OLG Hamburg: Digitale Mautvignetten
OLG Hamburg, Urteil vom 31.8.2023 – 15 U 18/23 Kart
Volltext: BB-Online BBL2023-2178-1
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Amtliche Leitsätze
1. Wird in einem kartellrechtlichen Eilverfahren eine auf Befriedigung des Beseitigungsanspruchs gerichtete Verfügung begehrt, setzt der Verfügungsgrund keine existenzielle Notlage des antragstellenden Unternehmens voraus. Ausreichend ist, dass der Antragsteller so dringend auf die Erfüllung des Anspruchs angewiesen ist, dass ihm die Verweisung auf später geltend zu machenden Schadensersatz nicht zumutbar ist und dass der ihm aus der Nichterfüllung drohende Schaden außer Verhältnis zu demjenigen Schaden steht, der dem Antragsgegner aus der sofortigen Erfüllung droht. In die gebotene Abwägung aller im Einzelfall in Rede stehenden Interessen sind auch die Erfolgsaussichten des Verfügungsantrags einzubeziehen (Anschluss an OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.12.2001 – U (Kart) 34/01, GRUR-RR 2002, 176, 178 [BB 2002, 592, Ls.]).
2. Einzelfallabhängig können auch erhebliche Umsatzverluste und die damit entfallenden Wachstumschancen einen Verfügungsgrund i.S.d. Ziffer 1. begründen; es bedarf dann keines Vortrags zu Gewinnausfällen (hier bejaht für ein Internet-Start-Up).
3. Der Verfügungsgrund in einem anhängigen einstweiligen Verfügungsverfahren entfällt nicht deswegen, weil der Antragsteller nicht innerhalb einer gewissen Frist auch ein entsprechendes Hauptsacheverfahren anhängig macht (entgegen OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2018 – VI-U (Kart) 7/18 – juris Rn. 104 ff. sowie OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.09.2020 – VI-U (Kart) 4/20 – juris Rn. 91).
4. Werden die Beseitigung und Unterlassung einer Behinderung zum Marktzutritt einerseits auf einen vertraglichen Schadensersatzanspruch gemäß § 249 BGB und andererseits auf die kartellrechtliche Anspruchsgrundlage gemäß § 33 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 GWB gestützt, so handelt es sich um zwei unterschiedliche Streitgegenstände. Der Anspruchsteller muss daher ein Rangverhältnis vorgeben, um dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen. Kostenrechtlich kann es sich dennoch um denselben Gegenstand im Sinne von § 45 Abs. 1 S. 3 GKG handeln.
5. Der Markt für suchwortgebundene Werbung im Umfeld von Internetsuchmaschinen ist ein eigener sachlicher Markt im Sinne des § 18 Abs. 1 GWB.
6. Der Anwendungsbereich der beiden Tatbestandsalternativen des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB ist deckungsgleich. Eine unbillige Behinderung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 GWB kann daher auch in einem vertikalen Wettbewerbsverhältnis anzunehmen sein.
7. Zur Frage der unbilligen Behinderung und ungerechtfertigten Ungleichbehandlung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB (hier jeweils bejaht) durch einen Anbieter suchwortgebundener Online-Werbung aufgrund der – nicht diskriminierungsfreien – Umsetzung einer Richtlinie, die Werbung für die Unterstützung bei der Beantragung oder Bezahlung hoheitlicher Dienstleistungen untersagt, wenn diese Dienstleistungen auch direkt bei einer staatlichen oder staatlich beauftragten Stelle erhältlich sind (hier: Vermittlung ausländischer digitaler Straßenmautvignetten).
§ 18 Abs. 1 GWB; § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB; § 33 Abs. 1 GWB; § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO; §§ 935, 940 ZPO
Sachverhalt
I.
Die Parteien streiten im Eilverfahren darum, ob die Antragsgegnerin von der Antragstellerin gewünschte suchwortgebundene Werbeanzeigen für Dienstleistungen der Antragstellerin im Umfeld von G.-Suchergebnissen zu ihren „Auktionen“ zulassen und sie in der Folge ggf. „ausspielen“, also schalten muss oder ob sie dies verweigern darf, was sie seit dem 03.01.2023 tut.
Die Antragstellerin hat beim DPMA sowie beim EUIPO die Wortmarke „vi…“ registriert. Sie betreibt unter anderem und vor allem einen Dienst für die Vermittlung von digitalen Vignetten („e-Vignetten“) für die Benutzung mautpflichtiger Straßen insbesondere in Osteuropa über verschiedene Portale. So vermittelt sie über die Internetseiten […] den Erwerb von Vignetten jeweils für die Länder Ungarn, Slowenien, Bulgarien, Slowakei und für die Tschechische Republik. Auf der Webseite www.vi....com werden Vignetten für alle genannten Länder angeboten.
Bei dem Dienstleistungsangebot der Antragstellerin handelt sich um einen vollständig digitalen Service, der nur online angeboten wird. Die Antragstellerin bietet ihren Kunden den Erwerb der e-Vignetten mittels unterschiedlicher, jedenfalls für einige der genannten Länder über das jeweilige staatliche Angebot hinausgehender Zahlungsmittel in einer einheitlichen Währung (Euro) an, auch für mehrere Länder gleichzeitig und / oder als Abonnement. Ihre Internetseiten sind in unterschiedlichen Sprachfassungen nutzbar, die jedenfalls zum Teil über die vom jeweiligen staatlichen Angebot umfassten Sprachfassungen hinausgehen. Ein Kunde der Antragstellerin zahlt bei Inanspruchnahme dieser Dienstleistung den Vignettenpreis des jeweiligen Mautbetreibers sowie ein Dienstleistungsentgelt, das je nach Höhe des Vignettenpreises variiert und im letzten Bestellschritt angezeigt wird.
Die Antragsgegnerin ist eine Tochtergesellschaft der G. LLC mit Sitz in Mountain View / Kalifornien, USA, und Betreiberin der Suchmaschine G. in der EU. Sie bietet Werbetreibenden mit dem Dienst G. Ads die Möglichkeit, im Rahmen der Suchmaschine G. suchwortgebundene Textanzeigen zu schalten. Werbetreibende können nach kostenloser Registrierung für diesen Dienst verschiedene Ads-Kampagnen einreichen und dafür jeweils Anzeigentexte zu verschiedenen Schlüsselbegriffen (Keywords) eingeben und verwalten. Gibt ein Nutzer in die Suchmaschine G. ein solches Keyword ein, nimmt die entsprechende Anzeige an einer automatischen Auktion teil, also einem Gebotsverfahren um einen Anzeigenplatz, und wird im Erfolgsfall neben, über oder unter der Suchergebnisliste (den „organischen Suchergebnissen“) als Anzeige ausgespielt. Klickt ein Nutzer auf die Anzeige, leitet ihn sein Browser auf die in der Anzeige verlinkte „Landingpage“ des Werbetreibenden weiter. Nur in diesem Fall muss der Werbetreibende an die Antragsgegnerin ein Entgelt zahlen („Cost-per-Click“).
Die Antragstellerin ist seit dem Jahr 2018 mit der Nummer […] für den G. Ads-Dienst registriert und hat ihn seitdem genutzt. Bis zum Oktober 2022 ließ die Antragsgegnerin Werbeanzeigen der Antragstellerin zu und spielte diese aus. Die Antragstellerin zahlte für die ausgespielten und von Nutzern angeklickten Werbeanzeigen Entgelt in erheblichem Umfang an die Antragsgegnerin (zuletzt 4,17 Mio. € in den 12 Monaten bis zum Oktober 2022, s. Anlage K3 S. 10).
Im Oktober 2022 sperrte die Antragsgegnerin unangekündigt das gesamte G. Ads-Konto der Antragstellerin. Gegen diese Sperrung ging die Antragstellerin erfolgreich im einstweiligen Rechtsschutz vor dem Landgericht Hamburg vor. Aufgrund des rechtskräftig gewordenen Urteils vom 27.12.2022 (Az. 415 HKO 84/22, GRUR-RS 2022, 43566, hier eingereicht als Anlage K4) schaltete die Antragsgegnerin das Konto der Antragstellerin am 03.01.2023 wieder frei, lehnte dann aber ab sofort alle einzelnen Anzeigen der Antragstellerin für den Vertrieb von e-Vignetten wegen Verstoßes gegen ihre Richtlinie „offizielle/staatliche Dokumente und Dienstleistungen“ (im Folgenden: OSDD-RL) ab. Die seit Ende Juli 2020 geltende OSDD-RL der Antragsgegnerin (vorgelegt als Anlage K19) lautete wie folgt:
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Unstreitig wurden auch nach der Kontosperrung und auch noch während dieses bereits laufenden Eilverfahrens wiederholt auch deutschsprachige Anzeigen von Wettbewerbern der Antragstellerin in G. Ads ausgespielt, wie etwa zuletzt die Anzeigen des Anbieters autobahn24.shop für e-Vignetten für Slowenien und die Slowakei am 21.06.2023 (s. S. 34 ff. des Schriftsatzes vom 26.06.2023 und die dortigen diversen Screenshots).
Die Antragstellerin begehrt die Entsperrung zahlreicher konkret benannter Werbeanzeigen für die Vermittlung von e-Vignetten sowie die Unterlassung der künftigen Ablehnung solcher Anzeigen mit Verweis auf die OSDD-RL. Sie meint, ihr stünden diese Ansprüche gegen die Antragsgegnerin sowohl auf vertraglicher Grundlage als auch auf Grundlage des Kartellrechts zu. Die OSDD-RL entfalte aus mehreren Gründen keine Wirksamkeit zwischen den Parteien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands sowie des Wortlauts der vor dem Landgericht gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angegriffene Urteil unter Berücksichtigung des Tatbestandsberichtigungsbeschlusses vom 12.04.2023 verwiesen.
Das Landgericht hat einen Verfügungsanspruch verneint und daher die begehrte einstweilige Verfügung nicht erlassen. Die Antragstellerin habe nicht mit der notwendigen überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht, einen Anspruch auf Entsperrung ihrer Anzeigen für e-Vignetten bzw. auf Unterlassung der Ablehnung solcher Anzeigen zu haben. Dieser ergebe sich weder aus § 241 Abs. 1 und 2, § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 1 BGB i.V.m. dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Nutzungsvertrag noch aus § 33, § 19 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GWB bzw. Art. 102 AEUV. Zwar bestehe zwischen den Parteien ein rahmenvertragliches Verhältnis über die Nutzung des Werbeprogramms G. Ads der Antragsgegnerin, aufgrund dessen die Antragsgegnerin verpflichtet sei, der Antragstellerin zu ermöglichen, im Rahmen der Nutzungsbedingungen Werbung auf ihrer Werbeplattform zu platzieren. Die Antragstellerin könne jedoch keine Entsperrung der Anzeigen für e-Vignetten verlangen, weil sie eine Verletzung des Rahmenvertrages durch die Ablehnung dieser Anzeigen nicht glaubhaft gemacht habe. Die erst nachträglich geschaffene OSDD-RL sei wirksam in den bereits bestehenden Rahmenvertrag einbezogen worden. Sie sei weder individualvertraglich abbedungen worden noch überraschend im Sinne von § 305c BGB, und sie halte einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB stand. Der Anspruch ergebe sich auch nicht aus Kartellrecht wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch die Antragsgegnerin. Zwar sei glaubhaft gemacht worden, dass die Antragsgegnerin ein marktbeherrschendes Unternehmen auf dem vorliegend relevanten Angebotsmarkt für Onlinewerbung und damit Normadressatin des § 19 GWB sei. Es liege jedoch kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vor. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung sei nicht gegeben, obwohl auf der Plattform der Antragsgegnerin weiterhin Anzeigen für die Vermittlung von e-Vignetten von Wettbewerbern der Antragstellerin ausgespielt wurden, so dass objektiv eine Ungleichbehandlung der Antragstellerin gegenüber Wettbewerbern vorliege. Es könne aber nicht außer Acht gelassen werden, dass die Antragsgegnerin ein Angebot unterbreite, dass grundsätzlich diskriminierungsfrei jedem Werbetreibenden offenstehe und dessen Einschränkungen aufgrund der Richtlinien angesichts der nicht überschaubaren Menge an Anzeigen faktisch nicht lückenlos vorab überwacht werden könnten, so dass die Antragsgegnerin auch reaktiv tätig werden müsse, um die Einhaltung ihrer Richtlinien durchzusetzen. Die Antragsgegnerin habe hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie sich bemühe, Anzeigen für e-Vignetten generell zu unterbinden, und dass sie sich seit dem Aufkommen der Auseinandersetzung mit der Antragstellerin bemühe, ein immer engeres Netz zu knüpfen, um das Ausspielen von derartigen Anzeigen zu verhindern. Es liege keine Ungleichbehandlung vor, wenn ein Wettbewerber der Antragstellerin nur deshalb eine Anzeige ausspiele, weil es aus technischen Gründen oder wegen unzulässiger Umgehungsversuche von Mitbewerbern (noch) nicht gelungen sei, sämtliche Anzeigen für e-Vignetten zu verhindern. Ob die Antragsgegnerin in einem Hauptsacheverfahren konkreter darzulegen hätte, welche Maßnahmen sie ergriffen habe, um Anzeigen dieser Art so weit wie nur möglich zu verhindern, könne offenbleiben. Die von der Antragstellerin glaubhaft gemachte Behinderung durch die Ablehnung ihrer Anzeigen sei bei umfassender Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht als unbillig anzusehen. Ein Konditionenmissbrauch durch Verwendung unwirksamer allgemeiner Geschäftsbedingungen sei nicht glaubhaft gemacht, weil die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Antragsgegnerin nicht unwirksam seien. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf das angegriffene Urteil verwiesen.
Die Antragstellerin greift dieses Urteil vollen Umfangs an. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen und rügt sowohl Rechtsfehler als auch Fehler in der Tatsachenfeststellung durch das Landgericht. Unter anderem macht sie geltend, dass das Landgericht streitigen Vortrag als unstreitig gewertet, unstreitig gebliebenen Vortrag der Antragstellerin sowie die von ihr vorgetragenen erheblichen Auswirkungen der Sperrung unbeachtet gelassen habe, eine Glaubhaftmachung durch die Antragsgegnerin bzgl. ihrer angeblichen Bemühungen zur Durchsetzung der OSDD-RL angenommen habe, obwohl keinerlei Glaubhaftmachung erfolgt sei, und losgelöst vom Parteivortrag spekulative eigene Feststellungen getroffen habe. Daneben führt sie weitere Aspekte zu den Auswirkungen der Kontosperrung bzw. Ablehnung ihrer Anzeigen in Bezug auf ihren Umsatz und den Kundentraffic auf ihrer Internetseite an. Ferner trägt sie unbestritten vor, dass die Antragsgegnerin auch während dieses Berufungsverfahrens weiterhin Werbeanzeigen von Wettbewerbern der Antragstellerin ausspiele, und reicht dazu Screenshots ein.
Auf Nachfrage des Senats hat die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung zunächst mitgeteilt, ihre Ansprüche in erster Linie auf Vertragsrecht und in zweiter Linie auf Kartellrecht zu stützen. Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung hat sie erklärt, dass sie die Ansprüche nunmehr vorrangig auf das Kartellrecht und erst nachrangig auf Vertragsrecht stütze. Zudem hat sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat den Antrag zu 2) insoweit zurückgenommen, als er sich neben den e-Vignetten auch auf Inkassodienstleistungen für Fahrgastrechtsfälle bezog. Sodann hat sie beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 3. Februar 2023, Az. 415 HKO 5/23, anzuordnen:
1. Die Antragsgegnerin hat alle für die Vermittlung von elektronischen Vignetten auf dem G. Ads-Kundenkonto Nr. […] eingestellten Werbeanzeigen, Anzeigenerweiterungen oder Kampagnen zu entsperren, die in Anlage K39 genannt werden und durch die Antragsgegnerin seit dem 3. Januar 2023 mit der Begründung gesperrt wurden, dass es sich dabei um die Bewerbung offizieller, staatlicher oder hoheitlicher Dienstleistungen oder Dokumente oder eine Unterstützung bei der Beantragung oder Bezahlung solcher handele.
2. Die Antragsgegnerin hat es auch zukünftig zu unterlassen, die von der Antragstellerin für die Vermittlung von elektronischen Vignetten auf dem G. Ads-Kundenkonto Nr. […] eingestellten Werbeanzeigen, Anzeigenerweiterungen oder Kampagnen mit einer Begründung, die der in Ziffer 1 beschriebenen Begründung entspricht, abzulehnen.
3. Der Antragsgegnerin wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer 2. ausgesprochenen Verpflichtungen ein Ordnungsgeld bis zu EUR 250.000 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten festgesetzt werden kann.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags und macht zusätzlich geltend, dass die Rechtsverfolgung der Antragstellerin nicht dringlich sei, weil sie ihr Begehren bislang unstreitig nicht in der Hauptsache verfolgt. In der Berufung erstmals gehaltenen Vortrag der Antragstellerin rügt sie als verspätet gemäß § 531 Abs. 2 ZPO, bestreitet ihn und hält ihn für nicht ausreichend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Berufungsverfahren wird auf die bis zum 06.07.2023 gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlungen verwiesen.
Die Antragsgegnerin hat mit nicht nachgelassenem Schriftsatz von 04.08.2023 weiter vorgetragen, worauf die Antragstellerin mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 10.08.2023 Stellung genommen hat.
Aus den Gründen
II.
Die zulässige, nämlich sowohl statthafte als auch form- und fristgemäß eingelegte und begründete Berufung hat Erfolg, soweit noch zu entscheiden ist.
Die Antragstellerin hat ihren Antrag zu 2. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat insoweit zurückgenommen, als es die Ablehnung von Werbeanzeigen für ihre Inkassodienstleistungen für Fahrgastrechtsfälle betrifft. Eine (teilweise) Antragsrücknahme ist im einstweiligen Verfügungsverfahren jederzeit auch ohne Zustimmung des Antragsgegners möglich (s. Foerste in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, § 269 Rn. 22 m.w.N.), so dass die teilweise Rücknahme ohne Weiteres wirksam geworden ist. Demnach stehen nur noch Werbeanzeigen für die Vermittlung von e-Vignetten in Streit. Daher kann dahinstehen, ob der vom Landgericht offenbar versehentlich in der Sache nicht beschiedene Teil des Antrags zu 2. betreffend die Fahrgastrechte noch beim Landgericht rechtshängig war oder vom erkennenden Senat hätte beschieden werden können.
1.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist in der zuletzt gestellten Form zulässig.
a.
Die gestellten Anträge sind – ob als Unterlassungs- oder Leistungsanträge – ihrem Wortlaut nach hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO; die Antragsgegnerin hat auch nichts Gegenteiliges geltend gemacht. Die Werbeanzeigen, Anzeigenerweiterungen und Kampagnen, auf die sich der Antrag zu 1. bezieht, sind in der mit dem Antrag in Bezug genommenen Anlage K39 einzeln und mit ihrer jeweiligen Nummer aufgelistet.
Es liegt auch keine unzulässige alternative Anspruchshäufung (mehr) vor, denn die Antragstellerin hat die beiden unterschiedlichen Streitgegenstände, die sie zur Begründung ihrer Anträge in das Verfahren eingeführt hat, inzwischen in eine Reihenfolge gestellt.
Die Antragstellerin hat ihre Anträge zu 1. und 2. jeweils einerseits aus Vertrag (§ 280 Abs. 1, § 249 Abs. 1 BGB i.V.m. den Nutzungsbedingungen gemäß Anlage K1 bzw. der Vertragsbestätigung gemäß Anlage K10) und andererseits aus Kartellrecht und damit aus Gesetz (§ 33 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 bzw. § 19 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 und Alt. 2 GWB) begründet.
Die verschiedenen kartellrechtlichen Gesichtspunkte (Konditionenmissbrauch, unbillige Behinderung und ungerechtfertigte Ungleichbehandlung) stellen unter sich keine gesonderten Streitgegenstände dar, denn es geht insoweit jeweils um denselben Lebenssachverhalt.
Allerdings handelt es sich bei den vertraglichen Ansprüchen einerseits und den kartellrechtlichen gesetzlichen Ansprüchen andererseits um unterschiedliche Streitgegenstände. Die Anträge sind jeweils wortlautidentisch, so dass auch die jeweils begehrte Rechtsfolge dieselbe ist. Indes kommt es nach dem vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung angewendeten zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff nicht nur auf den Antrag, sondern auch auf den zur Begründung des Antrags vorgetragenen Lebenssachverhalt an. Eine Mehrheit von Streitgegenständen liegt vor, wenn die materiell-rechtliche Regelung die zusammentreffenden Ansprüche durch eine Verselbstständigung der einzelnen Lebensvorgänge erkennbar unterschiedlich ausgestaltet (st. Rspr.; s. nur BGH NJW 2017, 61 Rn. 24). Das ist hier der Fall. Für die Zuerkennung eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs sind die Fragen zu beantworten, ob die Parteien einen Vertrag geschlossen haben, wie dieser auszulegen ist (also: ob er einen Anspruch auf Zulassung von Anzeigen zur Auktion gewährt bzw. ob die Antragsgegnerin jedwede Anzeige einfach ablehnen darf), ob die OSDD-RL als allgemeine Geschäftsbedingungen anzusehen ist oder nicht und wenn ja, ob diese in den Vertrag einbezogen und wirksam oder individuell abbedungen wurden und ob sie von ihrer sachlichen Reichweite das Geschäftsmodell der Antragstellerin erfassen oder nicht. Kartellrechtlich hängt der Anspruch davon ab, ob die Antragsgegnerin auf einem (genau zu bestimmenden Markt) marktbeherrschend ist und ob sie mit der Ablehnung der Werbeanzeigen den Tatbestand von § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB erfüllt (auch wenn möglicherweise in Bezug auf eine unangemessene Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB einerseits und eine unbillige Behinderung i.S.v. § 19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 GWB andererseits ähnliche Erwägungen anzustellen wären). Es handelt sich um unterschiedliche, voneinander abgegrenzte und unabhängige Lebensvorgänge. Dementsprechend ist auch der zur schlüssigen Begründung der Ansprüche zu haltende Tatsachenvortrag unterschiedlich: Für den vertraglichen Anspruch bedarf es eines bereits geschlossenen Vertrags, der für den kartellrechtlichen Anspruch im Grundsatz unerheblich ist (dieser Anspruch könnte auch von einem abgelehnten potenziellen Neukunden geltend gemacht werden, wenn auch möglicherweise zunächst auf Abschluss eines Rahmenvertrags und erst dann auf Zulassung einzelner Anzeigen zur Auktion gerichtet). Und obwohl die von der Antragstellerin in den wortlautidentischen Anträgen formulierte Rechtsfolge hier dieselbe ist, sind der vertragliche und der gesetzliche Anspruch im Ausgangspunkt von unterschiedlicher Qualität: Einerseits geht es um Schadensersatz für eine bereits begangene Vertragspflichtverletzung (hier entsprechend der jüngeren BGH-Rechtsprechung gerichtet auf Naturalrestitution und Unterlassung im noch andauernden Vertragsverhältnis), andererseits um die Beseitigung einer noch bestehenden wettbewerbswidrigen Beeinträchtigung bzw. die Unterlassung einer solchen künftigen Beeinträchtigung.
Demnach war es erforderlich, dass die Antragstellerin vorgibt, in welcher Reihenfolge sie die beiden unterschiedlichen Streitgegenstände geltend macht. Denn wenn der Kläger ein einheitliches Klagebegehren aus mehreren Streitgegenständen herleitet und dem Gericht die Auswahl überlässt, auf welchen Klagegrund es die Verurteilung stützt, liegt ein Verstoß gegen das in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kodifizierte Gebot vor, den Klagegrund bestimmt zu bezeichnen (s. nur BGH NJW 2018, 1259 Rn. 8 m.w.N.). Diese notwendige Vorgabe ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat letztlich dahingehend erfolgt, dass die Antragstellerin primär aus Kartellrecht vorgeht. Da eine Festlegung oder Änderung der Reihenfolge auch im Laufe des Verfahrens und sogar in der Revisionsinstanz noch möglich ist (s. BGH GRUR 2011, 521 Rn. 13; BGH GRUR 2013, 833 Rn. 21), ist dies ausreichend. Sollte die in der mündlichen Verhandlung geschehene Umstellung der Reihenfolge eine Antragsänderung im Sinne von § 533 ZPO darstellen, wäre sie zulässig. Denn zum einen ist die Antragsgegnerin dem nicht entgegengetreten, und die Änderung ist auch sachdienlich (§ 533 Nr. 1 ZPO). Zum anderen ist sie auf Tatsachen gestützt, die der Senat seiner Verhandlung und Entscheidung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat (§ 533 Nr. 2 ZPO), nachdem das Landgericht sowohl über den vertraglichen als auch den kartellrechtlichen Anspruch entschieden und die Antragstellerin das Urteil unter beiden Aspekten vollständig angegriffen hat.
b.
Die angerufenen Hamburger Gerichte sind international zuständig. Für die geltend gemachten vertraglichen Ansprüche ergibt sich dies angesichts der unstreitig getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung (s. dazu Ziffer 13(a) der AGB der Antragsgegnerin, Anlage K11) aus Art. 25 EuGVVO. Für die geltend gemachten kartellrechtlichen Ansprüche ergibt sich die Zuständigkeit aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Im Übrigen folgt sie für das Eilverfahren insgesamt zudem aus Art. 35 EuGVVO und wegen rügeloser Einlassung der Antragsgegnerin auch aus Art. 26 Abs. 1 S. 1 EuGVVO.
2.
Der Antrag ist auch begründet. Es besteht ein Verfügungsgrund (dazu unter a.), und der Verfügungsanspruch ist aus dem primär geltend gemachten Kartellrecht zu bejahen (dazu unter b.). Auf die Frage, ob der Antragstellerin auch entsprechende, hilfsweise geltend gemachte vertragliche Ansprüche zustehen, kommt es nicht mehr an.
a.
Es besteht ein Verfügungsgrund im Sinne von §§ 935, 940 ZPO. Danach sind einstweilige Verfügungen zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte und zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes auch dann, wenn eine Regelung insb. zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Da die Antragstellerin kartellrechtliche und vertragliche Ansprüche geltend macht, gilt die lauterkeitsrechtliche Dringlichkeitsvermutung gemäß § 12 Abs. 1 UWG nicht, auch nicht analog (vgl. Drescher in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 935 Rn. 71 m.w.N., auch zur a.A.). Auch der Unterlassungsanspruch nach § 33 Abs. 1 Alt. 2 GWB kann jedoch grundsätzlich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren geltend gemacht werden, allerdings nur bei dringenden Gründen bzw. in engen Grenzen (Drescher, a.a.O. Rn. 71 f. m.w.N.). Nichts anderes gilt für den Beseitigungsanspruch gemäß § 33 Abs. 1 Alt. 1 GWB. Solche dringenden Gründe, die auch eine temporäre Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen, liegen hier nach Dafürhalten des Senats vor.
Vorliegend geht es zwar mit dem Antrag zu 1. nicht um einen Anspruch, der zu einem Kontrahierungszwang im Sinne eines materiell-rechtlichen Belieferungsanspruchs führt. Im Gegenteil handelt es sich eher um eine „Ab- oder Annahmepflicht“ der Antragsgegnerin. Dennoch würden durch die begehrte Entsperrung die Werbeanzeigen der Antragstellerin irreversibel für einen gewissen Zeitraum wieder zur Auktion zugelassen und in der Folge gegebenenfalls aufgrund des automatisierten Auktionsverfahrens auch ausgespielt werden. Das lässt sich nicht rückgängig machen, ist also auf (temporär begrenzte) Befriedigung gerichtet.
Für solche Leistungs- bzw. Befriedigungsverfügungen ist anerkannt, dass sie im summarischen Eilverfahren nur in besonderen Fällen zulässig sind, wobei die kartellrechtliche Rechtsprechung der Oberlandesgerichte nicht ganz einheitlich ist: Teilweise wird eine Notlage bzw. eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz gefordert, teilweise sollen erhebliche wirtschaftliche Nachteile ausreichen, wenn ein Zuwarten nicht möglich und der Verweis auf späteren Schadensersatz nicht zumutbar ist (Ollerdißen in: Handbuch des Kartellrechts, 4. Auflage, § 61 Rn. 76 f. m.w.N.). Maßgeblich ist nach allgemeiner Ansicht die Gesamtwürdigung aller in Betracht kommender Gesichtspunkte des Einzelfalls (vgl. Ollerdißen, a.a.O. Rn. 78). Der erkennende Senat erachtet den vom Oberlandesgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 05.12.2001 (GRUR-RR 2002, 176, 178 unter Ziffer 2.) formulierten Maßstab für überzeugend. Danach darf eine auf Erfüllung des Hauptsacheanspruchs gerichtete einstweilige Verfügung nur ergehen, wenn der Anspruchsteller darlegt und ggf. glaubhaft macht, dass er so dringend auf die sofortige Erfüllung seines Anspruchs angewiesen ist und andernfalls so erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleiden würde, dass ihm ein Zuwarten (wenn überhaupt möglich) oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach Wegfall des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs nicht zumutbar ist. Es muss aber keine existenzielle Notlage vorliegen, denn andernfalls stünde der Eilrechtsschutz letztlich nur solchen Antragstellern offen, die unmittelbar vor der Insolvenz stehen. Überdies könnten Unternehmen mit mehreren Geschäftszweigen, von denen nur einer kartellrechtswidrig beeinträchtigt wird, keinen wirkungsvollen Eilrechtsschutz erlangen, wenn das Unternehmen dank der weiteren Geschäftszweige nicht in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist.
In die Bewertung muss nach der zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (GRUR-RR 2002, 176, 178) einbezogen werden, inwieweit die Ablehnung einer Befriedigungsverfügung zu einer Rechtsverweigerung führt. Der Erlass einer auf Anspruchsbefriedigung gerichteten einstweiligen Verfügung kommt dann in Betracht, wenn der dem Antragsteller aus der Nichterfüllung drohende Schaden außer Verhältnis zu demjenigen Schaden steht, der dem Antragsgegner aus der sofortigen Erfüllung droht. In die gebotene Abwägung der beiderseitigen Belange der Parteien sind darüber hinaus die Erfolgsaussichten des Verfügungsantrags einzubeziehen. Ist die Rechtslage eindeutig und lässt sich die Berechtigung des verfolgten Anspruchs zweifelsfrei feststellen, so ist der Anspruchsgegner trotz des summarischen Charakters der Verfahrensart weniger schutzwürdig, und es überwiegt im Zweifel das Interesse des Anspruchstellers daran, dass sein Anspruch bereits im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erfüllt wird. Diese Beurteilungskriterien stehen bei der Abwägung in einer Wechselbeziehung zueinander: Ist die Berechtigung des geltend gemachten Anspruchs eindeutig und / oder liefe die Versagung einer Befriedigungsverfügung mehr oder weniger auf eine endgültige Rechtsverweigerung hinaus, sind geringere Anforderungen an die wirtschaftliche Notlage zu stellen. Umgekehrt ist die Schwelle für die darzulegende Notlage höher anzusetzen, wenn die Rechtslage nicht zu Gunsten des Antragstellers zweifelsfrei ist und / oder eine Verweisung auf die Geltendmachung von Schadensersatz zumutbar ist (s. dazu auch OLG Köln GRUR 2017, 1048 Rn. 26 – Dampfreinigungsgeräte; OLG Frankfurt a.M. MMR 2011, 181, 182; LG Hamburg GRUR-RS 2022, 26049. Rn. 124 – 126; Huber in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, § 940 Rn. 14).
Nach diesem Maßstab ist ein Verfügungsgrund zu bejahen, denn die Antragsgegnerin handelt sowohl unter Behinderungs- als auch unter Diskriminierungsgesichtspunkten kartellrechtswidrig (s. dazu unter b.), und die der Antragstellerin daraus entstehenden Nachteile sind von ganz erheblichem Gewicht, wohingegen die stattgebende Entscheidung sich für die Antragsgegnerin wirtschaftlich nicht negativ und auch im Übrigen überschaubar und damit zumutbar auswirkt. Im Einzelnen:
Die Antragstellerin hat vorgetragen und durch eidesstattliche Versicherungen des Herrn H. (Anlagen K3 und BK5) glaubhaft gemacht, dass ihr Unternehmen bis zur erstmaligen Kontosperre durch die Antragsgegnerin im Oktober 2022 stetig gewachsen sei, wobei G. Ads ihr absoluter Hauptwerbekanal für ihr reines Onlinegeschäft (gewesen) sei. Sie habe den allergrößten Teil des Umsatzes über Kunden erzielt, die direkt über G. Ads-Anzeigen auf ihre Webseiten geleitet worden seien, nämlich 77% der Kunden in den 12 Monaten vor der Sperrung im Oktober 2022. Die Nutzung von G. Ads sei für einen Onlinedienst wie den der Antragstellerin alternativlos, weil die Nutzer den Kauf einer e-Vignette zu ganz großen Teilen in der marktführenden G.-Suche beginnen und dann durch die Anzeigen an einen Anbieter vermittelt würden. Es gebe keine anderen vergleichbaren Werbemittel und -maßnahmen, welche die Suchmaschinenwerbung für ihre Dienstleistungen ersetzen könnten. Das zeige sich auch daran, dass der Umsatz der Antragstellerin seit Sperrung ihres G. Ads-Kontos um ca. 83% zurückgegangen sei. So habe der 6-Wochen-Umsatz unmittelbar vor der Sperrung bei 3.035.000 € gelegen und unmittelbar danach bei nur noch 508.718 €. Die nach Aufhebung der Kontosperre erfolgte Deaktivierung sämtlicher Anzeigen habe auf den Umsatz den gleichen Effekt wie die vorherige Sperrung. Maßgeblicher Parameter für kartellrechtliche Sachverhalte, allemal bei einem nur online tätigen Start-Up-Unternehmen wie der Antragstellerin, sei der Umsatz, nicht jedoch der Gewinn. Letzterer habe kaum Aussagekraft in der derzeitigen Entwicklungsphase des Unternehmens der Antragstellerin, in der das Wachstum und damit die Umsatzsteigerung und der Neukundengewinn entscheidend seien. Insbesondere basiere auch die Finanzplanung auf dem geplanten Wachstum. Die organischen Suchergebnisse könnten die Werbung über G. Ads nicht ersetzen, zumal Wettbewerber der Antragstellerin weiterhin unbehelligt Werbung über G. Ads schalten und dabei teilweise sogar auf die Marke „vi…“ der Antragstellerin bieten würden (sog. brand bidding), so dass deren Anzeigen ausgespielt würden, wenn ein Nutzer nach „vi…“ und damit der Marke der Antragstellerin suche. Die Umsätze auf den von der Antragstellerin betriebenen weiteren Seiten verkehr1.de und fahrkartenerstattung.de könnten den Umsatzrückgang betreffend die e-Vignetten aufgrund ihres geringen Volumens nicht ausgleichen, und weitere relevante Umsätze seien nicht vorhanden. Die Zahlungsfähigkeit und der Fortbestand ihres Unternehmens könnten gefährdet sein; ihr werde jede Wachstumsmöglichkeit genommen. Zudem erleide sie einen nachhaltigen, irreparablen Reputationsschaden bei Banken, Zahlungsabwicklern wie P. und Geschäftspartnern. So seien besonders günstige Sonderkonditionen, die die Antragstellerin aufgrund des hohen Umsatzes habe verhandeln können, wegen nicht erreichter Umsatzvolumina gefährdet. Die Kündigung der Sonderkonditionen würde zu langfristig höheren Betriebskosten und damit zu enormen Schäden führen, und der Vertrauensverlust gefährde einen späteren erneuten Erhalt von Sonderkonditionen. Da das e-Vignettengeschäft in Tschechien (seit dem 01.01.2021) und in Slowenien (seit dem 01.12.2021) noch recht neu sei, sei es besonders wichtig, sich in dem noch jungen Markt langfristig zu etablieren durch Neukunden- und Stammkundengewinnung. Zahlreiche Mitarbeiter der Antragstellerin seien infolge der Anzeigensperre bzw. -ablehnung praktisch arbeitslos, es seien bereits vier Stellen (= 27%) abgebaut worden, und weitere Kündigungen würden drohen, wohingegen das Unternehmen ohne die Sperrung auch bzgl. der Mitarbeiterzahl gewachsen wäre. Einmal verlorene Mitarbeiter durch neue zu ersetzen, die gefunden und eingearbeitet werden müssten, bedeute einen erheblichen Aufwand.
Demgegenüber macht die Antragsgegnerin geltend, dass die Antragstellerin weder auf die begehrte Handlung der Antragsgegnerin dringend angewiesen sei noch ein Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache zu erwarten oder gar in höchstem Maße wahrscheinlich sei. Daher fehle es am Verfügungsgrund für die begehrte Befriedigungsverfügung. Eine Existenzbedrohung habe die Antragstellerin selbst widerlegt, indem sie mit der Abmahnung bis zum 05.01.2023 gewartet habe, obwohl sie schon aufgrund des Schriftsatzes der Antragsgegnerin vom 05.12.2022 im Verfahren 415 HKO 82/22 hätte darauf hinwirken können und müssen, dass ihre Anzeigen wieder vermittelt werden. Daher sei nicht glaubhaft, dass die Antragstellerin kein Hauptsacheverfahren abwarten könne. Den vorgetragenen Umsatzrückgang sowie die Kausalität der Anzeigenablehnung dafür bestreitet die Antragsgegnerin mit Nichtwissen. Eine Existenzbedrohung sei nicht glaubhaft gemacht. Der Umsatzrückgang könne sich auch aus der gesamtwirtschaftlichen Lage oder ferienbedingten Schwankungen ergeben. Zudem dürften die Umsätze wieder gestiegen sein, nachdem die Antragsgegnerin auch Anzeigen von Wettbewerbern abgelehnt habe. Dass es keine Alternativen zu G. Ads gebe, werde bestritten. Es fehle Vortrag der Antragstellerin zu Kompensationsmaßnahmen. Der Umsatz sei kein aussagekräftiger Parameter, es komme auf den Gewinn an. Dazu habe die Antragstellerin – was zutrifft – jedoch keinen Vortrag gehalten. Mangels Vortrags zum Gewinn sei nicht auszuschließen, dass das Geschäft der Antragstellerin aktuell mindestens so profitabel sei wie zuvor, zumal die Antragstellerin die erheblichen Kosten von ca. 330.000 € monatlich für Anzeigen über G. Ads erspare. Die in der Berufungsinstanz vorgelegten und daher ohnehin gemäß § 531 Abs. 2 ZPO verspäteten Analysen würden keinen fortwährenden Umsatzeinbruch nachweisen. Der Umsatz aus dem Vertrieb bulgarischer Vignetten scheine nach der Kontosperre im Oktober 2022 fast identisch zu sein wie derjenige aus Oktober 2021 bis Februar 2022. Die anderen Umsätze seien seit Mitte November 2022 wieder gestiegen. Der Vortrag der Antragstellerin zu Abgängen von Mitarbeitern sei zu unkonkret und werde zudem mit Nichtwissen bestritten, auch bezüglich der Kausalität der Kontosperrung für die Abgänge. Überdies habe die Antragstellerin, was unstreitig ist, am 26.04.2023 fünf Stellen gemäß Anlage AG31 ausgeschrieben, was ihre Existenzbedrohung widerlege. Einen irreparablen Reputationsschaden habe die Antragstellerin nicht belegt, sondern sich im Gegenteil bemüht, den Rechtsstreit für eine Werbekampagne in eigener Sache zu verwenden, indem sie detaillierte Informationen an die Presse weitergegeben und das landgerichtliche Urteil als untragbar präsentiert habe. Es sei auch unklar, woraus sich ein Reputationsschaden ergeben soll, wenn die Antragstellerin genauso behandelt wird wie ihre Wettbewerber. Zudem seien erhebliche wirtschaftliche Nachteile durch einen reinen Umsatzrückgang bei einem Geschäftsmodell mit hoher Skalierbarkeit wie dem der Antragstellerin nicht plausibel: Solche Geschäftsmodelle seien durch sehr geringe Fixkosten gekennzeichnet, so dass punktuelle Umsatzrückgänge weniger gravierend als für andere Modelle seien. Eine Eilentscheidung sei nicht erforderlich, um Wettbewerbschancen der Antragstellerin zu sichern, da auch ihre Wettbewerber keine Anzeigen ausspielen dürften. Die Antragstellerin könne daher zumutbar auf die spätere Geltendmachung von Leistungs- und / oder Schadensersatzansprüchen verwiesen werden. Demgegenüber bestehe ein schützenswertes Interesse der Antragsgegnerin an einer effektiven Durchsetzung der OSDD-RL, die legitime Zwecke verfolge. Das würde durch die individuelle Aussetzung der OSDD-RL gegenüber der Antragstellerin unterlaufen, und außerdem wäre damit eine Diskriminierung der Wettbewerber der Antragstellerin verbunden. Eine vollständige Suspendierung der OSDD-RL sei der Antragsgegnerin nicht zumutbar. Schließlich habe die Antragstellerin die Dringlichkeit selbst widerlegt, weil sie – unstreitig – noch keine Hauptsacheklage anhängig gemacht hat (Verweis auf OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2018, VI-U (Kart) 7/18, juris Rn. 84 ff. sowie Urteil vom 07.09.2020,VI-U (Kart) 4/20, juris Rn. 91).
Auf Grundlage dieses Sach- und Streitstands ist nach dem oben dargelegten Maßstab ein Verfügungsgrund anzunehmen. Die Antragstellerin hat eine erhebliche Notlage dargelegt und glaubhaft gemacht, mindestens aber, dass ihr schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile bzw. erhebliche Schäden drohen, welche außer Verhältnis stehen zur Belastung der Antragsgegnerin durch den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung:
Die von der Antragstellerin vorgetragenen Umsatzeinbußen sind ganz erheblich, und die Umsätze sind nicht nachholbar. Darauf, ob es bei der Antragstellerin auch zu Gewinneinbußen gekommen ist, kommt es nach Auffassung des Senats nicht an. Der Senat hält es für plausibel, dass die Antragstellerin als Internet-Start-Up ganz maßgeblich auf Umsatz (-wachstum) und Neukundenakquise angewiesen ist und ihr Gewinn in ihrem derzeitigen Entwicklungsstadium keine entscheidende Rolle spielt, auch und gerade gegenüber Geldgebern und potenziellen Erwerbern des Unternehmens. Für Geschäftspartner der Antragstellerin wie insbesondere die Zahlungsdienstleister und damit auch die von diesen gewährten (Sonder-) Konditionen wird ohnehin nicht der Gewinn, sondern der (über sie) generierte Umsatz von vorrangigem Interesse sein. Würde man nur auf den Gewinn abstellen, so würde dies eine Schutzlücke für all jene Unternehmen bedeuten, die sich noch in der Wachstumsphase befinden, aber noch nicht profitabel sind. Daher ist hier aufgrund der Einzelfallumstände ein Verfügungsgrund unabhängig davon zu bejahen, ob und ggf. in welchem Ausmaß der Antragstellerin auch Gewinn entgeht.
Die Antragstellerin hat die erheblichen Umsatzeinbußen plausibel dargelegt und durch eidesstattliche Versicherungen ihres Geschäftsführers H. (Anlagen K3 und BK5) glaubhaft gemacht. Soweit sie mit der Berufungsbegründung neue Analysen eingeführt hat (s. etwa Anlage BK6), sind diese trotz § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen. Dabei kann offenbleiben, ob § 531 Abs. 2 ZPO auch im Eilverfahren anzuwenden ist. Denn der entsprechende Vortrag ist nicht neu im Sinne der Vorschrift. Die Antragstellerin hat sich von Beginn an auf den erheblichen Umsatzrückgang gestützt und entsprechende Analysen vorgelegt. Der in der Berufungsinstanz dazu gehaltene weitere Vortrag vertieft und aktualisiert lediglich den bisher gehaltenen Vortrag. Es wird die Umsatzentwicklung für die Slowakei, Ungarn und Bulgarien gezeigt für den Zeitraum 28.08.2022 - 24.02.2023 („Jahr 2“) im Vergleich zum unbeeinflussten Vorjahreszeitraum 28.08.2021 bis 24.02.2022 („Jahr 1“). Der Umsatz in Jahr 2 liegt nahezu durchgehend ganz erheblich unter dem für Jahr 1. Es ist zwar richtig, dass der Umsatz in Jahr 2 auch wieder ansteigt, allerdings bleibt er deutlich unter Vorjahresniveau. Die Antragsgegnerin weist außerdem zutreffend darauf hin, dass der Vertrieb bulgarischer Vignetten nach der Kontosperre im Oktober 2022 einen fast identischen Umsatz im Vergleich zum Zeitraum Oktober 2021 bis Februar 2022 generiert hat (s. Anlage BK6, S. 3), wozu sich die Antragstellerin nicht erklärt. Die Umsätze für Ungarn und die Slowakei liegen aber deutlich unter dem jeweiligen Umsatz des Vorjahresvergleichszeitraums (s. Anlage BK6). Entsprechendes gilt für die prognostizierten Umsätze für Tschechien und Slowenien (in diesen Ländern ist die Antragstellerin erst Mitte 2022 aktiv geworden, so dass sie keine Vorjahresbetrachtung anstellen kann). Soweit die Antragsgegnerin einwendet, Umsatzsteigerungen könnten auf die Sperre von Anzeigen der Konkurrenten der Antragstellerin zurückzuführen sein, bleibt das unbeachtlich. Die Antragsgegnerin hätte ohne Weiteres in zeitlicher Hinsicht zu Sperren von Wettbewerbern vortragen und so eine Korrelation konkret darlegen können, statt eine vage Vermutung anzustellen.
Der weitere Vortrag der Antragstellerin aus ihrem Schriftsatz vom 26.06.2023 betreffend ihren Nutzertraffic ist unstreitig und daher zu berücksichtigen. Er bestätigt und stützt den Vortrag zum Umsatzrückgang, denn danach ist die Anzahl der Nutzer von 2.286.718 zwischen dem 19.10.2021 und dem 18.06.2022 auf lediglich noch 789.554 Nutzer und damit um 65% zwischen dem 19.10.2022 und dem 18.06.2023 zurückgegangen. Zudem ist die Zahl der Neunutzer im selben Vergleichszeitraum um 67% zurückgegangen.
Soweit die Antragsgegnerin auf die von der Antragstellerin unstreitig geschalteten fünf Stellenanzeigen verweist, steht das der Annahme einer Notlage nicht entgegen. Wie bereits ausgeführt, ist eine bereits konkret die Existenz bedrohende Notlage nicht erforderlich. Zudem hat die Antragsgegnerin bereits vier Mitarbeiter seit der erstmaligen Kontosperre verloren, und sie darf auch und gerade angesichts dieses noch laufenden Eilverfahrens optimistisch sein und die für den Fall der von ihr erstrebten Entsperrung der G. Ads-Anzeigen erforderlichen Kräfte bereits rekrutieren.
Die Bezifferung der der Antragstellerin durch das Verhalten der Antragsgegnerin entstehenden Schäden in einem Hauptsacheverfahren wäre sehr aufwendig. Dies zum einen, weil es um Schäden auf unterschiedlichen Ebenen geht (wie etwa: entgangener Gewinn, Verlust von Mitarbeitern und günstigen Konditionen bei Dienstleistern), und zum anderen, weil sich die Antragstellerin bis zu den Interventionen der Antragsgegnerin unstreitig in einer starken Wachstumsphase befand und das Geschäft in Slowenien und Tschechien gerade erst aufgenommen hatte. Daher würde es maßgeblich um eine mindestens teilweise hypothetische Betrachtung gehen, nämlich um die Frage, welche Wachstumschancen für die Antragstellerin bestanden und (allein) infolge der Anzeigenablehnung nicht realisiert werden konnten. Die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs wäre deswegen allein der Höhe nach mit ganz erheblichen Unsicherheiten belastet. Es geht außerdem darum, dass sich die Antragstellerin künftige Marktchancen erarbeiten können will. Schließlich werden immer noch Anzeigen von Wettbewerbern der Antragstellerin von der Antragsgegnerin ausgespielt. Die Antragstellerin gerät dadurch gegenüber ihren Wettbewerbern weiter ins Hintertreffen. Der dadurch entstehende Schaden ist ebenfalls schwierig zu beziffern und darzulegen.
Die für den Verfügungsgrund zu berücksichtigenden Erfolgsaussichten der Antragstellerin sind nach Einschätzung des Senats sehr hoch, wie sich aus den unter b. folgenden Ausführungen ergibt, wobei ein Kartellrechtsverstoß der Antragsgegnerin jedenfalls in Bezug auf die Diskriminierung nach dem hier zu beurteilenden Sach- und Streitstand ganz eindeutig gegeben ist (s. dazu näher unter b.).
Für die Frage der Dringlichkeit ist es nach Auffassung des Senats nicht von Bedeutung, dass die Antragstellerin ihre im hiesigen Eilverfahren geltend gemachten Ansprüche nicht auch bereits in einem Hauptsacheverfahren gerichtlich verfolgt. Soweit sich die Antragsgegnerin insofern auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Urteil vom 14.11.2018, VI-U (Kart) 7/18, juris Rn. 104 ff.; bestätigt mit Urteil vom 07.09.2020, VI-U (Kart) 4/20, juris Rn. 91) beruft, vermag der Senat dem nicht zu folgen (ebenso LG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2020, 35 O 17/20, juris Rn. 28). Die dortige Argumentation lässt den gemäß § 936 ZPO auch im Verfügungsverfahren geltenden § 926 ZPO ausdrücklich „außer Betracht“ (Urteil vom 14.11.2018, VI-U (Kart) 7/18, juris Rn. 115). Sie berücksichtigt somit nicht die gesetzliche Regelung, nach der es der unterlegene Antragsgegner des Eilverfahrens in der Hand hat, dem Antragsteller die Erhebung der Hauptsacheklage gerichtlich auferlegen zu lassen und für den Fall, dass sie nicht erhoben wird, die Aufhebung der einstweiligen Verfügung zu beantragen. Überdies spricht auch der Grundsatz der Prozessökonomie gegen die o.g. Sichtweise des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Müsste innerhalb gewisser Frist die Hauptsacheklage erhoben werden, um in einem noch anhängigen Eilverfahren nicht der Dringlichkeit verlustig zu gehen, so wäre den Parteien die Möglichkeit genommen, eine Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren durch Abschlusserklärung als endgültige Regelung anzuerkennen und so das zeit- und kostenintensive Hauptsacheverfahren zu vermeiden.
Die Antragstellerin hat die Dringlichkeit auch nicht dadurch widerlegt, dass sie den hier zu bescheidenden Verfügungsantrag nicht sofort – also vorbeugend – in Reaktion auf den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 05.12.2022 aus dem vorangegangenen Verfahren 415 HKO 82/22 gestellt hat. Die Antragstellerin hat dort zwar mitgeteilt, dass die Entsperrung des Kontos nicht zur erneuten Zulassung von Werbeanzeigen für die Vermittlung von e-Vignetten führen werde. Die Antragstellerin durfte jedoch die Entscheidung des Gerichts in dem auf Aufhebung der Kontosperre gerichteten vorangegangenen Verfahren und die Reaktion der Antragsgegnerin darauf abwarten. Abgesehen davon hätte die Antragstellerin zumindest den Beseitigungsanspruch auch noch gar nicht geltend machen können, bevor durch das Handeln der Antragsgegnerin die angegriffene Beeinträchtigung eingetreten war. Denn während ein Unterlassungsanspruch u.U. auch vorbeugend geltend gemacht werden kann, ist das beim Beseitigungsanspruch nicht der Fall.
Auf Seiten der Antragsgegnerin sprechen hingegen keine überwiegenden Gründe gegen den Erlass der begehrten Verfügung. Direkte finanzielle Einbußen drohen der Antragsgegnerin dadurch nicht, im Gegenteil erzielt sie durch Anzeigen der Antragstellerin, die sich in einer Auktion durchsetzen und dann auch angeklickt werden, Einnahmen. Leiden könnte ihre Reputation, und sie müsste die OSDD-RL jedenfalls für die Antragstellerin, faktisch wohl mindestens im gesamten Marktsegment des e-Vignettenvertriebs für gewisse Zeit suspendieren bzw. auf eine Einzelfallprüfung umstellen. Das ist ihr jedoch möglich und auch zuzumuten, auch wenn anzuerkennen ist, dass die Antragsgegnerin mit Erlass und Durchsetzung der OSDD-RL im Ausgangspunkt legitime Zwecke auch zugunsten der Nutzer verfolgt.
b.
Der Antragstellerin stehen die geltend gemachten Verfügungsansprüche entgegen der Bewertung des Landgerichts aus § 33 Abs. 1, § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB zu.
Auf die kartellrechtlichen Ansprüche findet nach Art. 6 Abs. 3 lit. a) Rom-II-VO deutsches Recht Anwendung. Da sich die von der Antragstellerin angebotenen Dienstleistungen jedenfalls auch an den deutschen Markt richten, ist auf der Grundlage ihres Vortrages eine Beeinträchtigung (auch) des deutschen Marktes wahrscheinlich, so dass insoweit deutsches Recht gilt (vgl. zu sog. „Multistate-Verstößen“: Poelzig/Windorfer/Bauermeister in: beckOGK, Stand: 01.09.2022, Art. 6 Rom II-VO Rn. 266 f., sowie Mankowski in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 3. Auflage 2020, Teil II Rn. 225).
Gemäß § 33 Abs. 1 GWB ist, wer gegen eine Vorschrift des Teils 1 des GWB und damit u.a. gegen § 19 GWB verstößt, gegenüber dem Betroffenen zur Beseitigung der Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung verpflichtet. Gemäß § 19 Abs. 1 GWB ist der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen verboten. Gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB liegt ein Missbrauch insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter einer bestimmten Art von gewerblichen Leistungen ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar unbillig behindert (Alt. 1) oder ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar anders behandelt als gleichartige Unternehmen (Alt. 2). Betroffen ist nach § 33 Abs. 3 GWB, wer als Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter durch den Verstoß beeinträchtigt ist.
(a)
Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass die Antragsgegnerin Normadressatin von § 19 GWB ist, denn sie hat eine beherrschende Stellung auf dem gemäß § 18 Abs. 1 GWB sachlich und räumlich relevanten Markt inne.
Der sachlich relevante Markt wird nach dem Bedarfsmarktkonzept unter Berücksichtigung der ökonomischen Besonderheiten abgegrenzt. Dem relevanten (Angebots-) Markt sind alle Produkte zuzurechnen, die nach Eigenschaft, Verwendungszweck und Preislage zur Deckung eines bestimmten Bedarfs aus Sicht der Nachfrager auf der betroffenen Stufe austauschbar sind (BGH NJW 2011, 2730 Rn. 12 m.w.N. – MAN-Vertragswerkstatt).
Das ist hier in sachlicher Hinsicht der Markt für suchwortgebundene Online-Werbung, also das an Werbetreibende gerichtete Angebot der Vermarktung von an bestimmte Suchbegriffe gekoppelten Werbeanzeigen im Umfeld einer Internetsuchmaschine. Aus der Sicht der Nachfrager, also der (potenziellen) Werbekunden der Antragsgegnerin und anderer Anbieter suchwortgebundener Online-Werbung, ist Online-Werbung nicht mit Offline-Werbung austauschbar; das gilt allemal für solche Werbekunden wie die Antragstellerin, die ein reines Online-Geschäft betreiben. Es ist nicht nachvollziehbar, dass Online-Werbung für ein rein online betriebenes Unternehmen durch Offline-Werbung substituierbar sein soll. Darüber hinaus ist suchwortgebundene Werbung aufgrund ihrer sehr hohen, derzeit wohl schwerlich zu übertreffenden Zielgenauigkeit nicht austauschbar mit anderer Online-Werbung, die nicht an Suchbegriffe anknüpft (so auch LG Frankfurt GRUR-RS 2022, 28836 Rn. 31, und LG Hamburg GRUR-RS 2022, 43566 Rn. 69; offen hingegen, allerdings lediglich in einem obiter dictum, der 3. Zivilsenat des Hans. OLG, Beschluss vom 16.12.2013, Az. 3 W 129/13 Kart, eingereicht als Anlage AG13, dort S. 7). Daraus folgt auf der Marktstufe, auf der Suchmaschinenbetreiber gegenüber Werbetreibenden suchbegriffgebundene Werbung anbieten, ein gesonderter Produktmarkt.
Der räumlich relevante Markt ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder allenfalls das Europas, jedenfalls aber nicht – wie die Antragsgegnerin meint – der weltweite Online-Werbemarkt. Die räumliche Reichweite des Marktes wird durch den konkreten Bedarf der Marktgegenseite bestimmt (Kühnen in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Auflage 2020, § 18 GWB Rn. 58; s. auch Bechtold/Bosch in: Bechtold/Bosch, GWB, 10. Auflage 2021, § 18 Rn. 25 m.w.N.), hier also durch den konkreten Bedarf der Antragstellerin. Diese bietet ihre Dienstleistungen gegenüber Unternehmern und Endverbrauchern jedenfalls auch in deutscher Sprache an und möchte sie jedenfalls auch in deutscher Sprache bewerben. Aus den eingereichten Unterlagen ist jedoch ersichtlich, dass die Anzeigenkampagnen nicht auf Deutschland beschränkt sein sollten, sondern Kampagnen auch in anderen Ländern zumindest in Rede standen. So ergibt sich etwa aus der E-Mail der Antragsgegnerin gemäß Anlage BK11, dass die geplante „Aussteuerung“ von Anzeigen in den europäischen Ländern Schweiz, Deutschland, Österreich, Italien, Polen und Niederlande erfolgen sollte. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin auch Werbeanzeigen in außereuropäischen Ländern aussteuern lassen wollte, sind aber weder von der Antragsgegnerin vorgetragen noch ersichtlich. Daher kann nicht von einem weltweiten Markt ausgegangen werden, sondern allenfalls von einem europäischen.
Die Antragsgegnerin ist sowohl auf dem deutschen als auch auf dem europäischen Markt beherrschend. Gemäß § 18 Abs. 1 GWB ist ein Unternehmen marktbeherrschend, soweit es als Anbieter einer bestimmten Art von gewerblichen Leistungen auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt ohne Wettbewerber ist (Nr. 1), keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist (Nr. 2) oder eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat (Nr. 3). Es wird gemäß § 18 Abs. 4 GWB vermutet, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es einen Marktanteil von mindestens 40 % hat. Wie das Landgericht im angegriffenen Urteil (dort S. 25) zutreffend ausführt, hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin sowohl auf dem deutschen als auch auf dem europäischen Markt marktbeherrschend ist. Ausweislich der Pressemitteilung des Bundeskartellamts vom 05.01.2022 (eingereicht als Anlage K8) hat G. in Deutschland „mit Marktanteilen von über 80 Prozent eine beherrschende Stellung auf dem Markt für allgemeine Suchdienste und ist der wesentliche Anbieter für suchgebundene Werbung“ und verfügt über eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb i.S.d. § 19a Abs. 1 GWB. Nach der Pressemitteilung der Europäischen Kommission zu ihrer Entscheidung in Sachen AT.40411 „G. AdSense“ vom 20.03.2019 (abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_19_1770), auf die sich die Antragstellerin auf Seiten 97 ihres Antragsschriftsatzes bezogen hat, war G. „von 2006 bis 2016 mit einem Marktanteil von über 70% mit Abstand der größte Vermittler von Suchmaschinenwerbung im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). 2016 lag der Marktanteil von G. auch auf den nationalen Märkten für allgemeine Internet-Suchanfragen im Allgemeinen bei über 90% und auf den meisten nationalen Märkten für Suchmaschinenwerbung, auf denen G. mit seinem bekanntesten Produkt, der G.-Suchmaschine, präsent ist, bei über 75%.“ Darauf bezieht sich die Kommission in Rn. 340 ihrer als Anlage K42 auf Englisch vorgelegten Fusionskontrollentscheidung „G./Fitbit“ vom 17.12.2020 (Fall M.9660) und führt aus: „In all EEA countries market shares are above 90% and there is no reason to believe that market shares are materially higher if one considers the segments of online search advertising on desktop and on mobile. Moreover, it appears that G.'s market shares have not materially changed compared to the Commission's findings in G. AdSense.“ (Frei übersetzt: „In allen EWR-Ländern liegen die Marktanteile bei über 90 %, und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die Marktanteile wesentlich höher sind, wenn man die Segmente der Online-Suchwerbung auf dem Desktop und auf dem Handy betrachtet. Außerdem scheinen sich die Marktanteile von G. im Vergleich zu den Feststellungen der Kommission in der Sache G. AdSense nicht wesentlich verändert zu haben.“)
Ausweislich der auf Seite 70 der soeben genannten Entscheidung abgedruckten Tabelle lag G.s Anteil am Markt für Suchmaschinenwerbung in den einzelnen EU-Staaten in den Jahren 2018 und 2019 zwischen 90% und 100%. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich dies inzwischen maßgeblich geändert hätte, allemal nicht dahingehend, dass der Marktanteil auch nur in einem EU-Mitgliedsstaat von mehr als 90% auf unter 40% gesunken wäre.
Dem ist die Antragsgegnerin nicht maßgeblich entgegengetreten. Soweit sie in der Berufungsinstanz lediglich erneut auf eine Entscheidung der britischen Competition and Markets Authority („CMA“, abrufbar unter https://assets.publishing.service.gov.uk/media/5e6f8119e90e070ac9b21395/G._Looker_decision-.pdf) verweist, ändert das nichts. Wie die Antragstellerin zutreffend ausführt, hat die CMA in dieser Entscheidung keinen weltweiten Markt für Online-Werbung abgegrenzt, sondern die räumliche Marktabgrenzung ausdrücklich offengelassen (s. Rn. 100, 102 der genannten CMA-Entscheidung). Außerdem geht es dort nicht um den hier relevanten Markt für suchbegriffgebundene Suchmaschinenwerbung, sondern nur allgemein um Online-Werbung.
(b)
Die Antragstellerin ist Betroffene i.S.v. § 33 Abs. 3 GWB, denn sie ist als Nachfrager des Angebots der Antragsgegnerin und damit als sonstiger Marktbeteiligter durch den Verstoß beeinträchtigt.
(c)
Die Ablehnung der Anzeigen durch die Antragsgegnerin stellt eine unbillige Behinderung der Antragstellerin im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 GWB dar.
(aa)
§ 19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 GWB gilt auch zwischen den streitenden Parteien. Soweit die Antragsgegnerin meint, in einem rein vertikalen Wettbewerbsverhältnis wie dem hiesigen gelte lediglich das Diskriminierungsverbot gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 GWB, nicht aber auch das Behinderungsverbot, kann dem nicht gefolgt werden. Das Gegenteil ergibt sich bereits aus der von der Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang erwähnten Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Grossistenkündigung“ (GRUR 2012, 84 Rn. 35 ff.): Der Bundesgerichtshof prüft dort neben der Diskriminierung auch den Tatbestand einer unbilligen Behinderung, obwohl zwischen der dort beklagten Pressevertriebsgesellschaft und dem klagenden Pressegrossisten ebenfalls nur ein vertikales Wettbewerbsverhältnis bestand (und er verneint das Tatbestandsmerkmal der Unbilligkeit). Dementsprechend vermag die Antragsgegnerin nicht einen Rechtsprechungs- oder Literaturnachweis zu nennen, der ihre Ansicht stützen würde. Soweit sie auf Randnummern 6, 19 und 76 der sog. „Prioritätenmitteilung“ der Europäischen Kommission vom 24.02.2009 (ABl. 2009 C 45/7, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52009XC0224%2801%29) verweist, geht daraus nicht hervor, dass der Tatbestand der unbilligen Behinderung im Vertikalverhältnis ausgeschlossen sei. Entsprechendes gilt für die weiteren von der Antragsgegnerin herangezogenen Literaturstimmen. Diesen ist allenfalls zu entnehmen, dass die Tatbestandsvariante der unbilligen Behinderung hauptsächlich im Verhältnis zu Wettbewerbern des Normadressaten (also im Horizontalverhältnis) greife, nicht aber, dass sie im Vertikalverhältnis ausgeschlossen sei. Das ist auch nicht anzunehmen. Die Tatbestände der Behinderung und der ungleichen Behandlung überschneiden sich weitgehend bzw. häufig, so dass eine klare Trennung nach allgemeiner Ansicht nicht möglich ist (s. nur BGH NJW 1968, 400, 401 – Jägermeister sowie Markert/Fuchs in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage 2020, § 19 GWB Rn. 83 m.w.N.; vgl. auch Westermann in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage 2022, § 19 GWB Rn. 40 und Loewenheim in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Auflage 2020, § 19 GWB Rn. 15, jeweils m.w.N.). Zudem stellen die Sondertatbestände wie die in § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB genannten jeweils nur beispielhafte Ausprägungen der Generalklausel des § 19 Abs. 1 GWB dar (Loewenheim in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Auflage 2020, § 19 GWB Rn. 12 mit Verweis u.a. auf BGH NJW 2012, 3243 Rn. 13 – Wasserpreise Calw). Angesichts dessen kann sich der Anwendungsbereich der einen Variante des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB nicht von dem der anderen unterscheiden.
(bb)
Die Ablehnung der Anzeigen der Antragstellerin behindert diese i.S.v. § 19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 GWB. Eine Behinderung in diesem Sinne ist jedes Verhalten, das sich objektiv nachteilig auf die Wettbewerbsposition anderer Unternehmen auswirkt (Westermann in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage 2022, § 19 GWB Rn. 41 m.N. zur BGH-Rspr.). Durch die Nichtzulassung der Anzeigen der Antragstellerin zum G. Ads-Dienst wird die Werbereichweite der Antragstellerin erheblich eingeschränkt, was sich objektiv nachteilig auf ihre Wettbewerbsposition auswirkt. Daran ändert es nichts, dass die Seiten der Antragstellerin in den organischen Suchergebnissen nach wie vor angezeigt werden. Denn G. Ads-Anzeigen sind gegenüber den organischen Suchergebnissen wirtschaftlich von Vorteil, wie sich schon daraus ergibt, dass andernfalls Werbetreibende nicht bereit wären, hierfür in erheblichem Umfang Kosten zu tragen. Schon weil unstreitig Anzeigen von Wettbewerbern ausgespielt wurden, geht es entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin auch nicht um eine Besserstellung der Antragstellerin gegenüber anderen, weil die OSDD-RL für alle Unternehmen gelte bzw. durchgesetzt werde. Das ist gerade nicht der Fall.
(cc)
Diese Behinderung ist unbillig.
Die Feststellung der Unbilligkeit der Behinderung erfordert nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine an der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Funktion des GWB orientierte Gesamtwürdigung und Abwägung aller beteiligten Interessen (BGH NZKart 2018, 191 Rn. 34 – Jaguar-Vertragswerkstatt II).
Auf der Seite des Normadressaten können für die Interessenabwägung grundsätzlich alle Interessen berücksichtigt werden, soweit sie nicht auf einen gesetzwidrigen Zweck gerichtet sind oder gegen gesetzliche Wertungen verstoßen. Auf Seiten des (potenziell) behinderten Unternehmens ist der Kreis der berücksichtigungsfähigen Interessen hingegen enger, nämlich auf solche beschränkt, die auf die freie Betätigungsmöglichkeit im Wettbewerb zielen. Dazu gehört in erster Linie das Interesse an der Freiheit des Marktzugangs, ferner das Interesse, bei offenem Marktzugang nicht durch Beeinträchtigung der Chancengleichheit in der wettbewerblichen Betätigung auf dem Markt im Verhältnis zu anderen Unternehmen benachteiligt zu werden. Hingegen ist kein Raum für die Berücksichtigung eines struktur- oder sozialpolitischen Bestandsschutzes (Loewenheim in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Auflage 2020, § 19 GWB Rn. 20 f. m.w.N.).
Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass sie mindestens ein ganz erhebliches wenn nicht gar ein (nahezu) existentielles Interesse am Zugang zu dem online stattfindenden Markt des Vertriebs von e-Vignetten durch Schaltung von G. Ads-Anzeigen hat. Insofern kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen zum Verfügungsgrund verwiesen werden. Danach hat die Antragstellerin die ganz überwiegende Mehrheit ihrer Kunden über den Werbekanal G. Ads gewonnen und sind sowohl ihr für die derzeitige Unternehmensentwicklung maßgeblicher Umsatz als auch der Nutzertraffic auf ihren Internetseiten seit Sperrung ihres G. Ads-Kontos und der sich nahtlos anschließenden Ablehnung ihrer Anzeigen in ganz erheblichem Maße zurückgegangen. Es steht demnach der freie Marktzugang in Rede. Da die Antragsgegnerin zudem Anzeigen von Wettbewerbern der Antragstellerin weiterhin ausspielt, geht es auch um den gleichberechtigten Marktzugang.
Diesem ganz erheblichen Interesse der Antragstellerin stehen keine gleichgewichtigen Interessen der Antragsgegnerin gegenüber, wie sich aus Folgendem ergibt:
Die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast für die Unbilligkeit trägt derjenige, der daraus Ansprüche für sich herleiten will (Loewenheim in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Auflage 2020, § 19 GWB Rn. 30 m.w.N.), hier also die Antragstellerin. Steht dieser aber außerhalb des Geschehensablaufs und verfügt über keine Kenntnis der maßgeblichen Umstände, so kommt eine Darlegungslast der anderen Seite in Betracht, wenn diese die maßgeblichen Umstände kennt oder unschwer in Erfahrung bringen kann und es ihr zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (Loewenheim, a.a.O. mit Verweis auf BGH NZKart 2018, 191 Rn. 43 – Jaguar-Vertragswerkstatt II). So liegt es hier. Die Antragsgegnerin beruft sich darauf, dass der Erlass und die Anwendung der OSDD-RL und damit die darauf fußende Ablehnung der Anzeigen der Antragstellerin sachlich gerechtfertigt seien. Da die Antragstellerin die Gründe für den Erlass der OSDD-RL nicht kennt und nicht kennen kann, ist die Antragsgegnerin insofern sekundär darlegungsbelastet. Es ist zwar anzuerkennen, dass die Antragsgegnerin mit der OSDD-RL im Grundsatz ein legitimes Ziel verfolgt. Zudem kann sie grundsätzlich frei entscheiden, für welche Arten von Produkten und Dienstleistungen sie Werbung zulassen will und für welche nicht. Es mag auch denkbar sein, dass ein rechtswirksamer Ausschluss von Anzeigen für e-Vignetten erfolgen könnte. Indes reicht der Tatsachenvortrag der Antragsgegnerin hier nicht aus, um eine sachliche Rechtfertigung der OSDD-RL bezogen auf die Werbung der Antragstellerin für den Vertrieb von e-Vignetten bejahen zu können.
Der erkennende Senat hat sich in seiner Entscheidung vom 12.01.2023 (NZKart 2023, 107 – Radio Cottbus II) der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH GRUR 2021, 631 Rn. 26 ff. – Radio Cottbus) angeschlossen und ausgeführt:
„Bei einem Vertriebssystem ist als Ausgangspunkt der Interessenabwägung der aus der unternehmerischen Handlungsfreiheit abzuleitende Grundsatz anerkannt, dass das Behinderungsverbot den Normadressaten im Grundsatz nicht daran hindert, seine geschäftliche Tätigkeit und sein Absatzsystem nach eigenem Ermessen so zu gestalten, wie er dies für wirtschaftlich sinnvoll und richtig erachtet. […] Die Freiheit des Normadressaten zur Gestaltung seines Geschäftsmodells und seines Vertriebssystems besteht aber nur innerhalb der durch das Kartellrecht gezogenen Grenzen. Sie ist ausgeschlossen, wo sie missbraucht wird oder zu einer Beschränkung des Wettbewerbs führt, die mit der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes unvereinbar ist. Danach steht es dem Normadressaten frei, für eine Aufnahme in sein Vertriebssystem sachlich angemessene Anforderungen zu stellen, sofern er diese auch einheitlich und diskriminierungsfrei anwendet.“
Daran hält der Senat fest. Übertragen auf den hiesigen Fall bedeutet das, dass die Antragsgegnerin im Grundsatz frei ist, ihren G. Ads-Dienst nach eigenem Ermessen auszugestalten, also auch zu beschränken (oder gar ganz einzustellen). Ihr Interesse daran, ein einfaches, weltweit einheitliches und allgemein zugängliches Angebot zu unterbreiten und dieses auch durch Richtlinien zu regeln, ist schützenswert und in die Abwägung einzustellen. Eine Beschränkung des Angebots, die zum vollständigen Ausschluss der von der Antragstellerin über mehrere Jahre zum beiderseitigen wirtschaftlichen Vorteil der Parteien geschalteten Anzeigen für e-Vignetten führt, bedarf aber einer sachlichen Rechtfertigung, die der nicht zuletzt infolge der individuellen und aktiven Unterstützung durch die Antragsgegnerin bestehenden erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung dieser Entscheidung für die Antragstellerin gerecht wird. Die Entscheidung muss von einem sachlich angemessenen Zweck getragen sein (und zudem diskriminierungsfrei angewendet werden). Einen solchen vermag der Senat hier nicht zu erkennen.
Die Antragsgegnerin macht ihre unternehmerische Gestaltungsfreiheit geltend und beruft sich darauf, die Anwendung der OSDD-RL diene dem Erhalt der Integrität des Dienstes G. Ads sowie dem Schutz der Reputation der Antragsgegnerin, wofür jeweils das Vertrauen der Nutzer und mithin deren Schutz Voraussetzung sei. Sie macht geltend, ihre Nutzer mit der Anwendung der OSDD-RL auf Anzeigen privater e-Vignettenvermittler vor dem Risiko finanzieller Schäden zu schützen und damit ihrem berechtigten Interesse zu dienen, die Integrität des G. Ads-Dienstes und ihre Reputation zu schützen. Ihr Interesse am Schutz der eigenen Reputation ist im Grundsatz anzuerkennen. Allerdings sind in der Abwägung nur die Individualinteressen der Beteiligten, nicht dagegen gesamtwirtschaftliche Ziele zu berücksichtigen. Interessen Dritter, der Verbraucher oder der Allgemeinheit können daher ungeachtet dessen, ob sie gesetzlich geschützt sind, nur insoweit Berücksichtigung finden, als sie sich auf die Interessenlage der Beteiligten auswirken (Westermann in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage 2022, § 19 GWB Rn. 47 f. m.w.N.; Markert/Fuchs in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage 2020, § 19 GWB Rn. 107). Der Schutz der Suchmaschinennutzer ist daher nicht für sich gesehen in die Abwägung einzustellen, sondern nur soweit er sich auf die Interessenlage der Antragsgegnerin auswirkt, also indirekt mit Blick auf ihre Reputation. Insofern aber hat die Antragsgegnerin kaum etwas Konkretes vorgetragen. In den als Anlage AG5 eingereichten Veröffentlichungen wird G. zwar vielfach genannt, aber meist ohne Vorwurf, sondern nur im Rahmen der tatsächlich zutreffenden Feststellung, dass die bezahlten Werbeanzeigen weit oben angezeigt werden. Der Antragsgegnerin ist allerdings zuzugestehen, dass sie nicht nur reaktiv, sondern auch präventiv Maßnahmen ergreifen können muss, um aus ihrer Sicht lediglich drohende und nicht nur bereits eingetretene Reputationsschäden abwenden zu können. Allerdings fehlt es an hinreichendem Tatsachenvortrag dazu, dass die von der Antragsgegnerin befürchteten Gefahren beim Vertrieb von e-Vignetten durch die Antragstellerin und deren Mitbewerber für die Nutzer der Suchmaschine überhaupt in einem Maße bestehen, das den generellen Ausschluss ihrer Werbung rechtfertigen könnte. Die Antragsgegnerin hat lediglich eine verschwindend geringe Zahl von Fällen dargelegt und glaubhaft gemacht, in denen Nutzer sich durch die Antragstellerin oder deren Wettbewerber irregeführt sahen bzw. die erhöhten Kosten einer privaten e-Vignettenvermittlung gegenüber dem Bezug direkt bei der staatlichen bzw. vom Staat beauftragten Stelle kritisiert haben: Mit der Anlage AG6 hat die Antragsgegnerin nur zwei negative Bewertungen auf der Plattform trustpilot vorgelegt, die sich auf die Antragstellerin beziehen. Das fällt angesichts der dort unstreitig für die Antragstellerin insgesamt abgegeben mehr als 6.500 Bewertungen mit einem Durchschnittswert von 4,5 von 5 kaum ins Gewicht. Es kommt daher nicht einmal mehr darauf an, dass die Antragstellerin vorträgt, es handele sich um sog. Fake-Bewertungen. Mit der Anlage AG7 hat die Antragsgegnerin 14 negative Einzelbewertungen auf der Plattform trustpilot vorgelegt, die sich nicht auf die Antragstellerin beziehen, sondern auf andere Unternehmen. Dieser Anlage fehlt im Hinblick auf die relative Häufigkeit von Beschwerden jede Aussagekraft, weil eine Angabe zur Gesamtzahl der Bewertungen und damit jegliche Relation fehlt, um die (absolut gesehen gering erscheinende) Anzahl von 14 negativen Bewertungen einordnen zu können. Schließlich hat die Antragsgegnerin mit der Anlage AG5 acht redaktionelle Veröffentlichungen aus dem Zeitraum zwischen Dezember 2018 und Januar 2023 vorgelegt, die vor überteuerten Vignetten und der Werbung über G. Ads für diese Dienstleistungen warnen. Allerdings befasst sich nur eine dieser Veröffentlichungen mit dem Unternehmen der Antragstellerin, und zwar in Bezug auf ihr inzwischen eingestelltes Angebot für österreichische Vignetten. Im Übrigen stammt diese Veröffentlichung bereits aus dem Jahr 2018. Auch damit kann die Antragstellerin daher nicht darlegen, dass das Angebot der Antragstellerin ein ernsthaftes Gefahrenpotenzial birgt. Zudem unterbreitet die Antragstellerin ihren Kunden unstreitig ein Angebot, welches etwa im Hinblick auf die angebotenen Zahlungsmittel bzw. Währungen und die zur Verfügung stehenden Sprachen über die staatlichen Angebote hinausgeht, so dass ein gewisser Aufpreis aus der Sicht der Kunden sachlich gerechtfertigt erscheint. Unstreitig wird den (potenziellen) Kunden der Antragstellerin vor ihrer Bestellung das von der Antragstellerin erhobene Dienstleistungsentgelt angezeigt, so dass es sich nicht um versteckte Kosten handelt. Dass das von der Antragstellerin verlangte Dienstleistungsentgelt deutlich überhöht oder gar wucherisch sei, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Jedenfalls vor diesem Hintergrund ist nach Dafürhalten des Senats von der Antragsgegnerin zu verlangen, dass sie zumindest im hier interessierenden Bereich der Werbung für den e-Vignettenvertrieb keine rein automatisierte Prüfung durchführt, sondern im Fall einer automatisierten Anzeigenablehnung eine individuelle (Nach-) Prüfung vornimmt und sich nicht mit einer Pauschalbetrachtung bzw. -regelung begnügt (so auch, ebenfalls bezogen auf die OSDD-RL, LG Frankfurt a.M., GRUR-RS 2022, 28836 Rn. 47; a.A. hingegen die Zivilkammer 15 des LG Hamburg zuletzt mit Urteil vom 07.07.2023, Az. 315 O 80123, eingereicht als Anlage AG35, dort S. 9 f.). Denn eine Pauschalbetrachtung wird der überragend starken Marktstellung der Antragsgegnerin einerseits und der erheblichen Bedeutung ihres Angebots für Unternehmen wie das der Antragstellerin andererseits nicht gerecht und ist angesichts des nach den obigen Ausführungen offenbar eher geringen Gefahrenpotenzials in diesem Geschäftsbereich nicht angemessen. Bei fehlendem oder einem nicht hinreichenden konkreten Gefahrenpotenzial der beworbenen Dienstleistung fehlt ein sachlicher Grund für die Ablehnung der entsprechenden Werbung. Der Antragsgegnerin ist eine individuelle (Nach-) Prüfung auch möglich. Das zeigt sich daran, dass sie inzwischen mit der neuen Fassung der OSDD-RL (s. Anlage BK09) ein Zertifizierungsverfahren eingeführt hat. Danach können sich zum einen Werbetreibende, die eine Behörde oder von einer staatlichen Stelle beauftragt sind, für die Werbung für bestimmte, unter die OSDD-RL fallende Dienstleistungen zertifizieren lassen. Zum anderen können aber auch Werbetreibende, die keine staatliche Stelle bzw. kein staatlich autorisierter Anbieter sind, eine „regionale oder geschäftliche Ausnahmeregelung“ für sich in Anspruch nehmen oder geltend machen, dass ihre Anzeigen nicht unter die OSDD-RL fallen, da es sich nicht um Werbung für offizielle / staatliche Dokumente und Dienstleistungen handele. Demnach bietet die Antragsgegnerin bereits die Möglichkeit einer individuellen Prüfung u.a. auch der in Rede stehenden konkreten Dienstleistung. Ihr Argument, die Zertifizierungsüberprüfung erfordere keine Einzelfallprüfung der angebotenen Dienstleistung, sondern nur einen schlichten Abgleich der Identität des Werbetreibenden mit den auf den von den offiziellen Mautbetreibern erstellten Listen genannten Vermittlern, ist damit entkräftet.
In die Abwägung ist auch einzustellen, dass sich die Antragsgegnerin mit der Kontosperrung und der nachfolgenden, die Kontosperrung „ersetzenden“ Ablehnung aller Anzeigen für e-Vignetten in erheblichem Maße in Widerspruch zu ihrem vorangegangenen Verhalten gesetzt hat, mit dem sie der Antragstellerin nicht nur die Schaltung von Anzeigen ermöglicht, sondern sie aktiv darin unterstützt und bestärkt hat, diese Werbetätigkeit zu intensivieren. Unstreitig hat die Antragsgegnerin die Antragstellerin ab dem Sommer 2020 (und damit bereits unter Geltung der OSDD-RL) in das von der Antragsgegnerin angebotene sog. Accelerated Growth Programm aufgenommen. Noch am 20.09.2022 stellte die Antragsgegnerin der Antragstellerin für das vierte Quartal 2022 Unterstützung im Rahmen des Accelerated Growth Programms für das e-Vignettengeschäft in Aussicht, nachdem sie im November 2021 bei der Antragstellerin angefragt hatte, ob diese bereit sei, an einer „Case Study“ – einer Präsentation besonders erfolgreicher Unternehmen – teilzunehmen und ihr im Juli 2022 ein Angebot über die Bereitstellung eines YouTube Co-Funding Pakets für ihre e-Vignettenwerbung gemacht hatte. Die Antragsgegnerin hat mit dieser individuellen und aktiven Ermutigung und Unterstützung gegenüber der Antragstellerin zumindest in gewissem Umfang einen individuellen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, dass der Antragstellerin der in hohem Maße relevante Marktzugang über die Werbeplattform G. Ads weiterhin offenstehen wird und sie nicht, anders als zumindest einige ihrer Mitbewerber, davon generell ausgeschlossen wird. Dem steht die Entscheidung „Jaguar-Vertragswerkstatt“ des Bundesgerichtshofs (NJW 2016, 2504 Rn. 31) nicht entgegen, denn es geht vorliegend um das Interesse der Antragstellerin am wirksamen und gleichberechtigten Marktzugang und nicht um Sozial- oder Bestandsschutz. Anders als in dem der genannten Entscheidung zugrunde liegenden Fall ist es der Antragstellerin aufgrund der überragenden Marktstellung der Antragsgegnerin hier gerade nicht möglich, ihren „Betrieb auf eine andere Marke umzustellen“ bzw. die suchwortgebundene Werbung auf einer anderen Suchplattform in auch nur annähernd ähnlich erfolgversprechender Weise zu schalten.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin ihre bereits seit Ende Juli 2020 geltende OSDD-RL über einen längeren Zeitraum von mehr als einem Jahr unstreitig weder gegenüber der Antragstellerin noch gegenüber deren Wettbewerbern angewendet hat. Demnach kann die Durchsetzung der OSDD-RL jedenfalls im Bereich der Werbung für e-Vignetten ganz offensichtlich nicht von besonderer, sondern allenfalls von untergeordneter Bedeutung für die Antragsgegnerin sein.
(dd)
Für den mit dem Antrag zu 2. geltend gemachten Unterlassungsanspruch reicht es aus, dass das kartellrechtswidrige Verhalten (einmalig) erfolgt ist. Das ist hier der Fall. Im Hinblick auf den mit dem Antrag zu 1. geltend gemachten Beseitigungsanspruch muss die zu beseitigende Beeinträchtigung indes im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung noch andauern (s. dazu Franck in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage 2020, § 33 GWB Rn. 28 m.w.N.; vgl. auch Kersting in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Auflage 2020, § 33 GWB Rn. 43). Auch das ist der Fall, denn die Antragsgegnerin lehnt die Zulassung von Werbeanzeigen der Antragstellerin nach wie vor unter Hinweis auf die OSDD-RL ab (und lässt zumindest eine gewisse Zahl von Anzeigen ihrer Wettbewerber nach wie vor zu).
Die für den Unterlassungsanspruch notwendige Wiederholungsgefahr ist gegeben, denn sie ist durch das rechtswidrige Verhalten der Antragsgegnerin indiziert und nicht durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung bzw. Abschluss eines entsprechenden Unterlassungsvertrags ausgeräumt worden.
(ee)
In der Rechtsfolge gewährt § 33 Abs. 1 Alt. 1 GWB Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung, hier also auf Zulassung bzw. Entsperrung der bislang nicht zugelassenen Anzeigen gemäß Anlage K39. Zudem gewährt § 33 Abs. 1 Alt. 2 GWB den begehrten Anspruch auf Unterlassung erneuter kerngleicher Rechtsverstöße, hier in Gestalt der unbilligen Behinderung.
(d)
Da die geltend gemachten Ansprüche im begehrten Umfang wegen unbilliger Behinderung bestehen, kommt es nicht mehr darauf an, dass das Verhalten der Antragsgegnerin zudem offensichtlich eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der Antragstellerin im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 GWB darstellt. Die Antragsgegnerin ließ unstreitig mehrfach und sogar noch während des laufenden Berufungsverfahrens Werbeanzeigen für e-Vignetten von Wettbewerbern der Antragstellerin zum G. Ads-Programm zu und spielte diese aus. Entgegen der Bewertung des Landgerichts hat die Antragsgegnerin in Anbetracht dessen schon nicht hinreichend konkret dargelegt, welche Bemühungen sie entfaltet, um das zu verhindern und die OSDD-RL (im hier interessierenden Bereich) konsequent durchzusetzen. Sie hat vorgetragen, die OSDD-RL in einem Mix aus automatisierten und manuellen Maßnahmen durchzusetzen, manuelle Überprüfungen auf Basis gängiger Suchwörter verstärkt und einen sog. „Query Ad Block“ eingerichtet zu haben, um bestimmte (indes nicht benannte) „Keywords“ generell zu sperren, sowie Ads-Konten von Werbetreibenden bei wiederholten Verstößen gegen die OSDD-RL bzw. Umgehungsversuchen gesperrt zu haben. Dieser durchweg vage, die konkret in Rede stehenden Werbungen für den Vertrieb von e-Vignetten gar nicht aufgreifende Vortrag ist nicht einlassungsfähig und daher unbeachtlich. Überdies fehlt entgegen den landgerichtlichen Ausführungen jegliche Glaubhaftmachung der von der Antragstellerin bestrittenen Bemühungen. Die Antragsgegnerin hat auch weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass die vorgelegten Anzeigen von Wettbewerbern jeweils nur deshalb ausgespielt worden seien, weil es aus technischen Gründen oder wegen unzulässiger Umgehungsversuche nicht gelungen sei, das zu verhindern.
Da der Anspruch bereits wegen unbilliger Behinderung begründet ist, sieht der Senat von detaillierteren Ausführungen zur Ungleichbehandlung ab. Aus diesem Grund kann zudem offenbleiben, ob der Anspruch aus § 19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 GWB die begehrte Rechtsfolge ebenso tragen würde wie der Anspruch gemäß Alt. 1 oder ob der Antragsgegnerin neben der Zulassung der Anzeigen der Antragstellerin auch andere Wege offenstünden, die bestehende Diskriminierung zu beseitigen (s. dazu allgemein: Franck in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage 2020, § 33 GWB Rn. 29 m.w.N.).
3.
Die Androhung von Ordnungsmitteln in Bezug auf den Tenor zu 2. erfolgt gemäß § 890 Abs. 2 ZPO.
4.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Soweit die Antragstellerin ihren Antrag zurückgenommen hat, war die Zuvielforderung verhältnismäßig geringfügig und hat keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst. Dies betraf den Unterlassungsantrag bezüglich der Werbung für Inkassodienstleistungen für Fahrgastrechtsfälle. Der von der Antragstellerin vorgetragene 6-Wochen-Umsatz in diesem Bereich liegt im vierstelligen Euro-Bereich (s. dazu S. 13 der eidesstattlichen Versicherung gemäß Anlage K03) und macht demnach lediglich einen Bruchteil im einstelligen Prozentbereich des 6-Wochen-Umsatzes mit e-Vignetten aus.
Eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nicht. Gegen dieses Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO kein Rechtsmittel statthaft. Es wird daher unmittelbar mit der Verkündung rechtskräftig, so dass gemäß § 704 Alt. 1 ZPO aus ihm vollstreckt werden kann.
Ein Grund, den Erlass dieser einstweiligen Verfügung gemäß § 936, § 921 S. 2 ZPO von einer Sicherheitsleistung der Antragstellerin abhängig zu machen, besteht nicht.
5.
Die beiden nicht nachgelassenen Schriftsätze vom 04.08.2023 und vom 10.08.2023 waren gemäß § 525 S. 1, § 296a S. 1 ZPO nicht zu berücksichtigen. Sie geboten auch keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO.