OLG Düsseldorf: D&O-Versicherung - Eintritt des Versicherungsfalls nur bei ernstlicher Inanspruchnahme
OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.7.2013 - I-4 U 149/11
Nicht amtliche Leitsätze
1. Der Eintritt des Versicherungsfalls im Rahmen der D&O-Versicherung setzt eine ernstliche Inanspruchnahme der versicherten Person durch die Versicherungsnehmerin voraus.
2. Die Beurteilung der Frage, ob - ungeachtet der Schriftlichkeit - tatsächlich eine ernstliche Inanspruchnahme vorliegt, ist eine tatrichterliche Frage, die von den Umständen des Einzelfalls abhängig ist.
2. Die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Umstände liegt nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen bei der versicherten Person; im Falle der Abtretung damit beim Gläubiger des Anspruchs.
VVG § 108
Sachverhalt
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht aus einem D & O-Versicherungsvertrag in Anspruch. Sie stützt ihre Klage auf angebliche Pflichtverletzungen ihres (geschäftsführenden) Vorstandsmitglieds W. im Zusammenhang mit dem Abschluss von Währungsgeschäften im Jahr 2008.
Bei der Klägerin handelt es sich um die polnische Tochtergesellschaft der O. G. GmbH. Die Beklagte ist die deutsche Niederlassung der C. I. C. of Europe S.E. Ihre Tätigkeit in der deutschen Niederlassung umfasst vorwiegend den Bereich der gewerblichen Versicherungen.
Seit dem 15.9.1998 unterhielt die Beklagte mit der O. G. GmbH einen Directors & Officers Versicherungsvertrag. Diesem Vertrag lagen die Versicherungsbedingungen C. OLA 2008 Primeline Classic für Funk in der Version vom 1.1.2009 zugrunde (nachfolgend: OLA), die besonderen Bedingungen Nr. 1 und 2 sowie eine Maklerklausel.
Der Versicherungsvertrag gewährt den versicherten Personen Versicherungsschutz für den Fall, dass diese wegen einer Pflichtverletzung in Ausübung einer Tätigkeit in versicherter Eigenschaft erstmals schriftlich für einen Vermögensschaden auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Sie können insofern von der Beklagten Freistellung beanspruchen. In Nr. 12.4 OLA ist die Abtretung des Deckungsanspruchs geregelt. Danach ist eine Abtretung an den geschädigten Dritten durch die versicherte Person zulässig. Anderweitige Abtretungen von Ansprüchen aus dem Versicherungsvertrag sind vor ihrer endgültigen Feststellung unzulässig.
Die Klägerin zahlt aufgrund ihres Sitzes in Polen den Großteil ihrer Verbindlichkeiten in Zloty. Die Zahlungen für ihre nach Europa verkauften Produkte erhält sie in Euro. Zur Erfüllung ihre Verbindlichkeiten musste die Klägerin somit den Euro-Zahlungsüberschuss für das Jahr 2008 in Zloty umtauschen. Die Mitarbeiter der Klägerin, Herr C. und Herr W., befürchteten für das Jahr 2008 eine Erstarkung des Zloty. Der erwartete Zahlungsüberschuss in Euro sollte vor Verlusten abgesichert werden. Hierzu wurden Währungsgeschäfte geschlossen. Entgegen den Erwartungen erstarkte der Zloty Kurs im Laufe des Jahres 2008 nicht, sondern fiel.
Die Klägerin hatte außergerichtlich zunächst ihren damaligen zu den versicherten Personen gehörenden Prokuristen C. wegen angeblich pflichtwidrigen Abschlusses der Währungsgeschäfte in Anspruch genommen. Das Beschäftigungsverhältnis mit C. ist auf der Grundlage eines Aufhebungsvertrags vom 24.11.2008 mittlerweile beendet. Nach Ablehnung einer vergleichsweisen Lösung beschlossen die Gesellschafter der Klägerin, den Vorstand der Klägerin, W., wegen des der Klägerin durch den „Abschluss von Währungssicherungsgeschäften über das erforderliche Maß hinaus" angeblich entstandenen Schadens „in Höhe von mindestens PLN 3.266.723" in Anspruch zu nehmen. Am 6.1.2010 bestimmten die Gesellschafter der Klägerin Herrn V. B. zum Bevollmächtigten der Klägerin für den Abschluss von Verträgen mit Vorstandsmitgliedern. Als Bestandteil der Anlage hat die Klägerin ein an W. gerichtetes Anspruchsschreiben vom 8.3.2010 vorgelegt. Mit Anwaltsschreiben vom 17.3.2010 meldete die Klägerin der Beklagten den Eintritt des Versicherungsfalls „aufgrund der Inanspruchnahme von Herrn W." In diesem Schreiben wurde ihr eine Frist zur Schadensbegleichung bis zum 30.4.2010 gestellt. Als Anlage K 22 hat die Klägerin die Kopie eines von B. und W. unterzeichneten Abtretungsvertrags betreffend die Abtretung des Freistellungsanspruchs W. aus dem D & O-Versicherungsvertrag an die Klägerin vom 1.4.2010 vorgelegt.
Das LG hat die Klage abgewiesen, die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen
B. ... I. Es kann dahinstehen, ob der Versicherungsnehmer (bzw. vorliegend die Tochtergesellschaft des Versicherungsnehmers) Dritter i. S. des § 108 VVG n. F./Nr. 12.4 OLA ist (zum Meinungstand vergl. Prölls/Martin-Voit, VVG, 28. A., AVB-AVG 10 Rn. 2). Dafür spricht allerdings, dass durch die D & O-Versicherung auch Versicherungsfälle abgedeckt werden, die auf einer Schädigung des Versicherungsnehmers beruhen (Innenhaftungsfälle). Damit ist zwangsläufig, dass in solchen Fällen der Versicherungsnehmer auch der Geschädigte ist. Die Abtretung an den Geschädigten soll aber nach § 108 Abs. 2 VVG grundsätzlich möglich sein; sie kann deshalb auch durch die AVB nicht ausgeschlossen werden.
Die Gefahr einer Kollusion besteht ungeachtet einer Abtretung. Der Versicherte und der Versicherungsnehmer können nicht nur im Direktprozess zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer, sondern ebenso im Haftpflichtprozess gegen den Versicherten eine Absprache treffen, um einen behaupteten Haftpflichtanspruch begründet erscheinen zu lassen.
Mangels einer bedingungsgemäßen Inanspruchnahme des Herrn W. liegt kein Versicherungsfall vor
II. Es fehlt jedoch an einer bedingungsgemäßen Inanspruchnahme des Herrn W., so dass ein Versicherungsfall i. S. der Nummer 1.1.1 OLA 2008 nicht vorliegt.
Denn für den Eintritt eines Versicherungsfalls bedarf es nicht nur einer rein formalen, sondern einer ernstlichen Inanspruchnahme der versicherten Person durch die Versicherungsnehmerin
1. Nach Nr. 1.1.1. OLA 2008 ... ist Voraussetzung für den Versicherungsschutz, dass die versicherte Person „erstmals schriftlich" für einen Vermögensschaden auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird.
Die Klägerin hat von Herrn W. mit anwaltlichem Schreiben ... Schadensersatz in Höhe der Klageforderung (PLN 3.266.723) verlangt.
In formaler Hinsicht liegt daher ein Anspruchsschreiben i. S. der Versicherungsbedingungen vor.
Für den Eintritt des Versicherungsfalls reicht es aber nicht, wenn die Versicherungsnehmerin die versicherte Person nur der Form halber in Anspruch nimmt, sondern sie muss dies tatsächlich (ernstlich) tun.
Die Klausel Nr. 1.1.1 OLA 2008 ist aus der Sicht eines objektiven Dritten (als Versicherungsnehmer bzw. versicherter Person) so zu verstehen, dass nicht ein bloßes Anschreiben genügt, sondern ein Versicherungsfall vorausgeht, dass die versicherte Person tatsächlich in Anspruch genommen wird. Die Versicherung gewährt ausweislich der Überschrift der Klausel „Manager-Haftpflichtschutz bei Schadensersatzansprüchen". Sie soll die versicherte Person vor der Inanspruchnahme aus Schadensersatzansprüchen schützen. Maßgeblich für die Gewährung des Versicherungsschutzes ist nicht, ob das Unternehmen, das den Vertrag abgeschlossen hat, einen Schaden erlitten hat, sondern ob die versicherte Person einem Schadensersatzanspruch ausgesetzt ist.
Aus der Sicht des objektiven Dritten ist das aber nur dann der Fall, wenn die versicherte Person tatsächlich in Anspruch genommen wird. Andernfalls besteht kein Haftungsfall, für den Versicherungsschutz gewährt werden muss. Weder die versicherte Person noch ein Unternehmen als Versicherungsnehmer erwartet nach der Klausel eine Deckung für den Fall, dass Ansprüche gegen die versicherte Person gar nicht verfolgt werden sollen.
Die Beurteilung, ob - ungeachtet der Schriftlichkeit - tatsächlich eine ernstliche Inanspruchnahme vorliegt, ist eine tatrichterliche, von den Umständen des Einzelfalls abhängige Frage
2. Für den Gläubiger, der nicht zugleich Versicherungsnehmer ist, ist anerkannt, dass eine versicherte Person nur dann tatsächlich in Anspruch genommen wird, wenn sich der Gläubiger entschlossen hat, Schadensersatzansprüche gerade gegen den Versicherungsnehmer geltend zu machen und er diesen Entschluss in einer Art und Weise zu erkennen gibt, die als ernstliche Erklärung der Inanspruchnahme des Versicherten verstanden werden kann (ständige Rechtsprechung, BGH Urteil vom 20.1.66 - II ZR 233/63 - , zit. nach Juris, dort Rz. 18; BGH r + s 2004, 411, 412; Senatsurteil vom 28.10.1980 - 4 U 41/80, VersR 1981, 1072; OLG Frankfurt, r + s 2010, 61, 62). Während eine nur mögliche oder wahrscheinliche Inanspruchnahme den Versicherungsfall nicht auslöst (OLG Frankfurt, r + s, 2010, 61), führt ihn die gerichtliche Inanspruchnahme regelmäßig herbei, auch wenn sie nicht zwingend erforderlich ist (BGH r + s 2004, 411).
Diese Rechtsgrundsätze gelten entsprechend für die Inanspruchnahme der versicherten Person durch den Versicherungsnehmer. Das die Versicherung nehmende Unternehmen ist bei der Innenhaftung seiner Organe gleichermaßen Gläubiger des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs wie ein Unternehmensfremder. Sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung eines Gläubigers, der nicht Versicherungsnehmer ist und eines Gläubigers, der zugleich Versicherungsnehmer ist, bestehen insoweit nicht.
In aller Regel stellt ein Schreiben des Gläubigers, mit dem Schadensersatz gefordert wird, eine ausreichende Inanspruchnahme dar (vergl. OLG Hamm, r + s 1991, 408, 409). Das gilt insbesondere dann, wenn - wie vorliegend - über die Schriftlichkeit hinaus durch die Versicherungsbedingungen keine besonderen Anforderungen an die Inanspruchnahme gestellt werden.
Gleichwohl ist die Beurteilung, ob - ungeachtet der Schriftlichkeit - tatsächlich eine ernstliche Inanspruchnahme vorliegt, eine tatrichterliche Frage, die von den Umständen des Einzelfalls abhängig ist (OLG Hamm, r + s 1991, 408).
Die Darlegungs- und Beweislast für diese anspruchsbegründenden Umstände liegt nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen bei der versicherten Person; im Falle der Abtretung damit beim Gläubiger des Anspruchs, hier der Klägerin.
Die Klägerin hat sich hinsichtlich der Inanspruchnahme des W. allein auf ihr Anspruchsschreiben berufen
3. Die Klägerin hat sich hinsichtlich der Inanspruchnahme des Herrn W. allein auf ihr Anspruchsschreiben ... berufen ..., obwohl die Beklagte eine ernstliche Inanspruchnahme fortlaufend bestritten hat ...
Eine ernstliche Inanspruchnahme des W. ist nach einer Gesamtschau des Sachverhalts nicht festzustellen
a) Bei einer Gesamtschau des unstreitigen Sachverhalts kann nicht festgestellt werden, dass Herr W. tatsächlich persönlich in Anspruch genommen werden soll. Dafür spricht allein das Anspruchsschreiben ..., während zahlreiche Umstände den Rückschluss zulassen, dass es sich nur dem Schein nach um eine Inanspruchnahme handelt, während tatsächlich die Klägerin den Zeugen W. nicht ernsthaft schadensersatzpflichtig macht und dies von der versicherten Person auch so verstanden wird. Nach den Umständen ist davon auszugehen, dass zwischen der Klägerin und dem Zeugen W. ein Einvernehmen darüber besteht, dass der gegen ihn möglicherweise bestehende Anspruch nur der Form halber gegen ihn geltend gemacht worden ist, jedoch nicht durchgesetzt wird, vielmehr tatsächlich nur die Leistung aus dem Versicherungsvertrag ausgelöst werden soll.
Entgegen der Auffassung der Berufung ist die Inanspruchnahme nicht bereits deshalb ernstlich, weil ein Interesse des Unternehmens besteht, die Versicherungssumme erhalten zu können. Der Abschluss der D & O-Versicherung durch das Unternehmen ändert nichts daran, dass das versicherte Risiko ein Vermögensschaden der versicherten Personen ist. Droht ein solcher Vermögensschaden nicht, weil das Unternehmen gar nicht bereit ist, Ansprüche gegen die versicherte Person selbst durchzusetzen, fehlt es an einer ernstlichen Inanspruchnahme.
Auch wenn ein Teil der Motivation für eine Inanspruchnahme sein kann, im Hinblick auf eine vorhandene Versicherung wirtschaftlich jedenfalls in Höhe der Versicherungssumme erfolgreich einen Vermögensschaden geltend machen zu können, setzt der Versicherungsfall voraus, dass die versicherte Person tatsächlich einem Haftungsrisiko ausgesetzt ist. Die Versicherungssumme ist dabei kein eigenständiger Vermögensbestandteil, sondern dient dem Schutz der versicherten Person bei Eintritt des Versicherungsfalls.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Regelungszwecks des § 108 Abs. 2 VVG, den die Bestimmung Nr. 12.4 OLA 2008 aufgreift. Danach ist die Abtretung des Freistellungsanspruchs an den geschädigten Dritten durch die versicherte Person zulässig; Einschränkungen bestehen nicht.
Hintergrund der gesetzlichen Regelung sind sowohl die Interessen des Geschädigten als auch die des Versicherungsnehmers. Der Versicherungsnehmer kann ein Interesse daran haben, den Geschädigten an den Versicherer zu verweisen, wenn dieser einen Haftpflichtanspruch in Frage stellt, den der Versicherungsnehmer - vielleicht wegen seiner Beziehungen zu dem Geschädigten - nicht einfach zurückweisen möchte (vergl. zur Intention des Gesetzgebers BT-Drs. 16/3945 S. 86 f.). Dabei ist der Gesetzgeber aber ersichtlich nicht davon ausgegangen, dass der Geschädigte zugleich der Versicherungsnehmer ist, weil er als weiteren Grund für den Ausschluss eines Abtretungsverbots die fehlende Kenntnis des Geschädigten vom Innenverhältnis zwischen schädigendem Versicherungsnehmer und dem Haftpflichtversicherer angegeben hat. Nach der gesetzgeberischen Intention sollten zwar Interessen aus einer Beziehung zwischen dem Geschädigten und dem Versicherungsnehmer geschützt werden, aber nicht der Versicherungsnehmer als zugleich Geschädigter davon entbunden werden, Ansprüche gegen die versicherte Person tatsächlich zu verfolgen. Die Fälle eines solchen „Eigenschadens" sind der Situation nicht vergleichbar, dass der Versicherte, der zugleich Versicherungsnehmer ist, ein Interesse daran hat, durch eine Abtretung des Anspruchs die Anspruchsverfolgung des Geschädigten von seiner Person zu lösen.
Die Klägerin war von vornherein nicht bereit, einen Prozess gegen vermeintliche Schädiger anzustrengen
b) Aufgrund des unstreitigen Sachverhalts und der Einlassung der Klägerin steht fest, dass diese von vornherein nicht bereit war, gegen den ursprünglich in Anspruch genommenen Herrn C. eine Klage in Polen zu erheben ...
Diese grundsätzliche Haltung, keinen Prozess gegen vermeintliche Schädiger führen zu wollen, hat die Klägerin auch hinsichtlich des dann deutlich später in Anspruch genommenen Herrn W. eingenommen. Die Klägerin hat in der Klageschrift ausgeführt, sie habe bei einem dem Schreiben vom 1.10.2009 nachfolgendem Treffen am 15.10.2009 klargestellt, dass sie „kein Interesse an einem Haftungsprozess in Polen" habe ... Auch dies hat sie zwar unter Berufung auf die Haftungsbeschränkung zunächst auf Herrn C. bezogen. Die deshalb avisierte Inanspruchnahme der Vorstände wollte die Klägerin jedoch nur in Deutschland auf der Grundlage eines abgetretenen Anspruchs führen. Sie hat damit - zu einem Zeitpunkt, als ihr der Anspruch noch nicht abgetreten war, ... - bereits den festen Standpunkt eingenommen, die nicht näher bezeichneten Vorstände nicht persönlich in Polen verklagen zu wollen.
Zwar steht der Ernsthaftigkeit einer Inanspruchnahme noch nicht entgegen, dass zunächst nur Vergleichsgespräche mit der Versicherung geführt werden sollen. Steht aber von vornherein fest, dass der Gläubiger des Schadensersatzanspruchs nicht bereit ist, losgelöst von einer Abtretung diesen gegen den Versicherten geltend zu machen, liegt eine solche nicht vor. Der Versicherungsnehmer und der versicherte Schädiger gehen dann davon aus, dass die Ansprüche ausschließlich im Prozess zwischen Versicherungsnehmer und Versicherung geltend gemacht werden. Der Versicherte sieht sich in einer solchen Situation weder vor der Abtretung noch nach einer Abweisung der Deckungsklage einer Anspruchsverfolgung ausgesetzt. Er weiß, dass das Anspruchsschreiben allein dazu dienen soll, die Versicherung unmittelbar in Anspruch zu nehmen. Der Gläubiger ist gerade nicht entschlossen, den Schadensersatzanspruch gegen die versicherte Person geltend zu machen. Ein vor solchem Hintergrund verfasstes Anspruchsschreiben ist tatsächlich keine ernstliche Inanspruchnahme, sondern soll nur den Anschein einer solchen erwecken.
Von dieser fehlenden Ernsthaftigkeit der Inanspruchnahme ging auch W. aus, der dem Schadensersatzanspruch nichtmals entgegengetreten ist
c) Dass auch Herr W. von einer fehlenden Ernsthaftigkeit der Inanspruchnahme ausging, zeigt der Umstand, dass er - anders als Herr C. - dem Schadensersatzanspruch überhaupt nicht entgegengetreten ist. Er hat sich weder persönlich noch über einen Anwalt gegen die erhobenen Ansprüche gewandt, obwohl eine hohe Schadensersatzforderung im Raum stand. Er hat insbesondere nicht von sich aus versucht, in Kontakt mit der Beklagten zu treten, obwohl ihm nach dem Versicherungsvertrag auch die Kosten der Verteidigung gegen Schadensersatzansprüche zugestanden hätten (OLA 2008 Nr. 1.1.1 a.E.).
Nach der Lebenserfahrung wie der langjährigen Berufserfahrung des Senats, von dem zwei Mitglieder früher mit handels- und gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten befasst waren, verhalten sich leitende Angestellte nicht so, wenn sie ernsthaft vom Unternehmen auf hohen Schadensersatz in Anspruch genommen werden.
Auch der zeitliche Abstand der Inanspruchnahme von C. und W. ist auffällig
d) Von Auffälligkeit ist auch der zeitliche Abstand der Inanspruchnahme der Herren C. und W.
Obwohl die Klägerin nach ihrem eigenem Vorbringen bereits am 15.10.09 davon ausging, dass sie Ansprüche gegen C. nicht mehr weiterverfolgen wird, und stattdessen „Vorstände" in Anspruch zu nehmen beabsichtigte, hat sie tatsächlich erst Monate später das Schreiben vom 8.2.2010 verfasst. Dabei wusste die Klägerin bereits seit dem 26.10.2009, dass die Beklagte eine vergleichsweise Einigung ablehnte ... Der Beklagten wurde die Inanspruchnahme dann mit Schreiben vom 17.3.2010 gemeldet und eine Zahlungsfrist bis zum 1.4.2010 gesetzt ... Noch am gleichen Tag trat Herr W. die Ansprüche an die Klägerin ab ... Auch dieser zeitliche Ablauf legt nahe, dass die Klägerin von Anfang an allein gegen die Beklagte - auf der Grundlage eines abgetretenen Anspruchs - vorgehen wollte, aber zu keinem Zeitpunkt tatsächlich Ansprüche gegen den Vorstand W. durchzusetzen bereit war ...
Auch die Fortführung des Beschäftigungsverhältnisses ist ein weiteres Indiz dafür, dass eine ernstliche Inanspruchnahme des W. nicht beabsichtigt war
e) In dieses Bild fügt sich auch ein, dass die Klägerin das Beschäftigungsverhältnis mit Herrn W. fortführt. Dabei ist zwar zutreffend, dass der Eintritt des Versicherungsfalls nicht von einer Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses abhängig ist. Eine entsprechende Bedingung ist zwischen den Parteien nicht vereinbart. Die Fortführung des Beschäftigungsverhältnisses ist aber ein weiteres Indiz dafür, dass eine ernstliche Inanspruchnahme nicht vorliegt, weil regelmäßig eine solche Auseinandersetzung die Dienstverhältnisse belastet, was bei einem Vorstand/leitenden Mitarbeiter in besonders hohem Maße unternehmensschädlich ist.
Die Klägerin hat auch nicht generell an einer Beschäftigung der von ihr für verantwortlich gehaltenen Personen festgehalten. Sie hat den Vertrag mit Herrn C., den sie zunächst in Anspruch genommen hat, durch Aufhebungsvertrag vom 24.11.2008 beendet ...
Wie der Geschäftsführer der Muttergesellschaft im Senatstermin vom 28.5.2013 persönlich erklärt hat, war der Vorstand W. für die polnische Tochtergesellschaft so wichtig, weil ohne ihn der Vertrieb zusammengebrochen wäre. Deshalb sei die Entscheidung getroffen worden, ihn zu behalten. In dieses Bild passt aber nicht, dass die Klägerin ihren Vorstand W. tatsächlich persönlich in Anspruch nehmen will.
Über den Verweis auf das Anspruchsschreiben hinausgehende Einzelheiten hat die Klägerin nicht vorgetragen
f) Die Klägerin hat dementsprechend auch keine Einzelheiten zu der Inanspruchnahme des Herrn W., die über den Verweis auf das Anspruchsschreiben hinausgehen, mitgeteilt. Sie hat lediglich den Sachvortrag der Beklagten als „unsachlich" und „unzutreffend" bezeichnet, ohne näher darzulegen, wie eine Inanspruchnahme, vor allem auch für den Fall, dass Versicherungsleistungen nicht erlangt werden können, aussehen soll.
Fazit: Kein Eintritt des Versicherungsfalls mangels ernstlicher Inanspruchnahme von W.
4.Bei einer Gesamtschau der genannten Umstände steht nicht nur nicht fest, dass die Klägerin die versicherte Person W. ernstlich in Anspruch genommen hat, der Senat ist nach den unstreitigen Umständen sogar vom Gegenteil überzeugt. Der Versicherungsfall ist daher nicht eingetreten.
Zulassung der Revision
III. ... Die Revision wird zugelassen (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Zulassung dient der Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. Abs. 2 Nr. 2; 1. Alt. ZPO) zu der Frage, ob eine ernstliche Inanspruchnahme auch dann vorliegt, wenn nur der Deckungsanspruch aus dem Versicherungsvertrag ausgelöst werden soll, die versicherte Person aber nicht persönlich in Anspruch genommen werden soll.