obliegt, ob die Sanktionen angesichts der gesamten Umstände des Einzelfalls diesen Anforderungen entsprechen sowie wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind (Urteil vom 5. März 2020, OPR-Finance, C‑679/18, EU:C:2020:167, Rn. 27).

75        Der Gerichtshof kann jedoch, wenn er im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens entscheidet, Klarstellungen vornehmen, um den nationalen Gerichten eine Richtschnur für ihre Würdigung zu geben (Urteil vom 5. März 2020, OPR-Finance, C‑679/18, EU:C:2020:167, Rn. 28).

76        Sollte sich zeigen, dass die von Telekom ausgesprochene ordentliche Kündigung ihrer Verträge mit BMI unter Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 erfolgt ist, während sie unstreitig keine Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung beantragt hatte, ergäbe sich im vorliegenden Fall gemäß den in Rn. 30 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Ausführungen in der Vorlageentscheidung aus § 134 BGB, dass die Kündigungserklärung nichtig und folglich rechtlich unwirksam wäre.

77        Eine solche Feststellung der Unwirksamkeit kann jedoch zu einer Beschränkung der in Art. 16 der Charta verankerten unternehmerischen Freiheit führen.

78        Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das Recht auf unternehmerische Freiheit insbesondere das Recht jedes Unternehmens umfasst, in den Grenzen seiner Verantwortlichkeit für seine eigenen Handlungen frei über seine wirtschaftlichen, technischen und finanziellen Ressourcen verfügen zu können (Urteil vom 30. Juni 2016, Lidl, C‑134/15, EU:C:2016:498, Rn. 27).

79        Der durch diesen Artikel gewährte Schutz umfasst die Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, die Vertragsfreiheit und den freien Wettbewerb (Urteil vom 16. Juli 2020, Adusbef u. a., C‑686/18, EU:C:2020:567, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung). Er beinhaltet u. a. die freie Wahl des Geschäftspartners sowie die Freiheit, den Preis für eine Leistung festzulegen (Urteil vom 15. April 2021, Federazione nazionale delle imprese elettrotecniche ed elettroniche [Anie] u. a., C‑798/18 und C‑799/18, EU:C:2021:280, Rn. 57).

80        Die in Art. 16 der Charta verankerte unternehmerische Freiheit gilt jedoch nicht schrankenlos, sondern ist zum einen im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen (Urteil vom 20. Dezember 2017, Polkomtel, C‑277/16, EU:C:2017:989, Rn. 50) und zum anderen gegen die anderen von der Unionsrechtsordnung geschützten Interessen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Oktober 2013, Schaible, C‑101/12, EU:C:2013:661, Rn. 60) wie auch gegen die Rechte und Freiheiten anderer abzuwägen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Januar 2013, Sky Österreich, C‑283/11, EU:C:2013:28, Rn. 48).

81        In Anbetracht des Wortlauts von Art. 16 der Charta, der vorsieht, dass die unternehmerische Freiheit nach dem Unionsrecht sowie den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt wird, wodurch er sich vom Wortlaut der anderen grundrechtlich geschützten Freiheiten, die in ihrem Titel II verankert sind, unterscheidet und dabei dem Wortlaut einiger Bestimmungen des Titels IV der Charta ähnelt, kann die unternehmerische Freiheit mithin einer Vielzahl von Eingriffen der öffentlichen Gewalt unterworfen werden, die im allgemeinen Interesse die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit beschränken können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Januar 2013, Sky Österreich, C‑283/11, EU:C:2013:28, Rn. 46).

82        Dieser Umstand spiegelt sich vor allem darin wider, auf welche Weise die Unionsregelung sowie die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten nach Art. 52 Abs. 1 der Charta im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Januar 2013, Sky Österreich, C‑283/11, EU:C:2013:28, Rn. 47).

83        Nach dieser Bestimmung muss jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein, deren Wesensgehalt achten und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sein und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und der Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen (Urteil vom 22. Januar 2013, Sky Österreich, C‑283/11, EU:C:2013:28, Rn. 48).

84        Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 zwar bestimmt, dass keine Person im Sinne ihres Art. 11 den gelisteten Gesetzen nachkommen darf. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung sieht allerdings vor, dass es betroffenen Personen nach den Verfahren der Art. 7 und 8 der Verordnung Nr. 2271/96 genehmigt werden kann, ganz oder teilweise Forderungen oder Verboten nachzukommen, die sich aus den gelisteten Gesetzen ergeben, soweit anderenfalls die Interessen dieser Personen oder die der Union schwer geschädigt würden. Gemäß diesen Verfahren obliegt es der Kommission mit Unterstützung des in Art. 8 der Verordnung genannten Ausschusses für extraterritoriale Rechtsakte, solche Genehmigungen zu erteilen. Im Einklang mit dem von der Verordnung eingeführten harmonisierten System ist es somit grundsätzlich Aufgabe der Kommission, unter der Kontrolle des Gerichtshofs zu prüfen, ob durch die Nichteinhaltung der gelisteten Gesetze die Interessen der betroffenen Personen oder die der Union schwer geschädigt würden, wobei die Kommission ihrer Verpflichtung zur Beachtung der Grundrechte nachkommen muss, zu denen die unternehmerische Freiheit gehört.

85        Nach Art. 4 der Durchführungsverordnung Nr. 2018/1101, in der gemäß ihrem Art. 1 die Kriterien für die Anwendung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2271/96 festgelegt werden, ist die Kommission bei der Beurteilung der Frage, ob eine schwere Schädigung der geschützten Interessen im Sinne der zuletzt genannten Bestimmung eintreten würde, u. a. verpflichtet, Kriterien zu berücksichtigen, von denen jedes einzelne das Eintreten eines schweren Schadens begründen kann, wie etwa: eine wahrscheinliche spezifische Gefährdung des geschützten Interesses, unter Berücksichtigung des Kontexts, der Art und des Ursprungs einer Schädigung des geschützten Interesses; das Bestehen einer wesentlichen Verbindung zu dem Drittland, auf das die gelisteten extraterritorialen Rechtsakte oder die Folgemaßnahmen zurückgehen; die nachteiligen Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit, insbesondere ob der von Art. 11 der Verordnung Nr. 2271/96 erfassten Person, die eine Genehmigung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung beantragt hat, erhebliche wirtschaftliche Verluste entstünden, die beispielsweise ihre Rentabilität gefährden oder ein erhebliches Insolvenzrisiko darstellen könnten; oder auch die Frage, ob die Wahrnehmung der individuellen Rechte dieser Person erheblich behindert würde.

86        Folglich ist die Beschränkung der unternehmerischen Freiheit, die sich aus der Notwendigkeit ergibt, Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2271/96 zu beachten, gesetzlich vorgesehen.

87        Zu der Bedingung, den Wesensgehalt der unternehmerischen Freiheit zu achten, ist darauf hinzuweisen, dass eine potenzielle Beeinträchtigung u. a. dann vorliegt, wenn ein Unternehmen keine Möglichkeit hat, im Rahmen eines zu einem Vertragsschluss führenden Verfahrens seine Interessen wirksam geltend zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, AGET Iraklis, C‑201/15, EU:C:2016:972, Rn. 87).

88        Im vorliegenden Fall hätte die Feststellung der Unwirksamkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kündigung der Verträge wegen Verstoßes gegen Art. 5 der Verordnung Nr. 2271/96 jedoch nicht zur Folge, dass Telekom die Möglichkeit genommen würde, ihre Interessen allgemein im Rahmen einer Vertragsbeziehung geltend zu machen, sondern vielmehr eine Beschränkung dieser Möglichkeit, da eine solche Feststellung der Unwirksamkeit nur dann gerechtfertigt ist, wenn Telekom die Kündigung erklärt hat, um den gelisteten Gesetzen nachzukommen.

89        Was ferner die Bedingung betrifft, dass die Beschränkung der unternehmerischen Freiheit den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen muss, ergibt sich aus den Ausführungen in Rn. 76 des vorliegenden Urteils, dass die Beschränkung, die aus einer Feststellung der Unwirksamkeit einer Vertragskündigung wie der im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden folgen kann, auch diese Bedingung erfüllt, da sie zu den in den Rn. 35 bis 37 des vorliegenden Urteils genannten Zielen der Verordnung Nr. 2271/96 beiträgt.

90        Da die wirtschaftliche Tätigkeit von Telekom außerhalb der Union den Sanktionen ausgesetzt ist, die die Vereinigten Staaten gegenüber Personen vorgesehen haben, die die von ihnen gegen Iran verhängten Sekundärsanktionen missachten, hat das vorlegende Gericht schließlich im Hinblick auf die Bedingung der Verhältnismäßigkeit der Beschränkung zu würdigen, ob diese Sanktionen für das Unternehmen angesichts der Ziele der Verordnung Nr. 2271/96 – Schutz der bestehenden Rechtsordnung sowie der Interessen der Union im Allgemeinen und damit Verwirklichung des Ziels eines freien Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern – unverhältnismäßige Auswirkungen haben können.

91        Insoweit ist festzustellen, dass die Beschränkung der unternehmerischen Freiheit, die sich aus der etwaigen Feststellung der Nichtigkeit einer gegen Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 verstoßenden Kündigung ergibt, grundsätzlich erforderlich ist, um die Wirkungen der gelisteten Gesetze zu bekämpfen und damit die bestehende Rechtsordnung und die Interessen der Union im Allgemeinen zu schützen.

92        Es ist darüber hinaus gleichwohl Sache des vorlegenden Gerichts, bei dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung die Verfolgung dieser Ziele der Verordnung Nr. 2271/96, der mit der Feststellung der Unwirksamkeit einer gegen das in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung vorgesehene Verbot verstoßenden Kündigung gedient wird, gegen die Wahrscheinlichkeit abzuwägen, dass Telekom wirtschaftlichen Verlusten ausgesetzt wird, sowie gegen deren Ausmaß für den Fall, dass das Unternehmen die Geschäftsverbindung mit einer in der SDN-Liste aufgeführten Person nicht beenden darf.

93        Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist auch der Umstand relevant, dass Telekom, vorbehaltlich einer Prüfung durch das vorlegende Gericht, bei der Kommission keinen Antrag auf Befreiung von dem in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 normierten Verbot gestellt und sich so der Möglichkeit begeben hat, die Beschränkung ihrer unternehmerischen Freiheit zu vermeiden, die die aus einer etwaigen Missachtung dieses Verbots folgende Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung der in Rede stehenden Verträge mit BMI mit sich brächte.

94        Das nach deutschem Recht vorgesehene Verwaltungsbußgeld darf das vorlegende Gericht nicht berücksichtigen, da der Betrag dieses Bußgeldes – das seinerseits gemäß Art. 9 der Verordnung Nr. 2271/96 verhältnismäßig sein muss – unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Zuwiderhandelnden und folglich einer etwaigen Sanktion in Gestalt der Feststellung der Unwirksamkeit der in Rede stehenden Vertragskündigung festzusetzen wäre.

95        Nach alledem ist auf die dritte und die vierte Frage zu antworten, dass die Verordnung Nr. 2271/96, insbesondere ihre Art. 5 und 9, im Licht von Art. 16 und Art. 52 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen ist, dass sie der Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung von Verträgen nicht entgegensteht, die durch eine von Art. 11 der Verordnung erfasste Person zur Befolgung von Forderungen oder Verboten, die auf den gelisteten Gesetzen beruhen, erklärt wurde, obgleich sie nicht über eine Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung verfügt, soweit die Feststellung der Unwirksamkeit für diese Person keine in Anbetracht der Ziele der Verordnung, die bestehende Rechtsordnung und die Interessen der Union im Allgemeinen zu schützen, unverhältnismäßigen Auswirkungen hat. Bei dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung ist die Verfolgung dieser Ziele, der mit der Feststellung der Unwirksamkeit einer gegen das in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 vorgesehene Verbot verstoßenden Vertragskündigung gedient wird, gegen die Wahrscheinlichkeit abzuwägen, dass die betroffene Person wirtschaftlichen Verlusten ausgesetzt wird, sowie gegen deren Ausmaß für den Fall, dass sie die Geschäftsverbindung mit einer Person nicht beenden darf, gegen die sich die Sekundärsanktionen richten, die sich aus den gelisteten Gesetzen ergeben.

96        Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

 

 

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