BGH: Darlegung und Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung eines Dokuments durch Rechtsanwalt bereits im Zeitpunkt der Ersatzeinreichung
BGH, Beschluss vom 17.11.2022 – IX ZB 17/22
ECLI:DE:BGH:2022:171122BIXZB17.22.0
Volltext: BB-Online BBL2023-66-3
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Amtlicher Leitsatz
Ist es dem Rechtsanwalt bereits im Zeitpunkt der Ersatzeinreichung eines Schriftsatzes möglich, die vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung des Dokuments darzulegen und glaubhaft zu machen, hat dies mit der Ersatzeinreichung zu erfolgen; in diesem Fall genügt es nicht, wenn der Rechtsanwalt die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung nachträglich darlegt und glaubhaft macht.
ZPO § 130d
Sachverhalt
I.
Der Kläger verlangt von dem Beklagten die Zahlung von Steuerberaterhonorar. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Rechtsmittelbegründungsfrist antragsgemäß bis zum 10. Januar 2022 verlängert. Am 8. Januar 2022 ist ein auf den 9. Januar 2022 datierter Schriftsatz des Klägers bei dem Berufungsgericht auf dem Postweg eingegangen, mit dem dieser seine Berufung begründet und eine erneute Verlängerung der Begründungsfrist zum Zwecke weitergehender Begründung beantragt hat. Das Berufungsgericht hat ihn mit Verfügung vom 11. Januar 2022 darauf hingewiesen, dass sein Rechtsmittel unzulässig sein könnte, weil der Schriftsatz nicht elektronisch eingereicht worden sei. Zugleich hat es ihm Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 4. Februar 2022 gegeben. Mit erneut nicht elektronisch eingereichtem, am 25. Januar 2022 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 24. Januar 2022 hat der Kläger unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung seines Prozessbevollmächtigten sowie von Korrespondenz mit der Bundesnotarkammer geltend gemacht, es sei ihm nicht möglich gewesen, die Berufungsbegründung als elektronisches Dokument über das besondere Anwaltspostfach (beA) zu übermitteln. Die Bundesnotarkammer habe versäumt, die seinem Prozessbevollmächtigten überlassene beA-Basiskarte für die Versendung von Empfangsbekenntnissen zu programmieren, weshalb es auch nicht möglich gewesen sei, diese Karte um die Funktion der Übersendung von sonstigen Dokumenten zu erweitern. Bereits im Dezember 2021 hätten Gerichte seinem Prozessbevollmächtigten gegenüber moniert, dass Empfangsbekenntnisse von diesem nicht über das beA zurückgesandt worden seien. Auf Vorschlag der Bundesnotarkammer habe sein Prozessbevollmächtigter dann eine Mitarbeiterkarte gekauft, die er auch noch vor dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 10. Januar 2022 erhalten habe. Hingegen seien ihm die zur Nutzung der Karte erforderliche PIN und PUK erst am 17. Januar 2022 zugegangen.
Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
Aus den Gründen
II.
3 Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich; insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG, NJW 2003, 281 mwN).
4 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Berufung sei unzulässig, weil sie nicht in der elektronischen Form begründet worden sei. Die Voraussetzungen des § 130d Satz 2 und Satz 3 Halbsatz 1 ZPO für eine Zulassung der Übermittlung von Schriftsätzen nach den allgemeinen Vorschriften hätten nicht vorgelegen, weil es zumindest an einer Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der Einreichung als elektronisches Dokument bei der Ersatzeinreichung in Schriftform oder jedenfalls unverzüglich danach fehle. Gegen die Versäumung der Frist zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei eine Wiedereinsetzung nicht statthaft. Eine Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist habe der Kläger schon nicht beantragt.
5 2. Das wirft keine die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde begründenden Rechtsfragen auf. Die Berufung ist unzulässig. Eine Berufungsbegründung unter Nichteinhaltung der von § 520 Abs. 5 ZPO in Verbindung mit § 130d ZPO vorgeschriebenen Form ist unwirksam und wahrt die Rechtsmittelbegründungsfrist folglich nicht. Die Voraussetzungen des § 130d Satz 2 und Satz 3 Halbsatz 1 ZPO für eine in Abweichung von § 130d Satz 1 ZPO ausnahmsweise wirksame Übermittlung eines Schriftsatzes nach den allgemeinen Vorschriften sind nicht erfüllt.
6 a) Die bereits durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I, S. 3786) neu geschaffene Bestimmung des § 130d ZPO ist am 1. Januar 2022 in Kraft getreten (Art. 26 Abs. 7 des Gesetzes). Sie ist damit auf ab diesem Zeitpunkt gegenüber den Gerichten abgegebene Erklärungen von Rechtsanwälten anwendbar. Die zwingende Einreichung von Erklärungen in der elektronischen Form gemäß § 130d Satz 1 ZPO betrifft die Frage ihrer Zulässigkeit. Die Einhaltung der vorgeschriebenen Form ist deshalb von Amts wegen zu prüfen, ihre Nichteinhaltung führt zur Unwirksamkeit der Prozesserklärung (BT-Drucks. 17/12634, S. 27 f; BGH, Beschluss vom 20. September 2022 - IX ZR 118/22, juris Rn. 14; vgl. auch OLG Düsseldorf, ZInsO 2022, 1178, 1179; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 19. Aufl., § 130d Rn. 4; Stein/Jonas/Kern, ZPO, 23. Aufl., § 130d Rn. 9; BeckOK-ZPO/v. Selle, 2022, § 130d Rn. 6).
7 b) Nach § 130d Satz 2 ZPO bleibt die Übermittlung eines Schriftsatzes nach den allgemeinen Vorschriften, mithin gemäß §§ 129, 130 Nr. 6 ZPO in Schriftform oder per Fax, zulässig, wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Nach § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO ist diese vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen.
8 aa) Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägers eine nur vorübergehende technische Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO anzunehmen ist. Davon ist rechtsbeschwerderechtlich auszugehen.
9 bb) Die Einreichung der Berufungsbegründung ist unwirksam, weil der Kläger bei Einreichung der Berufungsbegründung in Schriftform beim Berufungsgericht am 8. Januar 2022 nicht gemäß § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO zu den Voraussetzungen des § 130d Satz 2 ZPO vorgetragen und diese glaubhaft gemacht hat, obwohl ihm bereits zu diesem Zeitpunkt die Hinderungsgründe für eine Einreichung auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Weg bekannt und ihm zugleich eine sofortige Glaubhaftmachung dieser Gründe möglich war. In einem solchen Fall ist es ohne rechtliche Wirkung, wenn nachträglich die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung dargelegt und glaubhaft gemacht werden.
10 (1) Das Erfordernis des § 130d Satz 3 ZPO, die vorübergehende Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung eines Schriftsatzes bereits bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen, hat nach dem Willen des Gesetzgebers die Funktion, einen Missbrauch der Ausnahmeregelung in § 130d Satz 2 ZPO auszuschließen (BT-Drucks. 17/12634, S. 27). Dieser Zweck bedingt es, dass eine Ersatzeinreichung ohne Erfüllung dieser Voraussetzung unwirksam ist.
11 (2) Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Glaubhaftung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung zu erfolgen hat. Jedoch seien Situationen denkbar, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen. In diesem Fall sei die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen (BT-Drucks. 17/12634, S. 28). Aus diesen Ausführungen folgt, dass eine unverzügliche Nachholung der erforderlichen Glaubhaftmachung gemäß § 130d Satz 3 ZPO ausschließlich dann in Betracht kommt, wenn der Rechtsanwalt das technische Defizit tatsächlich erst kurz vor Fristablauf bemerkt und ihm daher nicht mehr genügend Zeit für die gebotene Darlegung und Glaubhaftmachung in dem ersatzweise gemäß §§ 129, 130 Nr. 6 ZPO einzureichenden Schriftsatz verbleibt. Ein Wahlrecht, eine bei der Ersatzeinreichung sogleich mögliche Darlegung und Glaubhaftmachung zunächst zu unterlassen und diese erst später (unverzüglich) nachzuholen, besteht entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht.
12 (3) Die Rechtsbeschwerde legt nicht dar, dass die gebotene Darlegung und Glaubhaftmachung hinsichtlich der gemäß der Darstellung des Klägers von Anfang an fehlenden Übermittlungsfunktion der beA-Basiskarte nicht bereits bei der schriftlichen Einreichung der Berufungsbegründung möglich gewesen wäre. Vielmehr führt sie selbst aus, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers bereits im Dezember 2021 von der fehlenden Funktionsfähigkeit seiner beA-Karte wusste.
13 3. Auf die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Fragen zur Anwendung des Tatbestandsmerkmals „unverzüglich“ in § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21. September 2022 - XII ZB 264/22, MDR 2022, 1426 Rn. 17) und ihre insoweit geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken kommt es deshalb nicht an. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Verneinung einer Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist greift die Rechtsbeschwerde nicht an. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.