OLG Bamberg: Dieselskandal – Entfall des Sittenwidrigkeitsvorwurfs aufgrund radikalen Strategiewechsels der Audi AG
OLG Bamberg, 22.12.2021 – 3 U 299/21
ECLI:DE:OLGBAMB:2021:1222.3U299.21.00
Volltext: BB-Online BBL2022-143-1
Leitsatz
1. Jedenfalls dadurch, dass die Audi AG am 25.01.2018 ihre Vertragshändler und Servicepartner nicht nur von den Rückrufanordnungen des Kraftfahrtbundesamts (KBA) für die Audi Modelle mit V6- und V8-TDI-Motoren unterrichtet, sondern hierbei zugleich eine ausdrücklich so bezeichnete sowie anhand eines Musterschreibens („Beipackzettel“) erläuterte „Hinweispflicht“ gegenüber den Kunden statuiert hatte, hat das Unternehmen einen radikalen Strategiewechsel vollzogen und auch nach außen erkennbar sein Verhalten so grundlegend geändert, dass ab diesem Zeitpunkt der auf das Gesamtverhalten bezogene Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht mehr gerechtfertigt ist (Anschluss an OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.2021, 3 U 1438/20, juris Rn. 35; OLG Stuttgart, Urteil vom 20.04.2021, 16a U 1305/20, juris Rn. 85 und Fortführung von BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798; Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84; Urteil vom 23.03.2021, VI ZR 1180/20, VersR 2021, 732; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, VersR 2021, 661; Urteil vom 28.10.2021, III ZR 261/20, juris).
2. Ob und in welchem Umfang ein späterer Käufer entsprechend den Anweisungen der Audi AG tatsächlich aufgeklärt wurde, ist unerheblich (Fortführung Senatsurteil vom 08.01.2020, 3 U 180/19, juris Rn. 40). Es kommt weder auf seine Kenntnisse vom „Dieselskandal“ im Allgemeinen noch auf seine Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen an. Nachdem die Audi AG ihren grundlegenden Strategiewechsel vollzogen hatte, wurde einem späteren Erwerber unabhängig von seinem Wissensstand und seinem subjektiven Vorstellungsbild nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt (Anschluss an BGH, Urteil vom 28.10.2021, III ZR 261/20, juris Rn. 19).
Sachverhalt
I.
Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.
1.
Der Kläger erwarb am 25.04.2018 von der Firma X. – diese Firma ist ein Vertragshändler bzw. Servicepartner der Beklagten – ein Gebrauchtfahrzeug der Marke Audi, Typ A7 Sportback S-Line zum Kaufpreis von 48.000,00 € (Anlage K 1). Der Kilometerstand des Fahrzeugs betrug zum Zeitpunkt des Kaufs 33.690 km und am 14.06.2021 104.410 km. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten 3,0 Liter-V6-Turbodieselmotor (240 kW, Abgasnorm EU 6) ausgestattet.
Das Kraftfahrbundesamt rief zahlreiche Fahrzeuge des vorgenannten Typs – darunter auch das Fahrzeug des Klägers (vgl. Anlage K 2) – zurück, weil deren Überprüfung eine unzulässige Abschalteinrichtung ergeben habe. Darüber informierte das Kraftfahrbundesamt die Öffentlichkeit mit einer Pressemitteilung vom 23.01.2018 (Anlage B 5). Die Beklagte entwickelte daraufhin in Absprache mit dem Kraftfahrbundesamt ein Software-Update, das die Beanstandungen beheben sollte. Das Kraftfahrtbundesamt gab die Software am 26.11.2018 frei. Der Kläger ließ das Software-Update am 08.07.2020 aufspielen (Anlage K 4).
2.
Der Kläger hat in erster Instanz vorgetragen, in dem von ihm erworbenen Fahrzeug käme mit Wissen und Wollen des Vorstands der Beklagten eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz.
Auf dieser Grundlage hat der Kläger in erster Instanz beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 39.235,74 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.09.2020 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi A7 Sportsback S-Line 3.0 TDI 3.0 TDI mit der Fahrzeug-Ident-Nr. ... zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten mit der Rücknahme des Fahrzeuges Audi A7 Sportsback S-Line 3.0 TDI 3.0 TDI mit der Fahrzeug-Ident-Nr. ... seit dem 12.09.2021 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.663,90 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu bezahlen.
3.
Die Beklagte hat in erster Instanz vorgetragen, sie habe bereits am 21.07.2017 durch eine Pressemitteilung der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass sie in einem umfangreichen Maßnahmenplan bis zu 850.000 Fahrzeuge für die Halter kostenlos mit einem Software-Update ausstatten werde, um das Emissionsverhalten im realen Fahrbetrieb weiter zu verbessern (Anlage B 4). Über diese Maßnahme und über den Rückrufbescheid des Kraftfahrbundesamts sei überregional und umfangreich in der Presse berichtet worden (vgl. Anlagen B 6 bis B 12).
Zudem habe sie vor dem Erwerb des verfahrensgegenständlichen Fahrzeugs – ab dem 25.01.2018 – über die internetbasierte Informationsplattform „AudiPartnerPortal (APP)“ ihre Vertragshändler und Servicepartner über die Beanstandungen am streitgegenständlichen Fahrzeug informiert. Sie habe mitgeteilt, dass Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs vor dem Aufspielen des vom Kraftfahrtbundesamt freigegebenen Software-Updates nur nach entsprechendem Hinweis an Kaufinteressenten über die Beanstandungen und die erforderliche Software-Aktualisierung verkauft werden dürften (Anlage B 1). Zu diesem Zweck habe sie den Vertragshändlern und Servicepartnern ein Musterschreiben („Beipackzettel“, Anlage B 2) zur Verfügung gestellt, welches diese fortan Kaufinteressenten vor Abschluss des Kaufvertrags über ein Fahrzeug des streitgegenständlichen Typs aushändigen mussten. Schließlich habe sie eine Internetseite eingerichtet, auf der eine mögliche Betroffenheit des Fahrzeugs anhand der Eingabe der FIN überprüft werden konnte (Anlagen B 13, B 14).
Die Beklagte hat vor diesem Hintergrund die Auffassung vertreten, eine deliktische Haftung sei ausgeschlossen, weil sie vor dem Erwerb des Fahrzeugs durch den Kläger ihr Verhalten grundlegend geändert habe, und daher in erster Instanz Klageabweisung beantragt.
4.
Das Landgericht hat der Klage unter Klageabweisung im Übrigen mit Endurteil vom 13.07.2021 im Wesentlichen stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 35.253,35 € zuzüglich Verzugszinsen seit dem 12.09.2020 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des verfahrensgegenständlichen Fahrzeugs sowie zur Erstattung von außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren verurteilt. Daneben hat es den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt. Zur Begründung hat das Landgericht - soweit für das Berufungsverfahren von Interesse - ausgeführt:
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs komme ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB in Betracht in Fällen, in denen das streitgegenständliche Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung enthält. Grundlage dieser Rechtsprechung sei gewesen, dass die betreffenden Motoren eine unzulässige Abschalteinrichtung enthielten, was vom Kraftfahrtbundesamt in einem Rückrufbescheid festgestellt worden sei. Hier liege es ebenso. Es liege unstreitig ein Rückrufbescheid des Kraftfahrtbundesamts für das streitgegenständliche Fahrzeug vor. Dort sei ausdrücklich festgestellt, dass für den streitgegenständlichen Motor eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form der „schnellen Motoraufwärmung“ nachgewiesen sei.
Es sei auch nicht ausreichend dargetan, dass der Kläger das Fahrzeug in Kenntnis der Software-Manipulation gekauft habe. Aus der Pressemitteilung der Beklagten vom 21.07.2021 und der späteren Presseberichterstattung sei für den Kläger nicht ersichtlich gewesen, dass sein Fahrzeug vom Dieselskandal betroffen sei. Dies ergebe sich auch nicht aus der „Kundeninformation“ (Anlage B 1), denn diese sei an die Händler gerichtet und mit „Nur zum internen Gebrauch“ überschrieben. Zudem weise die das Datum 07.09.2019 auf, also eines Zeitpunktes nach dem Vertragsschluss.
Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angegriffenen Urteil (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
5.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die ihren umfassenden Abweisungsantrag weiterverfolgt. Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor:
Ein Anspruch des Klägers scheitere bereits daran, dass der Beklagten im maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs kein sittenwidriges Verhalten vorgeworfen werden könne. Der Kläger habe das im vorliegenden Rechtsstreit streitgegenständliche Fahrzeug am 25.04.2018 und damit zu einem Zeitpunkt erworben, als die Beklagte bereits konkrete Schritte zur Überarbeitung der Motorsteuerungssoftware eingeleitet hatte und sich im Austausch mit dem KBA zur Abstimmung der Softwarelösungen befunden habe und ihre Vertragshändler angewiesen hatte, Fahrzeuge des betreffenden Fahrzeugtyps, bei denen das Software-Update noch nicht aufgespielt wurde, nur nach vorheriger Aufklärung von Kaufinteressenten durch Übergabe eines „Beipackzettels“ zu verkaufen. Sie hatte zudem durch Pressemitteilung – ebenso wie das KBA – über den Rückruf der betreffenden Fahrzeuge unterrichtet. Auf einer von der Beklagten geschalteten Website habe zudem durch Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) die Betroffenheit von Fahrzeugen abgefragt werden können. Zudem sei über den Rückruf des KBA in der landesweiten Presse berichtet worden. Das Verhalten der Beklagten sei nicht mehr auf das Ausnutzen von Arglosigkeit gerichtet gewesen. Auf die individuelle Kenntnis des Klägers komme es insoweit nicht an.
Die Beklagte beantragt,
das am 13. Juli 2021 verkündete Urteil des Landgerichts Würzburg (Az. 23 O 141/21) im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
6.
Der Kläger verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens das angegriffene Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Senatsprotokoll vom 22.12.2021.
Aus den Gründen
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg und führt unter Abänderung des angegriffenen Ersturteils zur Klageabweisung insgesamt. Dem Kläger steht auch kein Anspruch gegen die Beklagte nach den §§ 826, 31 BGB zu.
1.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts scheidet der zuerkannte Anspruch wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach §§ 826, 31 BGB (oder § 831 BGB) von vornherein aus, weil die Beklagte ihr Verhalten bereits vor dem gegenständlichen Kauf des Fahrzeugs sowohl im Sinne eines grundlegenden Strategiewechsels als auch nach außen erkennbar geändert hatte mit der Folge, dass der im Raum stehende Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten jedenfalls gegenüber dem Kläger nicht mehr gerechtfertigt ist (so bereits Senatsurteil vom 01.12.2021, 3 U 259/21, nicht veröffentlicht; Senatsbeschluss vom 23.11.2021, 3 U 280/21, nicht veröffentlicht; ebenso OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.2021, 3 U 1438/20, juris Rn. 35; OLG Stuttgart, Urteil vom 20.04.2021, 16a U 1305/20, juris Rn. 85; ähnlich bereits OLG Bamberg, Beschlüsse vom 14.04.2021 und vom 07.06.2021, 1 U 501/20, nicht veröffentlicht).
a)
Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Verhalten sittenwidrig, das nach seinem Gesamtcharakter, der in einer Gesamtschau durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht.
Fallen die erste potentiell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens - wie im Streitfall - zeitlich auseinander, ist der Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Denn im Falle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB wird das gesetzliche Schuldverhältnis erst mit Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten begründet; der haftungsbegründende Tatbestand setzt die Zufügung eines Schadens zwingend voraus. Deshalb kann im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber als nicht sittenwidrig zu werten sein. Hiervon ist insbesondere dann auszugehen, wenn wesentliche Elemente, die das bisherige Verhalten des Schädigers gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als besonders verwerflich erscheinen ließen, durch die Änderung seines Verhaltens derart relativiert werden, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf sein Gesamtverhalten gegenüber dem später betroffenen Geschädigten und im Hinblick auf den Schaden, der diesem entstanden ist, nicht gerechtfertigt ist (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 30; Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84, Rn. 12, 14, 17; Urteil vom 23.03.2021, VI ZR 1180/20, VersR 2021, 732 Rn. 10, 12; Urteil vom 12.10.2021, VI ZR 879/20, juris Rn. 8; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 13, 17 f.; Beschluss vom 14.09.2021, VI ZR 491/20, juris Rn. 8).
b)
Hieran gemessen lässt sich bei der gebotenen Gesamtbetrachtung des Verhaltens der Beklagten eine - entgegen der Auffassung des Klägers auch nach außen erkennbare - Verhaltensänderung der Beklagten vor Eintritt des Schadens beim Kläger feststellen, die dazu führt, dass das Inverkehrbringen des Fahrzeugs jedenfalls dem Kläger gegenüber nicht mehr als sittenwidrig zu werten ist (zutreffend ebenso OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.2021, 3 U 1438/20, juris Rn. 35; OLG Stuttgart, Urteil vom 20.04.2021, 16a U 1305/20, juris Rn. 85).
aa)
Allerdings ergibt sich eine solche grundlegende Verhaltensänderung entgegen der Auffassung der Beklagten noch nicht aus der Pressemitteilung vom 21.07.2017 (Anlage B 3), welche unter anderem den folgenden Wortlaut hatte:
„Audi bietet für Kunden in Europa und weiteren Märkten ein Nachrüstprogramm für EU5/EU6 Dieselfahrzeuge an. Insgesamt können bis zu 850.000 Autos, die mit dem Sechszylinder- und Achtzylinder-Dieselmotor ausgestattet sind (V6/V8 TDI, EU5/EU6), eine neue Software bekommen. Hierdurch wird das Emissionsverhalten im realen Fahrbetrieb jenseits der bisherigen gesetzlichen Anforderungen weiter verbessert. Die Aktion wird in enger Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) erfolgen.
[…]
Audi ist bekannt, dass die laufenden KBA-Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind. Sollten sich hieraus weitere Konsequenzen ergeben, wird Audi die erforderlichen technischen Lösungen als Teil des Nachrüstprogramms EU5/EU6 im Interesse der Kunden selbstverständlich zügig umsetzen.“
Diese Mitteilung enthält somit zwar eine Information der Öffentlichkeit über ein - durchaus umfangreiches - „Nachrüstprogramm“ für insgesamt bis zu 850.000 Fahrzeuge der Beklagten. Allerdings fehlt jeder Hinweis auf Beanstandungen des KBA oder gar einen (drohenden) Rückruf durch dieses, den Einsatz (vermeintlich) unzulässiger Abschalteinrichtungen oder auch nur den Dieselskandal im Allgemeinen. Die Pressemitteilung vom 21.07.2017 war damit nicht geeignet, das Vertrauen potentieller Käufer von Gebrauchtwagen in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen (offengelassen von OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.2021, 3 U 1438/20, juris Rn. 41).
bb)
Auch die Pressemitteilung des KBA vom 23.01.2018 (Anlage B 5) ist ebenso wie die nachfolgende überregionale Medienberichterstattung (Anlagen B 6 bis B 12) nicht geeignet, einen Strategiewechsel oder eine Verhaltensänderung der Beklagten zu belegen, weil es sich nicht um Handlungen der Beklagten selbst und damit nicht um Handlungen des (etwaigen) Schädigers handelt (vgl. bereits Senatsurteil vom 08.01.2020, 3 U 180/19, juris Rn. 32 zu einem vergleichbaren Sachverhalt die Volkswagen AG betreffend).
cc)
Soweit die Beklagte Fahrzeugkäufern auf einer Internetseite die Möglichkeit bot, mittels Eingabe der FIN die Betroffenheit des von ihnen erworbenen Fahrzeugs zu überprüfen, fehlt jeder Vortrag der Beklagten dazu, seit wann diese Möglichkeit bestanden und ob sie insbesondere auch dem Kläger bereits zur Verfügung gestanden hat. Auf diese Maßnahme der Beklagten kann deshalb, anders als das Landgericht meint, auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts eine Verhaltensänderung der Beklagten (noch) nicht gestützt werden.
dd)
Eine Zäsur durch eine grundlegende Verhaltensänderung der Beklagten ist aber spätestens darin zu erkennen, dass sie ab dem 25.01.2018 ihre Vertragshändler und Vertriebspartner angewiesen hat, sämtliche (potentiellen) Fahrzeugkäufer über den Rückruf des Fahrzeugs durch das KBA und die Erforderlichkeit eines Software-Updates vor dem Fahrzeugkauf mündlich und schriftlich aufzuklären (so bereits OLG Stuttgart, Urteil vom 20.04.2021, 16a U 1305/20, juris Rn. 90; OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.2021, 3 U 1438/20, juris Rn. 45).
(1)
Den Vertragshändlern und Servicepartnern wurde mitgeteilt, dass vom KBA „für Audi Modelle mit V6- und V8-TDI-Motoren Rückrufe angeordnet“ wurden (Anlage B 1). Die betroffenen Modelle könnten im Handel sicher identifiziert werden. Sodann wurde den Vertragshändlern und Servicepartner die folgende Anweisung erteilt: „Wenn ein betroffenes Fahrzeug ohne durchgeführtes Update verkauft wird, besteht eine Hinweispflicht an den Kunden. Es muss sichergestellt werden, dass diese Hinweispflicht bei Verkäufen aus dem Gebrauchtwagenbestand umgesetzt wird. ... Für die Hinweispflicht benutzen Sie bitte das folgende Musterschreiben: [es folgt die Anlage B 3]“
In dem Musterschreiben („Beipackzettel“, Anlage B 3) heißt es unter anderem: „wir freuen uns, dass Sie Interesse am Kauf dieses Fahrzeugs, Fahrgestellnummer ... der Marke Audi haben. Wie Sie sicherlich der Presse bereits entnommen haben, bietet Audi für Kunden ein Nachrüstprogramm für EU5/EU6 Dieselfahrzeuge an. ... Für diese 850.000 Fahrzeuge werden in Absprache mit dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) Software Updates durchgeführt, die zum Teil angeordnet, zum Teil freiwillig vorgenommen werden. Das vorliegende Fahrzeug gehört zu dieser Gruppe. Audi arbeitet mit Hochdruck daran, die neue Software zu entwickeln, ausführlich zu testen und dann von den Behörden freigeben zu lassen. ...“
Durch diese Maßnahme, die schon im Vorfeld des Vertragsschlusses angesiedelt war, wird deutlich, dass die Beklagte fortan nicht mehr die Arglosigkeit von Fahrzeugkäufern ausnutzen wollte (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 37; ebenso OLG Stuttgart, Urteil vom 20.04.2021, 16a U 1305/20, juris Rn. 91). Sie hatte die Vertragshändler und die Servicepartner auf den erfolgten Rückruf durch das KBA hingewiesen und diese angewiesen, die Kunden mittels eines Musterschreibens aufzuklären. Auf dieser Grundlage kann das Verhalten der Beklagten bei der gebotenen Gesamtbetrachtung insbesondere nicht mehr einer arglistigen Täuschung gleichgesetzt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2021, III ZR 261/20, juris Rn. 17).
(2)
Auch wenn sie selbst offenbar noch die Auffassung vertrat, nicht rechtswidrig gehandelt zu haben (vgl. Anlage B 1: „keine unzulässige Abschalteinrichtung“), hat sie jedenfalls die insoweit abweichende Ansicht des KBA und dessen Beanstandungen offengelegt. Es kann nicht verlangt werden und es ist nicht erforderlich, dass die Beklagten die Abschalteinrichtung (öffentlich) als illegal brandmarkt (BGH, Urteil vom 28.10.2021, III ZR 261/20, juris Rn. 19). Zudem hat die Beklagte auf Maßnahmen hingewiesen, die „zum Teil angeordnet“ waren (zu Recht ebenfalls diese Formulierung betonend OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.2021, 3 U 1438/20, juris Rn. 46 f.), und dass es zur Behebung dieser Beanstandungen erforderlich ist, eine Software zu entwickeln, die vom KBA geprüft und freigegeben werden muss. Damit hat die Beklagte zugleich die enge Einbindung der zuständigen Behörden (vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2021, III ZR 261/20, juris Rn. 19) offengelegt.
(3)
Zwar hat die Beklagte zunächst nur intern ihre Vertragshändler und Servicepartner informiert. Sie hat diese jedoch zugleich angewiesen, die zunächst intern weitergegebenen Informationen auch potentiellen Fahrzeugkäufern zur Verfügung zu stellen. Damit handelt es sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht um einen rein internen Vorgang, sondern um eine Maßnahme mit gezielter Außenwirkung. Die deutliche und unmissverständliche Anweisung war auch ausreichend. Die Beklagte durfte sich darauf verlassen, dass ihre Vertragshändler dieser Anweisung nachkommen würden. Weitere Maßnahmen zur Sicherung der Aufklärung potentieller Käufer musste sie nicht ergreifen.
Auch wenn das Musterschreiben in Teilen beschönigende Tendenzen aufweist, hat die Beklagte dadurch im Ergebnis für eine ausreichende Transparenz gegenüber den Käufern gesorgt. Ein aus moralischer Sicht tadelloses Verhalten der Beklagten - im Sinne einer optimalen Verbraucheraufklärung - war zum Ausschluss objektiver Sittenwidrigkeit nicht erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 38; Urteil vom 28.10.2021, III ZR 261/20, juris Rn. 18; OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.2021, 3 U 1438/20, juris Rn. 48). Überzogene oder sich tendenziell sogar einem wettbewerbsrechtlichen Lauterbarkeitsmaßstab annähernde Anforderungen an den Inhalt und die Aussagequalität von Verlautbarungen der Beklagten dürfen nicht gestellt werden. Es bedurfte zudem weder eines ausdrücklichen „Eingeständnisses“ hinsichtlich des im Raum stehenden Manipulationsverdachts noch einer näheren Erläuterung der möglichen Auswirkungen des Produktmangels auf die Zulassungsfrage. Es genügt ein Aufklärungsniveau, das jeden potentiellen Kunden in die Lage versetzte, die Situation bei Dieselfahrzeugen der – in den Hinweisen der Beklagten ausdrücklich angesprochenen – Produktpalette als suspekt zu erkennen und den alarmierenden Hinweisen selbstständig weiter nachzugehen (vgl. Senatsurteil vom 08.01.2020, a.a.O., Rn. 36 f.; ähnlich OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.2021, 3 U 1438/20, juris Rn. 47).
Auch eine Aufklärung, die tatsächlich jeden potentiellen Käufer erreicht und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung sicher verhindert, war zum Ausschluss objektiver Sittenwidrigkeit nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 38; Urteil vom 28.10.2021, III ZR 261/20, juris Rn. 19).
(4)
Der Senat ist schließlich davon überzeugt, dass die Anweisung der Beklagten an ihre Vertragshändler und Servicepartner (Anlage B 1) bereits am 25.01.2018 und nicht erst am 09.07.2019 oder 07.09.2019 erfolgt ist. Der Senat hat die Anlage B 1 im Senatstermin vom 22.12.201 in Augenschein genommen und dabei festgestellt, dass darauf - sich in das übrige Layout der Anlage einfügend - vermerkt ist: „update: 26.01.2018, erstellt: 25.01.2018, gültig bis: 25.01.2019“. Demgegenüber findet sich am rechten unteren Rand der Anlage in sich deutlich unterscheidendem Schriftbild der Aufdruck „7/9/2019, 3:32 PM“. Der Kläger geht daher davon aus, dass „das Datum unten rechts im Eck“ zeige, „dass die Händler erst Anfang 2019 wirklich Informationen bekamen“ (Seite 1 der Replik = Bl. 80 d. A.). Es werde bestritten, dass die Beklagte die Vertragshändler ab 25.01.2018 zur Transparenz aufgefordert habe (Seite 2 der Replik = Bl. 81 d. A.). In der Berufungserwiderung geht der Kläger (weiterhin) davon aus, dass die Anlage B 1 „auf den 7.9. Oder 9.7.19 datiert“ (Seite 3 der Berufungserwiderung = Bl. 157 d. A.).
Auch nach der Inaugenscheinnahme dieses Schriftstücks ist der Senat davon überzeugt, dass der jeweilige Datums-Aufdruck am rechten unteren Seitenrand erst nachträglich - etwa beim Ausdrucken - entstanden ist und mit der ursprünglichen Ausgestaltung der als Anlage B 1 vorliegenden Verlautbarung nicht in Zusammenhang steht. Das bestreitende Vorbringen des Klägers in Bezug auf die Anlage B 1 geht daher von einem unzutreffenden Sachverhalt aus und bedarf somit keiner weiteren Abklärung.
(5)
Nach alledem hatte die Beklagte spätestens ab 25.01.2018 ihr Verhalten nach außen erkennbar im Sinne eines grundlegenden Strategiewechsels und somit in maßgeblicher Weise geändert. Ohne dass noch es einer näheren Erörterung darüber bedarf, ob die Voraussetzungen eines Anspruchs nach §§ 826, 31 BGB bis dahin gegeben waren, wurden jedenfalls durch diese Verhaltensänderung wesentliche Elemente, die das bisherige Verhalten der Beklagten gegenüber den zuvor betroffenen Fahrzeugkäufern möglicherweise als besonders verwerflich erscheinen ließen, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gegenüber Fahrzeugkäufern und im Hinblick auf den Schaden, der bei ihnen durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags entstanden sein könnte, nicht mehr gerechtfertigt ist.
c)
Ob der Kläger tatsächlich entsprechend aufgeklärt wurde - was er bestritten hat -, ist insoweit nicht von Bedeutung. Es kommt ausschließlich auf den Willen der Beklagten an, (weiterhin) die Arglosigkeit der Käufer auszunutzen (vgl. Senatsurteil vom 08.01.2020, a.a.O., Rn. 40). Ob der Kläger (noch) arglos war, ist demgegenüber unerheblich (vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 20.04.2021, 16a U 1305/20, juris Rn. 91; OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.2021, 3 U 1438/20, juris Rn. 50); denn es kommt insoweit weder auf seine Kenntnisse vom „Dieselskandal“ im Allgemeinen noch auf seine Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen an. Käufern, die sich - wie der Kläger - erst für einen Kauf entschieden haben, nachdem die Beklagte ihren Strategiewechsel vollzogen hatte, wurde unabhängig von ihrem Wissensstand und ihrem subjektiven Vorstellungsbild der eingetretene Schaden jedenfalls nicht (mehr) sittenwidrig zugefügt (vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2021, III ZR 261/20, juris Rn. 19).
2.
Das angegriffene Ersturteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig; denn Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der VO (EG) Nr. 715/2007 oder aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB bestehen ebenfalls nicht (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff., 17 ff; Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, VersR 2021, 263 Rn. 20; Urteil vom 23.03.2021, VI ZR 1180/20, VersR 2021, 732 Rn. 19; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 35 ff.; Urteil vom 28.10.2021, III ZR 261/20, juris Rn. 13; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 10).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 Abs. 1; 97 Abs. 1 ZPO.
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10; 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Der Senat wendet lediglich gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung auf den vorliegenden Sachverhalt an. Abweichende obergerichtliche Rechtsprechung ist nicht ersichtlich.