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Wirtschaftsrecht
27.01.2022
Wirtschaftsrecht
BGH: Dieselskandal - Schadensersatzansprüche gegen die AUDI AG im Zusammenhang mit einem „verbrieften Rückgaberecht“

BGH, Urteil vom 16.12.2021 – VII ZR 389/21

Volltext: BB-Online BBL2022-193-2

ECLI:DE:BGH:2021:161221UVIIZR389.21.0

Amtlicher Leitsatz

Ein Vermögensschaden, der auf dem „ungewollten“ Abschluss eines Kaufvertrags über ein Fahrzeug beruht (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316), entfällt weder dadurch, dass der Anspruchsteller in Kenntnis des den Vermögensschaden begründenden Verhaltens der Anspruchsgegnerin ein ihm im Rahmen der Finanzierung des Kaufpreises von einem Dritten gewährtes verbrieftes Rückgaberecht nicht ausübt, noch setzt sich der Anspruchsteller hierdurch in Widerspruch dazu, dass er die Anspruchsgegnerin auf Schadensersatz im Wege der Rückabwicklung des Kaufvertrags in Anspruch nimmt.

BGB § 826 Ga, § 249 Bb, Cc, § 242 A

Sachverhalt

Der Kläger nimmt, soweit nach Rücknahme der ursprünglich auch gegen die Beklagte zu 2 als Verkäuferin gerichteten Revision noch von Interesse, die beklagte Fahrzeugherstellerin (im Folgenden: Beklagte) auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

Der Kläger erwarb im Februar 2017 einen von der Beklagten hergestellten Pkw Audi A6 Avant 3.0 TDI als Gebrauchtwagen zu einem Preis von 46.800 €, der durch ein Darlehen der AUDI Bank finanziert wurde. Die Darlehensbedingungen sahen ein sogenanntes verbrieftes Rückgaberecht vor. Danach bestand für den Käufer die Möglichkeit, bei Fälligkeit der Schlussrate das Fahrzeug an die Verkäuferin zu einem bereits festgelegten Kaufpreis zu verkaufen. Der Kläger machte davon keinen Gebrauch, sondern löste in der 9. Kalenderwoche 2021 das Darlehen vollständig ab.

Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 897 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Das Fahrzeug unterlag einem im Jahr 2018 erlassenen verpflichtenden Rückruf zur "Entfernung unzulässiger Abschalteinrichtungen beziehungsweise der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems" durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), von dem die Beklagte den Kläger in Kenntnis setzte. Der Kläger ließ ein vom KBA freigegebenes Software-Update am 4. Januar 2019 auf sein Fahrzeug aufspielen.

Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe die "Strategie A", eine Aufheizstrategie, in den Motor implementiert, die nahezu ausschließlich im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) aktiv sei. Zudem fänden beim Betrieb des SCR-Katalysators zwei unterschiedlich wirksame Betriebsarten zur Eindüsung von AdBlue Verwendung. Das Software-Update verursache Folgeschäden. Mit der Klage verlangt er zuletzt Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs die Zahlung von 49.681,15 € (Erstattung des Kaufpreises und der Finanzierungskosten) abzüglich einer auf eine Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 500.000 km bezogenen Nutzungsentschädigung nebst Prozesszinsen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassen Revision verfolgt der Kläger die zuletzt gestellten Anträge weiter.

Aus den Gründen

6          Die Revision hat Erfolg.

I.

7          Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

8          Die Beklagte sei zwar gegenüber Käufern von Fahrzeugen aus dem VW-Konzern, die mit dem VW-Dieselmotor EA 189 ausgestattet seien, grundsätzlich wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Ein Schaden in Form eines ungewollten Vertragsschlusses könne hier indes nicht mehr angenommen werden, weil der Kläger das ihm im Rahmen der Finanzierung gewährte Rückgaberecht nicht ausgeübt habe. Indem er durch Ablösung der Restschuld das Fahrzeug während des laufenden Berufungsverfahrens freiwillig übernommen habe, anstatt den Wagen zum Ende der Vertragslaufzeit gegen Erstattung des vertraglich vereinbarten Restwerts an den Händler zurückzugeben, habe der Kläger seine Handlungsfreiheit entsprechend ausgeübt. Wähle der Kläger nach Vollerwerb des Fahrzeugs den Schadensersatz durch Rückzahlung des Kaufpreises einschließlich der Finanzierungskosten Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, setze er sich zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch. Die Befreiung vom ungewollten Vertrag und den Schutz seiner Handlungsfreiheit könne der Kläger nicht mehr erreichen, nachdem er den Vollerwerb bewusst herbeigeführt und so sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht ausgeübt habe.

9          Ein Frustrationsschaden scheide aus, weil der Kläger das Fahrzeug trotz der Softwaremanipulation uneingeschränkt habe nutzen können, so dass seine Aufwendungen im Rahmen der Vertragsabwicklung gerade nicht vergeblich gewesen seien.

II.

10        Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB gegen die Beklagte nicht verneint werden.

11        Das Berufungsgericht hat zu Unrecht dahinstehen lassen, ob eine Haftung der Beklagten für den im Fahrzeug des Klägers verbauten Motortyp EA 897 gemäß § 826 BGB wegen der Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Betracht kommt, da es rechtsfehlerhaft einen Schaden des Klägers verneint hat. Zutreffend rügt die Revision die Annahme, an einem ungewollten Vertragsschluss fehle es deshalb, weil der Kläger von dem ihm im Rahmen des Finanzierungsvertrages eingeräumten verbrieften Rückgaberecht keinen Gebrauch gemacht und den Wagen nicht bei Fälligkeit der Schlussrate an die Verkäuferin, die Beklagte zu 2, zurückgegeben, sondern ihn in Kenntnis der "Abgasproblematik" endgültig erworben habe.

12        1. Im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung stellt das Berufungsgericht zutreffend darauf ab, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Kläger den Kaufvertrag in Kenntnis der - revisionsrechtlich zu unterstellenden - unzulässigen Abschalteinrichtung und wegen des daraus resultierenden Stilllegungsrisikos nicht abgeschlossen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 397/19 Rn. 16, WM 2020, 1642; Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 19, 49 ff., BGHZ 225, 316). Der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verpflichtung; insoweit bewirkt § 826 BGB einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 47 f., BGHZ 225, 316). Für die Qualifizierung des "ungewollten" Vertragsschlusses als Schaden im Sinne des § 826 BGB ist es ausreichend, dass das Fahrzeug im Erwerbszeitpunkt für die Zwecke des Klägers nicht voll brauchbar war, da die - revisionsrechtlich zu unterstellende - unzulässige Abschalteinrichtung den Fahrzeugbetrieb gefährdete (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 53 ff., BGHZ 225, 316).

13        Die Nichtausübung des "verbrieften Rückgaberechts" stellt die Anwendbarkeit des vorgenannten Erfahrungssatzes auf den Streitfall schon deshalb nicht infrage, weil das Rückgaberecht erst in der 9. Kalenderwoche 2021 entstanden ist, nachdem das vom KBA freigegebene Software-Update bereits im Januar 2019 beim Fahrzeug des Klägers durchgeführt worden war. Dass nach dem Update noch ein Stilllegungsrisiko bestanden hätte und vom Kläger bewusst in Kauf genommen worden wäre, was möglicherweise Rückschlüsse hinsichtlich der Erwerbskausalität zuließe, macht die Revisionserwiderung nicht geltend.

14        2. Weder das im Januar 2019 durchgeführte Software-Update ließ den Schaden entfallen noch die Nichtausübung des "verbrieften Rückgaberechts".

15        a) Hinsichtlich der Folgen des Software-Updates schließt sich der Senat den Ausführungen des VI. Zivilsenats an. Der Anspruch des Klägers auf (Rück-) Zahlung des für das bemakelte Fahrzeug gezahlten Kaufpreises erlischt nicht, wenn sich der (objektive) Wert oder Zustand des Fahrzeugs in der Folge aufgrund neuer Umstände wie etwa der Aufdeckung des verdeckten Sachmangels oder der Durchführung des Updates verändern. Dies geht vielmehr angesichts des Umstands, dass das Fahrzeug Zug um Zug gegen (Rück-)Zahlung der Beklagten zur Verfügung zu stellen ist, jeweils zu Lasten oder zu Gunsten der Beklagten. Der im Februar 2017 unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Klägers sittenwidrig herbeigeführte ungewollte Vertragsschluss, der im Rahmen des § 826 BGB den Schaden begründet, wird durch das im Januar 2019 - zumal angesichts einer anderenfalls drohenden Betriebsuntersagung - durchgeführte Software-Update nicht rückwirkend zu einem gewollten Vertragsschluss (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 58, BGHZ 225, 316).

16        b) Dass der Kläger das Darlehen vollständig ablöste, anstatt das Fahrzeug zu den beim Erwerb festgelegten Konditionen an die Beklagte zu 2 zurückzugeben, macht die Verletzung seines wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts genauso wenig ungeschehen. Das Berufungsgericht geht zu Unrecht davon aus, dass der Kläger dadurch den ungewollten Vertragsschluss zu einem gewollten gemacht habe, der den zuvor entstandenen Schaden im Nachhinein entfallen lasse. Ein widersprüchliches, womöglich anspruchsausschließendes Verhalten ist nicht erkennbar. Im Einzelnen:

17        aa) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kann der Kaufvertrag nicht in Anwendung des Rechtsgedankens des § 144 BGB als ein nicht mehr “ungewollter“ qualifiziert werden. An die Bestätigung eines anfechtbaren Rechtsgeschäfts sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung strenge Anforderungen zu stellen; sie kommt nur dann in Betracht, wenn jede andere nach den Umständen einigermaßen verständliche Deutung ausscheidet (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 1990 - V ZR 266/88, BGHZ 110, 220, juris Rn. 7 m.w.N.). Allein der Fortführung des ursprünglich geschlossenen Finanzierungsvertrages durch Zahlung der Schlussrate kann kein Bestätigungswille im Hinblick auf den Kaufvertrag entnommen werden.

18        bb) Ein Verstoß des Klägers gegen seine Obliegenheit zur Schadensminderung gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ist nicht festzustellen. Die Vorschrift des § 254 BGB setzt voraus, dass bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt hat (Absatz 1), oder er es schuldhaft unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern (Absatz 2 Satz 1 letzter Halbsatz). Dieses Verschulden bedeutet nicht die vorwerfbare Verletzung einer gegenüber einem anderen bestehenden Leistungspflicht, sondern ein Verschulden in eigener Angelegenheit. Es handelt sich um ein Verschulden gegen sich selbst, um die Verletzung einer im eigenen Interesse bestehenden Obliegenheit. Von der Verletzung einer Obliegenheit kann nur ausgegangen werden, wenn der Geschädigte unter Verstoß gegen Treu und Glauben diejenigen zumutbaren Maßnahmen unterlässt, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Käufer nach Lage der Dinge ergreifen würde, um Schaden von sich abzuwenden oder zu mindern (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 2018 - VII ZR 74/15 Rn. 25 m.w.N., BauR 2018, 823 = NZBau 2018, 212). Dies war hier nicht der Fall. Denn der Geschädigte muss Rechte, die ihm gegenüber einem Dritten zustehen und dem verfolgten Anspruch gegen den Schädiger nicht gleichwertig sind, nicht ausüben, um den Anspruch gegenüber dem Schädiger gering zu halten. Ein vernünftiger wirtschaftlich denkender Käufer hätte nicht das Rückgaberecht ausgeübt (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 16. April 2020 - 7 U 273/18, juris Rn. 78 f.; OLG Hamm, Urteil vom 5. März 2020 - 13 U 326/18, juris Rn. 117 ff.). Hätte der Kläger das verbriefte Rückgaberecht ausgeübt und sich so nach Auffassung der Beklagten von dem ungewollten Vertrag befreit, hätte er im Hinblick auf die unterschiedliche Berechnung der Nutzungsentschädigung und des Rückkaufpreises, jedenfalls unter Zugrundelegung der üblichen linearen Wertberechnung, insbesondere den anfänglichen höheren Wertverlust des Fahrzeugs realisiert und würde zudem die Finanzierungskosten nicht ersetzt erhalten. Dieses Risiko eines ihm wirtschaftlich ungünstigen Ergebnisses musste der Kläger nicht eingehen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 17. August 2021 - 17 U 325/19 Rn. 62, juris).

19        cc) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Rechtsprechung des Senats zur Berechnung des Nutzungsersatzes im Rahmen von Leasingverträgen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20 Rn. 40 ff., WM 2021, 2056) nicht auf den finanzierten Eigentumserwerb unter Einräumung eines Rückgaberechts übertragbar. Ein Leasingnehmer erwirbt nur die Möglichkeit zur Nutzung für einen begrenzten, vorher festgelegten Zeitraum zu bestimmten, mit dem Leasinggeber vereinbarten Bedingungen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20 Rn. 43 f., WM 2021, 2056). Die Darlehensraten sind demgegenüber keine Gegenleistung für die Einräumung der Nutzungsmöglichkeit, sondern sollen sukzessive den von vornherein beabsichtigten endgültigen Eigentumserwerb des Käufers im Verhältnis zum Sicherungsnehmer herbeiführen, aufgrund dessen er das Fahrzeug ohne zeitliche Begrenzung bis zum Eintritt der Gebrauchsuntauglichkeit nutzen kann. Der Erwerber erhält infolge der Fremdfinanzierung nicht nur ein zeitlich befristetes Nutzungsrecht bis zum Ablauf der Finanzierung. Trotz der Rückgabeoption beruht der fremdfinanzierte Kauf auf einer Investitionsentscheidung, die von vornherein auf den Eigentumserwerb gerichtet ist, der im Verhältnis zur Verkäuferin auch vollzogen wird und dem Erwerber erst die Möglichkeit verschafft, das Fahrzeug dem Finanzierungsgeber zur Sicherung zu übereignen.

20        dd) Die Ausübung des Rückgaberechts stellte sich im Verhältnis zur Schädigerin - der Beklagten - zudem als eine Weiterveräußerung des Fahrzeugs an einen Dritten, nämlich die ursprüngliche Verkäuferin dar, wie die Revision zutreffend ausführt. Mit der Ausübung der Rückgabeoption ändert der Käufer seine ursprünglich auf den eigenen Eigentumserwerb gerichtete Investitionsentscheidung und nimmt eine Weiterveräußerung vor. Dies ließe den Schaden dem Grunde nach nicht entfallen, sondern wäre nur bei der Schadenshöhe zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2021 - VI ZR 533/20 Rn. 24 ff., WM 2021, 1817).

III.

21        Die angegriffene Entscheidung ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Nachdem das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zu den übrigen Anspruchsvoraussetzungen des § 826 BGB getroffen hat, ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif. Deshalb ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

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