BGH: Daimler-Thermofenster – Einsatz allein rechtfertigt noch keinen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung
BGH, Urteil vom 13.7.2021 – VI ZR 128/20
ECLI:DE:BGH:2021:130721UVIZR128.20.0
Volltext: BB-Online BBL2021-1922-1
Amtlicher Leitsatz
Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 19; vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 28).
BGB § 826 E, Ga, H
Sachverhalt
Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.
Der Kläger erwarb im Oktober 2012 von der Beklagten ein von dieser hergestelltes Neufahrzeug Mercedes-Benz C 220 CDI BlueEfficiency T-Modell zu einem Kaufpreis von 34.958,99 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgestattet und unterliegt keinem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung 715/2007/EG mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.
Die Abgasreinigung erfolgt im streitgegenständlichen Fahrzeug über die Abgasrückführung (AGR), bei der ein Teil der Abgase zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt wird und dort erneut an der Verbrennung teilnimmt. Die Abgasrückführung wird bei kühleren Temperaturen reduziert ("Thermofenster"), wobei zwischen den Parteien streitig ist, bei welchen Außen-/Ladelufttemperaturen dies der Fall ist.
Der Kläger behauptet, die Beklagte habe durch den Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen in die Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in verbotener Weise Einfluss auf das Emissionsverhalten genommen und so im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens unter Vorspiegelung der Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte die Erlangung der EG-Übereinstimmungsbescheinigung und die damit einhergehende Erteilung der Betriebserlaubnis erwirkt. Mit der Klage begehrt er die Zahlung von 34.958,99 € (Rückerstattung des Kaufpreises) zuzüglich Darlehenszinsen in Höhe von 3.311,64 € nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs und abzüglich einer noch zu beziffernden Nutzungsentschädigung, Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befindet.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
Aus den Gründen
6 I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts (12 U 1408/18, veröffentlicht in BeckRS 2020, 969) stehen dem Kläger keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu. Ein Anspruch aus § 826 BGB scheide aus, weil das Verhalten der Beklagten, ein Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, in dessen Motorsteuerung ein Thermofenster installiert sei, im vorliegenden Fall nicht als sittenwidrige Handlung einzustufen sei. Dabei komme es nicht darauf an, ob das im streitgegenständlichen Fahrzeug installierte Thermofenster eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung darstelle oder nicht. Bei einer die Abgasreinigung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware wie dem vorliegend in Rede stehenden Thermofenster, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeite wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor- oder Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft erwogen werden könnten, könne bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein agiert hätten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Solche Anhaltspunkte habe der Kläger weder vorgetragen noch seien diese anderweitig ersichtlich. Die Gesetzeslage sei hinsichtlich der Zulässigkeit von Thermofenstern nicht eindeutig. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes könne nicht als besonders verwerflich angesehen werden.
7 Soweit der Kläger darüber hinaus mit der Berufung auf eine Vielzahl weiterer von der Beklagten angeblich verwendeter Steuerungsstrategien zur Abgasnachbehandlung verwiesen habe, sei der Kläger mit dem diesbezüglichen Sachvortrag nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Allenfalls die unter Bezugnahme auf Presseberichte aus April/Mai 2019 erfolgte Behauptung einer Einflussnahme auf den Kühlmittelkreislauf durch eine künstliche Verzögerung der Aufwärmung des Motoröls könnte die Frage aufwerfen, ob der Kläger in zeitlicher Hinsicht in der Lage gewesen sei, diesen Sachvortrag bereits in erster Instanz zu halten. Im Ergebnis könne die Beantwortung dieser Frage jedoch dahinstehen, da es hinsichtlich der mit der Berufung zusätzlich vorgebrachten Manipulationsmethoden an einem konkreten Bezug zu dem hier in Rede stehenden Fahrzeug und damit jedenfalls an einem substantiierten, dem Beweis zugänglichen Sachvortrag fehle.
8 II. Die Revision ist insgesamt zulässig. Das Berufungsgericht hat die Revision - anders als die Revisionserwiderung meint - unbeschränkt zugelassen. Es hat im Tenor des Urteils die Revisionszulassung ohne Einschränkungen ausgesprochen. Zwar kann sich eine Beschränkung der Revisionszulassung auch aus den Entscheidungsgründen ergeben. Dies muss sich allerdings klar und eindeutig aus den Gründen des Urteils ableiten lassen (vgl. Senatsurteil vom 29. September 2020 - VI ZR 449/19, GRUR 2021, 106 Rn. 12; BGH, Urteile vom 8. Januar 2019 - II ZR 139/17, ZIP 2019, 513 Rn. 17; vom 15. Mai 2014 - III ZR 368/13, NJW 2014, 2857 Rn. 11; vom 31. Mai 2012 - I ZR 45/11, GRUR 2012, 949 Rn. 16). Hieran fehlt es vorliegend. Das Berufungsgericht hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, die Revision sei gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zuzulassen, weil die höchstrichterlich noch nicht entschiedene Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein sogenanntes Thermofenster eine un-zulässige Abschalteinrichtung darstelle, ebenso wie die Frage einer Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB im Hinblick auf die große Anzahl der bundesweit gegen die Beklagte anhängigen Klagen grundsätzliche Bedeutung habe. Dieser Begründung lässt sich entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung keine Beschränkung der Revisionszulassung auf Ansprüche entnehmen, die dem Kläger wegen einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems des streitgegenständlichen Fahrzeugs (sogenanntes Thermofenster) zustehen können.
9 III. Die Revision ist auch begründet. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) nicht verneint werden.
10 1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren ist, weil sie den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermo-fenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben.
11 a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., s. nur Senatsurteile vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 15; jeweils mwN). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (Senatsurteile vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 15). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (Senatsurteile vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 15; Senatsbeschlüsse vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 12; vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 14).
12 Ob das Verhalten des Anspruchsgegners sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist dabei eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt (st. Rspr., s. nur Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 14 mwN; Senatsbeschlüsse vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 14; vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 15).
13 b) Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers nach seinem vom Berufungsgericht festgestellten und daher revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachvortrag durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei kühleren Temperaturen ab etwa 17 °C zurückgefahren werde, wobei eine signifikante Reduktion jedenfalls bei einer Umgebungstemperatur von 5 °C erfolge, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, wäre der darin liegende Gesetzesverstoß für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 16; vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 26). So setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 19; vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 28).
14 Die Revision zeigt aber weder vom Berufungsgericht festgestellten noch von diesem übergangenen Sachvortrag des insoweit darlegungsbelasteten Klägers (vgl. Senatsbeschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 29) auf, dem für ein solches Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen sprechende Anhaltspunkte zu entnehmen wären.
15 aa) Soweit die Revision geltend macht, der Kläger habe vorinstanzlich vorgetragen, im Typgenehmigungsverfahren bestehe gegenüber dem KBA die Pflicht, Abschalteinrichtungen offenzulegen und ihren ausnahmsweisen Einsatz genehmigen zu lassen, wogegen die Beklagte verstoßen habe, kann dahinstehen, ob damit wirksam eine Verfahrensrüge (§ 557 Abs. 3 Satz 2 ZPO) in Gestalt einer Gehörsrüge erhoben worden ist. Denn sie wäre jedenfalls nicht ordnungs-gemäß ausgeführt.
16 Die ordnungsgemäße Begründung einer Verfahrensrüge setzt voraus, dass die Tatsachen, die den Mangel ergeben, konkret bezeichnet und dessen Auswirkungen auf die Entscheidung aufgezeigt werden (vgl. Senatsurteil vom 26. April 2016 - VI ZR 50/15, VersR 2016, 1133 Rn. 16; Stein/Jonas/Jacobs, 23. Aufl. 2018, ZPO § 551 Rn. 27; MünchKommZPO/Krüger, 6. Aufl. 2020, ZPO § 551 Rn. 22). Geht die Rüge dahin, dass ein Tatsachenvortrag nicht berücksichtigt wurde, muss dieser unter Angabe der Fundstelle in den Schriftsätzen der Tatsacheninstanzen genau bezeichnet werden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 - I ZR 5/15, NJW 2016, 3233 Rn. 17; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 18. Aufl., § 551 Rn. 11). Darüber hinaus muss sich aus dem Vorbringen des Revisionsführers ergeben, dass es sich um prozessual berücksichtigungsfähiges Vorbringen, insbesondere um Tatsachenbehauptungen von ausreichender Substanz handelte (vgl. BAG, NJW 2008, 540 Rn. 26; BeckOK ZPO/Kessal-Wulf, ZPO § 551 Rn. 13.1 [Stand: 1.3.2021]; Stein/Jonas/Jacobs, 23. Aufl. 2018, ZPO § 551 Rn. 28).
17 Daran fehlt es hier. Der Kläger hat in seinem von der Revision in Bezug genommenen Vortrag behauptet, die Beklagte habe das Thermofenster gegenüber dem KBA nicht offengelegt. Es kann offenbleiben, ob dieser Vortrag im Ansatz geeignet war, das Bewusstsein über die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu begründen. Denn die Beklagte hat, wie im Tatbestand des Berufungsurteils durch Bezugnahme auf das landgerichtliche Urteil festgestellt, demgegenüber erklärt, dass die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens offenzulegenden Angaben zu dem verwendeten Emissionsminderungssystem erfolgt seien, wozu Angaben zu etwaigen Abschalteinrichtungen nicht gehört hätten. Weiter hat sie, worauf die Revisionserwiderung hinweist, schriftsätzlich vorgetragen, sie weise im Rahmen des Typgenehmigungsprozesses die Parameter aus, die für die Steuerung des Emissionskontrollsystems einschließlich der Abgasreinigung relevant seien. Die Revision zeigt nicht auf, ob der Kläger diesen ersichtlich eine Reaktion erfordernden Sachvortrag der Beklagten bestritten und wenn ja, was er darauf erwidert hat. Damit fehlt es jedenfalls an der für eine Verfahrensrüge erforderlichen Darlegung, dass das angeblich übergangene Vorbringen prozessual beachtlich war.
18 bb) Soweit die Revision weiter geltend macht, die Hersteller müssten Angaben zur Verwendung einer On-Board-Diagnose (OBD) machen, die OBD sei aber so konstruiert gewesen, dass sie keine Hinweise auf die Installation einer softwaregesteuerten Abschalteinrichtung enthalte, damit habe die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren zum Ausdruck gebracht, keine Abschalteinrichtung zu verwenden, lässt sich eine diesbezügliche Aussage, ungeachtet der Frage ihrer Erheblichkeit, dem insoweit in Bezug genommenen Vortrag zur OBD nicht entnehmen. Auch insoweit bliebe also eine Verfahrensrüge, sollte sie erhoben sein, ohne Erfolg.
19 2. Die Revision beanstandet aber zu Recht, dass das Berufungsgericht dem unter Beweis gestellten und vom Berufungsgericht nicht bereits nach § 531 Abs. 2 ZPO zurückgewiesenen Sachvortrag des Klägers nicht nachgegangen ist, die Abgasreinigung seines Fahrzeugs werde durch eine Software-Funktion gesteuert, die erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde, und in diesem Fall eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung aktiviere, die den Ausstoß von Stickoxiden auf das zulässige Maß reduziere. Die Verwendung einer derartigen Prüfstanderkennungssoftware käme als Anknüpfungspunkt für die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens der für die Beklagte handelnden Personen grundsätzlich in Betracht. Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag rechtsfehlerhaft als prozessual unbeachtlich und einer Beweisaufnahme nicht zugänglich gewürdigt. Damit hat es die Anforderungen an ein substantiiertes Vorbringen überspannt.
20 a) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (vgl. Senatsurteil vom 18. Mai 2021 - VI ZR 401/19, juris Rn. 19; Senatsbeschluss vom 26. März 2019 - VI ZR 163/17, VersR 2019, 835 Rn. 11; BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, ZIP 2020, 486 Rn. 7; BVerfG, WM 2012, 492, juris Rn. 16; jeweils mwN).
21 Diese Grundsätze gelten insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den ihrer Behauptung zugrunde liegenden Vorgängen hat. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat (vgl. Senatsurteile vom 18. Mai 2021 - VI ZR 401/19, juris Rn. 19; vom 10. Januar 1995 - VI ZR 31/94, VersR 1995, 433, juris Rn. 17; Senatsbeschluss vom 26. März 2019 - VI ZR 163/17, VersR 2019, 835 Rn. 13; BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, ZIP 2020, 486 Rn. 8; vom 13. Dezember 2017 - IV ZR 319/16, VersR 2018, 890 Rn. 17). Gemäß § 403 ZPO hat die Partei, die die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragen will, die zu begutachtenden Punkte zu bezeichnen. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Beweisführer sich auch darüber äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in die Sachkenntnis des Sachverständigen gestellten Behauptung habe (Senatsbeschluss vom 14. Januar 2020 - VI ZR 97/19, VersR 2020, 1069 Rn. 8).
22 Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt (vgl. Senatsurteile vom 25. April 1995 - VI ZR 178/94, VersR 1995, 852, juris Rn. 13; vom 24. Juni 2014 - VI ZR 560/13, ZIP 2014, 1635 Rn. 36; vom 18. Mai 2021 - VI ZR 401/19, juris Rn. 20; Senatsbeschluss vom 14. Januar 2020 - VI ZR 97/19, VersR 2020, 1069 Rn. 8; BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, ZIP 2020, 486 Rn. 8; Urteile vom 4. März 1991 - II ZR 90/90, NJW-RR 1991, 888, juris Rn. 18; vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 40; vom 4. Februar 2014 - XI ZR 398/12, BKR 2014, 200 Rn. 16; BVerfG, WM 2012, 492, juris Rn. 15; jeweils mwN). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vorliegen (vgl. Senatsurteile vom 18. Mai 2021 - VI ZR 401/19, juris Rn. 20; vom 25. April 1995 - VI ZR 178/94, aaO; BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, aaO).
23 b) Nach diesen Grundsätzen ist es zwar revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers zur Steuerung des Abgasverhaltens anhand einer zeitintervallgesteuerten Regelung der Abgasreinigung, anhand des Lenkwinkeleinschlags und einer "Funktion Bit 15" sowie mittels eines "Slipguard" auch unabhängig von der Frage der Zulassungsfähigkeit dieses Vortrags gemäß § 531 Abs. 2 ZPO als prozessual unbeachtlich angesehen hat. Insoweit zeigt die Revision schon keinen Vortrag des Klägers in den Vorinstanzen auf, aus dem sich - über die bloße pauschale Behauptung hinaus - greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung solcher Steuerungsstrategien in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ergeben könnten. Der Hinweis auf Diskrepanzen zwischen Stickoxidemissionen unter Prüfstandbedingungen, die nach damaliger Rechtslage (Euro-5-Norm) zur Erlangung der Typgenehmigung allein maßgeblich waren, und unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße genügt, wie die Revisionserwiderung zutreffend einwendet, nicht.
24 Wie die Revision aber zu Recht rügt, durfte das Berufungsgericht die Behauptung des Klägers, in seinem Fahrzeug sei eine Abschalteinrichtung in Gestalt einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung implementiert, nicht als prozessual unbeachtlich ansehen. Denn der Kläger hat hierzu in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz vom 11. November 2019 (S. 6 f.), auf den die Revisionsbegründung (RB 32 oben) verweist, konkrete Ausführungen gemacht. Er hat unter Bezugnahme auf im Internet abrufbare Presseberichte des Handelsblatts vom 14. April und 19. Mai 2019 sowie der FAZ vom 22. Juni und 11. Oktober 2019 vorgetragen, dass das KBA im Herbst 2018 ein formelles Anhörungsverfahren wegen des Verdachts einer weiteren Abschaltvorrichtung gegen die Beklagte eingeleitet habe, bei der eine Software-Funktion eine spezielle Temperaturregelung (Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung) aktiviere, welche den Kühlmittelkreislauf künstlich kälter halte und die Aufwärmung des Motoröls verzögere. Nur dadurch blieben die Stickoxidwerte auf dem Prüfstand unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte. Im realen Fahrbetrieb hingegen werde diese Funktion deaktiviert und der gesetzliche Grenzwert von 180 mg/km deutlich überstiegen. Diese Software-Funktion sei zunächst bei Emissionsmessungen an einem GLK 220 CDI mit OM 651-Dieselmotor festgestellt worden. Inzwischen sei bekannt geworden, dass diese Abschaltvorrichtung nicht nur in OM 651-Motoren der Modellreihe GLK, sondern darüber hinaus auch in Fahrzeugen der C-, E- und S-Klasse mit OM 642-Motoren verbaut worden sei. Im Juni 2019 habe das KBA aufgrund der detektierten und unzulässigen Abschaltvorrichtung (Kühlmittel-Soll-temperatur-Regelung) einen amtlichen Rückruf für zunächst rund 60.000 Dieselautos des Modells GLK 220 CDI mit Euro-5-Norm und dem von der Beklagten produzierten OM 651-Motor erlassen. Es liege nahe, dass darüber hinaus viele weitere Modelle der Beklagten mit einem OM 651-Dieselmotor mit dieser unzulässigen Abschalteinrichtung versehen seien. Das KBA gehe von mehr als 700.000 betroffenen Fahrzeugen aus. Im Oktober 2019 habe die Beklagte zudem selbst mitgeteilt, dass das KBA einen weiteren Rückrufbescheid für eine sechsstellige Zahl an Mercedes-Benz-Fahrzeugen mit OM 651-Dieselmotor und Euro-5-Norm, darunter u.a. etwa 260.000 Transporter des Modells Sprinter, erlassen habe, da eine unzulässige Abschalteinrichtung bei der Abgasreinigung festgestellt worden sei. Im Rahmen der Anordnung zum GLK habe die Beklagte bereits zugegeben, dass die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung in verschiedenen Modellen implementiert worden sei.
25 Weitergehender Vortrag war vom Kläger nicht zu verlangen.
26 Der Beachtlichkeit des Sachvortrags des Klägers auf der Darlegungsebene steht entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung nicht entgegen, dass die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bestritten hat, dass die Funktion der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung nur auf dem Prüfstand aktiviert sei. Unerheblich ist ferner, dass sich der Kläger nicht zu technischen Einzelheiten der Beeinflussung des Emissionskontrollsystems verhalten hat. Vom Kläger als Außenstehenden und technischen Laien kann nicht verlangt werden, dass er im Einzelnen darlegt, wie die von ihm behaupteten Abschalteinrichtungen konkret funktionieren (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, ZIP 2020, 486 Rn. 10).
27 IV. Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).