OLG Köln: „Dr. Senst“
OLG Köln, Urteil vom 27.6.2025 – 6 U 123/24
Volltext: BB-Online BBL2025-1666-1
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Amtlicher Leitsatz)
Der Gebrauch einer Marke „Dr. Senst“ bei der Bewerbung von Medizinprodukten durch ein Unternehmen kann zulässig sein, auch wenn es sich bei dem in dem Unternehmen tätigen „Dr. Senst“ nicht um einen Mediziner, sondern einen Juristen handelt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sichergestellt ist, dass die Produkte durch einen promovierten Mediziner (anderen Namens) geprüft werden.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Werbung mit den Wort-/Bildmarken

und

für verschiedene Medizinprodukte in der Internetwerbung der Beklagten gemäß der Anlage K5. Der Kläger, der die Verwendung der Marken als irreführend und täuschend erachtet, rügt einen Verstoß gegen § 5 UWG. Die Produktkategorie, aber auch das in der Marke enthaltene weiße Kreuz auf grünem Grund erwecke beim Verbraucher den Eindruck, das herstellende Unternehmen würde von Dr. Senst geführt, der seinen Doktortitel in der Medizin oder jedenfalls einem angrenzenden Fachbereich erlangt habe und daher über eine besondere Sachkunde verfüge, welche er dann auch in das Unternehmen und dessen Produkte einbringen könne. Da Dr. Thilo Senst tatsächlich nicht Geschäftsführer der Beklagten sei und seinen Doktortitel in der Rechtswissenschaft erworben habe - beides ist unstreitig -, täusche die Beklagte das angesprochene Publikum über die erwarteten medizinischen Fachkenntnisse der Unternehmensleitung.
Mit Urteil vom 12.12.2024, auf dessen tatsächliche Feststellungen wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Es sei nicht davon auszugehen, dass die von den Markenprodukten angesprochenen Endverbraucher annähmen, dass es sich bei Dr. Senst um den Unternehmensinhaber handele, und es stelle auch keine Irreführung dar, dass Dr. Senst kein Mediziner sei. Da die Person von Dr. Senst in der Werbung nicht durch Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens hervorgehoben werde, erwarte der Verbraucher allenfalls, dass ein Dr. Senst einen Bezug zu der Beklagten habe, und dass die Produkte von einem promovierten Mediziner geprüft und freigegeben würden. Diese Verbrauchererwartung werde erfüllt, weil Herr Dr. Thilo Senst im Unternehmen beschäftigt sei und die Beklagte dargelegt habe, dass die gekennzeichneten Produkte durch den Mediziner Prof. Dr. G. geprüft würden.
Mit der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung hält der Kläger sein erstinstanzliches Begehren aufrecht. Er rügt, dass das Landgericht statt der gebotenen speziell auf die konkrete Verwendungsform ausgerichteten Bewertung nach den Maßstäben des UWG eine generalisierende Bewertung unter markenrechtlichen Gesichtspunkten vorgenommen habe. Die Erlangung von Markenrechtsschutz immunisiere die Marke nicht gegenüber dem lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbot. Gemäß der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 27.03.1981, I ZR 1/79) hätte geprüft werden müssen, wie der angesprochene Verbraucher die Angabe „+Dr. Senst“ verstehe, wenn diese auf Medizinprodukten zur Gesundheitskontrolle und Therapie sowie auf Produkten zum Gesundheitsschutz wie aus Anlage K5 ersichtlich angebracht sei. Dies habe das Landgericht nicht getan. Die falsch eingenommene, ausschließlich markenrechtliche Perspektive der Kammer habe auch zu einer falschen Würdigung des Verbraucherverständnisses geführt. Es stelle sich bereits die Frage, woher dem Verbraucher die ausschließlich markenmäßige Verwendung der Angabe „+Dr. Senst“ oder gar die Eintragung als Marke bekannt sein solle. Jedenfalls sei die streitgegenständliche Marke aufgrund der Wirkungen des § 5 UWG mit der Person des Dr. Senst verknüpft. In der angegriffenen Werbung zeige sich gerade keine von der in der Marke genannten Person losgelöste Markennutzung, so dass der Ansatzpunkt des Landgerichts, der Verbraucher erwarte auch bei einer personenbezogenen Marke keinerlei Verbindung zu der Person, nicht tragfähig sei. Soweit das Landgericht angeführt habe, dass die abweichende Firma der Beklagten gegen ein mit der Person Dr. Senst verknüpftes Verbraucherverständnis stehe, habe es die äußerst zurückhaltende Verwendung der Firma übersehen. Ausweislich der Anlage K5 finde sich die Firma der Beklagten in Zusammenhang mit der angegriffenen Marke nicht. Die Firma der Beklagten werde nur ein einziges Mal erwähnt, nämlich im Impressum der Internetseite. Zu Unrecht sei das Landgericht auch davon ausgegangen, es gebe keine Erwartungshaltung des Verbrauchers dahin, dass der in der Marke benannte Doktor (Senst) der für die Geschicke des Unternehmens auch in medizinisch fachlicher Hinsicht maßgebliche Mediziner sei. Diese Annahme widerspreche der Lebenserfahrung und der höchstrichterlichen Rechtsprechung. So habe der Bundesgerichtshof im Verfahren I ZR 126/19 mit Urteil vom 11.02.2021 ausdrücklich erklärt, dass schon die Erwähnung eines „Dr. Z“ in Verbindung mit zahnärztlichen Dienstleistungen für den Verbraucher Anlass zu der Annahme gebe, ein promovierter Zahnmediziner sei Geschäftsinhaber oder ein die Gesellschaftsbelange maßgeblich mitbestimmender Gesellschafter. Aus dieser Entscheidung folge auch, dass von einem besonders strengen Irreführungsmaßstab ausgegangen werden müsse. Dieses Strengeprinzip habe das Landgericht bei seiner Prüfung verkannt, ebenso die Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 10.02.2025 Bezug genommen.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wie folgt zu erkennen:
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem Geschäftsführer, zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr für die von ihr vertriebenen Medizinprodukte zur Gesundheitskontrolle (Fieberthermometer, Blutdruckmessgeräte, Pulsoximeter und/oder Blutdruckmessgeräte) und/oder zur Therapie (Inhalatoren, Muskelstimulatoren, Massagegeräte und/oder EMS/TENS Geräte) und/oder Produkte zum Gesundheitsschutz (Schutzmasken, Schutzhandschuhe und/oder Insektenschutz) mit der Wort-/Bildmarke zu werben:

und/oder

sofern dies geschieht wie aus Anlage K 5 ersichtlich.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 238,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung vom 13.03.2025 Bezug genommen.
Aus den Gründen
II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Antrag nimmt auf die Anlage K5 als konkrete Verletzungsform Bezug. Streitbefangen ist (nur) die in den darin wiedergegebenen Internetseiten befindliche Werbung mit den beiden Marken, nicht (auch) die Werbung mit den Marken auf den Medizinprodukten als solchen.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Unterlassung der streitbefangenen Werbung aus § 8 Abs. 1 UWG. Danach kann derjenige, der eine nach § 3 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, von den nach § 8 Abs. 3 UWG Anspruchsberechtigten bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.
a. Dass der Kläger nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aktivlegitimiert ist und die angegriffene Internetwerbung eine geschäftliche Handlung darstellt, steht außer Frage.
b. Eine geschäftliche Handlung ist gemäß § 3 Abs. 1 UWG unzulässig, wenn sie unlauter ist. Der Kläger stützt sich auf den Unlauterkeitstatbestand der Irreführung nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 UWG. Gemäß § 5 Abs. 1 UWG handelt unlauter, wer eine geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Handlung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 UWG ist eine geschäftliche Handlung u.a. dann irreführend, wenn sie unwahre Angaben über die Eigenschaften des Unternehmens wie Identität, Befähigung, Status, Auszeichnungen oder Ehrungen enthält. Eine solche Irreführung über die geschäftlichen Verhältnisse kann auch durch eine Unternehmens- oder Produktbezeichnung hervorgerufen werden, wie hier die Verwendung der streitbefangenen Marken. Dass es sich bei diesen um eingetragene und in Kraft stehende Zeichen handelt, steht dem nicht entgegen. Das Markenrecht kann den Irreführungstatbestand allenfalls dort verdrängen, wo Ansprüche des Kennzeicheninhabers in Rede stehen, also die Verletzungstatbestände des § 14 Abs. 2 oder § 15 Abs. 2 MarkenG und der Irreführungstatbestand des § 5 UWG miteinander konkurrieren. Geht es dagegen, wie hier, nur darum, ob das Publikum durch die Verwendung eines Kennzeichens - Marke, geschäftliche Bezeichnung - irregeführt wird, findet § 5 UWG uneingeschränkt Anwendung (s. Bornkamm/Feddersen in Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl. 2025, § 5 Rn. 1.42).
Der Gebrauch einer Marke kann irreführend sein, wenn einer ihrer Bestandteile geeignet ist, beim Verkehr unzutreffende Vorstellungen über die geschäftlichen Verhältnisse des sie verwendenden Unternehmens hervorzurufen. Maßgeblich ist insoweit, wie der durch die Werbung angesprochene informierte Durchschnittsverbraucher die Angaben in den als Anlage K5 vorgelegten Internetseiten versteht. Da die Mitglieder des Senats zum angesprochenen Verkehrskreis gehören, kann der Senat das maßgebliche Verbraucherverständnis ohne weiteres selbst beurteilen.
Das Landgericht hat das Verkehrsverständnis zutreffend ermittelt.
Der angesprochene Verkehr erkennt die o.a. Zeichen als das, was sie tatsächlich sind, nämlich Marken, Herkunftszeichen, die auf die im Impressum genannte Beklagte („L. GmbH … Düren … Geschäftsführer: T., Vorsitzender des Beirats: Dr. Thilo Senst“) als Vertreiberin der beworbenen Medizinprodukte hinweisen. Dies folgt aus der markentypischen Kombination von Wort und Bild in den o.a. Zeichen, der markentypischen Verwendung der Zeichen durchgehend jeweils im oberen Balken der Internetwerbung, der markentypischen Verwendung der Zeichen auf verschiedenen in der Internetwerbung abgebildeten Produkten und den Angaben im Internetauftritt selbst unter „Über Dr. Senst“ („Dr. Senst ist eine deutsche Marke …), „Alles aus einer Hand!“ („... Die breite Produktpalette gepaart mit hoher Fachkompetenz macht Dr. Senst zur Vertrauensmarke …“), „Was ist die Geschichte von Dr. Senst?“ („Dr. Senst ist eine Marke der L. GmbH mit Sitz in Düren, Deutschland. L. wurde 2003 gegründet und ist ein erfahrener Spezialist in der Entwicklung und Vermarktung ausgewählter Konsumentenprodukte“), „Welche Länder bedienen wir?“ („Die Marke Dr. Senst wird heute in ganz Europa und Teilen des mittleren Ostens und Afrikas vertrieben …“), „Wo finden sie unsere Produkte?“ („Dr. Senst ist eine Marke, die für wirklich alle Menschen zugänglich sein soll…“). Insoweit ist die Feststellung des Landgerichts, dass „Dr. Senst“ nicht als Hinweis auf die Person des Unternehmensinhabers bzw. einen promivierten Mediziner als Leiter des Unternehmens verstanden wird, zutreffend, zumal ein „Dr. [Thilo / Wolfram] Senst“ an keiner Stelle des Internetauftritts persönlich Vertrauen für sich als Arzt in Anspruch nimmt, sondern im Gegenteil alle Texte in der angegriffenen Werbung in der Wir-/Uns-Form abgefasst sind, z.B. „Über Dr. Senst - Wir möchten, dass es Ihnen und Ihren Liebsten gut geht! Dafür stellen wir …“; „Ihre Gesundheit steht im Mittelpunkt unseres Handelns! Auf was wir dabei achten …“. Vor diesem Hintergrund erwartet der Verkehr gerade nicht, dass ein bestimmter promovierter Mediziner namens Dr. Senst im Unternehmen der Beklagten die beworbenen Produkte selbst herstellt oder auf der Ebene der Geschäftsführung hauptverantwortlich vertreibt. Dass ein Arzt eine Vielzahl von verschiedenen Medizinprodukten selbst konstruiert hat, ist eine fernliegende Vorstellung, eine naheliegende dagegen, dass die Aufgaben in einem Unternehmen der Qualifikation entsprechend verteilt sind. Dementsprechend wird der angesprochene Verkehr - der den werbewirksamen, weil eine erhöhte Gewähr für die Fähigkeiten, die Zuverlässigkeit und den guten Ruf suggerierenden Doktortitel (vgl. Bornkamm/Feddersen in: Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl. 2025, § 5 Rn. 4.151) aufgrund der Gestaltung des Zeichens (weißes Kreuz auf grünem Grund) und der damit beworbenen Produkte mit „Dr. med.“ verbindet – aufgrund des im Bereich der gesundheitsbezogenen Werbung geltenden Strengeprinzips und der besonderen Bedeutung des Doktortitels in diesem Bereich erwarten können, dass im Unternehmen der Beklagten ein/e promovierte/r Mediziner/in für die Auswahl der angebotenen Produkte und die Qualitätskontrolle (mit)verantwortlich ist. Darüber hinaus wird der angesprochene Verkehr allenfalls noch erwarten, dass das Unternehmen der Beklagten in irgendeinem Bezug zu einem Mann oder einer Frau mit dem Namen „Dr. Senst“ steht. Diese Verkehrserwartung steht in Einklang mit der Realität. Nach den bindenden Feststellungen in Tatbestand der angefochtenen Entscheidung ist das Unternehmen der Beklagten von Prof. Dr. Wolfram Senst und Prof. Dr. med. Wilhelm G. gegründet worden, die beide heute Mitglieder im Beirat sind, in dem der Jurist Dr. Thilo Senst den Vorsitz hat. Dr. Thilo Senst ist außerdem bei der Beklagten als Angestellter tätig. Nach den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts werden die Produkte der Beklagten durch den Mediziner Prof. Dr. G. geprüft.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Das Urteil betrifft die tatrichterliche Übertragung allgemein anerkannter Ausle-gungs- und Rechtsanwendungsgrundsätze auf einen Einzelfall, so dass kein Anlass besteht, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen.
Gegenstandswert für das Berufungsverfahren: 50.000,00 €.