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Wirtschaftsrecht
09.03.2023
Wirtschaftsrecht
EuGH: Darlehen und Finanzkredite sowie Kontokorrent- und Termingeschäfte als Kapitalverkehr i. S. v. Art. 63 Abs. 1 AEUV

EuGH, Urteil vom 2.3.2023 – C-78/21, AS „PrivatBank“, A, B, Unimain Holdings LTD gegen Finanšu un kapitāla tirgus komisija

ECLI:EU:C:2023:137

Volltext: BB-Online BBL2023-577-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

1. Darlehen und Finanzkredite sowie Kontokorrent- und Termingeschäfte mit Finanzinstitutionen, insbesondere Kreditinstituten, sind als Kapitalverkehr im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV anzusehen.

2. Art. 56 Abs. 1 und Art. 63 Abs. 1 AEUV sind dahin auszulegen, dass eine Verwaltungsmaßnahme der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats, nach der ein Kreditinstitut mit natürlichen oder juristischen Personen, die keine Verbindung zu dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, haben und deren monatliches Habenumsatzvolumen einen bestimmten Betrag übersteigt, keine Geschäftsbeziehungen begründen darf und entsprechende nach dem Erlass der Verwaltungsmaßnahme begründete Geschäftsbeziehungen beenden muss, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne der erstgenannten Bestimmung sowie eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne der zweitgenannten Bestimmung darstellt.

3. Art. 56 Abs. 1 und Art. 63 Abs. 1 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Verwaltungsmaßnahme der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats, nach der ein Kreditinstitut mit natürlichen Personen, die keine Verbindung zu dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, haben und deren monatliches Habenumsatzvolumen 15 000 Euro übersteigt, oder juristischen Personen, deren wirtschaftliche Tätigkeit keine Verbindung zu diesem Mitgliedstaat aufweist und deren monatliches Habenumsatzvolumen 50 000 Euro übersteigt, keine Geschäftsbeziehungen begründen darf und entsprechende nach dem Erlass der Verwaltungsmaßnahme begründete Geschäftsbeziehungen beenden muss, nicht entgegenstehen, sofern diese Verwaltungsmaßnahme erstens gerechtfertigt ist – und zwar durch das Ziel der Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung oder wegen Unerlässlichkeit zur Verhinderung von Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Aufsicht über Finanzinstitute oder aber aus Gründen der öffentlichen Ordnung nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV –, zweitens zur Erreichung dieser Ziele geeignet ist, drittens nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist, und viertens die gemäß den Art. 56 und 63 AEUV geschützten Rechte und Interessen des betroffenen Kreditinstituts und seiner Kunden nicht übermäßig beeinträchtigt.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV, von Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des [EG-]Vertrages [(Artikel aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam)] (ABl. 1988, L 178, S. 5) sowie von Art. 1 der Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission (ABl. 2015, L 141, S. 73).

 

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der AS „PrivatBank“, A und B sowie der Unimain Holdings LTD auf der einen Seite und der Finanšu un kapitāla tirgus komisija (Finanz- und Kapitalmarktkommission, Lettland) (im Folgenden: FKTK) auf der anderen Seite über die Rechtmäßigkeit einer verwaltungsrechtlichen Sanktion und verwaltungsrechtlicher Maßnahmen, die die FKTK gegen die PrivatBank verhängt hat, um dem Risiko vorzubeugen, dass dieses Kreditinstitut in Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verwickelt wird.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 88/361

3          Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 88/361 sieht vor:

„Unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen beseitigen die Mitgliedstaaten die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten. Zur Erleichterung der Durchführung dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in Anhang I gegliedert.“

 

4          In der Einleitung des Anhangs I der Richtlinie 88/361 heißt es:

„In dieser Nomenklatur werden die Kapitalbewegungen nach der ökonomischen Natur der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, ausgedrückt in Landeswährung oder in Fremdwährungen, gegliedert.

Der in dieser Nomenklatur genannte Kapitalverkehr umfasst:

– alle für die Durchführung des Kapitalverkehrs erforderlichen Geschäfte: Abschluss und Ausführung der Transaktion und damit zusammenhängende Transferzahlungen. Die Transaktion erfolgt im Allgemeinen zwischen Gebietsansässigen verschiedener Mitgliedstaaten; es kommt jedoch vor, dass bestimmte Kapitalbewegungen von einer einzigen Person für eigene Rechnung getätigt werden (beispielsweise Vermögenstransfers von Auswanderern);

...

Diese Nomenklatur ist keine erschöpfende Aufzählung zur Definition des Begriffs des Kapitalverkehrs; sie enthält nämlich eine Rubrik XIII – F ‚Sonstiger Kapitalverkehr: Verschiedenes‘. Sie ist mithin nicht im Sinne einer Einschränkung des Geltungsbereichs des in Artikel 1 dieser Richtlinie niedergelegten Grundsatzes einer vollständigen Liberalisierung des Kapitalverkehrs zu verstehen.“

 

5          Zu den in Anhang I der Richtlinie 88/361 aufgeführten Kapitalbewegungen gehören „Kontokorrent- und Termingeschäfte mit Finanzinstitutionen“ in Rubrik VI und „Darlehen und Finanzkredite (soweit nicht unter I, VII und XI erfasst)“ in Rubrik VIII.

 

6          Schließlich heißt es in dem mit „Begriffsbestimmungen“ überschriebenen Abschnitt des Anhangs I der Richtlinie 88/361, dass als „Finanzinstitutionen“ „Banken, Sparkassen und Spezialinstitute für kurz-, mittel- und langfristige Kredite sowie Versicherungsgesellschaften, Bausparkassen, Kapitalanlagegesellschaften und sonstige Institutionen ähnlicher Art“ gelten und dass als „Kreditinstitute“ „Banken, Sparkassen und Spezialinstitute für kurz-, mittel- und langfristige Kredite“ gelten.

 

Richtlinie 2015/849

7          Der erste Erwägungsgrund der Richtlinie 2015/849 lautet:

„Ströme von illegalem Geld können die Integrität, Stabilität und das Ansehen des Finanzsektors schädigen und eine Bedrohung für den Binnenmarkt der [Europäischen] Union sowie die internationale Entwicklung darstellen. Geldwäsche, die Finanzierung des Terrorismus und organisierte Kriminalität sind nach wie vor bedeutende Probleme, die auf Ebene der Union angegangen werden sollten. Ergänzend zur Weiterentwicklung strafrechtlicher Maßnahmen auf Unionsebene sind zielgerichtete und verhältnismäßige Maßnahmen, die verhindern, dass das Finanzsystem zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung genutzt wird, unverzichtbar und können hier zu zusätzlichen Ergebnissen führen.“

 

8          Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2015/849 sieht vor:

„(1)       Ziel dieser Richtlinie ist die Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems der Union zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung.

(2)        Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung untersagt werden.“

 

9          Art. 5 der Richtlinie 2015/849 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in den Grenzen des Unionsrechts strengere Vorschriften auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen oder beibehalten.“

 

10        In Art. 8 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2015/849 heißt es:

„(1)       Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Verpflichteten angemessene Schritte unternehmen, um die für sie bestehenden Risiken der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung unter Berücksichtigung von Risikofaktoren, einschließlich in Bezug auf ihre Kunden, Länder oder geografische Gebiete, Produkte, Dienstleistungen, Transaktionen oder Vertriebskanäle zu ermitteln und zu bewerten. Diese Schritte stehen in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Größe der Verpflichteten.

...

(3)        Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Verpflichteten über Strategien, Kontrollen und Verfahren zur wirksamen Minderung und Steuerung der auf Unionsebene, auf mitgliedstaatlicher Ebene und bei sich selbst ermittelten Risiken von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verfügen. Die Strategien, Kontrollen und Verfahren stehen in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Größe dieser Verpflichteten.“

 

11        Art. 11 der Richtlinie 2015/849 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Verpflichteten unter den folgenden Umständen Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden anwenden:

...

b)         bei Ausführung gelegentlicher Transaktionen,

i)          die sich auf 15 000 [Euro] oder mehr belaufen, und zwar unabhängig davon, ob diese Transaktion in einem einzigen Vorgang oder in mehreren Vorgängen, zwischen denen eine Verbindung zu bestehen scheint, ausgeführt wird, ...

...“

 

12        Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2015/849 bestimmt:

„Die Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden umfassen:

a)         Feststellung der Identität des Kunden und Überprüfung der Kundenidentität ...

...

c)         Bewertung und gegebenenfalls Einholung von Informationen über den Zweck und die angestrebte Art der Geschäftsbeziehung;

d)         kontinuierliche Überwachung der Geschäftsbeziehung, einschließlich einer Überprüfung der im Verlauf der Geschäftsbeziehung ausgeführten Transaktionen, um sicherzustellen, dass diese mit den Kenntnissen der Verpflichteten über den Kunden, seine Geschäftstätigkeit und sein Risikoprofil, einschließlich erforderlichenfalls der Herkunft der Mittel, übereinstimmen, und Gewährleistung, dass die betreffenden Dokumente, Daten oder Informationen auf aktuellem Stand gehalten werden.

...“

 

13        Art. 59 Abs. 1, 2 und 4 der Richtlinie 2015/849 sieht vor:

„(1)       Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass dieser Artikel zumindest für die Verstöße gegen die in folgenden Artikeln festgelegten Anforderungen durch die Verpflichteten gilt, wenn es sich um schwerwiegende, wiederholte oder systematische Verstöße oder eine Kombination davon handelt:

a)         Artikel 10 bis 24 (Sorgfaltspflicht gegenüber Kunden),

...

(2)        Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass in den in Absatz 1 genannten Fällen die verwaltungsrechtlichen Sanktionen und Maßnahmen, die verhängt werden können, mindestens Folgendes umfassen:

...

c)         bei Verpflichteten, die einer Zulassungspflicht unterliegen, Entzug oder Aussetzung der Zulassung;

...

(4)        Die Mitgliedstaaten können die zuständigen Behörden ermächtigen, weitere Arten von verwaltungsrechtlichen Sanktionen zusätzlich zu den in Absatz 2 Buchstaben a bis d vorgesehenen verwaltungsrechtlichen Sanktionen zu verhängen oder Geldbußen zu verhängen, die über die in Absatz 2 Buchstabe e und in Absatz 3 genannten Beträge hinausgehen.“

 

Lettisches Recht

14        Der Noziedzīgi iegūtu līdzekļu legalizācijas un terorisma un proliferācijas finansēšanas novēršanas likums (Gesetz zur Verhinderung der Geldwäsche sowie der Finanzierung von Terrorismus und Proliferation) vom 17. Juli 2008 (Latvijas Vēstnesis, 2008, Nr. 116, im Folgenden: Antigeldwäschegesetz) wurde u. a. zum Zweck der Umsetzung der Richtlinie 2015/849 in lettisches Recht geändert.

 

15        Art. 5, Art. 6 Nr. 13 und Art. 7 Abs. 1 Nr. 3 des Finanšu un kapitāla tirgus komisijas likums (Gesetz über die Finanz- und Kapitalmarktkommission) vom 1. Juni 2000 (Latvijas Vēstnesis, 2000, Nr. 230/232), Art. 45 Abs. 1 Nr. 1 des Antigeldwäschegesetzes sowie Art. 99.1 und Art. 113 Abs. 1 Nr. 4 des Kredītiestāžu likums (Gesetz über Kreditinstitute) vom 5. Oktober 1995 (Latvijas Vēstnesis, 1995, Nr. 163) bestimmten dem vorlegenden Gericht zufolge in der jeweils auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung im Wesentlichen, dass die FKTK die Einhaltung des Antigeldwäschegesetzes durch die Finanz- und Kapitalmarktakteure beaufsichtigt und kontrolliert und befugt ist, Beschränkungen der Rechte und Geschäftstätigkeiten eines Kreditinstituts, einschließlich der vollständigen oder teilweisen Aussetzung der Finanzdienstleistungen, sowie Beschränkungen hinsichtlich der Erfüllung von Verpflichtungen zu verhängen.

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

16        Die PrivatBank ist ein Kreditinstitut mit Sitz in Lettland. Die zyprischen Staatsangehörigen A und B sowie die zyprische Gesellschaft Unimain Holdings sind Aktionäre der PrivatBank. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass diese Aktionäre auch Kunden der PrivatBank sind.

 

17        Die FKTK prüfte die Geschäftstätigkeit der PrivatBank auf die Einhaltung der Rechtsvorschriften zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung und insbesondere auf die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflicht gegenüber den mit ihren Aktionären in Verbindung stehenden Kunden und auf die Überwachung ihrer Transaktionen.

 

18        Bei dieser Prüfung stellte die FKTK fest, dass die PrivatBank bestimmte Anforderungen hinsichtlich der Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, die u. a. im Antigeldwäschegesetz vorgesehen seien, nicht erfülle. Durch das interne Kontrollsystem der PrivatBank für die Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden und die Überwachung der Transaktionen könne nämlich kein effizientes Management der entsprechenden Risiken durch die Bank sichergestellt werden. Insbesondere habe die PrivatBank für einen Teil der Kunden, deren wirtschaftliche Eigentümer ihre Aktionäre seien, sowohl bei der Überwachung der Transaktionen bestehender Kunden als auch bei der Aufnahme neuer Kunden günstigere Bedingungen angewandt.

 

19        Mit Beschluss vom 13. September 2019 verhängte die FKTK gegen die PrivatBank eine Geldbuße und zudem u. a. eine Verwaltungsmaßnahme, die darin bestand, dass – bis zur Umsetzung bestimmter in diesem Beschluss vorgesehener Maßnahmen und ihrer Genehmigung durch die FKTK – mit folgenden Personen ab Erlass dieses Beschlusses keine Geschäftsbeziehungen begründet werden durften und entsprechende nach dem Erlass dieses Beschlusses begründete Geschäftsbeziehungen unverzüglich beendet werden mussten:

–          natürliche Personen ohne Verbindung zur Republik Lettland mit einem monatlichen Habenumsatzvolumen von mehr als 15 000 Euro;

–          juristische Personen, deren wirtschaftliche Tätigkeit keine Verbindung zur Republik Lettland aufweist und deren monatliches Habenumsatzvolumen mehr als 50 000 Euro beträgt;

–          juristische Personen, deren wirtschaftliche Eigentümer Aktionäre der PrivatBank sind, und mit ihnen verbundene Personen.

20        Außerdem war die PrivatBank verpflichtet, sicherzustellen, dass das monatliche Habenumsatzvolumen sowohl der Kunden, deren wirtschaftliche Eigentümer Aktionäre der Bank oder mit ihnen verbundene Personen sind, als auch der Personen, die zur Gruppe der mit diesen Kunden verbundenen Kunden gehören, nicht das durchschnittliche monatliche Habenumsatzvolumen des jeweiligen Kunden für das Jahr 2019 gemäß den von der Bank zur Verfügung gestellten Daten überschreitet.

21        Die PrivatBank erhob bei dem vorlegenden Gericht, der Administratīvā apgabaltiesa (Regionalverwaltungsgericht, Lettland), Klage auf Aufhebung des Beschlusses vom 13. September 2019, soweit damit der Verstoß festgestellt und die Geldbuße verhängt worden war. A, B und Unimain Holdings erhoben bei dem vorlegenden Gericht Klage auf Aufhebung der in diesem Beschluss vorgesehenen Verwaltungsmaßnahme.

22        In ihrer Klage machen A, B und Unimain Holdings geltend, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme gegen die Art. 18 und 63 AEUV verstoße. Die sich aus dieser Maßnahme ergebenden Beschränkungen des Kapitalverkehrs beruhten weder auf der Ausübung einer rechtswidrigen Tätigkeit noch auf den in der Europäischen Union geltenden Verbotsvorschriften zur Verhinderung von Geldwäsche. Die Beschränkungen seien jeder natürlichen oder juristischen Person, selbst wenn sie rechtmäßig handle, auferlegt worden und entfalteten ihr gegenüber Wirkungen. Darüber hinaus zwinge die FKTK die PrivatBank durch die Verpflichtung, ausschließlich mit lettischen Staatsangehörigen und in Lettland ansässigen Unternehmen zusammenzuarbeiten, dazu, alle anderen Personen, d. h. auch Staatsangehörige der Mitgliedstaaten und in der Europäischen Union ansässige Unternehmen, automatisch als gefährliche Personen mit potenziell hohem Risiko einzustufen.

23        Die FKTK hält dem entgegen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme nicht als Beschränkung des freien Kapitalverkehrs angesehen werden könne, da sie nur für ein bestimmtes Kreditinstitut – im vorliegenden Fall die PrivatBank – gelte und nur eine begrenzte Gruppe von Kunden betreffe. So könnten diese Kunden Gelder bei jedem anderen in Lettland zugelassenen Kreditinstitut einzahlen. Das Ziel dieser Verwaltungsmaßnahme sei es u. a., von der PrivatBank begangene Verstöße zu unterbinden und eventuelle zukünftige Verstöße im Bereich der Geldwäsche zu verhindern. Jedenfalls stelle diese Verwaltungsmaßnahme eine zulässige und verhältnismäßige Beschränkung im Sinne von Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV dar.

 

24        Unter diesen Umständen hat die Administratīvā apgabaltiesa (Regionalverwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.         Sind die in Anhang I der Richtlinie 88/361 genannten Darlehen und Finanzkredite sowie Kontokorrent- und Termingeschäfte mit Finanzinstitutionen (einschließlich Banken) auch als Kapitalverkehr im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV anzusehen?

2.         Stellt eine (sich nicht unmittelbar aus den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats ableitende) Beschränkung, mit der die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats einem bestimmten Kreditinstitut das Verbot der Begründung von Geschäftsbeziehungen und die Verpflichtung zur Beendigung von bestehenden Geschäftsbeziehungen mit Personen auferlegt, die nicht Staatsangehörige der Republik Lettland sind, eine Maßnahme eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV dar, und hat sie als solche eine Beschränkung des in diesem Artikel verankerten Grundsatzes des freien Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten zur Folge?

3.         Rechtfertigt das in Art. 1 der Richtlinie 2015/849 genannte Ziel der Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems der Union zum Zweck der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung die Beschränkung des in Art. 63 Abs. 1 AEUV garantierten freien Kapitalverkehrs?

4.         Ist das von dem Mitgliedstaat gewählte Mittel – die Verpflichtung eines bestimmten Kreditinstituts, keine Geschäftsbeziehungen zu Personen, die nicht Staatsangehörige eines bestimmten Mitgliedstaats (der Republik Lettland) sind, zu begründen und bestehende Geschäftsbeziehungen zu beenden – zur Erreichung des in Art. 1 der Richtlinie 2015/849 genannten Ziels geeignet und stellt somit eine Ausnahme im Sinne von Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV dar?

 

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

25        Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Darlehen und Finanzkredite sowie Kontokorrent- und Termingeschäfte mit Finanzinstitutionen, insbesondere Kreditinstituten, als Kapitalverkehr im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV anzusehen sind.

 

26        Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verbietet Art. 63 Abs. 1 AEUV ganz allgemein Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern (Urteil vom 21. Dezember 2021, Finanzamt V [Erbschaften – Teilfreibetrag und Abzug von Pflichtteilsansprüchen], C‑394/20, EU:C:2021:1044, Rn. 28).

 

27        Da der AEU-Vertrag keine Definition des Begriffs „Kapitalverkehr“ im Sinne seines Art. 63 Abs. 1 AEUV enthält, hat der Gerichtshof der Nomenklatur für den Kapitalverkehr in Anhang I der Richtlinie 88/361 für die Definition dieses Begriffs Hinweischarakter zuerkannt, wobei diese Nomenklatur nach der Einleitung dieses Anhangs aber keinen erschöpfenden Charakter hat (Urteile vom 15. Februar 2017, X, C‑317/15, EU:C:2017:119, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 16. September 2020, Romenergo und Aris Capital, C‑339/19, EU:C:2020:709, Rn. 32).

 

28        Dieser Anhang I nennt aber in seiner Rubrik VI „Kontokorrent- und Termingeschäfte mit Finanzinstitutionen“ und in seiner Rubrik VIII „Darlehen und Finanzkredite“. Im Übrigen heißt es in dem mit „Begriffsbestimmungen“ überschriebenen Abschnitt dieses Anhangs, dass der Begriff „Finanzinstitutionen“ u. a. Banken bezeichnet.

 

29        Schließlich hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Tätigkeit der gewerbsmäßigen Kreditvergabe auch in einer Beziehung zum freien Kapitalverkehr steht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Oktober 2006, Fidium Finanz, C‑452/04, EU:C:2006:631, Rn. 43, sowie vom 14. Februar 2019, Milivojević, C‑630/17, EU:C:2019:123, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

30        Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Darlehen und Finanzkredite sowie Kontokorrent- und Termingeschäfte mit Finanzinstitutionen, insbesondere Kreditinstituten, als Kapitalverkehr im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV anzusehen sind.

 

Zur zweiten Frage

Einleitende Bemerkungen

31        Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob eine Verwaltungsmaßnahme, mit der die zuständige nationale Behörde einem Kreditinstitut aufgibt, mit Personen, die keine lettischen Staatsangehörigen sind, keine Geschäftsbeziehungen zu begründen und bestehende Geschäftsbeziehungen zu beenden, eine Beschränkung im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV darstellt.

 

32        Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht am 10. März 2022 auf ein Klarstellungsersuchen des Gerichtshofs hin ausgeführt hat, dass die Identifizierung der Personen, mit denen die PrivatBank aufgrund der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verwaltungsmaßnahme keine Geschäftsbeziehungen begründen oder unterhalten darf, zum einen auf dem Kriterium der Verbindung natürlicher oder juristischer Personen zu Lettland und zum anderen auf dem Kriterium des monatlichen Habenumsatzvolumens beruht. Folglich berührt diese Maßnahme nicht unbedingt nur die Beziehungen zwischen diesem Kreditinstitut und natürlichen Personen ohne lettische Staatsangehörigkeit.

 

33        Als Zweites möchte das vorlegende Gericht im Rahmen dieser zweiten Frage vom Gerichtshof wissen, ob eine Maßnahme, die sich nicht unmittelbar aus den nationalen Rechtsvorschriften ergibt, sondern von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats wie der FKTK erlassen wurde, „eine Maßnahme eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV [darstellt, die] als solche eine Beschränkung des ... Grundsatzes des freien Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten zur Folge“ hat.

 

34        Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, die Vereinbarkeit einer solchen Verwaltungsmaßnahme mit höherrangigem nationalen Recht zu beurteilen. Zum anderen soll Art. 63 Abs. 1 AEUV, wie die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, u. a. zur Beseitigung von administrativen Hemmnissen führen, die den freien Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten behindern können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Oktober 2005, Trapeza tis Ellados, C‑329/03, EU:C:2005:645, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher kann eine Verwaltungsmaßnahme, die in einem von einer Behörde wie der FKTK erlassenen aufsichtsrechtlichen Beschluss enthalten ist, eine Beschränkung im Sinne dieser Bestimmung darstellen.

 

35        Als Drittes ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung, um dem Gericht, das ihm eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, eine sachdienliche Antwort zu geben, veranlasst sein kann, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (Urteil vom 2. September 2021, LG und MH [Selbstgeldwäsche], C‑790/19, EU:C:2021:661, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

36        Im vorliegenden Fall haben die Parteien des Ausgangsverfahrens, die italienische und die lettische Regierung sowie die Kommission in ihren schriftlichen bzw. mündlichen Erklärungen vorgebracht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme nicht nur im Hinblick auf den in Art. 63 Abs. 1 AEUV vorgesehenen freien Kapitalverkehr, sondern auch im Hinblick auf den in Art. 56 AEUV garantierten freien Dienstleistungsverkehr beurteilt werden könne.

 

37        Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich insoweit, dass die Tätigkeit der Kreditvergabe durch ein Kreditinstitut eine Dienstleistung im Sinne von Art. 56 AEUV darstellt (Urteil vom 14. Februar 2019, Milivojević, C‑630/17, EU:C:2019:123, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

38        Somit – und unter Berücksichtigung auch der oben in Rn. 29 angeführten Rechtsprechung – steht die gewerbsmäßige Kreditvergabe grundsätzlich in einer Beziehung sowohl zum freien Dienstleistungsverkehr im Sinne der Art. 56 ff. AEUV als auch zum freien Kapitalverkehr im Sinne der Art. 63 ff. AEUV (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Februar 2019, Milivojević, C‑630/17, EU:C:2019:123, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

39        Betrifft eine innerstaatliche Maßnahme sowohl den freien Dienstleistungsverkehr als auch den freien Kapitalverkehr, ist zu prüfen, inwieweit die Ausübung dieser Grundfreiheiten berührt wird und ob unter den Umständen des Einzelfalls eine von ihnen hinter die andere zurücktritt. Der Gerichtshof prüft die in Rede stehende Maßnahme grundsätzlich nur im Hinblick auf eine dieser beiden Freiheiten, wenn sich herausstellt, dass unter den Umständen des Einzelfalls eine der beiden Freiheiten der anderen gegenüber völlig zweitrangig ist und ihr zugeordnet werden kann (Urteil vom 14. Februar 2019, Milivojević, C‑630/17, EU:C:2019:123, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

40        Im vorliegenden Fall betrifft die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme, wie die Generalanwältin in den Nrn. 44 und 45 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, sowohl die Inanspruchnahme von Finanzdienstleistungen der PrivatBank als auch den Kapitalverkehrsfluss als solchen.

 

41        Erstens stützt sich diese Verwaltungsmaßnahme nämlich u. a. auf das Kriterium des monatlichen Habenumsatzvolumens und knüpft damit, unabhängig davon, ob der betreffende Kunde Beratungsdienstleistungen der PrivatBank in Anspruch nimmt, direkt an den Kapitalverkehr an. Zweitens beeinträchtigt eine Verwaltungsmaßnahme, nach der mit bestimmten Kunden keine Geschäftsbeziehungen begründet werden dürfen und bestehende Geschäftsbeziehungen beendet werden müssen, die Dienstleistungsfreiheit dieses Kreditinstituts.

 

42        In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist die zweite Vorlagefrage dahin umzuformulieren, dass das vorlegende Gericht mit ihr im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 56 Abs. 1 und Art. 63 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen sind, dass eine Verwaltungsmaßnahme der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats, nach der ein Kreditinstitut mit natürlichen oder juristischen Personen, die keine Verbindung zu dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, haben und deren monatliches Habenumsatzvolumen einen bestimmten Betrag übersteigt, keine Geschäftsbeziehungen begründen darf und entsprechende nach dem Erlass der Verwaltungsmaßnahme begründete Geschäftsbeziehungen beenden muss, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne der erstgenannten Bestimmung sowie eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne der zweitgenannten Bestimmung darstellt.

 

Zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs und des freien Kapitalverkehrs

 

43        Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass Art. 56 AEUV der Anwendung jeder nationalen Regelung entgegensteht, die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten gegenüber der Erbringung von Dienstleistungen allein innerhalb eines Mitgliedstaats erschwert. Art. 56 AEUV verlangt nämlich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Aufhebung aller Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs, die darauf beruhen, dass der Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niedergelassen ist, in dem die Leistung erbracht wird (Urteil vom 22. November 2018, Vorarlberger Landes- und Hypothekenbank, C‑625/17, EU:C:2018:939, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

44        Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs sind solche nationalen Maßnahmen, die die Ausübung dieser Freiheit verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen (Urteil vom 22. November 2018, Vorarlberger Landes- und Hypothekenbank, C‑625/17, EU:C:2018:939, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

45        Außerdem verleiht nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs Art. 56 AEUV nicht nur dem Erbringer von Dienstleistungen selbst, sondern auch dem Empfänger dieser Dienstleistungen Rechte (Urteil vom 30. Januar 2020, Anton van Zantbeek, C‑725/18, EU:C:2020:54, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

46        Im konkreten Fall lässt sich der dem Gerichtshof vorliegenden Akte entnehmen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme die PrivatBank daran hindert, für höhere als die in der Maßnahme vorgesehenen Beträge bestimmte Bankdienstleistungen anzubieten, die z. B. mit der Bereitstellung von Krediten oder der Entgegennahme von Geldern für natürliche Personen ohne Verbindung zu Lettland oder juristische Personen ohne Wirtschaftstätigkeit mit Bezug zu Lettland in Zusammenhang stehen. Diese Maßnahme ist daher geeignet, die Erbringung von Dienstleistungen zwischen den Mitgliedstaaten gegenüber der Erbringung von Dienstleistungen allein innerhalb der Republik Lettland zu erschweren.

 

47        Daher stellt eine Verwaltungsmaßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nach der oben in den Rn. 43 bis 45 angeführten Rechtsprechung eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar, die nach Art. 56 Abs. 1 AEUV grundsätzlich verboten ist.

 

48        Als Zweites verbietet der Begriff „Beschränkung“ in Art. 63 AEUV nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ganz allgemein sämtliche Beschränkungen des Kapitalverkehrs, sowohl zwischen Mitgliedstaaten als auch zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten (Urteil vom 6. Oktober 2021, ECOTEX BULGARIA, C‑544/19, EU:C:2021:803, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

49        Insbesondere umfasst dieser Begriff staatliche Maßnahmen, die insofern diskriminierend sind, als sie unmittelbar oder mittelbar eine Ungleichbehandlung zwischen dem innerstaatlichen und dem grenzüberschreitenden Kapitalverkehr schaffen, die nicht einem objektiven Unterschied der Sachverhalte entspricht, und die daher geeignet sind, natürliche oder juristische Personen aus anderen Mitgliedstaaten oder Drittstaaten von grenzüberschreitendem Kapitalverkehr abzuhalten (Urteil vom 18. Juni 2020, Kommission/Ungarn [Transparenz von Vereinigungen], C‑78/18, EU:C:2020:476, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

50        Im vorliegenden Fall stellt, wie die Generalanwältin in Nr. 47 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme, durch die die PrivatBank verpflichtet wird, Geschäftsbeziehungen mit natürlichen Personen ohne Verbindung zu Lettland und juristischen Personen, deren wirtschaftliche Tätigkeit keine Verbindung zu Lettland aufweist, zu beenden bzw. nicht zu begründen, eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar.

 

51        Denn auch wenn eine solche Verwaltungsmaßnahme, die allein auf das Kriterium der Verbindung zu Lettland abstellt, nicht unmittelbar an die Staatsangehörigkeit der betroffenen Personen anknüpft, ist sie dennoch geeignet, Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats als der Republik Lettland und in einem solchen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaften stärker zu beeinträchtigen, da bei ihnen die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Verbindung zur Republik Lettland aufweisen, deutlich geringer ist als bei lettischen Staatsangehörigen oder in Lettland ansässigen Gesellschaften.

 

52        Als Drittes können entgegen dem, was die lettische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen vorbringt, der Umstand, dass es den Kunden, die von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verwaltungsmaßnahme betroffen sein könnten, weiterhin freisteht, bei jedem anderen in Lettland zugelassenen Kreditinstitut ein Konto zu eröffnen und darauf Gelder zu verwahren, da diese Maßnahme nur für die PrivatBank gilt, oder auch der Umstand, dass diese Maßnahme nur vorübergehend gilt, nichts an der beschränkenden Natur dieser Maßnahme ändern.

 

53        Zum einen ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nach dem AEU-Vertrag auch eine geringfügige oder wenig bedeutende Beschränkung einer Grundfreiheit grundsätzlich untersagt (Urteil vom 22. September 2022, Admiral Gaming Network u. a., C‑475/20 bis C‑482/20, EU:C:2022:71, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

54        Zum anderen gehört es, wie die Generalanwältin in Nr. 53 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, zum Wesensgehalt des freien Dienstleistungsverkehrs und des freien Kapitalverkehrs, dass eine natürliche oder juristische Person frei entscheiden kann, mit welchem Kreditinstitut sie eine Geschäftsbeziehung begründet, um etwa bestimmte Konditionen oder Produkte für sich in Anspruch zu nehmen.

 

55        Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 56 Abs. 1 und Art. 63 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen sind, dass eine Verwaltungsmaßnahme der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats, nach der ein Kreditinstitut mit natürlichen oder juristischen Personen, die keine Verbindung zu dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, haben und deren monatliches Habenumsatzvolumen einen bestimmten Betrag übersteigt, keine Geschäftsbeziehungen begründen darf und entsprechende nach dem Erlass der Verwaltungsmaßnahme begründete Geschäftsbeziehungen beenden muss, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne der erstgenannten Bestimmung sowie eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne der zweitgenannten Bestimmung darstellt.

 

Zur dritten und zur vierten Frage

 

56        Mit seiner dritten und seiner vierten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs und des freien Kapitalverkehrs, die auf eine Verwaltungsmaßnahme der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats zurückgeht, nach der ein Kreditinstitut mit natürlichen Personen, die keine Verbindung zu dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, haben und deren monatliches Habenumsatzvolumen 15 000 Euro übersteigt, oder juristischen Personen, deren wirtschaftliche Tätigkeit keine Verbindung zu diesem Mitgliedstaat aufweist und deren monatliches Habenumsatzvolumen 50 000 Euro übersteigt, keine Geschäftsbeziehungen begründen darf und entsprechende nach dem Erlass der Verwaltungsmaßnahme begründete Geschäftsbeziehungen beenden muss, durch das in Art. 1 der Richtlinie 2015/849 genannte Ziel der Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung gerechtfertigt ist und ob diese Maßnahme gegebenenfalls unter Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV fällt.

 

Zum Vorliegen einer Rechtfertigung

 

57        Was als Erstes den freien Kapitalverkehr angeht, so kann dieser nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann durch eine staatliche Maßnahme beschränkt werden, wenn diese aus einem der in Art. 65 AEUV genannten Gründe oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs gerechtfertigt ist, soweit keine Harmonisierungsmaßnahme auf Unionsebene vorliegt, die den Schutz dieser Interessen gewährleistet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, ECOTEX BULGARIA, C‑544/19, EU:C:2021:803, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

58        Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme erlassen wurde, um Zuwiderhandlungen der PrivatBank gegen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung erstens abzustellen und zweitens für die Zukunft zu verhindern, denn solche Zuwiderhandlungen können nicht nur dazu führen, dass die PrivatBank selbst in Geldwäsche oder versuchte Geldwäsche sowie in die Umgehung oder Nichteinhaltung von internationalen Sanktionen verwickelt wird, sondern auch dazu, dass das Ansehen des nationalen Finanzsektors insgesamt großen Risiken ausgesetzt wird.

 

59        Insoweit bestimmt zunächst Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV, dass Art. 63 AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten berührt, u. a. die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet der Aufsicht über Finanzinstitute, zu verhindern oder Maßnahmen zu ergreifen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt sind.

 

60        Der Gerichtshof hat klargestellt, dass die betreffende Maßnahme nur dann als „unerlässliche Maßnahme“ im Sinne von Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV angesehen werden kann, wenn sie gerade den Zweck hat, Zuwiderhandlungen gegen Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Aufsicht über Finanzinstitute zu verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2012, VBV – Vorsorgekasse, C‑39/11, EU:C:2012:327, Rn. 30).

 

61        Sodann hat der Gerichtshof bereits anerkannt, dass die Bekämpfung der Geldwäsche, die Teil des Ziels des Schutzes der öffentlichen Ordnung ist, ein legitimes Ziel darstellt, das eine Beschränkung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten rechtfertigen kann (Urteil vom 31. Mai 2018, Zheng, C‑190/17, EU:C:2018:357, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

62        Nach ständiger Rechtsprechung können Gründe der öffentlichen Ordnung nur geltend gemacht werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt; sie dürfen überdies nicht rein wirtschaftlichen Zwecken dienen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. September 2020, Romenergo und Aris Capital, C‑339/19, EU:C:2020:709, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

63        Wie der Gerichtshof bereits ausgeführt hat, hat der Unionsgesetzgeber die Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung schließlich nur teilweise harmonisiert, so dass sich die Mitgliedstaaten weiterhin auf die Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung als Gründe der öffentlichen Ordnung berufen können, um nationale Bestimmungen, die den freien Kapitalverkehr beschränken, zu rechtfertigen (Urteil vom 18. Juni 2020, Kommission/Ungarn [Transparenz von Vereinigungen], C‑78/18, EU:C:2020:476, Rn. 89).

 

64        Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2015/849 nur eine Mindestharmonisierung vornimmt, da ihr Art. 5 den Mitgliedstaaten gestattet, in den Grenzen des Unionsrechts strengere Vorschriften zu erlassen oder beizubehalten, wenn diese der Verstärkung der Bekämpfung der Geldwäsche oder der Terrorismusfinanzierung dienen (Urteil vom 17. November 2022, Rodl & Partner, C‑562/20, EU:C:2022:883, Rn. 46).

 

65        Zum anderen können die Mitgliedstaaten nach Art. 59 Abs. 4 dieser Richtlinie die zuständigen Behörden ermächtigen, weitere Arten von verwaltungsrechtlichen Sanktionen zusätzlich zu den in diesem Artikel vorgesehenen verwaltungsrechtlichen Sanktionen zu verhängen oder Geldbußen zu verhängen, die über die in diesem Artikel genannten Beträge hinausgehen.

 

66        In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen kann eine durch eine Verwaltungsmaßnahme bewirkte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs zum einen nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV gerechtfertigt sein, wenn sie unerlässlich ist, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet der Aufsicht über Finanzinstitute, zu verhindern. Zum anderen kann eine solche Beschränkung auch durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu verhindern und zu bekämpfen.

 

67        Angesichts der mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verwaltungsmaßnahme verfolgten, oben in Rn. 58 genannten Ziele erfüllt eine solche Maßnahme die in der vorstehenden Randnummer genannten Voraussetzungen, was vom vorlegenden Gericht zu überprüfen ist.

 

68        Was als Zweites den freien Dienstleistungsverkehr betrifft, genügt der Hinweis, dass der Gerichtshof bereits anerkannt hat, dass die Bekämpfung der Geldwäsche, die Teil des Ziels des Schutzes der öffentlichen Ordnung ist, ein legitimes Ziel darstellt, das auch eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen kann (Urteil vom 25. April 2013, Jyske Bank Gibraltar, C‑212/11, EU:C:2013:270, Rn. 64).

 

69        Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen sowohl durch das legitime Ziel der Verhinderung und Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung als auch auf der Grundlage von Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV gerechtfertigt sein kann, sofern mit dieser Verwaltungsmaßnahme eines der in dieser Bestimmung genannten Ziele verfolgt wird.

 

70        Allerdings muss diese Verwaltungsmaßnahme nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verhältnismäßig sein, was insbesondere bedeutet, dass sie geeignet sein muss, die Erreichung der verfolgten Zielsetzung in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen darf, was hierzu erforderlich ist (Urteil vom 18. Juni 2020, Kommission/Ungarn [Transparenz von Vereinigungen], C‑78/18, EU:C:2020:476, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

71        Zwar ist es letztlich Sache des für die Beurteilung des Sachverhalts und die Auslegung des innerstaatlichen Rechts allein zuständigen nationalen Gerichts, festzustellen, ob diese Erfordernisse im konkreten Fall erfüllt sind, doch kann der Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen dem vorlegenden Gericht sachdienliche Hinweise geben, anhand deren es den Rechtsstreit, mit dem es befasst ist, entscheiden kann (Urteil vom 6. Oktober 2021, ECOTEX BULGARIA, C‑544/19, EU:C:2021:803, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

Zur Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

 

72        Was als Erstes die Frage betrifft, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme geeignet ist, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, ist darauf hinzuweisen, dass eine nationale Maßnahme nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann geeignet ist, die Erreichung des angeführten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, ECOTEX BULGARIA, C‑544/19, EU:C:2021:803, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

73        Außerdem hat der Gerichtshof klargestellt, dass eine nationale Maßnahme, deren Ziel darin besteht, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu verhindern, als geeignet anzusehen ist, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten, wenn sie dazu beiträgt, das Risiko von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu verringern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. März 2016, Safe Interenvíos, C‑235/14, EU:C:2016:154, Rn. 104).

 

74        Im vorliegenden Fall geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme insbesondere deshalb erlassen wurde, weil die PrivatBank gegen bestimmte in der nationalen Regelung vorgesehene Anforderungen hinsichtlich der Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verstoßen hatte. Genauer gesagt wurde – entsprechend den Ausführungen oben in Rn. 18 und den Anmerkungen der FKTK und der lettischen Regierung in der mündlichen Verhandlung – das interne Kontrollsystem der PrivatBank für die Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden und die Überwachung der Transaktionen als nicht geeignet angesehen, um ein effizientes Management der entsprechenden Risiken durch die Bank sicherzustellen. Insbesondere sei es der PrivatBank, da sie keine Informationen über ihre Kunden erhalten könne, unmöglich, diese Risiken zu kennen und damit den ihr obliegenden Sorgfaltspflichten nachzukommen.

 

75        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen der Richtlinie 2015/849, die einen präventiven Charakter aufweisen, gemäß einem risikobasierten Ansatz darauf abzielen, eine Gesamtheit von Vorbeugungs- und Abschreckungsmaßnahmen vorzusehen, die es ermöglichen, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung effizient zu bekämpfen, um, wie aus dem ersten Erwägungsgrund dieser Richtlinie hervorgeht, zu verhindern, dass Ströme von illegalem Geld die Integrität, Stabilität und das Ansehen des Finanzsektors der Union schädigen und eine Bedrohung für deren Binnenmarkt sowie die internationale Entwicklung darstellen können (Urteil vom 17. November 2022, Rodl & Partner, C‑562/20, EU:C:2022:883, Rn. 34 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

76        Zu diesen Vorbeugungs- und Abschreckungsmaßnahmen, die es ermöglichen, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung effizient zu bekämpfen, gehören die in Art. 8 Abs. 1 und 3 und Art. 11 der Richtlinie 2015/849 genannten Maßnahmen, nach denen die Verpflichteten die Risiken von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in Bezug auf ihre Kunden ermitteln und steuern müssen und im Rahmen ihrer Sorgfaltspflichten die Identität ihrer Kunden feststellen müssen.

 

77        Die Verpflichteten müssen insbesondere Standardsorgfaltspflichten gegenüber Kunden anwenden, wenn sie im Rahmen ihrer Bewertung der mit einem Kunden verbundenen Risiken von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ein Standardrisikoniveau ermittelt haben (Urteil vom 17. November 2022, Rodl & Partner, C‑562/20, EU:C:2022:883, Rn. 68).

 

78        Was die Sorgfaltspflichten selbst anbelangt, die die Verpflichteten umsetzen müssen, so ist in Art. 13 Abs. 1 der genannten Richtlinie eine Reihe von Sorgfaltspflichten aufgeführt, darunter die Feststellung der Identität des Kunden und die Überprüfung der Kundenidentität (Buchst. a), die Bewertung und gegebenenfalls die Einholung von Informationen über den Zweck und die angestrebte Art der Geschäftsbeziehung (Buchst. c) sowie die kontinuierliche Überwachung der Geschäftsbeziehung, einschließlich einer Überprüfung der im Verlauf der Geschäftsbeziehung ausgeführten Transaktionen, um sicherzustellen, dass diese mit den Kenntnissen der Verpflichteten über den Kunden, seine Geschäftstätigkeit und sein Risikoprofil, einschließlich erforderlichenfalls der Herkunft der Mittel, übereinstimmen, und die Gewährleistung, dass die betreffenden Dokumente, Daten oder Informationen auf aktuellem Stand gehalten werden (Buchst. d).

 

79        Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass der mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verwaltungsmaßnahme für natürliche Personen festgelegte Schwellenwert von 15 000 Euro an monatlichem Habenumsatzvolumen – der im Übrigen dem Schwellenwert entspricht, der nach Art. 11 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2015/849 zur Anwendung von Sorgfaltspflichten führt – einen Fall betrifft, in dem berechtigterweise davon ausgegangen werden kann, dass ein Risiko von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung besteht. Auch die Angemessenheit des mit dieser Verwaltungsmaßnahme für juristische Personen festgelegten Schwellenwerts von 50 000 Euro an monatlichem Habenumsatzvolumen, der nach Angaben der FKTK auf nationale Rechtsvorschriften zurückgeht, wurde im Ausgangsverfahren nicht in Frage gestellt.

 

80        Zweitens geht – wie oben in Rn. 74 ausgeführt worden ist – aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass das interne Kontrollsystem der PrivatBank für die Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden und die Überwachung der Transaktionen von der FKTK als nicht geeignet angesehen wurde, um ein effizientes Management der entsprechenden Risiken durch die Bank sicherzustellen. Im Rahmen der Beurteilung der Frage, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme geeignet ist, das legitime Ziel der Verhinderung und Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu gewährleisten, ist jedoch ein solches Versagen des Risikomanagementsystems der PrivatBank zu berücksichtigen.

 

81        Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme, soweit die PrivatBank aufgrund dieser Maßnahme mit natürlichen oder juristischen Personen, die keine Verbindung zu Lettland aufweisen, über einen bestimmten Betrag hinaus keine Geschäftsbeziehungen begründen darf und entsprechende Geschäftsbeziehungen beenden muss, gewährleisten kann, dass die PrivatBank ihren Identifizierungspflichten nachkommen kann, die ihr im Rahmen zum einen der Beurteilung der Risiken in Bezug auf Kunden und zum anderen der etwaigen Anwendung von Sorgfaltspflichten obliegen.

 

82        Folglich ist die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme angesichts des vom vorlegenden Gericht selbst festgestellten und von den Parteien des Ausgangsverfahrens nicht bestrittenen Versagens des Risikomanagementsystems der PrivatBank sowie des Risikos, dass die PrivatBank insbesondere ihren Sorgfaltspflichten gegenüber ihren Kunden, die keine Verbindung zu Lettland haben und ein erhebliches Habenumsatzvolumen aufweisen, nicht nachkommen kann, geeignet, das Risiko von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in kohärenter und systematischer Weise zu verringern.

 

83        Was als Zweites die Erforderlichkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verwaltungsmaßnahme betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass Maßnahmen, durch die eine Grundfreiheit eingeschränkt wird, nur gerechtfertigt sein können, wenn das verfolgte Ziel nicht mit weniger einschränkenden Maßnahmen erreicht werden kann (Urteil vom 7. September 2022, Cilevičs u. a., C‑391/20, EU:C:2022:638, Rn. 81).

 

84        Im vorliegenden Fall steht fest, dass aufgrund der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verwaltungsmaßnahme mit Kunden, die keine Verbindung zu Lettland haben, über einen bestimmten Betrag hinaus keine Geschäftsbeziehungen begründet werden dürfen und bestehende Geschäftsbeziehungen beendet werden müssen.

 

85        Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu bestimmen, ob diese Verwaltungsmaßnahme als erforderlich angesehen werden kann, wobei es insbesondere zu berücksichtigen hat, dass – wie die Generalanwältin in Nr. 80 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat – die Voraussetzung des Fehlens einer Verbindung zu Lettland angesichts ihrer weiten Formulierung offenbar auch natürliche oder juristische Personen betreffen kann, von denen nach der Richtlinie 2015/849 kein besonderes Risiko von Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung ausgeht.

 

86        Berücksichtigt werden können in diesem Zusammenhang die Schwierigkeiten der PrivatBank, von ihren Kunden Informationen zu erhalten. Diese Schwierigkeiten sollen den Ausführungen der FKTK in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof zufolge erwiesen sein, was vom vorlegenden Gericht zu überprüfen ist. Insbesondere hat das vorlegende Gericht zu prüfen, ob die Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten oder ihre Umsetzung es erforderlich machten, eine weit gefasste Maßnahme, die zu einer mittelbaren Diskriminierung führt, zu erlassen.

 

87        Außerdem ist auch der Umstand zu berücksichtigen, dass die nationalen Behörden nach Art. 59 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2015/849 gegen einen Verpflichteten verwaltungsrechtliche Sanktionen und Maßnahmen verhängen können, wenn er in schwerwiegender, wiederholter oder systematischer Form gegen seine Pflichten – insbesondere gegen die in den Art. 10 bis 24 der Richtlinie genannten Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden – verstößt.

 

88        Zu diesen Sanktionen und Maßnahmen gehören – neben den Geldbußen – gemäß Art. 59 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2015/849 der Entzug oder die Aussetzung der Zulassung, wenn der betroffene Verpflichtete einer Zulassungspflicht unterliegt.

 

89        Im Übrigen bestimmt Art. 59 Abs. 4 der Richtlinie 2015/849 – wie oben in Rn. 65 ausgeführt worden ist –, dass die Mitgliedstaaten die zuständigen Behörden ermächtigen können, andere Arten von verwaltungsrechtlichen Sanktionen als die in Abs. 2 Buchst. a bis d dieses Artikels vorgesehenen zu verhängen.

 

90        Wie die Generalanwältin in Nr. 85 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist indessen – vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht – eine Verwaltungsmaßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende gegenüber dem Entzug oder der Aussetzung der Zulassung nach Art. 59 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2015/849 das mildere Mittel.

 

91        Außerdem hat die lettische Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass der PrivatBank in der Vergangenheit verstärkte Sorgfaltspflichten auferlegt worden seien, die die Grundfreiheiten weniger beeinträchtigt hätten als die, die mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verwaltungsmaßnahme aufgestellt worden seien, dass diese Maßnahmen jedoch nicht hinreichend wirksam gewesen seien, um die festgestellten Risiken zu bekämpfen.

 

92        Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme die am wenigsten einschränkende Verwaltungsmaßnahme ist, um dem Risiko von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, dem die PrivatBank ausgesetzt war, wirksam zu begegnen.

 

93        Als Drittes ist zu klären, ob eine Verwaltungsmaßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die der Verhinderung und Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung dient, die gemäß den Art. 56 und 63 AEUV geschützten Rechte und Interessen des betreffenden Kreditinstituts und seiner Kunden nicht übermäßig beeinträchtigt.

 

94        Insoweit geht erstens aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme für einen begrenzten Zeitraum vorgesehen war, nämlich bis zur Umsetzung anderer, in dem oben in Rn. 19 genannten Beschluss vorgesehener Maßnahmen und bis zu deren Genehmigung durch die FKTK. Daraus folgt – wie die Generalanwältin in Nr. 89 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat –, dass die PrivatBank selbst das Ende der Einschränkungen beeinflussen konnte.

 

95        Zweitens scheint die Intensität der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verwaltungsmaßnahme – wie die Generalanwältin in Nr. 90 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat – nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten legitimen Ziel der Verhinderung und Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu stehen. Zum einen konnte die PrivatBank nämlich, da diese Verwaltungsmaßnahme erst nach Erlass des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Beschlusses angewandt wurde, ihre Geschäftsbeziehungen, die sie vor diesem Erlass begründet hatte, beibehalten, und zwar auch zu Kunden, die keine Verbindung zu Lettland hatten und deren monatliches Habenumsatzvolumen die in dieser Maßnahme festgelegten Schwellenwerte überstieg. Zum anderen konnte die PrivatBank weiterhin neue Geschäftsbeziehungen zu Personen ohne Verbindung zu Lettland begründen, sofern deren monatliches Habenumsatzvolumen unter diesen Schwellenwerten lag.

 

96        Drittens war der FKTK zufolge der Erlass der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verwaltungsmaßnahme wegen systematischer und wiederholter Zuwiderhandlungen der PrivatBank gegen die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung erforderlich. Somit hat die PrivatBank selbst schuldhaft zu einer Risikosituation in diesem Bereich beigetragen, auf die die zuständige nationale Behörde reagieren musste.

 

97        Viertens bedeutet – wie die Generalanwältin in Nr. 92 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat – der freie Kapitalverkehr zwar, dass der Kunde das Kreditinstitut, das er u. a. mit der Führung seiner Bankkonten betrauen möchte, frei wählen kann, jedoch verleiht diese Grundfreiheit kein Recht auf Begründung von Geschäftsbeziehungen mit einem bestimmten Kreditinstitut unabhängig von den konkreten Umständen, wie etwa der Zuwiderhandlung des Kreditinstituts gegen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung.

 

98        Unter diesen Umständen und vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen scheint die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsmaßnahme die gemäß den Art. 56 und 63 AEUV geschützten Rechte und Interessen des betroffenen Kreditinstituts und seiner Kunden nicht übermäßig zu beeinträchtigen.

 

99        Nach alledem ist auf die dritte und die vierte Frage zu antworten, dass Art. 56 Abs. 1 und Art. 63 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Verwaltungsmaßnahme der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats, nach der ein Kreditinstitut mit natürlichen Personen, die keine Verbindung zu dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, haben und deren monatliches Habenumsatzvolumen 15 000 Euro übersteigt, oder juristischen Personen, deren wirtschaftliche Tätigkeit keine Verbindung zu diesem Mitgliedstaat aufweist und deren monatliches Habenumsatzvolumen 50 000 Euro übersteigt, keine Geschäftsbeziehungen begründen darf und entsprechende nach dem Erlass der Verwaltungsmaßnahme begründete Geschäftsbeziehungen beenden muss, nicht entgegenstehen, sofern diese Verwaltungsmaßnahme erstens gerechtfertigt ist – und zwar durch das Ziel der Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung oder wegen Unerlässlichkeit zur Verhinderung von Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Aufsicht über Finanzinstitute oder aber aus Gründen der öffentlichen Ordnung nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV –, zweitens zur Erreichung dieser Ziele geeignet ist, drittens nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist, und viertens die gemäß den Art. 56 und 63 AEUV geschützten Rechte und Interessen des betroffenen Kreditinstituts und seiner Kunden nicht übermäßig beeinträchtigt.

 

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