BGH: Doppelte Schriftformklausel in einem Gewerberaummietvertrag
BGH, Beschluss vom 25.1.2017 – XII ZR 69/16
ECLI:DE:BGH:2017:250117BXIIZR69.16.0
Volltext: BB-ONLINE BBL2017-462-1
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Amtliche Leitsätze
Eine in einem Mietvertrag über Gewerberäume enthaltene sog. doppelte Schriftformklausel kann im Falle ihrer formularmäßigen Vereinbarung wegen des Vorrangs der Individualvereinbarung nach § 305 b BGB eine mündliche oder auch konkludente Änderung der Vertragsabreden nicht ausschließen.
BGB §§ 305 b, 307, 550; ZPO § 91 a
Aus den Gründen
12 II. … 4. Keine Erfolgsaussichten hatte schließlich auch die Revisionsrüge, die den Nutzungszweck erweiternde, nicht in schriftlicher Form erfolgte Vertragsänderung sei wegen der sog. doppelten Schriftformklausel unwirksam, so dass es am Schriftformverstoß im Sinne des § 550 BGB fehle.
13 a) Freilich wird die das Oberlandesgericht zur Revisionszulassung veranlassende Rechtsfrage unterschiedlich beantwortet, ob eine doppelte Schriftformklausel im Falle ihrer formularmäßigen Vereinbarung eine mündliche oder auch konkludente Änderung der Vertragsabreden ausschließen kann.
14 Eine Auffassung bejaht dies unter Hinweis auf die Interessenlagen von Vertragsparteien in der Gewerberaummiete und darauf, dass sonst die Vereinbarung einer Einhaltung der Schriftform für Vertragsänderungen ihren Sinn verlöre (KG Grundeigentum 2014, 799, 800; OLG Frankfurt ZfIR 2013, 584, 585; KGR 2006, 86, 87; Bieber jurisPR-MietR 2/2013 Anm. 5; wohl auch OLG Naumburg NZM 2012, 808, 809; Wolf/Eckert/Ball Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts 10. Aufl. Rn. 157 f.).
15 Demgegenüber wird überwiegend die Meinung vertreten, dass eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte doppelte Schriftformklausel wegen Verstoßes gegen § 307 BGB unwirksam sei, weil sie den wegen § 305 b BGB unzutreffenden Eindruck erwecke, eine Änderungsvereinbarung sei nur schriftlich möglich (OLG München Urteil vom 7. April 2016 – 23 U 3162/15 - juris Rn. 41; OLG Brandenburg Grundeigentum 2012, 1375, 1376; OLG Rostock NZM 2009, 705; Blank in Blank/Börstinghaus Miete 5. Aufl. § 550 BGB Rn. 100; Bub in Bub/Treier Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete 4. Aufl. Kap. II Rn. 1790 f.; Erman/Arnold BGB 14. Aufl. § 125 Rn. 26; Emmerich/ Sonnenschein Miete 11. Aufl. § 550 BGB Rn. 38; MünchKommBGB/Basedow 7. Aufl. § 305 b Rn. 13; Palandt/Grüneberg BGB 76. Aufl. § 305 b Rn. 5; Schmidt-Futterer/Blank Mietrecht 12. Aufl. Vorbem zu § 535 BGB Rn. 49 f.; Schweitzer in Ghassemi-Tabar/Guhling/Weitemeyer Gewerberaummiete § 550 Rn. 106; Staudinger/Emmerich BGB [2014] § 550 Rn. 48; vgl. auch BAG NJW 2009, 316 Rn. 31 ff.).
16 b) Die Frage der Wirksamkeit einer doppelten Schriftformklausel in einem Gewerberaummietvertrag kann hier jedoch dahinstehen. Denn die Klausel bleibt jedenfalls wegen des Vorrangs der Individualvereinbarung nach § 305 b BGB wirkungslos (so auch OLG Hamm Urteil vom 21. April 2016 18 U 17/14 juris Rn. 76 ff.; OLG Düsseldorf ZMR 2007, 35; Bub in Bub/Treier Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete 4. Aufl. Kap. II Rn. 1788; jurisPK-BGB/Schur [Stand: 1. Dezember 2016] § 550 Rn. 32; Krüger ZfIR 2016, 531, 532).
17 aa) Für eine in einem Formularvertrag enthaltene einfache Schriftformklausel hat der Senat dies bereits entschieden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Parteien eine Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen beabsichtigt haben oder sich der Kollision mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch nur bewusst geworden sind. Unerheblich ist auch, ob die Individualvereinbarung ausdrücklich oder stillschweigend getroffen worden ist. Den Vorrang gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen haben individuelle Vertragsabreden ohne Rücksicht auf die Form, in der sie getroffen worden sind, und somit auch, wenn sie auf mündlichen Erklärungen beruhen. Das gilt selbst dann, wenn durch eine AGB-Schriftformklausel bestimmt wird, dass mündliche Abreden unwirksam sind (Senatsurteil BGHZ 164, 133 = NJW 2006, 138 f. mwN).
18 bb) Zwischen einfacher und doppelter Schriftformklausel sind insoweit keine maßgeblichen Unterschiede erkennbar. Der Vorrang der Individualvereinbarung muss bei beiden auch dann gewahrt bleiben, wenn man ein Interesse des Verwenders anerkennt, einem langfristigen Mietvertrag nicht durch nachträgliche mündliche Abreden die Schriftform zu nehmen, und deshalb eine solche Klausel ausnahmsweise als wirksam ansieht. Das gebieten Sinn und Zweck des § 305 b BGB, wonach vertragliche Vereinbarungen, die die Parteien für den Einzelfall getroffen haben, nicht durch davon abweichende Allgemeine Geschäftsbedingungen durchkreuzt, ausgehöhlt oder ganz oder teilweise zunichte gemacht werden können. Die Vorschrift beruht auf der Überlegung, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen als generelle Richtlinien für eine Vielzahl von Verträgen abstrakt vorformuliert und daher von vornherein auf Ergänzung durch die individuelle Einigung der Parteien ausgelegt sind. Sie können und sollen nur insoweit Geltung beanspruchen, als die von den Parteien getroffene Individualabrede dafür Raum lässt. Vereinbaren die Parteien wenn auch nur mündlich etwas anderes, so kommt dem der Vorrang zu (vgl. Senatsurteil BGHZ 164, 133 = NJW 2006, 138, 139).
19 Das Interesse des Klauselverwenders oder gar beider Vertragsparteien, nicht durch nachträgliche mündliche Absprachen die langfristige beiderseitige Bindung zu gefährden, muss gegenüber dem von den Parteien später übereinstimmend Gewollten zurücktreten. Es kommt - anders als bei einer individuell vereinbarten doppelten Schriftformklausel - auch nicht darauf an, ob die Parteien bei ihrer mündlichen Absprache an die entgegenstehende Klausel gedacht haben und sich bewusst über sie hinwegsetzen wollten (vgl. Senatsurteil BGHZ 164, 133 = NJW 2006, 138, 139 mwN).
20 c) Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass eine doppelte Schriftformklausel die Wahrung der Schriftform des § 550 BGB ohnedies nicht stets gewährleisten könnte. Zum einen kann eine Änderungsvereinbarung nach § 127 BGB der vertraglichen Form - und damit ggf. dem doppelten Schriftformerfordernis - genügen, ohne jedoch der von § 550 BGB geforderten gesetzlichen Schriftform zu entsprechen. Zum anderen kann ein Schriftformverstoß im Sinne des § 550 BGB trotz Wahrung der gesetzlichen Schriftform etwa darin begründet sein, dass mangels ausreichender Bezugnahme der Vertrag insgesamt nicht mehr den Anforderungen des § 550 BGB gerecht wird (vgl. dazu Schweitzer in Ghassemi-Tabar/Guhling/Weitemeyer Gewerberaummiete § 550 BGB Rn. 106).
21 d) Nichts anderes ergibt sich daraus, dass Klauselverwenderin hier die Vorvermieterin war. Zum einen wirkt § 305 b BGB nicht nur zu Ungunsten des Verwenders (vgl. BGHZ 129, 90 = NJW 1995, 1494, 1496; Ghassemi-Tabar in Ghassemi-Tabar/Guhling/Weitemeyer Gewerberaummiete § 305 b BGB Rn. 3 mwN). Zum anderen gebietet der Schutzzweck des § 550 BGB, dass die Klägerin als Erwerberin nicht sowohl an die nicht schriftlich geschlossene Individualabrede als auch an die vereinbarte Laufzeit gebunden ist …
Gewerberaummietvertrag
doppelte Schriftformklausel, Vorrang der Individualvereinabrung 2
Individualvereinbarung
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